647 avsnitt • Längd: 10 min • Veckovis: Fredag
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge – das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Sternengeschichten Folge 635: Wie zerstört man einen Planeten?
Das Wort "Weltuntergang" taucht immer wieder mal auf. Man findet es in den Prophezeiungen von Religionen und in jeder Menge Verschwörungstheorien. Es wird aber auch im wissenschaftlichen Zusammenhang verwendet, zum Beispiel wenn es um die Folgen der Klimakatastrophe geht. Aber was wir da eigentlich so gut wie immer meinen, ist nicht die Zerstörung der Welt, sondern die Zerstörung unserer Welt. Die Klimakrise zum Beispiel hat das Potenzial, die Lebensbedingungen für uns Menschen und für sehr viele andere Lebewesen auf der Erde zu zerstören. Dem Planeten selbst ist das aber egal; die Erde stört sich nicht daran, ob sie heiß oder kalt ist oder ob auf ihr etwas lebt oder nicht. Und wie man alles Leben auf der Erde auslöschen könnte, habe ich ja schon in Folge 532 erklärt - und damals übrigens nicht, weil ich irgendwelchen irren Superbösewichten eine Anleitung geben wollte, sondern weil es durchaus sinnvoll ist, wenn man versteht, welche Ereignisse und Vorgänge theoretisch dazu führen könnten, dass das gesamte Leben auf einem Planeten verschwindet.
Aber eben nicht der Planet selbst. Und das ist es, worum es heute gehen soll: Wie kriegt man einen Planeten kaputt? Kann nicht nur das Leben auf der Erde ausgelöscht, sondern unser ganzer Planet zerstört werden? Ja, das geht - und bevor ich erkläre, wie das funktioniert, sage ich sicherheitshalber gleich dazu, dass es absolut völlig unwahrscheinlich ist, dass irgendeiner der Prozesse, die ich im folgenden erklären werde, auf beziehungsweise mit der Erde passieren werden. Niemand muss sich Sorgen machen!
Also: Wie zerstört man einen Planeten? Na ja, "man" tut das sowieso nicht. Wir Menschen würden es zwar hinkriegen, die Erde völlig lebensfeindlich zu machen, aber den Planeten selbst kriegen wir nicht kaputt. Vielleicht können wir in ferner Zukunft, mit irgendeiner Science-Fiction-Technik, Planeten zerlegen und die Rohstoffe nutzen. Aber darüber rede ich jetzt nicht. Die Frage lautet: Gibt es irgendwelche natürlich auftretenden Prozesse, die in der Lage sind, einen Planeten zu zerstören. Und die Antwort lautet: Ja, sogar einige!
Wenn es um astronomische Katastrophen geht, dann sind Asteroideneinschläge ja sehr populär. Aber die stören einen Planeten in seiner Gesamtheit nicht. Ja, ein Asteroid, der groß genug ist, kann ein Massensterben verursachen oder vielleicht sogar das gesamte Leben auslöschen. Aber aus Sicht des Planeten ist trotzdem nicht viel passiert. Der Planet hat dann halt einen Krater mehr; sowas passiert im Laufe der Zeit, das ist ganz normal. Will man einen Planeten wie unsere Erde durch eine kosmische Kollision zerstören, dann muss man die wirklich großen Geschütze auffahren. Und "wirklich groß" heißt hier wirklich wirklich groß. Vereinfacht gesagt: Um einen Planeten zu zerstören, muss er mit etwas kollidieren, was ungefähr so groß ist, wie er selbst.
Das können wir an der Erde recht gut sehen. In der Frühzeit des Sonnensystems, vor 4,5 Milliarden Jahren, als die Planeten gerade dabei waren zu entstehen, ist die noch unfertige Erde mit einem anderen unfertigen Himmelskörper kollidiert, der ungefähr so groß war wie der Mars. Ich habe von dieser planetaren Kollision ausführlich in Folge 149 erzählt. Wenn zwei solche großen Himmelskörper zusammenstoßen, ist das natürlich nicht Nichts. Da passiert schon was. Die Erde hätte das ganze fast nicht überlebt, der andere Himmelskörper ist komplett zerstört worden und aus den Trümmern der Kollision ist unser Mond entstanden. Aber auch wenn die Erde ziemlich gelitten hat, hat sie den Zusammenstoß trotzdem überlebt. Oder anders gesagt: Selbst wenn wir es irgendwie schaffen könnten, den Mars auf die Erde zu werfen, würde unser Planet das vermutlich überleben. Da müssten wir schon mit der Venus ankommen, denn die ist ziemlich so groß wie die Erde selbst. Aber das wird nicht passieren. Weder Mars, noch Venus noch irgendein anderer Planet des Sonnensystems verlässt einfach so seine Umlaufbahn und fliegt auf die Erde zu. Die Planeten bewegen sich seit Milliarden Jahren auf ihren Bahnen und werden das auch weiterhin tun. Aber, wie schon angedeutet, in der Frühzeit eines Planetensystems kann das anders sein. Da bilden sich haufenweise große und kleine junge Planeten und es ist einfach nicht für alle Platz. Einige werden kollidieren und einige werden dabei auch zerstört. Im Sonnensystem gehört die Erde zu den Überlebenden, aber viele Planeten sind vor 4,5 Milliarden Jahren zerstört worden und werden das ständig überall im Universum, wo gerade Planeten dabei sind zu entstehen.
Kann es aber nicht auch sein, dass ein Planet von außerhalb des Sonnensystems kommt und auf die Erde prallt? Theoretisch ja. Denn in der wilden Frühzeit eines Planetensystems werden eben nicht nur Planeten zerstört, sondern manche auch aus ihren Systemen geworfen. Wir haben auch schon einige dieser "vagabundierenden Planeten" entdeckt, die frei von ihrem Stern durchs Weltall fliegen. Aber der Weltraum ist so absurd groß. Und es wäre ebenso absurd unwahrscheinlich, dass einer davon gerade auf die Erde trifft.
Immer noch sehr, sehr unwahrscheinlich, aber zumindest ein klein wenig weniger unwahrscheinlich ist es, dass sich zwei Sterne sehr nahe kommen. So nahe, dass die Gravitationskraft des einen, die Umlaufbahnen der Planeten des anderen stört und es dann zu Kollisionen kommt.
Wenn ein Planet - sofern er die frühe Phase seiner Entstehung überlebt hat - vor etwas Angst haben muss, dann sind das nicht andere Planeten. Sondern eher die Sterne, und vor allem den Stern, den er selbst umkreist. Unsere Sonne ist ein vergleichsweise braver Stern. Sie leuchtet seit 4,5 Milliarden Jahren vor sich hin und wird das auch noch 5 bis 6 Milliarden Jahren tun. Dann aber ist sie am Ende ihrer Entwicklung angekommen und aus dem kleinen gelben Stern wird ein roter Riese werden - auch davon habe ich in anderen Folgen der Sternengeschichten ja schon oft ausführlich erzählt. Das bedeutet: Die Sonne bläht sich auf und zwar so sehr, dass sie über die Umlaufbahn von Merkur und Venus hinaus wachsen wird. Das ist ein Prozess, der diese beiden Planeten zerstören wird und ob die Erde ihr Schicksal teilen wird, wissen wir noch nicht. Es kann sein, dass die sterbende Sonne sich bis zur Erdbahn und darüber hinaus aufbläht. Es kann aber auch sein, dass die Erde verschont bleibt. Ein Stern, der zu einem roten Riesen wird, ist aber definitiv ein Vorgang, der dazu geeignet ist, einen Planeten zu zerstören.
Wovor man sich als Planet ebenfalls in Acht nehmen sollte, sind Gezeiten. Damit sind nicht unbedingt Ebbe und Flut gemeint, obwohl der Prozess der gleiche ist. Auf der Erde haben wir die Gezeiten, weil die Gravitationskräfte von Sonne und Mond an unterschiedlichen Orten der Erdoberfläche leicht unterschiedlich stark wirken. Das gilt aber immer: Ein Planet, der einen Stern umkreist, spürt dessen Gravitation auf der dem Stern zugewandten Seite stärker als auf der anderen Hälfte. Normalerweise ist das dem Planeten egal. Die Unterschiede sind gering und so ein Planet ist ja nicht aus Pappe - sondern ein solider Himmelskörper aus Metall und Gestein. Der hält einiges aus.
Sollte ein Planet aber seinem Stern sehr nahe, also wirklich nahe, dann können die Gezeiten durchaus einen Effekt haben. Dann kann der Unterschied zwischen der Stärke der Gravitationskraft an unterschiedlichen Seiten des Planeten so groß sein, dass er regelrecht auseinander gerissen wird. Das gilt noch mehr, wenn es sich um einen Planeten handelt, der keinen normalen Stern umkreist, sondern ein extrem dichtes Objekt wie ein schwarzes Loch oder einen Neutronenstern.
Natürlich ist das mit der Gezeitenkraft auch nicht so einfach, wie es klingt. Ein Stern denkt sich ja nicht: So, jetzt geht mir der Planet auf die Nerven, jetzt dreh ich die Gezeitenkraft auf und zerreiß den Planeten! Auch hier müsste sich ein Planet ja irgendwie so sehr dem Stern annähern, dass er irgendwann die Gezeitenkraft nicht mehr aushält. Und das passiert nicht von selbst. Aber es kann passieren. Ich will hier jetzt keine komplette Vorlesung über die Dynamik von Planetensystem halten. Aber es ist möglich, dass Planetenbahnen im Laufe der Zeit degenerieren. Das heißt, dass sie immer näher an den Stern rücken und verantwortlich dafür kann zum Beispiel die gravitative Wechselwirkung mit einem anderem Planeten sein. Wenn beide sich in einer besonderen Konfiguration befinden - einer Resonanz - kann einer davon langsam immer näher an den Stern rücken, bis er durch die Gezeitenkraft zerstört wird.
Oder aber, ein Planet zieht einfach friedlich seine Runden, bis der Stern den er umkreist, sein Leben nicht in Form eines roten Riesen beendet, sondern bei einer Supernova-Explosion. Wenn der Planet nahe genug dran ist, dann überlebt er diese Mega-Explosion nicht und ist direkt zerstört. Aber auch wenn er weit genug entfernt ist, um diese erste Katastrophe zu überstehen, bekommt er es danach mit dem Neutronenstern oder dem schwarzen Loch zu tun, dass bei so einer Supernova-Explosion übrigt bleibt. Und den geänderten Gezeitenkräften, die dann wirken.
Noch blöder kann es laufen, wenn wir es nicht mit einer Supernova-Explosion zu tun haben, sondern einem Gamma-Ray-Burst. Von diesen Ereignissen, die auch Gammablitze genannt werden, habe ich in Folge 42 mehr erzählt. Aber kurz gesagt: Es sind die größten Explosionen die das Universum zu bieten hat und sie entstehen, wenn sehr, sehr große Sterne ihr Leben beenden, oder wenn zwei Neutronensterne kollidieren. Welche Planeten da auch immer davor da waren, sind es danach nicht mehr. Und das gilt auch für die Planeten, die sich in der Nachbarschaft befinden. Genau kann man es nicht sagen, aber man schätzt, dass alle Planeten, die sich im Umkreis von 100 bis 200 Lichtjahren von einem Gammablitz befinden und direkt von der Explosion getroffen werden, das nicht überleben und regelrecht verdampft werden.
Und wer sich jetzt doch Sorgen macht: Im entsprechenden Umkreis der Sonne kennen wir keinen Stern, der in der Lage wäre, einen Gammablitz zu produzieren.
Man könnte sich vermutlich noch ein paar exotischere Prozesse ausdenken, mit denen man einen Planeten kaputt kriegt. Aber im Wesentlichen war es das. Wer einen Planeten zerstören will, muss entweder einen anderen, ebenso großen Planeten drauf werden. Oder dafür sorgen, dass er von einem Stern verschlungen wird. Oder ihn so nahe an einen Stern schieben, bis er zerissen wird. Oder ihn mit einem Gammablitz verdampfen.
Im Großen und Ganzen sind Planeten aber zählebig. Unsere Erde zum Beispiel hat gute Chancen, den Tod der Sonne zu überleben. Wenn die vom roten Riesen zu einem toten weißen Zwerg geworden ist, kann die Erde immer noch ihre Runden ziehen, jetzt eben ohne Licht und Wärme. Es könnte Billionen Jahre oder noch länger dauern, bis die Erde irgendwann doch noch zerstört wird. Wir sind dann aber natürlich schon längst weg. Also machen wir das beste aus der kurzen Zeit, die wir mit unserem Planeten haben.
Sternengeschichten Folge 634: Die Säulen der Schöpfung
"Säulen der Schöpfung" klingt ein bisschen nach Religion. Und tatsächlich stammt der Begriff aus einer Predigt, die der britische Pastor Charles Haddon Spurgeon im Jahr 1857 gehalten hat. Ich will in dieser Folge aber nicht über Religion reden, sondern natürlich von Astronomie. Um "Schöpfung" wird es aber trotzdem gehen. Als "Säulen der Schöpfung" oder auf englisch als die "Pillars of Creation" wird einerseits ein astronomisches Bild bezeichnet und andererseits auch das Objekt, das auf dem Bild zu sehen ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr dieses Bild alle schon einmal gesehen habt. Es ist eines der bekanntesten astronomischen Bilder, das weit über die reine Wissenschaft hinaus populär geworden ist. Ihr könnt gerne den Podcast kurz pausieren und nachsehen, wie die "Säulen der Schöpfung" aussehen und dann werdet ihr wahrscheinlich sofort sagen "Ah, ja - das Ding!"
Also: Um was geht es? Die "Säulen der Schöpfung" sind circa 7000 Lichtjahre weit von der Erde entfernt und befinden sich im "Adlernebel". Das ist ein sogenannter "Emissionsnebel", also eine große Wolke aus Gas, zwischen den Sternen, die vom Licht der Sterne zum Leuchten angeregt wird. Und es gibt dort deswegen Sterne, deren Licht die Wolke zum Leuchten anregen kann, weil solche Wolken genau die Orte sind, wo aus dem interstellaren Gas neue Sterne entstehen. Der Adlernebel ist ungefähr 20 Lichtjahre groß und die Sterne, die dort leuchten sind vergleichsweise jung, nur ein paar hunderttausend Jahre alt.
Den Adlernebel hat man schon im Jahr 1745 entdeckt; der Schweizer Astronom Jean-Philippe de Chéseaux hat ihn damals beobachtet. Unabhängig von ihm hat ihn auch der französische Astronom Charles Messier als Objekt Nummer 16 in seinen berühmten Messier-Katalog aufgenommen, weswegen der Adlernebel auch die Bezeichnung M16 trägt. Von den "Säulen der Schöpfung" hat man damals aber noch nichts gewusst. Den ersten Hinweis darauf hat der amerikanische Astronom John Charles Duncan gefunden, als er den Adlernebel im Jah 1920 beobachtet und dabei seltsame, dunkle Strukturen entdeckt hat. Weil sie so komisch "schlauchartig" ausgesehen haben, hat man sie "Elefantenrüssel" genannt. Wirklich im Detail hat man sie aber erst sehen können, als im Jahr 1995 das Hubble-Weltraumteleskop diese Region im Weltall fotografiert hat. Und dann war die Astronomie und der Rest wirklich enorm beeindruckt, was da zu sehen war. Ich mache es aber ein wenig spannend, und wir schauen uns jetzt erstmal an, wie das Bild zustande gekommen ist.
Verantwortlich für diese Aufnahme waren die amerikanischen Astronomen Jeff Hester und Paul Scowen und das, was das Weltraumteleskop zur Erde geschickt hat, war auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckend. Ein schwarzer Blob vor einem grauen Hintergrund, mit jeder Menge weißer "Kratzer" überall am Bild verteilt. Aber so ist das in der Astronomie immer; die Rohdaten die man bei einer Beobachtung bekommt, sehen selten so beeindruckend aus, wie die Bilder, die man daraus erstellen kann. Die ganzen "Kratzer" sind zum Beispiel die Spuren, die die kosmische Strahlung auf den Detektoren eines Teleskops hinterlässt. Die kann man aber leicht durch entsprechende Bildbearbeitung entfernen. Dann hat man einen schwarzen Blob ohne Kratzer und er ist deswegen schwarz, weil die digitalen Kameras ja keine Farben aufnehmen können. Sie messen einfach nur die Intensität der Strahlung und fertig. Wenn man Farben haben will, muss man sich ein wenig mehr anstrengen.
Schauen wir dafür noch einmal zurück zum Adlernebel. Ich habe zu Beginn gesagt, dass das eine Gaswolke ist, die zum Leuchten angeregt wird. Im Detail funktioniert das so: Bestimmte Atome - zum Beispiel Sauerstoff - können angeregt werden, wenn vom Sternenlicht der Umgebung genug Energie übertragen wird. Solche angeregten Atome geben diese Energie aber schnell wieder ab, und zwar in Form von Licht bei einer ganz konkreten Wellenlänge, die sich je nach Art des Atoms unterscheidet. Deswegen leuchten diese Emissionsnebel auch so bunt: Jede Art von Atomen, die sich dort befinden, senden ihr eigenes Licht aus. Bei der Beobachtung kann man jetzt bestimmte Filter verwenden, die nur Licht mit der Wellenlänge eines dieser Atome durchlassen und das dann später passend farblich darstellen. Im Fall des Hubble-Teleskops und des Adlernebels hat man drei unterschiedliche Filter verwendet. Einer hat das Licht der Wasserstoffatome durchgelassen, einer das von Schwefelatomen und einer das von Sauerstoff. Entsprechend der Farben dieses Lichts hat man das Wasserstoffbild in Grüntönen, das Schwefelbild in rötlicher Farbe und das Sauerstoffbild in Blau eingefärbt und alle drei zu einem einzigen Bild kombiniert. So ist das fertige Bild der "Säulen der Schöpfung" entstanden und ich sage der Vollständigkeit halber noch dazu, warum auf diesem Bild die obere rechte Ecke komplett schwarz ist: Das liegt daran, dass man nur drei der vier Kameras von Hubble verwendet konnte, weil eine mit einer zu geringen Auflösung gearbeitet hat.
So. Jetzt haben wir ein fertiges Bild. Darauf zu sehen ist ein Weltraum, der grün/bläulich leuchtet, mit ein paar rötlich scheinenden Sternen. Dominiert wird das Bild aber von drei dunklen Säulen, die sich dramatisch in die Höhe recken. An ihren Rändern leuchten sie hell, dazwischen sind sie rot-braun bis tiefschwarz. Ihre Form ist komplex: die höchste Säule, ganz links im Bild türmt sich aus unterschiedlichen Wolken nach oben und hat jede Menge Auswüchse an ihren Seiten. Die Säule in der Mitte hat viel glattere Konturen, ist viel dunkler und die kleinste Säule ganz rechts scheint sich irgendwie am unteren Ende aufzulösen, so als würde sie gerade dabei sein, ins Weltall davon zu fliegen.
Das sind die "Säulen der Schöpfung" und dieser Name klingt nicht nur viel schöner als "Elefantenrüssel" sondern ist auch gar nicht so übertrieben. Was man dort sieht, ist tatsächlich Schöpfung: Dort entstehen neue Sterne - das hat man auch vorher schon gewusst. Aber die "Säulen der Schöpfung" haben dieses Prozess in einem Detailreichtum gezeigt, den man bis dahin nicht gekannt hat. Die Säulen sind einige Lichtjahre lang; sie erheben sich wie Stalaktiten in einer Höhle aus dichten Wolken, die vor allem aus Wasserstoff entstehen. In ihnen ist der Wassertoff dicht genug, damit daraus Sterne entstehen können. Auch das war bekannt. Was man in den Säulen der Schöpfung aber erstmals gesehen hat, waren "verdunstende gasförmige Globulen", auf englisch "evaporating gaseous globules" oder abgekürzt EGGs. Und vermutlich hat es irgendwer lustig gefunden, dass da EGGs, also "Eier" im Adlernebel sind, aber wir gehen jetzt nicht weiter auf den Humor (oder den Mangel davon) in der Wissenschaft ein. Diese EGGs kann man sich als sehr dichte Taschen aus Wasserstoffgas vorstellen. Darin entstehen Sterne, aber wir kriegen davon nicht viel mit, weil wir nicht durch das Gas und den Staub hindurch sehen können. Wenn jetzt aber in der Nähe junge und heiße Sterne existieren, dann schicken die auch sehr viel energiereiche Ultraviolettstrahlung ins All. Die kann das Gas der EGGs quasi verdampfen, das nennt man "Photoevaporation". Anders gesagt: Die Strahlung heizt das Gas auf, die Teilchen bewegen sich schneller als vorher und strömen von den Säulen hinaus ins All. Übrig bleibt nur der innere Kern der EGGs, die dichtesten Regionen aus Gas, in deren Inneren die Sterne dabei sind, zu entstehen.
Schaut man sich die Säulen der Schöpfung ganz genau an, dann sieht man jede Menge dieser EGGs. Manche davon befinden sich an den Spitzen der aus den Säulen hinauswachsenden kleinen, fingerartigen Strukturen. Manchen haben sich schon abgelöst und schweben neben den Säulen im All. Diese Stadien der Sternentwicklung konnte man so detailliert vorher noch nicht beobachten. Und es ist ein wichtiges Stadium: Je mehr Gas durch die UV-Strahlung evaporiert wird, desto weniger kann zur Sternentstehung beitragen. Oder anders gesagt: Je schneller die EGGs vom Rest der Gaswolken in den Säulen getrennt werden, desto weniger Masse können sie haben.
Aber woher wissen wir eigentlich, dass da so viel UV-Strahlung ist? Dafür ist der Schwefel gut. Ich habe vorhin gesagt, dass das Bild mit Filtern gemacht worden ist, die das Licht von Wasserstoff-, Sauerstoff- und Schwefelatomen durchlassen. Und der Schwefel scheint da irgendwie nicht ins Bild zu passen. Wasserstoff ist klar; das ist der Hauptbestandteil der interstellaren Wolken und der Sterne und eigentlich des ganzen Universums. Natürlich ist der auch dort zu finden. Sauerstoff ist auch noch nachvollziehbar; dieses Element wird im Inneren von Sternen durch Kernfusion erzeugt und nach ihrem Ende überall im All verteilt. Das selbe gilt aber auch für den Schwefel. Und Schwefel kann in der Astronomie als Indikator für UV-Strahlung verwendet werden. Die sehr starke UV-Strahlung junger Sterne kann den Schwefel auf ganz charakteristische Art anregen, was Licht mit einer ganz charakteristischen Wellenlänge verursacht. Deswegen sieht man die Sterne die sich auf dem Bild der Säulen der Schöpfung befinden, ja auch rötlich leuchten, aber das Schwefellicht ist vor allem wichtig, wenn man die Photoevaporation nachvollziehen will. Überall dort, wo viel UV-Strahlung auf die Gaswolken trifft, ist auch Schwefel und der fängt an, auf seine typische Weise zu leuchten. Wenn man dieses Licht gezielt beobachtet, kann man herausfinden, wie intensiv die UV-Strahlung wirklich ist und wie effektiv das Gas der Säulen dadurch verdampft wird.
Die Säulen der Schöpfung sind also nicht nur Orte, wo wir direkt bei der Entstehung von etwas Neuem zusehen können. Die Säulen lösen sich auf; die Photoevaporation geht immer weiter. Das Gas kann auch durch Supernova-Explosionen in der Umgebung regelrecht weggepustet werden, was den Vorgang beschleunigt. Im Jahr 2007 hat man einige Hinweise gefunden, dass das vielleicht sogar schon passiert ist. Diese Beobachtungen sind aber umstritten, nicht umstritten ist, dass die Säulen der Schöpfung verschwinden werden. Das kann ein paar hunderttausend Jahre dauern oder ein paar hunderttausend Jahre mehr. Aber auch nicht recht viel länger - was aber trotzdem immer noch genug Zeit für uns ist, die Säulen der Schöpfung zu erforschen.
Dem ersten Bild aus dem Jahr 1995 sind natürlich noch viele weitere gefolgt. Das Hubble-Teleskop hat selbst mit seiner später verbesserten Optik im Jahr 2015 nochmal hingeschaut. Das neuere James-Webb-Weltraumteleskop hat im Jahr 2022 ein Bild aufgenommen, das noch sehr viel mehr Details zeigt. Jedes Bild ist auf seine eigene Art wissenschaftlich wertvoll und wunderschön. Die "Säulen der Schöpfung" sind das beste Beispiel dafür, wie sich Astronomie und Ästhetik, Physik und Philosophie, Sterne und Spiritualität verbinden. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft treffen auf die Erhabenheit des Universums. Die "Säulen der Schöpfung" berühren uns alle.
Sternengeschichten Folge 633: Die Millenium-Simulation
Warum sieht das Universum so aus, wie es aussieht? Warum sind die Galaxien in Galaxienhaufen organisiert, die in noch größeren Superhaufen organisiert sind, die wiederum die gigantischen Filamente bilden, die sich durch den ganzen Kosmos erstrecken und durch ebenso gigantische Leerräume voneinander getrennt sind? Das ist eine durchaus fundamentale Frage und eine die Forscherinnen und Forscher - zu Recht - beantworten wollen. Nur: Wie stellt man das an?
Gut, man kann das Universum beobachten. Man kann die Positionen der Galaxien kartografieren und weil Licht, das aus großer Ferne kommt eine entsprechend lange Zeit unterwegs war und wir damit auch entsprechend weit in die Vergangenheit blicken können, können wir so auch vergleichen, wie das Universum früher im Gegensatz zu heute ausgesehen hat. Aber erstens ist das gar nicht so einfach, wie es klingt. Die kosmologische Kartografie ist ein enorm komplexes Vorhaben und wäre ein Thema für eine eigene Folge der Sternengeschichten. Aber auch die beste Kartografie zeigt uns nur einen Zustand und nicht den Prozess, der dazu geführt hat. Wir haben aber auch keine Möglichkeit, die Entwicklung des Universums "in echt" zu beobachten. Seit dem Urknall sind immerhin fast 14 Milliarden Jahre vergangen. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit: Eine Computersimulation.
Wir können die realen Beobachtungsdaten, die wir über den frühen Zustand des Universums haben mit den bekannten Naturgesetzen und den vermuteteten Hypothesen zur Entwicklung des Kosmos kombinieren, alles in einen Computer werfen und dann diesem Modell zusehen. Das ist natürlich ebenfalls deutlich komplexer, als es klingt, aber in diesem Fall ist das kein Thema einer zukünftigen Folge des Podcasts, sondern genau das, worum es diesmal geht. Oder genauer gesagt: Heute geht es um eine ganz besondere dieser kosmologischen Simulationen. Ich möchte von der "Millenium-Simulation" erzählen, deren Ergebnisse im Jahr 2005 veröffentlicht worden sind.
Fangen wir dazu mit der wichtigsten Frage an: Wie simuliert man ein komplettes Universum? Wir wissen: Nach dem Urknall gab es jede Menge Wasserstoffatome, ein bisschen weniger Heliumatome, verschwindend geringere Mengen an Lithium und Beryllium, einen Haufen Energie und sonst nichts. Heute ist das Universum voller Sterne, die Galaxien bilden, die Galaxienhaufen bilden, und so weiter. Wir können jetzt aber nicht einfach ein Programm schreiben, dass die Eigenschaften von Wasserstoff- und Heliumatomen simuliert, das laufen lassen und dann warten, bis daraus Sterne und Galaxien werden. Das wäre einerseits zu kompliziert. Kein Computer der Welt wäre in der Lage, gleichzeitig all die Atome zu simulieren, die beim Urknall entstanden sind. So eine Simulation müsste die nuklearen, die chemischen, die elektromagnetischen, die gravitativen und jede Menge andere Vorgänge gleichzeitig behandeln und das für eine unvorstellbare Menge an Atomen. Wir brauchen also einen anderen Ansatz.
Vor allem, weil das, was ich vorhin gesagt habe, auch nicht komplett richtig war. Es gab nicht nur Wasserstoff, Helium und so weiter. Es gab vor allem jede Menge dunkle Materie. Also die Art von Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, weil wir beobachten können, wie ihre Gravitationskraft sich auf die Sterne und Galaxien auswirkt. Aber wir wissen nicht, um was für eine Art von Materie es sich dabei handelt; die entsprechenden Teilchen haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Sicher ist nur: Es gibt im Universum sehr, sehr viel mehr dieser dunklen Materie, als es normale Materie gibt, aus der die Sterne und Galaxien bestehen.
Dass wir nicht wissen, woraus die dunkle Materie besteht, spielt in diesem Fall aber keine so große Rolle, wie man denken mag. Denn um zu verstehen, wie das Universum so geworden ist, wie wir es heute sehen können, kommt es eigentlich nur auf die Gravitationskraft an, die diese dunkle Materie ausübt. Und deswegen steht die dunkle Materie auch im Zentrum der Millenium-Simulation. Aus diversen Beobachtungsdaten wissen wir, dass circa 85 Prozent aller Materie aus dunkler Materie besteht. Wir wissen auch, dass diese dunkle Materie nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Das heißt in diesem Fall: Sie wird nicht aufgeheizt, sie gibt auch keine Wärme ab. Oder anders gesagt: Während die normale Materie im frühen Universum durch die viele Energie enorm heiß war und die Teilchen sich wegen der großen Temperatur schnell bewegt haben, haben die Teilchen der dunklen Materie das nicht getan. Oder, ein letztes Mal anders gesagt: Die dunkle Materie ist durch durch die elektromagnetische Strahlung, also durch die Energie nach dem Urknall, weniger stark beeinflusst worden und hat sich deswegen, vereinfacht gesagt, früher "zur Ruhe gesetzt". Die ersten Strukturen im Universum waren Strukturen aus dunkler Materie. Natürlich keine Sterne aus dunkler Materie oder so. Ich will jetzt nicht zu sehr in die Details gehen, aber weil dunkle Materie so ist, wie sie ist, kann sie keine kompakten Objekte wie einen Stern bilden. Aber gigantisch große Wolken schon. Und die Anziehungskraft dieser gigantisch großen Wolken hat dann früher oder später auch die normale Materie beeinflusst, in ihr Zentrum gezogen und dort, in den Zentren dieser großen Wolken, hat die normale Materie dann Sterne und Galaxien gebildet.
Wenn man also weiß, wo sich die dunkle Materie im frühen Universum befunden hat, ist es auch ein vergleichsweise kleines Problem, daraus zu bestimmen, wo sich die Galaxien und Galaxienhaufen befinden müssen. Die Millenium-Simulation hat sich also auf die Simulation der Bewegung der dunklen Materie beschränkt. Allerdings nicht im gesamten Universum; auch das wäre zu viel für die Computer gewesen. Man hat sich auf einen würfelförmigen Ausschnitt konzentriert, der eine Kantenlänge von 2 Milliarden Lichtjahren hat. Aber das ist schon ordentlich groß, da passt einiges rein. Die gesamte Masse an dunkler Materie in diesem Würfel, die in der Simulation untersucht worden ist, hat 10 Trillionen Sonnenmassen entsprochen. Aber wie gesagt: Diese Masse ist nicht in Form einzelner Teilchen simuliert worden. Auch nicht in Form von Stücken von zum Beispiel einem Gramm oder einem Kilogramm. Es wäre für die Computer auch viel zu viel gewesen, hätte man 10 Trillionen Objekte mit einer Sonnenmasse in den Würfel gesetzt und geschaut was passiert. Man hat die Mase auf gut 10 Milliarden Teilchen aufgeteilt. Die Simulation ist also aus 10 Milliarden "Teilchen" bestanden, von denen jedes eine Masse von knapp einer Milliarde Sonnenmasse gehabt hat. Die Bezeichnung "Teilchen" ist also ein bisschen irreführend, angesichts der Tatsache, dass die Masse unserer Milchstraße nur circa 10 Mal größer ist als die eines solchen "Teilchens".
Aber angesichts der Größe des Universums und der vorhandenen Computertechnik war das, das was möglich war. Dieser 2 Milliarden Lichtjahre große Würfel mit seinen 10 Milliarden Teilchen aus dunkle Materie war der beste Kompromiss aus Größe und Detailreichtum, den man hoffen konnte, zu schaffen. Jetzt kann man diese Teilchen aber auch nicht einfach irgendwie in den Würfel werfen und die Simulation starten. Wir wissen - wieder aus Beobachtungsdaten des ganz frühen Universums - dass die Materie damals nicht völlig gleichförmig im Universum verteilt war. Es hat kleine Schwankungen gegeben, in manchen Regionen war ein bisschen mehr als anderswo; in anderen Regionen ein bisschen weniger. Diese Schwankungen gehen auf die quantenmechanischen Prozesse unmittelbar beim Urknall zurück, aber das würde jetzt zu weit führen. Diese Unregelmäßigkeiten hat man auf jeden Fall in der Simulation berücksichtigt und die dunkle Materie entsprechend verteilt.
Und dann? Dann berechnet man einfach die Gravitationskräfte, die zwischen all diesen Teilchen wirken und die daraus resultierenden Bewegungen. Und schaut, wie sich das alles im Laufe der Zeit entwickelt! Wenn es so einfach wäre, dann wäre es super. Das Prinzip ist natürlich korrekt, genau das ist es, was man jetzt eigentlich tun muss. Nur: Wenn ich 10 Milliarden Teilchen habe, die sich gegenseitig über ihre Gravitationskraft beeinflussen, dann muss ich zuerst berechnen, wie zb Teilchen Nummer 2 auf Teilchen Nummer 1 wirkt. Und dann Teilchen Nummer 3 auf Teilchen Nummer 1. Und so weiter, bis zur Wirkung von Teilchen Nummer 10 Milliarden auf Teilchen Nummer 1. Und wenn ich damit durch bin, muss ich die selbe Rechnung anstellen, um herauszufinden, wie die 10 Milliarden Teilchen das Teilchen Nummer 2 beeinflussen, und so weiter, bis ich das für alle 10 Milliarden Teilchen erledigt habe. Und wenn DAS erledigt ist, und ich weiß, wie sich die Teilchen alle bewegt haben, haben sie ja jetzt ihre Position verändert, wodurch sich auch ihre Gravitationskraft aufeinander verändert. Ich muss das Spiel also von vorne beginnen und das so lange, bis ich die ganzen 14 Milliarden Jahre der bisherigen Lebensdauer des Universums abgedeckt habe. Man kann so etwas zwar prinzipiell machen; ein entsprechendes Computerprogramm zu schreiben ist nicht sonderlich schwer. Aber es würde absurd lange dauern, bis es durchgelaufen ist. Man kann so etwas machen, wenn man es zum Beispiel nur mit der Handvoll an Planeten des Sonnensystems zu tun hat. Aber nicht bei einem ganzen Universum, selbst wenn da nur 10 Milliarden Teilchen drin sind.
Für solche kosmologischen Simulationen muss man einen anderen Ansatz wählen und bei der Millenium-Simulation war das etwas, was man als Tree-PM-Methode bezeichnet. Das im Detail zu erklären, würde zu weit führen. Aber die kurze Version geht so. "PM" steht für "Particle-Mesh", also für "Teilchen-Netz". Das soll folgendes bedeuten: Wir berechnen nicht die konkrete wechselseitige Anziehungskraft zwischen allen Teilchen. Sondern legen quasi ein "Netz" über das simulierte Universum. Und schauen dann für jede Zelle in diesem dreidimensionalen Netz nach, wie viel Masse da im Moment drin ist. Dann benutzen wir mathematische Methoden, unter anderem die Poisson-Gleichung, aber ich lasse diese Details jetzt wirklich aus, um das Gravitationspotential in jeder Zelle und über das ganze Netz zu berechnen. Das Gravitationspotential sagt uns, welche Gravitationskraft in jeder Zelle wirkt und diese Information kann man nutzen, um zu berechnen, wie sich die einzelnen Teilchen einer Zelle bewegen. Dann wird geschaut, wie viele Teilchen sich jetzt in den Zellen des Netzes befinden, ich keine wieder die Dichte für all diese Zellen berechnen, aus dieser Dichte mit der Poissongleichung wieder das Gravitationspotenzial, und so weiter, bis ich mit der Simulation bei dem Zeitpunkt angekommen bin, den ich erreichen möchte.
Das ist natürlich alles nicht ganz so genau, wie die direkte Berechnung aller Kräfte. Aber anders geht es eben nicht und als Ausgleich gibt es noch den "Tree". Das "Tree", also das englische Wort für "Baum", das ja auch Teil der "Tree-PM-Methode" ist, bedeutet folgendes. Das Netz hat nicht einfach Zellen, die alle gleich groß sind. Sondern die Größe der Zellen hängt davon ab, was darin so los ist. Wenn wir jetzt eine Region im simulierten Universum haben, in der sich nur ein paar verstreute Teilchen befinden, dann kann ich da eine sehr große Zelle daraus machen. Wenn ich aber sehr viele Teilchen in einer Gegend habe, dann werden die Zellen dort immer feiner unterteilt. Die Zellengröße verästelt sich also wie die Äste eines Baumes und im Prinzip nutzt diese Methode die Tatsache aus, dass man die gravitative Wechselwirkung zwischen sehr weit entfernten Teilchen vernachlässigen kann, die Kräfte zwischen nahen Teilchen aber wichtig sind.
Wie gesagt: In Wahrheit sind diese kosmologischen Simulationen sehr, sehr viel komplexer als ich sie jetzt hier dargestellt habe. Aber das war das Prinzip hinter der ersten Millenium-Simulation. Man hat damit den Kosmos - beziehungsweise den 2 Milliarden Lichtjahre großen Würfel - in 11.000 Schritten vom Anfang des Universums bis in die Gegenwart simuliert (und, das habe ich noch nicht dazu gesagt, dabei auch die Expansion des Universums berücksichtigt). Aus der Verteilung der dunklen Materie konnte man dann, so wie ich es vorhin beschrieben habe, berechnen, wo sich die Galaxien befinden müssen. Das ganze hat auf einen Supercomputer 28 Tage lang gedauert und im Juni 2005 hat man die Ergebnisse dann veröffentlicht. Und "man" war in diesem Fall das "Virgo-Konsortium", zu dem unter der Führung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München auch Teams aus Großbritannen, Kanada, Japan und der USA gehört haben.
Diese Resultate waren höchst beeindruckend. Man hat in der Simulation die tatsächlich beobachtete Verteilung der Galaxien und Galaxienhaufen sehr gut nachvollziehen können. Das Computeruniversum hat genau so ausgesehen wie das echte. Nicht im Detail, aber im Prinzip: Mit lauter Galaxien, die sich in Galaxienhaufen organisieren, die Superhaufen bilden, die sich entlang von Filamenten anordnen, und riesigen Leerräumen dazwischen. Das hat zuallererst einmal bestätigt, dass unsere Annahmen über den frühen Zustand des Universums und die Gesetze, die seine Entwicklung beschreiben, korrekt sind, denn sonst hätte die Simulation ein anderes Ergebnis geliefert. Man hat mit den Resultaten aber auch ein paar offene Fragen klären können: Zum Beispiel hat man bei Beobachtungen des frühen Universums Galaxien gesehen, in deren Zentren sich enorm massereiche schwarze Löcher befunden haben. Und dachte damals, dass sich solche großen Objekte so schnell gar nicht bilden können. In der Millenium-Simulation ist aber genau das passiert und man hat dadurch besser verstehen können, wie diese Prozesse ablaufen, die wir im echten Universum nicht beobachten können, im simulierten Universum aber so gut und lange, wie wir wollen. In der Millenium-Simulation konnte man quasi "live" dabei zusehen, wie Galaxien miteinander verschmelzen, wie sich Galaxienhaufen bilden, wie sie in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie entstehen, und so weiter.
Es gab natürlich auch schon davor kosmologische Simulationen, aber die Millenium-Simulation war viel detailreicher und das für einen enorm großen Ausschnitt des Universums. Auf diese ursprüngliche Simulation aus dem Jahr 2005 sind weitere gefolgt und man hat mit den Daten sogar ein virtuelles Observatorium eingerichtet. Man kann dort mit einem virtuellen Teleskop die Beobachtung des Universums anhand der Millenium-Daten simulieren, was ein wenig sinnlos klingt. Aber durchaus wichtig ist, wenn man zum Beispiel in Ruhe die Beobachtung mit echten Teleskope planen und vorbereiten möchte, ohne die knapp bemessene Beobachtungszeit an den realen Instrumenten dafür verschwenden zu müssen.
Auf die Millenium-Simulation sind natürlich noch weitere, bessere Simulationen gefolgt, zum Beispiel das "Illustris-Projekt". Immerhin werden ja auch die Computer immer besser und je besser sie werden, desto genauer kann man die Simulationen auch durchführen. Für das gesamte Universum wird es aber trotzdem nie reichen. Am Ende müssen wir immer noch schauen, was wirklich dort draußen ist.
Sternengeschichten Folge 632: Galatea und die Ringe des Neptun
Im Jahr 1985 hat der amerikanische Astronom Jack Lissauer einen Fachartikel veröffentlicht, der mit diesen Sätzen beginnt: "Ein unvollständiger Ring wurde kürzlich um Neptun entdeckt. Hier wird ein Modell entwickelt, um die Begrenzung dieses Rings zu erklären. Der Ring könnte azimutal in der Nähe eines Dreieckspunkts (Trojaner-Punkt) eines noch unentdeckten Satelliten von Neptun begrenzt sein."
Gut, das klingt ein wenig technisch, aber es ist ja auch ein wissenschaftlicher Fachartikel. Aber Lissauer sagt im wesentlichen folgendes: Man hat einen Ring des Planeten Neptun entdeckt und der sieht so seltsam aus, dass man das nur mit der Existenz eines noch unbekannten Mondes erklären kann. Und genau darum geht es in dieser Folge: Um einen Mond des Neptun und den Einfluss, den er auf seine Ringe ausübt. Über Neptun habe ich ja in Folge 122 schon ausführlicher gesprochen.
Der Neptun ist der äußerste Planet unseres Sonnensystems. Er wurde erst 1846 entdeckt und es hat fast 150 Jahre gedauert, bis er das erste Mal Besuch von einer Raumsonde bekommen hat. Das war im Jahr 1989, als Voyager 2 an ihm vorbeigeflogen ist. Aber schon 1968 konnte man durch Beobachtungen von der Erde aus nachweisen, dass der Neptun Ringe haben muss. Weitere Beobachtungen haben dann gezeigt, dass diese Ringe erstens sehr schmal sein müssen und auch irgendwie komisch. Ein bisschen klumpig, also eher Ringstückchen anstatt kompletter Ringe, so wie wir das zum Beispiel vom Saturn kennen. Die kleinen Teilchen aus Eis, die die Ringe bilden, sind beim Neptun anscheinend nicht gleichmäßig verteilt, sondern bilden mehrere klumpige Ringbögen. Genau das hat Lissauer gemeint, als er geschrieben hat, dass ein "unvollständiger Ring" um Neptun entdeckt worden ist.
So etwas passiert natürlich nicht einfach so. Gut, es könnte sein, dass dieser bruchstückhafte Ring des Neptun zufälligerweise ganz neu ist. Vielleicht ist da irgendein kleiner Mond auseinander gebrochen und seine Trümmer haben sich noch nicht vollständig um den Neptun herum verteilt. Das ist zwar nicht unmöglich, aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass wir zufällig gerade in diesem Moment hingesehen haben. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass irgendetwas dafür sorgt, dass sich die Ringteilchen nicht gleichmäßig um den Neptun verteilen können. Genau das war der Grund, aus dem Lissauer seine Arbeit verfasst hat und er hat vermutet, dass es ein noch unentdeckter Mond sein könnte, der mit seiner Gravitationskraft den Ring so aussehen lässt, wie er aussieht.
Aber bevor wir schauen, was es damit auf sich hat, schauen wir zuerst noch einmal, wie die Ringe des Neptun eigentlich tatsächlich aussehen. Jack Lissauer hat seine Arbeit vier Jahre vor der Ankunft von Voyager 2 beim Neptun geschrieben. Die Bilder der Raumsonde haben viele offene Fragen beantwortet und unter anderem im Detail gezeigt, wie die Ringe aussehen. Der Neptun hat mindestens vier Ringe. Ganz innen ist der Galle-Ring, dann folgen der Le-Verrier-Ring und der Lassell-Ring. Alle drei sind übrigens nach Astronomen benannt, die mit Entdeckungen bei Neptun zu tun haben. Johann Gottfried Galle hat den Planeten 1846 das erste Mal im Fernrohr gesehen, Urbain LeVerrier hat seine Existenz mathematisch vorhergesagt und William Lassell hat Triton, den größten Neptunmond entdeckt. Uns interessiert hier aber der äußerste Ring, der nach John Couch Adams benannt ist, einem britischen Astronomen, der ebenfalls und unabhängig von LeVerrier die Existenz von Neptun vorhergesagt hat.
Der Adams-Ring ist schmal, mit einer Breite von nur circa 35 Kilometern. Und es ist genau dieser Ring, der klumpig ist. Man hat bis jetzt vier Abschnitte des Rings entdeckt, die deutlich heller sind als der Rest, wo sich also mehr Material befinden muss. Benannt sind sie mit französischen Begriffen: Liberté, Égalité, Fraternité und Courage; also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Mut. Jeder dieser Abschnitte ist 100 bis 200 Kilometer lang und die Klumpen sind vergleichsweise stabil. Man hat sie schon in den 1980er Jahren mit Teleskopen von der Erde aus gesehen, dann im Detail mit der Voyager-Sonde beobachtet und auch danach zum Beispiel mit dem Hubble-Weltraumteleskop. In all dieser Zeit sind die Klumpen immer mehr oder weniger an der selben Stelle geblieben. Es muss also einen Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass das passiert und Lissauer hat vermutet, dass es ein Mond sein muss, der dafür verantwortlich ist.
Bevor Voyager 2 im Jahr 1989 beim Neptun angekommen ist, hat man drei Monde des Neptun gekannt: Triton, der größte mit einem Durchmesser von 2706 Kilometern und die kleineren Monde Nereid und Larissa. Als man sich die Sache dann aber aus der Nähe ansehen konnte, hat man mit einem Schlag gleich fünf weitere Monde finden können. Die Bilder der Voyager 2 haben Monde gezeigt, die heute Naiad, Thalassa, Despina, Proteus und Galatea heißen. Mittlerweile haben wir noch eine Handvoll weiterer Monde des Neptun gefunden, aber wir konzentrieren uns jetzt auf Galatea.
Tatsächlich entdeckt hat ihn der amerikanische Astronom Stephen Synnott im Juli 1989 bei der Analyse der Voyager-Aufnahmen. Der Mond hat einen Durchmesser von 176 Kilometern und umkreist den Planeten in einem Abstand von 61.953 Kilometern auf einer fast kreisförmigen Bahn. Der Adams-Ring ist 63.930 Kilometer von Neptun entfernt, also nur knapp 2000 Kilometer von Galateas Umlaufbahn weit weg. Damit ist er dem Ring näher als die anderen bekannten größeren Monde des Neptun und ein guter Kandidat für die Rolle des Mondes, der die Strukturen im Adams-Ring verursacht.
Schaut man sich die Umlaufzeit von Galatea an und rechnet ein bisschen herum, dann findet man folgenden interessanten Zusammenhang: In der Zeit, die Galatea für 42 Umläufe um den Neptun braucht, schafft ein Teilchen im Adams-Ring ziemlich genau 43 Umläufe um den Planeten. Oder anders gesagt: Ring und Mond befinden sich einer sogenannten 42:43 Resonanz. Das bedeutet: Nach einer ganz bestimmten Zeit wiederholt sich die relative Stellung von Mond und Ringteilchen. Die Ringteilchen spüren also in periodischen Abständen die Gravitation des Mondes besonders stark. Diese kleinen Schubser des Mondes erhöhen die Exzentrizität der Ringteilchen, das heißt, ihre Bahn weicht von einer kreisförmigen Bahn ab und wird leicht elliptisch. Das führt dazu, dass sich die Teilchen in bogenförmigen Abschnitten der Umlaufbahn ansammeln oder anders gesagt: Es bilden sich Klumpen entlang der Bahn wo mehr Teilchen sind als anderswo und das ist genau das, was wir beim Adams-Ring beobachten können. Das ganze nennt sich "Korotations-Exzentrizität-Resonanz", was man zwar nicht wissen muss, um zu verstehen worum es geht, aber jetzt, wo ich es gesagt habe, könnt ihr euch das gerne merken.
Jack Lissauer hat also Recht gehabt. Zumindest was die Existenz eines unbekannten Mondes und seines Einflusses auf den Adams-Ring angeht. Der Mechanismus, den er damals vermutet hat, war allerdings ein anderer und selbst heute sind wir uns noch nicht ganz sicher, ob wir alle Feinheiten bei der Wechselwirkung zwischen Galatea und dem Ring verstanden haben. Es bleibt das Problem, das wir immer haben, wenn es um Neptun geht: Wir müssen wieder dorthin; dieser eine Vorbeiflug im Jahr 1989 war zu wenig, um wirklich zu verstehen, was bei diesem fernen Planeten alles passiert. Was wir dagegen wissen: Galatea wird irgendwann verschwinden. Der kleine Mond ist dem Neptun zu nahe; die Gezeitenkräfte des großen Planeten beeinflussen seine Umlaufbahn und in ein paar Dutzend Millionen Jahren wird er entweder auf den Neptun stürzen oder vorher auseinander gerissen werden. Dann wird er seinen Einfluss auf den Adams-Ring nicht mehr ausüben können - aber die Trümmer die dabei entstehen werden zumindest für einige Zeit einen neuen Ring rund um den Neptun bilden.
Sternengeschichten Folge 631: Himiko - Der große Blob am Anfang des Universums
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um einen gewaltigen Blob vom Anfang der Zeit, der nach Äonen plötzlich aus den fernen Nebeln der Vergangenheit aufgetaucht ist und alles durcheinander gebracht hat. Ok, ja - das klingt jetzt nicht nur mehr nach einem Horrorfilm anstatt seriöser Astronomie und es ist auch mehr als stark übertrieben. Aber zumindest das Wort "Blob" hab ich mir nicht ausgedacht; das ist in diesem Fall tatsächlich ein wissenschaftlicher Fachbegriff. Ich hätte auch sagen können, dass ich in der heutigen Folge über einen Lyman-Alpha-Emitter aus der Reionisierungsepoche sprechen möchte, aber das klingt vielleicht ein wenig abschreckend. So oder so: Das ist es, worum es heute geht. Um einen Lyman-Alpha-Emitter, den man zu Recht auch als "gewaltigen Blob" bezeichnen kann. Dieser Blob hat in der Reionisierungsepoche des Universums existiert, also vor gut 13 Milliarden Jahren, was man durchaus auch "am Anfang der Zeit" nennen kann. Und als man dieses Ding 2007 entdeckt hat, hat es tatsächlich für einiges an Verwirrung gesorgt.
Aber gehen wir das alles mal der Reihe nach durch und fangen bei den Lyman-Alpha-Emittern an. Diese Dinger sind logischer Dinger, die etwas emittieren, und zwar Lyman-Alpha. Ok, das ist nicht ganz richtig und erklärt auch nicht viel. Mit "Lyman Alpha" ist Licht mit einer ganz bestimmten Wellenlänge gemeint, und zwar 121,567 Nanometer. Das ist Licht, das unter anderen dann entsteht, wenn das Elektron eines Wasserstoffatoms vom ersten angeregten Zustand in den Grundzustand wechselt. Und das bedeutet folgendes: Ein Wasserstoffatom hat einen Kern aus einem positiv geladenen Proton und ein negativ geladenes Elektron in seiner Atomhülle. Wenn man zum Beispiel durch Strahlung von außen Energie auf dieses Elektron überträgt, dann kann es unterschiedliche Zustände einnehmen; vereinfacht gesagt: Es kann sich unterschiedlich weit vom Atomkern entfernen. Es können keine völlig beliebigen Zustände sein; das verbietet die Quantenmechanik. Das Elektron kann nur ganz bestimmte Energiemengen absorbieren und dementsprechend auch nur ganz bestimmte Zustände einnehmen. Wenn das Elektron gerade im Grundzustand ist, also dem Zustand, in dem es die niedrigste Energie hat, die es haben kann, und wenn dann Strahlung mit 121,567 Nanometern auf das Elektron trifft, dann ist das genau die passende Menge an Energie, um es vom Grundzustand in den ersten angeregten Zustand zu versetzen. Jetzt sind Elektronen aber nicht so gerne angeregt, sie wollen die Energie wieder loswerden und in den Grundzustand wechseln. Das tun sie auch irgendwann wieder und wenn sie das tun, dann geben sie Strahlung mit einer Wellenlänge von genau 121,567 Nanometern ab. Es gibt noch mehr Möglichkeiten, wie Elektronen zwischen angeregten Zuständen und dem Grundzustand hin und her wechseln können und dementsprechend auch Strahlung bei anderen Wellenlängen, die sie absorbieren oder abstrahlen können. Das erste Mal beschrieben hat dieses Verhalten der amerikanische Physiker Theodore Lyman und er hat die Übergänge mit griechischen Buchstabend sortiert. Und deswegen nennen wir diesen speziellen Übergang bei 121,567 Nanometern heute den Lyman-Alpha-Übergang.
Soweit zu Lyman-Alpha, aber was ist mit den Emittern? Wir wissen schon, dass wir dafür Wasserstoff brauchen und wenn es im Universum etwas mehr als genug gibt, dann ist es Wasserstoff. Im frühen Universum gab es fast nur Wasserstoff, drei Viertel aller Materie ist aus diesem einfachsten Atom aufgebaut, weil es von Anfang an nach dem Urknall da war - eben weil es so simpel ist. Der Rest war Helium und für die ganzen anderen komplexen Atome hat man erst auf die Kernfusion im Inneren der ersten Sterne warten müssen. Im frühen Universum hat es also jede Menge große Ansammlungen von Wasserstoff gegeben. Wenn diese Wasserstoffansammlungen von irgendwo her mit der passenden Energie angeregt werden, geben sie Lyman-Alpha-Strahlung ab und damit haben wir die Lyman-Alpha-Emitter. Die besonders großen davon werden auch oft Lyman-Alpha-Blobs genannt. Und besonders groß ist hier genau so gemeint: Die Dinger können bis zu 500.000 Lichtjahre groß sein, das ist deutlich größer als zum Beispiel der Durchmesser unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße.
In unserer Gegenwart des Univerums sehen wir diese gigantischen Objekte nicht. Wir finden sie nur dann, wenn wir Licht beobachten, das wirklich, wirklich lange gebraucht hat, bis es bei uns angelangt ist oder anders gesagt: Wir sehen die Lyman-Alpha-Blobs nur, wenn wir ins sehr junge Universum schauen. Typischerweise müssen wir in eine Zeit schauen, als das Universum erst 2-3 Milliarden Jahre alt war. Und es ist auch kein Wunder, dass wir sie gerade in dieser Epoche sehen. Das war die Zeit, in der quasi das Licht im Kosmos eingeschaltet wurde. Oder anders gesagt: Es war der Höhepunkt der Sternentstehung im Universum. Es hat ja ein paar hundert Millionen Jahre gedauert, bis im jungen Universum aus den Wasserstoffwolken die ersten Sterne entstanden sind und die ersten Galaxien gebildet haben. Dann sind immer mehr und mehr Sterne entstanden, bis sich die Lage wieder ein bisschen beruhigt hat. Aber damals war der Kosmos voll mit jungen, heißen Sternen und was tun junge und heiße Sterne: Sie geben viel und vor allem viel Ultraviolett-Strahlung ab, was genau die Art von Strahlung ist, die Wasserstoffwolken dazu anregt, Lyman-Alpha-Strahlung zu emittieren. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, wie man den Wasserstoff anregen kann, aber dazu komme ich später noch. Auf jeden Fall ist es keine Überraschung, wenn wir vor allem dann viele Lyman-Alpha-Blobs sehen, wenn wir in eine Zeit zurück schauen, in der das Universum noch voll mit großen Wasserstoffwolken und heißen Sternen war.
Abgesehen davon gibt es noch sehr viel, was wir bei diesen Dingern nicht verstehen. Sie sind vermutlich ein wichtiger Schritt bei der Entstehung der ersten großen Galaxien. Wenn wir einen Lyman-Alpha-Blob sehen, dann sehen wir wahrscheinlich die frühe Phase einer Galaxie, wo das Wasserstoffgas in den riesigen Wolken gerade kühl genug geworden ist, um Sterne entstehen zu lassen. Das ist alles sehr interessant, aber in dieser Folge soll es ja um einen ganz speziellen Blob gehen. Man hat ihn bei Beobachtungen im Jahr 2007 entdeckt. Ein Team japanischer Forscherinnen und Forscher war auf der Suche nach Lyman-Alpha-Emittern im frühen Universum und hat dafür über 200 Kandidaten identifiziert und beobachtet. Einer dieser Kandidaten war extrem hell, zumindest verglichen mit den schwach leuchtenden Objekten deren Licht Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat. Deswegen wollte man es zuerst gar nicht weiter analysieren, weil man davon ausgegangen ist, dass es sich um eine normale Galaxie handelt, die einfach zufällig im Vordergrund des Bilds liegt. Aber man hat das Licht dieses Objekts dann doch noch genauer angesehen und festgestellt, dass es genau die charakteristischen Eigenschaften von Licht zeigt, dass sehr, sehr lange durchs All unterwegs war. Es war kein nahes Vordergrundobjekt; ganz im Gegenteil! Es war ein Lyman-Alpha-Blob, aber einer, der extrem weit entfernt war beziehungsweise andersherum gesagt, extrem kurz nach dem Urknall existiert hat. Dieser Blob stammt aus einer Zeit, nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall, deutlich früher als all die anderen Blobs die man bis dahin beobachtet hat. Die Daten zeigen, dass dieser Blob auch erstaunlich groß sein muss, circa 55.000 Lichtjahre, was immerhin halb so groß wie unsere Milchstraße ist. Aus der Analyse des Lichts kann man auch ableiten, wie viele Sterne dort entstehen: Circa 34 pro Jahr, was deutlich mehr ist, als in unserer Gegenwart und eigenen Galaxie, wo es nur um die 5 Sterne pro Jahr sind. Wir sehen auch, dass das Gas sich dort sehr schnell bewegt, mit ein paar hundert Kilometer pro Sekunde - was immer auch dort passiert, passiert auf jeden Fall sehr dynamisch.
Auf jeden Fall ist dieses Objekt ein sehr spezielles Objekt. Es ist erstaunlich groß und aktiv für ein Objekt so früh im Universum. Es passt nicht so ganz zu den Modellen, mit denen man die Entstehung von Galaxien bis dahin beschrieben hat, dafür hätte es noch nicht so gewaltig sein dürfen. Aber warum ist das so und was passiert denn da jetzt genau? Das wissen wir nicht. Ich hab vorhin schon gesagt, dass es neben der Anregung durch junge, heiße Sterne auch noch mehr Möglichkeiten gibt. Es kann auch sein, dass sich in einer jungen Galaxie schon ein aktives Zentrum gebildet hat, als ein großes schwarzes Loch, um das jede Menge heißes Gas herumwirbelt und dieses wirbelnde Gas kann ebenfalls Strahlung aussenden, die eine Wasserstoffwolke dazu bringt, Lyman-Alpha-Strahlung auszusenden. In dem Fall hat man aber keine anderweitigen Hinweise auf die Existenz so eines aktiven Zentrums gefunden, die man eigentlich sehen hätte müssen. Das ist also eher unwahrscheinlich, aber vielleicht sind da auch zwei große Blobs, also zwei Galaxien in Entstehung miteinander kollidiert und verschmolzen, denn auch bei so einem Prozess kann Wasserstoffgas entsprechend angeregt werden. Das würde auch besser zu den Beobachtungsdaten passen und könnte uns mehr darüber verraten, wie wichtig solche Kollisionsprozesse im jungen Universum für die Entstehung von Galaxien waren. Und dann könnte auch die dunkle Materie eine Rolle spielen, also die Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, aber nicht wissen, aus was sie besteht. Wir gehen davon aus, dass sich die Galaxien in den Zentren riesiger Wolken aus dunkler Materie gebildet haben, weil sich dort der ganze Wasserstoff angesammelt hat. Und während der Wasserstoff ins Zentrum der Wolke fällt, kann ebenfalls Lyman-Alpha-Strahlung abgegeben werden. Dann würden wir dort tatsächlich die erste Phase der Entstehung einer Galaxie beobachten. Oder wir sehen dort wirklich das klassische Bild eines Lyman-Alpha-Blobs, wie ich es zu Anfang erklärt habe: Eine junge Galaxie mit jeder Menge Sternentstehung und junge Sterne, die die Wasserstoffwolken anregen. Das wäre sehr spannend, weil das eben nicht zu unseren bisherigen Modellen passt. So früh im Universum sollte eine so große und quasi schon fast fertige Galaxie noch nicht existieren.
Auf jeden Fall ist klar, dass wir hier ein wirklich einzigartiges Objekt beobachten und eines, das uns auf die eine oder andere Weise mehr darüber verraten wird, wie das Universum sich von einem Kosmos ohne Sterne und Galaxien zu dem Ort entwickelt hat, den wir heute beobachten. Und weil dieser Blob so besonders ist, hat er natürlich auch einen Namen bekommen und heißt nicht mehr einfach nur "Blob". Das japanische Team hat ihn "Himiko" genannt, nach der ersten namentlich bekannten Herrscherin von Japan. Im 2. Jahrhundert soll Himiko als erste Königin eines der ersten größeren Reiche auf der japanischen Inselgruppe gegründet haben. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie "Tochter der Sonne" oder "Kind der Sonne", was durchaus sehr poetisch ist, aber astronomisch nicht ganz korrekt. Denn wenn wir mit Himiko tatsächlich sehen, wie die ersten Galaxien im Universum entstehen, dann müsste es eigentlich die "Mutter der Sonnen" sein. Und die "Töchter der Sonne" wären dann wir selbst, die 13 Milliarden Jahre später in einem Universum voller Sterne leben, das damals seinen Anfang genommen hat.
Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe
Im November 1572 ist im Sternbild Cassiopeia ein neuer Stern aufgetaucht. Er war so hell, dass er überall auf der Welt beobachtet werden konnte; heller als die anderen Sterne am Himmel. Der dänische Astronom Tycho Brahe, von dem ich in Folge 167 mehr erzählt habe, hat ihn auch gesehen und alle möglichen Beobachtungsdaten zusammengetragen. Er konnte zwar nicht herausfinden, um was es sich bei diesem Stern wirklich handelt, aber seine Arbeit hat auf jeden Fall gereicht, um den Sturz eines Weltbildes einzuleiten. Bis dahin dachte man, dass sich am Himmel nichts ändern kann, nur auf der Erde und in ihrer unmittelbaren Umgebung ist Veränderung möglich. Der Himmel ist ja immerhin der Ort der göttlichen Perfektion, da muss sich nichts ändern - im Gegensatz zur unperfekten, menschlichen Erde. Die Beobachtungen haben aber deutlich gezeigt, dass dieser neue Stern am Himmel weiter entfernt sein muss als der Mond, also tatsächlich zum Reich der Sterne gehört und nicht nur eine komische Leuchterscheinung in der Atmosphäre ist. Der neue Stern ist dann aber auch rasch dunkler geworden und ein Jahr später war er nicht mehr zu sehen.
Hätte Tycho Brahe damals schon Teleskope gehabt, hätte er vielleicht mehr rausfinden können. Aber diese Geräte sind erst ein paar Jahrzehnte später erfunden worden. Heute wissen wir sehr viel besser, was Tycho gesehen hat und wir wissen es unter anderem deswegen, weil wir unsere modernen Teleskope genutzt haben, um den neuen Stern zu beobachten. Ja, genau: Wir haben den 1572 aufgetauchten Stern beobachtet, mehr als 400 Jahre nachdem er vom Himmel verschwunden ist. Das klingt als wäre es Quatsch. Aber Astronomie ist erstens kreativ. Und es gibt tatsächlich einen Weg, wie man Ereignisse sehen kann, die in der Vergangenheit an unserem Himmel stattgefunden haben.
Aber bevor ich erkläre, wie das geht, bleiben wir noch ein bisschen bei Tycho Brahes Stern. Heute nennen wir das, was er damals gesehen hat, Tychos Supernova beziehungsweise offiziell SN 1572. Und eine Supernova, auch das habe ich schon oft hier erklärt, ist kein neuer Stern, sondern das, was wir sehen können, wenn ein sehr großer Stern sein Leben beendet. Dann gibt es eine gewaltige Explosion die ein paar Wochen oder Monate lang extrem hell sein kann, heller als das Licht aller Sterne einer Galaxie zusammen. Wir haben mittlerweile jede Menge Supernovae in anderen Galaxien beobachtet, aber seit der Erfindung des Teleskops konnten wir keine mehr beobachten, die in unserer eigenen Galaxie stattgefunden hat. Dabei wäre das äußerst spannend für die Astronomie. Wir wissen zwar mehr oder weniger, was bei so einer Explosion passiert, aber ein Blick aus der ersten Reihe auf so ein Ereignis, mit all unseren modernen Instrumenten: Das wäre ziemlich cool.
Es ist aber auch ganz cool sich anzusehen, was von Tychos Supernova übrig geblieben ist. Wenn wir unsere Teleskope heute auf die entsprechende Stelle am Himmel richten, dann sehen wir dort einen wilden Nebel aus Gas und Staub. Es sind die Überreste des Sterns, das ganze Material aus dem er bestanden ist und das bei der Explosion mit enormer Geschwindigkeit ins All geschleudert wurde. Der Supernovaüberrest ist ungefähr 9000 Lichtjahre weit weg und das Gas saust dort immer noch mit ein paar tausend Kilometer pro Sekunde ins All. Anhand der historischen Beobachtungen des 16. Jahrhunderts und aus den modernen Daten kann man vermuten, dass es sich um eine Supernova vom Typ Ia gehandelt hat. Oder um eine "thermonukleare Supernova", wie sie auch oft genannt wird. Diese Explosion findet statt, wenn man ein Doppelsternsystem hat, in dem ein Stern sein Leben schon beendet hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Der Übergang von einem Stern zu einem weißen Zwerg ist nicht explosiv; ein Stern wie unsere Sonne dehnt sich am Ende seines Lebens immer weiter aus, schiebt seine äußeren Schichten hinaus ins All, bis nur noch der innere, dichte Kern übrig bleibt in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Das ist ein weißer Zwerg und normalerweise passiert damit nicht mehr viel. Wenn dort aber noch ein zweiter Stern existiert und beide sich sehr nahe sind, dann kann Material von diesem zweiten Stern zum weißen Zwerg gelangen. Und wenn genug neues Gas dort angelangt ist, genug neuer Brennstoff quasi, dann hat der weiße Zwerg wieder genug Masse, um erneut mit der Kernfusion anzufangen. Dieses Mal aber nicht so gemütlich wie es ein normaler Stern tut, sondern extrem explosiv. Anders gesagt: Der gesamte weiße Zwerg explodiert und wir haben eine Supernova.
Wie gesagt: Man hat vermutet, dass es sich bei Tychos Supernova um genau so einen Vorgang gehandelt hat. Aber man hat es nicht genau gewusst, dafür waren die historischen Daten nicht gut genug. Man kann den Typ einer Supernova am Verlauf der Helligkeit erkennen, denn die Explosion eines weißen Zwergs läuft immer mehr oder weniger identisch ab und das Licht wird auf charakteristische Weise heller und dunkler. Man kann es auch mit Spektroskopie probieren, also das Licht der Supernova analysieren und bestimmen, welche chemischen Elemente da entstehen. Bei der explosiven Kernfusion eines weißen Zwergs entsteht zum Beispiel kein Wasserstoff, wie bei der normalen Kernfusion, dafür aber Elemente wie Silicium. Aber wenn Brahe kein Teleskop gehabt hat, dann hat er definitiv auch kein Spektroskop besessen. Und wie soll man Licht, das seit über 450 Jahre aufgehört hat zu leuchten, heute noch analysieren?
Damit sind wir jetzt beim Lichtecho. Das ist ein faszinierendes Phänomen und es funktioniert fast genau so wie ein normales Echo. Da werden ja Schallwellen an bestimmten Oberflächen reflektiert und zurückgeworfen so dass ein Geräusch mehrmals hintereinander zu hören ist. Bei Licht geht das im Prinzip auch. Licht breitet sich im Weltall ja in alle Richtungen aus. Auf der Erde sehen wir nur das, was halt gerade in unsere Richtung abgestrahlt worden ist. Es gibt aber Ausnahmen: Licht kann auch an den diversen interstellaren Gas- und Staubwolken gestreut werden, die sich überall im Raum zwischen den Sternen befinden. Und ein Teil dieses dort abgelenkten Lichts kann mit etwas Glück genau in Richtung Erde abgelenkt werden. Dieses Licht hat dann logischerweise einen längeren Weg zurückgelegt als das, das uns direkt erreicht hat. Und braucht deswegen auch länger, bis es bei uns ankommt. Oder anders gesagt: Wir können Phänomene wie eine Supernova-Explosion tatsächlich mehrmals hintereinander sehen. Das ist aber natürlich nicht so einfach wie es klingt, aber bei Tychos Supernova ist es tatsächlich gelungen. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher ihr Licht ein zweites Mal gesehen.
Das war kein einfacher Prozess; es war nicht so, dass da plötzlich ein zweites Mal eine Supernova am Himmel im Sternbild Cassiopeia erschienen ist. So wie das Echo eines Geräusches immer schwächer wird, ist das auch beim Lichtecho der Fall. Wenn man ein Lichtecho sehen will, muss man ganz genau wissen, wohin man schauen muss. Deswegen hat man sich zuerst mal überlegt, welche hellen Supernova-Explosionen es in der Vergangenheit an unseren Himmel gegeben hat und wo passende Staub- und Gaswolken zu finden sind, die prinzipiell in der Lage sind, dieses Licht zu uns zu reflektieren. Die müssen natürlich auch in der passenden Entfernung sein, damit wir das Lichtecho auch jetzt sehen können. Zum Glück ist eine Supernova ja auch keine Explosion wie bei einem Feuerwerk, dass in ein paar Sekunden vorbei ist. Eine Supernova leuchtet über Monate und Jahre hinweg, nur eben immer schwächer und schwächer. Da ist also ein wenig Spielraum und es haben sich einige vielversprechende Wolken gefunden. Die muss man dann alle mit ausreichend guten Instrumenten beobachten und wird in den meisten Fällen trotzdem keinen Erfolg haben. Aber bei Tychos Supernova hat es tatsächlich geklappt. Im September 2008 wurden Aufnahmen einer passenden Region gemacht und sie haben eindeutig eine Lichtquelle gezeigt, die so aussieht, wie das Lichtecho einer Supernova-Explosion. Und weil wir 2008, im Gegensatz zu 1572, auch Spektroskope besitzen, konnte das Licht damit analysiert werden und nachgewiesen werden, dass es sich dabei tatsächlich um eine Supernova vom Typ Ia handelt.
Das Universum ist ein erstaunlicher Ort. Und vor allem ist ein erstaunlich großer Ort. Wir vergessen gerne, wie groß es ist und wie lange selbst das Licht braucht, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. All die Bilder, all das, was es da draußen zu sehen gibt und vor allem zu sehen gegeben hat, ist dort immer noch zu sehen. Die Bilder der Sternexplosionen der Vergangenheit und von all dem, was da sonst noch so passiert ist, sind nicht verschwunden. Das Licht ist immer noch dort draußen und mit etwas Glück finden wir einen kosmischen Spiegel, der diese Bilder aus der Vergangenheit wieder zu uns zurück wirft.
Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die "Strömgren-Sphäre" und man kann sich auf jeden Fall schon mal denken, dass es um irgendwas kugelförmiges gehen wird. Was auch stimmt, aber die Geschichte der Strömgren-Sphäre handelt vor allem davon, wie Sterne entstehen und ihre Umgebung beeinflussen. Sie handelt von der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und von den ersten Sternen im Universum.
Fangen wir aber am besten mal damit an zu klären, was ein Strömgren ist. In diesem Fall ist es kein was, sondern ein wer, nämlich der dänische Astronom Bengt Strömgren. Über ihn gäbe es viel zu erzählen, aber ich beschränke mich auf das, was er 1939 in einer Arbeit mit dem Titel "The Physical State of Interstellar Hydrogen" geschrieben hat, was auf deutsch so viel heißt wie "Der physikalische Zustand des interstellaren Wasserstoffs". Darin bezieht sich Strömgren auf eine Arbeit aus dem Jahr zuvor. Da hatten die amerikanischen Astronomen Otto Struve und Chris Elvey diverse kosmische Nebel beobachtet, in denen sehr viel ionisierter Wasserstoff zu finden war. Und um zu verstehen, warum das interessant ist, müssen wir uns nochmal erinnern, was es bedeutet, wenn Wasserstoff - oder sonst irgendwas - "ionisiert" ist. Aber keine Sorge, das ist schnell erledigt: Wasserstoff ist ein Atom, mit einem Kern aus einem Proton. Und in der Atomhülle hat der Wasserstoff ein Elektron. Fertig - Wasserstoff ist simpel; andere Atome haben mehr Protonen im Kern und mehr Elektronen in der Hülle, aber der Punkt ist: Die Elektronen aus der Hülle eines Atoms können entfernt werden und wenn das der Fall ist, dann ist das Atom ionisiert. Ionisierter Wasserstoff ist also ein Wasserstoffatom, bei dem das Elektron aus der Hülle entfernt wurde und nur noch der Atomkern übrig ist. Oder anders gesagt: Das einzelne Proton.
Ok, was heißt das jetzt alles. Wir wissen, dass Wasserstoff das häufigste Element des Universums ist. Es ist ja auch das einfachste und es braucht nicht viel, damit es entsteht. Drum war es auch schon kurz nach dem Urknall da; fast drei Viertel der damals entstandenen Materie waren Wasserstoff und auch heute noch macht Wasserstoff die überwiegende Mehrheit der Atome im Universum aus. Warum also beschäftigen sich ein paar Astronomen in den späten 1930er Jahren mit Wasserstoff, selbst wenn er ionisiert ist? Weil es Energie braucht, um Wasserstoff zu ionisieren. Energie gibt es im Weltall natürlich auch, die kommt unter anderem von der Strahlung der Sterne. Was Strömgren in seiner Arbeit getan hat, war folgendes: Er hat sich überlegt, wie dieser ionisierte Wasserstoff tatsächlich im Raum verteilt sein müsste, wenn man davon ausgeht, dass es die Strahlung der Sterne ist, die ihn ionisiert. Das geht nicht mit jeder beliebigen Strahlung, es braucht die richtige Energie und die steckt vor allem in der ultravioletten Strahlung der sehr heißen und großen Sterne; die mit den Spektralklassen O und B, wenn es jemand genau wissen will.
Wir haben also diese heißen Sterne, die vom üblichen interstellaren Medium umgeben sind, also dem Zeug, dass sich zwischen den Sternen befindet. Das ist natürlich auch weitestgehend Wasserstoff, aber in dem Fall neutraler Wasserstoff, oder halt einfach nur Wasserstoff, nicht ionisiert. Die energiereiche ultraviolette Strahlung der heißen Sterne kann diesen Wasserstoff jetzt ionisieren. Das heißt aber auch, dass da jetzt freie Elektronen durch die Gegend fliegen, die nicht mehr an ihre Atomkerne gebunden sind. Die können jetzt wieder von Wasserstoffatomkernen eingefangen werden - das nennt man "Rekombination" - und dabei wird Energie abgestrahlt, in Form von Lichtteilchen, die jetzt aber weniger Energie haben und nicht in der Lage sind, Atome zu ionisieren. Strömgren hat sich das alles genau durchgerechnet: Wie weit entfernt von einem Stern gibt es noch genug energiereiche UV-Strahlung, um Atome zu ionisieren; wo fängt die Zone an, wo der Wasserstoff sich wieder ein Elektron einfängt, und so weiter. Und er ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass das erstens logischerweise eine mehr oder weniger kreisförmige Region um den Stern herum sein muss, weil Sterne ihre Strahlung ja in alle Richtungen abgeben. Er ist aber auch zweitens darauf gekommen, dass die Grenze zwischen ionisierten und neutralen Wasserstoff relativ scharf sein muss. Der ionisierte Wasserstoff wird nicht irgendwie langsam immer weniger und weniger und es ist auch nicht so, dass da Bereiche mit ionisierten Wasserstoff sind, die sich mit neutralen Wasserstoff abwechseln. In der Nähe des Sterns wird Wasserstoff durch die starke Strahlung ständig ionisiert. Weiter draußen gibt es dann aber nicht mehr genug UV-Strahlung, weil die zum Teil schon von den Atomen weiter innen absorbiert worden sind. Dort werden die Atome dann entweder nicht mehr ionisiert oder schnappen sich dann gleich wieder eines der freien Elektronen. Noch weiter draußen wird dann gar nichts mehr ionisiert und, so die Rechnung von Strömgren, im Vergleich zur Ausdehnung der ionisierten Region ist diese Übergangszone sehr schmal. Man kann also durchaus von einer Blase beziehungsweise Sphäre aus ionisierten Wasserstoff sprechen, der diese Sterne umgibt und Strömgren hat auch eine Formel entwickelt, die die Größe dieser Sphäre in Abhängig der Strahlungsstärke des Sterns bestimmt. Die Strömgren-Sphären sind dabei durchaus groß; sehr viel größer als ein Stern. Bei den ganz heißen Sternen können sie einen Durchmesser von ungefähr 650 Lichtjahren haben; bei den kühlsten Sterne, die noch Strömgren-Sphären produzieren können, sind es immer noch um die 50 Lichtjahre.
Man kann sich solche Strömgren-Sphären auch anschauen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rosettennebel. In seinem Zentrum befinden sich gleich ein ganzer Sternhaufen mit jungen und heißen Sterne und rundherum erkennt man deutlich die sphärischen Bereiche mit den ionisierten bzw. neutralen Wasserstoffatomen. Und man erkennt sie deswegen, weil das Licht, das bei der Rekombination der freien Elektronen von den dann wieder neutralen Wasserstoffatomen ausgestrahlt wird, eine ganz charakteristische Wellenlänge hat. Strömgren-Sphären können wir im Orion-Nebel sehen, im Adler-Nebel, und so weiter. Aber die Strömgren-Sphäre ist nicht einfach nur die theoretische Erklärung für ein paar schöne Bilder, die wir gemacht haben.
Wenn das interstellare Medium durch die Strahlung eines heißen Sterns beeinflusst wird und sich eine Strömgren-Sphäre bildet, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf die weitere Umgebung. Ioniziation und Rekombination und die ganze Strahlung die dabei aufgenommen und abgegeben wird, beeinflussen das interstellare Medium und können dafür sorgen, dass die Entstehung neuer Sterne leichter oder schwerer wird. Ist das Gas zum Beispiel zu heiß, dann bewegen sich die Teilchen zu schnell, als dass die Wolke die aus dem Gas besteht, in sich zusammenfallen und so einen neuen Stern bilden kann. Wenn eine Strömgren-Sphäre sich bildet und ausdehnt, kann sie das umgebende Material andererseits aber auch erst Recht quasi zusammenschieben und so neue Sternbildung auslösen.
Auf noch größeren Skalen betrachtet, können Strömgren-Sphären auch die Entwicklung ganzer Galaxien beeinflussen, je nachdem wie sie dort verteilt sind und damit zum Beispiel ganze Sternentstehungsregionen bilden. Die heißen Regionen aus ionisierten Wasserstoff lassen sich außerdem auch gut beobachtet, selbst aus der Ferne in anderen Galaxien. Damit können wir auch über enorme Distanzen hinweg die Sternentstehungsraten dieser Galaxien bestimmen und schauen, wo sich die Quellen der Ionisation, also die heißen Sterne befinden.
Die Strömgren-Sphären spielen auch eine wichtige Rolle, wenn man die Reionisierungsepoche des Universums verstehen will. Das ist eigentlich wieder eine ganz andere Geschichte und eine lange noch dazu, aber ganz kurz geht sie so: Zuerst gab es im Universum nur ionisierte Atome. Es war alles zu heiß, so dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden haben können. Erst knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall hat das geklappt. Und erst da ist das Universum "durchsichtig" geworden, soll heißen: Davor konnte sich das Licht nicht vernünftig ausbreiten, weil alles voll mit freien Elektronen war, die es dauernd abgelenkt haben und noch dazu war das Universum damals ja auch viel kleiner. Nachdem sich aber die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben, war genug Platz für das Licht, aber es war immer noch dunkel, weil es ja keine Sterne gegeben hat. Die haben sich dann in den nächsten paar Dutzend bis Hundert Millionen Jahren gebildet und die ersten Sterne waren sehr große und sehr heiße Sterne. Sie haben also auch Strömgren-Sphären gebildet und den Wasserstoff um sich herum wieder ionisiert. Alle jungen Sternen im jungen Universum haben das getan; die Strömgren-Sphären haben sich quasi überlappt und - zusammen mit ein paar anderen Phänomenen auf die ich jetzt nicht eingehe - hat das dazu geführt, dass ein großer Teil des Wasserstoffs im Universum wieder reionisiert worden ist, so wie damals, als der junge Kosmos noch nicht durchsichtig war. Zum Glück hat sich das All aber in der Zwischenzeit weit genug ausgedehnt, es ist genug Platz für das Licht und wir können schauen, was es da alles zu sehen gibt.
Sternengeschichten LIVE 2025 und ein Hörbuch
Hallo liebe Hörerinnen und Hörer,
Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, melde ich mich noch einmal außerhalb der üblichen Folgen und direkt bei euch. Denn es gibt ein paar coole Neuigkeiten. Gleich zu Beginn das Wichtigste: Der Sternengeschichten-Podcast geht auf Tour! Nachdem ich im Frühjahr ausprobiert habe, ob sich das mit der Podcast-Liveshow auch umsetzen lässt, wird es die Show jetzt auch öfter geben. Nächstes Jahr, also 2025, wird die erste Tour starten und ich bin sicher, es wird großartig! Die Liveshow wird natürlich anders sein als der Podcast selbst; es macht ja keinen Sinn, wenn ich da auf einer Bühne 10 Minuten lang was erzähle und dann ist Ende. Nein, es wird eine komplette Show werden, ein ganzer Abend, voll mit allen möglichen Sternengeschichten, die ich in dieser Form im Podcast noch nicht erzählt habe und es wird dazu natürlich auch schöne Bilder geben, das eine oder andere Experiment, ein bisschen Action, jede Menge Spaß und endlich auch die Möglichkeit für mich, meine Hörerinnen und Hörer nach der Show auch mal persönlich zu treffen.
Tickets für die Show sind ab heute, also ab dem 9. Dezember 2024 erhältlich und zwar unter sternengeschichten.live - die Links gibt es natürlich auch noch in den Shownotes. Die Tour selbst wird dann am 16. Februar 2025 in Frankfurt losgehen. Dann gibt es noch weitere Shows am 23. März in Bremen, am 26. Mai in Eschweiler, am 4. Juni in München, am 28. September in Leverkusen und dann in Essen, Dortmund, Düsseldorf und Berlin und zwar am 10., 11., 13. und 14. Dezember.
Ich weiß, da fehlen noch ein paar Gegenden in Deutschland, da fehlt auch noch Österreich und die Schweiz. Aber die Shows 2025 sind hoffentlich nur der erste Schritt. Wenn das gut funktioniert und wenn genug Leute Interesse daran haben, dann wird es 2026 mehr Shows und auch an anderen Orten geben.
Ich würde mich sehr freuen, euch bei den Auftritten zu sehen!
Und eine zweite Ankündigung habe ich auch noch! Den Sternengeschichten-Podcast gibt es jetzt ja schon seit 12 Jahren und gut 630 Folgen. Da kann man ein wenig den Überblick verlieren, besonders wenn man neu dazu kommt. Deswegen habe ich mir gedacht, es wäre schön, wenn man einen etwas weniger umfangreichen Einstieg hätte. Und darum wird es nächstes Jahr ein Hörbuch "Sternengeschichten" geben. Ich habe dafür natürlich nicht einfach nur einen Schwung Podcastfolgen auf ne CD kopiert. Sondern ich habe 50 Geschichten aus dem Podcast ausgewählt, zu einem Hörbuch zusammengestellt, das einen halbwegs guten roten Faden hat und die Geschichten auch entsprechend modifiziert, gekürzt, erweitert, etc und alles neu aufgenommen. Außerdem habe ich sechs Geschichten komplett neu geschrieben und aufgenommen. Das ganze gibt es als Hörbuch überall dort zu hören, wo man Hörbücher hören will; das ganze wird es aber auch als echtes, physisches Objekt geben, d.h. es wird eine mp3-CD geben, mit einem schönen Booklet, Bildern, usw, das man unabhängig vom Internet hören kann.
Erscheinen wird das Hörbuch zwar erst im März 2025, aber man kann es jetzt schon vorbestellen - die Links dazu findet ihr in den Shownotes.
Und das war es auch schon für diesmal. Ich freu mich, wenn wir uns nächstes Jahr irgendwo bei einer meiner Liveshows sehen werden. Ich freu mich vor allem, wenn ihr weiterhin den Podcast hört und ihn so gerne hört, wie ihr ihn bisher gehört habt. Ich wünsche euch viel Spaß mit den kommenden Folgen, ich wünsche euch frohe Feiertage, und hoffentlich viel Ruhe und Erholung.
Bis bald, im Podcast oder Live!
Tickets für die Sternengeschichten-Liveshow: https://sternengeschichten.live/ Hörbuch "Sternengeschichten": https://www.penguin.de/buecher/florian-freistetter-sternengeschichten/hoerbuch-mp3-cd/9783844553062
Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
Sternengeschichten Folge 628: Der Tod des Kometen Elenin
Der russische Amateur-Astronom Leonid Elenin hat am 10. Dezember 2010 das gemacht, was er zuvor schon sehr oft gemacht hat. Nämlich Bilder des Nachthimmels mit den Teleskopen des International Scientific Optical Network oder kurz ISON. ISON hat überall auf der Welt Teleskope und mit einem, das in New Mexico steht, wurden an diesem Tag vier Bilder gemacht. Das was ISON und Leonid Elenin gesucht haben, sind Asteroiden und Kometen im Sonnensystem. Um sie zu entdecken braucht man nicht unbedingt große Teleskope, aber man braucht möglichst viele Bilder des selben Bereichs am Himmel zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die meisten der Lichtpunkte auf diesen Bildern sind Sterne und die bewegen sich im Laufe einer Nacht oder auch mehrerer Nächte nicht. Asteroiden und Kometen tun das aber sehr wohl und wenn man auf einer Bilderserie einen Lichtpunkt findet, der seine Position von Aufnahme zu Aufnahme ändert, stehen die Chancen gut, dass man einen Asteroid oder Komet entdeckt hat. Elenin war zuvor schon oft erfolgreich; bis zu diesem Tag hatte er schon ein paar Dutzend Asteroiden entdeckt. Das, was er auf den Bildern vom 10. Dezember 2010 gefunden hat, war aber kein Asteroid, sondern ein Komet. Und weil Kometen immer nach den Personen oder Einrichtungen benannt werden, die sie entdeckt haben, hat dieser Komet auch seinen Namen bekommen: C/2010 X1 Elenin. Das "C" in der Bezeichnung bedeutet, dass es sich um einen langperiodischen Kometen handelt, der also mehr als 200 Jahre für eine Runde um die Sonne braucht. Und "2010 X1" ist die für Asteroiden- und Kometennamen typische Kombination aus Zahlen und Buchstaben, aus der sich der Entdeckungszeitraum ableiten lässt; in diesem Fall sagt uns das "2010 X1", dass es sich um den ersten entdeckten Kometen in der ersten Hälfte des Dezembers 2010 handelt.
Aber wir bleiben am besten bei "Komet Elenin", denn ich will in der Folge über das astronomische Objekt sprechen und nicht den russischen Astronomen. Eigentlich ist Elenin kein besonders außergewöhnlicher Himmelskörper. Mit zwei Ausnahmen: Erstens ist dieser Komet aus ziemlich absurden Gründen enorm prominent geworden, weil viele Menschen behauptet haben, er würde den Weltuntergang verursachen. Und zweitens hat Elenin das nicht nur nicht getan - natürlich nicht - sondern ist quasi selbst untergegangen. Es gibt ihn heute nicht mehr; der Komet Elenin ist weg; er ist zerstört und existiert nicht mehr.
Ende 2010 war er aber noch frisch und munter, aber eher unscheinbar. Der Komet befand sich noch weit von der Erde entfernt, er war uns nur wenig näher als der Jupiter und hätte ungefähr 150.000 mal heller leuchten müssen, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Für die Teleskope hat es aber noch gereicht und nach seiner Entdeckung wurden weitere Beobachtungsdaten gesammelt, mit denen man seine Umlaufbahn genauer bestimmen konnte. Und die zeigte, dass Elenin am 10. September 2011 den sonnennächsten Punkt erreichen würde. Ein bisschen später, am 16. Oktober 2011 würde er dann seine größte Annäherung an die Erde erreichen. Aber selbst da wäre immer noch gut 35 Millionen Kilometer weit weg gewesen, es bestand also nie auch nur der Hauch einer Gefahr, dass Elenin mit der Erde kollidiert.
Trotzdem hat es nicht lange gedauert, bis das ganze Internet voll war mit besorgniserregenden Nachrichten. Zum Beispiel, dass sich der Nordpol des Kometen auf den Südpol der Erde ausrichten würde, was zu jeder Menge Zerstörung auf der Erde führt. Oder das die Erde den Schweif des Kometen durchqueren würde, mit ebenso jeder Menge Zerstörung. Oder dass Elenin gar kein Komet ist, sondern in Wahrheit ein brauner Zwerg, also ein Objekt so groß wie der Jupiter und mindestens ein Dutzend Mal massereicher als der Planet. Und der braune Zwerg würde natürlich auch mit der Erde kollidieren und alles zerstören. Oder die Sonne tagelang verdunkeln. Und so weiter - und den Entdeckter, Leonid Elenin, würde es auch nicht geben. Elenin sei nur eine Abkürzung für "Extinction Level Event - Nibiru is Near", also "Auslöschungsereignis - Nibiru ist nah" und "Nibiru" ist der Name eines fiktiven Himmelskörpers, den sich Verschwörungsleute schon noch viel früher ausgedacht haben und jetzt mit Elenin fusioniert haben.
Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr genau zu rekonstruieren, warum gerade dieser eine, unscheinbare Komet plötzlich zum Instrument des Weltuntergangs geworden ist. Wir entdecken ja ständig Kometen; ein paar hundert pro Jahr. Und auch wenn Kometen immer schon Panik bei Menschen ausgelöst haben - davon habe ich in früheren Folgen ja schon erzählt, gibt es eigentlich keinen Grund, warum gerade dieser eine auf einmal so viel Drama verursacht. Vermutlich war es einfach nur der damalige Zeitgeist; wer sich noch daran erinnert, erinnert sich ja vielleicht an den ganzen Unsinn, der über den angeblich von den Maya vorhergesagten Weltuntergang am 21. Dezember 2012 erzählt worden ist. Die ganze Sache war Quatsch von vorne bis hinten und ich will gar nicht weiter darauf eingehen. Aber diese Weltuntergangstheorien haben Anfang 2011 gerade so richtig Fahrt aufgenommen und ein böser Komet passt da natürlich gut hinein.
So oder so: Wir wissen, dass Elenin nicht mit der Erde kollidiert ist. Er hat uns nichts getan; er hat gar nichts gemacht sondern ist einfach verschwunden. Und das ist etwas, was ihn durchaus ein wenig besonders macht. Im Sommer 2011 war Elenin schon weiter ins innere Sonnensystem geflogen und hat das gemacht, was Kometen tun wenn sie näher an die Sonne kommen: Nämlich eine eine Koma und einen Schweif entwickelt. Auch das habe ich schon oft erklärt: Kometen enthalten sehr viel gefrorenes Material und all dieses Eis taut auf und wird gasförmig. Wenn es dann ins All strömt, reißt es Staub von der Kometenoberfläche mit sich und es bildet sich eine große Hülle aus Staub um den Kometenkern herum. Der Sonnenwind sorgt dann dafür, dass sich aus der Koma der Kometenschweif entwickelt und beides war bei Elenin im Sommer 2011 der Fall. Die Koma war über 100.000 Kilometer groß und auch der Schweif war schön ausgeprägt - aber der Komet insgesamt immer noch zu schwach leuchtend, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Dann aber haben die Beobachtungen gezeigt, dass die Koma immer diffuser wird und sich immer weiter in die Länge zieht. Das ist ein Zeichen dafür, dass da nicht einfach nur ein bisschen Staub von der Oberfläche ins All strömt, sondern dass der ganze Komet selbst langsam zerbröselt. Ein Prozess, der natürlich immer weiter fortschreitet, je näher das Objekt der Sonne kommt.
Es war also nicht klar, ob Elenin den sonnennächsten Punkt seiner Bahn überhaupt erreichen wird. Der Komet hat sich immer mehr aufgelöst, hat immer schwächer geleuchtet und im Oktober 2011, also nachdem er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht haben sollte, konnte man ihn gar nicht mehr beobachten. Dafür hat man eine Trümmerwolke gesehen, dort wo sich der Komet befinden sollte. Oder anders gesagt: Elenin hat die Runde um die Sonne nicht überlebt; er ist in so viele, kleine Stücke zerfallen, dass quasi nichts übrig geblieben ist. Die Wolke hat sich im Laufe der Zeit immer weiter verteilt und jetzt ist es so, als habe es ihn nie gegeben.
Der Tod des Kometen Elenin war nicht einzigartig; wir haben auch davor schon Kometen beobachtet, bei denen so etwas passiert ist. Aber es kommt auch nicht so oft vor, dass es nicht dennoch interessant wäre, sich das genau anzusehen. Spätere Analysen der Daten haben gezeigt, dass Elenin ein sehr kleines Objekt war. Der Durchmesser des Kometenkerns war kleiner als 1 Kilometer. Und wenn so ein kleines Objekt bei der Annäherung an die Sonne auftaut und jede Menge Gas ins All strömt, dann kann das dazu führen, dass der Kometenkern seine Rotationsgeschwindigkeit erhöht. Das auströmende Gas wirkt wie jede Menge kleine Triebwerke, die den Kern des Kometen immer schneller um seine Achse drehen. Die schnelle Rotation beschleunigt den Auflösungsprozess, denn so ein Komet ist ja kein massiver Felsbrocken, sondern quasi ein Geröllhaufen, der durch Eis zusammengehalten wird. Die Annäherung an die Sonne, das Austreten des Gases, die erhöhte Rotation: All das hat Elenin den Rest gegeben.
Das ist ein bisschen schade, denn wir wissen heute auch, dass Elenin ein dynamisch neuer Komet war. Das heißt, dass er direkt aus den fernsten Regionen des Sonnensystems gekommen ist, aus der Oortschen Wolke, wo sich - ein paar zehn- bis hunderttausend Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde - Billionen von Kometen befinden. Normalerweise bleiben sie auch dort, aber ab und zu können gravitative Störungen oder Kollisionen dafür sorgen, dass einer davon auf eine Umlaufbahn gerät, die ihn ins innere Sonnenystem bringt. Manche werden dann quasi eingefangen und bleiben auf Bahnen, die sie alle paar Jahrzehnte in die Nähe der Sonne bringt; manche fliegen aber auch wieder zurück in die Oortsche Wolke und kommen erst in ein paar Jahrhunderttausenden wieder. Und ab und zu passiert auch das, was Elenin passiert ist: Der erste Besuch in der Nähe der Sonne ist auch der letzte. Es wäre interessant gewesen, wenn wir Elenin, einen Kometen, frisch aus der so fernen und unerforschbaren Oortschen Wolke, noch länger beobachten hätten können. Dann hätten zwar die Weltuntergangsspinner weiter ihren Quatsch von Tod, Zerstörung und Unheil erzählt, aber die Astronomie hätte zumindest spannende Daten gehabt. Am Ende war die einzige Zerstörung, die Elenin gebracht hat, aber nur sein eigene…
Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III - die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne
Verglichen mit uns Menschen ist alles groß im Universum. Aber wir Menschen sind nicht unbedingt ein universaler Maßstab und es gibt durchaus Unterschiede bei den großen Dingen. Es gibt Dinge, die sind wirklich groß, verglichen mit anderen, die kleiner sind. Und bei den kleinen großen Dingen gibt es welche, die sehr viel kleiner sind, als man es sich denken würde und manche, die so klein sind, dass sie uns vor ein Rätsel stellen. Das klingt jetzt natürlich ein wenig verwirrend, also wird es Zeit, dass wir ein wenig konkreter werden.
Wir fangen an mit einem ganz besonderen großen Ding: Unsere Milchstraße. Die Milchstraße ist eine Galaxie, eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen und einer dieser Sterne ist unsere Sonne. Die Milchstraße ist eine durchaus große Galaxie, aber natürlich nicht die größte die es gibt. Aber eben auch nicht die kleinste! Ein wenig so, wie Sterne von Planeten umkreist werden und Planeten von Monden umkreist werden können, haben auch Galaxien ihre eigenen Satelliten. Man kann dabei grob zwei Arten unterscheiden: Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien. Kugelsternhaufen sind, wie der Name schon sagt, kugelförmige Ansammlungen von Sternen und Zwerggalaxien - ebenso klar am Namen erkennbar - kleine Galaxien. Beide Arten von Sternsystemen befinden sich im Halo von Galaxien wie der Milchstraße. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die galaktische Scheibe umgibt. In der Milchstraße sind die Sterne ja in Spiralarmen angeordnet, die sich mehr oder weniger alle in einer scheibenförmigen Region befinden, die gut hunderttausend Lichtjahre im Durchmesser hat und ein paar tausend Lichtjahre dick ist. Darüber und darunter befinden sich jede Menge Kugelsternhaufen und auch Zwerggalaxien.
Wenn wir verstehen wollen, was der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Sternsystemen ist, müssen wir uns zuerst anschauen, was sie gemeinsam haben. In beiden Fällen handelt es sich um Ansammlungen von Sternen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden. Die Sterne dort können nicht jeder für sich ihrer Wege ziehen, die Gravitationskraft die sie aufeinander ausüben hält sie als Gruppe zusammen. In so einem Kugelsternhaufen können ein paar tausend bis zu ein paar Millionen Sterne versammelt sein. Bei Zwerggalaxien können es ein paar tausend bis zu ein paar Milliarden Sterne sein.
Und da wird jetzt der eine oder die andere vielleicht schon verwirrt sein. Wenn es Kugelsternhaufen mit ein paar tausend Sternen gibt und Zwerggalaxien mit ein paar tausend Sternen und beides Systeme sind, wo diese Sterne durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden: Was ist dann der Unterschied?
Das ist eine sehr gute Frage und eine, die die Wissenschaft durchaus auch beschäftigt. Für eine Antwort müssen wir uns das ansehen, was wir nicht sehen können. Es geht um die dunkle Materie, die ich ja schon oft hier im Podcast besprochen habe. Nochmal ganz kurz zur Wiederholung: Wir sehen an der Bewegung der Sterne in Galaxien, an der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und bei diversen anderen astronomischen Phänomenen, dass sich die Himmelsobjekte nicht so bewegen, wie sie es tun müssten, wenn die sichtbare, leuchtende Materie alles ist, was existiert. Die Himmelsobjekte bewegen sich so, als wäre da sehr viel mehr Gravitationskraft vorhanden, als sich durch die sichtbare Materie erklären lässt. Die Konsequenz: Es muss auch Materie geben, die nicht sichtbar ist und die diese zusätzliche Gravitationskraft ausübt. In Wahrheit ist alles natürlich komplizierter, aber genau darauf läuft alles hinaus, was wir in den letzten gut 100 Jahren über die Bewegung der Himmelskörper gelernt haben.
Alle Galaxien müssen in noch viel größere Wolken aus dunkler Materie eingebettet sein; die leuchtende Materie - also die ganzen Sterne - haben sich im Zentrum der dunklen Materiewolken angesammelt; angezogen durch ihre Gravitationskraft. Die Wolken aus dunkler Materie sind quasi der Ursprung der Galaxien, ohne sie hätten sich die Galaxien gar nicht erst bilden können. Und was für die großen Galaxien wie die Milchstraße gilt, gilt auch für kleinere Zwerggalaxien: Es sind Ansammlungen von Sternen, die sich im Zentrum von Wolken aus dunkler Materie befinden.
Kugelsternhaufen dagegen sind tatsächlich nur Haufen aus Sternen. Wie sie entstehen ist immer noch nicht vollständig verstanden, aber vermutlich liegt ihr Ursprung ebenfalls in großen Wolken, aber diesmal sind es Wolken aus normaler Materie, aus kosmischen Staub und interstellarem Gas und wenn diese Wolken gestört werden und kollabieren, können jede Menge Sterne auf einmal entstehen, die dann als Haufen zusammenbleiben.
Oder anders gesagt: Der Unterschied zwischen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien liegt nicht unbedingt in der Anzahl der Sterne, aus denen sie bestehen. Sondern in der Frage, ob diese Sterne in eine Wolke aus dunkler Materie eingebettet sind, oder nicht.
Und das ist alles sehr spannend und interessant, wenn man die Entwicklung der großen Dinge im Universum verstehen will. Aber wenn wir dunkle Materie nicht sehen können, wie können wir dann Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien unterscheiden? Das ist nicht leicht, aber es geht und es kann sehr überraschende Ergebnisse liefern. Womit wir jetzt bei Ursa Majoris III angelangt sind, dem Ding, das auch im Titel dieser Folge vorkommt und das wir deswegen irgendwann besprechen müssen.
Ursa Majoris III oder kurz UMa3 befindet sich gut 30.000 Lichtjahre von uns entfernt. Es befindet sich außerhalb der Scheibe der Milchstraße, in ihrem Halo, also genau dort, wo sich die Satelliten der Milchstraße aufhalten. Entdeckt hat man es im Jahr 2024 und bevor ich jetzt noch einmal "es" oder "das Ding" sage, sollte ich vielleicht sagen, ob es sich um einen Kugelsternhaufen oder eine Zwerggalaxie handelt. Womit wir genau bei dem Punkt sind, um den es geht. Beobachtungen, die man mit dem Keck-Teleskop der Maunakea-Sternwarte auf Hawaii angestellt hat, haben gezeigt, dass UMa3 eine Masse von knapp 16 Sonnenmassen hat. Und nein, ich habe mich nicht versprochen. Es sind keine 16.000 oder 16 Millionen Sonnenmassen. Sondern tatsächlich 16 Sonnenmassen. Und das ist wenig. Es gibt einzelne Sterne, die sehr viel mehr als die 16fache Masse der Sonne haben! Die Sterne in UMa3 sind kleiner, aber es sind nur circa 60 Stück. Wir haben da also ein System mit ein paar Dutzend Sternen die insgesamt nicht mehr Masse haben, als 16 Sterne wie die Sonne. Wie kommt man da überhaupt auf die Idee, dass es etwas anderes sein könnte, als ein kleiner Sternhaufen. Eine Galaxie, selbst eine Zwerggalaxie, kann doch nicht so enorm winzig sein?
Die Beobachtungen am Keck-Teleskop haben aber zuerst einmal eindeutig gezeigt, dass es nicht einfach nur eine zufällige Anordnung von Sternen ist, sondern tatsächlich eine echte Gruppe; alle in mehr oder weniger derselben Entfernung - sie gehören zusammen. Die Beobachtungen haben darüber hinaus aber auch gezeigt, dass diese Sterne sich schnell bewegen. So schnell, dass sie eigentlich gar keine zusammenhängende Gruppe bilden könnten, wenn es nur die Gravitationskraft der Sterne selbst wäre, die sie zusammenhält. Damit sie zusammenhalten können, muss es sehr, sehr viel mehr Masse dort geben, als die Handvoll an Sternen. Oder anders gesagt: Die Handvoll Sterne muss in eine sehr große Wolke aus dunkler Materie eingebettet sein. Oder noch einmal anders gesagt: UMa3 muss eine Galaxie sein, die fast nur aus dunkler Materie besteht.
Natürlich kann es auch anders sein. Theoretisch wäre es möglich, dass es wirklich nur ein Sternhaufen ist, den wir zufällig gerade kurz vor dem Moment beobachten, an dem er tatsächlich auseinander fliegt. Aber das wäre sehr unwahrscheinlich. Und wenn es sich bei UMa3 wirklich um eine dunkle Zwerggalaxie handelt, wäre das natürlich auch viel spannender. Das würde uns viel über die Entstehung der Milchstraße verraten, also die Phase, in der sich die Sterne in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie bilden und dann die vielen Satelliten anziehen, die sie später umkreisen. Dass bei UMa3 so gut wie keine Sterne mehr vorhanden sind, muss etwas mit ihrer Entwicklung zu tun haben und mit den dynamischen Prozessen, die bei der Entstehung der Milchstraße und ihren Satellitensystemen abgelaufen sind. Was genau, das wissen wir noch nicht. Aber wenn wir besser verstehen, wie UMa3 und ähnliche Sternensysteme, die wir kennen, funktionieren, dann werden wir auch die Entstehung der Milchstraße besser verstehen. Deswegen müssen wir auch weiter ganz genau hinschauen. Wir müssen die Sterne, die wir sehen können, noch besser und genauer beobachten, ihre Geschwindigkeiten noch besser und genauer messen. Denn nur dann können wir uns sicher sein, dass es sich wirklich um eine Zwerggalaxie mit dunkler Materie handelt und nicht vielleicht doch um einen Sternhaufen, bei der ein oder zwei Sterne vielleicht eine überdurchschnittlich hohe Geschwindigkeit haben - oder wo die Geschwindigkeitsmessung vielleicht einfach nur fehlerhaft war.
Am Ende ist es wie immer in der Wissenschaft: Wir haben ein paar faszinierende Ideen und ein paar äußerst spannende Beobachtungen. Aber wir müssen noch mehr Daten sammeln, um verlässliche Antworten zu bekommen. Die dann mit Sicherheit zu noch mehr Fragen führen werden. Aber vielleicht bringt uns gerade diese Galaxie, die nur aus einer Handvoll an Sternen besteht, ein paar dieser Antworten näher…
**Sternengeschichten Folge 626: Flammarions Holzschnitt und der Rand der Welt ** In der heutigen Folge der Sternengeschichten möchte ich über ein Bild sprechen. Und ich weiß, dass es immer ein wenig schwierig ist, wenn ein Bild das Thema in einem Podcast ist, weil ihr könnt hier ja nichts sehen, sondern nur mich hören. Aber dieses Bild, von dem ich heute sprechen möchte, habt ihr ziemlich sicher alle schon mal gesehen. In der ursprünglichen Version ist es schwarz-weiss, es sieht ein wenig nach Mittelalter aus. Man sieht auf der rechten Seite eine Landschaft, mit Wiesen und Wäldern und ein paar kleinen Dörfern. Dahinter geht eine große Sonne unter und am Himmel darüber stehen Sterne. Dieser Himmel zieht sich aber von rechts oben nach links unten hinunter; der Himmel ist quasi eine Art Halbkugel, die sich über dem flachen Boden wölbt. Links unten, im Vordergrund, stößt der Himmel an den Boden und genau dort sieht man einen Mann mit langem Umhang und Wanderstock knien, der seinen Kopf durch das Gewölbe des Himmels steckt und auf der anderen Seite ein mysteriöses mechanisch wirkendes Wirrwarr aus Rädern, Bögen, Wolken und strahlenden Objekten sieht. Seine Hand ist in Richtung dieses Himmels hinter dem Himmel ausgestreckt und obwohl man sein Gesicht nicht erkennt, wirkt der Mann so, als sei er höchst überrascht und ergriffen von dem, was er hinter dem Rand der Welt entdeckt hat.
Falls jemand das Bild immer noch nicht vor Augen hat, könnt ihr den Podcast gerne unterbrechen und kurz im Internet nachsehen. Es ist meistens unter dem Titel "Flammarions Holzstich" bekannt, aber auch als "Wanderer am Weltenrand". Wer Flammarion ist und was dieses Bild bedeuten soll, werden wir später noch klären. Aber es ist interessant, zuvor einen Blick auf die Art und Weise zu werfen, wie dieses Bild im Laufe der Zeit verstanden wurde. Lange Zeit hat man nämlich nicht gewusst, wer dieses Bild erstellt hat, wie alt das Bild ist und zu welchem Zweck es verwendet wurde. Der deutsche Astronom Ernst Zinner hat es in den 1950er Jahren zeitlich der deutschen Renaissance zugeordnet, also dem 15. und 16 Jahrhundert. Und das würde ja auch inhaltlich irgendwie passen. Denn im Mittelalter hat ja noch niemand gewusst, wie die Welt wirklich beschaffen ist; man hat gedacht dass die Erde eine Scheibe ist und erst später hat die in der Renaissance entstandene Naturwissenschaft ab dem 17. Jahrhundert langsam verstanden, wie die Welt wirklich funktioniert. Nur ist das natürlich Unsinn. Dass die Erde eine Scheibe ist, hat auch im Mittelalter niemand gedacht; die Leute, die sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinander gesetzt haben, wussten sehr klar, dass wir auf einem kugelförmigen Planeten leben. Die moderne Naturwissenschaft hat zwar tatsächlich ihre Wurzeln in der Arbeit von Newton, Kepler, Galilei und sich seit dem 17. Jahrhundert immer weiter entwickelt - aber auch im Mittelalter gab es schlaue Menschen die die Welt erforscht haben. Ich habe darüber in vergangenen Folgen der Sternengeschichten ja schon gesprochen - aber Flammarions Holzstich ist eben ein wirklich faszinierendes Bild und wenn man es sich ansieht, kann man sehr gut glauben, dass man hier eine Darstellung des mittelalterlichen Weltbildes vor sich hat beziehungsweise eine Darstellung des Umbruchs, als die Weltbilder kolldidierten und wir gerade angefangen haben zu verstehen, wie alles wirklich funktioniert.
Aber so ist es nicht. Man hat die Quelle des Bildes nie weiter zurück als ins 19. Jahrhundert verfolgen können und wir wissen heute, dass es auch nicht älter ist. Das erste Mal taucht es im Jahr 1888 auf und zwar als Illustration im Buch "L’atmosphère. Météorologie populaire" des französischen Astronomen Camille Flammarion. Und den schauen wir uns jetzt ein wenig genauer an. Er wurde 1842 geboren, hat sich schon als Kind für Astronomie interessiert und unter anderem als Assistent von Urbain LeVerrier - dem Entdecker des Planeten Neptun - an der Pariser Sternwarte gearbeitet. Er war aber auch und vor allem jemand, der die Astronomie unter die Menschen bringen wollte und hat viele populärwissenschaftliche Bücher geschrieben. Eines davon war das sechsbändige Werk über die Meteorologie von dem ich vorhin gesprochen habe. Im Kapitel "La forme du ciel", also "Die Form des Himmels" findet man die Illustration (die übrigens kein Holzstich ist, auch wenn sie immer so genannt wird, aber das würde jetzt zu weit führen) mit folgender Bildunterschrift: "Un missionnaire du moyen âge raconte qu’il avait trouvé le point où le ciel et la Terre se touchent … " oder auf deutsch: "Ein Missionar aus dem Mittelalter erzählt, dass er den Punkt gefunden hat, an dem sich Himmel und Erde berühren".
Wenn man sich den Rest des Kapitels ansieht, dann wird auch schnell klar, warum Flammarion die Abbildung eingefügt hat. Es geht, wie ja auch schon der Titel des Kapitels sagt, um die Form des Himmels. Flammarion erklärt, dass wir immer das Gefühl haben, der Himmel würde sich über uns wölben und dass die Wölbung nicht wie eine Halbkugel erscheint, sondern ein bisschen eingedrückt, dass also die Distanz zum Horizont weiter erscheint als die Strecke bis dorthin, wo die Himmelskuppel direkt über unserem Kopf steht. Er erklärt weiter, dass die Leute ganz früher dachten, dass diese Himmelskuppel real wäre, dass man in der Antike dachte, dass sich hinter beziehungsweise auf der Kuppel die Götter befinden und dass dort die Sterne und Planeten fixiert wären. Und Flammarion schreibt von einem Missionar aus dem Mittelalter, der erzählt, dass er den Punkt gesehen hätte, wo Himmel und Erde sich treffen. Genau diese Szene ist in der Abbildung zu sehen.
Man hat probiert herauszufinden, wo diese Geschichte mit dem Missionar herkommt und es gibt diverse Quellen in der Literatur, zum Beispiel die Legende des Heiligen Makarios von Ägypten, der im vierten Jahrhundert als Einsiedler in der Wüste gelebt haben und dabei auch den Rand der Welt entdeckt haben soll. Und es gibt diverse andere Geschichte, die Flammarion durchaus gekannt hat. Auch heute noch verwendet man in populärwissenschaftlichen Büchern gerne solche Anekdoten, wenn man ein wissenschaftliches Thema einführen will und es ist absolut nachvollziehbar, dass jemand wie Flammarion damit sein Kapitel über den Himmel in einem Buch über Meteorologie einleitet - und die Gelegenheit nutzt, ein schönes Bild dafür zu benutzen. Flammarion selbst war ja auch ein begeisterter Ballonfahrer und wollte zeigen, dass er selbst schon über die Grenzen des Himmels geflogen ist, die andere in der Antike dort vorhanden gelaubt haben. Es geht dann im Rest des Kapitels um durchaus komplizierte Themen wie zum Beispiel die Frage, wie sich die Perspektive auf den Horizont und Objekte am Erdboden ändert, wenn man aus unterschiedlichen Höhen über dem Horizont beobachtet, und so weiter. Ein paar schöne Bilder machen die Lektüre leichter und Flammarion schreibt auch immer wieder explizit, dass man sich die Bilder ansehen soll.
Interessanterweise sehen wir diese Abbildung erst in der dritten Ausgabe des Buchs; Flammarion hat auch schon ein paar Jahre früher einen ähnlichen Text über die Atmosphäre geschrieben in der man den entsprechenden Abschnitt des Textes exakt wieder findet - aber ohne das Bild. Deswegen liegt es nahe, dass er selbst es war, der es für das Buch in Auftrag gegeben hat. Ob er es selbst gemacht oder einen anderen Künstler beauftragt hat, wissen wir nicht, aber man geht heute mit großer Sicherheit davon aus, dass der Holzstich extra für Flammarions Buch gemacht wurde, dass dieses Bild davor nicht existiert hat und absichtlich in einem mittelalterlich anmutenden Stil geschaffen wurde, um die Geschichte besser zu illustrieren.
Über Flammarions Arbeit könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen und das werde ich irgendwann auch machen. Er hat sich mit klassischer Astronomie beschäftigt, aber auch mit Themen wie der Frage nach außerirdischem Leben. Oder den angeblichen Kanälen auf dem Mars, von denen ich in Folge 404 der Sternengeschichten gesprochen habe. Er hat sich auch für spiritistische Phänomene interessiert und probiert, Sachen wie Telepathie oder Geistererscheinungen wissenschaftlich zu erforschen.
Aber von all dem, was Camille Flammarion gemacht hat, ist sein Bild "Wanderer am Weltenrand" heute vermutlich das bekannteste. Man findet es in allen möglichen Zusammenhängen als Illustration, von astrologischen Büchern bis zu Dokumentationen über Astronomie; es taucht auf Plattencovern auf und in Spielen und überall sonst und anderswo.
Und es ist ja - ganz unabhängig von der realen Geschichte die dahinter steht - ein wunderbares Bild. Es fasst so gut zusammen, wie wir Menschen sind. Wir sind nie zufrieden damit, die Welt so zu sehen, wie sie uns erscheint. Wir wollen immer wissen, wo die Grenzen sind und wenn wir diese Grenzen gefunden haben, dann müssen wir auch einen Weg finden, sie zu überschreiten und zu entdecken, was dahinter ist. Wir haben probiert, die Grenzen der Erde zu finden und festgestellt, dass es sie nicht gibt. Die Welt hat keinen Rand und der Himmel schließt uns nicht ein. Und genau deswegen haben wir uns auf den Weg in dieses Weltall gemacht, sind wir bis zum Mond gekommen und werden in Zukunft hoffentlich noch viel weiter hinaus gelangen. Als Wanderer im Weltall haben wir den Rand der Welt noch nicht entdeckt - aber wir werden weiterhin danach suchen und wenn wir ihn doch irgendwann mal gefunden haben, werden wir einen Weg finden, über diesen Rand hinaus zu sehen um zu schauen, was dahinter ist.
Sternengeschichten Folge 625: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente oder Alienmüllhalde?
Am 4. März 1961 hat der polnisch-australische Astronom Antoni Przybylski einen Fachartikel veröffentlicht, der den relativ harmlosen Titel "HD 101065-a GO Star with High Metal Content" trägt. Also übersetzt: "HD 101065- ein GO Stern mit hohem Metallgehalt". Das klingt nicht sonderlich aufregend, zumindest dann, wenn man weiß, dass in der Astronomie das Wort "Metall" etwas anderes bedeutet als im normalen Sprachgebrauch. Aber dazu kommen wir später noch. Aber tatsächlich ist der Stern, den Przybylski entdeckt und in seiner Arbeit beschrieben hat, definitiv enorm aufregend. So aufregend, dass die Forschung auch mehr als 60 Jahre später immer noch jede Menge offene Fragen hat, was dieses Ding angeht.
Aber fangen wir mit dem an, was wir definitiv wissen. Der Stern wurde am 26. April 1960 von der Mount Stromlo Sternwarte in Australien aus beobachtet. Er ist knapp 360 Lichtjahre von der Erde entfernt und dort am Himmel, wo sich das Sternbild Zentaurus befindet. Er hat die 1,4fache Masse der Sonne, ist doppelt so groß und leuchtet circa 5,5mal heller. Przybylski hat damals nicht gezielt nach seltsamen Sternen gesucht, er wollte Sterne finden, die sich schnell bewegen und dafür hat er diverse Sterne aus dem Henry-Draper-Katalog im Detail beobachtet. Er hat ihr Spektrum bestimmt; hat also das Licht der Sterne das durch sein Teleskop gefallen ist, mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufgespalten, um zu sehen, wie viel Energie das Licht bei bestimmten Wellenlängen hat. Das ist eine Standardtechnik in der Astronomie, die ich ja schon sehr oft im Podcast erklärt habe. Im Spektrum eines Sterns gibt es immer Bereiche, wo bei bestimmten Wellenlängen quasi gar nichts durchkommt. Das ist das, was man "Spektrallinien" nennt, weil dort in der visuellen bzw. grafischen Darstellung des Spektrums eine dunkle Linie zu sehen ist. Welche Spektrallinien zu sehen sind, hängt davon ab, aus welchen Elementen ein Stern besteht, denn jedes chemische Element blockt andere Wellenlängen des Lichts ab. Und wo genau man die Linie im Spektrum sehen kann, hängt davon ab, wie schnell sich die Lichtquelle, also der Stern, bewegt. Deswegen hat sich Przybylski die Spektren angesehen und deswegen hat er auch entdeckt, dass dieser eine Stern eine ganz besondere chemische Zusammensetzung hat.
Der Stern hat vor allem sehr viele Metalle, womit in der Astronomie alles bezeichnet wird, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wasserstoff und Helium sind mit sehr, sehr großem Abstand die häufigsten Elemente des Universums und damit auch die Elemente, aus denen Sterne fast komplett bestehen. Alles andere - also Zeug wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Gold, Silber, Eisen, usw, der ganze Rest des Periodensystems - wird in der Astronomie mit dem Begriff "Metalle" zusammengefasst, war zwar verwirrend und aus chemischer Sicht Quatsch ist, aber sich nun mal eben historisch so eingebürgert hat.
Sterne, die viele Metalle enthalten, sind jetzt erst mal nicht außergewöhnlich. Die Sonne enthält auch Metalle, genau so wie alle anderen Sterne, die wir bis jetzt beobachtet haben. Nur die allerersten Sterne, die im Universum entstanden sind, können keine Metalle enthalten haben, denn damals gab es ja nur Wasserstoff und Helium, wie ich in Folge 454 der Sternengeschichten erzählt habe. Die ganzen anderen chemischen Elemente sind ja erst durch Kernfusion im Inneren der Sterne erzeugt worden. Je später ein Stern in der Geschichte des Universums entstanden ist, desto mehr Metalle kann er - theoretisch - enthalten. Es kommt aber nicht nur auf die Menge der Metalle an, sondern auch auf die Art. Und das ist genau das, was die Leuten bei Przybylskis Stern bis heute irritiert. Przybylski selbst konnte damals unter anderem Barium und Strontium nachweisen und das in ungewöhnlich großen Mengen. Außerdem viele der sogenannten "seltenen Erden". Mittlerweile weiß man, dass man es dort Caesium gibt, Holmium, Niob, Scandium, Yttrium, Neodym oder Praesodym. Von dem Zeug gibt es dort mehr als man eigenlich erwarten würde. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Przybylskis Stern viele Actinoide enthält, also chemische Elemente die im Allgemeinen radioaktiv und darüber hinaus sehr kurzlebig sind. Thorium und Uran hat man definitiv gefunden, aber auch Indizen für Actinium, Protactinium, Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinium. Mit den meisten dieser Elemente hat man es im Alltag so gut wie nie zu tun, sie kommen eigentlich auch nicht natürlich vor. Elemente wie Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinum haben wir in kernphysikalischen Laboren oder bei der Explosion von Kernwaffen entdeckt; die liegen nicht einfach irgendwo rum. Und sie liegen deswegen nicht irgendwo rum, weil sie eben so stark radioaktiv sind und nach sehr kurzer Zeit wieder zerfallen. Einsteinium hat zum Beispiel im besten Fall eine Halbwertszeit von 472 Tagen. Das heißt, selbst wenn ein Stern aus irgendeinem Grund bei seiner Entstehung eine relevante Menge dieses Elements von irgendwoher mitbekommen hat, ist davon nach ein paar Millionen Jahren definitiv nichts mehr übrig.
Przybylskis Stern ist auf jeden Fall über eine Milliarde Jahre alt; wenn wir heute dort solche Elemente wie Einsteinium finden, stimmt also irgendwas nicht. Es ist aber immer noch umstritten, ob man Einsteinium wirklich nachweisen konnte. Das liegt vor allem daran, dass wir hier auf der Erde nicht genug Einsteinium für die Forschung haben, um zu wissen, welche Art von Spektrallinien es im Detail produziert. Beim Element Promethium sieht es aber anders aus; das kennen wir hier auf der Erde und nutzen es zum Beispiel in der Raumfahrt als Energiequelle. Und man hat es auch relativ sicher in Przybylskis Sterns nachgewiesen. Promethium hat aber im besten Fall eine Halbwertszeit von knapp 18 Jahren; die Lage ist also nicht viel besser als beim Einsteinium.
Also: Was ist da los? Wie kommt dieser Stern an so eine seltsame Sammlung chemischer Elemente und wieso sind dort Elemente, die eigentlich schon längst zerfallen sind. Die kurze Antwort ist: Keine Ahnung. Die längere Antwort lautet: Keine Ahnung, aber wir haben zumindest ein paar spannende Ideen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Przybylskis Stern nicht alleine ist, sondern einen Begleiter hat. Dieser Begleiter könnte ein Neutronenstern sein, also der Überrest eines ehemaligen, großen Sterns. So ein Neutronenstern könnte Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ins All schleudern, die dann, wenn sie auf Przybylskis Stern treffen, die entsprechenden radioaktiven Elemente erzeugen. Bis jetzt haben wir so einen Neutronenstern aber noch nicht nachgewiesen. Das heißt nicht, dass es ihn nicht gibt, aber wenn es ihn gibt, muss er sich in einer speziellen Umlaufbahn befinden, um sich so lange vor uns verstecken zu können.
Trotzdem ist das fast noch die plausibelste Erklärung. Eine andere lautet nämlich so: Wir wissen zwar, dass die chemischen Elemente tendenziell immer instabiler werden, je mehr Kernteilchen sie enthalten. Also Atome wie Wasserstoff, mit nur einem Proton als Kernbaustein oder Sauerstoff mit 8 Protonen und 8 Neutronen sind stabil und zerfallen nicht und Elemente wie Einsteinium mit 99 Protonen und mindestens ebenso vielen Neutronen sind hoch radioaktiv und zerfallen schnell. Es gibt aber die Theorie einer "Insel der Stabilität", laut der, vereinfacht gesagt, Elemente existieren können, die ein bisschen stabiler sind, wenn die Zahl der Kernbausteine noch höher wird. Sie zerfallen zwar auch irgendwann, aber überleben deutlich länger. Wenn es diese Insel der Stabilität im Periodensystem gibt, dann könnte es entsprechende Elemente in Przybylskis Stern geben, die im Laufe der Zeit langsam zerfallen und als Zerfallsprodukte die beobachteten Elemente wie Einsteinium oder Promethium produzieren. Und weil dieser Zerfall der superstabilen Elemente kontinuierlich abläuft, wird eben auch dauernd neues Material als Zerfallsprodukt nachgeliefert. Das ist als Hypothese schon wild genug, aber man muss auch irgendwie erklären, wie ein Stern an solche Elemente kommt. Der Vorschlag: Vielleicht gibt es spezielle Arten von Supernova-Explosionen, die sie produzieren und dann durchs All schleudern.
Oder vielleicht sind die superstabilen Elemente eh auch häufig in Sternen, aber wir kriegen sie nur in Ausnahmefällen zu sehen. Przybylskis Stern ist nämlich auch ein sogenannter roAp-Stern, ein Rapidly oscillating Ap star oder "schnell oszillierenden Ap Stern". Ich erkläre jetzt nicht im Detail, was das bedeutet, aber kurz gesagt: Der Stern ändert seine Helligkeit schnell und das deutet darauf hin, dass in seinem Inneren auch jede Menge an Dynamik abläuft, die es anderswo nicht gibt. Vielleicht werden die komischen Elemente nur bei solchen Sternen so weit aus dem Kern nach oben transportiert, dass wir sie mit spektroskopischen Methoden nachweisen können. Wie gesagt: Wir haben noch zu wenig Ahnung.
Und wenn man keine Ahnung hat, kann man es natürlich auch immer mit einer anderen Antwort probieren: Aliens! Tatsächlich wurde auch schon vorgeschlagen, dass Außerirdische die ganzen obskuren Elemente absichtlich in Przybylskis Stern gekippt haben. Warum? Vielleicht weil sie so auf sich aufmerksam machen wollten - was ja dann auch recht gut funktioniert hätte. Oder vielleicht haben sie auf diesem Weg versucht, ihren radioaktiven Müll loszuwerden, aber dann müssten sie SEHR viel von diesem Müll haben. Gut, bei Aliens ist alles möglich, das ist ja das praktische und gleichzeitig das blöde, wenn man sie als Erklärung für irgendwas heranziehen will.
Am Ende bleibt ein Stern, der ohne jeden Zweifel nicht so ist wie andere Stern. Ein Stern, der chemische Elemente enthält, die uns vor ein Rätsel stellen. Ein Stern, der uns die Entdeckung chemischer Elemente ermöglichen könnte und vielleicht einer ganz neuen Art von Chemie und Kernphysik. Es könnte ein Stern sein, der uns den Kontakt zu Aliens ermöglicht. Oder zumindest zu ihren Müllkippen…
Sternengeschichten Folge 624: Was ist eine Singularität?
Das Wort "Singularität" klingt irgendwie aufregend. Und ursprünglich stammt es ja auch vom lateinischen Begriff "singularis", der "einzigartig" bedeutet. Etwas einzigartiges ist immer spannend. Und in der Wissenschaft werden mit "Singularität" jede Menge einzigartige, spannende und faszinierende Themen bezeichnet. Ich möchte aber heute nicht über die Singularität in der Meteorologie reden, womit ungewöhnliche Abweichungen vom üblichen Wetter bezeichnet werden, auch nicht von geographischen Singularitäten, also irgendwelchen auffälligen Bergen, die mitten in der flachen Landschaft stehen oder so. Ich möchte auch ganz explizit nicht über die technische Singularität sprechen, wo ja irgendwelche Leute mit mehr oder meistens weniger guten Argumenten behaupten, das irgendwann in Zukunft eine unvorstellbar mächtige Künstliche Intelligenz die Welt übernimmt. Das sind zwar auch alles interessante Themen, aber in diesem Podcast geht es um die Astronomie und das Weltall, also erzähle ich heute etwas über die astronomischen Singularitäten und die Frage, ob sie auch nackt sein können.
Zuerst müssen wir aber einmal klären, was eine "Singularität" in der Astronomie überhaupt sein soll. Meistens hört man dieses Wort in Verbindung mit schwarzen Löchern, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Ganz allgemein ist eine Singularität ein Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die Krümmung der Raumzeit divergiert. Da kann man sich aber nicht sonderlich viel vorstellen, also braucht es ein bisschen mehr an Erklärung. Fangen wir mit ein paar sehr groben Vereinfachungen an und nähern uns dann Stück für Stück der Realität. Und der Ort, an dem wir anfangen, ist der Nordpol der Erde. Oder der Südpol, das ist egal, aber wir müssen uns für einen entscheiden, also nehmen wir den Nordpol. Und wenn wir dort angekommen sind, können wir uns fragen, wie unsere Position ist. "Am Nordpol, was sonst!" gilt nicht als Antwort, wir brauchen die geografische Länge und die geografische Breite. Letzteres ist einfach: Wir sind bei 90 Grad Nord, denn genau so ist es am Nordpol definiert. Aber auf welcher Länge sind wir? Also wie weit östlich oder westlich befinden wir uns von der Linie, die man vom Nordpol durch die Sternwarte von Greenwich zum Südpol ziehen kann (denn diese Linie ist der Nullmeridian der Längenmessung)? Die Antwort darauf ist nicht nur schwierig zu finden, es ist unmöglich. Berlin zum Beispiel hat eine geografische Länge von ein bisschen über 13 Grad Ost. Das bedeutet, die Linie, die ich vom Nordpol durch Berlin zum Südpol ziehen kann, liegt 13 Grad östlich des Nullmeridians. Aber auch diese Linie startet eben am Nordpol. ALLE Längengrade der Erde verlaufen durch den Nordpol und den Südpol und diese beiden Punkten haben schlicht keine geografische Länge. Es ist unmöglich, einen Längengrad des Nordpols anzugeben, weil alle Längengrade der Erde dort durchlaufen. Der Nordpol ist in dieser Hinsicht eine Singularität, aber es nicht die Art von Singularität, die in der Astronomie eine Rolle spielt. Der Nordpol ist eine sogenannte Koordinatensingularität, sie ist quasi nicht "echt". Und tatsächlich würden wir auch nichts besonders bemerken, wenn wir am Nordpol stehen - außer dass es sehr kalt ist. Aber dort hört die Erde nicht zu existieren auf; es ist ein Punkt wie jeder andere auf der Erdoberfläche. Die Probleme mit dem Längengrad können wir verschwinden lassen, wenn wir einfach andere Koordinaten als die geografische Länge und Breite verwenden. In der Astronomie haben wir es aber mit einer intrinsischen Singularität zu tun, die man nicht zum Verschwinden bringen kann. Dort IST tatsächlich irgendwas im Raum, dass einzigartig ist; es handelt sich um reale, physikalische Eigenschaften.
Genauer gesagt: Es handelt sich vor allem um eine ganz bestimmte physikalische Eigenschaft, nämlich die Krümmung der Raumzeit. Wir wissen ja seit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, dass der Raum nicht nur auf besondere Weise mit der Zeit zusammenhängt, sondern auch gekrümmt ist und dass es die Anwesenheit von Masse ist, die dafür sorgt, dass sich die Raumzeit krümmt. Objekte, genau so wie Lichtstrahlen, folgen bei ihrer Bewegung dieser Krümmung und wenn da jetzt zum Beispiel ein Stern ist, wie die Sonne, der mit seiner Masse den Raum krümmt und ein Planet wie die Erde sich in der Nähe des Sterns bewegt, dann sorgt die Raumkrümmung dafür, dass der Planet um den Stern herum läuft. Das sieht so aus wie eine Kraft, nämlich die Gravitationskraft, die der Stern auf die Erde ausübt, in Wahrheit ist es aber ein Resultat der Krümmung des Raums. Soweit ist das alles weder neu, noch hat es etwas mit der Singularität zu tun. Interessant wird es, wenn - wie ich vorhin gesagt habe - die Krümmung der Raumzeit divergiert. Und "divergieren" beziehungsweise "Divergenz" ist ein Begriff aus der Mathematik, der so viel heißt wie "hat keine Grenze".
Was das in unserem Fall bedeutet kann man mit einem nicht ganz so mathematisch exaktem Beispiel erklären. Wenn wir uns anschauen, wie ein Stern entsteht, dann passiert das, in dem eine große Wolke aus kosmischen Gas und Staub in sich zusammenfällt. Die Wolke wird also immer dichter und dichter und dichter - aber hier gibt es irgendwann eine Grenze. Dann nämlich, wenn die Temperatur in der Wolke hoch genug ist, dass Kernfusion einsetzen kann. Die Fusion erzeugt Strahlung, die dringt nach außen, drückt dabei - vereinfacht gesagt - gegen das kollabierende Gas und hält den Zusammenfall auf. Die Dichte erreicht einen von der Temperatur abhängigen Maximalwert und wird nicht größer. Dadurch kann auch die Krümmung der Raumzeit, die der Stern verursacht nicht beliebig groß werden. Wenn wir uns jetzt aber vorstellen, dass es keinen Mechanismus wie die Kernfusion gibt, der den Kollaps der Wolke aufhält und die Materie tatsächlich immer dichter und dichter und dichter wird: Was dann? Dann gibt es keine Grenze, die Dichte der Wolke wird irgendwann in einem Punkt unendlich groß und damit auch die Krümmung der Raumzeit. Das ist gemeint, wenn man sagt, dass die "Krümmung der Raumzeit" divergiert. Und der Ort, an dem so eine unendliche Krümmung auftritt, ist eine Singularität. Die aber, wenn man es mathematisch wieder ein bisschen exakter betrachtet, gar kein "Ort" im eigentlich Sinn ist. Denn auch die Metrik der Raumzeit divergiert dort. Über Metriken habe ich ja in Folge 617 schon gesprochen. Das ist, simpel gesagt, die Art und Weise, wie wir Abstände definieren beziehungsweise die Form des Raums selbst beschreiben. Wenn aber die Metrik selbst in einer Singularität divergiert und nicht definiert ist, dann kann man die Singularität auch nicht als Teil der Raumzeit betrachten. Es ist ein bisschen so wie vorhin beim Nordpol und der nicht definierten geografischen Länge. Nur dass man dieses Problem bei einer Singularität eben nicht einfach mit ein paar mathematischen Tricks verschwinden lassen kann. Im Gegensatz zum Nordpol ist eine Singularität tatsächlich ein Ort, der außergewöhnlich und anders als die anderen Orte im Raum ist.
So weit, so gut. Aber jetzt kann man natürlich fragen, ob das auch wirklich relevant ist. Man kann ja leicht sagen: Die Dichte wird immer größer und größer und größer und die Krümmung der Raumzeit divergiert. Aber nur weil man das sagen und mathematisch formulieren kann, folgt daraus ja nicht, dass es so etwas auch in echt geben muss. Und tatsächlich hat man in der Astronomie die Singularität lange Zeit auch nur als mathematische Kuriosität betrachtet, die in der Realität keine Rolle spielt. Bis dann in den 1960er Jahren die britischen Physiker Roger Penrose und Stephen Hawking kamen. Sie entwickelten das sogenannte "Singularitäten-Theorem". Ohne jetzt auf die durchaus komplizierten Details einzugehen, haben sie gezeigt, dass man nicht einfach so tun kann, als hätte man es nur mit einer mathematischen Besonderheit ohne Auswirkung auf die Realität zu tun. Wenn man die Gültigkeit von ein paar sehr einfachen und fundamentalen Bedingungen voraussetzt, zum Beispiel dass Energie immer erhalten sein muss oder dass man nicht gleichzeitig in der Gegenwart und seiner eigenen Zukunft existieren kann, dann folgt die Existenz von Singularitäten direkt aus der Natur der Gravitation. Oder anders gesagt: Wenn wir davon ausgehen, dass die Gravitation so funktioniert wie Albert Einstein das mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben hat und wenn das bedeutet, dass die Gravitationskraft eine immer anziehende Kraft ist, dann kann das Singularitäten-Theorem beweisen, dass damit auch die Existenz einer Singularität folgen muss. Sie ist keine mathematische Absurdität sondern quasi fix in die Natur der Gravitation eingebaut. Unter bestimmten Bedingungen kann die Krümmung der Raumzeit nicht anders, als eine Singularität zu formen.
Eine dieser Situationen ist der Kollaps eines großen Sternes, wie ich ja schon öfter hier im Podcast erklärt habe. Wenn der Stern ausreichend viel Masse hat, gibt es nichts, was verhindern kann, dass er immer weiter in sich zusammenfällt. Und das bedeutet, dass dort die Krümmung der Raumzeit divergiert: Es bildet sich eine Singularität. Das ist aber nicht die einzige Singularität, es gibt auch eine "Anfangssingularität", nämlich den Urknall. Auch unser Modell des gesamten Universums startet aus dem Zustand einer Singularität heraus, die sich ebenso wenig vermeiden lässt, wie die Singularität beim Kollaps eines großen Sterns.
Ein Problem bleibt aber noch: Es kann keine Singularität geben. Im realen Universum kann nicht wirklich ein Punkt existieren, an dem die Massendichte unendlich groß ist. Oder die Krümmung der Raumzeit unendlich groß ist. Zum Zeitpunkt des Urknalls kann die Temperatur nicht unendlich groß gewesen sein. Und so weiter: Unendlichkeiten dieser Art können in der Realität nicht existieren. Lassen wir die Sache mit dem Urknall jetzt mal beiseite und bleiben beim schwarzen Loch. Wir wissen, dass es diese Objekte gibt, das haben wir mittlerweile ohne Zweifel nachgewiesen. Wir wisse aber NICHT, ob da irgendwo wirklich eine Singularität ist. Denn wenn sich ein schwarzes Loch bildet, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Dichte und die Krümmung der Raumzeit so groß wird, dass Lichtstrahlen nicht mehr aus ihrer Umgebung entkommen können - und auch sonst nichts. Es bildet sich ein Ereignishorizont um den kollabierenden Stern. Und nur diesen Ereignishorizont können wir von außen beobachten. Da von dahinter kein Licht entkommen kann, sehen wir auch nicht, was dort passiert. Das was dahinter passiert kann den Rest des Universums auch nicht beeinflussen, denn nichts - kein Licht, keine Materie, keine Kraft, gar nichts - kann von innerhalb des Ereignishorizontes nach außen dringen. Es ist fast so, als wüsste das Universum, dass wir ein Problem mit Singularitäten haben und verhindert durch die Existenz eines Ereignishorizontes, dass wir irgendwas davon mitbekommen und nicht einmal wissen, ob da jetzt wirklich eine Singularität ist, oder nicht. Und tatsächlich hat Roger Penrose - der u.a für seine Arbeit am Singularitätentheorem den Physik-Nobelpreis bekommen hat - diese Idee unter dem Begriff "Kosmische Zensur" bekannt gemacht.
Wir könnten uns jetzt also damit abfinden, dass die Frage nach den Singularitäten durch die Naturgesetze quasi zensiert wird und wir uns die Arbeit sparen können, darüber nachzudenken. Aber natürlich haben wir darüber nachgedacht, insbesondere über die Frage, ob es auch "nackte Singularitäten" geben kann. Damit ist eine Singularität gemeint, bei deren Entstehung sich KEIN Ereignishorizont ausbildet. Das klingt erstmal unmöglich, aber man hat schon in den 1970er Jahren zeigen können, dass es das nicht unbedingt ist. Hat man zum Beispiel einen unendlich langen Zylinder, der nicht rotiert und würde DER in sich zusammenfallen, dann würde man eine Singularität bekommen, aber keinen Ereignishorizont. Ok, es gibt keine unendlich langen Zylinder im Universum. Aber man kann auch zeigen, dass manche schwarze Löcher ihren Ereignishorizont verlieren oder gar nicht erst bekommen, zum Beispiel wenn sie sehr, sehr schnell rotieren. Warum das so ist, ist ohne viel Mathematik nicht so einfach zu erklären. Es kommt unter anderem darauf an, ob so ein Kollaps in alle drei Raumrichtungen gleichzeitig erfolgt oder ob die Materie in bestimmten Richtungen nicht oder langsamer kollabiert.
Wenn es tatsächlich nackte Singularitäten gibt, wäre das natürlich super. Denn dann könnten wir - zumindest theoretisch - einfach nachschauen, was da denn jetzt wirklich los ist, wenn die Raumzeit sich scheinbar ohne Grenze immer weiter krümmt und krümmt. Und ich habe jetzt deswegen "scheinbar" gesagt, weil es am Ende ja sehr wahrscheinlich doch so sein muss, dass wir da irgendwas übersehen haben. Es ist offensichtlich, dass wir zwar sehr gut verstanden haben, wie die Gravitation funktioniert, aber wir sie noch ein bisschen besser verstehen müssen. Wenn es um Singularitäten geht, also um Phänomene, bei denen ja nicht nur bestimmte Parameter unendlich groß werden, sondern andere - wie die Ausdehnung - unendlich klein, dann braucht man auch die Quantenmechanik. Wir haben es aber immer noch nicht geschafft, die Beschreibung des Allerkleinsten mit der Beschreibung der Gravitation vernünftig zusammen zu bringen. Beide Theorien widersprechen einander in genau den Bereichen, die wir verstehen müssten, wenn wir verstehen wollen, wie das mit den Singularitäten wirklich ist. Erst wenn wir eine echte Quantentheorie der Gravitation haben, werden wir auch wissen, ob es wirklich Singularitäten im Universum gibt - und ob sie dabei nackt oder angezogen sind.
Sternengeschichten Folge 623: Sample-Return Missionen
Astronomie ist eine Naturwissenschaft, die sich auf eine sehr grundlegende Art von allen anderen Naturwissenschaften unterscheidet. Die Objekte, die in der Astronomie erforscht werden, sind so gut wie immer extrem weit entfernt. In der Geologie kann man durch die Gegend wandern und unterschiedliche Gesteinsschichten direkt vor Ort erforschen. In der Biologie kann man ebenfalls direkt in der Natur arbeiten oder DNA, Mikroorganismen, und so weiter ebenso direkt im Labor untersuchen. Auch Physik und Chemie können das, was sie untersuchen, direkt untersuchen. Aber in der Astronomie geht das nicht. Sterne sind absurd weit entfernt; selbst der nächste Stern - die Sonne - ist 150 Millionen Kilometer von uns entfernt. Das gilt noch viel mehr für ferne Galaxien, und es gilt auch für die Planeten, von denen wir zwar ein paar in unserem eigenen Sonnensystem haben, von denen aber auch fast alle für uns unerreichbar sind. Deswegen ist die Astronomie auch eine Wissenschaft, in der die Optik eine so fundamentale Rolle spielt: Alles, was wir über das Universum wissen, wissen wir nur deswegen, weil wir gelernt haben, das Licht, das uns aus dieser unvorstellbaren Ferne erreicht hat, so genau zu untersuchen wie es sonst keine andere Wissenschaft kann.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt Meteoriten, die aus dem Weltall auf die Erde gefallen sind. Wir haben es geschafft, ein paar der Himmelskörper des Sonnensystems mit Raumsonden zu erreichen und Forschung direkt vor Ort anzustellen. Wir haben einen dieser Himmelskörper - den Mond - sogar selbst besucht. Aber die überwiegende Mehrheit unserer Information haben wir indirekt aus dem Licht gewonnen. Um so wichtiger ist es für uns, die paar Informationsquellen zu nutzen, die uns eine direkte Erforschung ermöglichen und genau deswegen, sind die "Sample Return Missionen" der Raumfahrt auch von so großer Bedeutung für die Astronomie.
"Sample Return" heißt so viel wie: Proben-Rückführung. Und das sagt auch schon sehr gut, worum es geht: Wir holen uns eine Probe von irgendwo aus dem Weltraum auf die Erde, damit wir sie hier in alle Ruhe und mit allen wissenschaftlichen Möglichkeiten untersuchen können. Wobei "irgendwo aus dem Weltraum" natürlich übertrieben ist. Wir können nicht zu einem anderen Stern fliegen, dort ein Stück abknapsen und zur Erde bringen. Das können wir nicht mal bei der Sonne, weil ein Stern ein Objekt ist, von dem man keine Probe im eigentlich Sinn nehmen kann. Dazu müssten wir auf der Erde auch noch die Bedingungen nachstellen, die in einem Stern herrschen und das schaffen wir nicht. Aber wir könnten durchaus überlegen, ein Stück vom Mond zur Erde zu bringen. Genau das war auch eines der vorrangigen Ziele, als man in den 1960er Jahren die ersten Missionen zu unserem Nachbarn im All geplant hat. Der erste Versuch einer solchen Sample Return Mission hat am 14. Juni 1969 stattgefunden. Die sowjetische Raumsonde Luna E-8-5 No.402 (zugegeben ein etwas sperriger Name) stand am Raketenstartplatz in Baikonur bereit, um zu Mond zu fliegen, dort zu landen, Bodenproben zu sammeln und sie zurück zur Erde zu bringen. Wenn das funktioniert hätte, dann wären diese Proben vielleicht auf der Erde angekommen, bevor die Astronauten von Apollo 11 erfolgreich wären, die sich in den USA gerade bereit gemacht haben, auf ihren historischen Flug zum Mond zu starten. Aber ich habe nicht umsonst den Konjunktiv verwendet: Die Rakete hat nicht richtig funktioniert und die Sonde hat ihre Umlaufbahn nicht erreicht.
In einem letzten Versuch, die USA vielleicht doch noch irgendwie zu schlagen, wurde ein paar Wochen später, am 13. Juli 1969 die Raumsonde Luna 15 gestartet. Auch ihr Ziel war es, Proben vom Mond zur Erde zu bringen. Diesmal hat der Start geklappt und am 17. Juli 1969 war Luna 15 in einer Mondumlaufbahn. Dort blieb man zwei Tage lang, um alle Systeme zu checken. Wer die historischen Daten im Kopf hat, wird wissen, dass zu diesem Zeitpunkt die drei Astronauten von Apollo 11 schon im Weltall waren. Ihre Rakete startete am 16. Juli 1969 und am 19. Juli waren Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins schon in einer Bahn um den Mond herum. Am 21. Juli 1969 fand der historische Moment statt: Armstrong und Aldrin haben als erste Menschen die Mondoberfläche betreten. Und am 21. Juli 1969 versuchte auch die Sowjetunion, Luna 15 zu landen. Leider ohne Erfolg: Statt einer sanften Landung gab es einen Einschlag und die Sonde wurde auf der Mondoberfläche zerstört. Übrigens über 500 Kilometer weit von der Landestelle von Apollo 11 entfernt.
Wenn alles geklappt hätte, wäre Luna 15 nur kurz nach Apollo 11 zur Erde zurückgekehrt und vielleicht hätte man die ersten Proben eines anderen Himmelskörpers noch vor den USA der Welt präsentieren können. So waren es dann aber doch die drei amerikanischen Astronauten, die das erste Mal Gestein von einem anderen Ort im Weltraum auf die Erde gebracht haben. Insgesamt 22 Kilogram Mondgestein haben so am 24. Juli 1969 unsere Erde erreicht und geforscht wird daran noch heute. Ebenso wie an den gut 360 Kilogram Mondgestein, die bei den folgenden Mondlandungen mitgebracht wurden. Zwischenzeitlich war dann die Sowjetunion auch noch erfolgreich. Nach ein paar weiteren Fehlschlägen hat dann schließlich die Sonde Luna 16 das geschafft, was man von Anfang an wollte: Am 20. September 1970 fand eine sanfte Landung auf dem Mond statt; damals war das auch gleichzeitig die erste Landung, die in der Mondnacht stattgefunden hat. Ein automatischer Bohrer hat angefangen zu bohren, 35 Zentimeter tief. 100 Gramm Material aus dem Mondboden wurden in eine Kapsel verfrachtet und die Raumsonde hob wieder ab um die Kapsel am 24. September 1970 über Kasachstan abzuwerfen, wo sie dann auch sicher geborgen werden konnte. Das ist der Sowjetunion danach noch zwei weitere Male gelungen, mit den Sonden Luna 20 im Jahr 1972 und mit Luna 24 im Jahr 1976. Weitere 55 beziehungsweise 170 Gramm Mondmaterial haben so die Erde erreicht.
Nach diesen Erfolgen am Mond hat man sich aber auch Gedanken gemacht, wie man an Proben von anderen Himmelskörpern gelangen könnte. Am 7. Februar 1999 flog die amerikanische Sonde Stardust ins All. Ihr Ziel: Der Komet Wild 2, aus dessen Staubhülle man Proben einsammeln wollte. Hier konnte man sich natürlich nicht so einfach irgendwo hinein bohren. Dazu hätte man dort landen müssen, was technisch aber noch außer Reichweite war. Aber ein Komet ist ja von einer Koma umgeben, einer Hülle aus Staub, der freigesetzt wird, wenn das Eis aus dem so ein Komet zu einem großen Teil besteht, bei Annäherung an die Sonne auftaut und gasförmig wird. Stardust hatte ein spezielles Sammelsystem aus Blöcken von Aerogel mit dabei. Vereinfacht gesagt, lauter kleine Kästchen, gefüllt mit einem sehr porösen Gel, das die Staubteilchen, die sich ja sehr schnell bewegen, abbremsen und einsammeln kann. Dieser Behälter wurde dann über der Erde abgeworfen und konnte am 15. Januar 2006 geborgen werden. Insgesamt hatte man kapp ein Gramm Material eingesammlt, was nach wenig klingt, aber dann doch sehr viel ist, wenn man bedenkt, dass man nur einzelne Staubteilchen gesammelt hat.
Nach dem Kometen wollte man auch Material von Asteroiden haben. Das sind ja immerhin die Objekte, aus denen die Planeten entstanden sind; das ist das ursprüngliche Material des Sonnensystems und wenn wir verstehen wollen, wie alles angefangen hat, brauchen wir dieses Material in möglichst unverfälschter Form. Der erste Versuch, Proben von einem Asteroiden zu nehmen, fand im Rahmen der Hayabusa-Mission der japanischen Weltraumagentur statt, mit nur teilweisem Erfolg. Die Annäherung an den Asteroid Itokawa hat noch probemlos funktioniert, dann gab es aber diverse technische Probleme. Der Versuch einer Landung wurde abgebrochen, nur um nachher feststellen zu müssen, dass die Sonde dennoch gelandet ist. Ein zweiter Landeversuch schien erfolgreich verlaufen zu sein. Aber man war sich nicht sicher, ob man tatsächlich Proben genommen hatte. Als die Probenkapsel am 13. Juni 2010 wieder zurück auf der Erde war, enthielt sie weniger als ein Gramm Material. Deutlich weniger als erwartet, aber immerhin die ersten Proben von einem Asteroiden. Mit Hayabusa-2 konnte man die Probenentnahme dann aber erfolgreich durchführen: Im Dezember 2020 haben uns damit mehr als 5 Gramm Material des Asteroiden Ryugu erreicht. Noch mehr, nämlich 121 Gramm, hat die NASA Mission OSIRIS-REx im September 2023 vom Asteroid Bennu auf die Erde gebracht.
Wir hätten eigentlich auch schon Material von anderen Objekten in unseren Labors haben sollen. Russland wollte im November 2011 zu Phobos starten, einem der beiden Monde des Mars. Aber die Mission Fobos-Grunt schlug fehl und erreichte keine Flugbahn die sie zum Mars gebracht hätte. Dafür ist China mittlerweile erfolgreich auf dem Mond gelandet und hat uns noch ein paar Kilogram Mondgestein mitgebracht.
Natürlich wäre es auch super, eine Probe von einem anderen Planeten zu bekommen. In Frage kommt dafür vorerst eigentlich nur der Mars, die anderen Himmelskörper sind zu weit weg, haben keine feste Oberfläche oder, wie bei der Venus, zu feindliche Umweltbedingungen für eine Landung. Pläne für eine Sample Return Mission zum Mars hat es schon in den 1970er Jahren gegeben. Die Sowjetunion wollte das so machen, wie sie es auch beim Mond geplant hatten, nur mit entsprechend größeren Raketen. Die haben aber alle nie funktioniert und deswegen hat man das irgendwann bleiben lassen. Auch die NASA und die europäische Raumfahrtagentur ESA wollten ein Stück Mars zur Erde bringen. Und der Marsrover Perseverance der NASA hat im Februar 2021 auch tatsächlich Proben gesammelt und sicher in einem entsprechenden Behälter verpackt. Nur liegt der leider immer noch am Mars, der Teil der Mission, bei der eine weitere Sonde dort landen, die Proben aufnehmen und zurück zur Erde bringen hätte sollen, ist dann nicht mehr finanziert worden.
Früher oder später wird es aber klappen. Wir werden Proben vom Mars haben; wir werden noch andere Asteroiden besuchen, und Teile von Kometen auf die Erde bringen. Die Daten, die wir aus diesen außerirdischen Materialien gewinnen können, sind einfach zu wichtig für die Forschung, als dass wir den Versuch aufgeben könnten.
Sternengeschichten Folge 622: Gisela Weiss - Österreichs erste Astronomin
Es ist immer spannend, wenn man sich die ersten Menschen ansieht, die etwas geschafft haben, was vor ihnen keine andere Person geschafft hat. Sehr oft lernt man dabei eine faszinierende Persönlichkeit kennen. Und man erfährt auch immer etwas über die Zeit, in der die Geschichte stattgefunden hat, denn es hat ja meistens Gründe, warum etwas früher nicht möglich war und dann auf einmal schon. Aber leider gibt es viele dieser ersten Male, über die wir nichts wissen und viele, über die viel zu wenig wissen. Die Geschichte von Gisela Weiss ist so ein Fall.
Was wir wissen ist: Gisela Weiss ist die erste Frau, die in Österreich eine Promotion im Fach Astronomie abgeschlossen hat. Sie hat also eine Doktorarbeit verfasst und dafür auch eigenständige wissenschaftliche Forschungsarbeit geleistet. Man kann sie also durchaus als die erste österreichische Astronomin bezeichnen. Aber natürlich muss man in diesem Fall auch berücksichtigen, dass es auch davor auch schon Frauen gegeben hat, die sich mit der Astronomie beschäftigt haben und die Geschichte der Astronomie deutlich älter ist, als ein Land wie Österreich. Über diese Probleme der historischen Einordnung habe ich ja schon in Folge 463 erzählt, als es um Waltraut Seitter ging, die erste Professorin für Astronomie in Deutschland.
Aber lassen wir das mal beiseite und beschäftigen uns mit Gisela Weiss. Sie wurde am 14. Juli 1891 in Wien geboren. Ihr Vater war Leo Weiß, der ursprünglich aus Galizien stammte, also der Gegend, die heute den Süden von Polen und den Westen der Ukraine ausmacht und damals Teil des Kaisertums Österreich war. Leo Weiß hat westlich von Wien, in Klosterneuburg, mehrere Firmen gegründet, die Holz und Metall verarbeitet haben. Über die Kindheit seiner Tochter Gisela ist wenig bekannt. Sie hat ein Mädchenobergymnasium in Wien besucht, über das sich aber heute nichts mehr herausfinden lässt; vielleicht, weil es keine öffentliche Schule war. Eine allgemeine Schulpflicht auch für Mädchen bis zum 12. Lebensjahr hat es in Österreich schon gegeben, seit sie 1774 unter Kaiserin Maria Theresia eingeführt worden ist, eine höhere Bildung zu erlangen war aber immer noch nicht selbstverständlich. Immerhin: Ab dem Jahr 1878 durften auch Frauen die Matura ablegen, also das, was in Deutschland "Abitur" genannt wird und im Prinzip die Berechtigung für ein Studium an einer Universität darstellt. Und ich sage deswegen "im Prinzip" weil Frauen in Österreich zwar die Matura ablegen konnten, sie dann aber trotzdem nicht studieren durften. Das fanden aber immer mehr Menschen ungerecht und nicht nur die Frauen selbst. Ein Mitglied des damaligen Abgeordnetenhauses hat im Jahr 1895 festgestellt: "Von allen Staaten der Erde stehen heute nur noch Österreich und Deutschland auf dem Standpunkte, daß sie der weiblichen Jugend das Universitätsstudium verwehren wollen … Dort, wo es sich um einen humanitären und wissenschaftlichen Fortschritt handelt, kommen wir immer zuletzt." Trotzdem war der Kampf um Gleichberechtigung zäh. Ab 1896 wurde es zum Beispiel zwar erlaubt, dass Frauen, die im Ausland ein Doktorat in Medizin hatten, das auch in Österreich anerkennen lassen konnten. Aber sie mussten dafür trotzdem ihre Abschlussprüfung ein weiteres Mal ablegen und dazu nachweisen, dass sie ein "moralisch einwandfreies Vorleben" hatten - was Männer übrigens alles nicht tun mussten. 1897 durften dann aber endlich auch Österreicherinnen mit ihrer Matura ein Studium beginnen. Natürlich war damit noch immer nicht alles geschafft; manche Professoren haben sich geweigert, vor einem Publikum aus Männern und Frauen zu unterrichten; Frauen durften nicht alle Vorlesungen besuchen oder alle Disziplinen studieren. Aber obwohl dieses Thema sehr interessant und wichtig ist, schauen wir jetzt wieder zurück zu Gisela Weiss.
Sie legte ihre Matura im Jahr 1912 am Gymnasium Rahlgasse in Wien ab; darüber gibt es noch Aufzeichnungen. Danach begann sie ein Studium an der Universität Wien in den Fächern Mathematik, Physik und Astronomie. Es wäre schön zu wissen, warum sie sich dafür entschieden hat. Aber diese Information existiert leider nicht. Wir wissen nur, dass sie dabei nicht unerfolgreich gewesen sein kann. Denn im Jahr 1917 konnte sie ihre Doktorarbeit in Astronomie abschließen. Wer sich ein bisschen mit der Geschichte der Wiener Universitätssternwarte beschäftigt hat, wird leicht erraten können, wovon sie handelt. Damaliger Direktor der Sternwarte war Josef von Hepperger, Vizedirektor war Johann Palisa und Palisa war einer der wichtigsten damaligen Forscher auf dem Gebiet der Kleinplaneten, also den Himmelskörpern, die wir heute "Asteroiden" nennen. Palisa hat 121 davon entdeckt; er hat sich mit der Bestimmung ihrer Bahnen beschäftigt und Kataloge erstellt, mit denen man Asteroiden leichter finden kann. Die Geschichte der Universitätssternwarte Wien wäre ebenfalls ein spannendes Thema für mehr als nur eine Podcastfolge. Aber für heute reicht es zu sagen, dass die Erforschung der Kleinplaneten das wichtigsten Arbeitsgebiet der damaligen Sternwarte in Wien war und fast das einzige Arbeitsgebiet. Es ist also absolut nicht überraschend, wenn die Doktorarbeit von Gisela Weiss sich ebenfalls mit Kleinplaneten beschäftigt. Sie hatte sich den Asteroid Ambrosia ausgesucht. Oder besser gesagt: Vermutlich hat Josef von Hepperger dieses Thema ausgewählt, der die Arbeit auch beurteilt hat, aber dazu später mehr.
Der Asteroid Ambrosia wurde am 28. Februar 1879 entdeckt und zwar von Frankreich aus und dem französischen Astronom Jérôme-Eugène Coggia. Dann hat man es aber 35 Jahre lang nicht mehr beobachtet und erst 1915 konnte ihn der deutsche Astronom Max Wolf von Heidelberg aus wieder finden und ihn auch fotografieren. Johann Palisa, ein enger Kollege von Wolf, machte von Wien aus jede Menge Beobachtungen von Ambrosia, insgesamt 23 Stück. Damit war er im April 1916 fertig. Aber Beobachtungen sind noch keine Bahnbestimmung. Dazu braucht es jede Menge Mathematik und - ohne Computer oder gar Taschenrechner - sehr viel händisches Rechnen. Es liegt nahe, dass man diese Arbeit an eine Studentin ausgelagert hat, die ein Thema für ihre Dissertation gebraucht hat. Auf jeden Fall war die Bahnbestimmung von Ambrosia das Thema von Gisela Weiss' Doktorarbeit, die am 21. April 1917 beurteilt wurde; und am 28. Juni 1917 wurde ihr offiziell der Doktorgrad verliehen.
Recht freundlich war die Beurteilung allerdings nicht: „Die vorliegende Abhandlung kann mit Rücksicht auf die bedeutende hierauf angewendete Arbeit und deren gute Durchführung noch als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bezeichnet werden“. Ob das wirklich stimmt beziehungsweise was tatsächlich in der Arbeit von Weiss' stand, wissen wir nicht. Ihre Dissertation ist in keiner Bibliothek mehr auffindbar und ihre Forschungsergebnisse sind auch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden. Letzteres ist aber nicht ungewöhnlich, damals hat man Doktorarbeiten nur sehr selten publiziert. Dass sie aber auch weder in der Uni- noch in der Nationalbibliothek zu finden ist, ist schade. Auf jeden Fall wissen wir, dass die Arbeit von Gisela Weiss gut genug für eine Promotion war. Dass sie kein genialer Geistesblitz war, der die Astronomie revolutioniert hat, ist auch nicht überraschend. Erstens ist das bei Dissertationen selten der Fall, die meisten davon sind zwar eigenständige Forschungsarbeiten, die sich aber dann doch eher mit Themen beschäftigen, wo man im voraus schon halbwegs abschätzen kann, was herauskommen wird und das man das Thema auch in der nötigen Zeit abschließen kann. Das gilt heute wie damals und so wie heute hat man auch damals wahrscheinlich nur bedingt selbst auswählen können, was für ein Thema man bearbeitet. So etwas wird üblicherweise von den Betreuern vorgeschlagen und wer weiß, ob Gisela wirklich Lust auf die Bahnbestimmung gehabt hat oder eigentlich lieber etwas anderes machen wollte? Wir wissen auch nicht, ob sie enttäuscht war, dass ihre Arbeit zwar für eine Promotion gereicht, den Betreuern aber anscheinend nicht so gut gefallen hat. Wir wissen nicht, ob es irgendwelche Unstimmigkeiten zwischen Gisela Weiss und den restlichen Mitarbeitern an der Uni-Sternwarte gab. Wir wissen nur, dass sie nach ihrer Promotion die Universität verlassen hat, um im Betrieb ihres Vaters zu arbeiten. Sie hat 1920 geheiratet, sich aber später wieder scheiden lassen. Leo Weiss ist 1930 gestorben, seine Firma ist aber im Besitz der Familie geblieben und man kann davon ausgehen, dass Gisela Weiss weiterhin dort gearbeitet hat. Zumindest bis 1938, als der Betrieb - so wie viele andere Firmen im Besitz jüdischer Familien - von den Nationalsozialisten enteignet worden ist. Was Gisela Weiss in dieser Zeit gemacht hat, ist ebenfalls unbekannt. Sie muss es allerdings geschafft haben, Österreich zu verlassen, denn im Jahr 1950 wurde sie Staatsbürgerin von Israel und lebte in Tel Aviv. Sie ist aber immer wieder nach Wien zurück gekehrt, dürfte ausreichend viel Geld gehabt haben um auch dort entsprechend gut zu wohnen. Das Ende ihres Lebens hat sie in einem Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde verbracht wo sie am 12. Juni 1975 gestorben ist. Ihr Grab befindet sich am jüdischen Friedhof von Klosterneuburg.
Das ist mehr oder weniger alles, was wir über Gisela Weiss wissen. Es gibt keine Nachfahren, die mehr über sie erzählen könnten und keine weiteren bekannten Dokumente, die mehr Informationen über ihr Leben verraten. Und das bisschen, das wir wissen, verdanken wir auch nur der Recherche von Anneliese Schnell, ebenfalls eine Astronomin aus Wien, die seit 1966 bis zu ihrem Tod im Jahr 2015 an der Universitätssternwarte Wien gearbeitet hat. Schnell war übrigens selbst auch eine "Erste", nämlich die erste Frau, die 1974 in den Vorstand der Astronomischen Gesellschaft gewählt wurde, eine der ältesten astronomischen Vereine Europas und heute immer noch der Fachverband der deutschen Astronomie. Schnell hat ihre Dissertation übrigens 1967 abgeschlossen: Genau 50 Jahre nach Gisela Weiss.
Sternengeschichten Folge 621: Blaneten, die um schwarze Löcher kreisen
Keine Sorge, da ist kein Tippfehler im Titel dieser Folge und nochmal keine Sorge, ich habe auch keine Probleme damit, das Wort "Planet" richtig auszusprechen. Denn in dieser Folge geht es nicht Planeten, sondern um "Blaneten", mit einem weichen B wie "Brauner Zwerg" oder "Balkenspiralgalaxie" am Anfang. Ich werde mich sehr bemühen, in dieser Folge deutlich zu sprechen, damit klar ist, ob ich gerade von einem Planeten oder Blaneten spreche. Aber, und das ist eine durchaus relevante Frage, was soll das eigentlich?
Was soll ein "Blanet" sein und warum denkt man sich dafür ein Wort aus, das fast so wie ein anderes Wort klingt? Das ist doch verwirrend… Ja, ist es und die Astronomie ist leider gerne mal verwirrend, wenn es um ihre Begriffe geht. Wir haben planetarische Nebel, die nix mit Planeten zu tun haben, wir messen die Helligkeit von Sternen mit Magnituden, aber je mehr Magnituden ein Stern hat, desto schwächer leuchtet er, der Morgenstern ist kein Stern, und so weiter. Ein "Blanet" hat aber durchaus etwas mit "Planeten" zu tun und bevor es noch weiter verwirrend bleibt, lese ich vielleicht den Titel der Facharbeit vor, in der dieser Begriff das erste Mal auftaucht. Das war im Jahr 2021, als die japanischen Astronomen Keiichi Wada, Yusuke Tsukamoto, und Eiichiro Kokubo einen Aufsatz geschrieben haben, der folgenden Titel trägt: "Formation of 'Blanets' from Dust Grains around the Supermassive Black Holes in Galaxies". Auf deutsch heißt das soviel wie "Entstehung von 'Blaneten' aus Staubkörnern rund um supermassereiche schwarze Löcher in Galaxien". Ein "Blanet" ist also ein Planet eines schwarzen Lochs, ein "black hole planet" oder eben kurz "Blanet".
Es ist eine komische Idee. Planetenähnliche Himmelskörper, die bei einem schwarzen Loch entstehen? Die Idee ist aber nur so lange komisch, wie man nicht weiter darüber nachdenkt. Und ich fange gleich mal damit an, das erste Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Ich habe das in früheren Folgen schon gesagt, aber sage es jetzt nochmal: Ein schwarzes Loch ist kein Staubsauger. Die Dinger saugen nicht gnadenlos alles ein; es ist absolut möglich, dass ein anderer Himmelskörper ein schwarzes Loch auf einer stabilen Umlaufbahn umkreist. Schwarze Löcher sind ja auch nur Ansammlungen von Masse im Universum, die eine Gravitationskraft ausüben und die man, so wie alle anderen Ansammlungen von Masse, auch umkreisen kann. Das einzige außergewöhnliche an ihnen ist ihre Kompaktheit; man kann ihnen so nahe kommen, dass die Anziehungskraft so enorm stark wird, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich wieder zu entfernen. Wenn man ihnen aber nicht sooo nahe kommt und quasi einen Sicherheitsabstand einhält, wird man auch nicht angesaugt.
Aber das ist es nicht, worum es bei den "Blaneten" geht. Die drei japanischen Forscher haben sich damals folgendes überlegt: Wir wissen, wie Planeten entstehen. Nämlich in sogenannten protoplanetaren Scheiben um junge Sterne. Nachdem ein Stern entstanden ist, ist er noch von jeder Menge Staub und Gas umgeben und das Zeug in dieser Staub- und Gasscheibe kann sich im Laufe der Zeit zusammenballen, so dass größere Objekte wie eben Planeten entstehen. In Wahrheit ist der Vorgang natürlich sehr, sehr viel komplizierter und die Astronomie ist immer noch dabei, die Details der Planetenentstehung zu verstehen. Aber das Grundprinzip ist klar und wir haben nicht nur die Planeten unseres eigenen Sonnensystems als Beispiel, sondern auch schon tausende Planeten bei anderen Sternen gefunden und können bei anderen, jüngeren Sternen sogar die protoplanetaren Scheiben und in seltenen Fällen auch die in Entstehung begriffenen Planeten sehen.
Aber, so haben sich die japanischen Astronomen überlegt, die protoplanetaren Scheiben sind nicht die einzigen Orte im Universum, wo diese Bedingungen für die Entstehung von Planeten existieren. Es gibt auch die "zirkumnuklearen Scheiben". Die findet man im Zentrum von großen Galaxien, rund um deren supermassereichen schwarzen Löcher. Ich habe in den vergangen Folgen der Sternengeschichten ja schon öfter darüber geredet: Wir wissen, dass alle großen Galaxien in ihrem Zentrum ein schwarzes Loch haben, das ein paar Millionen bis ein paar Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne hat. Wir wissen zwar immer noch nicht genau, wie diese Objekte entstehen, haben sie aber einwandfrei nachgewiesen und in einigen Fällen sogar fotografiert. Beziehungsweise: Wir haben nicht das schwarze Loch selbst fotografiert; das geht ja per Definition nicht. Aber in der Umgebung der schwarzen Löcher gibt es jede Menge Gas und Staub, das da rund herum wirbelt und dadurch aufgeheizt wird. Das Zeug leuchtet dadurch hell und ist sichtbar, bis auf den zentralen Bereich, wo das schwarze Loch ist. Fotografiert haben wir diesen dunklen Schatten vor der hell leuchtenden Scheibe aus Gas und Staub und genau die ist es, die uns interessiert, wenn es um die "Blaneten" geht.
Oder genauer gesagt: Es sind die äußeren Bereiche der Scheibe. In unmittelbarer Umgebung des Lochs ist es unangenehm. Das ganze Material wird zu stark aufgeheizt; erzeugt zu viel helle und harte Strahlung und dort fällt das Material auch irgendwann in das schwarze Loch. Aber weiter außen, eben in der zirkumnuklearen Scheibe, geht es ein wenig ruhiger zu. Dort könnten ähnliche Bedingungen wie in der prototplanetaren Scheibe eines jungen Sterns herrschen, wo sich Material im Laufe der Zeit zusammenballt um planetengroße Himmelskörper zu bilden.
Ob das wirklich so funktioniert und unter welchen Bedingungen haben die drei Japaner erforscht und das Ergebnis lautet: Ja, das kann klappen. Es geht nur weit genug entfernt vom schwarzen Loch und "weit" heißt hier ungefähr ein paar Lichtjahre. Das bedeutet, dass man auch ausreichend große schwarze Löcher braucht, um so große Scheiben aus Material zu kriegen. Mindestens eine Million Sonnenmassen sollte es schon haben, aber das haben die meisten supermassereichen schwarzen Löcher - das im Zentrum unserer Milchstraße hat zum Beispiel gut 4 Millionen Sonnenmassen. Die Masse ist aber nicht das einzige; es kommt auch auf das Alter an. In einer jungen Galaxie ist noch viel Gas und Staub vorhanden um eine ordentliche zirkumnukleare Scheibe zu bilden; in alten, wie unserer Milchstraße, ist das ganze Material schon verschwunden. Hier können als keine neuen Blaneten mehr entstehen - aber vielleicht ist das ja schon früher passiert.
Die Blaneten, die entstehen, haben typischerweise mehr Masse als die Erde, teilweise sogar viel mehr. Sie sind auch viel weiter voneinander entfernt als die Planeten in unserem Sonnensystem. Aber, so das Fazit der Arbeit, rein prinzipiell spricht nichts dagegen, dass sich rund um ein supermassereiches schwarzes Loch ein System aus Blaneten unterschiedlicher Größe bildet, die sich dort auf stabilen Umlaufbahnen bewegen.
Bleiben zwei Fragen. Erstens: Kann man diese Dinger nachweisen, wenn sie da draußen sein sollten? Und zweitens: Kann man dort leben? Fangen wir mit Frage 1 an und die Antwort darauf lautet: Eher nicht. Die Methoden, mit denen wir bisher die Planeten anderer Sterne entdeckt haben, funktionieren alle nicht bei schwarzen Löchern. Sie werden nicht von ihrem Stern angeleuchtet, weil sie keinen haben. Wir können nicht messen, wie das schwarze Loch dunkler wird, wenn der Blanet von uns aus gesehen daran vorüber zieht, weil ein schwarzes Loch schon so dunkel ist, wie es nur geht, und so weiter. Man könnte probieren, die Röntgenstrahlung zu beobachten, die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt und schauen, ob die in periodischen Abständen schwächer wird. Aber auch das ist eher hoffnungslos, den selbst das schwarze Loch in unserer eigenen Milchstraße ist gut 26.000 Lichtjahre entfernt und bei anderen Galaxien sind die Abstände unvorstellbar viel größer. Mit der absehbaren Beobachtungstechnik werden wir die Blaneten wahrscheinlich nicht finden, wenn sie denn da sind.
Aber wir können uns trotzdem noch fragen: Könnte man - oder eher: etwas - dort leben? Vielleicht! Es ist durchaus möglich, dass sich diese Blaneten auch eine Atmosphäre zulegen; Gas gibt es in der zirkumnuklearen Scheibe ja genug. Problematisch wird es, was die Energiequelle angeht. Mit Licht und Wärme ist bei einem schwarzen Loch nicht zu rechnen. Und die ganze Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt, hätte die Atmosphäre der Blaneten vermutlich auch schnell zerstört. Wenn es sich nicht um eine Art von Leben handelt, die sich völlig von dem unterscheidet was wir bis jetzt kennen und was wir uns sinnvollerweise anhand dessen vorstellen können, was wir über die Entstehung von Leben gelernt haben, dann werden Blaneten eher lebensfeindliche Orte sein. Trotzdem: Die Vorstellung, man könnte auf einem Himmelskörper stehen und am Himmel ein gigantisches schwarzes Loch mit leuchtender Scheibe drumherum sehen ist verlockend. Selbst wenn man diesen Himmelskörper dann als "Blanet" bezeichnen müsste…
Sternengeschichten Folge 620: Die Zone of Avoidance
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Zone of Avoidance. Auf deutsch heißt das "Die Zone der Vermeidung" und das klingt ein klein wenig beunruhigend und auch ein bisschen wie Science Fiction. So wie die "Neutrale Zone" in Star Trek, wo man mit dem Raumschiff nicht reinfliegen darf oder die "Zone" in den Büchern von Arkadi und Boris Strugazki. Wir bekommen es aber heute nicht mit Science Fiction zu tun, sondern mit reiner Astronomie und beunruhigend ist die Zone der Vermeidung auch nur dann, wenn man den Himmel beobachten möchte.
Um was es dabei geht, hat das erste Mal der englische Astronom Richard Proctor in seinem Buch "The Universe of Stars" aus dem Jahr 1878 aufgeschrieben. Darin findet man eine großformatige Abbildung, die die Verteilung der "Nebel" zeigt. Im späten 19. Jahrhundert wusste man ja immer noch nicht, worum es sich bei diesen Gebilden handelt, die man mit einem starken Teleskop sehen konnte. Manche hielte sie für große, nebelartige Wolken, die sich zwischen den Sternen befanden. Andere waren der Meinung, dass es sich um riesige, unvorstellbar weit entfernte Ansammlungen von Sternen handelt, und unsere Milchstraße auch so ein Gebilde, eine Galaxie, ist. Aber eben nur eine von vielen. Die Frage wurde erst in den 1920er Jahren endgültig geklärt und ich habe davon schon in anderen Folgen der Sternengeschichten gesprochen. Damals jedenfalls konnte man nicht viel mehr machen, als möglichst viele dieser Nebel zu beobachten und zu kartografieren. Genau das hat unter anderem der Astronom John Herschel gemacht und dessen Daten hat Richard Proctor verwendet, um das entsprechende Bild in seinem populärwissenschaftlichen Buch über das Universum zu erstellen. Dabei ist ihm aufgefallen, dass es da einen Bereich am Himmel zu geben scheint, in dem weniger dieser Nebel zu finden sind als anderswo und deswegen trägt die Abbildung auch den Titel "The zone of few nebulae". Diese "Zone der wenigen Nebel" wurde in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer ausgeprägter; je mehr Nebel man beobachtete, desto klarer wurde es, dass es einen Bereich gibt, in dem sie nicht zu sehen sind.
1961 hat der amerikanische Astronom Harlow Shapley probiert, diese Zone auch klar zu definieren. Shapley war übrigens früher einer der prominentesten Vertreter derjenigen, die davon ausgegangen sind, dass es im Universum nur unsere Milchstraße gibt und die Nebel alle nur kleinere Wolken innerhalb der Milchstraße sind. Aber egal, das war früher und jetzt hat Shapley die aktuellsten Daten der damaligen Zeit untersucht und festgestellt, dass man demnach am Himmel typischerweise 54 Galaxien pro Quadratgrad finden kann. "Quadratgrad" ist eine etwas komische Einheit, aber in der Astronomie sehr gebräuchlich und entspricht einer Fläche am Himmel, die ungefähr so groß ist wie fünf Vollmonde. Also: 54 Galaxien pro Quadratgrad, im Durchschnitt. Aber es gibt einen Bereich, bei dem es deutlich weniger sind, nämlich weniger als 5 Galaxien pro Quadratgrad. Genau das ist die "Zone of Avoidance" und sie heißt deswegen so, weil es eben eine Zone ist, die von der Astronomie bei ihrer Arbeit vermieden wird, denn da gibt es zu wenig zu sehen, um sinnvolle Forschung zu treiben.
Und nachdem wir das jetzt geklärt habe, sollten wir vielleicht mal nachsehen, wo diese Zone denn eigentlich ist. Wer sich schon ein bisschen mit Astronomie beschäftigt hat, wird vermutlich schon eine bestimmte Idee haben. Und wenn diese Idee mit der Milchstraße zu tun hat, dann ist sie richtig! Die Zone of Avoidance findet man um den galaktischen Äquator der Milchstraße herum. Wenn wir uns die Milchstraße als große Scheibe voller Sterne vorstellen - was sie in erster Näherung ja auch ist - dann ist der galaktische Äquator die Linie, die um die Scheibe herum läuft. Vom Sonnensystem aus, das sich ja in den äußeren Bereichen der galaktischen Scheibe befindet, können wir entweder in den galaktischen Norden oder Süden, also quasi nach oben und unten aus der Scheibe raus schauen. Oder nach "hinten", dorthin, wo die Scheibe der Milchstraße bald aus ist und deutlich weniger Sterne zu finden sind als wenn wir in die andere Richtung blicken, mitten ins Herz der galaktischen Scheibe hinein. Da ist alles voll mit Sternen und das ist auch genau das, was wir am Nachthimmel als wolkig-weißes Band der Milchstraße sehen können (sofern es dunkel genug ist). Und genau da dort befindet sich die "Zone of Avoidance" und damit ist auch klar, warum sie überhaupt existiert.
In der Milchstraße gibt es ja nicht nur Sterne, sondern auch jede Menge Gas und Staub, in kosmischen Wolken, die sich im interstellaren Raum befinden. Wenn wir in Richtung der galaktischen Scheibe schauen, dann sehen wir dort nicht nur sehr viel mehr Sterne als anderswo, sondern blicken auch auf und durch sehr viel mehr Gas und Staub. All das absorbiert einen Teil des Lichts und deswegen ist es sehr viel schwerer, in dieser Richtung irgendwelche fernen Galaxien zu entdecken. Die Milchstraße wirkt quasi wie ein Vorhang, der uns den Blick auf das dahinter liegende Universum verstellt. Ungefähr 20 Prozent dieses extragalaktischen Himmels werden durch die "Zone of Avoidance" verschleiert. Das gilt für den optischen Bereich, also die Wellenlänge des Lichts, die wir auch mit unseren Augen oder normalen Teleskopen wahrnehmen können. Und das waren ja auch die einzigen Teleskope, die man damals im 19. Jahrhundert und noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zur Verfügung hatte.
Warum ist es jetzt ein Problem, dass das dieser Bereich am Himmel ist, den man schlecht sehen kann? Es ist natürlich ein prinzipielles Problem für die Astronomie: Wir wollen alles sehen, was da draußen ist und wir wollen uns nicht mit einem Himmel zufriedengeben, auf dem wir 20 Prozent nicht sehen können. Es ist aber auch ein spezielles Problem, denn viele Dinge können wir nur dann verstehen, wenn wir einen vollständigen Blick haben.
Zum Beispiel wenn es darum geht, das Universum als ganzes zu erforschen. Die Kosmologie gibt sich ja große Mühe, die großen Strukturen des Universums zu kartografieren. Wir wollen wissen, wo die ganzen Galaxienhaufen sind, die Superhaufen, die aus einzelnen Galaxienhaufen bestehen und die noch größeren Strukturen, die aus langen Aneinanderreihungen der galaktischen Superhaufen gebildet werden. Je besser wir verstehen, wie der Kosmos auf diesen allergrößten Skalen aussieht, desto besser können wir auch verstehen, wie das Universum entstanden ist und wie es sich entwickelt hat. Die Modelle, mit denen wir den Urknall beschreiben und verstehen, sagen zum Beispiel voraus, dass die allergrößten Strukturen nicht beliebig groß werden können. Sollten wir galaktische Superhaufen finden, die noch größer sind, dann wäre das ein Hinweis darauf, dass wir irgendwelche grundlegenden Eigenschaften des Universums falsch oder noch nicht verstanden haben. Dass wir vielleicht nochmal über Phänomene wie die dunkle Energie nachdenken müssen oder es da irgendein ganz neues Phänomen gibt, das wir noch nicht entdeckt haben. Das sind alles enorm spannende Themen, aber wenn wir nicht den kompletten Himmel beobachten können, haben wir keine Chance, verlässliche Antworten zu kriegen.
Die Zone of Avoidance macht aber auch auf kleineren Maßstäben Problemen. Wir würden zum Beispiel gerne wissen, wie viele andere Galaxien mit uns gemeinsam in unserer eigenen Galaxiengruppe sind, der Lokalen Gruppe, von der ich in Folge 371 erzählt habe. Wir wissen, dass die Milchstraße und die Andromedagalaxie die größten Mitglieder sind und es jede Menge kleinere Galaxien gibt, die auch noch dazu gehören. Aber was, wenn sich da vielleicht eine weitere größere Galaxie hinter der Zone of Avoidance am Himmel versteckt? OK, das ist unwahrscheinlich, wie ich gleich noch erzählen werde. Aber auch hier gilt: Wir brauchen einen vollständigen Überblick, wenn wir zum Beispiel verstehen wollen, wie sich die Lokale Gruppe in der Vergangenheit entwickelt hat und wie sie sich in Zukunft entwickeln wird.
Und so weiter: Es gibt diverse große und kleine astronomische Fragen, deren Beantwortung durch die Zone of Avoidance erschwert wird. Aber zum Glück sind wir in der Astronomie wirklich gut darin, Dinge zu sehen, die sehr schwer zu sehen sind. Und haben im Laufe der Zeit Methoden entwickelt, auch die Zone of Avoidance in den Griff zu kriegen. Das normale Licht ist ja nur ein kleiner Teil der gesamten elektromagnetischen Strahlung. Aber es gibt ja noch mehr: Infrarotlicht zum Beispiel hat den Vorteil, dass es vom interstellaren Staub kaum aufgehalten wird; die Zone of Avoidance wird dadurch zum Teil quasi durchsichtig. Im Infrarotlicht hat der italienische Astronom Paolo Maffei 1968 auch zwei Galaxien entdeckt, die zuvor durch die Zone of Avoidance verdeckt wurde. Maffei 1 und Maffei 2, wie sie mittlerweile genannt wurden, sind ziemlich große Brocken und eigentlich auch ziemlich hell. Maffei 1 wäre eine der 10 hellsten Galaxien am Nordhimmel, wenn sie nicht blöderweise hinter der Zone of Avoidance liegen würde. Die beiden Maffei-Galaxien gehören übrigens nicht zur Lokalen Gruppe, sie sind noch weiter weg und Zentrum ihres eigenen Galaxienhaufens. Aber all das hätten wir nie herausgefunden, wenn wir nicht dank Infrarotastronomie durch den Schleier der Milchstraße blicken hätten können.
2016 konnten Forscherinnen und Forscher einen potentiellen Superhaufen aus Galaxien hinter der Zone of Avoidance ausmachen, der aus gut zwei Dutzend Galaxienhaufen besteht und eine der größten bekannten Strukturen des Universums darstellt. Eine weitere große Struktur fand man 2022 und es ist mit Sicherheit nicht die letzte Entdeckung, die bei dem Versuch gemacht wird, die Zone of Avoidance zu durchblicken. Mittlerweile wird dazu nicht nur Infrarotlicht verwendet, sondern auch Radioteleskope und andere Methoden der nicht-optischen Astronomie. Wie gesagt: Wir lassen uns nicht aufhalten, wenn es da draußen was zu sehen gibt. Die Zone of Avoidance ist in den letzten Jahren immer weiter geschrumpft und irgendwann werden wir es hoffentlich geschafft haben, auch diesen weißen Fleck auf unseren kosmischen Karten zu füllen.
Sternengeschichten Folge 619: Neith, der nicht-existierende Venusmond
Die Venus ist unser Nachbarplanet im Sonnensystem. Sie ist ungefähr so groß wie die Erde und nach Sonne und Mond ist sie das hellste Objekt am Himmel. Sie ist so hell, dass man sie kaum übersehen kann und als strahlenden Morgen- oder Abendstern in der Dämmerung leuchtet. Wir haben die Venus immer schon betrachtet, zuerst nur mit unseren Augen und später natürlich auch mit dem Teleskop. Der erste, der die Venus im Fernrohr beobachtet hat, war Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts und bei dieser Beobachtung hat er gesehen, dass die Venus Phasen zeigt; es also analog zu "Vollmond" oder "Halbmond" auch "Vollvenus" oder "Halbvenus" gibt. Das war eine revolutionäre Entdeckung, weil sie belegt hat, dass sich die Venus um die Sonne bewegt, die damit das Zentrum des Sonnensystems ist und nicht die Erde, wie man damals immer noch weitestgehend geglaubt hat.
Ein bisschen weniger revolutionär war das, was der italienische Astronom Francesco Fontana, ein Zeitgenosse von Galilei am 11. November 1645 gesehen hat. Nämlich zwei kleine leuchtende Punkte, die neben der Venus herlaufen. Ein paar Wochen später konnte er nur noch einen davon sehen, der aber blieb aber auch später noch sichtbar. Fontana kam zu dem Schluss, dass er einen Mond der Venus entdeckt hatte; so wie ja Galileo ein paar Jahrzehnte vorher schon vier Monde des Jupiters. Seine Zeitgenosse waren eher skeptisch was das angeht, vor allem auch deswegen, weil sie selbst diesen Mond nicht sehen konnten, was aber auch an ihren schlechteren Teleskopen gelegen haben könnte.
Sehr viel mehr Aufmerksamkeit als die Entdeckung von Fontana bekam die Beobachtung von Giovanni Domenico Cassini. Er wurde 1669 Direktor der Sternwarte in Paris mit einem der besten Teleskope der damaligen Zeit. Bei seiner Arbeit fand er 1671 einen Mond des Saturns - Iapetus - und 1672 einen zweiten, Rhea. Er war außerdem der erste, der feststellte, dass es Lücken in den Ringen des Saturn gibt, die heute deswegen als "Cassini-Teilung" bezeichnet werden. Und 1672 sah auch er in seinem Teleskop einen Mond der Venus. Vermutlich war ihm diese Entdeckung selbst nicht ganz geheuer, denn er hielt sie geheim. Erst als er 1686 den Venusmond ein zweites Mal sah, hat er die Beobachtung öffentlich gemacht, blieb aber immer noch zurückhaltend. "Es ist mir nie gelungen, ihn zu sehen, sieht man von diesen beiden Fällen ab und deswegen erlaube ich mir hier kein Urteil", schrieb er ein seinen Memoiren.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten war der Mond der Venus ein Thema, dass die Astronomie weiter beschäftigt hat, aber der Mond war nie richtig greifbar. Manche Astronomen wie der schottische Teleskopbauer James Short oder der Deutsche Andreas Mayer bestätigten, dass sie ihn ebenfalls gesehen hatten. Andere, wie der schottische Astronom und Mathematiker David Gregory blieben skeptisch. Und alle warteten gespannt auf den 6. Juni 1761. An diesem Tag würde ein seltenes Ereignis stattfinden, ein Venustransit. Von der Erde aus gesehen würde man die Venus direkt vor der Sonnenscheibe vorüberziehen sehen können und warum das so ein wichtiges Ereignis für die Wissenschaft ist, habe ich ja schon ausführlich in Folge 539 der Sternengeschichten erzählt. Insbesondere aber sollte man auch einen Mond der Venus sehen können, als zweiten, kleinen dunklen Fleck der gemeinsam mit dem Planeten an der Sonne vorüber zieht. Der Venustransit von 1761 wurde überall auf der Welt beobachtet, von Forschenden genau so wie von Enthusiasten ohne wissenschaftliche Ausbildung. Und es gab tatsächlich 2 Meldungen über die Beobachtung eines Venusmonds. Die stammten aber beide von Amateuren, deren Methoden und Instrumente vergleichsweise schlecht waren, weswegen man diese "Entdeckung" auch vorerst nicht weiter ernst genommen hat.
Vor und nach dem Transit wurden ebenfalls Venusmondbeobachtungen gemeldet. Man hat die Venus zu der Zeit natürlich genau im Blick gehabt, die Instrumente für den großen Tag getestet beziehungsweise auch danach noch zur Venusbeobachtung genutzt. Der berühmte Astronom Louis Lagrange, nach dem die Lagrangepunkte benannt sind, über die ich hier schon oft gesprochen habe, hat den Venusmond im Februar 1761 gesehen, aber danach gemeint, dass er sich vermutlich doch geirrt hat. Und in Kopenhagen gab es eine sehr interessante Beobachtungsreihe, die Christian Horrebrow und Peder Roedkiær durchgeführt haben. Sie sahen den Venusmond gleich mehrmals im Laufe des Jahres und konnten auch sehen, dass er Phasen hat, wie die Venus selbst. Horrebrow hat den Mond auch in den Jahren nach dem Transit gesehen, das letzte Mal im Januar 1768 .
Aus heutiger Sicht klingt das alles ein wenig komisch. Was war da los mit den Leuten? Entweder da ist ein Mond oder da ist keiner. Und wenn da einer ist, dann sieht man den entweder oder man sieht ihn nicht. Aber es ist halt nicht so einfach wie heute. Heute kann man ein Bild machen und das in Ruhe analysieren. Man kann eindeutig festellen, ob da jetzt ein Lichtpunkt neben der Venus ist oder nicht. Damals war das nicht möglich; man hat nur die Augen gehabt um durch das Teleskop zu schauen und konnte keine dauerhaften Aufzeichnungen machen bzw. wenn, dann nur Zeichnungen. Und nur weil man einen Punkt neben der Venus sieht, muss das ja noch lange kein Mond sein. Dazu muss man lange genug beobachten und den Punkt immer und immer wieder neben der Venus sehen um sicher sein zu können, dass der potentielle Mond der Venus folgt und beispielsweise kein Hintergrundstern ist.
Es war damals also viel leichter, sich zu täuschen und genau darauf hat der österreichische Astronom Maximilian Hell im Jahr 1766 hingewiesen. Er veröffentlichte eine Arbeit, in der er zeigen konnte, dass ein helles Objekt wie die Venus eine Art von "Geisterbild" erzeugt. Wenn man auf die richtige - oder in dem Fall eher die falsche - Weise und in einem bestimmten Abstand durch ein Teleskop schaut, dann kann das helle Licht des Planeten eine Reflexion erzeugen, die auf das Auge fällt und so aussieht wie ein Mond, mit den selben Phasen die die Venus gerade hat.
Der Venusmond war also nur eine Illusion und damit könnte die Geschichte schon zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Im 19. Jahrhundert konnte er - kurzfristig - ein Comeback feiern. Der belgische Astronom Jean-Charles Houzeau hat sich in den 1880er Jahren alle Daten nochmal genau angesehen und eine neue Idee gehabt. Was, wenn es gar kein Mond der Venus ist, den man da gesehen hat. Sondern ein noch unbekannter Planet, mit fast derselben Umlaufbahn wie die Venus? Wenn er eine Umlaufperiode von 283 Tagen hat, dann befindet er sich nur ein Stück außerhalb der Venusbahn und die beiden Planeten würden immer wieder scheinbar nahe am Himmel beieinander stehen, so das es von der aussieht, als wäre da ein Mond neben der Venus. Houzeau hat diesem neuen Planeten auch gleich einen Namen gegeben, nämlich Neith, nach einer ägyptischen Kriegsgöttin und dieser Name wurde dann nachträglich auch ganz allgemein für einen potentiellen Venusmond verwendet. "Die Schreckliche", wie man diesen Namen übersetzen kann, hatte aber kein langes Leben vor sich. Die Hypothese passt zwar zu den Daten, aber nur, wenn man sich - wie Houzeau es gemacht hat - die passenden Daten raussucht und die nicht passenden einfach ignoriert. Die belgische Akademie der Wissenschaften hat sich die Sache dann nochmal ganz genau angesehen und festgestellt, dass insbesondere die Beobachtungen, die damals in Kopenhagen gemacht worden sind, ganz einfach erklärt werden können. Die Venus stand zu den fraglichen Zeitpunkten in der Nähe unterschiedlicher Sterne, die Horrebrow und Roedkiær nicht also solche erkannt haben.
Optische Täuschungen, schlechte Teleskope und Fehler bei der Beobachtung: Am Ende geht die Geschichte des hypothetischen Venusmonds recht unspektakulär zu Ende. Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass unser Nachbarplanet ohne Mond ist. Spannend bleibt die Angelegenheit dennoch. Unsere Erde hat einen Mond, der Mars hat gleich zwei und die äußeren Planeten des Sonnensystems zum Teil mehr als hundert. Warum hat gerade die Venus, die doch der Erde ansonsten in Größe und Masse so ähnlich ist, keinen Mond? Die Antwort darauf lautet: Das wissen wir nicht. Es gibt natürlich diverse Spekulationen: Vielleicht hatte die Venus einen Mond, aber die Gezeitenkräfte zwischen den beiden haben dazu geführt, dass der Mond schon vor langer Zeit mit der Venus kollidiert ist? Vielleicht gab es in der Frühzeit des Sonnensystems eine große Kollision, die den Mond zerstört hat? Vielleicht waren die Bedingungen in der Umgebung der Venus nie so beschaffen, dass sich da ein Mond bilden hätte können? Es gibt sogar die Hypothese, dass Merkur, der sonnennächste und kleinste Planet und so wie die Venus ebenfalls ohne Mond in Wahrheit früher der Mond der Venus war. Und irgendein katastrophales Ereignis in der Frühzeit des Sonnensystems dazu geführt hat, dass er aus seiner Umlaufbahn geschleudert wurde.
Das Rätsel des Venusmondes ist mittlerweile gelöst. Den gibt es nicht. Aber das viel größere Rätsel der Nicht-Existenz des Venusmondes bleibt vorerst weiterhin ohne Antwort.
Sternengeschichten Folge 618: Hypatia von Alexandria
Hypatia von Alexandria ist eine Frau, über die wir mehr wissen, als man erwarten kann. Aber auch eine Frau, von der wir sehr viel weniger wissen, als wir wissen wollen und viel weniger wissen, als angesichts ihrer Arbeit angebracht wäre. Sie ist eine Frau, über die viele Dinge erzählt werden, bei denen wir gerne wüssten, ob sie stimmen und viele Dinge erzählt werden, von denen wir wissen, dass sie falsch sind. Hypatia wird oft als die "erste Astronomin" bezeichnet, was sie vielleicht gewesen sein könnte aber vermutlich nicht war. Am besten Bescheid wissen wir über ihren Tod, und das ist doppelt tragisch, denn dieser Tod war ein gewaltsames Ende und eigentlich war es ihr Leben, das Aufmerksamkeit verdient.
Fangen wir mal mit dem an, was wir tatsächlich wissen. Hypatia von Alexandria wird so genannt, weil sie in der ägyptischen Stadt Alexandria geboren wurde, dort gelebt und dort gearbeitet hat. Sie wurde um das Jahr 360 geboren, als diese Stadt an der Küste des Mittelmeers ihren Höhepunkt erlebt hat. Dort stand der Leuchtturm von Pharos, damals das höchste Bauwerk der Welt und eines der sieben Weltwunder der Antike. Dort stand das Museion, eines der wichtigsten Forschungszentren der Antike, mit der Bibliothek von Alexandria. Von Alexander dem Großen gegründet, wurde Alexandria über 300 Jahre lang von den hellenistischen Königen der Ptolemäer beherrscht, bevor die Stadt im Jahr 30 vor Christus von den Römern erobert wurde.
Hypatias Vater war Theon von Alexandria, ein Astronom und Mathematiker. Er lehrte und forschte, wahrscheinlich im Museion, das damals vermutlich noch existiert hat, aber da fangen die historischen Unsicherheiten schon an. Theon beschäftigte sich mit den Elementen des Euklid, eines der wichtigen mathematischen Texte der Antike (und weit darüber hinaus) und mit dem "Almagest", dem Hauptwerk der antiken Astronomie, verfasst von Claudius Ptolemäus, nach dem auch das geozentrische oder eben ptolemäische Weltbild benannt ist. Beide Bücher wurden von Theon ausgiebig erläutert, übersetzt, überarbeitet und bildeten die Grundlage seiner Lehr- und Forschungstätigkeit. Über Hypatias Mutter ist nichts bekannt, sicher ist aber, dass Hypatia von ihrem Vater entsprechend mathematisch und astronomisch ausgebildet worden ist.
Sie lernte auch Philosophie, allerdings wissen wir nicht, von wem - aber sie begann dann selbst, Unterricht in Mathematik und Philosophie zu geben. Wie das abgelaufen ist, ist allerdings wieder unklar. Vermutlich nicht im Rahmen einer offiziellen Einrichtung. Wenn ihr Vater tatsächlich im Museion gelehrt hat, dann hat Hypatia das mit Sicherheit nicht getan. Aber sie hatte Schüler, unter anderem Synesios von Kyrene, der unter anderem deswegen heute noch bekannt ist, weil er versucht hat, die Lehren des Christentum mit der damals vorherrschenden Philosophie des Platonismus zu vereinen. Denn, und das wird später auch wichtig werden: Die Zeit in der Hypatia gelebt hat, war aus religiöser Sicht ganz anders als heute. Insbesondere in Alexandria: Dort lebten viele Christen, aber auch Juden und viele, die den römischen und griechischen Glaubenslehren anhingen. Hypatia war so eine "Heidin", aber vorerst war das alles kein Problem. Hypatia hatte viele Christen unter ihren Schülern; der vorhin erwähnte Synesios von Kyrene war einer davon. Von ihm stammen auch eine der wenigen echten Quellen, die wir über Hypatia haben. Einige Briefe, die er an sie geschrieben hat, haben bis heute überdauert. In einem davon informiert er sie zum Beispiel über zwei Bücher, die er gerade verfasst hat und dass er Hypatias Meinung wirklich enorm schätzt, erkennt man an der Frage, die er ihr über die mögliche Veröffentlichung stellt. "Wenn du sagst, dass ich mein Buch veröffentlichen soll, dann werde ich es den Rednern und Philosophen gleichermaßen widmen. Den ersten wird es schmeicheln und für die zweiten wird es nützlich sein, vorausgesetzt, es wird nicht von dir abgelehnt, die du als einzige fähig bist, es zu beurteilen. Wenn du das Buch aber als unwürdig für griechische Ohren befindest, wenn du, wie Aristoteles, Wahrheit mehr als Freundschaft schätzt, dann wird es von Dunkelheit eingehüllt werden und die Menschheit wird davon nie wieder hören."
Sowas schreibt man nur, wenn einem die Meinung einer Person wirklich wichtig ist… Synesios war einer der wenigen Zeitzeugen, dessen Aussagen über Hypatia heute noch existieren. Er schrieb zum Beispiel auch, dass sie im Philosophenmantel durch die Stadt gezogen ist. Dort sprach sie "für alle, die zuhören wollten, öffentlich über die Lehren des Platon oder Aristoteles“. Es gibt aber noch eine zweite zeitgenössische Quelle, den Kirchengeschichtsschreiber Sokrates Scholastikos. Auch er war Christ und auch er fand in seiner Kirchengeschichte lobende Worte für Hypatia: „Es gab in Alexandria eine Frau mit Namen Hypatia, Tochter des Philosophen Theon, die in Literatur und Wissenschaft so erfolgreich war, dass sie alle Philosophen ihrer Zeit übertraf. Viele Hörer kamen von weither, um von ihr unterrichtet zu werden. Dank ihres souveränen Auftretens und ihrer eleganten Erscheinung erscheint sie häufig in der Öffentlichkeit in Gegenwart hoher Staatsbeamter. Sie scheut sich auch nicht, in öffentliche Versammlungen von Männern zu gehen. Alle Männer bewunderten sie dafür auf Grund ihrer außerordentlichen Würde und Tugend umso mehr.“
Nun, das mit der Bewunderung mag für Synesios und Sokrates Scholastikos gelten, aber für die anderen eher nicht, wie wir noch sehen werden. Ok, wir wissen jetzt also, dass Hypatia in Alexandria gelebt und dort offensichtlich erfolgreich Philosophie und Astronomie unterrichtet hat. Was sie da aber genau gelehrt oder selbst geforscht hat, wissen wir nicht. Es war damals auch eher unüblich, selbst neue philosophisch-wissenschaftliche Richtungen zu entwickeln; stattdessen ging es darum, die Lehrern von Platon, Aristoteles und den anderen griechischen Gelehrten zu interpretieren, kommentieren und zu vermitteln. Es ist auf jeden Fall kein Text überliefert, bei dem wir sagen könnten, dass er von Hypatia verfasst wird. Man geht aber davon aus, dass sie mit ihrem Vater Theon gemeinsam am Kommentar des Almagest von Claudius Ptolemäus gearbeitet hat. Das entsprechende Werk trägt immerhin den Titel "Kommentar von Theon von Alexandria zum dritten Buch von Ptolemäus' Almagest, überarbeitet von meiner Tochter Hypatia, der Philosophin". Genaue Analysen der Texte legen aber nahe, dass es Hypatia selbst war, die den Hauptteil des Textes verfasst hat. Von ihr stammt möglicherweise auch der Abschnitt, in dem verbesserte Rechenmethoden für die astronomischen Berechnungen des Ptolemäus vorgeschlagen werden. Sie hat vermutlich auch selbst Werke geschrieben, zum Beispiel über das Buch "Kegelschnitte", das Apollonios von Perge verfasst hat. Also die Ellipsen, Parabeln, Hyperbeln usw die man erhält, wenn man einen Kegel auf die richtige Weise durchschneidet. Dieser Apollonius hat auch die Grundlage der Planetenbewegung ausgearbeitet, die später von Ptolemäus in seinem Almagest zum geozentrischen Weltbild zusammengetragen wurde.
Eine berühmte Philosophin und Astronomin, die sich einerseits sehr gut in Mathematik auskennt, andererseits auch Werke über Kegelschnitte und Planetenbewegung verfasst hat. Da könnte man ja auf die Idee kommen, dass Hyptia vielleicht wusste, dass sich die Planeten in Wahrheit auf elliptischen Bahnen bewegen und nicht auf Kreisen… Und auf diese Idee sind auch Leute gekommen, allerdings in Romanen und Kinofilmen, wo Hyptia als unerkannte Vorläuferin von Kopernikus und Kepler dargestellt wird. Wofür es absolut keinen Beleg gibt; es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass Hypatia das geozentrische Weltbild in Frage gestellt oder eine eigenständige Planetentheorie entwickelt hat. Ebenso wenig stimmt es, dass Hypatia das Astrolabium oder die Armillarsphäre erfunden hat. Über diese frühen astronomischen Instrumente habe ich ja schon in Folge 181 mehr erzählt. Es waren keine Teleskope, aber damals sehr wichtige Geräte, um Positionen von Himmelskörpern zu bestimmen. Hypatia kannte sich natürlich damit aus und sie war in der Lage, solche Geräte selbst zu konstruieren, was sie vermutlich auch getan hat.
Also: Hypatia war eine gelehrte Frau in einer Welt, in der Frauen eigentlich keine Wissenschaftlerinnen sein konnten oder sollten. Aber sie konnte sich durchsetzen und es ist schade, dass wir nicht mehr von ihr und ihrer Arbeit wissen. Wir wissen, dass sie wahrscheinlich nie geheiratet und ihr ganzes Leben in Alexandria verbracht hat. Und wir wissen definitiv, dass sie dort gestorben ist. Die ganze Geschichte ist ziemlich komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Hypatia Opfer eines außer Kontrolle geratenen Religionstreit geworden ist. Kyrill von Alexandria war damals der christliche Bischof der Stadt. In dieser Position hat er Stimmung gegen die Juden gemacht, die in Alexandria gelebt haben. Es kam zu Streit, zu Kämpfen, zu Plünderungen, zu Mord. Dem römischen Statthalter, Orestes, hat das gar nicht gefallen, und er hat sich in diesen Streit eingemischt. Hypatia war als Freundin oder zumindest enge Bekannte von Orestes bekannt und darüber hinaus eine Heidin: Also ein ideales Feindbild für die Christen. Um seine Position durchzusetzen, holte Kyrill einen Haufen gewaltbereiter fanatischer Mönche aus umliegenden Wüstenklöstern in die Stadt und hetzte diesen Mob auf Hypatia um dadurch Orestes zu treffen. Hypatia wurde öffentlich und sehr gewaltsam umgebracht, in Stücke gerissen und verbrannt.
Das Wissen über Hypatia hat sich seitdem im Laufe der Jahrhunderte mit Legenden vermischt. Aber wenn wir all das weglassen und nur auf das schauen, was wir tatsächlich wissen, dann können wir trotzdem festhalten: Hypatia von Alexandria war eine bemerkenswerte Frau. Und es ist schade, dass wir nicht mehr über ihr bemerkenswertes Leben wissen.
Sternengeschichten Folge 617: Metriken der Raumzeit
In dieser Folge der Sternengeschichten wird es ein wenig mathematisch. Ich werde vielleicht Begriffe verwenden wie "Differentialgeometrie", "Metrischer Tensor" oder "Minkowski-Raum". Oder nicht, mal schauen. Aber keine Sorge: Ich werde mein Bestes geben, damit am Ende alle verstehen worum es geht und es lohnt sich, zu verstehen, worum es geht, denn es geht um nichts weniger als die Form des Universums.
Aber dafür müssen wir trotzdem mit der Metrik anfangen. Dieses Wort kann verschiedene Bedeutungen haben; in der Literatur beschreibt es das Versmaß von Gedichten, in der Musik die Art und Weise wie Noten betont werden und das ist zwar alles sehr spannend - wir bleiben aber trotzdem bei der mathematischen Bedeutung. Und da ist eine Metrik eine Funktion, die zwei Punkten im Raum eine Zahl zuordnet, die man als Abstand dieser beiden Punkte definieren kann.
Warum so kompliziert, mag sich jetzt der eine oder die andere denken. Wenn ich den Abstand zwischen zwei Punkten messen will, dann mess ich den halt einfach! Warum braucht es da eine Funktion, die eine Zahl "zuordnet", die als Abstand "definiert" werden kann? Weil es halt erstens nicht so einfach ist und wir zweitens genau sein wollen, immerhin geht es um das Universum.
Ja, ich kann ein Blatt Papier nehmen, zwei Punkte draufmalen und dann mit einem Lineal den Abstand messen. Aber wenn ich das tue, dann wende ich - aus mathematischer Sicht - die sogenannte "euklidische Metrik" an, benannt nach dem griechischen Gelehrten Euklid, der vor langer Zeit die Grundlagen der Geometrie erforscht hat. Wenn wir mit dem Lineal den Abstand zwischen den Punkten messen, dann messen wir ja eigentlich die Länge einer Linie, die die beiden Punkte verbindet. Ich kann jetzt aber sehr einfach mit dieser Linie ein rechtwinkeliges Dreieck konstruieren. Das erklärt sich in einem Podcast viel schwieriger als es in der Praxis ist. Aber wenn ich ausgehend von dem einem Punkt eine Linie ziehe, die parallel zur einen Seite des Blattes verläuft und ausgehend vom anderen Punkt eine Parallele zur anderen Blattseite, dann schneiden die sich in einem rechten Winkel. Und mit der Verbindungslinie zwischen den beiden Punkten kriege ich ein rechtwinkeliges Dreieck. Und was gilt bei einem rechtwinkeligen Dreieck? Genau, der Satz von Pythagoras, den wir alle aus der Schule kennen. a²+b²=c². Oder anders gesagt: Ich kann die Länge der Verbindungslinie berechnen, wenn ich die Länge der beiden anderen Seiten kenne und die kenne ich, weil ich ja weiß, wo die Punkte sind. Oder nochmal anders und mathematisch genauer gesagt: Aus den zweidimensionalen Koordinaten meiner beiden Punkte kann ich - mit dem Satz von Pythagoras - sehr leicht eine Funktion definieren, die mir als Ergebnis den direkten Abstand der Punkte liefert. Wer es genau wissen will: Wenn die Koordinaten der beiden Punkte x1/y1 und x2/y2 sind, dann beträgt der Abstand zwischen ihnen genau (x2-x1)² + (y2-y1)² und daraus noch die Wurzel.
Ich weiß, das waren jetzt schon viele Zahlen und Formeln. Aber wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, war es auch nicht schlimm. Und notwendig, weil wir dieses Konzept der Metrik wirklich brauchen, wenn wir die Form des Universums verstehen wollen. Beziehungsweise nicht dieses spezielle Konzept der euklidischen Metrik, aber die allgemeine Idee. Denn es gibt jede Menge Metriken! Das mag überraschend klingen - wieso braucht man mehr als eine Art, einen Abstand zu definieren? Entweder zwei Punkte sind 10 Meter voneinander entfernt oder nicht? Aber wie gesagt: So einfach ist es nicht. Stellt euch mal vor, ihr seid in New York, in Manhattan, wo die Straßen ein Gitter bilden. Wenn ich jetzt wissen will, wie weit es von einer Ecke in Manhattan zu einer anderen ist, dann hilft mir die euklidische Metrik wenig. Die gibt mir ja den direkten Abstand, also quasi die Luftlinie. Und wenn ich nicht mit dem Flugzeug unterwegs bin, dann hilft mir das nichts. Ich kann ja nicht schnurgerade durch die Stadt gehen, Hochhäuser raufklettern und wieder runter. Ich muss den Straßen und den rechten Winkeln folgen. Und brauche deswegen eine andere Funktion, mit der ich den Abstand berechnen kann beziehungsweise eine andere Metrik. Die heißt übrigens auch "Manhattan-Metrik" und hat tatsächlich Anwendungen abseits der Navigation durch amerikanische Großstädte, aber das würde jetzt zu weit führen.
Wir wollen uns ja um das Universum kümmern. Und auch da kommen wir mit der euklidischen Metrik nicht weit. Zuerst mal, weil das Universum kein zweidimensionales Blatt Papier ist. Wir haben drei Raumdimensionen, was aber noch kein Problem wäre. Das mit den Dreiecken und der euklidischen Metrik lässt sich problemlos auf drei Dimensionen erweitern. Aber der Raum ist ja nicht nur dreidimensional, sondern auch gekrümmt. Das wissen wir dank Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und das macht die Sache schwierig. Jede Masse krümmt den Raum und wir müssen trotzdem einen Weg finden, um die Abstände zu bestimmen.
Stellen wir uns nochmal das Blatt Papier vor. Nur legen wir es jetzt nicht flach auf den Boden, sondern streuen vorher noch nen Haufen unterschiedlich große Murmeln aus und legen das Blatt darauf. Jetzt wird es jede Menge Buckel im Papier geben und wir kommen mit den Dreiecken und dem Satz von Pythagoras nicht mehr weiter, wenn wir den kürzesten Abstand zwischen zwei Punkten messen wollen. Die Linien, die wir zwischen den Punkten ziehen, werden gebogen sein; wir können sie um die Buckel herum ziehen oder oben drüber - aber es ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, welche davon länger oder kürzer sind.
Dasselbe Problem haben wir auch beim Universum. Der Raum ist gekrümmt und im Prinzip an jedem Punkt unterschiedlich stark. In der Nähe von Sternen stärker als im leeren Weltraum; in der Umgebung von schwarzen Löchern so stark, dass wir uns schwer tun zu verstehen, was da abgeht. Und so weiter. Aber trotzdem wollen wir das irgendwie untersuchen können, zumindest mathematisch. Genau das war das Problem, vor dem Albert Einstein gestanden ist, als er seine Allgemeine Relativitätstheorie formuliert hat. Zu sagen: "Massen krümmen die Raumzeit" und "Objekte folgen bei ihrer Bewegung der Krümmung" ist das eine. Das auch mathematisch exakt aufzuschreiben, das andere. Aber am Ende hat Einstein es geschafft und das Ergebnis waren seine berühmten Feldgleichungen. Ich erspare es mir (und euch), die jetzt im Detail zu erklären. Aber im Wesentlichen ist ein Satz von mathematischen Gleichungen, bei denen auf der einen Seite ein Krümmungstensor steht und auf der anderen der Energie-Impuls-Tensor.
Und vor dem Wort "Tensor" muss man auch keine Angst haben, das ist eigentlich nur ein aufgemotzter Vektor. Und was ein Vektor ist, ist simpel. Ein Vektor ist eine Zahl mit einer Richtung. Ok, das ist vielleicht ein bisschen zu vereinfacht. Aber nehmen wir zum Beispiel die Geschwindigkeit. Wenn ich sage, dass ich mit 25km/h die Straße entlang fahre, dann meine ich normalerweise auch genau das: Gemessen an der Distanz die ich auf der Straße zurücklege, bewege ich mich mit 25km/h. Ich kann aber genau so gut sagen, dass ich mich gerade mit 17,7 km/h Richtung Norden und gleichzeitig mit 17,7 km/h in Richtung Westen bewege, nämlich dann, wenn die Straße exakt in Richtung Nordwesten verläuft. Auf der Straße interessiert mich das normalerweise nicht, aber ganz allgemein ist es durchaus sinnvoll, bei einer Geschwindigkeit nicht den absoluten Wert anzugeben, sondern den Anteil, mit dem man sich jeweils in eine der drei Raumrichtungen bewegt. Statt einer Zahl hat man also jetzt drei Zahlen, die man braucht, um zu sagen, wie schnell etwas ist und diese drei Zahlen zusammen sind ein Vektor.
Man kann das Konzept von Vektoren auch ohne physikalische Anwendung und ganz abstrakt definieren; man kann mit Vektoren rechnen wie mit normalen Zahlen; zumindest dann, wenn man die entsprechenden Rechenregeln kennt. Und so weiter. Und man kann das Konzept des Vektors noch erweitern. Einen Vektor kann man sich als eine Liste von Zahlen vorstellen, im Beispiel der Geschwindigkeit eben als Liste von drei Zahlen. Einen Tensor kriege ich, wenn ich aus der Liste eine Tabelle mache. Klingt kompliziert, aber stellen wir es uns so vor: Angenommen wir haben irgendein Material, das sich verformen lässt. Ich kann in der einen Richtung dran ziehen, in der anderen Richtung, ich kann es zusammendrücken, verdrehen, und so weiter. Es ist klar, dass auch hier die Richtung eine Rolle spielt. Vielleicht ist das Material sehr leicht zu dehnen, wenn ich in die eine Richtung ziehen, aber sehr schwer, wenn man an den anderen Seiten zieht? Will man das mathematisch beschreiben, dann muss man das Verhalten für jede Richtung definieren. Und um dieses Verhalten zu beschreiben, brauche ich im Allgemeinen ebenfalls mehr als nur eine Zahl, weil es zum Beispiel davon abhängt, wie schnell die Verformung abläuft und die Geschwindigkeit, wie wir ja schon wissen, ein Vektor mit drei Zahlen ist.
Um das Verzerrverhalten zu beschreiben kriege ich am Ende also einen Vektor, bei der jeder Eintrag selbst wieder ein Vektor ist. Oder, wenn ich das ganze ein wenig anders aufschreibe, eine Tabelle aus Zahlen, die in der Mathematik eine "Matrix" genannt wird. Oder, noch genauer, als "Tensor zweiter Stufe". Ein Vektor ist dann ein Tensor erster Stufe, weil die Zahlen hier - vereinfacht gesagt - nur eine Spalte bilden, während sie bei einer Matrix in Spalten und Reihen, also zweidimensional, organisiert sind. Eine simple Zahl, ohne irgendwas, wäre dann logischerweise ein Tensor nullter Stufe und nach oben kann man das auch beliebig erweitern. Ich kann meine Zahlen auch in einem dreidimensionalen Gitter anordnen, wenn das nötig ist und kriege einen Tensor dritter Stufe, und so weiter. Irgendwann kann man sich das nicht mehr vorstellen, aber mathematisch aufschreiben und damit rechnen ist kein Problem.
Aber jetzt wieder zurück zu Einstein und seinen Gleichungen. Mit simplen Zahlen kommt man da nicht weit, mit Vektoren auch nicht. Wir haben ja nicht nur einen dreidimensionalen Raum sondern genaugenommen eine vierdimensionale Raumzeit. Und wenn ich beschreiben will, wie die gekrümmt werden kann, dann muss man das so ähnlich anstellen, wie ich es gerade im Beispiel des verzerrten Materials erklärt habe. Nur dass es sehr viel komplizierter ist, natürlich. Am Ende kriegt man aber eben etwas, dass sich - nach einem italienischen Mathematiker - der "Ricci-Krümmungstensor" nennt. Und auf der anderen Seite der Gleichung steht der Energie-Impuls-Tensor, der beschreibt, wie viel Energie und Masse sich in einem bestimmten Punkt der Raumzeit befindet, beziehungsweise wie viel Energie und Masse durch diesen Punkt hindurch fließt. Das ganze Zeug im Universum ist ja dynamisch und das muss man berücksichtigen. Das ist jetzt alles enorm vereinfacht, aber im wesentlichen ist das das Herzstück von Einsteins Theorie: Eine Gleichung mit zwei Tensoren, einer beschreibt wie sich der Raum krümmt und der andere, wie viel Energie und Masse sich irgendwo befinden.
Eine Gleichung zu haben ist das eine. Sie zu lösen, das andere. Bei den Einsteinschen Feldgleichungen ist das alles andere als einfach. Aber wenn man sie löst, dann ist das Ergebnis eine Metrik. Also eine Funktion, die mir sagt, wie die Abstände in der Raumzeit berechnet werden. Und erinnern wir uns an den Anfang der Folge, als ich von der euklidischen Metrik und der Manhattan-Metrik erzählt habe. Je nachdem wie der Raum beschaffen ist - eine zweidimensionale Fläche oder ein Gitter aus Straßen - haben wir eine andere Metrik gebraucht. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn ich die Metrik kenne, kann ich daraus ableiten, wie die Geometrie des Raumes aussieht, die sie beschreibt. Wenn ich also die Einsteinschen Feldgleichungen löse und eine Metrik finden kann, dann kann ich daraus die Geometrie der Raumzeit ableiten oder anders gesagt: Die Form des Universums.
Das war jetzt sehr viel, aber auch sehr notwendige Mathematik um die Frage zu beantworten: Welche Form hat das Universum denn jetzt? Die Antwort lautet: Kommt drauf an. Es kommt darauf an, welche Annahmen man über den Energie-Impuls-Tensor trifft. Wüssten wir exakt, wie viele Masse und Energie an welchen Punkten des Universums existiert, dann - ok, könnten wir die Gleichungen immer noch nicht lösen, weil das absurd komplex wäre. Aber das wissen wir ja sowieso nicht. Alle bisherigen Lösungen der Einsteinschen Gleichungen gehen von stark vereinfachten Annahmen aus. Man kann zum Beispiel voraussetzen, dass die gesamte Materie und Energie komplett gleichmäßig in allen Richtungen im Universum verteilt ist. Das ist etwas, was zumindest in grober Näherung für das Universum das wir beobachten, korrekt ist. Da gibt es keine Ecken, in denen absurd viel mehr Galaxien zu finden sind als anderswo. Und wir können voraussetzen, dass sich die Abstände im Laufe der Zeit ändern können. Auch das basiert auf Beobachtungsdaten, nämlich der Beobachtung der Expansion des Universums. Wenn wir damit probieren, die Einsteinschen Gleichungen zu lösen, kriegen wir etwas, was sich Friedmann–Lemaître–Robertson–Walker-Metrik nennt, nach den vier Wissenschaftlern, die genau das getan haben. Mit dieser Metrik kann man unser reales Universum halbwegs gut beschreiben; wir kriegen einen expandierenden Kosmos, können aber leider immer noch nichts über dessen genaue Form aussagen. Darüber habe ich in Folge 398 der Sternengeschichten genauer gesprochen. Solange wir nicht auch wissen wie VIEL Materie und Energie insgesamt im Universum ist, wissen wir nicht, wie es als ganzes insgesamt gekrümmt ist oder ob es überhaupt gekrümmt ist. Anders gesagt: Wir wissen nicht, ob es das vierdimensionale Äquivalent einer Kugel oder eines Blatt Papiers ist.
Wir könnten auch sagen, dass das Universum gar keine Materie enthält. Das ist zwar offensichtlich falsch, macht aber die Berechnung einfacher und dann kriegen wie eine De-Sitter-Metrik beziehungsweise einen De-Sitter-Kosmos. Das klingt zwar nach einer unnötigen mathematischen Übung, aber solche De-Sitter-Modellen waren in der Anfangszeit der Kosmologie wichtig, um überhaupt irgendwie zu verstehen, wie die Feldgleichungen funktionieren. Und tatsächlich war das Universum ganz zu Beginn ja vielleicht wirklich näherungsweise ein De-Sitter-Raum, es hat ja ein paar Sekundenbruchteile gebraucht, bis die Materie entstanden ist.
Es gibt noch jede Menge andere Metriken, zum Beispiel die Anti-De-Sitter-Metrik, die uns schon mal bei der Folge 538 über das holografische Universum. Oder die Gödel-Metrik aus Folge 354: Da hat der Mathematiker Kurt Gödel vorausgesetzt, dass das Universum als ganzes rotiert und am Ende eine Metrik rausbekommen, nach der Zeitreisen möglich sind. Aber wie gesagt: Nur weil man das ausrechnen kann, folgt daraus nicht, dass es auch so ist. Einsteins Gleichungen sind enorm mächtig. Sie können nicht nur ein Universum beschreiben, sondern jede Menge. Und wir müssen uns noch sehr viel länger mit der Metrik beschäftigen, wenn wir wissen wollen, welches davon unser eigenes ist.
Sternengeschichten Folge 616: Verschwundene Sterne
Zwischen den 1950er und den 2020er Jahren sind ein paar tausend Sterne vom Himmel verschwunden. Das klingt mysteriös. Das ist auch ein wenig mysteriös, wie wir in dieser Folge hören werden. Aber um zu verstehen, was daran mysteriös ist, muss ich zuerst einmal erklären, worum es hier eigentlich geht.
Ein verschwindender Stern ist erstmal kein Rätsel. Wir wissen, dass Sterne nicht ewig existieren können. Wenn der Wasserstoff durch die Kernfusion in ihrem Inneren aufgebraucht ist, können sie nicht mehr so leuchten wie sie das Millionen oder Milliarden Jahre lang getan haben. Was dann passiert, habe ich hier schon oft erzählt. Je nach Masse des Sterns wird daraus entweder ein weißer Zwerg, ein Objekt so groß wie die Erde in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Oder aber es gibt eine Supernova-Explosion und übrig bleibt vom Stern nur noch ein schwarzes Loch oder ein Neutronenstern.
Dann ist der Stern zwar kein Stern mehr in dem Sinne, wie wir "Stern" definieren. Es handelt sich nicht mehr um ein Objekt, in dem für eine relevant lange Zeit durch Kernfusion Wasserstoff in Helium umgewandelt wird. Aber das, was aus dem Stern geworden ist, ist nicht unsichtbar. Weiße Zwerge sind zwar klein, aber sind immer noch enorm heiß und leuchten entsprechend. Wir können sie beobachten und haben sie auch beobachtet. Eine Supernova-Explosion gehört zu den hellsten Ereignissen im Universum, die kann man definitiv beobachten und wenn ein Neutronenstern übrig bleibt, ist der zwar vergleichsweise schwer zu sehen, aber auch das haben wir schon geschafft. Gut, ein schwarzes Loch kann man tatsächlich nicht sehen, zumindest nicht direkt. Aber die Supernova-Explosion die davor stattfindet, hätten wir eben nicht verpasst. Wenn zwischen 1950 und jetzt ein Stern also verschwindet, ohne das wir eine Supernova gesehen haben und auch keinen weißen Zwerg oder ähnliches sehen können, dann ist das durchaus etwas, was man sich genauer ansehen kann.
Im Jahr 2020 hat sich das Projekt VASCO gegründet, unter der Leitung der schwedischen Astronomin Beatriz Villarroel, zusammen mit diversen Forscherinnen und Forschern aus Schweden und Spanien. "VASCO" steht für "Vanishing and Appearing Sources during a Century of Observations", auf deutsch "Verschwundene und aufgetauchte Quellen während eines Jahrhunderts an Beobachtungen". Es geht dabei darum, alte Aufnahmen des Himmels mit neuen zu vergleichen und nach Unterschieden zu suchen. Das klingt einfach, ist aber am Ende doch ziemlich kompliziert.
Beim VASCO-Projekt hat man mit dem Palomar Observatory Sky Survey, kurz "POSS" begonnen. Das ist eine Himmelsdurchmusterung die zwischen 1948 und 1958 an der Palomar-Sternwarte in Kalifornien durchgeführt wurde. Warum man solche Durchmusterungen macht, habe ich ja schon in den Folgen 370 und 441 ausführlich erklärt. Aber es ist ja auch nicht schwer zu verstehen, warum man sich die Mühe macht, und einfach mal alles fotografiert, was man am Himmel sehen kann. Genau so wie wir Landkarten brauchen, brauchen wir auch möglichst gute Himmelskarten, wenn wir irgendwas in der Astronomie erreichen wollen. POSS hat den nördlichen Himmel komplett abgedeckt und dafür insgesamt 936 Fotoplatten belichten müssen. Digitale Aufnahmen gab es damals natürlich noch nicht. Heute aber schon und weil Durchmusterungen des Himmels so enorm wichtig für die Astronomie sind, haben wir sie immer wieder gemacht und mit immer besseren Instrumenten.
2019 wurde die Pan-STARRS DR2 Datenbank veröffentlicht, die immerhin schon 10 Milliarden Einträge enthält. Nicht alles davon sind Sterne und es gibt diverse zusätzliche Informationen. Aber es sind auf jeden Fall mehr und bessere Informationen enthalten als im alten POSS-Katalog. Und im 2022 veröffentlichten Gaia DR3 Katalog, der mit dem Weltraumteleskop GAIA erstellt wurde, finden sich tatsächlich 1,8 Milliarden Sterne, mehr als in jedem anderen Katalog zuvor. Diese drei Kataloge wurden im VASCO-Projekt abgeglichen. Und man kann sich vorstellen, dass das keine einfache Aufgabe ist. Das muss automatisiert werden und man muss natürlich berücksichtigen, dass zwischen den Aufnahmen früher und heute ein paar Jahrzehnte vergangen sind; man muss die Koordinatenangaben entsprechend umrechnen; muss berücksichtigen dass man es im einen Fall mit analogen Fotografien zu tun hat und in den anderen mit digitalen Daten, und so weiter. Man muss auch berücksichtigen, dass sich Sterne bewegen. Nicht so viel, dass es auf den Bildern groß auffällt, aber wenn man genau sein will - und das will man hier - dann muss man das beachten und darf nicht nur an der exakt selben Stelle des Himmels suchen. All das und noch viel mehr haben die Forscherinnen und Forscher entsprechend in automatische Such- und Abgleichprogramme eingebaut. Und nach einer ersten Analyse wurden immerhin 298.165 Objekte entdeckt, die im alten POSS-Katalog vorhanden waren, in den neuen aber nicht. Das sind ziemlich viele, aber nachdem man noch zusätzliche Daten aus weiteren Katalogen verwendet hat, konnte man die Zahl auf 9395 reduzieren. Fast 10.000 Sterne, die in den 1950er Jahren fotografiert wurden, waren in den modernen Katalogen nicht mehr zu finden.
Fast 10.000 verschwundene Sterne sind eine Menge. Im nächsten Schritt wurde also geschaut, ob es sich vielleicht bei manchen nicht um Sterne handelt, sondern um Asteroiden. Bei solchen Durchmusterungen geht es ja vor allem darum, möglichst viele und gute Bilder des Himmels zu machen. Die Zeit, all die Millionen Lichtpunkte auch im Detail zu analysieren hat man da nicht. Es kann also gut sein, dass ein paar der Lichtpunkte aus den alten Katalogen in Wahrheit Asteroiden unseres Sonnensystems waren, die sich dann natürlich weiterbewegt haben und in den neuen Datenbanken nicht mehr zu finden sind. Aber auch das kann man entsprechend prüfen und dieser Prozess hat die Zahl der verschwundenen Objekte auf 9206 reduziert.
Eine weitere Prüfung der Daten hat sich mit der Veränderlichkeit beschäftigt. Wie gut eine Durchmusterung ist, hängt ja auch von der Genauigkeit des Teleskops ab, mit dem sie gemacht wird. Es gibt jede Menge Sterne, die ihre Helligkeit periodisch verändern, wie ich in den Folgen 64 und 65 ausführlich erklärt habe. Wenn ein Stern zum Zeitpunkt der Aufnahme in den 1950er Jahren gerade hell genug war, um fotografiert zu werden und bei den modernen Durchmusterungen aber gerade in einer dunkleren Phase, dann kann es so aussehen, als wäre er verschwunden. Das war nach Abgleich diverser Datenbanken bei 35 der verschwundenen Objekten der Fall, es bleiben aber immer noch 9171 übrig.
Und dann gibt es ja noch die "Artefakte". Damit ist nichts außerirdisches gemeint, sondern schlicht alle möglichen Bildfehler, optischen Fehler, Kratzer auf den alten Fotoplatten, Fehler die beim Digitalisieren der Daten gemacht wurden, und so weiter. Diese Prüfung war sehr effektiv und hat die Zahl der verschwundenen Sterne auf 5579 reduziert.
Wer sich jetzt fragt: Wie ist das mit Satelliten? Die könnten ja auch auf einer alten Aufnahme drauf sein und auf einer neueren nicht. Prinzipiell ja. Aber der erste Satellit - Sputnik - wurde von uns erst 1957 gestartet und da war der überwiegende Teil der Aufnahmen des Palomar Observatory Sky Survey schon fertig.
Eine letzte Prüfung hat dann noch nach Sternen geschaut, die sich deutlich schneller bewegen als üblich und die sich in der Zeit zwischen den alten und neuen Durchmusterung überdurchschnittlich weit bewegt haben und dadurch von den automatischen Programmen nicht als derselbe Stern erkannt worden sind. Am Ende sind noch 5399 verschwundene Sterne übrig geblieben.
Und die sind das tatsächliche Rätsel. Bei diesen 5399 Objekten gab es keine simple Möglichkeit, zu erklären, warum sie auf den alten Bildern zu sehen sind, auf den neuen aber nicht. Aber es gibt natürlich ein paar komplexere Möglichkeiten. Es könnte sich um "Dunkle Supernovae" handeln - davon habe ich in Folge 544 ausführlich gesprochen. Also um Sterne, die so massereich sind, dass sie quasi direkt zu einem schwarzen Loch kollabieren. Sie haben gar keine Chance, bei einer Supernova hell zu explodieren. Wir wissen, dass es sowas theoretisch geben kann, aber auch, das so etwas sehr, sehr selten sein muss. Mehr als 5000 solcher dunklen Supernovae in den letzten Jahrzehnten: Das ist definitiv zu viel.
Es kann auch sein, dass der Gravitationslinseneffekt verantwortlich ist. Masse krümmt den Raum und Licht folgt der Raumkrümmung. Wenn zum Beispiel von uns aus gesehen eine ferne Galaxie und ein näherer Stern genau hintereinander stehen, kann das Licht der Galaxie so gekrümmt werden, dass uns die Galaxie deutlich heller erscheint als sie ist. Wenn sich der Stern - die Gravitationslinse - dann ein kleines Stückcken bewegt hat, ist alles wieder normal und die Galaxie verblasst. So was gibt es, sowas haben wir schon beobachtet - aber so etwas erkennen wir normalerweise auch.
Was ist mit Aliens? Die sind natürlich auch als Erklärung angeführt werden. Ja, theoretisch kann man sowas wie eine Dyson-Sphäre bauen, eine Hülle um einen Stern herum, um dessen gesamte Energie zu nutzen. Und wenn ich "theoretisch" sage, dann meine ich, dass wir uns sowas vorstellen können, nicht, dass wir auch annähernd in der Lage dazu wären. Und abgesehen davon, dass so eine Dyson-Sphäre auch nicht unsichtbar ist, wäre es schon ein wenig überraschend, wenn da gleich ein paar tausend von den Dingern in den letzten Jahrzehnten fertiggestellt worden wären.
Am wahrscheinlichsten ist es, dass es sich bei den "verschwundenen" Sternen um Sterne handelt, die sehr stark veränderlich sind. Also Sterne, die damals gerade extrem hell waren und später extrem dunkel. Es gibt ja wirklich viele Sterne da draußen und wir wissen bei den allermeisten von ihnen kaum Details, weil wir schlicht und einfach nicht alle im Detail erforschen können.
Wir können also davon ausgehen, dass die verschwundenen Sterne in Wahrheit gar nicht verschwunden sind. Sondern ihre Helligkeit stärker verändern oder sich schneller bewegen also wir das mitgekriegt haben. Was nicht bedeuten soll, dass das ganze VASCO-Projekt Zeitverschwendung ist. Ganz im Gegenteil: Gerade wenn wir etwas wirklich neues entdecken wollen, müssen wir solche großangelegten Datenvergleiche durchführen. Irgendwann wird vielleicht einmal ein Stern verschwinden, bei dem wir das WIRKLICH nicht mehr erklären können, und dann wird es spannend werden…
Sternengeschichten Folge 615: Astronomische Poesie
Die Beschäftigung mit den Sternen, den anderen Himmelskörpern, den Galaxien und dem Rest des Universums ist nicht nur Wissenschaft. Von Anfang an war der Himmel und das, was dort passiert, auch etwas, was Kunst, Literatur, Religion und so gut wie alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens beeinflusst hat. Ich habe in früheren Folgen schon öfter über die Mythen des Sternenhimmels oder über die religiösen Aspekte der Astronomie gesprochen. Und natürlich auch über Science Fiction, den Bereich, wo Astronomie und Literatur bzw. Film am direktesten aufeinandertreffen. Aber heute möchte ich ein Blick auf die Poesie werfen. Wer nach Gedichten mit astronomischen Hintergründen sucht, wird schnell fündig werden. Nehmen wir zum Beispiel das, was Friedrich Schiller im Jahr 1797 unter dem Titel "An die Astronomen" veröffentlicht hat. Was hat der große Dichter und Denker der Astronomie zu sagen? Das hier:
"Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen, Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt? Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume, Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.."
Gut - ich will hier jetzt keine Gedichtinterpretation machen. Aber natürlich muss ich da dem guten Schiller schon ein wenig widersprechen. Wenn es nach mir geht, kann gar nicht genug von Nebelflecken und Sonnen geschwatzt werden. Aber immerhin hat er recht damit, wenn er sagt, dass unser Gegenstand, die Astronomie, "der erhabenste im Raume" ist. Die Astronomie IST die beste Wissenschaft, was sonst. Wenn ich vermuten wollen würde, was Schiller damit meint, dann etwas in der Art von: Die wissenschaftliche Erforschung der Welt ist das eine, aber über diese materielle Forschung hinaus gibt es das "Erhabene", dass von der Wissenschaft nicht erfasst werden kann. Oder so irgendwie. Das geht in eine ähnliche Richtung wie der Teil des Gedichts "Lamia" des britischen Autors John Keats. 1819 hat er dort geschrieben:
„Denn flieht nicht aller Zauber vor den Tücken Nüchterner Denkungsart? Da war einmal Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal: Jetzt kennt man sein Gewebe, seinen Bau, Die Wissenschaft erklärte ihn genau Und rubrizierte ihn wie andre Dinge. Philosophie wirft ihre kecke Schlinge Um Engelsschwingen und um Zauberpracht In Luft und Bergesschoß und Meeresnacht, Zerreißt die Wunder.“
Keats beschwert sich darüber, dass die Welt weniger spannend wird, wenn die Wissenschaft sie nüchtern erklärt. Aber ich denke, da irrt er sich und sowohl Keats als auch Schiller würden die Sache vermutlich anders sehen, wenn sie heute leben würden und sehen könnten, was wir für fantastische Dinge herausgefunden haben. Ja, es gilt immer noch, das die Wissenschaft die Wissenschaft ist und die Kunst die Kunst. Und die Vermittlung von Wissenschaft muss noch viel aufholen. Aber dass das Universum da draußen nicht nur wissenschaftlich erforscht sondern auch schlicht und einfach wunderbar gefunden werden kann, sollte heute klar sein. Ebenso klar ist es meiner Meinung nach auch, dass die Wunder nichts von ihrer Faszination verlieren, wenn man sie verstanden hat. Oder, um den Physiker Richard Feynman zu zitieren: Es kommt immer nur Schönheit dazu!
Aber eigentlich soll sich diese Folge ja nicht mit Wissenschaftskritik in Gedichtform beschäftigen, sondern mit astronomischer Poesie. Schillers Freund Johann Wolfgang Goethe war nicht nur ein großer Dichter sondern auch Naturforscher. Er hat den Mond mit dem Teleskop betrachtet (unter anderem gemeinsam mit Schiller) und natürlich auch Gedichte darüber geschrieben. 1778 sogar eines, das den Titel "An den Mond" trägt; mir ein bisschen besser gefällt sein Werk aus dem Jahr 1828 mit dem Titel "Dem aufgehenden Vollmond", das mit folgenden Zeilen beginnt:
“Willst du mich sogleich verlassen? Warst im Augenblick so nah! Dich umfinstern Wolkenmassen, Und nun bist du gar nicht da."
Da kann man natürlich viel hinein interpretieren, auch nicht-astronomische Themen. Aber alle, die sich schon mal auf die astronomische Beobachtung gefreut haben und dann vor einem wolkigen Himmel gestanden sind, können nachvollziehen, was Goethe da schreibt.
Es gibt aber auch Gedichte, die wissenschaftliche Erkenntnisse sehr direkt widerspiegeln. Zum Beispiel den schönen Text "Der Mondberg-Uhu" von Christian Morgenstern:
“Der Mondberg-Uhu hat ein Bein, sein linkes Bein, im Sonnenschein. Das rechte Bein jedoch des Vogels bewohnt das Schattenreich des Kogels. Bis hundertfunfzig Grad im Licht gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht), im Dustern andrerseits desgleichen dasselbe mit dem Minuszeichen. Sein Wohl befiehlt ihm (man versteht), daß er sich stetig ruckweis dreht. Er funktioniert wie eine Uhr und ist doch bloß ein Uhu nur.”
Ein Uhu, der auf einem Berg am Mond steht, scheint nicht viel mit Wissenschaft zu tun zu haben. Morgenstern schreibt aber über die Temperatur auf dem Mond. Das war eine Frage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Gedicht erschien, noch nicht ganz geklärt war. Denn wie soll man das aus der Ferne messen? Der britische Forscher John Herschel hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts probiert, die Infrarotstrahlung des Mondes zu beobachten. Also die Wärme, die vom Mond abgestrahlt wird, woraus man seine Temperatur berechnen kann. Das ist gar nicht so einfach, aber Herschel kam zu dem Schluss, dass Mondgestein im direkten Sonnenlicht enorm heiß sein muss, weit über 100 Grad. Der amerikanische Wissenschaftler Samuel Pierpont Langley war anderer Meinung, seine Messungen legten nahe, dass die Mondoberfläche nur wenig über Null Grad Celsius warm ist.
Genau das sind die Positionen, die in Morgensterns Gedicht auftauchen: Bis hundertfünfzig Grad im Licht, gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht). Heute wissen wir, dass Herschel Recht hatte. Die Höchsttemperatur des Mondes im Sonnenlicht liegt bei circa 130 Grad, in der Nacht kann es auf -160 Grad abkühlen.
Die Verbindung zwischen Poesie und Astronomie funktioniert aber auch andersrum. Anstatt wissenschaftliche Erkenntnisse in Gedichtform zu packen, kann man auch probieren, astronomisches Wissen aus der Poesie zu extrahieren. Das hat man zum Beispiel bei der antiken Dichterin Sappho probiert, die vor mehr als 2500 Jahren auf der griechischen Insel Lesbos gelebt hat. Es sind nur wenige ihrer Gedichte erhalten, aber in einem davon wird es definitisch astronomisch:
"Untergegangen sind der Mond Und die Plejaden. Es ist Mitternacht, Die Stunden vergehen. Ich aber schlafe allein."
Das ist der Anfang des "Mitternachtsgedichts" und wie es weitergeht, wissen wir nicht - mehr ist nicht erhalten. Und das ist natürlich nur die deutsche Übersetzung des originalen Textes und es gibt viele Möglichkeiten, das zu übersetzen. Trotzdem ist klar: Sappho erzählt hier nicht nur darüber, dass sie in besagter Nacht alleine schlafen muss, sondern hat davor auch zum Himmel geschaut. Vielleicht hat sie auf die Person gewartet, die sie gerne in ihrem Schlafzimmer gehabt hätte und dabei Mond und Sterne betrachtet? Das werden wir nicht herausfinden, Forscherinnen und Forscher haben aber probiert, ob sie vielleicht rauskriegen können, wann Sappho in der Nacht gewartet hat. Immerhin gibt es ja ein paar halbwegs konkrete Angaben: Es ist Mitternacht, der Mond war zu sehen, ist es jetzt aber nicht mehr und gleiches gilt für den Sternhaufen der Plejaden. Das Ergebnis: Irgendwann zwischen dem 25. Januar und dem 31. März. In dem Zeitraum kann man den Himmel auf der Insel Lesbos so sehen wie in Sapphos Gedicht. Das Jahr kann man damit natürlich nicht bestimmen und genaugenommen ist der Rest auch ein wenig zweifelhaft.
Das, was in der deutschen Übersetzung "Mitternacht" heißt, muss zum Beispiel überhaupt nichts damit zu tun haben, was wir heute unter dem Begriff verstehen. Es war damals nicht unüblich, die Nacht in drei Abschnitte zu unterteilen und das, was Sappho im Original meint, wäre besser mit "im zweiten Drittel der Nacht" übersetzt anstatt mit "Mitternacht". Am Ende ist es ein Gedicht über Einsamkeit und kein astronomisches Beobachtungsprotokoll und genau so sollte man meiner Meinung nach ingesamt mit dem Thema der astronomischen Poesie umgehen.
Die Sterne, die Nacht, der Mond und die Sonne: All das ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch Inspiration. Wir wollen das Universum verstehen, aber wir wollen uns davon auch verzaubern lassen. Je nach persönlicher Einstellung können verstehen und verzaubern identisch sein oder nicht. Aber wenn wir Gedichte schreiben, dann wollen wir meistens unsere Emotionen ausdrücken. Und manchmal kann man dafür eben auch die Astronomie verwenden, so wie es der deutsche Dichter Friedrich Rückert in seinem wunderbaren Gedicht "Du bist mein Mond" getan hat, mit dem ich diese Folge auch beenden möchte:
"Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Du sagst, du drehest dich um mich. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich werde In meinen Nächten hell durch dich.
Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Sie sagen, du veränderst dich. Allein, du änderst nur die Lichtgeberde, Und liebst mich unveränderlich.
Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Nur mein Erdschatten hindert dich, die Liebesfackel stets am Sonnenherde Zu zünden in der Nacht für mich."
Sternengeschichten Folge 614: Die Vela-Supernova
"Ein außergewöhnlich langer Strahl aus extrem schwachen Licht." So lautet der Eintrag mit der Nummer 3145 in einer sehr langen Tabelle, die der britische Astronom John Herschel im Jahr 1847 veröffentlicht hat. Die Beobachtungen dazu hat er aber schon am 1. März 1835 durchgeführt und zwar als er einige Jahre in Südafrika verbrachte, um dort den Himmel der südlichen Hemisphäre zu katalogisieren. Auf den ersten Blick ist dieser Eintrag jetzt nicht sonderlich spektakulär. Herschel hat in den Jahren zwischen 1834 und 1838 nicht nur jede Menge Sterne sondern auch Sternhaufen und "Nebel" beobachtet und klassifiziert. Und einer dieser vielen, vielen Nebel war eben der, der aussieht wie ein "außergewöhnlich langer Strahl aus schwachem Licht". Später wurde dieser "Bleistiftnebel", wie man das Objekt wegen seiner Form genannt hat, dann auch von anderen und mit besseren Teleskopen beobachtet. Bis man aber herausgefunden hat, worum es sich dabei handelt, hat es noch ein wenig gedauert.
Der Bleistiftnebel - der auf den modernen Aufnahmen eher wie ein Besen aussieht und deswegen auch ab und zu "Hexenbesen" genannt wird - ist nur eine von vielen nebligen Strukturen in dieser Himmelsregion und sie alle zusammen sind das Resultat einer gewaltigen Explosion, die dort vor langer Zeit stattgefunden hat. Eine Explosion, durch die wir überhaupt erst gelernt haben, was mit diesen Explosionen überhaupt los ist, warum sie stattfinden und was sie für Folgen haben.
Fangen wir aber am besten mal mit den grundlegenden Dingen an. Den Bleistiftnebel hat Herschel im "Segel des Schiffs" entdeckt. So heißt ein Sternbild des Südhimmels, das im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, als man das antike Sternbild "Argo Navis" auseinander genommen hat. Argo war ein Schiff; das Schiff der Argonauten aus den griechischen Mythen. Da es den modernen Astronomen aber zu viel Platz am Himmel eingenommen hat, hat man es in drei neue Sternbilder unterteilt: Carina, den "Kiel des Schiffs", Puppis, das "Achterdeck des Schiffs" und Vela, das "Segel des Schiffs". Alle drei gehören auch heute noch zu den offiziellen Sternbildern und ich erzähle das vor allem deswegen, weil wir den Begriff "Vela" im folgenden noch sehr oft brauchen werden. "Vela" ist der latenische Begriff für "Segel" und so wie es in der Astronomie üblich ist beziehungsweise damals noch viel mehr üblich war, bekommen Himmelsobjekte eine Bezeichnung, die sich unter anderem zusammensetzt aus dem lateinischen Begriff des Sternbilds, in dem sie am Himmel zu sehen sind.
Und deswegen hat der Astronom Henry Risbeth dann auch die Bezeichnungen Vela-X, Vela-Y und Vela-Z verwendet, als er 1958 genau in der Region des Bleistiftnebels drei sehr starke Quellen von Radiostrahlung entdeckt hat. Der sowjetische Astronom Iossif Schklowski hat diese Objekte dann 2 Jahre später in einer Arbeit erwähnt, die den vielversprechenden Titel "Die Natur der Supernovae" trägt. Heute wissen wir ja schon recht gut, worum es sich dabei handelt: Um die gewaltigen Explosionen am Ende eines Sternenlebens. Wir unterscheiden zwei grundlegend unterschiedliche Arten. Supernovae vom Typ I, bei denen zwei Sterne einander umkreisen. Der eine ist schon am Ende seines Lebens angekommen und hat kein Material für die Kernfusion mehr. Wenn jetzt aber der andere Stern recht nahe ist, kann von dort neuer Wasserstoff auf den schon toten Stern gelangen, wodurch die Kernfusion jetzt erneut und enorm heftig einsetzt: Der Stern explodiert.
Supernovae vom Typ II entstehen, wenn sehr massereiche Sterne das ganze Material in ihrem Inneren für die Kernfusion verbraucht haben. Wenn die dann aufhört und keine Energie mehr von innen nach außen dringt, kollabiert der ganze Stern unter seinem eigenen Gewicht und das passiert so schnell und heftig, dass gewaltige Energiemengen frei werden und der Stern ebenfalls explodiert. Übrig bleibt, wenn überhaupt, nur ein sehr kleiner aber dafür sehr dichter und massereicher Rest, ein Neutronenstern; ein Objekt so schwer wie die Sonne, aber nur ein paar Dutzend Kilometer groß.
Damals, in den 1960er Jahren, waren die Grundprinzipien dieser Vorgänge zwar auch schon bekannt, aber das Thema war doch noch vergleichsweise neu und es gab viele offene Fragen. Aus seiner Untersuchung der Strahlung von Vela-X, Vela-Y und Vela-Z, zusammen mit den Daten über die ganzen nebelartigen Dinger in der Region konnte Iossif Schklowski aber bestimmen, dass dort genau so eine vorhin beschriebene Supernova vom Typ II stattgefunden haben muss. Der Bleistiftnebel und die anderen Wolken, die man dort sehen kann, sind die Überreste des Sterns, die bei der Explosion ins All geschleudert werden. Und die Radioquellen gibt es, weil die Sternenreste nicht langsam und friedlich durchs All wabern, sondern mit enormer Geschwindigkeit durch die Gegend sausen. Dabei leuchtet das Material und es leuchtet auch im Radiolicht.
Noch besser konnte man die Sache dann in den 1970er Jahren verstehen, denn da gab es die ersten guten Röntgendaten über die Region in Vela. Röntgenastronomie ist ja schwierig; viele Himmelsobjekte und Prozesse erzeugen Röntgenstrahlung, aber die ist nicht in der Lage, die Atmosphäre der Erde zu durchdringen. Heute haben wir gute Weltraumteleskope, die Röntgenastronomie betreiben können. Aber damals war die Sache noch ein wenig schwieriger. Zwei wissenschaftliche Arbeiten aus dem Jahr 1971 beschreiben, wie man vorgehen musste. Man packte Röntgendetektoren auf Raketen, die recht martialische Namen tragen, in dem Fall Nike-Tomahawk und Terrier-Sandhawk. Das war kein Zufall, denn diese Raketen waren tatsächlich eigentlich Boden-Luft-Raketen, die von Kampfschiffen aus abgefeuert wurden. Die hat man dann aber auch als untere Stufe für Höhenforschungsraketen benutzt, um so etwas wie Röntgenstrahlung aus dem All zu messen. So oder so ist es damit gelungen zu zeigen, dass aus den nebligen Überresten der Vela-Supernova starke Röntgenstrahlung kommt. Sehr stark; mehr als man fast überall sonst am Himmel messen konnte. Das hat aber genau zu dem gepasst, was drei andere Astronomen schon 1968 entdeckt haben. Mit dem Radioteleskop der Universität Sydney konnte man in der Gegend der Vela-Supernova einen Pulsar finden. Davon habe ich ja in Folge 142 schon sehr ausführlich erzählt. Diese Himmelskörper waren damals noch sehr neu, zumindest für uns. Erst ein Jahr vor der Beobachtung in Australien hat die britische Astronomin Jocelyn Bell überhaupt erst entdeckt, das es sowas wie Pulsare überhaupt gibt. Sie konnte extrem starke und vor allem extrem periodische Radiosignale vom Himmel empfangen, so regelmäßig, dass man kurzfristig sogar dachte, es könnten Botschaften von Aliens sein.
Waren sie aber nicht; was die Pulsare aber tatsächlich waren, war zu der Zeit noch ein wenig unklar. Es gab die Vermutung, es könnte sich um sehr schnell rotierende Neutronensterne handeln. In den äußeren Bereichen dieser Objekte wird jede Menge Radio- und Röntgenstrahlung erzeugt und Neutronensterne haben auch ein starkes Magnetfeld, dass diese Strahlung quasi fokusiert. Wenn der Neutronenstern jetzt gerade so rotiert, dass die magnetischen Pole in Richtung Erde zeigen, kriegen wir dort periodische Signale zu sehen. Wie der Lichtkegel eines Leuchturms streicht der Strahlungskegel des Neutronensterns dann bei jeder Rotation einmal über die Erde.
Klingt alles sehr plausibel. Aber damals wusste man nicht, ob das auch wirklich so ist. Geändert hat das erst die Erforschung der Vela-Supernova. Der Fachartikel, den die australischen Forscher geschrieben haben, trägt den Titel "Ein Pulsar-Supernova-Zusammenhang?" und stellte fest, dass der neu entdeckte Pulsar genau da sitzt, wo man schon vorher die nebligen Reste der Supernova gefunden hat. Wo also vermutlich ein Neutronenstern sein muss. Und dass das jetzt doch ein wirklich guter Beleg dafür sein könnte, dass Pulsare tatsächlich schnell rotierende Neutronensterne sind. Und so war es dann auch. Der Vela-Pulsar - wie er heute genannt wird - ist das, was vom kollabierenden Stern übrig geblieben ist und der Bleistiftnebel und die anderen Wolken dort sind das, was dieser Stern bei seiner Explosion hinaus ins All geschleudert hat.
Aus der Geschwindigkeit, mit der sich diese Reste bewegen und aus dem Raum, den sie derzeit einnehmen kann man auch - zumindest grob - zurückrechnen, wann sie sich auf den Weg gemacht haben, also wann die Supernova stattgefunden hat. Nämlich vor ungefähr 19.000 Jahren, es kann aber auch ein paar 1000 Jahre früher oder später gewesen sein; so genau sind die Daten leider doch nicht. Aber auf jeden Fall war das zu lange her, als das wir davon irgendwo alte Aufzeichnungen finden könnten. Und auch sonst nichts: Der Vela-Pulsar ist mit einer Entfernung von gut 1000 Lichtjahren zwar vergleichsweise nahe, zumindest wenn es um große Supernova-Explosionen geht. Aber es besteht keine Chance, dass irgendwas von dem Material das die Explosion ins All geschleudert hat, auf die Erde gelangt ist. Es bewegt sich zwar schnell, aber natürlich nicht mit Lichtgeschwindigkeit und 1000 Lichtjahren sind, was das angeht, eine sehr große Distanz. Es kann sein, dass wir in der Vergangenheit ein bisschen mehr Gammastrahlung abbekommen haben, die von der Vela-Supernova stammt - aber auch das hat vermutlich keine großen Auswirkungen gehabt.
Die Auswirkungen der Supernova auf die Wissenschaft waren dagegen sehr viel größer. Nicht nur, dass wir dadurch verstanden haben, wie Pulsare und Neutronensterne zusammenhängen. Auch in Zukunft werden wir noch viel vom Vela-Pulsar lernen können. Wir beobachten dort nämlich immer wieder sogenannte "Glitches". So nennt man ein Phänomen, bei dem sich die Rotationsgeschwindigkeit eines Pulsars kurzfristig erhöht und dann wieder langsamer wird. Eigentlich rotiert so ein Pulsar ja extrem regelmäßig. Extrem schnell - ein paar hundert bis tausend Umdrehungen pro Sekunde oder noch mehr sind völlig normal - aber eben auch sehr regelmäßig. Über lange Zeiträume hinweg verliert der Pulsar Schwung und wird langsamer, aber bei einem Glitch passiert etwas anderes. Die Rotationsgeschwindigkeit wird um circa ein Millionstel schneller, bleibt ein paar Dutzend Sekunden lang auf diesem erhöhten Wert, bevor sich die Geschwindigkeit dann in den nächsten paar Monaten wieder dem normalen Wert annähert. Wir vermuten, dass das irgendwas mit den Vorgängen im Inneren des Neutronensterns zu haben muss und mit den extremen Zuständen, die die Materie dort haben muss. Aber wirklich erklären können wir das noch nicht; dazu verstehen wir diese extremen Zustände zu wenig und wissen auch noch zu wenig über die Natur der Neutronensterne. Aber der Vela-Pulsar ist - neben einem anderen, dem Pulsar im Krebsnebel - der einzige, bei dem wir schon mehrere dieser Glitches beobachten konnten. Der Vela-Pulsar schickt auch immer wieder Mal Gammastrahlung mit überraschend hoher Energie ins All, mehr als man von einem Objekt dieser Art erwarten würde. Das hat vermutlich mit spontanen Änderungen seines Magnetfeldes zu tun, aber auch hier wissen wir noch nicht Bescheid. Aber wenn wir irgendwann Bescheid wissen, was im Inneren eines Neutronensterns passiert, dann werden wir das mit Sicherheit den Beobachtungen des Vela-Pulsars zu verdanken haben. Nicht schlecht für etwas, das mit einem langen Strahl aus extrem schwachen Licht angefangen hat.
Sternengeschichten Folge 613: Das abenteuerliche Leben der Quallen-Galaxien
Wer schon einmal eine Qualle gesehen hat, die nicht tot und matschig irgendwo am Strand liegt, sondern durchs Meer eher schwebt anstatt zu schwimmen wird zustimmen: Diese Lebewesen sehen nicht so aus, als würden sie auf die Erde gehören. Mit ihren bunten Farben, transparenten Körpern, Tentakeln und wallend-schwebenden Bewegungen wirken sie definitiv außerirdisch und nicht von dieser Welt. Nun gibt es natürlich absolut keine Hinweise, dass es sich bei Quallen tatsächlich um Aliens handelt. Diese Tiere sind Teil des Lebens auf der Erde und so wie alles andere durch die Evolution entstanden. Und damit lassen wir die Biologie jetzt beiseite. Die ist zwar durchaus spannend - aber ich will etwas über Astronomie erzählen. Und so spektakulär es auch wäre, wenn ich jetzt von außerirdischen Quallen in den Ozeanen fremder Planeten berichten könnte: Darum geht es leider nicht. Es geht stattdessen um Galaxien und zwar eine ganz besondere Art von Galaxien, die man "Jellyfish galaxies" oder auf deutsch "Quallengalaxien" nennt.
Wenn man sich ein Bild von so einer Galaxie ansieht, dann sieht man schnell, warum sie so bezeichnet werden. Ich empfehle, im Internet nach einem Bild der Galaxie mit der Bezeichung IC 5337 beziehungsweise JW100 zu suchen. Oder die Galaxie ESO 137-001. In beiden Fällen sieht man eine Galaxie, die auf den ersten Blick in etwa so aussieht, wie man sich das vorstellt: Eine große Scheibe aus Sternen. Auf den zweiten Blick erkennt man aber tentakelartige Auswüchse die blau und rosa-rötlich leuchten und sich von der Scheibe weit hinaus ins All erstrecken. Insgesamt schauen die Galaxien tatsächlich so aus wie gigantische Quallen, die durch die Weiten des Weltraums treiben.
Abgesehen vom äußerst ansprechenden ästhetischen Eindruck dieser Galaxien erzählen uns diese kosmischen Quallen aber auch einiges darüber, was einer Galaxie im All so passieren kann. Die Jellyfish-Galaxien sind ein sehr beeindruckender Beleg dafür, dass selbst so etwas gewaltiges wie eine Galaxie aus hunderten Milliarden von Sternen nicht isoliert von ihrer Umgebung existieren. Davon kann man durchaus überrascht sein, denn immerhin sind Galaxien ja nicht nur enorm groß; zwischen ihnen ist auch enorm viel Platz. Unsere Milchstraße hat zum Beispiel eine Ausdehnung von circa 100.000 Lichtjahren. Bis zur nächsten Nachbargalaxie, der Andromeda, sind es aber immer noch gut 2,5 Millionen Lichtjahre. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass da keinerlei Einflussmöglichkeit zwischen den Galaxien besteht.
Die Realität sieht aber anders aus. Ich habe in diversen Folgen ja schon davon erzählt, dass Galaxien eben gerade keine isolierten Objekte sind. Sie bilden Haufen und Gruppen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden, die die Galaxien aufeinander ausüben. Die Milchstraße und die Andromeda sind zum Beispiel mit jeder Menge anderer Galaxien Teil der "Lokalen Gruppe", von der ich in Folge 371 ausführlich erzählt habe. Und diese Galaxienhaufen finden sich zu noch größeren Ansammlungen zusammen, den Superhaufen. Und ich habe auch schon oft erzählt, dass das leere All nicht wirklich komplett leer ist. Zwischen den Sternen, zwischen den Galaxien und zwischen den Galaxienhaufen ist zwar nicht viel, aber eben nicht Nichts. Dort finden wir die interstellare Materie oder, im Falle der Galaxienhaufen, das sogenannte Intracluster-Medium, von dem ich in Folge 579 mehr erzählt habe. Das sind zwar, vereinfacht gesagt, nur ein paar Atome hier und da, aber auch das kann Auswirkungen haben, wie wir noch sehen werden.
Also: Die Galaxien beeinflussen sich erstens gegenseitig durch ihre Gravitationskraft und bilden Gruppen. Und zweitens ist der Raum zwischen ihnen nicht leer. Schauen wir also mal so eine Galaxie an, die sich in einem Galaxienhaufen befindet. Sie bewegt sich, angetrieben durch die Gravitationskraft der anderen Galaxien und sie bewegt sich durch das Intracluster-Medium, also das extrem dünne Gas, das sich zwischen den Galaxien befindet. Was jetzt passiert, kennen wir aus dem Alltag. Dazu kann man sich zum Beispiel auf ein Fahrrad setzen und - gerne etwas schneller - losradeln. Dann wird man den Fahrtwind spüren und der wird einem die Haare nach hinten wehen lassen (sofern man Haare in ausreichender Länge hat natürlich). Galaxien haben keine Haare, aber die Sache mit dem Fahrtwind ist eine gute Analogie. Die Teilchen aus dem Intracluster-Medium treffen auf die interstellare Materie. Also all das Zeug, dass sich IN den Galaxien, zwischen den Sternen befindet. Das wird quasi gebremst und bleibt zurück, während die Galaxie sich weiter durch das Intracluster-Medium bewegt. So entstehen lange Ströme aus Gas und es ist Gas, dass durch diesen Vorgang ordentlich durchgewirbelt worden ist. Das kann dazu führen, dass sich das Gas zusammenballt zu Gaswolken, die dann kollabieren und so dicht werden, dass Kernfusion einsetzt. Oder anders gesagt: In den Gasströmen, die die Galaxie aufgrund des "Fahrtwindes" hinter sich her zieht, leuchten junge Sterne auf. So entstehen die bunten Tentakel der Jellyfish-Galaxien.
Etwas weniger poetisch wird dieser Prozess in der Astronomie als "Ram Pressure Stripping" bezeichnet, was auf deutsch so viel wie "Staudruck-Abtragung" bedeutet, aber eigentlich nie auf deutsch verwendet wird. Die ersten, die diesen Vorgang wissenschaftlich beschrieben haben, waren die amerikanischen Astronomen James Gunn und Richard Gott in einer Arbeit aus dem Jahr 1972. Eine detaillierte Untersuchung der Galaxien in weit entfernten Galaxienhaufen war aber erst später mit besseren Teleskopen möglich. Im Jahr 2014 haben Harald Ebeling, Lauren Stephenson und Alastair Edge Bilder ausgewertet, die das Hubble-Weltraumteleskop von Galaxienhaufen gemacht hat. Dabei fanden sie jede Menge sehr gute Bilder von Galaxien, die deutliche Anzeichen von sehr starken Ram Pressure Stripping zeigen. In ihrer Arbeit schreiben sie dazu "Aus offensichtlichen Gründen werden wir sie im folgenden als "Jellyfish-Galaxien" bezeichnen".
Die Bilder der Galaxien sind zwar im Vergleich mit den Aufnahmen aus späteren Jahren eher unscheinbar, aber man kann auch da die Ähnlichkeit mit Quallen erkennen. Seitdem sind Galaxien dieser Art auch in der Wissenschaft als "Jellyfish-Galaxien" bekannt und sie sind nicht nur schön, sondern auch wichtig, wenn wir verstehen wollen, wie so eine Galaxie funktioniert. Wenn wir in einem Haufen zum Beispiel sehr viele dieser Quallengalaxien beobachten, dann können wir davon ausgehen, dass auch das Intracluster-Medium entsprechend dicht ist. Je mehr Gas durch das Ram Pressure Stripping aus den Galaxien entfernt ist, desto weniger neue Sterne können dort entstehen. Andererseits kann der "Fahrtwind" auch Gas in den Galaxien komprimieren und so die Sternentstehung anregen. Auf jeden Fall ist aber klar: Jellyfish-Galaxien machen eine Entwicklung durch, die andere Galaxien nicht durchlaufen. Ihr Leben wird, etwas vereinfacht gesagt, quasi abgekürzt, die Sternentstehung läuft schneller als üblich und sie verlieren viel von dem Material, das für die Entstehung neuer Sterne nötig ist. Jellyfish-Galaxien zeigen uns, dass es auch für Galaxien unfreundliche Gegenden im Universum gibt. Aber immerhin sorgt der wilde Ritt durch die Galaxienhaufen dafür, dass wir ein paar extrem schöne Bilder machen können.
Sternengeschichten Folge 612: Kommunikation mit Marsbewohnern im 20. Jahrhundert
"Drei Männer verbrachten die letzte Nacht wartend, neben einem Radioempfänger, in dem Versuch eine Nachricht vom Mars zu erhalten." So beginnt ein Artikel, der am 24. Oktober 1928 in der britischen Zeitung "Daily Mirror" erschienen ist. Wir werden später noch erfahren, wer diese drei Männer waren und warum sie gehofft haben, dass sich Marsmenschen per Radiobotschaft bei ihnen melden. Ich beginne diese Geschichte aber mit der Zeit, in der sie spielt. Heute haben wir zwar jede Menge Grund, mit dem Mars per Funk Kontakt aufzunehmen. Aber wir tun das, weil wir im Laufe der Zeit jede Menge Raumsonden und Rover dorthin geschickt haben. Und die wollen wir von der Erde aus steuern; wir wollen ihre Daten empfangen, und so weiter. Wir wissen, dass definitiv nicht damit zu rechnen ist, dass sich irgendwelche Marsmenschen mit Botschaften bei uns melden und dass es auch nichts bringt, ihnen Nachrichten zu schicken. Es gibt keine Marsbewohner.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Sache aber noch ein wenig anders ausgesehen. Damals war es auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht unplausibel, sich einen Mars vorzustellen, der von intelligenten Wesen bewohnt wird. Das lag einerseits daran, was wir damals über unseren Nachbarplaneten gewusst haben. Und andererseits vor allem daran, was wir nicht gewusst haben.
Der Mars war für uns lange Zeit nur ein rötlicher Punkt am Himmel. Zuerst war das ein Symbol der Götter, die sich da irgendwo im Himmel rumtreiben. Dann haben wir zwar rausgefunden, dass es sich um einen Planeten handelt muss, ein Himmelskörper, der so wie die Erde um die Sonne kreist. Aber sehr viel mehr gewusst haben wir nicht. In den ersten Teleskopen des 17. und auch in den besseren Modellen des 18. Jahrhunderts hat man nicht viel vom Mars erkennen können. Im 19. Jahrhundert sah die Lage schon ein bisschen besser aus, aber so wirklich viel war auch da nicht zu sehen. Ich habe in Folge 404 der Sternengeschichten von Giovanni Schiaparelli, Percivall Lowell und der Entdeckung der Marskanäle erzählt. Damals, gegen Ende des 19. Jahrhunderts dachte man, man hätte durchs Teleskop Kanäle am Mars gefunden. Künstliche Bauwerke, die Marsbewohner angelegt haben, um Wasser von den Polkappen (deren Existenz man ebenfalls im Teleskop sehen konnte) in die Wüsten des Äquators zu transportieren. Auch das klingt aus unserer heutigen Sicht absurd - und wir wissen ja auch, dass da keine Kanäle sind, sondern dass das optische Effekte und Fehler in den Teleskopen waren, die falsch interpretiert wurden. Aber damals hatte man eben so gut wie kein Wissen über den Mars oder die anderen Planeten. Man wusste, dass es sich beim Mars - und auch beim anderen Nachbarplaneten, der Venus - um Objekte handelt, die prinzipiell so wie die Erde waren. Also Himmelskörper mit einer festen Oberfläche und einer Atmosphäre. Man wusste außerdem, dass sowohl Mars als auch Venus prinzipiell genug Wärme von der Sonne abkriegen, um dort halbwegs lebensfreundliche Bedingungen zu ermöglichen. Und wenn unsere Nachbarplaneten bewohnbar sein können, nun ja - dann sind sie vermutlich auch bewohnt! Auch das war lange Zeit eine anerkannte Meinung in der Wissenschaft. Ein wenig beeinflusst auch durch die Religion hat man es quasi als Platzverschwendung angesehen, dass da Himmelskörper existieren, ohne das sie einen Sinn erfüllen. Und wenn offensichtlich der Zweck der Erde ist, die Heimat für uns Menschen zu sein, dann müssen die anderen Planeten das Zuhause anderer Wesen sein.
Gut, wir wissen heute, dass das Quatsch ist. Die Planeten sind nicht von irgendeinem Schöpferwesen nach Plan konstruiert worden; schon gar nicht für uns Menschen, die wir auch nicht die "Krone der Schöpfung" sind. Aber aus damaliger Sicht konnte man so eine Ansicht durchaus vertreten. Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam dann noch ein weiterer Faktor dazu: In der Physik hat man gelernt, den Elektromagnetismus zu verstehen. Man war in der Lage, per Radiowellen Botschaften einfach so durch die Luft zu schicken. Was also lag näher, als zu versuchen, auf diesem Weg auch den Mars zu kontaktieren? Vor allem da der Mars gerade so schon nah war. Unser Nachbarplanet ist ja ein bisschen weiter weg von der Sonne als die Erde und braucht ein wenig länger für eine Runde um die Sonne. Der Abstand zwischen den beiden Planeten ändert sich logischerweise dauernd. Es kann sein, dass die Erde gerade auf der einen Seite der Sonne steht und der Mars weit, weit auf der anderen Seite. Aber alle zwei bis drei Jahre gibt es eine sogenannte Oppostion. Dann befinden sich Erde und Mars auf der selben Seite der Sonne und sind einander sehr nahe. Das nutzen wir heute aus, um in diesen Zeiten vermehrt Raumsonden zum Mars zu schicken. Im frühen 20. Jahrhundert nutzte man die Gelegenheit, um zu versuchen, mit dem Mars zu kommunizieren.
Im August 1924, als gerade wieder so eine Opposition stattfand, forderte zum Beispiel Curtis Wilbur, Sekretär der US Navy ein Telegram an alle Radiostationen der amerikanischen Küste. Man wollte die Astronomie unterstützen und daher sollen alle zwischen 21. und 24. August nach Radiobotschaften aus dem All horchen. Das war bei weitem nicht der erste Versuch dieser Art. Schon in den Jahren davor hatte zum Beispiel Guglielmo Marconi ähnliches probiert. Marconi hatte immerhin 1909 den Physiknobelpreis für seine Arbeit an der drahtlosen Telegrafie erhalten. Er hat immer wieder davon berichtet, seltsame Signale aufgefangen zu haben, die aus dem Weltall stammen würden, vermutlich vom Mars. Und warum nicht antworten, wenn die Leute dort uns offensichtlich kontaktieren wollen?
Womit wir jetzt wieder bei den drei Männern vom Beginn der Geschichte sind. Die Hauptperson ist Hugh Mansfield Robinson. Eigentlich war er Beamter in der Steuerbehörde des Londoner Stadteils Shoreditch, in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist er aber durch seine Kommunikation mit den Marsbewohnern. Die lief nämlich schon, als der Kommunikationsversuch im Jahr 1928, von dem die Zeitung berichtet, gestartet wurde. Schon zwei Jahre zuvor, während der Mars-Opposition 1926 hatte Robinson die ersten Botschaften mit dem Mars ausgetauscht. Für diesen Zweck hatte er extra ein Instrument erfunden, ein Psychomotormeter. Das klingt zwar beeindruckend, läuft aber darauf hinaus, dass Mansfield Robinson behauptet hat, mit dem Mars einen telepatischen Kontakt hergestellt zu haben. Und zwar mit einer Marsfrau namens Oomaruru, über zwei Meter groß, so wie es auf dem Mars üblich ist, mit langen Haaren und sehr großen Ohren. Abgesehen vom unüblichen Aussehen läuft es auf dem Mars aber so wie auf der Erde, man fährt mit Autos, trinkt Tee und raucht Pfeife. In der damaligen Zeit waren Telepathie und Spiritualismus zwar enorm angesagt - aber man kann sich denken, dass so ein telepatischer Kontakt mit Marswesen von einigen trotzdem für Quatsch gehalten wurde.
Vielleicht hat Mansfield Robinson deswegen auch die britische Post bemüht. Im Oktober 1926 fragte er an der Sendestation in Rugby, damals eine der stärksten der Welt, wie viel es den kosten würde, ein Telegram über eine Entfernung von circa 56 Millionen Kilometer zu senden. Zu seinem Glück verrechnete die Post dafür nur den üblichen Tarif für eine Auslandsnachricht. Also schickte Robinson seine Botschaft ab, die aus den Worten "Opesti, Nipitia, Secomba" bestand. Was das bedeuten soll, wissen wahrscheinlich nur Robinson und die Marsbewohner, an die sie gerichtet haben; erklärt hat er die Botschaft nie. Die Postbeamten wurden angewiesen, auf eine Antwort zu warten, die aber leider nie angekommen ist. Zum Glück konnte Robinson aber ja telepatisch bei Oomaruru nachfragen und wurde von ihr informiert, dass das Telegram wohl nicht durchgekommen ist. Zwei Jahre später startete Robinson einen neuen Versuch. Die Post war mittlerweile ein wenig skeptisch was die Angelegenheit anging. Aber sie machte trotzdem mit, nicht, weil sie das als ernsthaften wissenschaftlichen Versuch betrachtet hat, wie aus einer internen Nachricht über das Ereignis hervor geht, sondern weil das gute Werbung für das Telegraphenamt war. Die Nachricht, die am 24. Oktober 1928 geschickt wurde, bestand aus den Worten "Mar la oi de earth" was laut Robinson "Liebe an den Mars von der Erde" bedeuten soll. Und dann wartete Robinson auf eine Antwort. Mit ihm dabei waren ein Journalist des Daily Mirror, von dem auch der zu Beginn erwähnte Artikel stammt. Und Professor Archibald Low, der von der Zeitung als "der berühmte Wissenschaftler" bezeichnet wird. Und der zwar tatsächlich ein interessante Erfindungen gemacht hat, aber keinen Job an einer Uni und schon gar keine Professur hatte. Sich aber dennoch gerne als Professor bezeichnet und in der Öffentlichkeit präsentiert hat. Er mochte die öffentliche Aufmerksamkeit, und, als Autor von Science Fiction Büchern, fand er Marsbewohner sicher auch sehr spannend.
Der Rest der wissenschaftlichen Welt war zwar weniger von Low begeistert, aber egal. Einen Radioempfänger bereitstellen konnte er auf jeden Fall - aber trotzdem die drei Männer die ganze Nacht auf eine Antwort vom Mars warteten, kam sie nie. Die Post hatte die falsche Frequenz verwendet - das war zumindest die Erklärung von Robinson. Aber auch als er später eine andere Nachricht mit angeblich passender Frequenz von einer Station in Brasilien verschicken ließ, kam keine Antwort.
Danach gab Robinson den Versuch auf, Telegramme zum Mars zu schicken und gründete stattdessen eine Schule, um den Menschen Telepathie beizubringen, um so den Weltfrieden zu erreichen. Die Idee stammte natürlich von Oomaruru, die sehr besorgt angesichts des Mangels an Frieden auf der Erde war. Eine begründete Sorge in den späten 1920er Jahren, aber eine von Marsmenschen inspirierte Telepathieschule ist vermutlich nicht der beste Weg, um mehr Frieden auf der Welt zu erreichen.
Robinson starb 1940 - und bis heute haben wir kein Telegramm vom Mars erhalten. Man sollte sich aber dennoch nicht zu lustig über Menschen wie den telepathischen Steuerbeamten machen. Ok, Robinson ist schon ein ziemlich heftiger Fall und wäre heute wahrscheinlich ein waschechter Esoteriker und Pseudowissenschaftler. Aber dass man damals versucht hat, mit Bewohnern des Mars zu kommunizieren, ist zumindest aus der Sicht des frühen 20. Jahrhunderts nicht völlig absurd. Es gab durchaus eine wissenschaftliche Basis für dieses Vorhaben. Wir tun das ja heute immer noch. Nicht mit dem Mars. Aber wir probieren herauszufinden, ob es Leben auf den Planeten anderer Sterne gibt; wir suchen sogar - mit höchst wissenschaftlichen Methoden - nach Botschaften intelligenter Außerirdischer und überlegen uns, wie wir mit etwaigen Aliens sinnvoll kommunizieren können. Ob das die Menschen der Zukunft genauso für Quatsch halten wie wir heute die Arbeit von Mansfield Robinson und Co wird sich zeigen. Aber egal ob Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft: Den Wunsch, nicht allein in diesem großen Universum zu sein, können wir alle verstehen.
Sternengeschichten Folge 611: Die Schuhmann-Resonanz - Esoterik trifft Planetologie
„Sättigen Sie Ihre Zellen mit der heilenden Schumann Resonanz Frequenz" - dazu fordert uns die Werbung für ein Hörbuch auf, denn wenn wir das tun, dann sind "Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht" und wir können unsere "Lebensenergie deutlich steigern, die physische Struktur des Körpers harmonisieren und verjüngen". Und das funktioniert deswegen, weil "die Synchronisierung mit der natürlichen Frequenz des Planeten (7,83 Hz) den Menschen Vorteile wie verbessertes Lernen/Gedächtnis, Zellerneuerung, energetisches Gleichgewicht, weniger Stress, Erdung und tiefe Entspannung bringen kann". Die Schumann-Resonanz ist, wie uns eine andere Seite informiert, der "Herzschlag der Erde", die "genau mit der Eigenfrequenz des menschlichen Gehirns übereinstimmt. Damit beeinflusst sie unser Leben und unser Bewusstsein. Diese Frequenz wird von der Zirbeldrüse empfangen, die alle unsere Körperabläufe steuert." Und wenn wir ein paar Geräte kaufen, die uns mit diesem Herzschlag synchronisieren, dann wird alles wieder gut!
Keine Sorge, trotz all dieser unwissenschaftlichen Esoterik - und es IST unwissenschaftliche Esoterik, dazu kommen wir später noch - wird es hier heute natürlich trotzdem um Wissenschaft gehen. Ich erzähle etwas über die Erde, ihre Atmosphäre und über Möglichkeiten, wie wir andere Himmelskörper besser verstehen können. Dazu muss ich aber auch von der "Schuhmann-Resonanz" erzählen und die taucht leider im Internet sehr viel öfter in einem unwissenschaftlichen Esoterik-Zusammenhang auf als in einem wissenschaftlichen.
Aber wir bleiben bei der Wissenschaft. Und es ist eigentlich nicht schwer zu verstehen, was die Schuhmann-Resonanz ist. Es geht um elektromagnetische Wellen. Die sind nicht mysteriös, die kennen wir aus dem Alltag. Das Licht, das wir mit unserem Augen wahrnehmen können ist eine elektromagnetische Welle. Die Radiosignale, die wir mit unseren Radiogeräten (sofern wir so etwas noch haben) empfangen, sind elektromagnetische Wellen. Das WLAN-Signal mit dem wir online gehen, ist eine elektromagnetische Welle. Genau so wie Röntgenstrahlen, Mikrowellen, und so weiter. Elektromagnetische Wellen sind periodische Veränderungen in einem elektromagnetischen Feld und wie wir sie wahrnehmen hängt von der Wellenlänge ab. Elektromagnetische Wellen können künstlich erzeugt werden, aber selbstverständlich auch natürlich auftreten. Das beste Beispiel ist unsere Sonne, die uns mit elektromagnetischen Wellen in Form von Licht und Infrarotstrahlung, also Wärme, versorgt.
So weit, so klar. Elektromagnetische Wellen können außerdem abgelenkt werden. Der Weg von Licht kann durch optische Linsen verändert werden, was man zum Bau von Brillen oder Teleskopen nutzt. Elektromagnetischen Wellen können aber auch an elektromagnetisch leitfähigen Oberflächen reflektiert werden. Das nutzt man zur Konstruktion diverser technischer Bauteile, wie etwa Hohlraumresonatoren, aber wir reden jetzt nicht über Elektrotechnik. Wir reden über das, was sich der deutsche Physiker Winfried Otto Schuhmann in den 1950er Jahren überlegt hat. 1952 veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem Titel "Über die strahlungslosen Eigenschwingungen einer leitenden Kugel, die von einer Luftschicht und einer Ionosphärenhülle umgeben ist".
Das klingt ein wenig technisch, aber man muss nur kurz überlegen, was mit einer "leitenden Kugel, die von einer Luftschicht und einer Ionosphärenhülle umgeben ist", gemeint ist. Unsere Erde ist, in erster Näherung, eine Kugel. Sie hat eine Luftschicht und sie hat eine Ionosphäre. So nennt man den äußeren Teil der Erdatmosphäre, der circa 100 Kilometer über dem Boden beginnt. Da ist nicht mehr viel Luft vorhanden aber immerhin noch ein paar Moleküle hier und dort und diese Moleküle werden durch die dort oben sehr starke und energiereiche Ultraviolettstrahlung der Sonne ionisiert. Das heißt, sie verlieren Elektronen aus den Hüllen ihrer Atome, wodurch sie nicht mehr elektrisch neutral, sondern geladen sind. Und die ganze Ionosphäre ist dadurch elektrisch leitfähig. Gleiches gilt für die Oberfläche der Erde, die ja weitestgehend von Salzwasser in den Ozeanen bedeckt ist. Aus dieser rein technischen Sicht ist die Erde also eine Kugel, die von zwei leitfähigen Schichten, dem Ozean und der Ionosphäre, eingehüllt wird und zwischen diesen beiden Schichten ist ein paar hundert Kilometer Platz.
Was auf der Erde auch noch passiert, sind Gewitter. Ich habe darüber ja schon in Folge 460 ausführlich gesprochen. Ständig kommt es in der Erdatmosphäre zu elektrischen Entladungen, es blitzt ein paar hundert Mal pro Sekunde. So ein Blitz ist jetzt aber auch nichts anderes als die Ursache für jede Menge elektromagnetische Wellen. Die können sich jetzt ausbreiten. Und sie tun das zwischen den beiden leitfähigen Schichten. Soweit ist das noch nichts besonderes. Winfried Schuhmann hat sich aber überlegt, dass es Wellen mit einer sehr großen Wellenlänge beziehungsweise einer sehr niedrigen Frequenz geben kann (das ist ja das gleiche). Wenn jetzt eine Welle entsteht deren Wellenlänge genau dem Erdumfang entspricht, dann geht die bei ihrem Auf- und Abschwingen exakt einmal um die Erde rum und trifft dann wieder auf sich selbst. So etwas nennt man eine "stehende Welle" und im Fall der Erde trifft das auf Wellen zu, die eine Frequenz von 7,83 Hertz haben. Das bedeutet: Die elektromagentische Welle schwingt 7,83 mal pro Sekunde. Zum Vergleich: Sichtbares Licht hat eine Frequenz von um die 500 Terahertz. Das sind 500 Billionen Schwingungen pro Sekunden!
Diese 7,83 Hertz sind die sogenannte Grundschwingung. Eine stehende Welle kriegt man aber auch anders. Die Welle kann ja zwischen Ionosphäre und Erdoberfläche reflektiert werden. Wenn sie jetzt, wieder vereinfacht gesagt, bei ihrer Runde um den Planeten genau auf die richtige Weise hin und her reflektiert wird, dann trifft sie am Ende wieder auf sich selbst. Wenn man das genau ausrechnet, sieht man, dass man auch bei Frequenzen von 14,3 Hertz, 20,8 Hertz, 27,3 Hertz und so weiter eine stehende Welle kriegt. Im Prinzip kann die Welle beliebig oft hin und her reflektiert werden und die Frequenz beliebig hoch werden. In der Praxis aber nicht, weil irgendwann verliert die Welle quasi an Schwung und verteilt sich irgendwo in der Atmosphäre. Unser Planet ist eben kein perfekter Wellenleiter, wie gut das funktioniert hängt vom Wetter ab, von der Jahreszeit, von der Temperatur, und so weiter.
Ok. Wir haben also einen Planeten mit einer Atmosphäre in der sich elektromagnetische Wellen ausbreiten können und wenn die eine passende Frequenz haben bzw. eine passende Wellenlänge, so dass der Umfang der Erde genau ein ganzzahliges Vielfaches dieser Wellenlänge ist, dann treffen diese Wellen bei ihre Ausbreitung nach einer Runde um den Planeten wieder auf sich selbst und erzeugen eine stehende Welle. Das interessant, aber was folgt jetzt daraus? Warum sollte uns das interessieren.
Es interessiert uns erst einmal deswegen, weil dieses Phänomen existiert! Die elektromagnetischen Wellen mit der Schuhmann-Frequenz sind zwar sehr schwach, aber wir sind durchaus in der Lage, sie zu messen. Und man kann aus diesen Messungen einiges lernen. Auslöser der Wellen sind ja Blitze. Und es gibt zwar immer irgendwo Blitze auf der Welt, aber Blitze entstehen nicht einfach so, sondern nur unter den passenden Bedingungen. Unter anderem muss die Temperatur passen, denn damit ein Gewitter entsteht, braucht es entsprechende Instabilitäten in der Atmosphäre, die durch warme und dadurch aufsteigende Luft ausgelöst werden. Oder anders gesagt: Die Zahl der Blitze hängt von der Temperatur ab und wenn ich die Schuhmann-Frequenzen überwache und messe kann ich daraus theoretisch auf die Anzahl der Blitze und damit auf die Temperatur schließen.
Noch interessanter wird es, wenn wir die Schuhmann-Frequenzen auf anderen Himmelskörpern erforschen. Ich habe in Folge 460 ja schon über die potenziellen Gewitter auf anderen Planeten gesprochen. Ein Himmelskörper den ich damals nicht erwähnt habe, ist der Titan. Der größte Mond des Saturn ist enorm interessant, wie ich in Folge 157 ausführlich erzählt habe. Er hat eine dichte Atmosphäre, er hat Flüsse und Seen aus flüssigem Methan und vielleicht einen Ozean aus flüssigem Wasser unter einer dicken Schicht aus Eis. Auch Titan hat, aus dem selben Grund wie die Erde, eine Ionosphäre aus geladenen Teilchen und wenn er auch einen salzigen, unterirdischen Ozean besitzt, dann könnte es auch dort Schuhmann Resonanzen geben. Blitze hat man bei Titan noch nicht nachgewiesen, aber der Mond befindet sich nahe am riesigen Saturn, der ein entsprechend starkes Magnetfeld hat und die Wechselwirkung mit diesem Magnetfeld wäre auch in der Lage, entsprechende Wellen anzuregen.
Im Jahr 2005 haben wir die Raumsonde Huygens auf dem Titan gelandet. Eines der Messinstrumente an Bord war in der Lage, entsprechende Messungen durchzuführen und HAT sogar eine elektromagnetische Welle mit einer passend niedrigen Frequenz nachgewiesen. Das bedeutet: Dort könnte tatsächlich ein unterirdischer Salzwasserozean sein. Und ich sage deswegen "könnte", weil leider nicht ganz klar ist, ob man wirklich eine elektromagnetische Welle gemessen hat, oder ob das Instrument vielleicht ein wenig fehlerhaft war. So oder so: Bei unserem nächsten Besuch auf dem Titan werden wir bessere Instrumente dabei haben um mithilfe der Schuhmann-Resonanzen herausfinden zu können, was sich tief unter der eisigen Oberfläche befindet.
Die Schuhmann-Resonanzen sind also erstens echte Wissenschaft und zweitens aus vielerlei Gründen interessant, nicht nur aus denen, die ich jetzt aufgezählt habe. Was sie aber drittens definitiv nicht tun, ist irgendeinen heilenden Einfluss auf unsere Zellen auszuüben oder sonst irgendwas von dem, was die diversen Esoterik-Firmen behaupten. Grundlage für diesen Unsinn ist ja die angebliche Übereinstimmung des "Herzschlags der Erde", also der Frequenz von 7,8 Hertz und den Frequenzen in unserem Gehirn. Ja, es stimmt: Misst man die elektrische Aktivität in unserem Gehirn, also die Arbeit unserer Nervenzellen, dann sieht man, dass dort diverse periodische Spannungsschwankungen auftreten. Es gibt Alphawellen, Deltawellen, und so weiter. Und es gibt sogar Wellen mit einer Frequenz von circa 7,8 Hertz. Aber: Das bedeutet überhaupt nichts. Die Frequenzen bei den Gehirnströmen reichen von 0,5 bis 70 Hertz, dass da auch was bei circa 8 Hertz dabei ist, ist nicht überraschend. Und überhaupt ist "Hertz" eine knifflige Einheit. "Hertz" bedeutet ja eigentlich nur "pro Sekunde". Eine Welle mit 8 Hertz schwingt acht mal pro Sekunde. Aber ich kann "Hertz" für alles verwenden, was irgendwie periodisch stattfindet. Wenn ich zum Beispiel 3 Mal in einer Minute aufs Klo gehen muss, dann sollte ich mich erstens vermutlich um medizinische Behandlung kümmern und kann zweitens feststellen, dass meine Frequenz beim Klogang 0,05 Hertz beträgt. Ich kann, wenn ich mich ein wenig anstrenge, durchaus 8 mal pro Sekunde mit der Hand hin und her winken. Aber nur weil diese 8 Winker pro Sekunde ebenso eine Frequenz von 8 Hertz haben wie die elektromagnetische Welle der Grundschwingung der Schuhmann-Resonanz, folgt daraus nicht, dass ich jetzt irgendwo besonders intensiv mit dem Planeten verbunden bin.
Man kann nur dann auf die Idee kommen, dass die Schuhmann-Resonanz irgendwas mit einer Heilwirkung zu tun hat, wenn man nicht verstanden hat, was die Schuhmann-Resonanz ist, wie sie verursacht wird und was das Konzept einer Frequenz bedeutet. Und damit beende ich jetzt diese Folge; die nächste erscheint, wie gewohnt in einer Woche und bis dahin ist genug Zeit um sich auszurechnen, welche Frequenz dieser Podcast bei einer Folge pro 7 Tage hat.
Sternengeschichten Folge 610: Die blaue Murmel
"Houston, magazine November November's on about 123 right now". Diesen Satz hat der amerikanische Astronaut Ron Evans am 7. Dezember 1972 um 11 Uhr 38 Minuten und 8 Sekunden mitteleuropäischer Zeit gesagt, 5 Stunden, 8 Minuten und 38 Sekunden nach dem Start der Saturn-V-Raketen mit der die Apollo 17 Mission das letzte Mal zum Mond aufgebrochen ist. Der Satz von Evans klingt nicht spektakulär. Er ist genau genommen auch nicht spektakulär. Mit "magazine November November" ist ein Filmmagazin der Hasselblad-Kamera gemeint, die die Astronauten mit an Bord hatten. Da es im Weltall nicht so einfach war, einen neuen Film in eine Kamera einzulegen, hatte man die Filmrollen schon in vorgefertigte Magazine geladen. Um den Film zu wechseln, musste man, vereinfacht gesagt, nur das alte Magazin aus- und ein neues Magazin in die Kamera einstecken. Die Kameras hatten außerdem Zähler, die die Anzahl der belichteten Bilder anzeigt. Wenn Evans also sagt, dass "magazine November November's on about 123 right now", dann meint er, dass der Zähler des Filmmagazins mit der Identifikationsbezeichnung "NN" gerade auf 123 gesprungen ist. Warum erzählt er das der Bodenstation in Houston? Das ist wichtig, damit die aufgenommenen Fotos später genau zugeordnet werden können. Heute ist das ja kein Problem; moderne Digitalkameras können die genau Uhrzeit, das Datum, sogar die geografische Position und jede Menge andere Metadaten mit den digitalen Bildern abspeichern. Aber bei den analogen Kameras ging das damals natürlich nicht. Aber durch diese Kommunikation wissen wir heute trotzdem ganz genau, wann die Bilder aufgenommen worden sind.
Aber warum erzähle ich das alles? Natürlich deswegen, weil die Bilder, die zu diesem Zeitpunkt gemacht worden sind, ganz besondere Bilder sind. Es handelt sich um eine Serie von vier Aufnahmen beziehungsweise ganz besonders um eines der vier mit der offiziellen Katalognummer AS17-148-22727. Es ist das Bild, das wir heute unter der Bezeichung "Blue Marble" kennen, die "Blaue Murmel". Es ist ein Bild der Erde, aufgenommen aus einer Entfernung von circa 29.000 Kilometer. Die offizielle Beschreibung der NASA zu diesem Bild lautet: "Ansicht der Erde, wie sie von der Mannschaft von Apollo 17 auf dem Weg zum Mond gesehen wurde. Dieses Bild vom translunaren Flug erstreckt sich vom Mittelmeer bis zur Eiskappe der Antarktis. Dies ist das erste Mal, dass die Apollo-Flugbahn es ermöglichte, die südliche Eiskappe des Pols zu fotografieren. Beachten Sie die dichte Wolkendecke auf der Südhalbkugel. Fast die gesamte Küstenlinie Afrikas ist deutlich sichtbar. Die Arabische Halbinsel ist am nordöstlichen Rand Afrikas zu sehen. Die große Insel vor der Ostküste Afrikas ist die Republik Madagaskar. Das asiatische Festland ist am Horizont nach Nordosten zu sehen."
Ok, ein Bild der Erde aus dem Weltall. Schön und gut, aber davon gibt es jede Menge. Warum also eine eigene Podcastfolge darüber? Nicht, weil es das erste Bild dieser Art ist. Es gab auch davor schon Aufnahmen Erde aus dem All. Aber ersten war dieses Bild die bisher schärfste und beste Farbaufnahme der gesamten Erdkugel und zweites hat dieses spezielles Bild hat auch einen ganz speziellen Nerv der Welt getroffen und ist deswegen bis heute berühmt. In den 1970er Jahren entwickelte sich in den USA und im Rest der Welt die Anfänge der modernen Umweltbewegung; man hat sich Gedanken über Umweltschutz gemacht, es war die Zeit des kalten Kriegs zwischen Amerika und der Sowjetunion und eine Zukunft, in der die Welt durch einen Atomkrieg verwüstet wird, war für viele Menschen eine erschreckend realistische Vorstellung. Die Geschichten, die die Apollo-Astronauten von ihren Flügen ins All erzählt haben, waren in gewisser Weise genau die gegenteilige Vision, und das, obwohl die Mondmissionen ja selbst Teil des kalten Kriegs waren. "Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden – aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.", hat Eugene Cernan, der Kommandant von Apollo 17 nach seiner Rückkehr gesagt. "Wir sahen die Erde wie das Zuhause der Kindheit, verändert durch den Lauf der Zeit, aber unverändert in den Gedanken.", hat Harrison Schmitt, der Pilot der Mondlandefähre später geschrieben. Das Bild der zerbrechlich wirkenden blauen Erde mit ihren weißen Wolkenwirbeln, mitten im dunklen All; das Bild der Erde, ohne Grenzen, ohne Nationalitäten; dieser Blick von außen auf das einzige Zuhause der Menschheit in einer ansonsten absolut lebensfeindlichen Welt hat viele Menschen inspiriert. Die Blue Marble ist zum Symbol von Umweltschutzgruppen und Friedensbewegungen geworden. Das Bild hat "ein Gefühl für die Kostbarkeit dieses wie lebendig erscheinenden Planeten geweckt", sagt der deutsche Philosoph Hans Blumenberg, der aber auch gleichzeitig darauf hingewiesen hat, dass die Aufnahme vielleicht auch zweideutig betrachtet werden kann. Denn vom All aus sieht die Blue Marble unversehrt aus; ein perfekter Planet und nichts deutet auf die vom Menschen ausgeübte Zerstörung hin.
Aber bleiben wir zuerst noch beim Bild selbst. Die Aufnahme, die wir heute kennen, ist natürlich bearbeitet. Sie ist nicht verfälscht, aber im Originalbild ist die Erde nicht im Zentrum der Aufnahme und der Südpol der Erdkugel ist oben zu sehen. Und es handelt sich, wie gesagt, um eine Serie aus vier Bildern, die alle mehr oder weniger gleich aussehen. Daraus hat man dieses eine ausgewählt, es beschnitten und so rotiert, dass die Erde für uns "normal" aussieht, mit dem Südpol unten. Obwohl diese Orientierung natürlich komplett beliebig ist… So oder so, in der heute berühmten Aufnahme ist die Erde so ausgerichtet, dass das Zentrum des Bildes genau zwischen der Ostafrikanischen Küste und der Südspitze von Madagaskar ist. Von Europa oder Nordamerika ist nichts zu sehen; das Bild wird von Afrika auf der linken und dem Ozean auf der rechten Seite dominiert; unten ist die Antarktis dafür gut erkennbar und dazwischen gewaltige Wolkenwirbel.
Offiziell gibt die NASA alle drei Astronauten der Apollo-17-Crew als Fotografen an, also Eugene Cernan, Ron Evans und Harrison Schmitt. Es ist aber mittlerweile einigermaßen klar, dass es wohl Harrison Schmitt war, der das Bild tatsächlich gemacht hat. Das ist am Ende aber auch egal - Hauptsache, das Bild wurde gemacht. Seit damals waren übrigens keine Menschen mehr so weit von der Erde entfernt. Cernan, Evans und Schmitt waren die letzten, die unseren Planeten mit eigenen Augen in seiner Gesamtheit sehen konnten. Die Astronautinnen und Astronauten die seitdem zur ISS und den anderen Raumstationen geflogen sind, konnten zwar auch aus dem All auf die Erde schauen. Aber sie sind viel zu nah dran, um die gesamte Erde sehen zu können. Zum Fotografieren braucht man aber nicht zwingend Menschen und deswegen sind seit 1972 eine Reihe weiterer "Blue Marble"-Bilder gemacht worden. 2001 und 2002 hat die NASA eine neue Version veröffentlicht, diesmal waren es zwei Bilder: Eines, das Nordamerika im Zentrum zeigt und zweites mit Asien im Mittelpunkt. Das waren aber keine echten Bilder. Beziehungsweise natürlich schon; es sind echte Aufnahmen der echten Erde aus dem echten Weltall. Aber es handelt sich um Mosaik, das aus verschiedenen Satellitenbildern zusammengesetzt ist. Das gilt auch für das Blue Marble Bild aus dem Jahr 2012 und für die Black Marble aus dem gleichen Jahr. Bei diesem letzten Bild hat man Daten von Infrarotsatelliten mit alten Aufnahmen kombiniert, um ein Bild der Erdkugel bei Nacht zu bekommen. Es gibt noch diverse andere "Blue Marble" Variationen die im Laufe der Zeit von den unterschiedlichsten Instrumenten gewonnen worden sind.
Aber keines davon hat bis jetzt die Erwartungen erfüllen können, die man in das ursprüngliche Bild aus dem Jahr 1972 gesetzt hat. Wir haben nicht damit aufgehört, Krieg zu führen. Wir haben nicht damit aufgehört, die Umwelt zu zerstören. Ganz im Gegenteil. Wir blicken weiterhin mit Satelliten vom Weltall auf die Erde, mittlerweile mit sehr viel genaueren Instrumenten und können damit ebenso genau messen, wie sehr sich das Klima verändert hat; wie sehr wir die Wälder zerstört und die Ozeane verschmutzt haben. Wir sehen wie die Korallenriffe sterben; wir sehen wie Seen austrocknen und sich Wüsten ausbreiten. Als Evans, Cernan und Schmitt ihr berühmtes Bild gemacht haben, waren sie weit genug von der Erde entfernt, um nur den Planeten selbst und seine Schönheit sehen zu können. Schön ist die Erde heute immer noch. Aber wir können auch nicht mehr ignorieren, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten nicht gut um unser Zuhause im Weltall gekümmert haben. Vielleicht werden in Zukunft wieder Menschen so weit in den Weltraum fliegen, um den Planeten in seiner Gesamtheit wahrnehmen zu können. Retten können wir die Erde von dort aus aber nicht; das müssen wir hier unten erledigen.
Sternengeschichten Folge 609: Der Perseushaufen
Könnten wir mit unseren Augen Röntgenstrahlung sehen, dann würden wir eine Überraschung erleben, wenn wir in der Nacht zum Himmel schauen. Ok, wenn wir Röntgenaugen hätten, gäbe es vermutlich jede Menge Überraschungen, aber beim Blick zum Nachthimmel, dorthin wo sich das Sternbild Perseus befindet, würden wir auf einmal eine enorm große Lichtquelle sehen. Viele Male größer als der Vollmond würde dort ein Objekt hell leuchten, das wir ansonsten ohne Teleskop gar nicht sehen könnten. Diese helle Quelle an Röntgenlicht ist der Perseushaufen, 240 Millionen Lichtjahre weit weg und eines der spektakulärsten und spannendesten Objekte am Himmel.
Wir können aber ja leider keine Röntgenstrahlung sehen, also müssen wir uns der Sache erst einmal anders nähern. Das Sternbild Perseus können wir im Herbst und Winter gut bei uns in Mitteleuropa am Himmel sehen, zwischen Auriga, dem Fuhrmann und Andromeda. Es ist die Gegend am Himmel, aus der die Sternschnuppen der Perseiden zu kommen scheinen, aber das ist erstens eine andere Geschichte und zweitens sind die Perseiden nur im August zu sehen. Uns interessiert aber auch nicht das Sternbild, zumindest heute nicht. Wir schauen auf die Galaxien, die sich dort befinden. Ich habe ja schon oft erzählt, dass Galaxien wie unsere Milchstraße nicht einfach wahllos im Universum verteilt sind. Sie bilden Gruppen, in denen die Galaxien durch ihre wechselseitige Gravitationskraft zusammen gehalten werden. Es gibt jede Menge solcher Galaxienhaufen und der Perseushaufen ist ein wirkliches Prachtexemplar.
Er besteht aus ein paar tausend einzelnen Galaxien; vor allem alten elliptischen Galaxien; also Galaxien, die sich bilden, wenn zum Beispiel zwei Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße miteinander verschmelzen. Die Gesamtmasse des Haufens liegt bei 650 Billionen Sonnenmassen. Das ist ungefähr 600 Mal so viel wie die Masse unserer Milchstraße. Es ist enorm viel und der Perseushaufen ist eines der massereichsten Objekte in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Im Zentrum des Haufens finden wir die Galaxie mit der Bezeichnung NGC 1275. Die hat schon der britische Astronom Wilhelm Herschel entdeckt, im Jahr 1786 - aber damals war natürlich noch nicht klar, dass es sich um eine ferne Galaxie handelt oder obe irgendein anderes nebeliges Objekt ist, das uns viel näher ist. Damals wusste man noch nicht ob unsere eigene Galaxie alles ist, was im Universum existiert oder nur eine von vielen. Man konnte die Abstände zu den Objekten nicht messen und die Teleskope waren nicht gut genug, um zu zeigen, dass die Nebel tatsächlich aus Sternen bestehen. NGC 1275 ist auf jeden Fall eine Galaxie und keine kleine! Sie hat einen Durchmesser von 160.000 Lichtjahren, ist also ungefähr so groß wie die Milchstraße. Sonst gibt es aber nicht allzu viele Gemeinsamkeiten. Während die Milchstraße eine Spiralgalaxie ist, handelt es sich bei NGC 1275 um eine sogenannte "cD-Galaxie". Das hat nichts mit CDs zu tun, auf denen Musik gespeichert ist. Das "D" steht für "diffus" und das "c" ist ein Zusatz, der - aus historischen Gründen - bedeutet, dass es sich um eine sehr große Galaxie handelt. Eine große, diffuse Galaxie also; oder genauer gesagt: Eine sehr große elliptische Galaxie, ohne Strukturen wie Spiralarme oder etwas in der Art. Obwohl man bei NGC 1275 schon "etwas in der Art" findet, nämlich sehr starke Radiostrahlung. Die kommt vom supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie und so wie die Galaxie selbst ist auch das ein ordentlicher Brocken. Es hat zwei Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne - zum Vergleich: Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße hat "nur" 4 Millionen mal so viel Masse wie die Sonne. Und im Gegensatz zu unserem eigenen schwarzen Loch ist das bei NGC 1275 auch noch aktiv. Das heißt, dass dort jede Menge Masse in der Umgebung des Lochs existiert, die dort herumwirbelt und durch die starken Gravitationskräfte und Magnetfelder zum Teil auch in langen Bündeln und mit enormer Geschwindigkeit ins All hinaus geschleudert wird. Solche Jets kennen wir auch von anderen aktiven Galaxien, aber bei NGC 1275 konnten wir sogar zusehen, wie er entstanden ist.
Diese Jets sind auch ein Grund dafür, dass der Perseushaufen mit unseren Röntgenaugen so beeindruckend aussehen würde. Denn in so einem Galaxienhaufen sind ja nicht nur Galaxien. Zwischen den Galaxien eines Haufen ist nicht Nichts. Ok, es ist auch nicht viel dort, aber eben nicht nichts. Dort befindet sich das Intraclustermedium, von dem ich in Folge 579 schon ausführlich gesprochen habe. Also, vereinfacht gesagt, ein sehr dünnes Gas. Das ist Material, das von den Sternen der Galaxien und den Jets in der Umgebung der supermassereichen zentralen schwarzen Löcher hinaus geschleudert worden ist. Und die Strahlung der Jets ist es auch, die dieses Material enorm aufheizt; also wirklich enorm. Man schätzt, dass das Gas eine Temperatur von bis zu 100 Millionen Grad hat. Das ist so viel, dass es Röntgenstrahlung abgibt und auch wenn nur wenig Gas zwischen den Galaxien ist, ist es doch genug und vor allem genug Röntgenstrahlung, dass der ganze Perseushaufen enorm stark leuchtet.
In Wahrheit sind die Vorgänge dort noch viel komplizierter. Wenn man sich die Gegend im Zentrum des Perseushaufens genau anschaut und genau heißt in dem Fall: Wenn man ein Röntgenweltraumteleskop nimmt und 53 Stunden lang damit beobachtet, dann sieht man einen Haufen Ringe im Gas. Beziehungsweise man sieht, dass das Gas mal dichter und mal weniger dicht ist und die dichteren Regionen lauter unterschiedlich große Ringe um das Zentrum des Haufens bilden. Die Ringe sind jeweils circa 35.000 Lichtjahre voneinander entfernt; es sind also wirklich große Ringe. Was da passiert ist, kann man sich, vereinfacht gesagt, so vorstellen: Das schwarze Loch im Zentrum der Zentralgalaxie NGC 1275 erzeugt Jets und die heizen das Gas zwischen den Galaxien auf. Das heiße Gas bewegt sich jetzt schnell, und fällt nicht mehr in Richtung der Galaxie zurück, wie es das normalerweise im Laufe der Zeit tun würde. Dadurch hat das schwarze Loch aber auch weniger Material, dass es mit seinen Jets wieder nach außen schleudern kann. Die Jets kollabieren also, das Gas kühlt ab, fällt jetzt doch wieder nach innen in den Haufen und aufs zentrale schwarze Loch. Es entstehen neue Jets und das ganze geht von vorne los. Das wiederholt sich alle circa 10 Millionen Jahre und so entstehen die Dichteschwankungen im Intraclustermedium des Perseushaufens.
Die Galaxien des Haufens wechselwirken natürlich auch noch miteinander und auch dafür hat man Hinweise gefunden. Weitere Beobachtungen mit dem Röntgenweltraumteleskop Chandra haben eine Art von Welle aus heißem Gas zwischen den Galaxien entdeckt. Eine Welle allerdings, die doppelt so groß ist wie die Milchstraße. Man geht davon aus, dass die Ursache dafür eine kleinere Galaxie ist, die vor ein paar Milliarden Jahre zu dicht am Perseushaufen vorbei geflogen ist und dabei das ganze Gas ein wenig durcheinander gewirbelt hat.
Im Perseushaufen geht es also ordentlich ab und es ist schade, das wir nichts davon mit unseren Augen sehen können. Mit unseren nicht vorhandenen Röntgenaugen sowieso aber auch nicht mit den normalen. Selbst mit einem Fernglas wird es schwer, den Haufen oder auch nur die zentrale Galaxie NGC 1275 zu sehen. Man braucht schon ein kleines Teleskop dafür und selbst damit wird der Haufen eher unscheinbar aussehen. Aber zum Glück gibt es ja die geballte Macht der Wissenschaft, die uns das zeigen kann, was wir nicht sehen können.
Sternengeschichten Folge 608: Das Sternbild Taube und der Antapex der Sonne
Wem das Sternbild der Taube bisher noch nicht aufgefallen ist, ist erstens nicht alleine und hat zweitens nicht viel verpasst. Es ist ein Sternbild des Südhimmels, dass heißt, im Sommer sieht man es von Mitteleuropa sowieso nicht. Im Winter kann man es sehen, aber nur wenn man von Süddeutschland oder von noch weiter südlich aus zum Himmel schaut. Und wenn man das tut, wird man trotzdem nicht viel sehen. Der hellste Stern des Sternbilds ist Alpha Columbae beziehungsweise Phakt, wie sein alter arabischer Name ist. Dieser Stern ist zwar 1000 mal heller als die Sonne, aber auch 260 Lichtjahre weit weg und an unserem Himmel zwar ohne technische Hilfsmittel zu sehen, aber nicht weiter auffällig. Die restlichen Sterne in der Taube sind noch unscheinbarer und die meisten davon an unserem lichtverschmutzen Himmel gar nicht sichtbar. Wer es trotzdem probieren will: Sucht euch zuerst das Sternbild Orion, das ist ja zum Glück wirklich gut zu finden. Südlich unter den Füßen des Orion findet ihr dann das Sternbild Hase und noch ein Stück südlich darunter ist dann die Taube. Aber auch der Hase ist eher unscheinbar; in dieser Ecke des Himmels ist auf den ersten Blick nicht wahnsinnig viel los. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir von dort weg wollen. Denn im Sternbild Taube finden wir auch den Antapex der Sonne. Und um zu verstehen, was das sein und bedeuten soll, müssen wir uns zuerst einmal anschauen, was der Apex der Sonne ist.
Die Sache ist eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen. Die Sonne bewegt sich. So wie jeder andere Sterne (und alles andere im Universum) steht auch die Sonne und mit ihre das gesamte Sonnensystem nicht still. Sie bewegt sich durchs All und sie tut das in eine bestimmte Richtung. Sie bewegt sich also auf einen bestimmten Punkt zu und von einem anderen Punkt weg. Dieser erste Punkt heißt Apex und der zweite ist der Antapex.
Die Sache braucht aber natürlich noch ein bisschen mehr Erklärung. Zuerst einmal sage ich sicherheitshalber dazu, dass es jetzt um die tatsächliche Bewegung der Sonne geht. Nicht um die scheinbare Bewegung, die durch die Bewegung der Erde um die Sonne entsteht. Wir sehen die Sonne ja im Laufe eines Jahres vor unterschiedlichen Bereichen des Himmels stehen. Oder würden sie stehen sehen, wenn sie nicht so hell wäre und wir gleichzeitig die Sterne sehen könnten. Aber wenn wir zum Beispiel jeden Tag um 12 Uhr mittags nachschauen, vor welchen Sternen die Sonne gerade steht, dann wären das immer andere Sterne und im Laufe eines Jahres wäre die Sonne - scheinbar! - einmal um den Himmel herum gewandert. Aber das liegt eben daran, dass sich im Laufe eines Jahres die Erde um die Sonne herum bewegt und hat nichts mit der Sonne selbst zu tun.
Es geht, wie gesagt, um die echte Bewegung der Sonne. Nur: In Bezug auf was? Das ist ja eine Frage, die man sich im Weltall immer stellen muss. Da gibt es keinen absoluten Bezugspunkt; es gibt nichts, was definitiv immer und für alle Zeiten still und am selben Ort steht. Alles bewegt sich und man kann die Bewegung eines Objekts immer nur in Bezug auf irgendwelche anderen Objekte definieren. Und da hat man mehrere Möglichkeiten. Bei der Sonne kann man zum Beispiel das Zentrum der Milchstraße als Bezugspunkt nehmen und dann stellen wir fest, dass sie sich in circa 220 Millionen Jahren einmal um dieses Zentrum herum bewegt. In Wahrheit ist die Angelegenheit ein wenig komplizierter; die Sterne in der Milchstraße bewegen sich nicht wie Planeten um die Sonne herum. Das ist alles ein wenig chaotischer; da ist viel mehr Gewackel, Hin und Her und Auf und Ab dabei. Aber genau das ist der Punkt! Stellen wir uns vor, wir würden die Masse in unserer Milchstraße ein bisschen sortieren. Wir ignorieren so unnötig komplizierte Phänomene wie Spiralarme, die Verdickung im galaktischen Zentralbereich, die Satellitengalaxien wie die Magellanschen Wolken, und so weiter. Wir packen einfach alles in eine schöne, symmetrische, zylindrische Scheibe. Und überlegen uns dann: Wie schnell würde sich ein Stern bewegen, dessen Abstand vom Zentrum der Scheibe genau dem Abstand der Sonne vom Zentrum der realen Milchstraße entspricht? In unserer aufgeräumten Galaxie würde dieser Stern natürlich einer perfekte Kreisbahn folgen, immer mit der selben Geschwindigkeit. In echt ist das natürlich alles nicht so, aber das ignorieren wir, wie gesagt, fürs Erste. Denn wir haben jetzt ein "Lokales Ruhesystem" definiert beziehungsweise den "Local Standard of Rest", wie der englische Fachbegriff lautet. Wir stellen uns also vor, dass unsere fiktive, sich schön gleichmäßig in der aufgeräumten Galaxie bewegenden Sonne der Nullpunkt unseres Koordinatensystems ist. Und können dann alle Bewegungen auf diesen Nullpunkt beziehen.
Wenn wir das tun, dann sehen wir - vereinfacht gesagt - wie sich die Sonne in Bezug auf die Sterne in ihrer Umgebung bewegt, ob wir uns also schneller oder langsamer oder in eine andere Richtung bewegen, als die anderen Sterne in unserer Nachbarschaft. Das ist aus vielen Gründen recht praktisch; weniger praktisch ist es, das Lokale Ruhesystem in der Praxis zu definieren. Denn dazu muss man erst mal die Position und Geschwindigkeit von sehr vielen Sternen in unserer Umgebung möglichst genau messen und dann jede Menge komplizierte Mathematik anstellen. Aber man kann es machen und wenn man es macht, dann sieht man, dass sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem, also relativ zu der fiktiven Sonne in der aufgeräumten Galaxie in Richtung eines Punkts am Himmel bewegt, der ein Stück südlich und westlich des hellen Sterns Wega liegt, aber nicht mehr im Sternbild Leier, zu dem die Wega gehört sondern schon im benachbarten Sternbild Herkules.
Dieser Punkt wird Apex genannt und der erste, der seine Position ausgerechnet hat, war Wilhelm Herschel im Jahr 1783. Damals noch nicht ganz so genau, aber immerhin hat die grobe Gegend gestimmt. Später haben dann andere die Berechnungen wiederholt und sind auf unterschiedliche Punkte in der Gegend der Sternbilder Herkules, Leier oder Schwan gekommen. Die Sache ist aber auch tatsächlich nicht einfach. Man muss die Eigenbewegung der anderen Sterne bestimmen; die bewegen sich aber eben alle leicht unterschiedlich schnell. Und wie sich die Sterne bewegen, hängt auch von ihrem Alter ab und von jeder Menge anderer Parameter, von denen Herschel und Co nichts wissen konnte, und die wir heute auch noch nicht komplett verstehen. Aber immerhin wissen wir, warum es schwierig ist, das Lokale Ruhesystem zu definieren.
Was noch übrig bleibt, ist der Antapex. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Wenn der Apex, der Punkt im Sternbild Herkules, der Punkt ist, auf den sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem zu bewegt, dann muss es natürlich auch einen Punkt am Himmel geben, von dem sich die Sonne weg bewegt. Das ist der Antapex und der liegt im Sternbild Taube; knapp an der Grenze zum benachtbarten Sternbild des Kleinen Hund. In Bezug auf die Sterne unserer Umgebung entfernen wir uns von diesem Punkt, mit circa 20 Kilometer pro Sekunde.
Das liegt nicht daran, dass da irgendetwas ist, was uns abstößt oder flüchten lässt; genau so wenig wie im Apex etwas ist, was uns anzieht. Wenn wir mit dem Schiff am Meer fahren, ist der Punkt am Horizont, auf den wir zu segeln ja auch nur fiktiv. Aber trotzdem ist das mit dem Lokalen Ruhesystem, mit Apex und Antapex keine unnötige Spielerei. Wenn wir die Dynamik unserer Milchstraße verstehen wollen; wenn wir wissen wollen, wie sich die Sterne nicht nur scheinbar sondern WIRKLICH durchs All bewegen, dann brauchen wir irgendein Bezugssystem, damit uns nicht immer unsere eigene Bewegung den Blick verstellt. Wir können ja nichts daran ändern, dass unser Beobachtungsposten sich ständig um die Sonne bewegt und die Sonne mit uns allen nie still steht. Also müssen wir uns einen fiktiven Nullpunkt schaffen, damit wir die Sache halbwegs nachvollziehbar erforschen und verstehen können.
Es ist reiner Zufall, dass der Punkt, von dem wir uns weg bewegen, gerade im Sternbild der Taube liegt. Aber da dort wirklich nicht viel los ist, passt es auch irgendwie.
Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse
Im Jahr 775 stirbt der byzantinische Kaiser Konstantin V. Die Stadt Gotha in Thüringen wird in diesem Jahr das erste Mal in einer Urkunde erwähnt. Karl der Große beschließt einen Feldzug gegen die Sachsen. In der Schlacht von Bagrevand kämpft Armenien gegen das Abbasiden-Kalifat und verliert. Und vermutlich war im Jahr 775 noch jeden Menge mehr los auf der Welt. Was damals vermutlich die wenigsten mitbekommen haben dürften, war ein Ereignis, dem die japanische Doktorandin Fusa Miyake erst im Jahr 2012 auf die Spur gekommen ist. Die Physikerin hat sich damals mit kosmischer Strahlung beschäftigt. Darüber habe ich ja schon ausführlich in den Folgen 317 und 318 der Sternengeschichten gesprochen, aber ich fasse es noch mal kurz zusammen. Aus dem Weltall trifft nicht nur das Licht der Sonne und der anderen Sterne auf die Erde. Sondern auch eine Teilchenstrahlung. Oder anders gesagt: Die Erde wird von Protonen und Elektronen bombardiert (und ein paar andere Teilchen sind ab und zu auch noch dabei). Die meisten dieser Teilchen stammen von der Sonne. In den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre ist es so heiß, dass die Atome quasi auseinander fallen, die Elektronen der Atomhülle lösen sich von den Protonen des Atomkerns und die einzelnen Teilchen können durch diverse Prozesse so schnell werden, dass sie von der Sonne weg in Richtung All und unter Umständen auch in Richtung Erde sausen. Die anderen Sterne im Weltraum machen das auch, und auch von ihnen kriegen wir ein bisschen was ab. Und dann gibt es noch diverse andere Prozesse, die Teilchen durch die Gegend schleudern, zum Beispiel Supernova-Explosionen oder schwarze Löcher, die Material in ihrer Umgebung extram stark beschleunigen. Kurz gesagt: Überall im Weltall sausen hochenergetische Teilchen durch die Gegend und das nennt man die "kosmische Strahlung".
Hier unten auf der Erde kriegen wir davon - zum Glück - wenig mit. Es wäre unangenehm und ungesund für uns Menschen - und auch die restlichen Lebewesen - wenn wir dieser Strahlung ungeschützt ausgesetzt wären. Sind wir aber nicht; das Magnetfeld der Erde und auch unsere Atmosphäre schützen uns davor. Was natürlich sehr gut ist, aber eher schlecht, wenn man diese Art der Strahlung erforschen will. Das muss man vom Weltall aus machen. Oder man probiert es indirekt und das hat Fusa Miyake damals gemacht. Wenn die kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft, dann passiert natürlich etwas. Ich lasse die Details jetzt aus, auch die habe ich früher schon in anderen Folgen erklärt, aber im Wesentlichen passiert dann das gleiche, was wir in unseren Teilchenbeschleunigern mit großer Mühe künstlich herbei führen. Teilchen prallen mit enormer Energie aufeinander - in dem Fall eben die Teilchen der kosmischen Strahlung auf die Atome und Moleküle der Luft - und lösen Kernreaktionen aus. Ein Resultat dieser Vorgänge ist C14. Oder, etwas genauer gesagt, ein spezielles Isotop des Kohlenstoffs. Normaler Kohlenstoff hat im Atomkern sechs Protonen und sechs Neutronen. Es gibt aber auch Kohlenstoffatomkerne, die aus sechs Protonen und acht Neutronen bestehen, also insgesamt 14 Kernbauteilchen und deswegen nennt man ihn Kohlenstoff-14 oder kurz: C14. Im Gegensatz zum normalen Kohlenstoff ist C14 aber nicht stabil; dieser Atomkern ist radioaktiv und zerfällt im Laufe der Zeit. Aber glücklicherweise nicht wahnsinnig schnell, was bedeutet, dass wir C14 nachweisen können.
Fusa Miyake hat sich nun zwei japanische Zedern angesehen. Diese Bäume können erstens sehr alt werden und bestehen zweitens, wie alle anderen Bäume und alle anderen Lebewesen generell, zu einem relevanten Teil aus Kohlenstoff. Außerdem haben Bäume Jahresringe. Man kann, und Miyake hat genau das getan, nun - vereinfacht gesagt - aus jedem Jahresring ein bisschen Kohlenstoff rausholen, messen wie viel davon C14 ist und bekommt dann für jedes Jahr einen entsprechenden Wert. Wenn diese Menge auf einmal sehr viel höher ist also sonst, dann bedeutet das: Es muss mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen sein, dadurch muss mehr C14 produziert worden sein und dieser Kohlenstoff ist dann von den Lebewesen aufgenommen und im Falle der Zedern in das Holz eingebaut worden. Anders gesagt: Auf diese Weise kann man die Stärke der kosmische Strahlung für jedes Jahr bestimmen, auch ohne ins All zu reisen und dort zu messen und man kann die Stärke der kosmischen Strahlung auch für die Vergangenheit bestimmen, so weit zurück, wie man eben noch passendes Holz findet.
Fusa Miyake war natürlich nicht die Erste, die das gemacht hat. C14-Messungen wurden auch davor schon durchgeführt. Aber Miyake hat sich mit den zwei japanischen Zedern den Zeitraum zwischen den Jahren 750 und 820 sehr genau ansehen können. Und konnte nachweisen, dass die Menge an C14 zwischen den Jahren 774 und 775 um circa 1,2 Prozent angestiegen ist. Das klingt nach wenig, ist aber 20 Mal mehr als die übliche Variation. Irgendwas hat also um das Jahr 775 herum dafür gesorgt, dass sehr viel mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen ist als das überlicherweise passiert. Aber was?
Die allermeiste kosmische Strahlung kommt von der Sonne; es liegt also nahe, erst mal dort nach einer Ursache zu suchen. Ich habe ja erst in Folge 602 von den Sonnenstürmen erzählt, die immer wieder mal sehr viel Zeug durch die Gegend schleudern können. Aber selbst ein Sonnensturm würde keinen so starken Anstieg über diesen Zeitraum verursachen. Auch eine Supernova-Explosion in unserer Ecke der Milchstraße kann man eigentlich ausschließen, denn dann sollte man eigentlich noch Spuren davon irgendwo beobachten können. Um die Stärke des Anstiegs erklären zu können, müsste da relativ nahe bei uns ein Stern explodiert sein und die Überreste dieses Sterns sollten wir auch heute noch gut beobachten können, wenn sie denn da wären.
Die Messungen aus den Zedern konnten Miyake und andere Forscherinnen und Forscher auch mit ähnlichen Messungen in Eisbohrkernen bestätigen. Auch dort können sich diverse radioaktive Atome ansammeln, die durch die komische Strahlung in der Atmosphäre produziert werden und auch Eisschichten lassen sich, wenn auch ein bisschen komplizierter als Bäume, entsprechend datieren.
Später fand man dann auch ähnliche Anstiege von C14 in anderen Jahren, die mittlerweile "Miyake-Ereignisse" genannt werden. Mit Sicherheit gab es ein Miyake-Ereignis in den Jahren 7176, 5259 und 660 vor Christus. Und neben dem im Jahr 775 auch eines im Jahr 993. Es gibt noch ein paar andere, wo die Datenlage nicht ganz so klar ist, aber klar ist auf jeden Fall: Miyake-Ereignisse kommen öfters vor. Und die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass sie typischerweise ein paar Jahre lang dauern, was wieder gegen die Sonne als Verursacherin spricht. Denn ein Sonnensturm dauert höchstens ein paar Tage und sollte - wie schon gesagt - auch nicht so heftig sein, wie es die Daten der Miyake-Ereignisse nahe legen. Auch eine statistische Analyse aus dem Jahr 2022, bei dem man den Verlauf der Sonnenaktivität mit den Miyake-Ereignissen abgeglichen hat, hat keinen Zusammenhang gefunden.
Vielleicht hat das ganze mit Vorgängen außerhalb des Sonnensystems zu tun; vielleicht sind extreme Gammablitze dafür verantwortlich; also gewaltige Explosionen die beim Tod sehr großer Sterne auftreten oder bei der Kollision von Neutronensternen. Oder es sind doch sehr seltene, starke Sonnenstürme. Oder etwas ganz anderes. Oder eine Mischung von allem. Wir brauchen mehr Daten, wir wissen aber auf jeden Fall auch, dass wir uns eher nicht wünschen sollten, recht bald wieder ein Miyake-Ereigniss zu erleben. So viel kosmische Strahlung; so ein enormer Sonnensturm - oder was auch immer die Ursache sein mag - wäre für uns Menschen zwar nicht lebensgefährlich; immerhin schützt uns ja die Atmosphäre vor der direkten Strahlung. Aber wenn so viel Strahlung auf unsere Magnetfeld trifft, dann könnte das kurzfristig so stark gestört werden, dass unsere moderne Technik durchaus in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Miyake-Ereignis wird die Welt nicht untergehen lassen, aber großflächige Stromausfälle oder ähnliches wären nicht unwahrscheinlich. Da wäre es besser, wir kommen vorher noch drauf, was da genau passiert. Dann können wir es immer noch nicht verhindern - aber uns vielleicht besser darauf vorbereiten.
Sternengeschichten Folge 606: Der Meteorit von Orgeuil und das außerirdische Leben
Am Abend des 14. Mai 1864 war wenig los in dem kleinen französischen Ort Orgueil. Was soll auch groß los sein, in einem Ort mit ein paar hundert Einwohnern, mitten am Land im Südwesten von Frankreich. Aber dann war auf einmal sehr viel los. Am Himmel tauchte eine leuchtende Spur auf, zuerst grünlich leuchtend, dann immer rötlicher. Das Licht wurde heller, bis es so groß wie der Vollmond war und dann war eine gewaltige Explosion zu hören. Aus dem Licht wurden eine große, weiße Wolke, die minutenlang am Himmel stand und Steine fielen vom Himmel. Es waren schwarze Steine und irgendwie komisch.
Im 19. Jahrhundert war die Wissenschaft zwar noch nicht so weit wie heute, aber auch damals war klar, was da in Orgeuil passiert ist: Ein Stück Gestein aus dem Weltall ist auf die Erde gefallen. In den Jahren und Jahrzehnten davor hat sich die Erforschung solcher Meteoriten gerade als eigene Wissenschaft entwickelt. Früher gab es ja jede Menge Diskussionen darüber, wo solche Steine herkommen; ob sie von Vulkanen in die Luft geschleudert werden; ob es Material ist, das sich irgendwie in der Luft aus der Luft selbst bildet, und so weiter. Aber 1864 hatte man akzeptiert, dass es tatsächlich Objekte aus dem Weltall sind, da da regelmäßig auf die Erde fallen. Und deswegen konnte man den frischen Meteorit von Orgeuil jetzt auch gleich entsprechend untersuchen.
Die Forschung an diesem - ehemaligen - Himmelskörper dauert bis heute an und er hat sich als einer der spannendsten Meteorite herausgestellt, die wir bisher gefunden haben. Er hat unseren Blick auf die Entstehung des Lebens verändert und auf die Geschichte unseres Sonnensystems. Aber bleiben wir vorerst noch im 19. Jahrhundert. Der erste, der die Meteoriten wissenschaftlich untersucht hat, war Gabriel Auguste Daubrée, Professor für Geologie in Paris. Nur ein paar Wochen nach dem Fall selbst konnte er seine Ergebnisse präsentieren. Die Steine waren schwarz, wie Kohle. Darin fanden sich mineralische Einschlüsse und insgesamt betrachtet, sah der Meteorit ganz anders aus als die Steine aus dem All, die man davor untersucht hatte. Vor allem enthielt er sehr viel mehr Kohlenstoff, der auch für die schwarze Farbe verantwortlich war. Außerdem war der Meteorit sehr porös, sobald er in Kontakt mit Wasser kam, löste er sich quasi in dunklen Staub auf, wie es Daubrée beschrieben hat.
Der französische Chemiker François Stanislas Cloëz untersuchte den Meteoriten ebenfalls und führte die erste chemische Analyse durch. Er bestimmte die Dichte des Steins zu 2,6 Gramm pro Kubikzentimeter und einen Kohlenstoffgehalt von fast 6 Prozent. Der Anteil an Wasser, das im Gestein gebunden war, betrug knapp 9 Prozent. Cloëz extrahierte einen Teil des kohlenstoffhaltigen Materials aus dem Meteoriten und schrieb, dass es irgendwie wie Hummus aussah, erdig, ein bisschen wie Torf oder Schieferkohle. Cloëz, Daubrée und andere forschten weiter und 3 Jahre später schrieb Daubrée die erste große Zusammenfassung des Wissensstands. Darin hielt er fest, dass nichts darauf hindeutet, dass das Material vulkanischen Ursprungs sei, und deswegen nicht vom Mond stammen könne. Dass es auf dem Mond Vulkane gibt, die Meteoriten zur Erde schleudern, ist zwar aus heutiger Sicht Unsinn, war damals aber eine verbreitete Hypothese. Daubrée wies außerdem noch einmal auf die große Menge an Kohlenstoffverbindungen im Meteoriten hin. Er schrieb, dass es so aussehen würde, als wären die Mineralien im Meteorite im Laufe irgendeiner Art von geologischer Evolution aus einer "einfacheren, primitiven Materie" entstanden und er war fasziniert von der Menge an kohlenstoffhaltigen Kombinationen die von einem Himmelskörper stammen, die bisher nicht mit irgendeiner Art von Leben in Verbindung gebracht worden sind.
Das hat sich dann aber schnell geändert, denn kurz danach schrieb der damals sehr populäre Astronom Camille Flammarion in einem seiner Bücher, dass der Meteorit zeigen würde, dass auf dem Himmelskörper von dem er stammt, irgendeine Art von Leben existieren muss. Belege dafür hat er aber nicht geliefert und das war auch nicht möglich, denn in keiner der damaligen wissenschaftlichen Arbeiten war behauptet worden, dass der Orgueil-Meteorit Spuren von Leben in sich trägt.
Damit war die Erforschung des Meteoriten erst mal vorbei und Stücke wurden seitdem in diversen Museen der Welt aufbewahrt. Das größte davon in Paris, mit einem Gewicht von fast 9 Kilogramm. Aber auch in Prag, Edinburgh, Washington, Berlin, Wien, Moskau, New York und diversen anderen Forschungseinrichtungen hatte man zumindest kleine Brocken des Orgueil-Meteoriten. Spannend wurde die Angelegenheit dann wieder 1961. Die amerikanischen Chemiker Bartholomew Nagy, Georg Claus und Douglas Hennessy veröffentlichten eine neue, mikroskopische Analyse eines Meteoriten-Stückes und erklärten, darin "organisierte Elemente" entdeckt zu haben. Damit sind keine chemischen Elemente gemeint, die eine Gewerkschaft gegründet haben - die drei Forscher haben den Begriff wohl benutzt, um nicht gleich "außerirdisches Leben" sagen zu müssen. Denn das haben sie eigentlich gemeint. Eingeschlossen in die diversen Mineralien fanden sie Objekte, die wie fossile Algen ausehen würden. Oder wie Mikroorganismen. Das wäre natürlich eine dramatische Entdeckung gewesen. Es wurde darüber spekuliert, ob der Meteorit von einem Himmelskörper stammt, auf dem es Leben gibt; es wurde über den Ursprung des Lebens auf der Erde diskutiert und die Frage, ob vielleicht außerirdische Mikroorganismen wie die, die man im Orgueil-Meteorite entdeckt hat, dafür verantwortlich sind. Andere Forscherinnen und Forscher haben natürlich probiert, die Entdeckung zu prüfen und zu bestätigen. Harold Urey, der Physik-Nobelpreisträger und zweite Namensgeber des Miller-Urey-Experiments, das besser unter dem Begriff "Ursuppe" bekannt ist, und bei Urey und sein Kollege Stanley Miller gezeigt haben, dass aus der Ur-Atmosphäre der Erde durch die Energie von Blitzen komplexe organische Moleküle entstehen können, die der Ursprung des Lebens sind - dieser Harold Urey war zum Beispiel der Meinung, dass der Meteorit vom Mond kommen würde und der Mond vor langer Zeit mit frühem Leben der Erde quasi verseucht wurde. Andere kamen zu anderen Ergebnissen - und zu Ergebnissen, die nicht ganz so spektakulär waren. Die "organisierten Elemente" wurden in Sulfat-Einschlüssen entdeckt. Die aber, wie man dann herausgefunden hat, gar keinen außerirdischen Ursprung gehabt haben. Man konnte zeigen, dass die Sulfate im Laufe der Zeit Wasser aus der Luft aufgenommen haben. Dadurch sind Risse entstanden und durch sie können irdische Verunreinigungen in den Meteorit eingedrungen sind. Eine genaue Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungsdaten hat auch gezeigt, dass die ersten Beschreibungen des Meteorits nichts von Sulfat-Einschlüssen sagen; sie müssen also tatsächlich erst nachträglich auf der Erde entstanden sein. Und dann ist es auch keine Überraschung, wenn man darin Spuren von irdischen Mikroorganismen findet.
Berühmt geworden ist auch ein Fund, der im Zuge dieser ganze Forschung gemacht wurde: In einem Bruchstück, dass im Museum von Montauban aufbewahrt wurde, in einer Kleinstadt gleich neben Orgueil fand man Pollen und eine Samenkapsel. Aber, und das entdeckte man ebenso schnell: Da war Klebstoff im Spiel. Wer da probiert hat, Lebensspuren im Meteorit vorzutäuschen, ist unbekannt, das Stück in Montauban war seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr angerührt worden, aber irgendwer muss damals diese Fälschung gemacht haben. Vielleicht, so die Vermutung, um ein Argument bei der damaligen Diskussion um die spontane Entstehung des Lebens zu haben, also die Hypothese, das Leben quasi aus dem Nichts aus nichtlebendiger Materie entstehen kann. Am Ende jedenfalls war man sich einig: Der Orgueil-Meteorit enthält keine Spuren außerirdischen Lebens. Nur Harold Urey war immer noch überzeugt, das das Ding vom Mond stammt - weswegen die NASA bei ihren Apollo-Missionen dann auch tatsächlich eine Quarantäne für ihre vom Mond zurückkehrenden Astronauten angeordnet hat.
Heute wissen wir, dass der Orgueil-Meteorit zur seltenen Klasse der C1-Chondrite gehört, die manchmal auch CI-Chondrite genannt werden. So oder so: Wir haben nur ganz wenig davon, nur eine Handvoll und das liegt daran, dass sie so extrem porös sind. Sie werden normalerweise entweder beim Flug durch die Erdatmosphäre zerstört oder später auf der Erde. Sie haben einen hohen Kohlenstoffgehalt und enthalten viel Wasser. Die chemische Zusammensetzung dieser Meteorite ist fast so wie die Zusammensetzung der Wolke, aus der die Sonne und die Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Es handelt sich also um sehr ursprüngliches Material und der hohe Wassergehalt zeigt, dass sich die Objekte weit von der Sonne entfernt gebildet haben, irgendwo in der Gegend, wo sich heute Jupiter und Saturn rumtreiben. Nur dort war es kühl genug, damit sich Eis bilden konnte. Wir wissen - aus einer Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungen des Falls - auch, dass der Orgueil-Meteorit vermutlich aus der Jupiter-Familie stammt, eine Gruppe von ein paar hundert Kometen, die sich auf Umlaufbahnen in der Nähe der Jupiterbahn bewegen. Und 2010 hat man dann in Material des Orgueil-Meteoriten auch Partikel entdeckt, die älter als unser ganzes Sonnensystem sind. Winzigste Teilchen, in denen jede Menge des chemischen Elements Chrom-54 enthalten war. In solchen Mengen ist das normalerweise nicht im Sonnensystem zu finden, aber es wird bei den nuklearen Reaktionen in Supernova-Explosionen produziert. Oder anders gesagt: Als das Sonnensystem noch kein Sonnensystem sondern eine große Wolke aus Gas und Staub war, ist irgendwo in der Nähe ein großer Stern explodiert und hat unter anderem Chrom-54 in die Wolke geschleudert. Und im Orgueil-Meteorit ist ein bisschen davon bis heute übrig geblieben. Vielleicht war es sogar die Supernova, die die Wolke erst zum Kollabieren gebracht und damit die Entstehung des Sonnensystems ausgelöst hat?
Der Orgueil-Meteorit ist ein ganz besonderes Stück Gestein. Er ist gerade zum richtigen Zeitpunkt vom Himmel gefallen, als wir in der Lage waren, ihn auch wissenschaftlich zu untersuchen. Er hat uns auf einige falsche Fährten geschickt, aber auch jede Menge Hinweise auf echte Antworten gegeben. Und die Forschung daran ist noch lange nicht abgeschlossen.
Sternengeschichten Folge 605: Astronomie im Loch - Beobachtungen am Taghimmel
Astronomie findet in der Nacht statt. Immerhin geht es dabei ja um die Beobachtung von Sternen und die sieht man nicht am Tag. Das ist prinzipiell zwar richtig. Aber auch ein klein wenig falsch. Denn natürlich ist auch die Sonne ein Stern, der von der Astronomie erforscht wird und die Sonne sieht man per Definition nicht in der Nacht sondern nur am Tag. Es gibt auch jede Menge Weltraumteleskope, für die Tag und Nacht nicht existieren. Oder Disziplinen wie die Radioastronomie, die Beobachtungen auch problemlos tagsüber ausüben kann. Und natürlich sind Astronominnen und Astronomen zwar öfter mal in der Nacht unterwegs und müssen Teleskope bedienen, verbringen den Rest der Zeit aber ganz normal in ihren Büros und arbeiten zu halbwegs normalen Arbeitszeiten. Trotzdem möchte ich heute über die Frage sprechen, was für Astronomie man am Taghimmel durchführen kann und zwar abseits von Radioastronomie oder der Sonnenbeobachtung. Kann man nicht vielleicht doch irgendwie die Sterne auch beobachten, wenn es nicht dunkel ist? Das wäre zumindest für alle die recht praktisch, die ungern die ganze Nacht wachbleiben wollen um astronomische Daten zu sammeln.
Wenn es um die Planeten geht, dann kann man da durchaus auch am Tag erfolgreich sein. Die Venus ist nach Sonne und Mond das hellste Objekt am Himmel und wenn man weiß, wo sie sich befindet, kann man sie auch am Tag erkennen. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade zu sehr in der Nähe der Sonne steht. Mit einem Fernglas oder gar Teleskop lassen sich auch Mars, Jupiter und Saturn erkennen und tatsächlich auch ein paar der sehr hellen Sterne. Wer jetzt aber untertags auf die Suche nach Himmelskörpern gehen will, sollte allerdings sehr vorsichtig sein und Fernglas oder Teleskop nicht wild über den Himmel schwenken. Ein unabsichtlicher Blick auf die Sonne durch ein solches optisches Instrument kann schwere Augenschäden verursachen. Aus wissenschaftlicher Sicht kommt man aber bei der Beobachtung am Tag auf diese Weise nicht sehr weit. Aber vielleicht geht es ja anders?
Man hört immer wieder die Geschichte, dass man die Sterne sehr gut auch untertags sehen kann und zwar, wenn man sich am Grund eines tiefen Brunnes befindet. Oder durch einen hohen Schornstein oder Kamin zum Himmel blickt. Das hat schon Aristoteles behauptet, als er erklärt hat, warum manche Tiere gut sehen und andere schlecht. Und wenn Aristoteles was behauptet, dann muss das ja stimmen. Das war zumindest lange Zeit die Meinung der gelehrten Menschen in der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Und über die Jahrhunderte kann man immer wieder Berichte finden, die Aristoteles Behauptung bestätigen. Mal haben Leute das Licht der Sterne im Wasser eines tiefen Brunnes reflektiert gesehen; mal waren es Bergleute, die beim Blick aus Minenschächten hinaus die Sterne auch am Taghimmel gesehen haben wollen. Autoren wie Rudyard Kipling oder Charles Dickens haben dieses Phänomen in ihren Büchern verarbeitet. Und selbst der Astronomie-Professor an der Uni Cambridge, Robert Ball, hat noch 1908 geschrieben, dass man Sterne auch am Tag sehen kann, wenn man sie nur durch einen hohen Kamin beobachtet. Denn der lange Schacht würde das direkte Licht der Sonne abschirmen und das Auge würde dadurch viel sensitiver und könne so das schwache Sternenlicht wahrnehmen.
Also: Warum stellt man nicht einfach ein paar Teleskope in tiefe Löcher? Dann kann man auch tagsüber Astronomie betreiben und spart sich das lange Wachbleiben in der Nacht und die Müdigkeit am Tag? Tatsächlich gibt es Teleskope in Löchern. An der Königlichen Sternwarte in Greenwich wurde so etwas im 17. Jahrhundert gebaut aber auch später, zum Beispiel an der Sternwarte in Jena. Mit ihnen wurde aber in der Nacht gearbeitet und es gab spezielle Gründe, warum man sie in Löchern untergebracht hat. In Greenwich hat man versucht, die Position des Stern Gamma Draconis zu messen. Es ging damals darum, herauszufinden, wie weit die Sterne entfernt sind. Dazu muss man die scheinbare Position eines Sterns zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr messen - ich hab das in Folge 19 ausführlich erklärt. Im 17. Jahrhundert war es noch nicht so einfach, große Teleskope zu bauen, also hat man sich gedacht, man nimmt einfach einen Brunnenschacht, baut am oberen Ende eine Linse ein und schaut dann vom Grund des Brunnes mit einem Okular darauf. Oder anders gesagt: Man den gesamten Brunnen zu einer Art Teleskop umgebaut, das sich zwar nicht bewegen lässt, aber Sterne sehen kann, die sich genau darüber hinwegbewegen. Gute Idee, aber die Sache war enorm unangenehm. Immer muss man in einem tiefen, feuchten Loch am Rücken liegen um die Beobachtungen anzustellen und das auch noch Nachts. Auch in Jena wollte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr genau Positionsmessungen an Sternen anstellen. Das Ziel war es, die Schwankung der Erdachse zu bestimmen und damit das mit der nötigen Genauigkeit klappt, darf das Teleskop selbst natürlich absolut gar nicht wackeln. Man kann es nicht einfach so hinstellen; da würde schon die Erschütterungen ausreichen, die auftreten, wenn Autos oder damals auch noch Kutschen vorbeifahren. Aber nur ein paar Meter unter der Erdoberfläche war eine hunderte Quadratkilometer große und ein paar hundert Meter dicke Gesteinsschicht, die sogenannte Saale-Ilm-Platte, die sich unter halb Thüringen erstreckt. Ein noch stabileres Fundament kann man sich kaum wünschen, also hat man ein 10 Meter tiefes Loch gegraben, bis zu dieser Schicht und dort die Teleskope aufgestellt. Aber weder in Jena noch in Greenwich hat dann auch mehr als ein paar Beobachtungen angestellt. Es war einfach zu aufwendig und unangenehm, die ganze Nacht über in einem kalten, feuchten Loch zu sitzen.
Aber wie ist das jetzt mit der Beobachtung am Tag? Wieso hat das niemand ausprobiert? Weil es - Spoiler! - nicht funktioniert! Denn natürlich hat man das ausprobiert. Der große Naturforscher Alexander von Humboldt, der sich beruflich auch viel in Bergwerken rumgetrieben hat, hat das getestet und festgestellt: Man sieht nichts. Später haben dann diverse Leute noch ausführlichere Tests und Messungen angestellt, mit dem Ergebnis, das man mit freiem Auge untertags keine Sterne sehen kann, auch wenn man in einem tiefen Loch sitzt. Diejenigen, die meinen, in einem Kamin oder Schacht dennoch Sterne gesehen zu haben, haben wahrscheinlich irgendwelche Blätter, Staubteilchen oder anderes Zeug gesehen, das durch die Zugluft nach oben gewirbelt und dann von der Sonne angeleuchtet worden ist. Aber Sterne sind nicht zu sehen, ausgenommen vielleicht Sirius, dem hellsten Stern. Oder, wie es der Astronom David Hughes 1983 in einer sehr ausführlichen wissenschaftlichen Analyse des Phänomens gesagt hat: "Durch einen Kamin zu schauen ist das letzte, was man tun sollte, wenn man Sterne sehen will."
Gut, halten wir fest. Am Tag sieht man auf jeden Fall einen Stern, nämlich die Sonne. Man kann die Venus sehen und natürlich auch den Mond. Und es bringt nichts, sich in irgendwelche Löcher zu setzen. Da ist es kalt, unangenehm und man schränkt auch das Sichtfeld extrem stark ein. Das heißt aber nicht, dass man nicht doch sinnvolle Sternbeobachtung auch untertags erledigen kann. Aber eben nur in sehr speziellen Fällen. Ein so ein Spezialfall ist der Stern Beteigeuze. Von dem habe ich schon in Folge 204 erzählt; es ist ein heller Stern und ein prominenter Stern im Sternbild Orion. Vor allem aber ist es ein interessanter Stern, denn er befindet sich schon am Ende seines Lebens und könnte bald zu einer Supernova werden. Ok, das kann noch ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, aber auch jetzt passiert dort schon jede Menge spannendes Zeug aus dem wir lernen können, wie sich solche Sterne gegen Ende ihres Lebens verhalten. Dazu müssen wir aber auch so viele Beobachtungen wie möglich machen um nichts zu verpassen. Bei Beteigeuze geht das aber nicht. Denn der Stern ist nicht nur am Tag nicht zu sehen, er ist auch vier Monate in jedem Jahr in der Nacht nicht zu beobachten. Denn in diesem Zeitraum sehen wir ihn von der Erde aus zu nahe an der Sonne und die ist in der Nacht unterm Horizont. Um diese Lücke in den Beobachtungsdaten zu schließen, müssten wir ihn tagsüber sehen können. Und das geht, mit der richtigen Technik! Die australische Astronomin Sarah Caddy und ihr Team haben 10 sehr große aber handelsübliche Fotoobjektive zusammengebastelt. Ok, es war ein bisschen mehr als basteln; es war schon eine sehr komplexe Ingenieursleistung. Aber mit dem daraus entstandenen "Huntsman Telescope" lässt sich ein heller und vergleichsweise groß erscheinender Stern wie Beteigeuze auch am Tag in einer Genauigkeit beobachten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
Die Astronomie wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft etwas bleiben, was in der Nacht stattfindet. Aber mit ausreichend guter und kreativer Technik wird man zumindest einen Teil der Arbeit auch am Taghimmel durchführen können. Und man wird dafür nicht in kalten, feuchten Löchern sitzen müssen.
Sternengeschichten Folge 604: Noctcaelador - Die Psyche und der Nachthimmel
Der Nachthimmel ist schön. Zumindest dann, wenn man die vielen Sterne funkeln sehen kann und nicht alles voller Wolken ist. Obwohl auch Wolken ihren ganz eigenen ästhetischen Wert haben können, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Aber wir können uns vermutlich darauf einigen, dass die allermeisten Menschen, die nachts zum Sternenhimmel blicken, diesen Anblick ästhetisch schön finden und nicht mit "Ihh - was soll das denn!" reagieren.
Dafür gibt es auch jede Menge Belege in der Geschichte der Menschheit. Egal welche Kultur zu welcher Zeit und an welchem Ort wir betrachten: Der Sternenhimmel hat immer eine wichtige Rolle gespielt. Jede Kultur hat ihre ganz eigenen Mythen über die Sternen entwickelt; ihre eigenen Helden, Götter und Monster in den Lichtern am Himmel gesehen und sich Geschichten darüber ausgedacht. Die Sterne haben die Kultur beeinflusst, die Religion und die Gesellschaft als Ganzes. Diese Verbindung zum Himmel haben wir erst in den letzten Jahrzehnten verloren; seit wir in einer Welt leben, in der die Nacht in vielen Gegenden nicht mehr richtig dunkel wird und wir den faszinierenden Anblick des Sternenhimmels gar nicht mehr sehen können.
Das bedeutet aber nicht, dass es nicht immer noch genug Menschen gibt, die zu den Sternen schauen und auch in unserer lichtverschmutzten Welt der Gegenwart ist der reduzierte Sternenhimmel immer noch schön. Das alles ist keine große Neuigkeit und ich muss den Menschen, die diesen Podcast hören, vermutlich auch nicht extra erklären, dass der Sternenhimmel schön und spannend ist. Aber vielleicht steckt da noch mehr dahinter.
Das dachte sich zumindest der amerikanische Psychologe William Kelly. 2003 führte er eine kleine Studie an 46 Studentinnen und Studenten seiner Universität durch. Er stellte ihnen Fragen wie "Schaust du oft zum Nachthimmel?", "Fühlst du dich besser oder ruhiger wenn du den Nachthimmel betrachtest?" oder "An was denkst du, wenn dir der Begriff 'Nachthimmel' begegnet?". Die Antworten waren vorerst mehr oder weniger erwartbar. Die Mehrheit der jungen Menschen schaute regelmäßig zum Nachthimmel; aber gut - es waren ja auch Studentinnen und Studenten und da treibt sich vermutlich öfter des Nachts herum als andere Leute. Aber Kelly fand in den Antworten auch starke Hinweise darauf, dass auf viele die Beobachtung des Nachthimmels beruhigend wirkt und Gedanken an Ruhe und Frieden wurden auch oft mit dem Nachthimmel assoziiert.
Kelly vermutete als Ursache eine Art emotionale Verbindung zum nächtlichen Himmel, genau so wie es ja definitiv auch das psychologische Phänomen der emotionalen Verbindung zu einem Ort gibt. Das haben sicher die meisten schon erlebt; wir alle kennen bestimmte Orte, die in uns gefühlsmäßig irgendwas auslösen. Für viele ist es der Ort an dem sie aufgewachsen sind: Selbst wenn man jahrelang anderswo verbracht hat, fühlt man sich dort oft immer noch besonders wohl und sicher. Der Nachthimmel ist jetzt zwar kein physischer Ort, aber, so Kelly, vielleicht gibt es da ähnliche psychologische Effekte.
Er hat dieser emotionalen Verbindung den Namen "Noctcaelador" gegeben; ein Kunstwort das aus dem lateinischen Worten "nocturnus" für Nacht, "caelum" für Himmel und "ador" für Bewunderung zusammengesetzt ist. Und Kelly hat dieses Phänomen weiter erforscht. Er stellte zum Beispiel eine Verbindung zwischen Alpträumen und der nächtlichen Himmelsbeobachtung fest. Was nicht bedeutet, dass das eine die Ursache des anderen ist. Aber vielleicht gibt es eine gemeinsame Grundlage; irgendwas, was mit dem Management unserer Gefühle zu tun hat. In einer weiteren Forschungsarbeit konnte Kelly eine Verbindung von Noctcaelador mit Versunkenheit beziehungsweise Vertieftheit zeigen und schlug vor, dass man sich Noctcaelador als eine Art von hypnotischer Verbindung zum Nachthimmel vorstellen kann. Die Forschung legt nahe, dass die Beobachtung des Nachthimmels als eine Art ästhetischer komplexer, hynotischer Anreiz wirkt. Und für Menschen mit einer flexiblen, durchlässigen Psyche könnte das ein sicheren Ankerpunkt sein. Die vertiefte Interaktion mit dem Nachthimmel ist ein Weg, um die Psyche zu regulieren, für bestimmte Menschen zumindest. Denn die Forschung zeigt auch, dass Beobachtung des Nachthimmels eine positive Stimmung fördert und den wahrgenommenen Stress verringert. Und bei Menschen, bei denen das so ist, ist es verständlich, dass sie eine intensive Verbindung zum Nachthimmel entwickeln die stabiler ist, als bei anderen psychologischen Anreizen.
Nicht alle Menschen entwicklen Noctcaelador, die bisherige Forschung zeigt, dass das vor allem die betrifft, deren Psyche gewissermaßen dünnere Grenzen hat und die in der Lage sind, hypnotische Effekte intensiver erfahren zu können. Menschen, die Noctcaelador erleben haben auch eine größere Ambiguitätstoleranz; können also Unsicherheiten und Mehrdeutigkeit besser ertragen; sie sind tendenziell kreativer als andere und besser darin, Probleme zu lösen.
Das bedeutet natürlich nicht, dass man auch völlig unabhängig dieses speziellen psychologischen Effekts den Nachthimmel mit Gewinn betrachten und schön finden kann. 2024 haben Christopher Barnes und Holli-Anne Passmore von den Unis in Derby und Edmonton den Night Sky Connectedness Index entwickelt, um die Verbindung der Menschen zum Nachthimmel unabhängig von psychologischen Einstellungen zu messen. Aber auch sie haben in ihren Daten gesehen, dass Menschen, die eine starke Verbindung zum Nachthimmel haben, eher mental stabiler und glücklicher sind. Und dass Menschen, die dort leben, wo der Nachthimmel wegen der Lichtverschmutzung schlecht zu sehen ist, eine geringere Verbindung zum nächtlichen Himmel haben.
Psychologische Forschung ist schwierig; wir Menschen sind so viel komplizierter als ein Stern. Vielleicht ist das Phänomen des Noctcaelador auch nicht so relevant, wie William Kelly gedacht hat. Aber es ist auf jeden Fall klar, dass es vielen Menschen gut tut, den Sternenhimmel zu beobachten. Das sollte Grund genug sein, uns dafür einzusetzen, dass wir den faszinierenden Anblick des sternenübersäten Nachthimmels auch in Zukunft noch genießen können.
Sternengeschichten Folge 603: Genesis und der Sternenstaub
Die Geschichte von Genesis beginnt am 8. August 2001. Und in Wahrheit beginnt sie natürlich schon viel früher. Nicht weil mit "Genesis" das erste Buch der Bibel gemeint ist, das tatsächlich mit der Schöpfung der Welt beginnt, sondern weil ich heute von der Raumsonde "Genesis" erzählen möchte, die zwar am 8. August 2001 vom Cape Canaveral mit einer Delta-II-Rakete ins All geflogen ist, aber natürlich nicht an diesem Zeitpunkt begonnen hat zu existieren.
Genesis ist Teil des Discovery-Programms der NASA. Das wurde 1990 gestartet, um, wie es der damalige NASA-Chef Daniel Goldin gesagt hat, "schnellere, bessere und billigere" Missionen zur Erforschung des Sonnensystems zu realisieren. "Genesis" war die fünfte Mission des Discovery-Programms und ihr Ziel war die Erforschung des Sonnenwindes. Ich habe in den Sternengeschichten schon oft davon erzählt, dass die Sonne ja nicht nur Licht oder besser gesagt, elektromagnetische Strahlung ins All sendet, sondern auch einen stetigen Strom aus geladenen Teilchen. Und das sind gar nicht mal so wenig Teilchen: Die Sonne verliert durch diesen Sonnenwind circa eine Million Tonnen ihrer Masse und das in jeder Sekunde. In den äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre, der Korona, über die ich in Folge 134 ausführlich gesprochen habe, sind die Temperaturen enorm hoch und die Teilchen bewegen sich entsprechend schnell. Ein paar davon sind so schnell, dass sie die Anziehungskraft der Sonne überwinden können und sie sind es, die den Sonnenwind bilden. Da die Sonne im Wesentlichen aus Wasserstoff und Helium besteht, muss auch der Sonnenwind aus Wasserstoff und Helium bestehen. Der Wasserstoff ist aber ionisiert, das heißt das Elektron, das die Hülle eines Wasserstoffatoms bildet ist von dem Proton, das den Wasserstoffatomkern darstellt, getrennt. Und auch das Helium ist in Elektronen und Heliumatomkerne (die auch Alpha-Teilchen genannt werden) aufgespalten.
Der Sonnenwind besteht also aus Elektronen, aus Protonen und aus Alpha-Teilchen. Und wenn das schon alles wäre, dann wäre die Sache nicht wahnsinnig interessiert. Aber die Sonne besteht eben nicht nur aus Wasserstoff und Helium. Sie enthält auch andere chemische Elemente, in sehr geringen Mengen zwar, aber auch sie tragen einen kleinen Teil zum Sonnenwind bei. Und das wollen wir dann schon ein bisschen genauer wissen. Wenn wir die Zusammensetzung des Sonnenwinds messen, dann verstehen wir auch besser, was im Inneren der Sonne passiert; wie sie entstanden ist, wie sie sich entwickelt, was da alles tief unter ihrer Oberfläche abläuft, und so weiter. Nur: Wie misst man den Sonnenwind?
Es handelt sich ja um elektrisch geladene Teilchen und die werden vom Magnetfeld der Erde und auch von ihrer Atmosphäre abgehalten. Das ist gut so, weil das für uns unter Umständen ein wenig unangenehm werden könnte, wenn wir einem ständigen Bombardement dieser kosmischen Strahlung ausgesetzt wären. Aber es ist ein wenig doof für die Astronomie. Wenn wir den Sonnenwind direkt messen wollen, müssen wir ins Weltall. Und da sind wir ja auch hin. Diverse Raumsonde haben immer wieder den Sonnenwind erforscht; die Apollo-Missionen haben auf der Oberfläche des Mondes entsprechende Experimente aufgebaut. Aber im Weltall sind unsere Forschungsmöglichkeiten zwangsläufig immer eingeschränkt. Deswegen hat man sich gedacht: Wir holen uns einfach ein bisschen Sonnenwind auf die Erde, damit wir das dort in unseren Labors so ausführlich wie möglich erforschen können.
Genau das war das Ziel der Genesis-Mission. Die Raumsonde hatte zuerst einmal die üblichen Instrumente an Bord, mit denen man Sonnenwind erforschen kann. Es gab Detektoren, die die Geschwindigkeit, Dichte, Temperatur und Energie der Sonnenwindpartikel messen konnten. Es gab aber nicht nur Detektoren sondern auch Kollektoren. In ihnen sollte der Sonnenwind nicht nur gemessen werden, sondern gesammelt. Teilchen des Sonnenwinds konnten auf die Kollektoren auftreffen und dort dann - vereinfacht gesagt - stecken bleiben. In einer speziellen Kapsel sollten sie zurück zur Erde gebracht und dort dann wieder rausgeholt und erforscht werden.
So etwas ist natürlich nicht leicht zu bauen; die Kollektoren müssen extrem rein sein, damit man auch nur das findet, was man finden will und nichts, was man schon von der Erde mitgebracht hat. Aber so etwas konnte man bauen und so etwas hat man gebaut. Und am 8. August 2001 ins All geschickt. Genesis musste aber noch knapp 3 Monate lang fliegen, bis sie an ihrem Bestimmungsort angekommen war: Dem Lagrange-Punkt L1. Das ist ein Punkt auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne; vereinfacht gesagt der Punkt, an dem sich die Kräfte die von Sonne und Erde wirken gerade gegenseitig aufheben. Diesen Punkt begann Genesis am 16. November 2001 zu umkreisen. Am 3. Dezember öffnete die Sonde ihre Kollektoren und hat angefangen, Teilchen des Sonnenwinds zu sammeln. Das hat bis zum 1. April 2004 gedauert. In den Kollektoren waren jetzt - hoffentlich! - jede Menge Partikel des Sonnenwinds. Aber sie musste ja noch zurück zur Erde…
Das war am 8. September 2004 geplant. Das hat auch am 8. September 2004 stattgefunden. Aber leider nicht so, wie es geplant gewesen wäre. Der Sammelbehälter mit den Proben wurde so auf den Weg gebracht, dass er über der Wüste bei Salt Lake City runter kommt. Dabei wollte man besonders sorgfältig sein. Eine simple Landung mit Fallschirm wäre vielleicht immer noch zu heftig gewesen. Deswegen sah der Plan so aus: 33 Kilometer über dem Boden sollte ein Bremsschirm entfaltet werden um die Kapsel abzubremsen. Wenn sie dann nur noch 6,7 Kilometer vom Boden entfernt ist, würde man einen großen Fallschirm einsetzen, um sie noch langsamer zu machen und ihre Flugbahn zu stabilisieren. Und dann würde man einen Helikopter schicken, der die Kapsel mit einem langen Haken einfängt, noch bevor sie den Boden berühren kann.
Ein guter Plan. Das Problem: Die Fallschirme wurden nicht ausgelöst. Die Sonde raste, nur gebremst durch den Luftwiderstand, auf den Wüstenboden zu, wo sie mit einer Geschwindigkeit von circa 310 Kilometer pro Stunde definitiv eingeschlagen und nicht gelandet ist. Sieht man sich Bilder der halb im Boden eingegrabenen Kapsel an, kann man die Wucht nachvollziehen. Die Kapsel ist dabei auch aufgebrochen und auch Teile der Probenbehälter sind beschädigt worden.
Definitiv nicht das, was man sich erhofft hatte. Und noch dazu verursacht durch einen sehr vermeidbaren Fehler. Der Beschleunigsmesser, der den Fallschirm auslösen sollte, war verkehrt herum eingebaut worden… Und ein Fun Fact am Rande: Das berühmte "Murphys Law", das besagt "Alles, was schief gehen kann, wird auch schiefgehen", geht auf den Ingenieur Edward Murphy zurück, der es 1949 aufgestellt hatte, als man bei einem Test der US Air Force sämtliche - jawoll! - Beschleunigungsmesser falsch herum eingebaut hatte.
Aber so schlimm die zertrümmerte Sonde am Wüstenboden von Utah auch ausgesehen hat: Es war nicht alles verloren. Ein paar der Kollektoren war überraschenderweise ganz geblieben. Und konnten in den Labors untersucht werden. Es war nur eine sehr geringe Menge an Sonnenwindpartikeln gesammelt worden, nur drei bis vier Mikrogramm. Aber die haben uns einiges verraten. Wir haben zum Beispiel Neon und Argon gefunden, in ziemlich der gleichen Menge wie wir sie auch in Proben aus Mondgestein nachgewiesen haben. Die Steine vom Mond waren 100 Millionen Jahre alt und das heißt: Zumindest in den letzten 100 Millionen Jahren hat sich die Zusammensetzung des Sonnenwinds kaum geändert.
Ein besonderes Ziel war es von Anfang an, im Sonnenwind auch Sauerstoff-Atomkerne nachweisen zu können. Sauerstoff haben wir nämlich auch im Gestein der Erde, des Mondes, des Mars und in Meteoriten gefunden. Im Sonnenwind war aber mehr Sauerstoff als bei Erde, Mond, Mars und Meteoriten. Das ist überraschend, denn die Sonne und die anderen Himmelskörper sind ja aus der selben Wolke an kosmischen Gas und Staub entstanden. Zuerst die Sonne, die dann von einer Scheibe aus Material umgeben war, aus der sich die Planeten gebildet haben. Aber die relativen Mengen der Elemente sollten trotzdem gleich sein. Dass es nicht so ist bedeutet, dass zwischen der Entstehung der Sonne und der der Planeten irgendwas passiert ist, was dazu geführt hat, dass sich die Menge an Sauerstoff verringert hat.
Auch wenn Genesis nicht so gelaufen ist, wie es geplant war: Am Ende haben wir trotzdem noch etwas gelernt, was wir vorher nicht gewusst haben. Und darauf kommt es an. Trotz der alles anderen als sanften Landung hat Genesis am Ende so gut wie alle vorab gesetzten wissenschaftlichen Ziele erfüllt.
Sternengeschichten Folge 602: Flackersterne und außerirdisches Leben
Sterne flackern. Wenn wir nachts zum Himmel schauen, dann sehen wir die hellen Punkte der Sterne so gut wie nie konstant leuchten, sondern immer ein bisschen flackern. Das liegt aber an der Bewegung der Luft in der Erdatmosphäre, die das Sternenlicht ganz leicht ablenkt, weswegen die Sterne ein kleines bisschen hin und her zu springen scheinen. Wenn wir flackernde Sterne sehen, hat das nichts mit den Sternen selbst zu tun. Es sei denn, es handelt sich um "Flackersterne". Das ist deutsche Übersetzung des Fachbegriffs "flare star", wie diese Gruppe von Sternen normalerweise genannt werden. Oder auch "UV-Ceti-Sterne" und deswegen werfen wir zu Beginn einen kurzen Blick auf den Namensgeber, den Stern UV Ceti selbst.
UV Ceti befindet sich im Sternbild Walfisch und ist ohne optische Hilfsmittel nicht zu sehen. Er treibt sich dort auch nicht alleine im Weltall herum, sondern ist Teil eines Doppelsternsystems. Das trägt den offiziellen Namen Gliese 65 oder Luyten 726-8. Und damit wir die ganze Sache mit den Namen gleich vom Tisch haben, erwähne ich auch noch, dass dieser Stern das erste Mal im Jahr 1948 in einem Katalog aufgetaucht ist, den der niederländische Astronom Wilhelm Luyten erstellt hat, als er auf der Suche nach Sternen war, die sich vergleichsweise schnell bewegen. Er wies seine Kollegen auf einen der Sterne hin - den mit der Katalognummer 726-8 - damit die den ein wenig genauer ansehen. Das haben Alfred Harrison Joy und Milton Humason mit dem großen Teleskop an der Mount-Wilson-Sternwarte ebenfalls noch 1948 erledigt und gleich einmal festgestellt, dass es sich dabei nicht um einen sondern um zwei Sterne handelt. Heute wissen wir, dass es sich bei beiden Komponenten dieses Doppelsternsystems um rote Zwergsterne handelt, mit jeweils einem Zehntel der Sonnenmasse und beide leuchten circa hunderttausend Mal schwächer als die Sonne. Das wir sie dennoch halbwegs gut mit dem Teleskop beobachten können liegt daran, dass sie uns mit einer Distanz von knapp 9 Lichtjahren recht nahe sind. Joy und Humason stellten bei ihren Beobachtungen auch fest, dass sich die Helligkeit dieser Sterne ändert, und deswegen haben sie die typische Bezeichnung für solche variablen Sterne bekommen, die aus einer Buchstabenkombination und dem Namen des Sternbilds besteht: UV Ceti und BL Ceti.
So, und jetzt wo wir mit den Namen durch sind, schauen wir uns an, was an ihnen und ganz besonders an UV Ceti so bedeutend ist, dass man gleich eine ganze Gruppe von Sternen so benannt hat. Sterne, die ihre Helligkeit ändern gibt es jede Menge; ich habe darüber schon in früheren Folgen der Sternengeschichten berichtet und es gibt jede Menge Gründe, warum Sterne das tun. Die Flaresterne beziehungsweise die UV-Ceti-Sterne sind aber eine ganz besondere Gruppe. Oder eigentlich auch nicht. Das, was dort passiert, passiert auch bei unserer Sonne. Wir wissen ja, dass es dort immer wieder Sonneneruptionen gibt. Die Sonne schleudert Material aus ihrer Atmosphäre hinaus ins All und so etwas nennt man "Flare". Und bei Flaresternen passiert genau das, nur sehr viel heftiger.
Wir müssen uns also die Flares ein wenig genauer ansehen und wir tun das vorerst mal bei der Sonne. Die äußeren Schichten der Sonne sind durchsetzt von Magnetfeldern, die von der Bewegung der ganzen elektrisch geladenen Teilchen stammen, die sich dort befinden. Die Sonne ist so heiß, dass die elektrisch negativ geladenen Elektronen aus den Hüllen der Atome nicht mehr an den elektrisch positiv geladenen Atomkern gebunden sind. Dieses heiße Plasma bewegt sich und erzeugt Magnetfelder, die wiederum die Bewegung des Plasmas beeinflussen. Es geht also wild zu und ab und zu können sich die Magnetfelder neu arrangieren und dabei Energie abgeben. Ander gesagt: Es gibt immer wieder so etwas wie gewaltige Kurzschlüsse bei denen jede Menge Energie frei wird, die dann das Plasma noch mal extra aufheizt. Das führt einerseits dazu, dass Material aus der Sonnenatmosphäre ins All geschleudert wird. Und andererseits aber auch dazu, dass das extrem aufgeheizte Plasma hell leuchtet.
Während eines Flares wird ein Stern also ein wenig heller. Die Sonne ist allerdings ein vergleichsweise großer Stern und ihre Gesamthelligkeit wird durch die Flares die ab und zu stattfinden, nicht dramatisch verändert. Bei den Flaresternen ist es anders. Dabei handelt es sich üblicherweise um rote Zwerge, also Sterne, die sehr viel weniger Masse haben als die Sonne und auch kleiner sind. Jetzt könnte man meinen, dass kleinere Sterne auch nicht so große Flares produzieren können. Tatsächlich ist es aber genau andersherum. Die Stärke der Flares wird von der Stärke des Magnetfeldes bestimmt und rote Zwerge können enorm starke Magnetfelder haben, gerade weil sie so klein sind.
In Sternen wie der Sonne gibt es, sehr grob eingeteilt, zwei unterschiedliche Zonen. Ganz im Inneren findet die Kernfusion statt und die dabei freiwerdende Energie wird in Form von Strahlung nach außen transportiert. Die Strahlung wird aber durch die Wechselwirkung mit der dichten Materie im Sonneninneren immer wieder abgelenkt, sie verliert Energie und irgendwann kommt sie - vereinfacht gesagt - nicht mehr vorwärts. Das ist dann der Punkt, an dem die Energie durch Konvektion weiter transportiert wird. Die Energie heizt das Plasma der Sonne auf, das heiße Plasma steigt an die Oberfläche, kühlt dort ab und sinkt wieder nach unten. Das ist der gleiche Prozess, der auch in einem Topf voll kochendem Wasser stattfindet und der Grund, warum das Wasser brodelt. In der Sonne gibt es also eine Strahlungszone innen und weiter außen eine Konvektionszone. Und die Bewegung des Plasmas durch die Konvektion ist es auch, die zu einem großen Teil für die Stärke des Magnetfeldes verantwortlich ist.
Bei Roten Zwergsternen ist das anders. Sie sind kühler und es gibt in ihrem Inneren quasi keine Strahlungszone. Die Energie wird direkt aus dem Kern per Konvektion transportiert oder anders gesagt: Der ganze Stern ist eine Konvektionszone; seine gesamte Masse wird quasi ständig durchgerührt. Durch diese großflächigen Bewegungen kann das Magnetfeld verstärkt werden, das ist wie beim Fahrraddynamo. Na ja, fast wie beim Fahrraddynamo. Eigentlich gar nicht wie beim Fahrraddynamo. Aber das Phänomen nennt sich trotzdem "Dynamo-Effekt", und beschreibt die Entstehung von Magnetfeldern, wenn man elektrisch leitfähiges Plasma hat und einen Stern, der schnell rotiert. Die Details sind nicht unkompliziert, drum lasse ich sie jetzt auch aus. Aber kurz gesagt: Je großflächiger die Bewegung des Plasmas durch die Konvektion ist und je schneller ein Stern rotiert, desto stärker das Magnetfeld.
Wir wissen, dass rote Zwerge eine starke Konvektion haben. Und wenn es sich um junge rote Zwerge handelt, dann ist auch die Chance groß, dass sie schnell rotieren. Denn junge Sterne rotieren im Allgemeinen schneller als alte. Im Laufe der Zeit verliert ein Stern ein wenig seiner Rotationsenergie, zum Beispiel durch die ganze Materie, die er bei Flares ins All schleudert. Oder durch die Wechselwirkung mit seinem eigenen Magnetfeld, was man sich wie eine magnetische Bremse vorstellen kann.
Also: Rote Zwerge die jung sind, haben besonders starke Magnetfelder und dadurch auch besonders starke Flares. Und "stark" heißt hier auch wirklich stark. Das, was Alfred Harrison Joy und Milton Humason 1948 bei UV Ceti beobachtet haben, war wirklich gewaltig. Daten, die innerhalb weniger Tage aufgenommen wurde, haben einen Anstiegt der Temperatur des Sterns um 10.000 Grad gezeigt und seine Helligkeit ist um vier Größenklassen gestiegen, also um fast das 40fache.
Wir können froh sein, dass unsere Sonne halbwegs ruhig ist. Ok, ab und zu gibt es größere Ausbrüche, aber im großen und ganzen verhält sie sich friedlich. Auf Flaresternen geht es dagegen richtig rund. Es gibt ständig Ausbrüche, die viel gewaltiger sind als bei uns. Und das hat Konsequenzen. Wenn das Material, das bei den Flares ins All geschleudert wird, auf einen Planeten trifft, kann es dort geomagnetische Stürme geben. Was vorerst nur dann ein Problem ist, wenn es auf dem Planeten auch eine elektrische Infrastruktur gibt, die dadurch geschädigt werden kann. Aber wenn das geladene Zeug eines Sterns auf das Magnetfeld eines Planeten trifft, kann das dadurch verändert und abgeschwächt werden. Und dann kann viel mehr Strahlung auf die Oberfläche treffen, was an sich schon nicht gut ist und noch blöder bei einem Stern, der dazu neigt, unvorhersagbar seine Helligkeit und damit auch das Ausmaß der gefährlicheren Strahlungsarten, wie UV- oder Röntgenstrahlung, zu erhöhen. Im schlimmsten Fall kann die Strahlung die Atmosphäre eines Planeten komplett wegpusten. Oder anders gesagt: Planeten in der Nähe von Flaresternen sind keine guten Orte für Leben.
Ein weiteres Problem: Flaresterne sind, wie ich vorhin erzählt habe, vor allem klein und kühl. Das heißt, ein Planet, der ausreichend viel Wärme abkriegen will, damit dort Leben existieren könnte, müsste so einem Stern auch sehr nahe sein und damit voll in der Gefahrenzone. Rote Zwergsterne sind außerdem noch bei weitem die häufigste Klasse von Sternen im Universum. Ungefähr drei Viertel aller Sterne sind rote Zwergsterne; Sterne wie unsere Sonne machen nur circa 6 Prozent aus.
Wir leben also in einem Universum, wo gerade die häufigsten Sterne die Art von Sternen sind, die dazu neigen, Planeten in ihrer Nähe durch Flares quasi zu grillen und Leben unmöglich zu machen. Aber vielleicht ist die Lage doch nicht so düster. 2020 haben Forscherinnen und Forscher sich - in Computermodellen - die Atmosphären von Planeten in der Nähe von Flaresternen angesehen und mit denen von Planeten bei normalen Sternen verglichen. Der Einfluss der Flares hat natürlich auch die chemische Zusammensetzung der Atmosphären verändert. Die Arbeit hat nichts an der Erkenntnis geändert, das Leben auf Planeten bei Flaresternen einen schweren Stand hat. Aber dort, wo es vielleicht gelernt hat, mit den harten Bedingungen klar zu kommen, können Flares die Chemie der Atmosphäre so verändern, dass wir es von der Erde aus mit unseren Instrumenten leichter nachweisen können.
Das macht zumindest noch ein klein wenig Hoffnung. Immerhin ist der uns nächstgelegene Planet eines anderen Sterns ein Planet, der Proxima Centauri umkreist. Dieser 4 Lichtjahre entfernte Stern hat mindestens 2 und vielleicht sogar drei Planeten und einer davon wäre sogar im richtigen Abstand für lebensfreundliche Bedingungen. Proxima Centauri ist allerdings ein roter Zwerg und Flarestern. Ob es dort tatsächlich Leben geben kann und vielleicht sogar Leben gibt, werden wir aber wohl erst wissen, wenn wir Flaresterne besser verstanden - und eine Raumsonde zu unserem Nachbarn im All geschickt haben.
Sternengeschichten Folge 601: Wasser im Universum
Wasser! Ohne Wasser würde es auf der Erde kein Leben geben. Wasser ist absolut notwendig für uns. Die Wissenschaft diskutiert seit Jahrzehnten, ob auf dem Mars Wasser nachgewiesen werden konnte, oder nicht oder ob es heute noch dort zu finden ist. Oder ob es Wasser auf dem Mond gibt. Wasser ist wichtig. Und man könnte auf die Idee kommen, Wasser wäre selten. Wieso würden wir sonst so ein Theater darum machen? Tatsächlich ist Wasser im Universum enorm häufig. Und deswegen schauen wir uns heute mal an, wo man das Wasser überall finden kann.
Fangen wir mit den Grundlagen an. Wasser gehört zu den wenigen Stoffen, bei dem so gut wie alle Menschen auch die zugehörige chemische Formel kennen: H2O. Und dieses "H2O" sagt uns auch gleich, warum Wasser alles andere als selten ist. "H2O", das bedeutet, dass ein Wassermolekül aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff besteht. Und wenn es etwas im Universum in wirklich großen Mengen gibt, dann Wasserstoff! Wasserstoff ist das häufigste Element; ungefährt zwei Drittel aller Atome im Universum sind Wasserstoffatome. Wasserstoff ist direkt nach dem Urknall entstanden; es ist das einfachste Atom das es gibt. Aber wir brauchen ja auch noch Sauerstoff. Den gab es nach dem Urknall noch nicht. Damals hat es nur für Wasserstoff und Helium gereicht. Alle anderen Elemente, all die vielen anderen Arten von Atomen, die gab es noch nicht. Die wurden erst später, durch Kernfusion im Inneren der ersten Sterne produziert. Und Sauerstoff ist durch Kernfusion relativ einfach zu bekommen. Dazu muss man nur Helium-Atome miteinander fusionieren. Ok, das "nur" ist auch ein wenig übertrieben. Normalerweise fusionieren Sterne in ihrem Inneren Wasserstoff zu Helium. Erst in den letzten Phasen ihres Leben finden auch andere Kernreaktionen in nennenswerter Menge statt. Aber die Produktion von Sauerstoff ist da einer der wichtigsten Prozesse und deswegen ist Sauerstoff auch das dritthäufigste Elemente im Universum.
Jetzt müssen nur noch zwei Wasserstoffatome ein Sauerstoffatom finden, sich miteinander verbinden und fertig ist das Wasser. Netterweise verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff aber sehr gerne und leicht miteinander und im Weltall haben sie oft genug Gelegenheit dazu, das zu tun. Zum Beispiel in den großen Molekülwolken, die sich überall zwischen den Sternen finden. Die bestehen natürlich hauptsächlich aus Wasserstoff, aber sterbende Sterne in der Umgebung haben durch ihren Sternwind und ihre Supernova-Explosionen jede Menge andere Atome und natürlich auch Sauerstoff durch die Gegend verteilt. In diesen Wolken können sich also Wassermoleküle bilden und wenn da auch noch ein paar Staubteilchen rumfliegen, geht es noch einfacher. Dann können sich verschiedenste Atome an der Oberfläche des Staubs anlagern und dort miteinander reagieren.
Wir halten also fest: Wasser gibt es im Universum jede Menge. Aber bei diesem "Wasser" ist eben erstmal nur das Molekül selbst gemeint. Damit ist noch nichts über den Aggregatzustand des Wassers gesagt, also ob das Wasser fest, flüssig oder gasförmig ist. Als ich zu Beginn über die Bedeutung des Wassers für das Leben gesprochen habe, ging es natürlich um flüssiges Wasser. Mit Eis oder Wasserdampf können wir Lebewesen nicht viel anfangen; wir brauchen es als Flüssigkeit. Aber lassen wir diese Unterscheidung vorerst mal beiseite und schauen wir uns an, wo wir überall Wasser finden können. Und es ist klar, dass das nur ein grober Überblick sein kann, immerhin ist das Universum ziemlich groß.
Fangen wir mit dem Sonnensystem an. Hier gibt es jede Menge Wasser und zwar fast ausschließlich in fester Form. Wassereis ist häufig, zum Beispiel in Asteroiden und Kometen. All die Himmelskörper, die sich ausreichend weit von der Sonne entfernt gebildet haben, enthalten jede Menge Eis. "Ausreichend weit" ist so circa 2 bis 3 Mal weiter von der Sonne weg als die Erde. Dort sind aber noch jede Menge Asteroiden. Dort sind die Billionen von Kometen. Dort sind Planeten wie Uranus und Neptun, die nicht umsonst "Eisriesen" genannt werden. Dort sind ihre Monde und die Monde von Jupiter und Saturn. Wir wissen, das die Jupitermonde Europa, Ganymed und Kallisto von dicken Eispanzern umgeben sind, ebenso der Saturnmond Enceladus, der Neptunmond Triton, und viele andere Monde. Die Ringe des Saturns bestehen aus Wassereisbrocken; die Kometen auch zu einem großen Teil. Wir finden Wassereis an den Polkappen des Mars und vermutlich auch unter seiner Oberfläche. Auf dem Mond der Erde dürfte es auch Eis geben und selbst auf dem sonnennahen Merkur hat man Eis in einigen tiefen Kratern gefunden, in deren Inneres das Sonnenlicht nie fällt.
Auf der Erde gibt es natürlich auch Eis, aber auch jede Menge flüssiges Wasser. Wir wissen, das es auf dem Mars früher jede Menge flüssiges Wasser gegeben hat. Ob heute noch etwas davon übrig ist, ist nicht ganz klar. Wenn, dann ist es irgendwo unter der Oberfläche gefroren und kann nur unter speziellen Umständen kurzfristig an der Oberfläche austreten. Flüssiges Wasser befindet sich mit Sicherheit unter der dicken Eiskruste des Jupitermonds Europa und auch beim Saturnmond Enceladus. Wahrscheinlich auch bei anderen Monden wie Ganymed, Titan, Kallisto, Dione, Titania oder Triton.
Wo kommt das Wasser des Sonnensystems her? Es stammt aus den großen Wolken, aus denen Sterne und Planetensysteme entstehen; den Wolken, von denen ich vorhin gesprochen habe, als ich erklärt habe, wo und wie sich Wassermoleküle bilden. Und diese Wolken gibt es heute natürlich auch noch. Überall in der Milchstraße finden wir solche Regionen und wir finden auch protoplanetare Scheiben. Das ist das, was sich um einen frisch entstandenen Stern herum bildet und aus dem später Planeten entstehen. Weit genug vom Stern entfernt können sich dort Wassereispartikel bilden und mit dem ganzen Staub herumwirbeln. Und genau deswegen entstehen in den äußeren Regionen von Planetensystemen auch Himmelskörper, die viel Eis enthalten. Aus den Eispartikeln kann das Wasser auch in Form von Wasserdampf aussublimieren. Schmelzen kann Eis im Vakuum des Weltalls natürlich nicht, dazu braucht es einen ausreichend hohen Luftdruck. Aber das Eis kann direkt gasförmig werden und genau das tut es. Deswegen gibt es dort überall Wasserdampf und den können wir nachweisen, wenn wir das Licht untersuchen, das von diesen Scheiben und Wolken zu uns reflektiert wird. Mit der selben Technik haben wir Wasserdampf auch schon in der Atmosphäre von Planeten anderer Sterne nachgewiesen; allerdings in Planeten die eher dem Jupiter oder dem Saturn ähnlich sind. Auch dort verteilen sich überall Wassermoleküle.
Aber all das Wasser der gesamten Milchstraße ist nichts gegen das, was wir noch weiter entfernt gefunden haben. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher den Quasar mit der Bezeichnung APM 08279+5255 beobachtet, den ich im Folgenden nur noch APM nennen werde. Ein Quasar ist das helle Zentrum einer fernen Galaxie und es ist deswegen hell, weil dort ein supermassereiches schwarzes Loch sitzt. Seine Gravitationskraft lässt die ganze Materie in seiner Umgebung wild umherwirbeln, dabei heizt es sich auf und gibt Strahlung ab. Dieses Licht kann man analysieren und je nachdem, aus welchen Atomen oder Molekülen diese Materie besteht, wird man mehr oder weniger Licht bei ganz charakteristischen Wellenlängen sehen. Auch H2O hat so einen Fingerabdruck und den hat man im Jahr 2008 im Licht gesehen, das von APM bis zu uns gekommen ist. Dieses Licht war übrigens über 12 Milliarden Jahre unterwegs. Das bedeutet: Wir sehen den Quasar so, wie er knapp 2 Milliarden Jahre nach dem Urknall ausgesehen hat; wir schauen also tief in die Vergangenheit. Im Jahr 2011 konnte man dann auch die Menge an Wasserdampf messen, die dort existiert. 100.000 Sonnenmassen, ein paar Billionen Mal mehr Wasser als auf der Erde; circa 4000 mal mehr als in der gesamten Milchstraße. Dort befindet sich die größte Ansammlung an Wasser, die man bis dahin beobachtet hat.
Die Strahlung aus der Umgebung des schwarzen Lochs heizt das Wasser auf, seine Temperatur beträgt circa -50 Grad Celsius. Immer noch viel zu wenig natürlich für flüssiges Wasser. Aber doch deutlich mehr, als man üblicherweise in solchen Wolken findet. Diese viele hunderte Lichtjahre große Wolke besteht natürlich auch nicht rein aus Wasserdampf. Aber aus dem Nachweis von Wassermolekülen kann man - mit noch ein bisschen mehr komplexer Wissenschaft - auch auf das Vorhandensein anderer Moleküle schließen und damit auf die gesamte Masse, die da um das schwarze Loch wabert. Abgesehen davon hat der Nachweis von Wasser beim Quasar APM auch gezeigt, dass Wasser schon wirklich früh im Universum vorhanden war. Wenn schon zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall so gewaltige Menge existiert haben, dann bestätigt das nur, dass Wasser leicht zu erzeugen und schwer kaputt zu kriegen ist.
Aber eben nicht flüssiges Wasser. Außerhalb des Sonnensystems haben wir noch nirgendwo flüssiges Wasser gefunden und unsere Erde ist der einzige Ort, den wir kennen, auf dem es einen Wasserkreislauf gibt und wo Wasser sowohl fest, flüssig als auch gasförmig auftreten kann. Wasser ist im Universum völlig normal. Aber die Orte, wo dank Wasser auch Leben entstehen kann, sind es vermutlich nicht.
Sternengeschichten Folge 600: Prä-Astronautik - Waren die Aliens schon zu Besuch auf der Erde?
"Es ist nicht auszuschließen, dass Artefakte dieser Besuche [von Aliens] heute noch existieren oder dass im Sonnensystem eine Art von Basis unterhalten wird, um weitere Forschung durchführen zu können."
Die Person, die diesen Satz geschrieben hat, und die davon spricht, dass die Erde in der Vergangenheit Besuch von Außerirdischen bekommen haben könnte und wir die Spuren dieses Besuchs auch heute noch finden könnten, war kein komischer Spinner. Der Satz stammt aus einem wissenschaftlichen Aufsatz, der 1963 in der Fachzeitschrift "Planetary and Space Science" veröffentlicht worden ist und der Autor ist Carl Sagan, einer der bekanntesten und bedeutendsten Astronomen des 20. Jahrhunderts. Bevor wir aber nachsehen, was Sagan da noch alles geschrieben hat, ob er das ernst gemeint hat und was davon zu halten ist, gehen wir noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit. In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Prä-Astronautik, die auch gerne "Paläo-Seti" genannt wird. In dieser Disziplin beschäftigt man sich mit der Frage, ob in der fernen Vergangenheit der Erde vielleicht schon mal intelligente Außerirdische zu Besuch gekommen sind und ob sie dabei Spuren hinterlassen haben.
Den ersten Teil der Frage kann man innerhalb gewisser Grenzen durchaus wissenschaftlich untersuchen. Man kann sich fragen, ob es intelligente Außerirdische geben kann, ob sie in der Lage wären, die Erde zu erreichen, wie wahrscheinlich das ist, und so weiter. Der zweite Teil der Frage führt uns dann aber aus der echten Wissenschaft hinaus und hinein in die Para- oder Pseudowissenschaft. Wenn wir irgendwelche antiken Bauwerke wie zum Beispiel die Pyramiden vermessen um daraus ableiten zu können, dass sie in Wahrheit von Aliens erbaut worden sind, dann setzen wir einen Forschungsgegenstand voraus, den wir durch die Forschung erst belegen wollen. Das ist im besten Fall Parawissenschaft, also eine Art von Suche nach Erkenntnis, die prinzipiell mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet, aber außerhalb der Wissenschaft steht. Im schlechtesten und bei diesem Thema auch im häufigsten Fall, haben wir es aber mit Pseudowissenschaft zu tun, die nur so tut, als wäre sie Wissenschaft, es aber definitiv nicht ist.
Wir lassen jetzt die Wissenschaftsphilosophie mal beiseite und schauen uns an, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass irgendwelche Aliens uns schon längst besucht haben könnten. Das ist eine Frage, die natürlich nicht so leicht zu beantworten ist, weil wir da schon mitten in der Prä-Astronautik selbst gelandet sind. Wenn man den eher kreativeren und unwissenschaftlicheren Vertretern dieser Disziplin folgt, dann sind quasi alle alten und antiken Texte voll mit Beschreibungen solcher Besuche. Wenn wir das vorerst mal ignorieren, dann kann man den Beginn der Prä-Astronautik im 19. und frühen 20. Jahrhundert ansetzen. Das war auch die Zeit, in der die ersten Science-Fiction-Geschichten im modernen Sinn veröffentlicht worden sind; in der Leute wie Jules Verne über Reisen ins All spekuliert haben und wenn man mal da angelangt ist, liegt die Idee auch nicht fern, dass irgendwelche Wesen von anderswo durchs All zu uns gelangt sind.
Einer der ersten, der sich sehr konkret und nicht im Rahmen der Science Fiction darüber Gedanken gemacht hat, war der russische Mathematiker Mates Mendelevich Agrest. Er hat 1961 einen Artikel mit dem Titel "Kosmonauten der Antike" verfasst und darin schon viele der Themen vorweg genommen, die später in der Prä-Astronautik sehr populär werden sollten. Zum Beispiel die Idee, dass die Geschichte der Zerstörung von Sodom und Gomorrah aus der Bibel in Wahrheit eine Atombombenexplosion beschreibt, die von Aliens ausgelöst worden ist. Oder das die prähistorischen Ruinen von Baalbek, im heutigen Libanon, in Wahrheit Lande- und Startplätze für außerirdische Raumschiffe waren.
Agrest ist heute eher unbekannt, deutlich bekannter ist dagegen Konstantin Ziolkowski. Er war einer der Begründer der modernen Raumfahrt und seine mathematischen Gleichungen zum Raketenflug werden auch heute noch verwendet. Etwas weniger bekannt ist, dass Ziolokowski auch sehr spezielle Vorstellungen davon hatte, was im Weltall alles so abgeht. Eine komplette Darstellung seiner "kosmischen Philosophie" würde zu weit führen, aber für Ziolkowski war das Universum so eine Art von lebendiges Wesen, voll mit lebendigen Himmelskörpern und lebendigen Atomen, und so weiter. Und auch voll mit übermenschlichen, übersinnlichen Aliens, mit Weltraum-Engeln, die die Gedanken der Menschen lesen und sie beeinflussen können, um ihnen so Botschaften zu schicken. Und natürlich war Ziolkowski selbst auch Empfänger der Alien-Engelsbotschaften und einer der Gründe, warum er die Menschheit so dringend ins All aufbrechen sehen wollte, war seine Überzeugung, dass wir uns dort dann selbst zu solchen Überwesen entwickeln können.
Aber gut, lassen wir die Weltraumengel beiseite und schauen wieder auf die etwas handfesteren Behauptungen der Prä-Astronautik. Denn prinzipiell ist das, was Leute wie Mates Agrest behaupten, ja nicht unmöglich. Auch in den 1960er Jahren wussten wir schon, dass man Raketen ins All schießen kann und das es möglich ist, damit Menschen zu transportieren. Und wenn das geht, warum sollen dann weitere Reisen unmöglich sein? In den 1960er Jahren war es auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht unplausibel, davon auszugehen, dass es andere Planeten bei anderen Sternen gibt und das dort ebenfalls Leben entstehen kann. Es ist also auch nicht unmöglich, dass irgendwelche Aliens auf die Idee kommen, Raumschiffe zu bauen und durch die Gegend zu fliegen. Und wenn sie dabei auf der Erde gelandet sind, haben sie vielleicht Spuren hinterlassen.
Eine sehr originelle Idee dieser Art hatte 1960 der amerikanische Astronom Thomas Gold. Ihn kennt man heute vor allem für seine Zusammenarbeit mit dem englischen Astrophysiker Fred Hoyle und die daraus entstandene Steady-State-Kosmologie, eine Alternative zum Urknall-Modell, von der ich in Folge 491 mehr erzählt habe. In einem kurzen Aufsatz mit dem Titel "Kosmischer Müll" spekuliert Gold darüber, dass wir Menschen ja bald in der Lage sein werden, andere Himmelskörper im Sonnensystem zu besuchen. Und wenn wir das tun, dann könnten wir dabei auch Mikroorganismen von der Erde dorthin mitbringen. Also könnte es ja auch sein, dass vor ein paar Milliarden Jahren vielleicht Aliens die damals noch unbelebte Erde besucht haben. Und dabei ihre Mikroorganismen zurück gelassen haben. Ob das jetzt passiert ist, weil sie ihr Alien-Butterbrotpapier einfach weggeworfen haben, ob der Besuch bei der Erde vielleicht nur eine Pinkelpause mit entsprechenden Verunreinigungen war oder ob die Alien-Mikroorganismen anderweitig geliefert worden sind: Darüber sagt Gold nichts. Aber auch hier ist die These zumindest nicht unmöglich. Und aus diesen Mikroorganismen die die Aliens hier gelassen haben, ist dann das Leben auf der Erde und schließlich auch die Menschheit entstanden.
Womit wir jetzt wieder bei Carl Sagan und dem Zitat vom Anfang sind. Carl Sagan verdient definitiv irgendwann mal eine eigene Folge der Sternengeschichten. Er war einer der führenden Planetologen seiner Zeit, ein Pionier der Astrobiologie; er hat bei fast allen wichtigen Raummissionen im 20. Jahrhundert mitgearbeitet, bei denen Mars, Venus und die anderen Planeten erforscht worden sind. Sagan war es, der die Idee hatte, die Pioneer- und Voyager-Sonden mit Botschaften auszustatten, die von etwaigen Aliens entschlüsselt werden können, wenn sie in ferner Zukunft gefunden werden sollten. Und Sagan hat sich offensichtlich auch viele Gedanken darüber gemacht, ob Aliens auch uns kontaktiert können oder schon kontaktiert haben. Der erste Fall ist das, was wir heute als SETI kennen, also Projekte, bei denen wir versuchen, Botschaften von Außerirdischen aus dem All zu empfangen und natürlich war es auch da wieder Sagan, der den Weg dafür bereitet hat. Der zweite Fall ist der, der die Prä-Astronautik interessiert und auch Carl Sagan interessiert hat, in dem zu Beginn erwähnten Fachartikel mit dem Titel "Direkter Kontakt zwischen galaktischen Zivilisationen durch relativistischen interstellaren Raumflug". Darin geht er davon aus, dass sich auch anderswo in der Milchstraße intelligentes Leben entwickelt hat. Und dass dieses intelligente Leben in der Lage war, interstellaren Raumflug zu betreiben. Dass das nicht unmöglich ist, belegt Sagan durch Hinweise auf entsprechende Antriebssysteme, die damals - und heute übrigens immer noch - nur in Theorie existiert haben, aber zumindest wissenschaftlich belegt zeigen, dass sich die großen Distanzen zwischen den Sternen zurücklegen lassen, in Zeiräumen, die kurz genug ist, um es auch Lebewesen zu erlauben, die Reise zu überleben. Ich lasse die Details jetzt weg; es geht um Raumschiffe, die den Treibstoff für die Reise unterwegs aus der interstellare Materie einsammeln und natürlich um die Effekte der Relativitätstheorie, durch die zwar aus der Sicht von außen sehr, sehr viel Zeit vergeht, für die Crew im sich sehr schnell bewegenden Raumschiff aber sehr viel weniger. Am Ende kommt Sagan jedenfalls zu dem Schluß, dass es zumindest nicht unmöglich ist.
Danach schätzt er ab, wie viele solcher Zivilisationen es geben könnte, wie lange sie überleben, wie oft sie durch die Milchstraße fliegen, und so weiter, und kommt zu dem Ergebnis, dass - rein statistisch gesehen - die Erde im Laufe ihrer Existenz ein paar zehntausend Mal besucht werden hätte können. Die meisten dieser Besuche hätten natürlich stattgefunden, als noch kein Leben und schon gar keine Menschen existiert haben. Aber auch in der Frühgeschichte der Menschheit wären Alien-Besuche möglich gewesen und vielleicht gibt es da ja noch Spuren? Schriftliche Aufzeichnungen oder Überlieferungen sind laut Sagan aber keine gute Quellen; sie ändern sich zu schnell; werden mit mythologischen Elementen angereichert und am Ende weiß niemand, was da wirklich beschrieben wird oder ob es überhaupt einen realen Hintergrund gibt. Aber, und darauf bezieht sich das Zitat vom Anfang: Vielleicht haben sie Dinge hinterlassen, irgendwelche Alien-Geräte oder gar eine Basis, die automatisiert weitere Beobachtungen anstellt oder für zukünftige Besuche bereit steht. Auf der Erde selbst sollte man aber eher nicht danach suchen, die geologischen Vorgänge und die Verwitterung würden sowas im Laufe der Zeit zerstören beziehungsweise würden Menschen damit rumspielen, die das nicht sollen. Aber, so Sagan, der Mond und vor allem die von der Erde aus nicht sichtbare Rückseite des Mondes wäre ein guter Ort, um so etwas zu verstecken. Die - aus Sagans damaliger Sicht - bald stattfindenden Erforschung des Mondes wird uns zeigen, ob da was dran ist, oder nicht.
Nun ja. Bis jetzt haben wir keine Alien-Basis auf dem Mond gefunden. Und auch keine Alien-Artefakte auf der Erde. Ich will mich auch gar nicht weiter mit Leuten wie Zecharia Sitchin oder Erich von Däniken beschäftigen, die die Prä-Astronautik ab den späten 1960er Jahren wirklich populär gemacht haben. Das, was da behauptet wird, hat mit Wissenschaft nicht einmal annähernd was zu tun. Es wäre müßig, jetzt der Reihe nach den ganzen Unsinn mit dem kolumbianischen Goldflugzeugen, den ägyptischen Glühbirnen, der Grabplatte von Palenque und all den anderen angeblichen "Beweisen" für die Existenz von antiken Alienastronauten durchzudiskutieren. Die echte Wissenschaft ist durchaus in der Lage diese Dinge ohne den Rückgriff auf Aliens zu erklären und die Fans der Prä-Astronautik werden so oder so nicht davon abrücken, überall Hinweise auf alte UFOs und Außerirdische zu sehen.
Es ist durchaus verständlich, davon fasziniert zu sein. Und es IST nicht unmöglich, dass intelligente Aliens existieren, dass sie uns besuchen oder das sie uns in der Vergangenheit besucht haben. Aber man darf sich von der Faszination nicht den Blick auf die Realität verstellen lassen. Nur weil man sich wünscht, dass etwas wahr ist, wird es dadurch nicht wahr. Das, was Erich von Däniken und Co treiben, hat mit Wissenschaft oder auch nur mit dem seriösen Versuch der Erkenntnis nichts zu tun. Wenn man sich auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt, dann so, wie Carl Sagan es getan hat. Wir wissen sehr viel nicht, wir können bei vielen Dingen - wie etwa der Wahrscheinlichkeit, dass intelligentes Leben anderswo existiert oder wie lange so eine Zivilisation existiert - im Wesentlichen nur raten. Wir können heute ein kleines bisschen besser raten als es Sagan in den 1960er Jahren konnte, aber mehr als raten ist es eigentlich immer noch nicht. Und je nachdem wie optimistisch oder pessimistisch wir sein wollen, kommen wir dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und dem muss man sich bewusst sein. Selbst der sehr optimistische Carl Sagan spricht immer nur von der rein statistischen Wahrscheinlichkeit, dass so ein Besuch nicht unmöglich ist. Aber beendet seinen Aufsatz dann wieder mit einem positiven Blick in die Zukunft. Wir werden, so Sagan, in den kommenden Jahrzehnten Botschaften ins All schicken können, die hunderte Lichtjahre weit reichen. Wenn so eine Botschaft von Aliens empfangen wird, dann könnte das für sie der Ausgangspunkt für eine gezielte interstellare Reise zur Erde sein. Das würde dann zwar noch ein paar hundert Jahre dauern, aber, so Sagan, "hoffentlich wird es dann immer noch eine florierende irdische Zivilisation geben, die die Besucher von den fernen Sternen begrüßen kann".
Sternengeschichten Folge 599: Der lange kosmische Nachmittag
Es gibt Menschen, die ohne Probleme früh am Morgen aufstehen und am Vormittag richtig viel Spaß haben und produktiv sind. Und es gibt Menschen, die erst am Nachmittag so richtig munter werden. Aus kosmischer Sicht sind wir allerdings alle keine Morgenmenschen, denn den Vormittag des Universums haben wir schon lange verpasst und den Mittag genau so. Wir leben im langen kosmischen Nachmittag und dürfen leider auch nicht mit einer spannenden Party am Abend oder einem aufregenden Nachtleben rechnen.
Aber bevor wir uns mit Abend und Nacht beschäftigen, schauen wir lieber mal, was es überhaupt bedeutet, wenn wir vom "kosmischen Nachmittag" oder dem "kosmischen Mittag" reden. Es geht dabei um die Entstehung von Sternen. Wir wissen, das Sterne nicht ewig existieren. Sie entstehen, sie existieren eine Zeit lang und dann verschwinden sie wieder. Die Details so eines Sternenlebens habe ich in verschiedenen Folgen der Sternengeschichten schon ausführlicher besprochen. Heute geht es um das große Gesamtbild. Wir schauen uns an, wie viele Sterne im Durchschnitt zu bestimmten Zeitpunkten im Universum entstanden sind.
Der Anfang ist da noch vergleichsweise einfach. Vor 13,8 Milliarden Jahren, als das Universum entstanden ist, gab es noch überhaupt keine Sterne. Es gab jede Menge Wasserstoff und Helium, in gigantischen Wolken überall im Kosmos. Die Details lasse ich jetzt auch hier aus, aber aus diesen Wolken sind irgendwann die allerersten Sterne entstanden die sich in den allerersten Galaxien zusammengefunden haben. Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter?
Zuerst aber ist die eigentliche Frage: Wie will man überhaupt herausfinden, wie viele Sterne entstanden sind, in der Vergangenheit? Das ist nicht einfach, aber es geht. Wir wissen ja, dass wir umso weiter in die Vergangenheit schauen, je länger das Licht, das wir beobachten, bis zu uns unterwegs ist. Wenn wir also Licht von Galaxien untersuchen, dass ein paar Milliarden Jahre durchs All geflogen ist, bis es auf unsere Teleskope trifft, dann sehen wir eine Galaxie, die ein paar Milliarden Jahre alt ist. Oder anders gesagt: Je weiter weg eine Galaxie ist, desto älter ist sie beziehungsweise desto kürzer nach dem Urknall ist sie entstanden. Die Entfernung lässt sich gut messen oder besser gesagt: Die Rotverschiebung des Lichts lässt sich gut messen. Wenn es um Distanzen von Milliarden Lichtjahren geht, ist es nicht mehr einfach oder eigentlich sogar unmöglich, eine eindeutige Entfernung anzugeben. Das Universum hat sich in der ganzen Zeit, in der sich das Licht durchs All bewegt hat, ja ausgedehnt, und das macht alles ein bisschen komplizierter. Aber eben weil sich das Universum ausgedehnt hat, hat sich auch die Frequenz des Lichts verändert. Durch die Expansion des Alls entfernen sich die Galaxien von uns und das streckt die Lichtwellen quasi, wodurch sie röter erscheinen, als sie es ursprünglich waren. Das Ausmaß dieser Rotverschiebung kann man messen und sie ist ein gutes Maß dafür, wie alt die Galaxie ist.
Das ist alles noch vergleichsweise einfach; ein bisschen komplizierter wird es, wenn wir wissen wollen, wie viele Sterne in diesen Galaxien entstehen, deren rotverschobenes Licht wird beobachten. Wir müssen die Sternentstehungsrate bestimmen und dafür kann man zum Beispiel den Anteil des Ultravioletten-Lichts bestimmen. Junge Sterne sind heißer als alte Sterne, vor allem ihre Oberflächentemperatur ist hoch und deswegen leuchten sie hell-bläulich beziehungsweise im ultravioletten Licht. Erst wenn die Sterne älter werden, kühlt ihre Oberfläche ab und ihr Licht wird rötlicher. Wenn in einer Galaxie also gerade sehr viele Sterne entstehen, dann sollten wir auch sehr viel ultraviolettes Licht von ihr bekommen. Jetzt kann man natürlich einfach ein Ultraviolett-Teleskop nehmen und damit die Galaxien im Universum beobachten. Das ist auch genau das, was man tut - aber es ist ein wenig schwieriger, als man denken würde. Zuerst einmal wird das UV-Licht von der Atmosphäre der Erde zum größten Teil blockiert. Was super für uns ist, denn UV-Licht ist schädlich für unseren Körper. Das merken wir, wenn wir uns ungeschützt der Sonne aussetzen, denn dann sorgt der UV-Anteil des Sonnenlichts, der es doch durch die Atmosphäre geschafft hat dafür, dass wir einen Sonnenbrand bekommen. Aber wenn wir UV-Astronomie betreiben wollen, dann ist das mit der Erdatmosphäre blöd. Deswegen müssen wir die Teleskope ins Weltall schaffen. Was auch blöd ist, ist das, woraus die Sterne entstehen, wenn sie entstehen: Nämlich aus großen Wolken voll Gas und Staub. Denn die blockieren das UV-Licht, so wie es die Erdatmosphäre auch tut.
Wir haben also folgende Situation: In einer Galaxie, in der viele neue Sterne entstehen, muss es viel Gas und Staub geben, aus denen Sterne entstehen können. Die jungen, neuen Sterne leuchten hell im UV-Licht, das wir messen wollen. Aber der Staub blockiert einen Teil des UV-Lichts, weswegen wir nicht genau messen können, wie viel da wirklich ist. Aber auch dafür gibt es eine Lösung. Denn wenn der Staub vom UV-Licht angeleuchtet wird, dann heizt er sich auf. Diese Wärme gibt er in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Wir müssen also die Galaxie zusätzlich noch im Infrarotlicht beobachten und können schauen, ob da mehr Infrarotlicht da ist, als man erwarten würde. Das kann man mit den UV-Beobachtungen kombinieren und mit jeder Menge Mathematik berechnen, wie viel UV-Licht da eigentlich wirklich kommen würde von der Galaxie. Es gibt noch ein paar andere Indikatoren für die Sternentstehungsrate in Galaxien, zum Beispiel die Strahlung, die Wasserstoff erzeugt, wenn er durch hochenergetische UV-Strahlung angeleuchtet wird. Wenn das Licht junger Sterne auf Wasserstoffwolken im interstellaren Raum trifft, können wir das mit dieser Technik also auch beobachten und nutzen, um auf die Sternentstehungsrate zu schließen.
Das alles ist nicht wenig Arbeit, aber wenn man die ganzen Daten zusammenträgt, dann hat man jede Menge Galaxien überall im Universum für die man einerseits die Rotverschiebung kennt und andererseits ihre Sternentstehungsrate. Wenn man das jetzt in ein Diagramm einzeichnet, dann sieht man, wie sich die Sternentstehungsrate in Abhängigkeit von der Rotverschiebung verändert. Oder anders gesagt: Man sieht, wie sich die Sternentstehungsrate im Laufe der Zeit verändert hat.
Die ersten, die so ein Diagramm erstellt haben, waren die Astronomen Piero Madau und Simon Lilly, plus jede Menge Kolleginnen und Kollegen, und zwar im Jahr 1996. Seitdem ist dieses Madau-Lilly-Diagramm, wie es mittlerweile genannt wird, immer wieder mit neuen Daten aktualisiert worden und wir haben ein recht gutes Bild bekommen. Wenig überraschend fängt die Kurve im Diagramm zuerst unten an und steigt dann nach oben. Was bedeutet: Wenn wir weit in die Vergangenheit des Universums blicken, waren da zuerst wenig neue Sterne in den Galaxien und dann sind es immer mehr geworden. Dieser erste Anstieg hat sich in den ersten zwei bis drei Milliarden Jahren nach dem Urknall abgespielt. Da war noch jede Menge Gas vorhanden - nach dem Urknall gab es ja nix anderes. Das Universum war auch noch kleiner als heute und die Galaxien sind öfter miteinander kollidiert und verschmolzen, was die ganzen Gaswolken durcheinander gewirbelt hat, was dazu geführt hat, dass die Wolken kollabiert und daraus neue Sterne entstanden sind. Diese erste Phase wird der "kosmische Vormittag" genannt oder die "kosmische Morgendämmerung", wenn man es etwas poetischer haben will. Auf jeden Fall scheint das Universum kein Problem mit viel Aktivität in der Frühzeit gehabt zu haben. Der Höhepunkt der Sternentstehung ist dann natürlich der "kosmische Mittag" und danach ist die Sternentstehungsrate wieder gesunken. Es war weniger Gas verfügbar als noch am kosmischen Morgen. Die Supernova-Explosionen der sterbenden Sterne haben viel Gas aus den Galaxien rausgepustet, genau so wie es die aktiven Galaxienkerne getan haben. Mittlerweile haben sich in den Galaxien ja die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren gebildet; und das ganze Gas in den jungen Galaxien ist da rumgewirbelt und reingefallen. Bei diesem Rumwirbeln ist jede Menge hochenergetische Strahlung entstanden und die hat ebenfalls verhindert, dass sich große Gaswolken zu Sternen zusammenballen.
Es sind immer noch neue Sterne entstanden, aber bei weitem nicht mehr so viele wie noch am kosmischen Vormittag. Die bis zum Mittag steil ansteigende Kurve nimmt am Nachmittag weniger steil ab. Der kosmische Nachmittag dauert deutlich länger als der Vormittag und es ist genau dieser Nachmittag, der unsere Gegenwart ist. Wir leben in einer Zeit, in der das Universum schon den Höhepunkt seiner Sternentstehung hinter sich hat. Oder anders gesagt: So hell wie es jetzt im Universum ist, wird es nicht mehr werden. Ab jetzt wird es immer dunkler, bis irgendwann alle Sterne entstanden sind, die entstehen können und die kosmische Nacht anbricht. Auf die dann leider kein neuer kosmischer Morgen mit einem neuen Anstieg der Sternentstehungsrate folgen wird. Der Nachmittag ist alles, was wir haben - also machen wir das beste daraus!
Sternengeschichten Folge 598: Der Gas-Torus von Io
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um den Gas-Torus von Io. Und dafür müssen wir zuerst einmal klären, was ein Gas-Torus ist. Zum Glück ist das einfach: Ein Torus ist ein Ring und ein Gas-Torus ist ein Ring aus Gas. Viel interessanter ist die Frage, warum der Jupitermond Io sowas hat.
Ich habe in Folge 299 schon ausführlich von diesem ganz besonderen Mond erzählt. Jupiter hat ja jede Menge Monde und Io gehört zu den größeren. Mit einem Durchmesser von 3643 Kilometern ist er nicht nur der viertgrößte Mond des Sonnensystems und der drittgrößte Mond des Jupites sondern auch noch ein kleines Stück größer als der Mond der Erde. Io ist aber vor allem deswegen so besonders, weil es dort aktive Vulkane gibt. So aktive Vulkane, dass wir mit unserern Raumsonden immer wieder live zusehen können, wie gerade einer davon ausbricht. Heute soll es aber nicht darum gehen, was auf der Oberfläche von Io passiert, sondern darum, welche Auswirkungen die Vorgänge auf seiner Oberfläche haben.
Io hat eine dünne Atmosphäre, die vor allem aus Schwefeldioxid besteht. Die Quelle dafür ist der Vulkanismus, aber ein so kleiner Himmelskörper wie dieser Mond hat natürlich Schwierigkeiten, mit seiner Anziehungskraft eine Atmosphäre festhalten zu können. Ganz besonders, wenn man einen Nachbarn wie Jupiter hat. Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Von den großen Monden des Jupiters ist Io dem Riesenplaneten am nächsten; er ist nur gut 420.000 Kilometer entfernt, also ein bisschen weiter weg als unser Mond von der Erde. Im Gegensatz zur Erde ist der Jupiter aber nicht nur viel größer, er hat auch ein sehr viel stärkeres Magnetfeld und eines, dass sich sehr weit ausdehnt. Tatsächlich reicht es bis zur Bahn des Io hinaus oder anders gesagt: Der Mond bewegt sich mitten durch das starke Magnetfeld des Jupiters hindurch. Und das hat Konsequenzen.
Das ganze läuft so ab: Die Vulkane erzeugen Schwefeldioxid und weil Io so klein ist, verliert er ständig ein bisschen was von diesem Gas. Ungefähr eine Tonne pro Sekunde. Die Moleküle werden durch die UV-Strahlung der Sonne aufgespalten und ionisiert; sie verlieren also Elektronen aus der Hülle ihrer Atome und sind dann nicht mehr elektrisch neutral sondern geladen. Die freien Elektronen können auch mit anderen Molekülen kollidieren und sie ebenfalls ionisieren. Auf jeden Fall verliert der Io jede Menge Zeug, dass dann ionisiert wird. Wir haben also elektrisch geladenes Material in der Umgebung von Io und die Umgebung von Io befindet sich mitten im starken Magnetfeld des Jupiters. Dieses Magnetfeld bewegt sich mit der Rotation des Planeten und Jupiter rotiert schnell. Für eine Drehung um seine Achse braucht er nur 10 Stunden; das ist viel schneller als die Zeit, die Io für eine Runde um Jupiter braucht. Das bedeutet: Die elektrisch geladenen Teilchen die Io ins All verliert werden sofort von Jupiters Magnetfeld eingefangen und beschleunigt. Das ganze Material verteilt sich also entlang der Umlaufbahn von Io, es bildet sich eine ringförmige Wolke aus Plasma, also aus geladenen Teilchen und genau das ist der Gas-Torus von Io.
Man kann sich das wie einen Schweif vorstellen, den Io hinter sich her zieht. Das wäre aber nicht ganz korrekt, denn dieser Ring aus Gas rotiert so schnell wie Jupiter selbst, mit einer Geschwindigkeit von circa 74 Kilometer pro Sekunde. In Bezug auf Io, der sich selbst mit circa 17 Kilometer pro Sekunde um Jupiter bewegt bleibt immer noch eine relative Geschwindigkeit von weit über 50 Kilometer pro Sekunde übrig. Io wird also von seinem Schweif überholt und das mit einer nicht geringen Geschwindigkeit.
Io bewegt sich also durch einen Ring aus Gas. Natürlich ist das Zeug dort jetzt nicht so dicht, dass man es sich wie eine Wolke hier auf der Erde vorstellen kann. Die Teilchendichte im Torus liegt bei circa 2000 pro Kubikzentimeter. Das ist aus unserer Sicht immer noch ein sehr gutes Vakuum. Andererseits aber auch ein bis zwei Größenordnungen dichter als die kosmischen Wolken die wir überall zwischen den Sternen finden. Und dort passieren ja auch jede Menge spannende Dinge. Also warum sollte es uns jetzt interessieren, dass sich der Jupitermond Io in einem Ring aus Gas befindet?
Erstens natürlich, weil es gut ist, Bescheid zu wissen. Zweitens, weil es cool ist, Bescheid zu wissen! Ich meine: Ein vulkanischer Mond der einen gigantischen Gasplaneten umkreist dessen Magnetfeld die Atmosphäre des Mondes zerpflückt und entlang seiner Umlaufbahn verteilt - das ist schon ein ziemliches cooles Phänomen. Unser Mond macht sowas nicht und wenn es anderswo passiert, dann lohnt es sich, darüber Bescheid zu wissen. Io und Jupiter sind zwar außergewöhnlich, aber in der Hinsicht nicht einzigartig. Auch andere Riesenplaneten haben starke Magnetfelder und große Monde. Es gibt Hinweise, dass auch der weiter außen liegende Jupitermond Europa einen Gas-Torus erzeugt, ebenso wie der Saturnmond Enceladus, obwohl es in diesen Fällen keine ionisierten Teilchen sind und die Wechselwirkung mit dem Magnetfeld keine so große Rolle spielt.
Den Gas-Torus von Io zu erforschen lohnt sich also vor allem deshalb, weil man dadurch mehr über die Beziehung zwischen großen Gasplaneten und ihren Monden erfährt. Und wem das noch nicht genug ist: Es lohnt sich auch, weil man dadurch ein bisschen besser verstehen kann, wie Plasma funktioniert. Das mag komisch klingen, denn Plasma ist jetzt nicht so exotisch wie es klingt. Plasma, also ein Gemisch aus freien Elektronen und geladenen Teilchen, kann man hier auf der Erde ohne größere Probleme herstellen. Wenn wir eine Energiesparlampe oder eine Leuchtstoffröhre in die Fassung schrauben und einschalten, dann leuchten die Dinger, weil sie Plasma enthalten. Wir können mit Plasma schweißen, es gibt Plasmabildschirme, und so weiter. Wir haben Plasma so gut verstanden, dass wir jede Menge technische Anwendungen dafür und daraus entwickelt haben. Das heißt aber nicht, dass wir dieses Phänomen letztgültig verstanden haben.
Plasma ist ein höchst kniffliges Zeug, vor allem dann, wenn es mit Magnetfeldern wechselwirkt. Denn die geladenen Teilchen des Plasmas erzeugen ein Magnetfeld, wenn sie sich bewegen. Magnetfelder beeinflussen aber auch wie sich Plasma bewegen kann. Es gibt als jede Menge komplexe Rückkopplungseffekte und das ganze ist alles andere als einfach zu verstehen. Das merken wir zum Beispiel in der Fusionsforschung. Auch darüber habe ich in früheren Folgen ja schon oft gesprochen: Wenn wir Kernfusion künstlich herbei führen und daraus zum Beispiel Energie gewinnen wollen, dann müssen wir in der Lage sein, die Bewegung eines Plasmas durch Magnetfelder zu kontrollieren. Und deswegen ist es schlau, alle Informationen über Plasma zu erforschen, die wir kriegen können. Der Gas-Torus von Io ist eines der ganzen wenigen Plasma-Systeme, das wir in seiner Gesamtheit überblicken und untersuchen können. Wir können erforschen, wie sich dieser Millionen Kilometer lange Strom aus Plasma um den Jupiter windet, wie die Dynamik des Magnetfelds ihn beeinflusst, und so weiter. Klar, Jupiter ist weit weg - aber es ist ein bisschen so wie bei der Klimaforschung. Es ist wichtig, dass wir mit Wetterstationen direkt vor Ort sind und Daten sammeln. Es ist aber ebenso wichtig, mit Erdbeobachtungssatelliten Daten aus der Ferne zu sammeln und das Gesamtbild zu untersuchen.
Also werden wir auch den Gas-Torus weiter untersuchen. Mit immer neuen Methoden und die sind mehr als nur ausgeklügelt. Im Jahr 2016 hat zum Beispiel die Raumsonde Juno den Jupiter erreicht und sie ist auch immer wieder an Io vorbei geflogen. So eine Raumsonde muss natürlich mit der Erde kommunizieren; Bilder und Daten zurück zu uns schicken, Kurskorrekturen empfangen, und so weiter. Diese Kommunikation findet mit Radiowellen statt und wenn diese Radiowellen sich durch ein Plasma bewegen, gibt es Störungen. Beziehungsweise Verzögerungen, die um so größer sind, je dichter das Plasma ist, durch das sich die Radiosignale bewegen. Das kann man natürlich messen und das hat man auch gemessen: Aus einer Analyse der Verzögerungen in der Kommunikation zwischen Juno und der Erde konnte man Informationen über die genaue Form und Ausdehnung des Gas-Torus bei Io gewinnen. Und das ist nur eine von vielen Methoden, mit denen wir dieses seltsame Phänomen erforschen.
Es wäre jetzt natürlich übertrieben, wenn ich behaupten würde, dass die Beherrschung der künstlichen Kernfusion eine direkte Konsequenz der astronomischen Forschung an Ios Gas-Torus sein könnte. Das ist nicht so und deswegen behaupte ich das nicht. Ios Gas-Torus zu verstehen ist Grundlagenforschung. Wir wissen danach mehr als vorher und das ist erst mal alles. Aber je mehr wir wissen, desto besser stehen die Chancen, dass irgendwann mal etwas mit diesem Wissen passiert, mit dem wir noch gar nicht gerechnet haben. Und DAS ist, worum es in der Forschung geht.
Sternengeschichten Folge 597: Der grüne Blitz
1882 hat der französische Autor Jules Verne in seinem Buch "Der grüne Strahl" folgendes geschrieben:
"»Haben Sie jemals die Sonne beobachtet, wenn sie unter einem Meereshorizonte verschwand? – Ja, sicherlich. Sind Sie ihr auch mit dem Blick gefolgt bis zu Moment, wo sie, wenn der obere Rand ihrer Scheibe den Wasserrand berührt, eben gänzlich untergehen will? – Höchst wahrscheinlich. Aber haben Sie dabei die Erscheinung bemerkt, welche genau in dem Augenblicke auftritt, wo sie uns, vorausgesetzt, daß der dunstlose Himmel eine durch nichts gestörte Fernsicht gewährt, ihren letzten Strahl zusendet? – Nein, vielleicht nicht. Nun, so bald sich Ihnen eine Gelegenheit bietet – und das ist nur selten der Fall – bei der Sie diese Beobachtung machen können, so werden Sie wahrnehmen, daß nicht, wie man glauben könnte, ein rother, sondern ein »grüner« Strahl die Netzhaut des Auges trifft, aber ein Strahl von ganz wunderbarem Grün, von einem Farbenton, wie ihn kein Maler auf seiner Palette erzeugen kann, einem Grün, welches die Natur selbst weder in der so verschiedenen Färbung der Pflanzen, noch in der der klarsten, durchsichtigsten Meere jemals wieder in gleicher Nuance hervorbringt. Wenn es im Paradiese Grün gibt, so kann es nur das hier gemeinte sein, welches ohne Zweifel das wirkliche Grün der Hoffnung darstellt!«
So lautete der Artikel der »Morning-Post«, welches Blatt Miß Campbell beim Eintritt in den Salon in der Hand hielt. Die kurze Notiz hatte sie vollkommen eingenommen. Mit enthusiastischer Stimme las sie ihren beiden Onkels auch die angeführten wenigen Zeilen vor, welche in lyrischer Form die Schönheit jenes Grünen Strahles priesen.
Miß Campbell sagte dabei aber nicht, daß gerade dieser Grüne Strahl mit einer alten Legende in Verbindung steht, deren wirklicher Sinn ihr bisher verborgen geblieben war, einer gleich vielen anderen überhaupt unerklärten sagenhaften Ueberlieferung, nach welcher derjenige, der jenen Grünen Strahl nur einmal gesehen, sich in Herzenssachen nicht mehr täuschen könne; sein Erscheinen zerstört alle Illusionen und Unwahrheiten; wer so glücklich war, ihn nur einmal wahrzunehmen, sieht dann eben so klar im eigenen Herzen wie in dem Anderer."
Ok, Jules Verne hat sich jede Menge irres Zeug ausgedacht. Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ein riesiges U-Boot. Ein Raumschiff das mit einer gigantischen Kanone zum Mond geschossen wird. Und so weiter. In "Der grüne Strahl" geht es aber nicht um Raumfahrt, Abenteuer im Inneren der Erde oder sonst irgendwas utopisches. Es ist eigentlich nur ein Liebesroman und auch dieser seltsame grüne Strahl der Sonne ist keine Science Fiction sondern echte Science.
Die Sonne kann tatsächlich grün aufleuchten und wenn wir verstehen wollen, warum sie das tut, müssen wir uns zuerst einmal mit der Lichtbrechung beschäftigen. Lichtbrechung bedeutet, dass eine Lichtwelle ihre Richtung ändert, wenn sie sich von einem Medium in ein anderes Medium bewegt. Zum Beispiel von der Luft ins Wasser; ein Phänomen das alle schon mal beobachtet haben und das dazu führt, dass es immer ein wenig komisch aussieht, wenn man zum Beispiel von außerhalb auf Objekte blickt, die sich am Boden eines Swimmingpools befinden - oder wenn man umgekehrt von unter der Wasseroberfläche das beobachtet, was sich außerhalb des Wassers befindet. Warum Lichtwellen ihre Richtung ändern, wenn sie das Medium wechseln durch das sie sich bewegen, ist gar nicht so einfach zu erklären, und deswegen verschieben wir diese Erklärung auch auf eine andere Folge der Sternengeschichten. Aber sie tun es und sie tun es auch, wenn sie zum Beispiel vom Vakuum des Weltalls auf die Atmosphäre der Erde treffen. Oder wenn sie unterschiedlich dichte Schichten der Erdatmosphäre durchqueren. Und wie stark die Lichtwellen dabei ihre Richtung ändern, hängt von ihrer Wellenlänge ab. Oder anders gesagt: Von der Farbe des Lichts. Blaues Licht hat eine kürzere Wellenlänge als zum Beispiel rotes Licht und es wird deswegen auch stärker abgelenkt.
Zurück zur Sonne: Von dort kommt ja Licht in allen Farben zu uns, deswegen erscheint sie uns ja auch weißlich. Alle Farben sind zusammengemischt. Wenn das Sonnenlicht jetzt die Erdatmosphäre durchquert, dann wird es natürlich auch gebrochen. Was bedeutet das? Zuerst einmal, dass die Sonne in Wahrheit nicht dort am Himmel steht, wo wir sie sehen. Das klingt komisch, ist aber tatsächlich so. Stellen wir uns vor, wir stehen an einem schönen Strand, der Himmel ist klar und es ist Abend. Die Sonne geht unter und ihr unterer Rand berührt gerade den Horizont. Und anstatt jede Menge Fotos des Sonnenuntergangs zu machen oder eine romantische Liebeserklärung oder was man halt sonst üblicherweise so in der Abendstimmung am Meer macht, denken wir lieber ein wenig über die Physik des Lichts nach. Das Licht der Sonne wird, wie ich gerade erklärt habe, gebrochen. Es ändert also seine Richtung und in diesem Fall bedeutet es, dass es quasi ein wenig gebogen wird und zwar in Richtung des Erdbodens. Oder anders gesagt: Wenn wir die Sonne gerade den Horizont berühren sehen, dann ist sie eigentlich schon untergegangen. Aber die Lichtbrechnung sorgt dafür, dass ihr Licht quasi noch um den Horizont herum gebogen wird. Das Bild der Sonne, das wir sehen, ist ein bisschen nach oben verschoben. Der Effekt ist um so stärker, je mehr Atmosphäre das Licht durchqueren muss und deswegen merkt man das bei Sonnenauf- und untergang am stärksten. Da reicht die Lichtbrechung tatsächlich, um die Sonne noch sichtbar sein zu lassen, obwohl sie schon unter dem Horizont steht.
Das ist der erste wichtige Punkt. Der zweite hat damit zu tun, dass die Lichtbrechnung eben auch von der Wellenlänge abhängt. Wir können uns die weiße Sonnenscheibe, die wir am Himmel sehen als Überlagerung jeder Menge farbiger Sonnenbilder vorstellen. Eine blaue Sonne, eine gelbe Sonne, eine grüne Sonne, eine rote Sonne, und so weiter. Und wenn wir all diese Bilder übereinanderlegen, kommt die normale weiße Sonne raus (und ich muss hoffentlich nicht dazu sagen, dass man bitte nicht ohne Schutz direkt in die Sonne schauen soll, schon gar nicht mit einem Fernglas oder Teleskop). Wenn jetzt die Lichtbrechung in der Nähe des Horizonts aber besonders stark ist, werden die einzelnen farbigen Sonnenbilder ein wenig zueinander verschoben. Blaues Licht wird am stärksten abgelenkt, grünes Licht ein bisschen weniger stark, gelbes noch weniger und das rote am wenigsten. Der blaue Anteil des Sonnenlichts oder eben das blaue Bild der Sonne steht also am höchsten, darunter das grüne Bild, und so weiter. Wie gesagt: Der Effekt ist nicht enorm groß, und wir sehen bei Sonnenauf- oder untergang ja auch nicht jede Menge bunte Sonnenbilder am Himmel stehen. Die farbigen Bilder überlappen sich immer noch so sehr, dass wir vor allem die Mischung des Lichts sehen und die übliche gelblich-weiße Sonne. Der Effekt der Lichtbrechung wird nur an den Rändern sichtbar. Die Oberkante der Sonnenscheibe hat einen schmalen blauen Rand und die Unterkante leuchtet rötlich.
Normalerweise können wir das nicht sehen; dafür ist das Phänomen zu wenig ausgeprägt. Unter bestimmten Bedingungen kann der Effekt aber verstärkt werden. Ganz besonders dann, wenn die Temperaturunterschiede in der Atmosphäre besonders groß sind. Zum Beispiel am Meer, wenn die Luft über dem Wasser kühler ist, aber auch an Land. Es muss halt nur der Boden wärmer sein als die Luft darüber - was in der Wüste sehr oft der Fall ist. Und in der Wüste kann man auch die dann entstehenden charakteristischen Luftspieglungen beobachten, die man auch "Fata Morgana" nennt. Wenn man so etwas bei der untergehenden Sonne sehen kann, stehen die Chancen gut, auch einen grünen Blitz sehen zu können.
Denn dann ist die Lichtbrechnung stark ausgeprägt. Die Sonne geht unter und - erinnern wir uns wieder an die überlagerten farbigen Bilder - zuerst tut das die rote Sonnenscheibe. Dann kommt die gelbe Sonnenscheibe und als letztes geht die grüne Sonnenscheibe unter. Ok, eigentlich geht als letztes die blaue Sonnenscheibe unter. Aber gerade weil der blaue Anteil des Lichts so stark gebrochen wird, erreicht kaum etwas davon direkt unser Auge. Das blaue Licht wird in alle Richtungen gestreut, und das ist ja auch der Grund, warum der Himmel für uns blau erscheint. Also: Der rote/gelbe Anteil des Lichts ist schon unter dem Horizont. Der blaue Anteil kommt nicht bis zu uns. Übrig bleibt also nur der grüne Teil und in den wenigen Sekunden, die es braucht, bis die komplette Sonne tatsächlich hinter dem Horizont verschwunden ist, kann genau dieser Anteil zu sehen sein. Es gibt einen grünen Blitz!
Um dieses Phänomen beobachten zu können, braucht es aber nicht nur die schon beschriebenen Bedingungen in der Atmosphäre, der Himmel sollte auch wirklich klar sein; es sollten keine künstlichen Lichtquellen in der Nähe sein, und so weiter. Man muss also Glück haben. Und da schließt sich der Kreis wieder, zurück zu Jules Verne. Auch in der Liebe braucht man ein wenig Glück denn leider hilft der Anblick des grünen Blitzes in der echten Welt dann doch nicht dabei, dass man sich in Herzensangelegenheiten nicht mehr irren kann.
Sternengeschichten Folge 596: Die Quintessenz und die Dunkle Energie
Wenn wir von der "Quintessenz" sprechen, dann meinen wir damit das "Wesentliche" oder das "Wichtigste". Wörtlich bedeutet der lateinische Ausdruck das "Fünfte Seiende", die "quinta essentia" beziehungsweise etwas freier übersetzt das "Fünfte Element". Ursprünglich gemeint war damit in der antiken griechischen Philosopie der Äther, also ein fünftes Element neben Wasser, Feuer, Erde und Luft. Diese vier sollten nach damaliger Auffassung ja die Bausteine aller irdischen Dinge sein. Aber am Himmel, womit damals alles gemeint war, was sich weiter entfernt als der Mond befindet, sollte es etwas anderes geben; das fünfte Element, den Äther. Im Gegensatz zu den irdischen Elementen, die sich verändern können, sollte der Äther ewig sein, zeitlos und unveränderlich. Der Äther ist nicht heiß oder kalt, nicht feucht oder trocken sondern himmlisch perfekt und darüber hinaus bewegt sich alles, was aus Äther besteht, immer im Kreis. Damit hatte man eine Erklärung dafür gefunden, warum sich die Himmelskörper bewegen, die gut ins damalige philosophische Bild gepasst hat.
Später, im Mittelalter und der Neuzeit wurde der Äther dann umgedeutet zu einem Material, dass den ganzen Weltraum erfüllt; das Material, in dem sich auch das Licht ausbreiten kann. Dass es so etwas nicht braucht, konnte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, als entsprechende Experimente belegt haben, dass nirgendwo eine Spur des Äthers zu finden ist und Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie gezeigt hat, dass es so etwas auch nicht braucht.
Ein paar Jahrzehnte später, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, ist die Quintessenz dann aber wieder in die Physik zurück gekehrt. Mit dem antikel Konzept hat sie aber nicht mehr viel zu tun; nur der Name ist noch der selbe. Und genau diese moderne Quintessenz werden wir uns heute ein wenig genauer ansehen. Wir müssen dafür wieder in die dunklen Bereiche des Universums eindringen und uns mit den fundamentalen Eigenschaften des Kosmos beschäftigen.
Wenn wir wissen wollen, was die moderne Kosmologie mit "Quintessenz" meint, müssen wir bei der dunklen Energie anfangen. Und dafür noch einmal daran erinnern, dass sich das Universum ausdehnt. Das wissen wir seit den 1920er Jahren, als Edwin Hubble und seine Kollegen beobachtet haben, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen. Nicht, weil sie sich so schnell DURCH den Raum bewegen, sondern weil der Raum selbst immer mehr wird. Zwischen den Galaxien wird der Raum immer größer und größer und das führt dazu, dass sie sich voneinander entfernen und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind - denn desto mehr Raum ist zwischen ihnen und desto mehr kann sich ausdehnen.
Dieser Befund war gegen Ende des 20. Jahrhunderts sowohl durch Beobachtungsdaten als auch durch theoretische Grundlagen gut bestätigt und soweit verstanden. Dann aber ist etwas überraschendes passiert. In den 1990er Jahren wollte man bestimmen, wie stark sich die Expansion des Universums im Laufe der Zeit verlangsamt. Denn der Expansion wirkt ja die Gravitationskraft entgegen. Die gesamte Masse im Universum zieht sich gegenseitig an und im Laufe der Zeit sollte sich die Expansion dadurch verlangsamen. Vielleicht sogar so weit, dass der ganze Kosmos irgendwann wieder in sich zusammenfällt. Ich werde jetzt nicht erklären, wie man die Beobachtungen gemacht hat, um zu messen, wie sich die Expansionsrate im Laufe der Zeit verändert, das habe ich zum Beispiel in Folge 26 ausführlich erklärt. Man kann es auf jeden Fall tun und das Ergebnis, zu dem mehrere Arbeitsgruppen damals unabhängig voneinander gekommen sind, war äußerst unerwartet. Die Expansion des Universums wird nicht langsamer. Sie beschleunigt sich! Das war genau das Gegenteil von dem, was man dachte, das passiert. Aber die Beobachtungsdaten waren klar: Etwas sorgt dafür, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.
Wir wissen nicht, was dieses "Etwas" ist und haben es mit dem Begriff "Dunkle Energie" bezeichnet. Es gibt natürlich jede Menge Hypothesen zur Natur der dunklen Energie. Eine davon ist die "kosmologische Konstante"; ich hab davon in Folge 250 ein wenig mehr erzählt. Im wesentlichen handelt es sich dabei um einen mathematischen Ausdruck, der genau das beschreibt, was man beobachtet: Eine Kraft, die der Gravitation entgegen wirkt und für eine beschleunigte Ausdehnung des Universums sorgt. Physikalische Hypothesen, die erklären wollen, wie das funktionieren soll, stellen sich oft vor, dass es sich um eine Art Energie handelt, die im Raum selbst steckt. Je mehr Raum da ist, desto mehr dieser abstoßenden Energie gibt es und je mehr sich das Universum dadurch ausdehnt, desto mehr Raum und mehr Energie ist da, und so weiter. Die Energie im Raum sorgt dafür, dass das Universum sich immer schneller und schneller ausdehnt. Wie gesagt, das ist nur eine Hypothese, wir wissen nicht, ob das wirklich so ist.
Die kosmologische Konstante hat aber nichts mit der Quintessenz zu tun. Dafür müssen wir noch kurz einmal auf das schauen, was in der Kosmologie mit "Zustandsgleichung" gemeint ist. Etwas, was in der Praxis enorm kompliziert ist, und was ich hier in dieser Folge nur sehr, sehr vereinfacht erklären werde. Im Wesentlichen dreht sich alles um eine Zahl, die aus dem Verhältnis von Druck zu Energiedichte gebildet wird.
Schauen wir noch mal kurz auf die Gravitation. Die wirkt immer nur anziehend, im Gegensatz zum Beispiel zur elektromagnetischen Kraft gibt es keine positiven und negativen Gravitationsladungen, die sich mal anziehen und abstoßen, so wie bei Magneten. Masse zieht sich immer an, Abstoßung gibt es nicht. Wenn wir die Gravitation ansehen, so wie es Isaac Newton getan hat, dann spielt auch der Druck keine Rolle. In Newtons Gravitationsgesetzt gibt es nur die Masse und den Abstand, den Massen haben. Aber wir wissen ja auch, dass Albert Einstein die Gravitation besser und genauer beschrieben hat als Newton. Und in Einsteins Gravitationsgesetz kommt der Druck durchaus vor. Denn Einstein ja mit seiner berühmten Formel E=mc² festgestellt, dass Masse und Energie ineinander umgewandelt werden können. Und dass deswegen nicht nur Masse eine Gravitationskraft ausübt, sondern auch Energie. Und Druck ist eine Form von Energie. Man muss also jetzt den Druck quasi doppelt berücksichtigen: Einmal, weil der Druck auf das Material wirken kann, wie es eine Druckkraft eben tut. Und dann aber auch, weil auch der Druck eine Gravitationskraft erzeugt.
Unter normalen Bedingungen ändert das nicht viel. Wenn wir wissen wollen, wie groß die Gravitationskraft ist, dann bestimmen wir die Energiedichte, also vereinfacht gesagt die Menge an Masse und Energie, die wir haben. Und den Druck. Der ist bei normaler Materie, bei normaler Strahlung positiv. Wir haben also eine positive Energiedichte und einen positiven Druck und damit auch eine Gravitationskraft, die positiv ist, also anziehend wirkt. Was aber, wenn der Druck negativ ist? Wenn er das ausreichend stark ist, kann die resultierende Gravitationskraft auch negativ werden, also abstoßend wirken.
Wie soll man sich einen negativen Druck vorstellen? Auch das kann ich nur ganz vereinfacht erklären. Der Physiker Paul Steinhardt, von dem wir gleich mehr hören werden, hat das einmal so erklärt: Man kann sich vorstellen, dass die Atome in einem Gas so miteinander wechselwirken, dass das Gas sich nicht ausdehnt, sondern quasi kollabiert. Wenn man damit einen Ballon füllt, dann würde der sofort in sich zusammenfallen, denn wenn der Druck im Ballon negativ ist, und außen positiv (oder null) ist, dann bleibt ihm nichts anderes übrig. Wenn es jetzt aber nicht um einen Ballon geht, sondern um den gesamten Raum, dann gibt es keinen Außendruck, weil es kein außen gibt. Der negative Druck hat also keinen direkten Effekt mehr, seine einzige Auswirkung besteht darin, eine negative Gravitationskraft zu verursachen. Der Raum dehnt sich also aus. Wie gesagt, das ist alles nicht so leicht vorstellbar, aber man kann es auf jeden Mal mathematisch exakt formulieren.
Zurück zu der Zahl, die aus dem Verhältnis von Druck zu Energiedichte gebildet wird. Wenn der Druck jetzt negativ ist, dann ist logischerweise auch diese Zahl negativ, denn die Energiedichte sollte ja positiv sein. Jetzt kommt es darauf an, wie genau das Verhältnis negativ ist. Bei der Kosmologischen Konstanten ist das Verhältnis immer gleich, nämlich -1. Wenn das Verhältnis aber einfach "nur" negativ ist, und sich darüber hinaus im Laufe der Zeit ändern kann, dann kriegt man eine andere Form der Dunklen Energie. Und die haben der vorhin erwähnte Paul Steinhardt und seine Kollegen Robert Caldwell und Rahul Dave in einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 1998 mit dem Begriff "Quintessenz" bezeichnet. Sie beziehen sich damit auf das, was die Energiedichte des Universums ausmacht: Die normale Materie, die dunkle Materie, die Neutrinos und die Strahlung und zusätzlich zu diesen vier Komponenten haben sie die "Quintessenz" als fünfte Komponente eingeführt.
Im Gegensatz zur Kosmologischen Konstante ist die Quintessenz dynamisch. Sie kann sich zeitlich verändern und sie ist auch nicht überall im Raum gleichmäßig verteilt. Das klingt einerseits ein wenig komplizierter, als es bei der kosmologischen Konstante ist. Da war es ja einfach: In jedem Stück Raum steckt eine bestimmte Menge an Energie; die sorgt dafür, dass sich der Raum ausdehnt und je mehr Raum, desto mehr Ausdehnung gibt es. Das ist einfach, aber man hat auch nicht viel Spielraum. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ja messen können, wie sich das Universum ausdehnt. Und wenn man die dunkle Energie erklären will, muss das zu den Beobachtungen passen. Wäre die dunkle Energie in der Frühzeit des Universums zu groß gewesen, dann hätte sich alles so schnell ausgedehnt, dass gar keine Galaxien entstehen hätten können. Sie darf aber auch nicht zu gering sein, denn sonst würden wir ihre Wirkung ja heute nicht mehr beobachten. Wenn man, wie bei der Kosmologischen Konstant, quasi nur ein Rädchen hat, das man einstellen kann, dann muss es zu Beginn des Universums auf genau dem richtigen Wert eingestellt sein, und man muss erklären können, warum das so war. Wenn man eine dynamischere Theorie hat, wie die Quintessenz, hat man zumindest dieses Problem nicht, denn da kann sich der Effekt der dunklen Energie verändern, in Wechselwirkung mit der Materie im Universum und so unter Umständen ganz von selbst auf den Wert kommen, den wir heute beobachten.
Was aber nicht heißt, dass es keine anderen Probleme gibt. Die bisherigen Beobachtungen deuten alle darauf hin, dass die dunkle Energie eben NICHT dynamisch ist, sondern sich tatsächlich wie eine kosmologische Konstante verhält. Wir haben auch noch keine wirklich brauchbaren Ideen, was die Natur der Quintessenz sein könnte. Nur weil es sich mathematisch gut formulieren lässt, folgt ja noch nicht, dass es in echt auch existieren muss. Dazu muss uns erst mal etwas einfallen, aus dem die Quintessenz real bestehen kann. Aber das selbe Problem haben wir auch bei der kosmologischen Konstante.
Am Ende müssen wir festhalten: Die Quintessenz ist, so wie ihre antiken Vorgänger, immer noch höchst mysteriös.
Sternengeschichten Folge 595: Thomas Harriot, der erste moderne Astronom?
Im Jahr 1609 machte Galileo Galilei seine Beobachtungen der Jupitermonde, die den Anfang des Endes des geozentrischen Weltbildes einläuten sollten. Im Jahr 1609 veröffentlichte Johannes Kepler sein epochales Werk "Astronomia Nova", das den Beginn der modernen Astronomie darstellt. Das Jahr 1609 war für die Astronomie ein enorm wichtiges Jahr - und es war noch viel mehr los. Es war vor allem auch das Jahr, in dem der englische Forscher Thomas Harriot die Beobachtungen durchgeführt hat, wegen der er von manchen als der erste moderne Astronom bezeichnet wird.
Aber das kommt erst später. Wir fangen im Jahr 1560 an und zwar in Oxford. Da und dort wird Thomas Harriot geboren und mit 17 Jahren beginnt er an der Universität Oxford auch sein Studium. Er hat sich intensiv mit Navigation beschäftigt, das war damals eine besonders relevante Disziplin für England. Immerhin lag die Entdeckung von Amerika durch Christopher Kolumbus noch keine hundert Jahre zurück und England, so wie viele andere Nationen, war intensiv damit beschäftigt, den für Europa neuen Kontinent zu erforschen und in Besitz zu nehmen. Und um dort hin zu kommen, musste man sich mit Navigation auskennen.
Harriot wurde dann auch vom englischen Entdecker und Seefahrer Walter Raleigh als Mathematiker engagiert, um bei der Navigation zu helfen, die Schiffe zu designen und so weiter. Gemeinsam mit Raleigh machte er sich auch auf eine Expedition nach North Carolina, wo er nicht nur wegen seiner mathematische Fähigkeiten hilfreich war, sondern auch, weil er damals der erste und einzige Engländer war, der sich die Mühe gemacht hat, Algonkin zu lernen, die Sprache der Pamlico, also der Menschen, die schon lange vor den Europäern dort lebten, wo sich heute North Carolina befindet. Der Bericht, den Harriot später über diese Reise geschrieben hat, hat spätere Forschungs- und Kolonisierungsreisen beeinflusst. Dass er auch dafür verantwortlich war, die Kartoffel aus Amerika zu den britischen Inseln zu bringen, wird zwar ab und zu behauptet, kann aber nicht belegt werden.
Zurück aus Amerika wurde Harriot von Henry Percy, dem Earl of Northumberland engagiert, als Privatlehrer für die Familie - Harriot hatte aber auch genug Zeit und Möglichkeiten, seine eigenen Forschungsprojekte zu verfolgen. Die beschäftigten sich damals, zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor allem mit der Optik und der Astronomie. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass Harriot auch von der Erfindung erfahren hat, die bald alle beschäftigen sollte. Im Jahr 1608 wurde in den Niederlanden das Teleskop entwickelt, wahrscheinlich vom Brillenmacher Hans Lipperhey. An Astronomie hat Lipperhey aber nicht gedacht als er das Instrument baute und auch seine Zeitgenossen sahen vor allem den militärischen Wert des Fernrohrs.
Auch Harriot besorgte sich eines der neuen Instrumente, aber er richtete es zum Nachthimmel. Am 5. August 1609 beobachtete er damit den Mond und machte detaillierte Zeichnungen von dem, was er dort sehen konnte. Das war übrigens auch genau das, was Galileo Galilei getan hat. Auch der Italiener baute sich ein Teleskop, nachdem er von der Erfindung aus Holland erfahren hatte; er verbesserte es sogar und fing an, den Nachthimmel zu beobachten. Seine ersten nachweisbaren Beobachtungen des Mondes haben Ende November 1609, also gut vier Monate nach denen von Thomas Harriot stattgefunden. Nach allem, was wir heute wissen, war der Engländer also tatsächlich der erste, der ein Teleskop für astronomische Beobachtungen eingesetzt und die Ergebnisse seiner Beobachtungen aufgezeichnet hat. Thomas Harriot war der erste, der Astronomie nicht mehr nur mit dem freien Auge betrieben, sondern optische Instrumente dafür eingesetzt hat; also genau das getan hat, was auch heute noch der Kern der modernen wissenschaftlichen Astronomie ist. War Thomas Harriot also der moderne Astronom?
Ja. Und Nein. So einfach ist Geschichte leider selten. Ich habe zu Beginn schon gesagt, dass 1609 ein besonderes Jahr für die Astronomie war. Mit der Erfindung des holländischen Fernrohrs hat sich ein komplett neues Fenster für die Himmelsbeobachtung aufgetan und man muss kein Genie sein, um auf die Idee zu kommen, es nicht nur dafür einzusetzen, am Tag weit entfernte Objekte auf der Erde zu beobachten, sondern es auch in der Nacht auf den Himmel zu richten. Thomas Harriot und Galileo Galilei waren beide nicht dumm und dass Harriot seine Zeichungen ein paar Monate früher gemacht hat als Galilei sollte nicht überbewertet werden.
Aus Sicht der Wissenschaft ist die Arbeit von Galileo Galilei aber mit Sicherheit wichtiger einzuschätzen. Nicht, weil er so viel besser war als Harriot. Seine Mondkarten waren zwar schon ein wenig detaillierter als die des Engländers. Aber Galilei hat vor allem eines getan, was enorm wichtig ist: Er hat seine Erkenntnisse veröffentlicht. Im Jahr 1610 erschien sein berühmtes Buch "Sidereus Nuncius", der "Sternenbote". Darin berichtet Galilei nicht nur vom holländischen Teleskop und seinem Einsatz in der Himmelsbeobachtung. Er beschreibt, wie er den Mond im Teleskop gesehen hat und veröffentlicht ausführliche Karten der Mondoberfläche; berichtet darüber hinaus aber auch von den vielen bis dahin nie gesehenen Sterne, die mit dem Teleskop sichtbar wurden und vor allem auch von der Entdeckung der Monde des Jupiters.
Hätte Galilei seine Ergebnisse nicht öffentlich gemacht, hätten sie auch nicht die Wirkung auf die Wissenschaft und die Gesellschaft haben können, die sie gehabt haben. Ok, Galilei hätte sich auch viel Ärger mit dem Papst und der Kirche erspart, aber ohne seine Veröffentlichungen wäre die Wende hin zu einer modernen Astronomie erst später erfolgt. Harriot dagegen hat seine Beobachtungen nicht veröffentlicht. Das gilt auch für seine Entdeckung der Sonnenflecken. Auch hier war Thomas Harriot vermutlich der erste. Seine ersten teleskopischen Beobachtungen der Sonne und die Entdeckung der dunklen Flecken auf ihrer Oberfläche fanden im Jahr 1610 statt. Galileo Galilei sah sie im Jahr 1611, ebenso die deutschen Astronomen Johann Fabricius und Christoph Scheiner. Aber auch diesmal hat Harriot nichts veröffentlicht.
Eventuell lag das daran, dass der Earl of Northumberland, sein Arbeitsgeber, in den Gunpowder Plot verwickelt war; eine Verschwörung britischer Katholiken mit dem Ziel, den protestantischen König zu töten. Das Attentat schlug fehl, aber auch Harriot wurde im Zuge der Aufarbeitung kurzfristig verhaftet und dachte sich vielleicht, dass er sich ab jetzt eher zurück halten sollte, was öffentliche Aufmerksamkeit angeht.
Was schade ist, denn Harriot hätte jede Menge zu veröffentlichen gehabt. Nicht nur in der Astronomie: In der Mathematik hat er sich zum Beispiel mit Zahlensystemen beschäftigt und das Binärsystem entdeckt, noch vor Gottfried Wilhelm Leibniz, der üblicherweise als Entdecker gilt. Er war der erste, der eine Formel für die Berechnung der Fläche eines Dreiecks auf einer Kugeloberfläche fand - sehr wichtig für die Navigation. Sie wird heute als "Girards Theorem" bezeichnet, nach dem Franzosen Albert Girard, der diese Gleichung ebenfalls fand, aber im Gegensatz zu Harriot eben auch veröffentlicht hat. Thomas Harriot hat ein ganzes Buch über Mathematik geschrieben, das erst nach seinem Tod veröffentlicht worden ist und er hat die Mathematik der Zinseszins-Rechnung entwickelt.
Thomas Harriot war ein wichtiger Forscher, aber einer, dessen Leistungen sehr lange unbekannt waren. Mittlerweile hat sich das glücklicherweise geändert. Eine Sternwarte einer Universität in Virginia ist nach ihm benannt, genau so wie ein Krater auf dem Mond und ein Asteroid. Die größte Ehre ist aber vermutlich die Benennung des Planeten 55 Cancri f. Der Doppelstern 55 Cancri wird von fünf Planeten umkreist und im Jahr 2015 erhielten diese fünf Planeten die Namen von Wissenschaftlern. Zwei davon heißen Lipperhey und Janssen, nach dem Erfinder des Fernrohrs und Zacharias Janssen, der ebenfalls ein Fernrohr erfunden hat und wo bis heute nicht klar ist, wer von beiden zu erst dran war. Die restlichen drei Planeten sind nach Tycho Brahe und Galileo Galilei benannt und der letzt heißt nun offiziell "Harriot".
Einen Planeten nach sich benannt zu bekommen ist eine Ehre, die es nicht oft gibt. Und eine, die Thomas Harriot auf jeden Fall verdient hat.
Sternengeschichten Folge 594: Der Prachtkomet Donati
"Im Jahr des Heils und jenes Prachtkometen,
Der uns gereift des Achtundfünz’gers Blüte,
Wagt schüchtern nur ein Lied hervorzutreten,
Das nicht vom Hauch des jungen Weines glühte."
Das schrieb der deutsche Dichter Paul Heyse im Jahr 1858 in seinem Werk "Die Hochzeitsreise an den Walchensee". Es war kein astronomisches Werk; direkt auf diesen Vers folgt eine lange Beschreibung der Vorzüge des Bockbiers und auch ansonsten taucht nirgendwo die Astronomie auf. Immerhin: Heyse bekam 1910 den Nobelpreis für Literatur, wenn auch vermutlich nicht für seine Ode an das Bier. Das Bier interessiert uns heute aber ausnahmsweise nicht, sondern natürlich der "Prachtkomet". Es ist kein Wunder, dass er in diesem Gedicht eine Rolle spielt. Im Jahr 1858 gab es vermutlich nicht viele Menschen, die diesen Himmelskörper nicht gesehen hatten. Er konnte monatelang mit freiem Auge am Nacht- und manchmal auch am Taghimmel gesehen werden und war teilweise eines der hellsten Objekte am Himmel. Es handelt sich um den Kometen mit der offiziellen Bezeichnung C/1858 L1 (Donati) und den schauen wir uns heute ein wenig genauer an.
Wie bei Kometen üblich, besteht der Name nicht nur aus einer Kombination von Zahlen und Buchstaben, die Aufschluss über den Zeitpunkt der Entdeckung und die Form der Umlaufbahn geben, sondern auch den Namen der Person, die ihn entdeckt hat. In diesem Fall war das der italienische Astronom Giambattista Donati. Am 2. Juni 1858 sah er von Florenz aus in seinem Teleskop einen noch unbekannten Kometen. Damals war der Anblick eher unspektakulär, aber das sollte sich bald ändern. Schon Ende August 1858 war er ohne optische Hilfsmittel am Nachthimmel zu sehen, und im September war er so hell, dass er kaum noch übersehen werden konnte. Mittlerweile hatte der Komet auch einen Schweif entwickelt, der immer länger wurde. Am 30. September 1858 erreichte der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn und nun konnte man auch einen zweiten Schweif sehen.
Wie das mit dem Schweif beziehungsweise den Schweifen eines Kometen funktioniert, habe ich ja früher schon mal erklärt. Nur kurz zur Erinnerung: Ein Komet besteht aus einem Kern, also einer Mischung aus Eis und Gestein. In der Nähe der Sonne kann sich das Eis erwärmen; das gefrorene Material wird gasförmig und entkommt ins All. Dabei reißt es Staub von der Oberfläche mit sich und es entwickelt sich eine große Hülle um den Kern, die Licht reflektieren kann. Erst dadurch wird der Komet sichtbar, denn die Kerne selbst sind nur ein paar Kilometer groß, die könnte man mit freiem Auge nicht sehen. Die Sonnenstrahlung, die auf die Staubteilchen der Hülle trifft kann diese quasi zur Seite schieben. So entsteht der Staubschweif, der meistens eher diffus leuchtet und ein wenig gekrümmt ist. In der Nähe der Sonne spürt der Komet dann aber auch den Sonnenwind, also die Gas-Teilchen, die die Sonne ins All schleudert. Sie können, in Wechselwirkung mit dem Magnetfeld der Sonne, Teilchen von der Oberfläche des Kometen loslösen und antreiben, die dann in Form eines langen und schmalen Plasmaschweifs sichtbar werden.
Zurück zu Donati: Der hatte jetzt Staubschweif und Plasmaschweif und flog am 10. Oktober 1858 in 80 Millionen Kilometer an der Erde vorbei, dem erdnächsten Punkt seiner Bahn. Ab jetzt war er von der Nordhalbkugel der Erde nicht mehr so gut zu sehen, dafür aber von der südlichen Hälfte. Er wurde jetzt wieder langsam dunkler, irgendwann war er nur noch im Teleskop zu sehen und das letzte Mal sah man ihn im März 1859 von Südafrika aus.
Kometen sind jetzt an sich nichts besonders. Das Sonnensystem ist voll davon und immer wieder bewegen sich manche von ihnen in die Nähe der Sonne und der Erde, so dass wir sie an unserem Himmel sehen können. Aber die meisten Kometen bleiben selbst dann für unsere Augen unsichtbar; wir brauchen Teleskope um sie sehen zu können. Dass ein Komet nicht nur ohne Hilfsmittel sichtbar ist, sondern noch dazu so enorm hell wird, mit extrem langen Kometenschweifen: Das kommt nicht ganz so oft vor. Diese Kometen werden "Große Kometen" genannt, was keine offizielle Definition ist, aber eben genau diese extrem spektakulären Himmelserscheinungen beschreibt, die immer wieder mal sichtbar sind. Pro Jahrhundert sind das vielleicht zehn bis zwanzig Stück; im 20. Jahrhundert war vermutlich der Halleysche Komet der bekannteste unter den damaligen "Großen Kometen".
Donati war auf jeden Fall einer der beeindruckensten Großen Kometen des 19. Jahrhunderts. Er hat nicht nur die Wissenschaft beeindruckt, sondern auch den Rest der Gesellschaft. Aber bleiben wir vorerst noch bei der Wissenschaft. Donati war der erste Komet, der nicht nur beobachtet, sondern auch fotografiert worden ist. Die Fotografie existierte damals ja erst ein paar Jahrzehnte und das ganze Konzept steckte noch in den Kinderschuhen. Es ist nicht ganz klar, von welcher Person das erste Foto stammt. Der englische Maler und Fotograf William Usherwood hat ein Bild von Donati gemacht, das leider nicht mehr existiert und von dem er selbst nicht sicher war, an welchen Tag es fotografiert worden ist. Später hat Usherwood den 27. September 1858 angegeben, was einen Tag früher wäre, als der Tag, an dem der amerikanische Astronom William Bond den Kometen ebenfalls fotografiert hat.
Abgesehen davon musste die Wissenschaft ihre Beobachtungen aber vorerst durch Zeichnungen festhalten und wenn man sich diese Bilder ansieht, erkennt man erstaunlich komplexe Strukturen. Und tatsächlich dürfte Donati auch in dieser Hinsicht ein spezieller Komet gewesen sein. Seine große Helligkeit und seine ausgeprägten Schweife machten sehr detaillierte Beobachtungen mit dem Teleskop möglich. Der deutsche Astronom Wilhelm Foerster fand in der Koma, also der Staubhülle um den Kometenkern, seltsame Büschel, die in Richtung Sonne zeigten; andere sahen eine hüllenartige Struktur um den Kern. Heute geht man davon aus, dass durch irgendeinen Vorgang die Oberfläche des Kometen an einer oder mehrerer Stellen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das darunter liegenden gefrorene Material konnte dann durch die Sonne erwärmt werden und gaste an diesen Stellen aus. Die Rotation des Kometenkerns um seine Achse verwirbelte das dann und erzeugte so die komplexe Struktur; ein bisschen so wie einer dieser Sprinkler, die man im Garten für die Bewässerung verwendet.
Neben der Wissenschaft war aber auch der Rest der Welt beeindruckt. Abraham Lincoln, damals noch nicht US-Präsident aber schon ein wichtiger Politiker, schrieb in seinem Tagebuch davon, wie er Donati beobachtet hat, ebenso wie zum Beispiel die Autoren Charles Dickens oder Jules Verne oder der Biologe Alfred Russell Wallace, der den Kometen bei einer seiner Expeditionen sah. Der Komet war regelmäßiges Thema in den Zeitungen und Zeitschriften, so sehr, dass es manchen fast zu viel wurde. Der damalige Direktor der Pariser Sternwarte, Urbain Le-Verrier, bekannt durch seine Entdeckung des Planeten Neptun, schrieb zum Beispiel: "Seit der Komet mit freiem Auge sichtbar ist hat sich ein Haufen Journalisten-Astronomen hier in Paris versammelt, die die abstrusesten Beobachtungen und außergewöhnlichsten Theorien publizieren. Wir sehen uns gezwungen, eine zurückhaltende Einstellung einzunehmen, die der ernsthaften Wissenschaft entspricht".
Neben dem zu Beginn erwähnten Paul Heyse haben sich natürlich auch andere Menschen literarisch mit dem Kometen auseinandergesetzt und natürlich auch in der Kunst. Es gibt ein Bild des berühmten englischen Malers William Turner, das den Kometen über Oxford zeigt. Noch berühmter ist das Gemälde mit dem Titel "Pegwell Bay, Kent – a Recollection of October 5th 1858" auf dem der schottische Maler William Dyce seine Familie beim Muschelsammeln an einem englischen Strand zeigt und am Taghimmel steht, sehr unscheinbar aber dennoch überraschend eindringlich, der Komet Donati.
In Siam, das wir heute Thailand nennen, war der Komet sogar von höchstem politischen Interesse. Seit 1851 war dort König Rama IV, beziehungsweise König Mongkut im Amt. Er war ein großer Fan der Wissenschaft und insbesondere der Astronomie. Er stellte selbst Beobachtungen an, ließ Sternwarten und wissenschaftliche Einrichtungen bauen und hat sich generell so intensiv mit der Astronomie beschäftigt, dass er eigentlich eine eigene Folge der Sternengeschichten wert wäre. Was er auf jeden Fall auch getan hat, war sein Volk in seinen königlichen Proklamationen immer wieder auch über wissenschaftliche Neuigkeiten zu informieren. So auch in diesem Fall, wo er explizit darauf hingewiesen hat, dass man sich vor dem Kometen nicht sorgen muss. "Ein Komet ist ein Himmelskörper, der sich in einigen Jahren wieder von der Erde entfernen wird. Deswegen sollten die Menschen in Siam nicht in Panik verfallen und sich sorgen, denn der Komet ist nicht nur in dieser und nahegelegenen Städten sichtbar, sondern von überall auf der Erde zu sehen", heißt es da zum Beispiel.
Entfernt hat sich der Komet Donati mittlerweile ordentlich und er wird das auch noch eine Zeit lang tun. Seine Bahn ist so langgestreckt, dass er ihren sonnenfernsten Punkt erst im Jahr 2718 erreichen wird. Dann wird er ungefähr 287 mal weiter von der Sonne entfernt sein als die Erde. Und wenn er dann endlich den Rückweg ins innere Sonnensystem antritt, wird er noch viele weitere Jahrhunderte unterwegs sein. Mit einer Rückkehrt an unseren Nachthimmel ist erst gegen das Jahr 3577 zu rechnen. Aber bis dahin wird ja noch hoffentlich der eine oder andere "Große Komet" bei uns zu sehen sein.
Sternengeschichten Folge 593: Hyperion und das Chaos
Die Sonne geht im Osten auf, darauf kann man sich verlassen. Der Grund dafür ist natürlich die Art und Weise wie die Erde sich um ihre eigene Achse dreht, nämlich nach Osten. Wenn man vom Nordpol aus auf die Erde schaut, dann dreht sie sich gegen den Uhrzeigersinn und deswegen sehen wir die Sonne im Osten aufgehen. Aber jetzt stellt euch mal vor, das wäre anders. Mal würde die Sonne im Osten aufgehen. Ein paar Wochen später dann im Westen. Oder im Norden. Stellt euch vor, man könnte sich nicht sicher sein, wo die Sonne aufgeht sondern müsste sich jeden Morgen neu davon überraschen lassen.
Das klingt absurd. Aber es gibt einen Himmelskörper im Sonnensystem, wo die Situation fast so ist. Der Saturnmond Hyperion ist ein ganz besonderes Objekt und den schauen wir uns in dieser Folge an. Entdeckt wurde der Mond im September 1848 vom amerikanischen Astronomen William Cranch Bond und seinem Sohn George Phillips Bond und unabhängig davon auch vom britischen Astronom William Lassell. Lassell war auch der erste, der die Entdeckung veröffentlicht hat. Und der dem damals achten bekannten Mond des Saturn den Namen "Hyperion" gegeben hat. In der griechischen Mythologie war Hyperion ein Titan, Sohn von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde. Die Mythologie lassen wir jetzt aber beiseite, denn der reale Mond ist interessant genug. Es ist ein vergleichsweise großer Mond, aber ein Mond mit einer seltsamen Form, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird. Man kann keinen Durchmesser von Hyperion angeben, denn dazu ist er zu wenig regelmäßig geformt Er sieht aus wie eine längliche Kartoffel; so wie man es von einem typischen Asteroid erwarten würde. Hyperion ist aber viel größer als ein Asteroid, er ist in der einen Richtung 360 Kilometer lang, und in den anderen beiden 266 Kilometer beziehungsweise 206 Kilometer. Sein Abstand von Saturn beträgt 1,46 Millionen Kilometer und für eine Runde um den Ringplaneten braucht Hyperion 21 Tage und knapp 7 Stunden.
Wie Hyperion genau aussieht, wissen wir erst seit die Raumsonde Cassini in den Jahren 2005 und 2006 in seiner unmittelbaren Nähe vorbei geflogen ist. Sie hat sich Hyperion bis auf 500 Kilometer genähert und einen Himmelskörper gezeigt wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben. Hyperion schaut aus wie ein gigantischer Schwamm. Er ist - natürlich - voller Krater, aber die sind alle überraschend tief mit scharf abgegrenzten Rändern, so dass der Eindruck einer porösen, schwammartigen Oberfläche entsteht. Und tatsächlich ist die Dichte des Mondes auch sehr gering, sie beträgt nur 0,5 Gramm pro Kubikzentimeter, das ist nur halb so viel wie die Dichte von Wassereis, aus dem der Mond zum größten Teil besteht. Das bedeutet, dass der Mond voller Hohlräume sein muss, ungefähr 40 Prozent seines Inneren müssen leer sein, um die niedrige Dichte erklären zu können. Vermutlich ist der Mond kein zusammenhängendes Objekt sondern eher ein loser Haufen aus Material.
Trotzdem der Mond zu einem großen Teil aus Eis besteht, ist seine Oberfläche und vor allem das Innere der Krater sehr dunkel. Vermutlich handelt es sich bei diesen dunklen Ablagerungen auf dem Eis um diverse chemische Verbindungen aus Kohlenwasserstoffen. Das Material stammt wahrscheinlich vom weiter außen liegenden Mond Phoebe, auf dessen Oberfläche man entsprechende Kohlenwasserstoffe nachgewiesen hat. Wir wissen außerdem, dass Einschläge auf Phoebe Material weit hinaus ins All schleudern, das dort einen der vielen Ringe um Saturn bildet und durch den Einfluss der Sonnenstrahlung nach innen wandern kann, auch dorthin wo sich Hyperion befindet.
Aber das wirklich außergewöhnliche an Hyperion ist seine Rotation. 1981 flog die Raumsonde Voyager 2 in der Nähe des Saturn vorbei und machte auch Bilder von Hyperion. Keine sehr detaillierten aber die Beobachtungen legten nahe, dass es sich bei dem Mond nicht um einen kugelförmigen Himmelskörper handelt sondern eher ein längliches Objekt. Genauere Untersuchungen der Bilder bestätigten das; tatsächlich zeigte sich, dass Hyperion von allen größeren Monden im Sonnensystem das am unregelmäßigsten geformte Objekt ist. Die Daten zeigten auch, das Hyperion anscheinend keine gebundene Rotation hat.
Das ist das, was der Mond der Erde tut und so gut wie alle anderen großen Monde im Sonnensystem: Sie drehen sich genau so schnell um ihre Achse wie sie für eine Runde um ihren Planeten brauchen. Oder anders gesagt: Vom Planeten aus sieht man immer die selbe Seite des Mondes. Grund dafür sind die Gezeitenkräfte, die zwischen Planet und Mond wirken und die Rotation des Mondes langsam abbremsen. Bei Hyperion war das aber nicht der Fall und 1984 veröffentlichte der amerikanische Physiker Jack Wisdom gemeinsam mit seinen Kollegen François Mignard und Stanton Peale eine Arbeit mit einer Idee, warum das so ein könnte.
Hyperion hat nicht nur eine ungewöhnliche, längliche Form. Er ist auch ein unmittelbarer Nachbar des Titan, der nicht nur der größte Mond des Saturn ist, sondern mit einem Durchmesser von über 5000 Kilometern auch der zweitgrößte Mond des ganzen Sonnensystems. Durch die komische Form ist Hyperion einerseits sehr speziellen Gezeitenkräften von Saturn ausgesetzt, andererseits spürt der Mond aber auch die Anziehungskraft seines großen Nachbarn Titan. Die Details sind komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Hyperion in einer sehr labilen Position ist. Aus allen Richtungen spürt er unterschiedlich starke Kräfte und deswegen kann er sich nicht ordentlich um seine Achse drehen. Normalerweise würde ein Mond wie Hyperion sich mit seiner langen Achse in Richtung Saturn ausrichten und dann um seine kurze Achse rotieren. Durch das gravitative Wirrwarr das auf Hyperion wirkt ist das aber nicht möglich. Er taumelt quasi um den Saturn herum; seine Rotationsachse müsste ständig in eine andere Richtung zeigen und seine Rotationsgeschwindigkeit sich ständig ändern, so die Vorhersage von Wisdom und seinen Kollegen. Oder anders gesagt: Die Rotation von Hyperion muss chaotisch sein.
Und im Prinzip ist es das, was man später auch bestätigen konnte. Die Vorhersage von Wisdom & Co hat sich nicht exakt bestätigt. Laut ihnen hätte sich die Rotation extrem schnell und stark ändern können, von quasi keiner Rotation bis zu einer Drehung in nur 10 Tagen und das alles während nur zwei Runden um den Saturn herum. Ganz so schlimm ist es nicht, aber Hyperions Rotation ist tatsächlich chaotisch. Wie es genau dazu gekommen ist, ist immer noch unklar. Vermutlich dürfte Hyperion als vergleichsweise normaler Mond begonnen haben. Er dürfte sich auch früher deutlich schneller um seine Achse bewegt haben als heute und, so wie auch beim Mond der Erde, wird die Gezeitenkraft des Saturns diese Rotation langsam abgebremst haben. Anders als beim Mond ist Hyperion aber nicht an dem Punkt angekommen, wo eine Drehung um seine Achse genau so lange dauert wie eine Runde um den Saturn. Denn im Gegensatz zu unserem Mond ist Hyperion nicht allein, sondern hat es mit Titan zu tun. Als Hyperions Rotationsgeschwindigkeit immer langsamer wurde, gab es irgendwann einen kritischen Punkt, wo die gravitativen Störungen die von Titan wirkten so heftig wurden, dass die Rotation chaotisch wurde. Durch diese chaotische Rotation hat sich vermutlich auch die Form und Zusammensetzung von Hyperion verändert. Denn wenn Asteroiden mit Monden kollidieren, was oft genug vorkommt, wie die Krater auf ihren Oberflächen zeigen, dann fällt meistens ein großer Teil des dabei nach oben geschleuderten Materials wieder zurück. Die chaotische Rotation von Hyperion könnte das verhindert haben, was ein Grund für die poröse, schwammartige Form von Hyperion sein könnte.
Hyperion ist einer der wenigen Himmelskörper des Sonnensystems, wo wir dem Chaos quasi live bei der Arbeit zusehen können. Bis jetzt gab es nur einen kurzen Besuch der Raumsonde Cassini, gelandet ist dort noch nichts und es waren natürlich auch noch keine Menschen auf seiner Oberfläche. Aber wer weiß, vielleicht treiben wir uns irgendwann auch einmal im Saturnsystem rum, vielleicht gibt es irgendwann mal eine Forschungsstation oder eine andere Siedlung auf Hyperion und dann werden sich die Menschen dort ein paar komplizierte Gedanken über ihren Kalender machen müssen - dafür dann aber einen einzigartigen, chaotischen Blick auf die Welt haben.
Sternengeschichten Folge 592: Weltraumwaffen und Killersatelliten
Der Satellit Fengyun-1C flog am 10. Mai 1999 ins Weltall. Der Name bedeutet so viel wie "Sturm und Wolken" und passte zur Aufgabe des wissenschaftlichen Instruments: Nämlich das Wetter zu beobachten. Das hat der Satellit auch getan, bis er am 11. Januar 2007 zerstört worden ist. Nicht aus Versehen, es war ein geplanter Angriff. Eine Rakete, die von der Erde aus ins All geschossen wurde, traf den Satelliten und hat ihn komplett vernichtet. Nach der Kollision gab es nur noch eine große Trümmerwolke aus über 40.000 größeren und Millionen kleinerer Bruchstücke. Die absichtliche Zerstörung von Fengyun-1C war allerdings kein kriegerischer Akt. Der chinesische Satellit wurde von China selbst zerstört, um ihre Antisatellitenraketen testen zu können. Aber allein die Tatsache, dass es so etwas wie Antisatellitenraketen gibt und das ihre dramatische Wirkung von China so öffentlich demonstriert worden ist, zeigt, dass Krieg auch im Weltall nicht ignoriert werden kann.
Es ist traurig, dass auch dieser Bereich nicht von der menschlichen Gewalt verschont bleibt. Aber auch nicht überraschend. Wir sind Menschen und wir bleiben Menschen, auch wenn wir ins Weltall fliegen. Und seit es uns Menschen gibt, führen wir Krieg gegeneinander. Wir scheinen nicht in der Lage zu sein, friedlich miteinander leben zu können. Und auch die Wissenschaft kann sich da nicht entziehen. Kriege waren immer schon Treiber für wissenschaftliche Entwicklungen. Nehmen wir nur den zweiten Weltkrieg: Die Radartechik war ein direktes Resultat der Forschung, die für Kriegszwecke durchgeführt worden ist. Auch Computer und Flugzeuge wurden während des Krieges massiv weiter entwickelt. Und natürlich auch die Raumfahrt selbst. Die deutschen Pioniere der Raketentechnik bauten die ersten richtigen Raketen nicht für die Forschung, sondern als Waffen. Und als Deutschland den Krieg verloren hatte, wurden die Raketentechnik und die Ingenieure von den USA und der UdSSR übernommen, um dort die jeweiligen Raumfahrtprogramme zu entwickeln. Es soll hier aber nicht um die Geschichte der Raumfahrt im zweiten Weltkrieg gehen, das wäre außerdem ein zu umfangreiches Thema für einen Podcast. Ich wollte nur die Verknüpfungen zwischen Technik und Krieg betonen, damit klar ist, dass sich das nicht so einfach trennen lässt. Das gilt auch für die "reine" Wissenschaft: Als gut 400 Jahre früher Menschen wie Galileo Galilei, Johannes Kepler oder Isaac Newton darüber nachgedacht haben, wie und warum sich die Himmelskörper bewegen, da ist es ihnen nur darum gegangen, das Universum besser zu verstehen. Aber wenn damals nicht die Grundlagen der Mechanik entwickelt worden wären und man nicht angefangen hätte, die Gravitation zu verstehen, dann hätte man später auch keine Raketen ins All schicken können. Raketen, die einerseits wissenschaftliche Instrumente transportieren können, die unser Verständnis der Welt verbessern. Oder Bomben tragen und unsägliches Leid anrichten können. Was wir mit dem Wissen anstellen, das wir erlangen, liegt an uns selbst. Und so wie es aussieht, schaffen wir es leider nicht, das Wissen nur zum Wohl der Menschheit einsetzen. Das kann man schrecklich finden und das soll man auch. Aber man kann es nicht ignorieren. Und deswegen geht es in der heutigen Folge der Sternengeschichten um Killersatelliten.
Beziehungsweise um Krieg im Weltall. Der findet statt, wenn auch ganz anders, als wir das aus den Science-Fiction-Filmen gewöhnt sind. Es gibt keine gigantischen Raumschlachten, in denen sich Raumschiffe mit Lasern, Phasern oder Photonentorpedos beschießen; keine waghalsigen Flugmanöver und all das andere, eher unwissenschaftliche, Standard-Gekämpfe aus den Hollywood-Filmen. Trotzdem ist der Weltraum natürlich auch ein Ort, der für die Kriegsführung wichtig geworden ist. Nicht als Kampfschauplatz, noch nicht - beziehungsweise nur sehr sporadisch, wie wir noch sehen werden. Aber als strategische Position, die es zu besetzen gilt. Seit wir in der Lage sind, Satelliten ins All zu schicken, schicken wir auch Satelliten ins All, deren Aufgabe die Spionage ist. Der Blick von oben liefert Hinweise über Truppenbewegungen, die Stationierung von Waffen, usw. Per Satellitenkommunikatin lassen sich Truppen zielgenau steuern, Einsätze in Echtzeit auch aus großer Ferne verfolgen. Aber in diesen Fällen dient der Weltraum eben nur als strategische Plattform, die Vorteile bei der Kriegsführung auf der Erde bringen kann. Natürlich und leider gibt es aber auch Überlegungen, direkt im All oder vom All aus zu kämpfen.
Killersatelliten sind dabei nur eine von mehreren Möglichkeiten, andere Satelliten zu zerstören. Das, was China bei der Zerstörung von Fengyun-1C eingesetzt hat, war eine Antisatellitenrakete, die von der Erde aus ins All zielgenau auf einen Satelliten geschossen werden. Das kann entweder direkt vom Boden aus passieren, oder aber auch von hoch fliegenden Kampfjets. Erste Tests solcher Raketen gab es in den USA schon seit den 1950er Jahren, im Gegensatz zu China hat man dabei aber nie etwas im Weltall auch tatsächlich zerstört. Zumindest bis zum 21. Februar 2008. Da wurde der Satellit USA 193, vermutlich ein ehemaliger Spionagesatellit der Vereinigten Staaten durch eine Rakete zerstört, die von einem amerikanischen Kriegsschiff aus gestartet wurde. Der Satellit enthielt noch circa 500 Kilogram Hydrazin, eine extrem gefährliche Chemikalie, die oft als Treibstoff für die Steuerraketen bei Satelliten eingesetzt wird. Der Satellit selbst wurde 2006 ins All geschossen, funktionierte aber nicht. Seine Bahn konnte nicht kontrolliert werden und 2008 drohte er, auf die Erde zu stürzen. Beziehungsweise in der Atmosphäre zu verglühen. Weil das Hydrazin mittlerweile gefroren gewesen sein dürfte und der Eisblock den Wiedereintritt in der Atmosphäre überstehen und am Boden für Schaden Sorgen könnte, entschlossen sich die USA, den Satellit lieber abzuschießen. Dass die Aktion irgendwas mit der kurz zuvor stattgefundenen Demonstration der chinesischen Antisatellitenwaffe zu tun haben könnte, haben offizielle Stellen dementiert.
So oder so: China und die USA hatten sich jedenfalls gegenseitig gezeigt, dass sie in der Lage waren, Satelliten von der Erde aus zu zerstören. In der Sowjetunion hat man sich dagegen schon früh darauf konzentriert, Raumfahrzeuge zu bauen, die andere Raumfahrzeuge angreifen können. In den 1960er baute man Istrebitel Sputnikow, was so viel wie "Satellitenzerstörer" heißt, also Satelliten, die im All andere Satelliten zerstören können. Was dabei wirklich getest wurde und wie erfolgreich, ist heute schwer herauszufinden. Die Raumstation Saljut 3, die von Juni 1974 bis Januar 1975 die Erde umkreiste, soll zum Beispiel mit einer Maschinenkanone ausgestattet gewesen sein, die kurz vor dem Wiedereintritt der Raumstation in die Erdatmosphäre auch getest worden sein soll. Aber auch das will offiziell niemand bestätigen.
Was wir definitiv wissen: Am 15. November 2021 wurde der Satellit Kosmos-1408 von einer russischen Anti-Satellitenwaffe zerstört. Der ehemalige Spionagesatellit wurde von einer Rakete zerstört, die von der Erde aus abgeschossen wurde - womit jetzt alle drei großen Raumfahrtnationen demonstriert hatten, dass sie zu sowas in der Lage sind. Und erwartungsgemäß haben sich die jeweils anderen Länder über die Zerstörung der Satelliten des dritten Landes aufgeregt. Vor allem wegen des Weltraummülls: Als China als erstes Land einen eigenen Satelliten abgeschossen hat, beschwerte sich etwa die USA sehr über die vielen Trümmer, die jetzt eine Gefahr für die Raumfahrt darstellen. Genau so haben sich China und Russland dann über den amerikanischen Abschuss beschwert, wegen des Weltraummülls und so weiter. Das alle nur über den Weltraummüll der anderen meckern, mag lächerlich erscheinen. Die Tatsache selbst ist aber durchaus bedenklich: Ein Bruchstück des chinesischen Satelliten ist 2013 zum Beispiel tatsächlich mit einem anderen Satelliten kollidiert. Die Trümmerwolke von der Zerstörung des russischen Satelliten bedrohte sogar die Internationale Raumstation. Die sieben Menschen, die damals gerade an Bord waren, mussten sicherheitshalber in die Raumkapseln übersiedeln, um im Fall einer katastrophalen Kollision schnell zur Erde flüchten zu können. Passiert ist zum Glück nichts, aber die Station musste ein paar Ausweichmanöver fliegen. Die Trümmer des russischen und amerikanischen Satelliten sind dann ziemlich bald in der Atmospäre verglüht und stellen keine Gefahr mehr dar. Aber die chinesische Trümmerwolke kann immer noch Ärger machen.
Geht man nach den diversen Plänen und Tests der Militärs, könnte im Weltall noch viel mehr passieren. Man könnte Satelliten mit gigantischen Lasern abschießen, oder ganz gezielt Weltraumschrott in der Bahn eines anderen Satelliten aussetzen. Oder anstatt von der Erde aus den Weltraum anzugreifen, ginge es auch umgekehrt: Man könnte von Satelliten aus Objekte auf die Erde werfen. Das müssen dann nicht einmal irgendwelche Bomben sein. Es reicht schon ein sehr kompaktes Objekt, zum Beispiel ein Stab aus Wolfram. Dieses Metall hat einen extrem hohen Schmelzpunkt, würde den Wiedereintritt durch die Atmosphäre überstehen und allein die hohe Geschwindigkeit des Einschlags dieser Metallstangen würde enorme Zerstörung anrichten.
Bis jetzt haben die Nationen im Weltall nur ihre eigenen Satelliten zerstört. Und wir können hoffen, dass es auch so bleibt. Angesichts der Geschichte der Menschheit ist diese Hoffnung vielleicht naiv. Aber wenn wir nicht wenigstens darauf hoffen, dass wir uns irgendwann ändern; wenn wir nicht hoffen, dass zumindest der Weltraum von unserer menschlichen Zerstörungswut frei bleibt: Dann haben wir nicht nur keine Chance, sondern es auch nicht anders verdient.
Sternengeschichten Folge 591: Lentikuläre Galaxien
Lentikuläre Galaxien werden auch linsenförmige Galaxien genannt und man nennt sie deswegen so, weil sie linsenförmig aussehen. Vielen Dank fürs Zuhören, bis zum nächsten Mal! Nein, es geht natürlich weiter. Denn die lentikulären Galaxien haben noch mehr zu bieten. Dazu müssen wir uns aber noch einmal kurz ansehen, was sie von anderen Galaxien unterscheidet. Ich habe in Folge 33 der Sternengeschichten schon mal einen kurzen Überblick über die Galaxienarten gegeben, aber vielleicht schauen wir uns das noch einmal schnell an.
Also: Es gibt erstmal zwei grundlegend unterschiedliche Arten von Galaxien, nämlich elliptische Galaxien und Spiralgalaxien. Elliptische Galaxien sind im Wesentlichen große, kugelförmige Haufen von Sternen. Diese Haufen können komplett kugelförmig sein oder mehroder weniger ellipsoid, also quasi abgeflachte Kugeln. Spiralgalaxien sind das, an was wir meistens denken, wenn wir uns eine Galaxie vorstellen: Eine flache Scheibe, in der sich die Spiralarme befinden und in der Mitte eine kugelförmige Region, in der die Sterne sehr dicht beieinander stehen, der Bulge. Unsere Milchstraße ist genau so eine Spiralgalaxie und zwar eine Balkenspiralgalaxie. In dieser Untergruppe wächst aus dem Bulge noch eine balkenartige Struktur aus Sternen, aus der dann die Spiralarme wachsen. Es gibt auch noch die irregulären Galaxien, deren Form - wie der Name sagt - irregulär ist. Aber die sollen uns hier nicht beschäftigen, ich erwähne sie nur der Vollständigkeit halber.
Man bekommt all die unterschiedlichen Galaxienformen oft als Diagramm gezeigt, in der die elliptischen Galaxien entlang einer Linie angeordnet sind, von den komplett kugelförmigen bis hin zu den ganz stark abgeflachten. Von dort zweigen dann zwei Linien ab, wie bei einer Stimmgabel und auf der einen findet man die unterschiedlichen Formen der Spiralgalaxien und auf der anderen die entsprechenden Balkenspiralgalaxien. Das sieht dann oft so aus, als wäre das eine Entwicklungssequenz; so, als würde jede Galaxien als kugelförmige elliptische Galaxie beginnen, dann im Laufe der Zeit immer flacher werden bis sie sich irgendwann zu einer Spiral- oder Balkenspiralgalaxie entwickelt. Das ist definitiv nicht so; genau genommen ist es sogar umgekehrt, denn die elliptischen Galaxien können entstehen, wenn Spiralgalaxien miteinandern kollidieren und verschmelzen. Trotzdem gibt es diese Diagramme immer noch und am Schnittpunkt, dort wo elliptische auf die Abzweigungen zu den Spiralgalaxien treffen, findet man meistens einen Galaxientyp eingetragen, der mit "S0" bezeichnet wird. Genau das sind die Lentikulären Galaxien.
In den linsenförmigen Galaxien sind die Sterne in einer Scheibe angeordnet, so wie in den Spiralgalaxien auch. Nur gibt es dort keine Spiralarme, es ist einfach eine flache Scheibe aus Sternen; ein bisschen so ein Mittelding zwischen elliptischen und Spiralgalaxien. So weit, so klar. Was weit weniger klar ist, ist die Entstehungsgeschichte dieser Galaxienart. Wie elliptische Galaxien entstehen können, wissen wir halbwegs, das habe ich vorhin schon erwähnt. Wenn zwei Spiralgalaxien kollidieren, dann verschmelzen sie im Laufe von Milliarden von Jahren und bilden einen großen Haufen von Sternen, eine elliptische Galaxie. Und als damals im jungen Universum aus gigantischen Gaswolken die ersten Sterne beziehungsweise eben die ersten Galaxien entstanden sind, waren das vor allem erstmal irreguläre Galaxien, in denen sich erst im Laufe der Zeit und durch weitere Verschmelzungen die Spiralarme ausgebildet haben. Aber die irregulären Galaxien wollte ich ja auslassen. Ich lasse auch die Details der Entstehung der Spiralarme aus, was aber wichtig ist, ist die Tatsache, dass die Spiralarme vor allem aus jungen Sternen bestehen. Spiralarme sind keine "fixen" Strukturen; man darf sie sich nicht vorstellen wie die Speichen eines Fahrrads. Durch das ganze gravitative Wirrwarr in einer Galaxie aus hunderten Milliarden Sternen gibt es "Dichtewellen", also Bereiche, wo die kombinierte Gravitationskraft dazu führt, dass Gaswolken kollabieren und zu jungen, hell leuchtenden Sternen werden. Und weil sich alles in so einer Galaxie ständig bewegt, wandern immer wieder Gaswolken in diese Bereiche, dort entstehen Sterne, die wieder weiterziehen, aber durch neue junge Sterne ersetzt werden, die aus neuen Gaswolken entstehen, die in diese Dichteregionen wandern. Solange es noch genug Gas gibt, aus dem Sterne entstehen können, wird es also auch immer junge Sterne geben, die die Spiralarme quasi ausleuchten.
Lentikuläre Galaxien haben keine Spiralarme und daraus folgt, dass dort auch kaum noch neue Sterne entstehen. Ist die Sache damit jetzt also schon geklärt? Wir fangen mit einer Spiralgalaxie an, die wird immer älter und älter, irgendwann ist das ganze Gas für die Sternentstehung verbraucht und dann verblassen quasi die Spiralarme. Dazu passt auch folgender Befund: Wenn wir schauen, wo im Universum die Lentikulär-Galaxien zu finden sind, dann sehen wir sie vor allem in unserer Nähe. Oder anders herum gesagt: Wenn wir Galaxien betrachten, deren Licht sehr, sehr lange bis zu uns gebraucht hat; die also aus der Frühzeit des Universum stammen, finden wir dort kaum lentikuläre Galaxien. Oder noch einmal anders herum gesagt: lentikuläre Galaxien scheinen ein Phänomen des gegenwärtiges Universums zu sein; in der Vergangenheit hat es sie nicht gegeben. Was wiederum die Annahme unterstützt, dass es Zeit braucht, bis sie sich bilden und es sich um ausgeblichene Spiralgalaxien handelt.
Es könnte aber auch genau anders herum sein. Wir wissen, dass Galaxien einander immer wieder in die Quere kommen. Unsere Milchstraße und ihre Nachbargalaxie, die Andromedagalaxie, sind zum Beispiel gerade dabei, miteinander zu kollidieren. Der Vorgang dauert ein paar Milliarden Jahre, aber am Ende werden beide zu einer großen elliptischen Galaxie verschmolzen sein. So eine Wechselwirkung zwischen zwei Spiralgalaxien kann aber auch anders ablaufen. Wenn sie sich nahe kommen, wirken zwischen ihnen enorme Gezeitenkräfte. Dann verformen sie sich; die Spiralarme verformen sich und können regelrecht aufgedröselt werden und auch das Gas, aus dem Sterne entstehen können, kann aus den Galaxien rausgerissen werden. Am Ende kriegt man eine Galaxie ohne Spiralarme und ohne Gas, aus dem neue Sterne entstehen können, die neue Spiralarme bilden könnten.
Auch für diese Hypothese gibt es Beobachtungsdaten, die das stützen. Wenn wir uns große Galaxienhaufen anschauen; also die gewaltigen Ansammlungen aus hunderten oder bis zu hunderttausenden Galaxien. Dort finden wir alle möglichen Formen, auch die lentikulären Galaxien. Die sind in diesen Haufen aber vor allem in den inneren Regionen der Haufen, also dort, wo die Galaxien am dichtesten stehen und am ehesten miteinander wechselwirken können.
Beide Hypothesen haben ihre Stärken. Beide haben auch ihre Schwächen. Die Hypothese mit den wechselwirkenden Spiralgalaxien hat vielleicht ein paar mehr Stärken als Schwächen als die Verschmelzungshypothese. Zum Beispiel wenn man sich anschaut, wie schnell die Linsengalaxien rotieren und das mit ihrer Helligkeit vergleicht. Zwischen beiden Größen gibt es bei den normalen Spiralgalaxien einen Zusammenhang, nämlich die "Tully-Fisher-Beziehung" und der selbe Zusammenhang findet sich, leicht verschoben, auch bei den Lentikulärgalaxien. Aber auch das ist kein definitiver Beleg.
Wie die komischen Galaxien ohne Spiralarme entstehen, wissen wir noch nicht. Aber sie sind dort draußen, sie sind ein Teil unseres Universums und deswegen werden wir nicht aufhören, auch sie verstehen zu wollen.
Sternengeschichten Folge 590: Joseph Weber und der vielleicht erste Nachweis von Gravitationswellen
Gravitationswellen! Darüber habe ich in den Folgen 102 und 184 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen. Dieses Phänomen war lange Zeit reine Theorie. Albert Einstein hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorhergesagt, dass es so etwas geben muss und es hat auch eigentlich niemand daran gezweifelt, dass es tatsächlich existiert. Woran man aber immer wieder sehr wohl gezweifelt hat, war die Frage, ob man die Gravitationswellen irgendwann auch nachweisen wird können.
Aber fangen wir vielleicht noch einmal mit einer ganz kurzen Wiederholung an. Was sind Gravitationswellen? Wir wissen, dass der Raum nicht einfach nur ein abstraktes Dinges ist, sondern ein reales physikalisches Objekt. Der Raum kann vor allem gekrümmt werden und Albert Einstein hat uns nicht nur erklärt, dass die Anwesenheit von Masse den Raum krümmt, sondern wir diese Raumkrümmung als Gravitationskraft wahrnehmen. Die Erde bewegt sich nicht deswegen um die Sonne, weil da irgendeine mysteriöse Kraft wirkt. Oder halt doch, irgendwie. Die Sonne krümmt den Raum und die Erde muss bei ihrer Bewegung dieser Raumkrümmung folgen und umkreist die Sonne deshalb, was für uns so aussieht, wie eine Kraft, die zwischen beiden Himmelskörpern wirkt. Damit ist auch eine Frage beantwortet worden, die vor Einstein nicht beantwortet werden konnte: Wie schnell breitet sich die Gravitationskraft aus? Isaac Newton hat noch gesagt, dass sie unendlich schnell wirkt. Wenn die Sonne verschwindet, würden wir auf der Erde sofort spüren, dass ihre Anziehungskraft weg ist. Einstein dagegen hat erklärt, dass sich die Krümmung des Raums nicht beliebig schnell verändern kann. Sondern nur mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn also die Sonne verschwindet, dann dauert es 8 Minuten - so lange braucht Licht von der Sonne bis zu Erde - bis auch die veränderte Raumkrümmung sich bis zu uns ausgebreitet hat und wir das Verschwinden der Anziehungskraft merken. Oder anders gesagt: Wenn Massen sich in der Raumzeit bewegen (ganz genau: beschleunigt bewegen) verursacht das eine Veränderung in der Krümmung der Raumzeit und die breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Es gibt also quasi Wellen im Raum selbst und genau das sind die Gravitationswellen.
Die Frage die noch bleibt ist: Wie kann man so was messen? Man kann ausrechnen, dass die Effekte winzig sind. Die Erde, die die Sonne umkreist, verursacht durch diese Bewegung Gravitationswellen. Zwei Sterne, die kollidieren, verursachen Gravitationswellen, ebenso wie ein Stern der explodiert oder zwei schwarze Löcher die zusammenstoßen. Wenn diese Wellen sich ausbreiten, dann sorgen sie dafür - sehr vereinfacht - dass der gesamte Raum gestreckt oder gestaucht wird. Wenn so eine Gravitationswelle auf die Erde trifft, dann wird unser Planet dadurch also ein klein wenig verformt. Und man kann sich denken, dass das ein sehr winziger Effekt ist, ansonsten hätten wir davon schon etwas mitbekommen, unter anderem, weil die Erde dabei kaputt gegangen wäre. Tatsächlich sorgen selbst extreme Ereignisse wie die Kollision zweier schwarzer Löcher nur für eine Verformung des Raums, die viel kleiner ist als der Durchmesser eines Atomkerns. Das zu messen ist enorm schwierig und man dachte, es wäre unmöglich. Aber wenn man immer so schnell aufgeben würde, würde in der Wissenschaft nichts vorwärts gehen. Das mag sich in den 1950er Jahren auch der amerikanische Physiker Joseph Weber gedacht haben. Der eigentlich einmal "Jonas" hieß; Webers Eltern sind aus Litauen nach Amerika ausgewandert und hießen ursprünglich "Gerber", aber daraus wurde dann "Weber" und aus Jonas irgendwann "Joseph". So oder so: Joseph Weber, 1919 geboren, ging nach seiner Schulzeit auf die Marineakademie, was deutlich billiger für ihn und seine Eltern war als der Besuch einer normalen Universität. Das führte aber auch dazu, dass Weber, nach seinem Abschluss 1940 als Offizier auf einem amerikanischen Flugzeugträger im zweiten Weltkrieg kämpfen musste. Sein Schiff wurde versenkt, aber Weber überlebte und kommandierte später selbst Schiffe. Nach dem Krieg begann er erneut zu studieren, weil er eine Stelle an einer Uni bekommen sollte, ihm dafür aber noch ein Doktortitel fehlte. Er begann zu Mikrowellentechnik zu forschen, war einer der Pioniere die sich mit der Physik von Lasern beschäftigte und war dafür auch für den Nobelpreis nominiert. Bekommen haben diesen Preis aber Kollegen; er selbst wurde bei der Auszeichnung für die Entwicklung des Lasers übergangen.
In den 1950er Jahren begann Weber sich für die Relativitätstheorie zu interessieren. Von 1955 bis 1956 war unter anderem bei John Wheeler zu Besuch, einem der wenigen Forscher, die sich damals intensiv mit der Gravitation im Rahmen von Einsteins Theorie beschäfigt haben. Dort lernte Weber auch die Gravitationswellen kennen und beschloss: Die Dinger müssen nachgewiesen werden! Also begann er in den 1960er Jahren, Detektoren zu bauen, die genau das tun sollten.
Aber wie baut man einen Gravitationswellendetektor? Man kann ja nicht einfach ein Lineal irgendwo hin legen und warten, ob es kürzer wird. Das müsste man ja mit einem anderen Lineal messen, das aber ebenfalls kürzer werden würde, wenn da eine Gravitationswellen durchsaust. Webers Idee sah so aus: Gravitationskraft wirkt auf Massen. Wir brauchen also auf jeden Fall mal ein Stück Masse. In Webers Fall war das zu Beginn ein großer Zylinder aus Aluminium, bis zu einem Meter im Durchmesser und bis zu zwei Meter lang. Dieser Zylinder war frei beweglich aufgehängt. Wenn jetzt eine Gravitationswelle durch die Erde und damit auch den Zylinder läuft; der Zylinder dadurch periodisch gestaucht und gestreckt wird, dann kann er dadurch zum Schwingen angeregt werden, was er auch dann noch tut, wenn die Gravitationswelle wieder weg ist. Wenn man den Zylinder also wackeln sieht, weiß man: Da ist ne Gravitationswelle gewesen.
In der Praxis ist das natürlich alles andere als einfach. Denn selbstverständlich wird der Zylinder durch eine Gravitationswelle nicht anfangen, wild hin und her zu schwingen. Es geht, wie gesagt, um Schwingungen in Bereichen, die kleiner als der Durchmesser eines Atomkerns sind. Das sieht man nicht mit freiem Auge. Aber Weber installierte Piezo-Elemente am Zylinder, also Geräte, die schon auf kleinste Veränderungen reagieren und dabei elektrischen Strom produzieren. Außerdem ging er sowieso nicht davon aus, jede Gravitationswelle messen zu können, sondern nur die, die gerade die richtige Frequenz haben, um die Eigenfrequenz des Zylinders anzuregen. Der Zylinder würde also stärker schwanken und die Messung des winzigen Effekts möglich machen. Trotzdem war es immer noch eine enorme Herausforderung. Allein das thermische Rauschen war groß genug, um den Effekt von Gravitationswellen zu überdecken. "Thermisches Rauschen" heißt in dem Fall, dass die Atome des Zylinders sich allein aufgrund der Temperatur bewegen und diese Bewegung in der gleichen Größenordnung ist oder größer ist, als der Effekt der Gravitationswellen. Weber installierte daher auch nicht nur einen Detektor, sondern mehrere an unterschiedlichen Orten der USA. Wenn der Zylinder nur wegen einer äußeren, lokalen Störung schwingt, dann würden die beiden Detektoren an den unterschiedlichen Orten das auch unterschiedlich tun. Aber wenn beide zur selben Zeit auf die selbe Weise reagieren, dann muss es ein globales Phänomen sein, zum Beispiel eine Gravitationswelle.
Genau so einen Ausschlag sah Weber im Juni 1969 in den Daten seiner beiden 1000 km voneinander entfernten Detektoren. Und er veröffentlichte eine Arbeit mit dem Titel "Hinweis auf die Entdeckung von Gravitationsstrahlung". Die Wissenschaft war aufgeregt und beeindruckt. Aber als dann andere anderswo ihre eigenen Detektoren bauten, konnte niemand Gravitationswellen damit messen. Weber meinte, die anderen Geräte wären nicht gut genug; die anderen meinten, Weber hätte sich geirrt. Es gab jede Menge Diskussion und Streit. Als ein andere Wissenschaftler Weber als Scharlaten bezeichnet hat, soll Weber geantwortet haben "Ich werde ihnen gleich zeigen, wozu ein Offizier der Marine fähig ist, den man Scharlatan nennt".
Weber jedenfalls forschte weiter und veröffentlichte Daten, die zeigten, dass er im Februar 1987 Gravitationswellen messen konnte. Und nicht einfach irgendwann im Februar 1987 sondern genau in dem Moment, als man auch die berühmte Supernova 1987A in der Magellanschen Wolke registriert hat. Die Teleskope der Astronomie sehen also einen explodierenden Stern und Weber misst zum gleichen Zeitpunkt eine Gravitationswelle, also genau das, was ein explodierender Stern verursacht. Aber auch hier war er der einzige, der die Welle gemessen hatte; andere Detektorne waren damals nicht in Betrieb und die Kolleginnen und Kollegen waren skeptisch.
Mittlerweile hatten andere Forscherinnen und Forscher eine andere Idee zum Nachweis der Gravitationswellen gehabt, nicht mit schwingenden Metallzylindern, sondern durch kilometerlange unterirdische Tunnel, in denen Lichtstrahlen hin und her reflektiert werden; in unterschiedliche Richtungen aber genau aufeinander abgestimmt. Sollte eine Gravitationswelle durch die Konstruktion hindurchlaufen, dann würden die Lichtstrahlen in der einen Richtung einen leicht kürzeren oder längeren Weg zurück legen müssen und das würde man dann merken. Auch hier waren die technischen Herausforderungen massiv und es hat Jahrzehnte gedauert, bis diese Gravitationswellenobservatorien einsatzbereit waren. Aber dann ist es damit im Jahr 2015 tatsächlich gelungen, die Existenz von Gravitationswellen einwandrei und ohne Zweifel nachzuweisen. Joseph Weber war zu diesem Zeitpunkt aber schon tot, er starb im September 2000.
Webers Arbeit mit seinen Detektoren war umstritten, aber Weber deswegen kein Außenseiter. Er bekam diverse Preise; man war beeindruckt von seinen kreativen Ideen und seiner enorm exakten Ingenieursarbeit. Vor allem aber hat er dafür gesorgt, dass die Forschung an Gravitationswellen von einem Randthema in der Physik zu einem populären Arbeitsgebiet geworden ist. Und vielleicht war er ja tatsächlich der erste, der sie auch nachweisen konnte. Die Astronomin Virgina Trimble, Webers zweite Ehefrau, wurde 2016 gefragt, ob sie glaube, dass ihr Mann Gravitationswellen gemessen hat. Ihre Antwort: "Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, wenn es zwei Technologien gegeben hätte, die sich im Wettstreit zueinander vorangetrieben hätten – und nicht im Konkurrenzkampf – dann hätte man vielleicht schon früher Gravitationswellen beobachten können.“. Und der Physiker Kip Thorne, einer der drei, der für den Nachweis von Gravitationswellen den Nobelpreis bekommen haben, hat über Weber gesagt: "Joe ist in dieses Gebiet eingestiegen, als sonst niemand auf der Welt daran dachte“. Und so wichtig es auch ist, etwas zu entdecken: Es ist mindestens ebenso wichtig, bei etwas den Anfang zu machen.
Sternengeschichten Folge 589: Das Quark-Gluon-Plasma
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das Quark-Gluon-Plasma. Das klingt ein wenig langweilig und vermutlich klingt es auch sehr unverständlich. Aber es lässt sich verstehen und man sollte es verstehen wollen, denn es ist alles andere als langweilig. Das Quark-Gluon-Plasma ist quasi der Ursprung von Allem. Und deswegen definitiv interessant.
Fangen wir mal damit an, was mit "Ursprung von Allem" gemeint ist. Nicht der Urknall, obwohl der auch eine kleine Rolle spielen wird. Der ist ja tatsächlich der Ursprung von Allem, schon per Definition. Der Urknall ist das Ereignis mit dem unser Universum begonnen hat, aber ganz so weit gehen wir nicht zurück. Wenn ich von "Allem" rede, dann meine ich die Materie. Die muss ja irgendwo her kommen. Ich habe in den Sternengeschichten schon oft darüber gesprochen, wie Planeten entstehen. Oder wie Sterne entstehen. Wie sich die großräumigen Strukturen aus Galaxien im Universum gebildet haben. Aber das meine ich heute nicht. Es geht auch nicht darum, wie die chemischen Elemente entstanden sind, also wie durch Kernfusion im Inneren der Sterne die verschiedenen Arten der Atome entstanden sind, der Sauerstoff, den wir atmen oder der Kohlenstoff aus dem wir bestehen. Es geht nicht einmal um die "primordiale Nukleosynthese", also die Phase, in der sich nach dem Urknall die simpelsten Elemente, nämlich Wasserstoff und Helium, gebildet haben, die die Grundlage für die Entstehung der ganzen anderen Elemente waren.
Wir gehen heute noch einen weiteren Schritt zurück. Jedes Atom besteht aus einem Atomkern und der besteht aus Protonen und Neutronen. Wenn wir also Materie haben wollen, brauchen wir die Dinger, dann brauchen wir Protonen und Neutronen. In dieser Folge werden wir uns anschauen, wie diese Atomkernbausteine entstanden sind und dafür müssen wir uns mit dem Quark-Gluon-Plasma beschäftigen.
Wenn wir verstehen wollen, was ein Quark-Gluon-Plasma ist, müssen wir verstehen, was Quarks sind, was Gluonen sind und was ein Plasma ist. Fangen wir mit dem letzten Begriff an: In der Physik bezeichnet man mit "Plasma" ein Gemisch aus Teilchen, das freie Ladungsträger enthält, in dem also geladenen Teilchen enthalten sind. Das muss nämlich nicht so sein. Wenn ich zum Beispiel einfach ein Gas betrachte, in dem sich Atome frei bewegen können, dann müssen diese Atome nicht elektrisch geladen sein und sind es auch meistens nicht. Aber wenn durch irgendwelche Prozesse zum Beispiel die elektrisch negativ geladenen Elektronen aus der Atomhülle vom elektrisch positiv geladenen Atomkern abgelöst werden und sich Kerne und Elektronen frei bewegen können, dann hat man ein Plasma. Beim Quark-Gluon-Plasma ist das nicht ganz so, aber das klären wir später noch. Schauen wir jetzt auf die ersten beiden Begriffe, auf Quarks und Gluonen.
Bei beiden handelt es sich um Elementarteilchen. Also um Bausteine der Materie von denen wir davon ausgehen, dass sie nicht aus irgendwelchen anderen Teilchen zusammengesetzt sind. Quarks gibt es in sechs verschiedenen Varianten, aber wenn es uns um die normale Materie geht, dann sind eigentlich nur zwei davon relevant, nämlich die Up-Quarks und die Down-Quarks. Wenn man zwei Up-Quarks und ein Down-Quark zusammensteckt, kriegt man ein Proton; bei zwei Down- und einem Up-Quark ist es ein Neutron. Und wie halten die Quarks zusammen? Durch die starke Kernkraft und die Gluonen sind die Teilchen, die diese Kraft vermitteln. Ich lasse jetzt sehr viel Teilchenphysik aus, aber vereinfacht gesagt tauschen die Quarks Gluonen aus und halten dadurch zusammen, so dass sie Protonen und Neutronen bilden.
Jetzt haben wir die Grundlagen geklärt, aber was wir eigentlich wissen wollen ist folgendes: Wann und wie sind im Universum die ersten Protonen und Neutronen entstanden? Dazu müssen wir bis fast zum Urknall zurück. Wir starten 100 Pikosekunden nach dem Beginn des Universums. Das sind 10 hoch minus 10 Sekunden beziehungsweise 0,00 00 00 00 01 Sekunden nach dem Urknall. Das ist wirklich kurz; in dieser Zeitspanne schafft es selbst das Licht nicht, sich weiter als drei Zentimeter fortzubewegen. Was in diesen 100 Pikosekunden seit dem Urknall passiert ist, lassen wir aus. Einerseits, weil die Wissenschaft selbst noch nicht genau weiß, was da alles abgegangen ist. Und andererseits weil das, was wir wissen, enorm kompliziert ist und den Rahmen dieser Folge sprengen würde. Also: Seit dem Urknall sind 100 Pikosekunden vergangen und der sehr junge Kosmos ist klein, extrem dicht und extrem heiß. Außerdem ist er voll mit Elementarteilchen, die gerade erst aus der Energie des Urknalls entstanden sind. Es gibt Quarks und Antiquarks; es gibt Elektronen und Anti-Elektronen und außerdem noch einen ganzen Haufen Neutrinos und Teilchen wie die Gluonen, die Kräfte zwischen ihnen vermitteln. Was es nicht gibt, sind Protonen und Neutronen und deswegen auch noch keine Atome.
Und weil das Universum so dicht war, sind die Quarks einander sehr nahe gekommen und haben sich mit Hilfe der Gluonen zu Protonen und Neutronen verbunden. Klingt plausibel. Aber das ist es nicht, was passiert ist. Denn die starke Kernkraft funktioniert ein wenig anders, als wir das von Kräften gewohnt sind. Wenn zum Beispiel zwei Massen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft anziehen, dann wird diese Kraft umso stärker, je näher sie sich kommen. Wenn wir zwei Magnete immer dichter aneinander schieben, wird die elektromagnetische Kraft zwischen ihnen immer stärker. Die starke Kernkraft, die zwischen den Quarks wirkt, funktioniert so aber nicht. Sie wird um so schwächer, je näher sich die Quarks sind. Das widerspricht unserer Intuition, aber unsere Intuition ist halt die Welt der kleinsten Teilchen nicht gewöhnt. Und alle Messungen und Beobachtungen zeigen uns genau das: Je näher sich zwei Quarks kommen, desto schwächer ist die starke Kernkraft zwischen ihnen.
Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wir haben einen Haufen Bälle, die durch Federn verbunden sind. Wenn die Bälle sich nahe sind, dann sind Federn nicht gespannt und die Bälle spüren keine Kraft dadurch und können sich frei hin und her bewegen. Wenn sie sich aber weit voneinander entfernen, werden die Federn gespannt und jetzt spüren sie eine Kraft von den anderen Bällen. Im jungen Universum jedenfalls waren die Temperaturen so hoch und die Teilchen so dicht aneinander gequetscht, dass sie die starke Kernkraft nicht gespürt haben. Sie sind wild durcheinander geflitzt und weil es nicht nur Teilchen gab, sondern auch Antiteilchen, haben sie sich immer wieder gegenseitig ausgelöscht. Außerdem waren nicht alle Teilchen stabil. Up- und Down-Quarks schon, genau so wie die Elektronen. Aber die anderen Arten der Quarks zum Beispiel nicht, die wandeln sich nach kurzer Zeit in andere Teilchen um, die stabiler sind. Die ganze Sache ist natürlich viel komplizierter als meine Geschichte hier, aber es läuft auf folgendes hinaus: Im Laufe der Zeit wandeln sich die instabilen Teilchen um; löschen sich diverse Teilchen und Antiteilchen aus. Von den Quarks bleiben irgendwann nur die stabilen Up- und Down-Varianten übrig. Und weil bei den Auslöschungs- und Zerfallsprozessen auch Photonen und Neutrinos entstehen, werden auch die im jungen Universum immer mehr und mehr.
Währenddessen dehnt sich das Universum immer weiter aus, es wird kühler und die Teilchen sind weniger dicht aneinander gequetscht. Und übrigens: Wir sind immer noch ganz am Anfang. Es sind jetzt vielleicht ein paar Mikrosekunden seit dem Urknall vergangen, aber es dauert immer noch, bis die erste Sekunde des Universums verstrichen ist. Auf jeden Fall haben die Quarks jetzt mehr Platz. Sie können sich weiter voneinander entfernen, unter Umständen sogar bis zu 10 hoch minus 15 Meter. Diese Distanz, ein Femtometer, ein Billiardstel von einem Meter, ist die Distanz, wo die starke Kernkraft für die Quarks spürbar wird. Oder anders gesagt: Die Quarks sind auf einmal nicht mehr frei! Sie hängen zusammen und je nachdem wie sie das tun, bilden sie Protonen oder Neutronen. Beziehungsweise auch andere Teilchen, die aber nicht stabil sind und nach kurzer Zeit zerfallen.
Ein paar Mikrosekunden nach dem Urknall hat sich dann alles ein wenig beruhigt. Das Universum ist jetzt voll mit gebundenen Quarks, die sich zur Protonen und Neutronen zusammengefunden haben. Außerdem ist es voll mit Energie in Form von Photonen, die bei den Zerfällen davor entstanden sind. Und Neutrinos und Elektronen sind natürlich noch auch noch übrig. Das, was jetzt im jungen Universum vorhanden ist, ist das, aus dem später alles andere entsteht. Diese Materie ist es, aus der sich dann ein paar Minuten später die Atomkerne von Wasserstoff und Helium bilden, die sich ein paar hunderttausend Jahre später mit den Elektronen zu kompletten Atomen verbinden aus denen dann ein paar Millionen Jahre danach die ersten Sterne entstehen. Aber angefangen hat alles in diesen ersten Sekundenbruchteilen, in der das Universum von einer wilden Mischung aus frei beweglichen, ungebundenen Quarks gefüllt war. Diesen Zustand nennt man "Quark-Gluon-Plasma" und aus diesem Zustand heraus sind die ersten Bausteine der Atomkerne entstanden.
Es gibt noch viel, was wir da besser verstehen müssen und viel, was wir noch gar nicht verstehen. Wir können diese ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall nicht direkt erforschen, aber wir können sie - tatsächlich - hier auf der Erde nachstellen. In Teilchenbeschleunigern können wir schwere Atomkerne so heftig aufeinander prallen lassen, dass für extrem kurze Zeit auf einem sehr begrenzten Raum ein Quark-Gluon-Plasma entsteht. Auch hier verbinden sich die freien Quarks natürlich sofort wieder zu anderen Teilchen, zerfallen, und so weiter. Aber für einen Sekundenbruchteil herrschen im Teilchenbeschleuniger in einem unvorstellbar kleinen Raum die selben Bedingungen wie kurz nach dem Urkannl. Und wenn wir die diese Zerfallsprodukte analysieren, die aus diesem künstlichen Quark-Gluonen-Plasma entstehen, verstehen wir vielleicht irgendwann auch besser, wie vor Milliarden Jahren alles angefangen hat.
Sternengeschichten Folge 588: Fomalhaut - der staubige Mund des Fisches
25 Lichtjahre von der Erde entfernt hat der Fisch sein riesiges Maul geöffnet. Denn das ist es, was der arabische Name des Sterns Fomalhaut bedeutet: Das "Maul des Fisches". Und passenderweise befindet sich der Stern auch im Sternbild "Südlicher Fisch". Von Mitteleuropa aus ist es und damit auch der Stern nur im Spätsommer zu sehen, aber Fomalhaut gehört zu den hellsten Sternen am Himmel; er ist der 18. hellste Stern, wenn man genau sein will. Er ist daher schon in den frühesten Sternkatalogen zu finden aber wie beeindruckend dieser Stern wirklich ist, haben wir erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt, als wir ihn mit großen Teleskopen beobachtet haben.
Aber bleiben wir zuerst noch bei den Grundlagen. Fomalhaut ist hell; er leuchtet ungefähr 17 mal so hell wie unsere Sonne. Er ist auch knapp doppelt so groß und schwer wie unser Stern und dementsprechend heißer, mit einer Oberflächentemperatur von über 8000 Grad. Er gehört zum Spektraltyp A, das bedeutet, dass es sich um einen großen, heißen und noch recht jungen Stern handelt; Fomalhaut ist erst gut 400 Millionen Jahre alt und wie es bei so großen Sternen üblich ist, wird er auch nicht allzu lange existieren und nur knapp eine Milliarde Jahre alt werden.
Fomalhaut muss sein vergleichsweise kurzes Sternenleben aber nicht alleine verbringen; er ist Teil eines Dreifachsternsystems - allerdings eines, das ein wenig unüblich ist. Sein erster Partner ist der Stern TW Piscis Austrini, oder auch Fomalhaut B. Es handelt sich um einen kleineren, eher sonnenähnlichen Stern, der aber fast ein ganzes Lichtjahr von Fomalhaut entfernt ist. So große Distanzen sind bei Doppelsternen eher unüblich und der dritte Stern des Systems ist noch weiter entfernt. Fomalhaut C oder auch LP 876-10 ist ein kleiner roter Zwergstern mit einem Abstand von 2,5 Lichtjahren. Trotzdem hängen alle drei zusammen und das sie ein Mehrfachsystem bilden, bei dem die einzelnen Sterne so weit auseinander liegen, ist nicht die einzige Besonderheit. Aber dazu kommen wir später noch, jetzt werfen wir einen genaueren Blick auf Fomalhaut.
Schon 1983 hat man dort einen Infrarot-Exzess entdeckt. Und mit "Exzess" ist keine wilde Party gemeint, sondern ein Überschuss. Oder anders gesagt: Man hat mehr Infrarotstrahlung gesehen, als bei einem Stern wie Fomalhaut eigentlich zu erwarten war. Die Ursache dafür war schnell gefunden: Der Stern ist von einer Scheibe aus Staub umgeben. Dieser Staub wird durch die Strahlung des Sterns aufgeheizt und gibt die Wärme dann wieder ab, in Form von Infrarotstrahlung. Fomalhaut war einer der ersten Sterne, bei denen man so etwas entdeckt hat, aber bis man seine Staubscheibe auch im Detail sehen konnte, hat es noch ein wenig gedauert. Zum Glück haben wir mittlerweile viele Infraroteleskope im Weltall, die die Wärmestrahlung des Staubs detektieren und ein genaues Bild der Scheibe um Fomalhaut machen können. Beziehungsweise: Der Scheiben, denn es gibt mehrere. Der Stern ist von Staubringen umgeben von denen der innerste fast direkt am Stern dran ist. Die Staubteilchen dort sind sehr klein, nur ein paar Dutzend Nanometer groß. Größere Partikel gibt es weiter außen in einem Ring, der - wenn man ihn unser Sonnensystem versetzen würde, so breit wäre wie der Abstand zwischen den Umlaufbahnen von Merkur und Erde. Dann kommt eine Lücke und dann noch eine breite äußere Staubscheibe, die so breit ist wie fast das ganze Sonnensystem bis hin zur Umlaufbahn von Neptun und sich bei einem Abstand von gut 130 Astronomischen Einheiten befindet, also mehr als dreimal so weit, wie der Pluto von der Sonne entfernt ist.
Staub um einen Stern herum ist erstmal nicht außergewöhnlich. Alle Sterne fangen mit Staub an; sie entstehen ja aus großen Wolken voller Gas und Staub und davon bleibt immer ein bisschen was übrig, das sich dann in einer Scheibe um den jungen Stern herum ansammelt. Wir können die ganzen Staubteilchen natürlich nicht direkt sehen. Aber wie ich schon gesagt habe: Sie erwärmen sich durch die Strahlung des Sterns und sie geben die Wärme in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Und die Wellenlänge dieser Strahlung hängt von der Größe der Staubteilchen ab. Deswegen wissen wir auch, dass die Staubteilchen in der äußeren Scheibe circa ein paar Mikrometer groß sind. Und das ist interessant: Denn Staub dieser Art sollte eigentlich rein durch den Druck der Strahlung des Sterns quasi davon gepustet werden. Das geht vergleichsweise schnell und bei einem Alter von 400 Millionen Jahre sollte nichts mehr davon übrig sein.
Jetzt ist da aber noch was und zwar jede Menge und das bedeutet, dass dieser Staub immer wieder nach produziert werden muss. Das kann durch Kollisionen passieren: Wenn sich dort viele Asteroiden und Kometen tummeln, dann können die miteinander zusammenstoßen und dabei Staub produzieren. Aus den Beobachtungsdaten kann man ausrechnen, dass man ungefähr 10 Billionen Kometen mit einer typischen Größe von einem Kilometer braucht, um so viel Staub zu produzieren, wie man bei Fomalhaut beobachtet. Das klingt nach viel - das ist auch viel - aber es ist nicht unverhältnismäßig viel. Auch die Erde ist von einer Wolke aus Kometen umgeben - der Oortschen Wolke über die ich in Folge 321 mehr erzählt habe - und man schätzt, dass sich dort ebenfalls ein paar Billionen Objekte befinden. Wir wissen auch, dass sich die Objekte der Oortschen Wolke ursprünglich in einer Scheibe in den inneren Bereichen des Sonnensystems befunden haben und wir wissen, dass es auch bei uns heute noch Scheiben aus Asteroiden und Kometen gibt, die wir "Asteroidengürtel" nennen. Hinter der Bahn des Neptun ist zum Beispiel der Kuipergürtel und der muss bei der Entstehung des Sonnensystems eine gesamte Masse gehabt haben, die ungefähr dem 30fachen der Erdmasse entspricht. Bei Fomalhaut braucht man eine entsprechende Masse im Ring von 110 Erdmassen, was - wie gesagt - nicht unverhältnismäßig viel mehr ist.
Und wir dürfen nicht vergessen: Fomalhaut ist sehr viel jünger als die Sonne. Unser Stern ist 5 Milliarden Jahre alt; Fomalhaut erst 400 Millionen Jahre. Wir hatten sehr viel mehr Zeit, in der das ganze Zeug, das früher da war, in die Oortsche Wolke oder den interstellaren Raum verabschiedet hat. Fomalhaut sitzt, vereinfacht gesagt, immer noch in einer großen Menge des Staubs rum, aus dem er geboren worden ist. Obwohl, das ist schon fast zu vereinfacht. Wenn das so wäre, dann wäre da ja NUR Staub und das trifft vermutlich sogar auf die inneren Scheiben zu. In der äußeren Scheibe muss sich der Staub aber schon zu größeren Objekten, eben den Kometen und Asteroiden, zusammengeballt haben und die produzieren jetzt neuen Staub durch Kollision.
Aber wenn sich aus dem Staub Asteroiden und Kometen gebildet haben: Haben sich da vielleicht auch schon Planeten gebildet? Weil so ist es ja bei uns weitergegangen: Zuerst war nur Staub, dann Asteroiden und Kometen und daraus sind dann die Planeten entstanden. Und die Lücke zwischen den Staubringen bei Fomalhaut weißt auch darauf hin, dass da vielleicht schon größere Objekte sind, die mit ihrer Gravitationskraft den Staub durcheinander bringen. Tatsächlich hat man 2008 die Entdeckung eines Planeten bei Fomalhaut verkündet. Und nicht nur das, man hat diesen Planeten sogar gesehen. Das Hubble-Weltraumteleskop hat ein Bild gemacht, bei dem der Planet als kleiner Lichtpunkt inmitten der Staubringe von Fomalhaut zu sehen war. Ungefähr so halb so schwer wie Jupiter, und circa 114 mal weiter von seinem Stern entfernt als die Erde von der Sonne. Man hat dem Planeten den Namen "Dagon" gegeben, nach einem mesopotamischen Wetter-Gott, der als Fisch dargestellt wurde. Und wenn es Dagon wirklich geben würde, dann wäre er ein nicht nur enorm spannender Planet, sondern auch der erste Planet gewesen, den man direkt auf diese Art gesehen hätte.
Aber ich verwende nicht umsonst den Konjunktiv. Man hatte schon einige Jahre nach seiner Entdeckung vermutet, dass es vielleicht etwas anders ist; eventuell kein Planet sondern eine dichte Wolke aus Staub und Trümmern, die bei einer Kollision zwischen zwei größeren Asteroiden entstanden ist. Das konnte 2020 bestätigt werden: In den Daten der vergangenen Jahre sah man deutlich, dass der "Planet" immer größer wurde und gleichzeitig immer weniger hell leuchtete. Also genau das, was man erwartet, wenn sich eine Trümmerwolke im Laufe der Zeit immer weiter ausbreitet.
Das heißt nicht, dass es dort keine Planeten gibt. Aber entweder haben wir sie noch nicht entdeckt, oder aber sie müssen erst noch entstehen. Und wenn nicht dort, dann vielleicht bei Fomalhaut C. Denn auch bei dem kleinen, fernen Begleitstern hat man 2013 eine Staubscheibe entdeckt. Und auch dort hat man Hinweise auf die Existenz von Kometen und Asteroiden gefunden. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass das Dreifachsternsystem wegen seiner großen Abstände außergewöhnlich ist; ein Dreifachsternsystem mit zwei Staubscheiben ist allerdings WIRKLICH was besonderes. Was auch immer da im Maul des Fisches passiert, wird die Astronomie noch lange Zeit beschäftigen.
Sternengeschichten Folge 587: Das Brummen der Erde
Die Erde brummt. Das können wir nicht hören, aber sie tut es trotzdem. Und deswegen schauen wir uns heute das Erdbrummen, wie es umgangssprachlich genannt wird beziehungsweise die Eigenschwingungen der Erde, wie man es wissenschaftlich korrekt nennt, etwas genauer an. Über ein ähnliches Phänomen habe ich schon in Folge 164 gesprochen, als es um Asteroseismologie ging. Aber, wie der Name schon sagt, waren es damals schwingende Sterne, von denen ich erzählt habe. Schwingen tut aber auch die Erde und bevor wir uns das genauer anschauen, müssen wir erst einmal klären, was damit gemeint ist.
Stellen wir uns eine Kugel aus Metall vor und einen Hammer, mit dem wir auf diese Kugel schlagen. Was passiert ist klar: Es wird "Klong!" machen. Der Hammer hat die Kugel zum Vibrieren gebracht und dadurch wird auch die Luft in Vibration versetzt und wenn die dann auf unsere Ohren trifft, hören wir ein Geräusch. Oder stellen wir uns einen Wackelpudding vor, auf den wir mit einem Löffel schlagen. Auch dann wird der Pudding, ganz seinem Namen gerecht, hin und her wackeln. Ein Geräusch gibt es dabei nicht, oder besser gesagt: Es gibt kein Geräusch, das wir hören können, denn das Wackeln des Puddings ist zu langsam, als dass es ein für unsere Ohren hörbares Geräusch erzeugt.
Aber es geht ja heute um die Erde. Die ist weder eine Kugel aus Metall und auch nicht aus Pudding. Und es haut auch niemand mit einem riesigen Hammer oder einem großen Löffel auf sie ein. Aber sie schwingt trotzdem. Das merken wir zum Beispiel sehr deutlich, wenn ein Erdbeben stattfindet. Dann breiten sich Erdbebenwellen durch den Planeten aus und das ist ja nichts anderes als eine Schwingung im Gestein der Erde. Aber irgendwann ist so ein Erdbeben vorbei und die Wellen haben sich wieder beruhigt. Die Eigenschwingungen der Erde um die es heute geht, haben mit den Erdbeben allerdings erstmal nicht viel zu tun. Selbst wenn es einmal auf der ganzen Erde keine Erdbeben gibt, keine Vulkanausbrüche, und so weiter, schwingt der Planet trotzdem ein kleines bisschen. Und damit ist wirklich ein kleines bisschen gemeint. Es geht um Bewegungen von ein paar Zehntausendestel Millimeter, die periodisch alle paar Minuten stattfinden. Das Geräusch das dabei entsteht ist erstens enorm schwach und zweitens weit tiefer als das, was unsere Ohren hören könnten.
Aber es gibt diese Bewegung. Es gibt sogar zwei Arten von Bewegungen beziehungsweise zwei grundlegend unterschiedliche Weisen, wie die Erde schwingen kann. Die erste nennt man "sphäroidale Schwingungen" und das klingt kompliziert. Das kann auch sehr kompliziert werden, aber im Grunde ist es ganz einfach. Wenn die Erde zum Beispiel einfach nur pulsiert, ist das eine sphäroidale Schwingung. "Pulsieren" heißt in diesem Fall, dass die Erde größer wird, kleiner wird, größer wird, kleiner wird, und so weiter. Wie gesagt, es geht hier um winzigste Änderungen, aber das Prinzip bleibt gleich. Dieses Pulsieren ist die einfachste Schwingung die die Erde durchführen kann, aber es geht auch komplexer. Sie kann zum Beispiel abwechselnd in unterschiedliche Richtungen schwingen. Stellen wir uns vor, wir würden die Erde zusammendrücken, sie quasi mit den Fingern an Nord- und Südpol fassen und dann ein bisschen quetschen. Dann lassen wir los, packen sie am Äquator und ziehen sie auseinander. Dann wird wieder an den Polen gedrückt, und so weiter. Die ganze Schwingerei kann noch viel komplexer werden, aber das ist das Prinzip der sphäroidalen Schwingung.
Es gibt aber auch noch toroidale Schwingungen. Hier können wir uns vorstellen, dass wir probieren, die Erde aufzuschrauben. Wir drehen also die Nordhalbkugel in die eine Richtung und die Südhalbkugel in die andere Richtung. Wenn wir dann loslassen, dreht sich die verdrillte Erde wieder zurück und hin und her, auf unterschiedlichen Hemisphären in unterschiedliche Richtungen. Wenn man es ganz stark und vermutlich zu stark vereinfachen möchte, dann sind sphäroidale Schwingungen welche, bei denen sich der Erdboden auf und ab bewegt und toroidale Schwingungen welche, bei denen sich der Erdboden horizontal hin und her bewegt.
Dass es so etwas geben kann, ist vorerst keine große Überraschung. Alles schwingt, wenn man es entsprechenden Kräften aussetzt. Bei der Sonne zum Beispiel haben wir diese Schwingungen schon in den 1960er Jahren beobachtet. Aber im Gegensatz zu unserem Stern ist die Erde keine Gaskugel sondern besteht aus fester Materie und hier wirken auch nicht die enormen Kräfte, die das Innere der Sonne beherrschen. Und außerdem gibt es andauernd Erdbeben, Vulkanausbrüche und so weiter, die die winzigen Eigenschwingungen unseres Planeten überlagern. Es ist lange Zeit fast unmöglich erschienen, das Erdbrummen zu messen und es hat tatsächlich bis 1998 gedauert, bis es das erste Mal gelungen ist. Kazunari Nawa und Naoki Suda von der Universität Nagoya in Japan haben das geschafft, aber auch nur, weil sie jahrelang gesammelte seismische Daten sehr genau analysiert und alle Störquellen rausgerechnet haben. Und das, was sie nachweisen konnten, waren nur die sphäroidalen Schwingungen; bis auch die toroidalen Schwingungen entdeckt werden konnten, hat es nochmal fast 10 Jahre gedauert. Dann konnte der deutsche Geophysiker Dieter Kurrle sie am Black Forest Observatory im Schwarzwald nachweisen. Dieses Observatorium befindet sich tief in einem alten Bergwerk; die Messinstrumente sind hinter hunderten Metern von Gestein abgeschirmt. Was auch dringend nötig ist, denn es reichen schon kleinste Störungen, um die Messung zu verhindern. Wenn zum Beispiel sich der Luftdruck ein klein wenig ändert. Oder die Temperatur. Und was passiert, wenn irgendwo ein Auto vorbei fährt, kann man sich vorstellen. Aber im Bergwerk des Schwarzwaldes, hinter luftdicht verschlossenen Schleusentüren ist die Messung gelungen. Aber auch nur, weil die Daten von dort mit denen aus ähnlichen Einrichtungen in China und Japan verglichen werden konnten. Nur wenn man überall auf der Welt konsistente Daten kriegt, kann man sicher sein, dass es sich um ein globales Phänomen handelt und keine lokale Störung.
Man darf sich das Erdbrummen übrigens nicht so vorstellen wie eine Glocke, die angeschlagen wird. Wie ich vorhin schon gesagt habe, gibt es ja nicht nur eine Schwingung, sondern jede Menge. Die überlagern sich alle, aber eben nicht so wie bei einem Musikinstrument, wo es einen Grundton gibt und diverse Obertöne, die alle harmonisch zusammenklingen. Beim Erdbrummen sind alle möglichen Frequenzen wild durcheinander gemischt und wenn man unbedingt eine musikalische Analogie finden will, dann eher die eines Orchesters, wo vor dem Konzert erstmal sämtliche Instrumente gestimmt werden und ohne Plan durcheinander klingen.
So, jetzt wissen wir, was das Erdbrummen ist. Aber was ist die Ursache? Warum tut die Erde das? Warum schwingt sie einfach so vor sich hin, auch ganz ohne Erdbeben oder andere große Ereignisse? Das ist eine gute Frage und eine, die schwer zu beantworten ist. Bei den sphäroidalen Schwingungen ist es noch vergleichsweise einfach. Da geht es ja um die Auf-und-Ab-Schwingung und man muss - sehr vereinfacht gesagt - nur auf die Erde drücken, damit das passiert. Und solche Druckkräfte gibt es: Zum Beispiel in der Atmosphäre, wenn sich der Luftdruck verändert. Oder in den Meeren, wenn der Wind Wellen erzeugt, die dann unter Umständen bis tief hinunter auf den Meeresboden drücken. Dass das eine Ursache sein kann, wird auch durch die Beobachtung gestärkt, dass sich das Erdbrummen im Rhythmus der Jahreszeiten verändert. Und im Winter gibt es ja tatsächlich sehr viel mehr und heftigere Stürme, mit entsprechend mehr Wellen. Die Ursache der toroidalen Schwingungen ist dagegen nicht so leicht zu erklären. Hier geht es ja um horizontale Bewegung, nicht um ein Auf und Ab sondern ein Hin und Her. Und dementsprechend braucht es auch eine Kraft, die "schiebt" und nicht "drückt". Beziehungsweise eine "Scherkraft", wie es in der Wissenschaft heißt. Dazu gibt es ein paar Hypothesen, zum Beispiel Berge auf dem Meeresboden, die den Druck der Wellen von oben in eine Scherkraft umlenken. Oder großräumige, lang dauernde Tief- und Hochdruckwirbel, die an der Erde schrauben. Aber all diese Effekte sind viel zu schwach, um das Ausmaß der toroidalen Schwingungen zu erklären.
Am Ende wird es vermutlich eine kompliziertere Erklärung sein. Irgendwie werden die sphäroidalen und toroidalen Schwingungen auf sehr komplexe Weise zusammenwirken, im Wechselspiel mit all dem anderen, das dauernd auf der Erde los ist. Aber wenn wir das mal verstanden haben, dann werden wir auch genau dieses komplexe Wechselspiel der Vorgänge besser verstehen, das unseren Planeten zu dem macht, was er ist. Und werden dann auch besser verstehen können, wie andere Planeten funktionieren. Oder es läuft umgekehrt: Denn was auf der Erde passiert sollte anderswo auch stattfinden. Zum Beispiel auf dem Mars: Der hat zwar keine Ozeane, aber zumindest ein bisschen Atmosphäre. Und vielleicht führt auch die dazu, dass der Planet schwingt; vielleicht gibt es ein "Marsbrummen". Es gab auch schon Pläne, entsprechende Messinstrumente zu unserem Nachbarplaneten zu schicken, aber daraus ist bis jetzt noch nichts geworden. Aber vielleicht finden wir auch das noch mal raus und wenn wir einen zweiten Planeten brummen hören, hilft uns das eventuell dabei, das Brummen unseres eigenen Planeten zu erklären.
Sternengeschichten Folge 586: Das Lokale Loch
Wir leben in einem Loch. Gut, das ist missverständlich. Wir leben natürlich auf der Erde und nicht in einem Loch. Aber wenn man sich das Universum auf einem ganz großen Maßstab ansieht, dann leben wir einem Loch. Und um zu verstehen, was das genau bedeutet, muss man natürlich ein bisschen mehr erklären.
Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von der großräumigen Struktur des Universums erzählt. Und "groß" meint hier wirklich groß. Es geht nicht um Galaxien, nichtmal um Galaxienhaufen. Es geht um galaktische Superhaufen, also Ansammlungen von Galaxienhaufen, die selbst wieder aus zehn- bis hunderttausenden Galaxien bestehen können. Diese Haufen, aus Haufen bilden noch größere Strukturen und zwischen den Strukturen ist nichts. Wenn man das gesamte Universum von außen betrachten würde, sich eine Region aussucht, die ein paar Milliarden Lichtjahre im Durchmesser hat und dann die Menge an Materie in dieser Region bestimmt, würde man einen gewissen Wert kriegen. Wenn ich mir eine andere Region mit ein paar Milliarden Lichtjahren Durchmesser nehme und die gleichen Messungen dort mache, werde ich fast den selben Wert kriegen.
Das bedeutet, dass unser Universum homogen ist: Es gibt keine Ecke, wo sich die ganze Materie drängt und eine andere, wo alles komplett leer ist. Aber das gilt eben nur für die ganze großen Skalen. Wenn man den Fokus ein wenig enger fasst, dann findet man sehr wohl Bereiche im Universum wo mehr Materie ist und Bereiche mit weniger. Und wir leben in einer der Gegenden, wo weniger ist als anderswo.
Wir wissen schon länger, dass es Filamente und Voids gibt, also die größten Strukturen aus Galaxien-Superhaufen und die gigantischen Leerräume dazwischen; ich habe in Folge 63 mal darüber gesprochen. Aber wenn man deren Verteilung sehr genau misst, dann sieht man, dass es Bereiche gibt, in denen unterdurchschnittlich viel Materie ist. Und als Ryan Keenan von der Uni Taiwan, Amy Barger und Lenox Cowie von der Uni Hawaii im Jahr 2013 so eine Untersuchung angestellt haben, haben sie herausgefunden, dass die lokale Galaxienverteilung ein wenig dünn ist. Oder besser gesagt: Sie haben festgestellt, dass wir uns mitten in einer großen Leere befinden.
Gut, "Leere" mag übertrieben klingen. Immerhin ist die Milchstraße Teil dieser Leere und die ist ja nicht nichts. Und nicht nur die Milchstraße: Die gesamte Lokale Gruppe sitzt in dieser Leere, also die Galaxiengruppe, zu der neben der Milchstraße und der Andromedagalaxie auch noch über 100 andere Galaxien gehören. Außerdem ist auch der Laniakea-Superhaufen mit dabei in der Leere, der immerhin aus gut 100.000 Galaxien besteht; inklusive des Virgo-Superhaufens der die Lokale Gruppe mit der Milchstraße enthält.
Man kann also nicht sagen, dass in dieser Leere nichts ist. Unser ganzes lokales Universum ist in dieser Leere, aber wenn man unser lokales Universum mit dem vergleicht, was anderswo zu finden ist, dann gibt es bei uns weniger. Die Milchstraße sitzt fast in der Mitte dieser unterdurchschnittlich bestückten Region die einen Durchmesser von circa einer Milliarde Lichtjahren hat. Und die übrigens wahlweise als "Local Hole", als das "Lokale Loch" bezeichnet wird oder als KBC-Void, oder KBC-Leere, nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen von Keenan, Barger und Cowie.
Ok, jetzt kann man sich fragen, was das bedeuten soll. Dann gibt es halt im Universum Bereiche mit mehr Zeug und Bereiche mit weniger Zeug. Und wir sind halt zufällig gerade da, wo weniger ist. Es mag fürs Selbstbewusstsein der menschlichen Spezies vielleicht ein Rückschlag sein, dass wir in nem kosmischen Loch wohnen und nicht da, wo die Post abgeht. Aber wenn es so, ist dann ist es halt so. Und das mag alles so sein - aber die Tatsache, dass wir im lokalen Loch leben, hat durchaus Konsequenzen. Keine natürlich, die unseren Alltag betreffen. Da ist das wirklich komplett egal. Wenn unser Alltag aber daraus bestehen sollte, das Universum zu verstehen, ist die Sache mit dem Lokalen Loch wirklich wichtig.
Wir wissen, dass das Universum expandiert. Darüber habe ich ja schon oft genug geredet. Wir können auch messen, wie schnell es das tut. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit langsamer expandiert hat als in der Gegenwart; dieses Phänomen nennen wir die "Dunkle Energie". Aber darum soll es heute nicht gehen. Wir wollen nur wissen, wie schnell das Universum jetzt expandiert und mit "jetzt" ist alles plus minus ein paar hundert Millionen Jahre gemeint. Diese Expansionsrate wird mit dem "Hubble-Parameter" beschrieben und man kann ihn auf unterschiedliche Weise messen. Man kann direkt die Geschwindigkeit und die Entfernung von fernen Galaxien beobachten und daraus die Expansionsrate berechnen. Man kann aber auch indirekt die Entwicklung des Universums beobachten und aus seinem früheren Zustand berechnen, wie es in der Gegenwart aussehen muss. Der erste Fall ist ziemlich klar; beim zweiten Fall brauchen wir zusätzlich zu den Beobachtungsdaten noch ein gutes theoretisches Modell davon, wie das Universum sich verhält. Sowas haben wir, das nennt sich das Lambda-CDM-Modell, landläufig als "Urknalltheorie" bekannt und ich habe in Folge 578 ausführlich davon erzählt. Wir können dann Beobachtungsdaten aus dem frühen Universum nehmen, zum Beispiel von der kosmischen Hintergrundstrahlung und mit dem Urknallmodell daraus berechnen, wie schnell das Universum heute expandieren sollte. Wenn unsere Beobachtungsdaten gut und die Theorie richtig ist, dann sollten wir in beiden Fällen zum selben Ergebnisse kommen. Tun wir auch, aber nur fast. Die Ergebnisse unterscheiden sich nur leicht, aber doch stark genug, dass sie durch Beobachtungsfehler alleine nicht zu erklären sind; der Unterschied wird sogar größer, je besser unsere Beobachtungsdaten sind.
Daraus kann man natürlich folgern: Ok, dann ist was mit der Urknalltheorie nicht so wie es sein soll! Und das ist ein vernünftiger Ansatz; wir wissen, dass es da noch einiges an Problemen zu lösen gibt. Wir wissen aber auch, dass das Lambda-CDM-Modell in sehr vielen anderen Fällen unsere Beobachtungen sehr gut beschreibt; man sollte und kann es also nicht ohne Not komplett aus dem Fenster werfen. Aber vielleicht hilft uns das lokale Loch!
Schauen wir uns mal eine Region des Universums an, in der überdurchschnittlich viele Galaxien sind. Die ziehen sich natürlich alle gegenseitig an und diese Anziehungskraft wirkt der Expansion des Universums entgegen. In einer Region mit überdurchschnittlich viel Materie sollte die Expansionsrate also geringer erscheinen, weil sie durch die Anziehungskraft der vielen Galaxien gebremst wird. Zumindest im Vergleich zu der Rate, die ich messe, wenn ich mir das Universum auf sehr viel größeren Skalen anschaue. Und wenn man in einer Gegend mit unterdurchschnittlich viel Materie lebe, ist es genau umgekehrt. Da sind weniger Galaxien, sie ziehen sich nicht so stark an und wir würden eine Expansionsrate messen, die größer erscheint als die, die ich messen würde, wenn ich das Universum auf größeren Skalen betrachte. Und genau das ist es, was wir sehen. Mit der Beobachtung der Galaxien in unserer Umgebung messen wir die Expansionsrate eben in unserer Umgebung. Wenn wir die Daten aus der kosmischen Hintergrundstrahlung benutzen, also Daten die aus der Frühzeit des Universums stammen, dann nehmen wir Daten, die das Universum auf einem sehr viel größeren Maßstab beschreiben. Und mit diesen Daten kriegen wir einen kleineren Wert für die Expansionsrate als mit den lokalen Daten.
Man hat das auch nachgerechnet: Wenn wir berücksichtigen, dass wir in einem lokalen Loch leben, dann könnte sich das Problem mit dem Unterschied beim Hubble-Parameter in Luft auflösen. Beziehungsweise könnte es im lokalen Loch verschwinden. Wir kriegen nur deswegen unterschiedliche Werte, weil wir halt gerade in einem Loch leben und die Messergebnisse von dort nicht repräsentativ für das ganze Universum sind. Ob das wirklich schon die letztgültige Antwort ist, muss sich zeigen. Aber wenn es so ist, dann sollten wir uns auch nicht mehr darüber ärgern, dass wir nur unterm Durchschnitt sind.
Sternengeschichten Folge 585: Das Sternbild Drache
Es wird wieder mal Zeit, dass wir uns eines der Sternbilder ansehen. Und der Drache ist ein ganz besonderes Sternbild. Ok - jedes Sternbild ist besonders, denn wie ich ja schon oft erklärt habe, sind die modernen Sternbilder ja einfach nur abgegrenzte Bereiche am Himmel. 88 Stück davon gibt es und es gibt keine Stelle am Himmel, wo man nicht irgendwas besonders finden könnte. Aber der Drache ist nicht nur ein altes Sternbild mit jeder Menge spannender Mythologie sondern auch ein Sternbild, in dem man aus so gut wie jedem Bereich der Astronomie etwas findet.
Aber fangen wir mal damit an, wo der Drache ist. Man findet ihn im Norden; er windet sich quasi um den kleinen Bären herum, zu dem ja auch Polaris gehört, der Polarstern, der den Himmelsnordpol markiert. In Mitteleuropa kann man den Drachen deswegen auch das ganze Jahr über in jeder Nacht sehen und weil er vergleichsweise viele helle Sterne enthält, ist er auch leicht zu erkennen. Sucht euch einfach den Polarstern und schaut nach einer langen Kette aus Sternen, die sich in seiner Nähe über den Himmel windet. Das ist der Drache und dieses Sternbild war schon in der Antike bekannt. Es war eines der 48 Sternbilder, die Ptolemäus vor knapp 2000 Jahren in seinen astronomischen Werken aufgelistet hat, aber die Menschen haben dort auch schon früher alle möglichen Monster gesehen. In der Schöpfungsgeschichte der Babylonier hat man sich dort oben Tiamat vorgestellt; die Göttin des Salzwassers die als eine Art Seeschlange mit Hörnern dargestellt wird. Sie kämpft gegen Marduk, die Hauptgottheit der Babylonier, der Tiamat besiegt, ihren Körper zerteilt und aus den beiden Hälften Himmel und Erde erschafft. In der griechischen Mythologie gibt es auch jede Menge drachenähnliche Monster, zum Beispiel Ladon, der gleich 100 Köpfe hat und die goldenen Äpfel der Hesperiden bewacht, die Untersterblichkeit verleihen. Hat er auch immer super geschafft, bis Herkules gekommen ist und ihn umgebracht hat. In den Mythen der arabischen Nomaden hat man hier allerdings ein Kamel gesehen, dass sein Junges beschützt, das gerade von zwei Hyaenen angegriffen wird.
Aber schauen wir uns jetzt lieber an, was es im Drachen zu sehen gibt. Wenn wir das Anfang Oktober tun und wir eine gute, dunkle Nacht erwischen, werden wir vielleicht mit jeder Menge Draconiden belohnt. So nennt sich ein Meteorstrom, also ein "Sternschnuppenschauer", der jedes Jahr um den 9. Oktober herum sichtbar ist. Dann bewegt sich die Erde durch den Staub, den der Komet 21P/Giacobini-Zinner im All hinterlassen hat und wir können sehen, wie jede Menge Sternschnuppen über den Himmel sausen. Wenn wir Glück haben, jedenfalls. Üblicherweise sind die Draconiden eher schwach, mit höchstens einer Handvoll an Sternschnuppen pro Stunde. Aber alle paar Jahrzehnte kann es richtig viel werden, wenn nämlich der Komet gerade vorher vorbei gekommen ist und frischen Staub hinterlassen hat. Das war zum Beispiel 1985, 1998 und 2011 der Fall, da konnte man ein paar hundert Sternschnuppen pro Stunde sehen. Wegen der Richtung, in die sich die Erde Anfang Oktober bewegt, scheinen die Sternschnuppen alle aus Richtung des Sternbilds Drache zu kommen und daher haben sie auch ihren Namen.
Der hellste Stern eines Sternbilds wird üblicherweise mit dem griechischen Buchstaben Alpha bezeichnet, gefolgt von der lateinischen Bezeichnung des Sternbilds. Alpha Draconis ist aber nur der achthellste Stern im Drachen - aber trotzdem einer der wichtigsten. Auf jeden Fall war er das für die Menschen die vor knapp 5000 Jahren gelebt haben. Da war Alpha Draconis nämlich der Polarstern. Oder besser gesagt: Der Polarstern war damals natürlich auch schon der Polarstern, aber er war nicht dort, wo sich der Himmelsnordpol befindet. Da befand sich zu der Zeit eben Alpha Draconis. Die Achse, um die die Erde sich dreht und die in Richtung Himmelsnordpol zeigt, beschreibt im Verlauf von gut 26.000 Jahren einen kleinen Kreis am Himmel. Heute zeigt sie ungefähr dorthin, wo sich Polaris befindet. Damals war sie aber auf Alpha Draconis ausgerichtet. Und um das Jahr 20.000 herum wird sie das wieder tun.
Der tatsächlich hellste Stern im Drachen ist Gamma Draconis beziehungsweise "Etamin" wie er auch genannt wird. Das bedeutet "Schlange" und Etamin ist nicht nur hell, sondern hat in der Geschichte der Astronomie auch eine wichtige Rolle gespielt. Ich habe davon schon in Folge 83 erzählt: Mit dem 16. Jahrhundert setzte sich langsam die Idee durch, dass die Erde sich um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt. Wenn das so ist, dann müsste sich aber auch die Position der Sterne scheinbar verändern, weil wir sie im Laufe eines Jahres von unterschiedlichen Positionen im Sonnensystem aus beobachten. Sie müssten sich in Bezug auf die noch weiter entfernt liegenden Sternen leicht verschieben. Diesen Effekt, die "Parallaxe" sollte man messen können und die Leute haben versucht, es zu messen. Einer der ersten war 1725 der britische Astronom James Bradley, und er hat sich Gamma Draconis ausgesucht - unter anderem deswegen, weil er jede Nacht am Himmel zu sehen und darum gut wiederholt zu beobachten war. Und Bradley hat tatsächlich eine scheinbare Veränderung der Position gemessen, aber nicht die, die zu erwarten war. Bradley hatte die Aberration entdeckt. Die funktioniert, kurz gesagt, so: Die Erde bewegt sich durchs All. Licht der Sterne bewegt sich zur Erde. Das Licht ist aber nicht unendlich schnell. Stellen wir uns vor, das Licht eines Sterns fällt exakt senkrecht in die obere Öffnung eines Teleskops. Es braucht dann zwar nicht lange, um das untere Ende zu erreichen, aber es ist nicht unendlich schnell. In der kurzen Zeit bis es unten angekommen ist, bewegt sich die Erde ein kleines Stückchen weiter und verschiebt dadurch auch das Teleskop ein kleines Stückchen. Wenn das Sternenlicht dann auf unser Auge trifft - oder ein Messgerät, je nachdem - sieht es so aus, als sei das Licht eben nicht senkrecht aufgetroffen, sondern ein winziges bisschen aus der Senkrechten abgelenkt. Wie stark diese scheinbare Positionsänderung ist, hängt davon ab, in welche Richtung sich die Erde gerade bewegt; auf den Stern zu, von ihm weg oder irgendwas dazwischen. Das ändert sich im Laufe eines Jahres und so beschreibt der Stern ebenfalls im Laufe eines Jahres einen scheinbaren Kreis am Himmel.
Das war zwar nicht die Parallaxe, die Bradley messen wollte - aber seine Messungen der Aberration konnten erstmals zweifelsfrei nachweisen, dass die Erde sich tatsächlich bewegt und nicht still im Zentrum des Universums steht.
Was gibt es noch im Drachen? Den Stern Arrakis, der eigentlich Al-Rakis heißt oder wissenschaftlich My Draconis. Und ich erwähne den Stern eigentlich nur deswegen, weil der Science-Fiction-Autor Frank Herbert diesen Namen für den Planeten ausgewählt hat, auf dem sein Buch "Dune - der Wüstenplanet" spielt. Obwohl Arrakis dort den Stern Alpha Carinae umkreist, aber wir wollen jetzt nicht in die Details von Dune eintauchen.
Echte extrasolare Planeten hat der Drache natürlich auch. Zum Beispiel die beiden, die den Stern Kepler-10 umkreisen. Das ist ein sonnenähnlicher Stern in 600 Lichtjahren Entfernung mit mindestens zwei bekannten Planeten. Der eine ist eineinhalb mal so groß wie die Erde und der andere mehr als doppelt so groß. Beide haben aber sehr viel mehr Masse: Der eine die 3fache und der andere die 7fache Masse unseres Planeten. Es gibt noch 18 andere bekannte Sterne im Drachen, die Planeten haben - aber auch am anderen Ende der Größenskala ist dort einiges zu finden.
1786 hat der Astronom William Herschel dort den Katzenaugennebel entdeckt oder NGC 6543, wie er offiziell heißt. Es handelt sich um einen über 3000 Lichtjahre entfernten planetaren Nebel. Also das, was entsteht, wenn ein sehr großer und heißer Stern am Ende seines Lebens das Gas aus dem er besteht, Schicht für Schicht ins All hinaus bläst. Beim Katzenaugennebel hat das ein Stern, der ungefähr 10.000 mal heller und knapp 20 mal heißer als unsere Sonne ist, mit Sinn für Ästhetik getan. Der Katzenaugennebel ist einer der komplexesten Nebel die wir kennen und sieht, wenig überraschend, wie ein Katzenauge aus.
Es geht aber auch noch größer und weiter weg. Schauen wir auf die Draco-Zwerggalaxie. Die ist, wenig überraschend, eine kleine Galaxie. Sie besteht aus circa drei Millionen Sterne - viel weniger als die gut 100 Milliarden in der Milchstraße. Aber die Draco-Zwerggalaxie ist eine unserer Nachbarn, sie ist Teil der Lokalen Gruppe, also der Gruppe an Galaxien, zu der auch die Milchstraße gehört. Sie ist nur 280.000 Lichtjahre entfernt und deswegen vergleichsweise gut zu untersuchen. Und die Daten zeigen unter anderem, dass sich die Sterne dort viel zu schnell bewegen. Eigentlich sollte sich die Galaxie schon längst aufgelöst haben; die Gravitationskraft der paar Millionen Sterne reicht nicht, um sie zusammenzuhalten. Es muss dort also dunkle Materie geben, die Gravitationskraft ausübt und die wir nicht sehen können. Und es muss dort überdurchschnittlich viel dunkle Materie geben, viel mehr als in den anderen Galaxien.
Die Kaulquappen-Galaxie würde nicht in den Raum zwischen uns und der Draco-Zwerggalaxie passen. Muss sie aber auch nicht, sie ist gut 420 Millionen Lichtjahre entfernt, im Sternbild Drache natürlich und sieht aus wie eine normale Spiralgalaxie, wenn sie nicht einen Schweif aus Sternen hinter sich herziehen würde, der fast 300.000 Lichtjahre lang ist. In der Vergangenheit ist sie einer anderen Galaxien zu nahe gekommen und die zwischen ihnen wirkenden Gezeitenkräfte habe jede Menge Sterne aus ihnen herausgerissen, so dass diese seltsame Form entstanden ist.
Und wenn wir noch weiter hinaus schauen, finden wir im Drachen auch noch Abell 2218. So heißt ein Galaxienhaufen, dessen Licht mehr als 2 Milliarden Jahre bis zu uns braucht. Dort befinden sich ungefähr 10.000 Galaxien und diese gewaltige Masse krümmt den Raum enorm und lenkt so das Licht der Galaxien ab, das aus noch weiterer Entfernung zu uns kommt. Oder anders gesagt: Abell 2218 wirkt wie eine Gravitationslinse, die das Licht von fernen Objekten quasi verstärken kann, so das es für uns sichtbar wird, obwohl wir es eigentlich gar nicht mehr sehen sollten. 2004 hat man durch die Gravitationslinsenwirkung von Abell 2218 zum Beispiel eine Galaxie identifizieren können, deren Licht fast 13 Milliarden Jahre bis zu uns unterwegs war. Das bedeutet: Wir sehen etwas, das existiert hat, als das Universum gerade mal 750 Millionen Jahre alt war!
Es gäbe noch viel mehr über den Drachen zu erzählen. Von den interplanetaren Staubkörnern der Draconiden, über die Sterne in unserer Nähe und ihre Planeten, über nahe Galaxien und fernste Galaxienhaufen. Der Drache bietet alles, was man sich in der Astronomie wünschen kann.
Sternengeschichten Folge 584: B2FH und die Entstehung der Atome
"Die Sterne, die Sterne bilden unsre Sinnesart" und "Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, Durch eigne Schuld". Mit diesen beiden Zitaten von William Shakespeare beginnt ein wissenschaftlicher Fachartikel, der im Oktober 1957 veröffentlicht worden ist. Er trägt den Titel "Synthesis of the Elements in Stars", also auf deutsch: "Entstehung der Elemente in Sternen" und wurde von Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Fowler und Fred Hoyle verfasst. Aus den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen setzt sich auch der Spitzname dieses Artikels zusammen: B2FH. Und die Tatsache, dass ein wissenschaftlicher Fachartikel einen Spitznamen bekommen hat zeigt schon, dass es sich um eine ganz besondere Arbeit handeln muss. Es geht um nichts weniger als den Ursprung der Atome, der damals 1957 endlich verstanden wurde.
Wir müssen aber ein wenig früher beginnen. Vor 1957 und eigentlich noch viel, viel weiter in der Vergangenheit. Heute wissen wir, dass das Universum vor circa 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat. Damals ist in einem sehr kurzen Zeitraum sehr viel Energie freigeworden und daraus haben sich die ersten Bausteine der Materie gebildet. Protonen, Neutronen und Elektronen, also die Teilchen, aus denen die Atome bestehen. Damals aber noch nicht bestanden haben, und das ist der Punkt. Wir sehen heute eine Welt, die voll mit unterschiedlichsten Atomen ist. Mit Wasserstoff und Helium, aus dem die Sterne bestehen. Aber auch mit Kohlenstoff, der die Grundlage für das Leben bildet oder mit Sauerstoff, den dieses Leben atmet, zumindest hier auf der Erde. Wir sehen Silizium, wir sehen Eisen, wir sehen Gold, und so weiter. All diese chemischen Elemente unterscheiden sich durch die Anzahl der Protonen und Neutronen in ihrem Atomkern und die der Elektronen in ihrer Atomhülle. Aber wie sind sie entstanden? Wie haben sich die ganzen Protonen, Neutronen und Elektronen zu den verschiedenen Elementen zusammengefunden? Und vor allem: Wann und wo haben sie das getan?
Als man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angefangen hat, sich genau darüber Gedanken zu machen, wusste man noch nicht viel über die Entstehung und Entwicklung des Universums. Man hatte gerade erst entdeckt, dass das Universum expandiert, aber mehr Details kannte man nicht. Viele Menschen sind wegen dieser Expansion davon ausgegangen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss. Wenn es in der Vergangenheit kleiner war als heute und noch weiter in der Vergangenheit noch kleiner: Dann muss es zwangsläufig irgendwann mal mehr oder weniger ein Punkt gewesen sein. Aber es gab keine wirklich guten Belege für diese Behauptung. Und durchaus auch Alternative, wie zum Beispiel das Steady-State-Universum, von dem ich in Folge 491 ausführlich erzählt habe. Diese Hypothese besagt, kurz zusammengefasst, dass das Universum zwar expandiert - diesen Beobachtungsbefund konnte man nicht ignoriere - aber trotzdem ändert sich nichts. Soll heißen: Die Galaxien streben auseinander, aber im Raum dazwischen entsteht ständig spontan neue Materie, aus der dann neue Galaxien entstehen, die wieder auseinander streben, und in den neuen Zwischenräumen entsteht wieder neue Materie, und so weiter: Am Ende kriegt man ein expandieres Universum, das zu jedem Zeitpunkt quasi gleich aussieht; unendlich groß und ohne Anfang und Ende.
Wie gesagt: Damals war das plausibel beziehungsweise genau so viel oder wenig plausibel wie die konkurrierende Urknalltheorie. Was hat das aber jetzt alles mit den Elementen zu tun? Die Frage nach der Entstehung des Universums ist deswegen wichtig, weil sie Einfluss auf die Art und Weise hat, wie die Elemente entstehen können. Der Physiker George Gamow zum Beispiel hat maßgeblich dazu beigetragen, die Theorie eines Urknalls zu entwickeln. Und schon in den 1930er Jahren darüber nachgedacht, wie dabei die chemischen Elemente entstehen können. Wenn, so seine Idee, damals die Protonen, Neutronen und Elektronen entstanden sind und auch alles noch extrem heiß und extrem dicht beieinander war, dann können die Atomkernbausteine ja miteinander verschmelzen und die diversen Atome bilden. Um den Wasserstoff muss man sich sowieso keine Gedanken machen, der besteht ja sowieso nur aus einem Proton im Kern, der ist quasi schon von Anfang an fertig. Wenn zwei Protonen (und zwei Neutronen) miteinander fusionieren, dann kriegt man ein Helium-Atom; wenn die Helium-Atome fusionieren, dann kriegt man noch schwerere Elemente, und so weiter. Die extremen Bedingungen nach dem Urknall haben dafür gesorgt, dass die ganzen Atome durch Fusion entstanden sind. Klingt gut, ist aber problematisch. Vor allem, weil die Sache schwierig wird, wenn man bei Helium angelangt ist.
Helium hat zwei Protonen im Atomkern und zwei Neutronen. Also insgesamt vier Kernbauteilchen, sogenannte Nukleonen. Wenn da jetzt noch ein Nukleon dazu kommt, dann gibts ein Problem. Es gibt keine stabilen Atomkerne mit fünf Nukleonen. So ein Ding zerfällt sofort wieder. Gut, könnte man sagen. Dann schmeißen wir einfach zwei Helium-Atome zusammen, dann haben wir ein Atom mit acht Nukleonen. Kann man machen, aber dann kriegt man wieder ein instabiles Atom. Wir müssen aber irgendwie zu Kohlenstoff kommen, ein Atom mit sechs Protonen und sechs Neutronen, also zwölf Nukleonen. Diese Lücke zu überspringen; das "Fünf-Nukleonental" zu überwinden und bei Kohlenstoff zu landen: Da hatte niemand so recht eine Idee, wie das gehen könnte.
Beziehungsweise stimmt das nicht ganz: Man kann natürlich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass zwei Helium-Atome fusionieren und dann ein Beryllium-8-Atom bilden. Das ist zwar das instabile Ding, das ich vorhin erwähnt habe, aber vielleicht knallt ja gerade in der extrem kurzen Zeit, in der es noch existiert, ein drittes Helium-Atom dazu und wir kriegen stabilen Kohlenstoff? Sowas nennt sich ein "Drei-Alpha-Prozess" und rein theoretisch kann es passieren. Rein praktisch braucht es dafür aber eine ausreichend große Menge an Helium-Atome und natürlich auch ausreichend hohe Temperaturen. Heiß genug war es nach dem Urknall, aber es wäre nicht genug Helium da gewesen.
Und jetzt kommt Fred Hoyle. Das ist einer der vier, die den B2FH-Artikel geschrieben haben, um den es ja heute eigentlich gehen sollte. Und Hoyle war es auch, der in den 1940er Jahren mit zwei Kollegen die Theorie des Steady-State-Universums entwickelt hat und deswegen war er kein großer Fan des Urknalls. Hoyle fand die Sache so bescheuert, dass er in einer Radiosendung die Idee eines Universums mit einem Anfang mit dem Begriff "Big Bang" lächerlich machen wollte. Was nicht so ganz funktioniert hat, denn das wurde später zum offiziellen Begriff um diesen Urknall zu beschreiben. Aber weil Hoyle den Urknall abgelehnt hat, war er natürlich auch davon überzeugt, dass die chemischen Elemente NICHT zu Beginn des Universums entstanden sein konnten. Wie denn auch, wenn es seiner Meinung nach keinen Beginn gegeben hat. Es muss also anderswo passiert sein, und da kommen eigentlich nur die Sterne in Frage. In ihrem Inneren ist es auch sehr heiß, das Material dort ist auch sehr dicht und besteht auch vor allem aus Wasserstoff und Helium. Da können die Atome auch fusionieren und neue chemische Elemente produzieren. Aber können sie das wirklich? Um das zu berechnen, muss man den Wirkungsquerschnitt der Atome kennen; also - vereinfacht gesagt - wissen, wie leicht sie mit anderen Atomen verschmelzen. Solche Messungen waren damals noch vergleichsweise neu, aber bei einem Besuch in den USA fand Hoyle entsprechende Werte bei einem Kollegen und nutze sie, um eine erste Arbeit zu schreiben, die zeigen sollte, wie die Atome im Inneren von Sternen entstehen. Darin war aber noch sehr viel nicht erklärt, unter anderem die Sache mit der unüberwindbaren Lücke bei fünf Nukleonen.
Zurück an seiner Heimatuni in Cambridge, in England, setzte Hoyle einen Doktoranden auf das Problem an, der aber die Uni verließ, bevor er damit fertig war. Ein paar Jahre später, 1952, war es dann der amerikanische Astrophysiker Edwin Salpeter, der zeigen konnte, dass der Drei-Alpha-Prozess im Inneren von bestimmten Sternen durchaus funktionieren kann. Aber auch diese Arbeit war in Details noch nicht ausgearbeitet und Hoyle dachte sich, dass er diese Sache jetzt endlich vernünftig zu Ende bringen sollte. Bei einem weitere Besuch in den USA, am Caltech in Kalifornien, überzeugte er den Kernphysiker William Fowler davon, in seinem Labor ein paar Messungen anzustellen. Ich lasse die Details jetzt aus, aber es ging um folgendes: Wenn ein Kohlenstoff-Atom einen ganz bestimmten angeregten Zustand haben kann, also eine ganz bestimmte Menge Energie aufnehmen kann, dann kann das mit dem Drei-Alpha-Prozess in Sternen doch noch vernünftig funktionieren. Hoyle überzeugte Fowler, nach diesem Zustand zu suchen und die Suche war erfolgreich. Jetzt war auch Fowler mit an Bord und wollte mit Hoyle gemeinsam den Rest der Atomentstehung klären. Er reiste nach Cambridge, um dort mit Hoyle zu arbeiten. Der hatte aber keine Zeit, weil er an der Uni so viele Vorlesungen halten musste. Zum Glück waren damals aber auch Margaret und Geoffrey Burbidge dort und mit denen machte sich Fowler an die Arbeit.
Ein Jahr später trafen sich alle vier bei Fowler am Caltech und begannen, die Sache gemeinsam zu bearbeiten. Aber die Burbidges mussten wieder zurück und mussten sich vor allem neue Stellen suchen, weil ihr Vertrag in Cambridge auslief. Fowler wollte sie unbedingt dauerhaft ans Caltech holen. Er hatte Einfluss dort und wollte für Geoffrey, der Theoretiker war, eine Stelle in seinem Institut besorgen und für Margaret, die beobachtenden Astronomin war, eine Position an der nahen Mount Wilson Sternwarte. Der Direktor dort meinte aber, er könne leider keine Frau anstellen, weil es keine passenden Toiletten für sie geben würde. "Dann geh ich halt in die Büsche", soll Margaret darauf gesagt haben, aber Fowler hat eine bessere Idee gehabt. Er hat Margaret eine Stelle am Caltech besorgt und für Geoffrey eine am Mount Wilson. Da konnte er zwar als Theoretiker nichts anfangen, aber er brachte einfach jedesmal Margaret mit, die dort dann ihre Arbeit am Teleskop erledigte, während er in einem der Büros seine theoretische Arbeit gemacht hat. Ob irgendwer die Büsche benutzen musste, weiß man nicht…
Auf jeden Fall waren jetzt Fowler und die Burbidges in Kalifornien und Hoyle immer wieder zu Besuch. Jetzt konnten sie ihre Arbeit weiter treiben und den später berühmten Artikel schreiben. Dafür nutzten sie ihre eigene Forschung und trugen alle möglichen andere Arbeiten anderer Leute organisiert zusammen. Am Ende hatten sie einen gut 100 Seiten langen Artikel, der genau erklärte, wo die ganzen Elemente herkommen. Leichtere Atome, wie Kohlenstoff oder Sauerstoff werden in den großen Sternen fusioniert; bei schwereren geht das nicht mehr, aber auch da machten die vier Vorschläge für entsprechende Prozesse. Zum Beispiel Supernova-Explosionen und so weiter; darüber habe ich ja schon in anderen Folgen der Sternengeschichten gesprochen.
Im B2FH-Artikel war nicht jedes letzte Detail der Entstehung der Elemente geklärt, aber das erste Mal gab es einen plausiblen Überblick darüber, wo und wie die ganzen unterschiedlichen Atome entstanden sind. Belegt durch Beobachtungsdaten, unterstützt durch theoretische Berechnungen: Es war ein revolutionäres Stück Astronomie. Die Nukleare Astrophysik, also die Wissenschaft der kernphysikalischen Vorgänge bei astronomischen Phänomen, konnte sich dadurch als ernsthafte Disziplin etablieren und niemand zweifelte mehr daran, dass es die Sterne sind, in denen die chemischen Elemente produziert werden.
Es war Arbeit, die eines Nobelpreises würdig war und der wurde 1983 auch verliehen. Allerdings, etwas überraschend und unverständlicherweise, nur an William Fowler. Warum Margaret und Geoffrey Burbidge ausgelassen wurden, weiß man nicht. Bei Fred Hoyle sagen die Gerüchte, dass er vom Nobelpreis-Kommittee ignoriert wurde, weil er neben seiner genialen Forschung auch so viel an unorthodoxen Theorien arbeitete (und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt); er hielt auch dann noch an seinem Steady-State-Universum fest, als schon längst klar war, dass es den Beobachtungen widerspricht; er dachte, dass Krankheiten durch Bakterien aus dem Weltall verursacht werden, und so weiter. So oder so: Alle vier von B2FH hätten den Preis verdient und alle vier haben auch immer wieder gesagt, dass alle gleichermaßen dazu beigetragen haben.
William Fowler starb 1995, Fred Hoyle im Jahr 2001, Geoffrey Burbidge im Jahr 2010 und Margaret Burbidge 2020, im Alter von 100 Jahren. Über all ihre Karrieren könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen. Aber das mache ich dann in anderen Folgen der Sternengeschichten.
Sternengeschichten Folge 583: Begraben im Weltall
Heute reden wir bei den Sternengeschichten über den Tod. Nicht über den Tod von Sternen, oder den Tod von Galaxien oder den Tod des Universums. Sondern tatsächlich über den Tod von uns Menschen. Das ist kein erfreuliches Thema, aber wir sind alle lebendig und wir müssen alle sterben. Daran lässt sich nichts ändern. Und wenn man gestorben ist, wird man normalerweise auf die eine oder andere Art bestattet. In Europa findet das ebenso normalerweise auf einem Friedhof statt. Aber es gibt auch die Möglichkeit, sich im Weltraum bestatten zu lassen und davon möchte ich heute erzählen.
Für eine Weltraumbestattung muss man nicht im Weltraum sterben. Es sind ja leider schon Menschen im All verstorben. Zum Beispiel die Crew der Sojus 11, am 30. Juni 1971, achdem die Kapsel von der sowjetischen Raumstation Saljut 1 abgedockt hat, um zurück zur Erde zu fliegen. Dabei kam es aber zu einer ungeplanten Öffnung eines Ventils und die Luft entwich aus der Kapsel. Die drei Kosmonauten, Georgi Timofejewitsch Dobrowolski, Wiktor Iwanowitsch Pazajew und Wladislaw Nikolajewitsch Wolkow konnten nach der Landung nur noch tot geborgen werden. Auch die Besatzungen der Space Shuttles Challenger und Columbia starben 1986 beziehungsweise 2003, als die Raumschiffe nach dem Start beziehungsweise bei der Columbia beim Wiedereintritt explodierten. Man kann darüber diskutieren, ob diese Menschen tatsächlich IM All gestorben sind oder in der Atmosphäre der Erde. Direkt im All, also zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation ist bis jetzt tatsächlich noch niemand zu Tode gekommen. So oder so sind all die tragischen Todesfälle so abgelaufen, dass die Körper der Verstorbenen oder zumindest Überreste davon auf der Erde geborgen und bestattet werden konnten.
Bei der Weltraumbestattung geht es um etwas anderes. Es geht darum, dass die sterblichen Überreste von Verstorbenen von der Erde ins Weltall transportiert werden. Die Idee, so etwas zu tun, ist nicht neu, aber auch noch nicht so wahnsinnig alt. Einer der ersten, der sich darüber Gedanken gemacht hat, war vermutlich der amerikanische Science-Fiction-Autor Neil R.Jones. 1931 veröffentlichte er eine Kurzgeschichte mit dem Titel "The Jameson-Satellit" die auf deutsch auch unter dem Titel "Das Zeitmausoleum" erschienen ist. Es geht darin um einen Professor Jameson, der seinen Körper nach seinem Tod unbedingt auf ewig erhalten möchte. Mummifizierung wie bei den alten Ägyptern ist ihm zu wenig, deswegen hat er dafür gesorgt, dass sein Körper in einem Raumschiff in eine Umlaufbahn geschossen wird, um dort auf ewig die Erde umkreist. Oder zumindest so lange, wie die Erde existiert. Natürlich bleibt das nicht so, es ist ja eine Science-Fiction-Geschichte, und deswegen kommen nach 40 Millionen Jahren ein paar Aliens vorbei und erwecken Professor Jameson wieder zum Leben, was für ihn der Start für jede Menge Abenteuer im Weltall ist.
Aber sieht man mal davon ab, dass auch ein Körper in einem Erdsatellit vermutlich keine 40 Millionen Jahre überstehen würde - immerhin sind Umlaufbahnen in der Nähe der Erde nicht beliebig lange stabil, um nur ein Problem zu nennen - sieht man davon ab, dann würde man bei einer echten Weltraumbestattung auch ganz anders vorgehen. Es ist teuer, etwas ins All zu bringen. Egal ob die Nutzlast aus wissenschaftlichen Instrumenten besteht oder aus Leichen: Jedes Kilogramm das man von der Erde ins All bringt, kostet viel Geld. Deswegen wird bei einer Weltraumbestattung auch nur die Asche einer verstorbenen Person transportiert und auch nur ein Teil davon. Eingeschlossen in einer kleinen Kapsel reist die Asche ins All und wird dann entweder dort ausgesetzt und bleibt dort, bis sie irgendwann in der Erdatmosphäre verglüht. Oder es handelt sich um einen Suborbitalflug, wo die Raketen quasi in einem hohen Bogen nur kurz die Grenze zum Weltraum überschreitet und dann wieder, mitsamt der Asche, auf der Erde landet. Sowas wird dann auch meistens als "Memorial flight" und nicht als "Bestattung" bezeichnet.
So oder so: Das erste, was man vielleicht eine Weltraumbestattung nennen könnte, fand am 22. Oktober 1992 statt. Da hob das Space Shuttle Columbia im Rahmen der STS-52-Mission ab. Das eigentliche Ziel war es, den Satelliten LAGEOS-2 auszusetzen, der die Geologie der Erde erforschen sollte und materialwissenschaftliche Forschung an Bord des Shuttles durchzuführen. Mit an Bord des Shuttles war aber auch ein wenig der Asche des im Jahr zuvor verstorbenen Autors und Produzent Gene Roddenberry, der ja unter anderem die Fernsehserie "Star Trek" geschaffen hat. Diese Asche landete aber auch wieder mit dem Shuttle auf der Erde.
Die erste echte Weltraumbestattung wurde am 21. April 1997 durchgeführt und zwar von der Firma "Celestis", die sich auf genau so etwas spezialisiert hat. Damals waren 24 winzige Urnen mit jeweils ein paar Gramm Asche an der oberen Stufe einer Pegasus-Rakete angebracht. Diese Raketen werden von einem Flugzeug in die obere Atmosphäre gebracht und von dort gestartet. Der Flug im April 1997 startete von den kanarischen Inseln und sollte den spanischen Satelliten Minisat 01 ins All bringen, was auch geklappt hat. Ebenso wie der Transport der Asche der 24 verstorbenen Menschen ins All. Sie blieben, mit der Oberstufe der Rakete, dort auf einer Umlaufbahn, bis sie im Jahr 2002 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglüht sind. Eine der Kapseln enthielt die Asche von Gene Roddenberry, der so noch zu einer echten Weltraumbestattung gekommen ist. Ebenfalls an Bord des ersten Begräbnisfluges war unter anderem die Asche von Gerard K. O'Neill, ein amerikanischer Raumfahrtpionier, der unter anderem viel am Bau von Raumstationen geforscht hat, die Asche des Raketentechnikers Krafft Ehricke und die Asche von Timothy Leary, dem Psycholgen, der unter anderem deswegen bekannt wurde, weil er sich für den medizinischen Einsatz von Drogen wie LSD ausgesprochen hat.
Seit damals gab es jede Menge solcher Begräbnisflüge, bei denen hunderte Mini-Urnen ins All gebracht worden sind. Unter anderem war da auch die Asche des Schauspielers James Doohan dabei, der als "Scotty" in der Serie Star Trek bekannt wurde und 2007 von der Firma Celestis nach oben gebeamt wurde, wenn man so will.
Einen ganz besonderen Begräbnisflug unternahm die Asche von Eugene Shoemaker. Der Geologe und Astronom war maßgeblich daran beteiligt, dass wir in der Mitte des letzten Jahrhunderts herausgefunden haben, das Asteroiden auch heute noch auf der Erde einschlagen; hat die Geologie des Monds erforscht und die Astronauten der Apollo-Missionen auf ihre Arbeit dort vorbereitet und wäre eigentlich auch selbst ein heißer Kandidat für einen Mondflug gewesen, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht aus der Ausbildung ausscheiden hätte müssen. Nach seinem Tod im Jahr 1997 wurde ein Teil seiner Asche an Bord der NASA-Sonde Lunar Prospector zuerst in eine Mondumlaufbahn gebracht. Nachdem die Sonde dort ihre Arbeit bei der Vermessung des Mondes und des Nachweises von Wasser im Mondgestein erledigt hatte, hat man die Mission am 31. Juli 1999 mit einem gezielten Einschlag von Lunar Prospector in der Nähe des Südpols des Mondes beendet. Eugene Shoemaker war damit also der erste, der tatsächlich - zumindest zum Teil - auf einem anderen Himmelskörper bestattet wurde.
Ein weiterer besonderer Fall ist Clyde Tombaugh. Der amerikanische Astronom, der 1930 den Pluto entdeckt hatte, starb 1997. Neun Jahre später, im Januar 2006 machte sich die Raumsonde New Horizons auf den Weg, um den Zwergplaneten das erste Mal aus der Nähe zu untersuchen. Mit an Bord war ein kleines bisschen der Asche von Tombaugh. Der Vorbeiflug an Pluto fand 2015 statt, im Jahr 2019 flog die Sonde am Asteroiden Arrokoth vorbei und sie ist immer noch unterwegs. Ob sie im fernen äußeren Sonnensystem noch Studienobjekte finden wird, wird sich zeigen, ebenso, wie lange der Kontakt mit ihr noch aufrecht erhalten werden kann. Auf jeden Fall ist New Horizons schnell genug, um der Anziehungskraft der Sonne zu entkommen. Sie wird das Sonnensystem verlassen und durch den interstellaren Raum fliegen - mitsamt der Asche von Clyde Tombaugh.
Das klingt alles ein klein wenig romantisch, sofern man so etwas romantisch finden kann. Aber natürlich ist diese Art der Bestattung auch nicht ohne Kritik. Es ist, wie gesagt, teuer, wenn man Raketen ins All schicken will. Raumfahrt ist auch nicht sonderlich umwelt- oder klimafreundlich. Noch gibt es keine speziell für Begräbnisse gestartete Raketen, aber die Firma Elysium hat beispielsweise schon ein paar Begräbnisatelliten ins All geschickt. Angesichts des ganzen Weltraummülls der da schon rumfliegt, ist das vielleicht keine so gute Idee. Aus religiösen oder ethischen Gründen konnte man sich fragen, ob man die Asche eines verstorbenen Menschen einfach so aufteilen kann oder soll; einen Teil davon auf der Erde lassen und den Rest ins All schießen. Und dann gibt es ja auch Kulturen, wie zum Beispiel manche der amerikanischen Ureinwohner, für die der Mond selbst heilig ist. Und ungefragt den heiligen Ort anderer Menschen als Friedhof zu benutzen, ist auch nichts, was man ohne Not tun sollte.
Noch ist das Thema der Weltraumbestattung eines, das kaum weitreichende Konsequenzen hat. Aber wenn wir in einer fernen Zukunft irgendwann auch einmal tatsächlich im All leben, dann werden wir uns darüber ernsthaft Gedanken machen müssen. Denn das Sterben gehört zum Leben eben einfach dazu.
Sternengeschichten Folge 582: Der kalte Fleck im Universum
In dieser Folge wird es kalt! Es geht um den kalten Fleck im Universum. Oder besser gesagt: Einen ganz besonderen kalten Fleck im Universum. Sieht man mal von solchen Ausnahmen wie Sternen oder Planeten ab, ist das Universum eigentlich überall enorm kalt. Aber es gibt einen Fleck, der kälter ist, als er sein sollte und den schauen wir uns heute ein wenig genauer an.
Bis wir aber so weit sind, ihn uns genauer ansehen zu können, müssen wir aber ein wenig Kosmologie hinter uns bringen. Wir müssen tatsächlich fast beim Urknall beginnen, uns mit dunkler Materie und dunkler Energie beschäftigen und sowohl den kleinsten als auch den größten Strukturen im Universum. Also fangen wir besser gleich damit an.
Der kalte Fleck befindet sich im Sternbild Eridanus. Von Europa aus ist das nicht zu sehen; da muss man schon bis nach Nordafrika oder den nahen Osten reisen oder noch weiter nach Süden. Aber das spielt auch keine Rolle, denn vom kalten Fleck ist mit freiem Auge sowieso nichts zu sehen. Auch nicht mit einem Teleskop, zumindest nicht mit einem normalen Teleskop. Man braucht ein Weltraumteleskop und ein sehr spezielles noch dazu. Der kalte Fleck zeigt sich nur den in den Bildern, die wir von der kosmischen Hintergrundstrahlung gemacht haben. Die war das Thema in Folge 316, deswegen fasse ich das nur kurz zusammen. Im frühen Universum - und wir werden uns dieses frühe Universum später noch genauer ansehen, war alles noch sehr heiß und sehr dicht aneinander gedrängt. Es war so heiß, dass es noch keine Materie im heutigen Sinn gab, es gab nicht einmal fertige Atome. Es gab nur Atomkerne und freie Elektronen, die normalerweise die Hülle von Atomen bilden. Damals aber noch nicht bilden konnten, weil es so heiß war. Alles hat sich dadurch so schnell bewegt, dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden konnten. Und weil das Universum so voll mit freien Elektronen war, konnte sich auch das Licht nicht ungehindert ausbreiten. Es ist von den Elektronen abgelenkt worden, hin und her gesaust und kam nicht vorwärts. Der junge Kosmos war also eine undurchsichtige Suppe aus Materie und Energie. Erst circa 380.000 Jahre nach dem Urknall war alles so weit abgekühlt, dass die Elektronen sich an die Atome binden konnten. Jetzt war der Weg frei für das Licht. Die Lichtteilchen sind von allen Orten des Universums in alle Richtungen davon gesaust. Gleichzeitig hat das Universum sich aber natürlich weiter ausgedehnt. Das erste Licht ist aber zum Teil immer noch unterwegs. Die Lichtteilchen, die damals dort waren, wo wir heute sind, sind natürlich schon längst weg. Aber dafür kommt Licht von anderen Orten des Universums zu uns. Weil dieses Licht eben damals überall war, kommt es auch heute noch aus jeder Richtung am Himmel auf die Erde. Was nicht heißt, dass die Erde ein besonderer Ort ist; würden wir irgendwo anders im Universum sein, wäre es genau so.
Fassen wir mal kurz zusammen: 380.000 Jahre nach dem Urknall hat sich das Universum so weit abgekühlt, dass das Licht sich darin ausbreiten konnte. Ein Teil dieses ersten Lichts ist immer noch unterwegs und bildet deswegen eine "Hintergrundstrahlung", die von jedem Punkt des Himmels aus in Richtung Erde strahlt. In der Zeit seit damals hat sich das Universum aber auch ausgedehnt und dabei hat dieses Licht immer mehr Energie verloren. Damals war es kurzwellig, heiß, hell und voller Energie. Heute ist die Hintergrundstrahlung kalt geworden, ihre Temperatur liegt bei circa 2,7 Kelvin; also bei -270 Grad Celsius. Das entspricht Strahlung im Mikrowellenbereich und man braucht ein entsprechendes Teleskop, dass so etwas messen kann.
Erstmal nachgewiesen hat man die kosmische Hintergrundstrahlung in den 1960er Jahren, damals noch mit Radioteleskopen von der Erde aus. Für unsere Geschichte ist aber ein anderer Aspekt sehr wichtig: Die Hintergrundstrahlung muss zwar überall gleich sein, aber nicht ganz gleich. Es muss winzige Variationen geben. Das im Detail zu erklären, würde eine Folge benötigen, die circa 10 mal so lang ist, aber ich probiere, es kurz zu halten.
Unser Universum ist voller Strukturen. Es gibt Gegenden, die sind voller Galaxien. Und Gegenden, die komplett leer sind. Auf ganz großen Skalen betrachtet, sieht es zwar mehr oder weniger überall gleich aus. Aber die Materie ist eben nicht komplett gleichmäßig verteilt. Das muss einen Grund haben, den wir gehen eigentlich davon aus, dass die Materie nach dem Urknall tatsächlich gleichmäßig verteilt war. Es gab keine Ecke des Kosmos, wo der Urknall einen großen Haufen Zeug hin entstehen hat lassen und eine andere, die er übersehen hat. So ist das nicht gelaufen. Wie es gelaufen ist, stellen wir uns circa so vor: Das gerade entstandene Universum war voller Energie, die dafür gesorgt hat, dass der Raum sich ausdehnt, und zwar absurd schnell. Das ist die Phase der kosmischen Inflation, über die ich in Folge 573 schon gesprochen habe. Nach dieser Phase, in der sich das Universum in unvorstellbar kurzer Zeit unvorstellbar weit ausgedehnt hat, hat die Inflation geendet und dabei ist die Energie, die die Inflation angetrieben hat, in Materie umgewandelt worden. Wir haben jetzt also ein Universum, immer noch winzig, aber unvorstellbar und vor allem komplett gleichmäßig dicht gefüllt mit heißer Materie.
Wie gesagt, das war eine sehr, sehr vereinfachte Version der Geschichte. Und wenn das schon alles wäre, dann müsste das Universum heute ganz anders aussehen. Wenn die Materie komplett gleichmäßig verteilt gewesen wäre, dann würde es keinen Grund geben, warum sich daran etwas ändern sollte. Die Gravitationskraft wäre an jedem Punkt des Universums genau gleich stark. Weil überall gleich viel Materie ist, würde jeder Punkt des Universums genau so viel Gravitationskraft ausüben wie jeder andere Punkt. Es gäbe ein Gleichgewicht und nichts ändert sich. Das Universum würde expandieren und abkühlen, aber es gäbe keinen Grund, warum die Materie sich zusammenballen und so etwas wie Sterne oder Galaxien bilden sollte. Die haben sich aber gebildet. Und das liegt an der Quantenmechanik. Der Prozess, bei dem das Universum sich durch die Inflation ausgedehnt hat und bei dem die Materie entstanden ist, ist ein quantenmechanischer Prozess und - wieder ohne in die Details zu gehen - bei der Quantenmechanik gibt es immer winzige Flukuationen. Diese mikroskopischen Quantenvariationen sind durch die Inflation dann quasi aufgeblasen worden und die Materie im jungen Universum war eben nicht exakt gleich verteilt. Es gab Bereiche mit mehr und Bereiche mit weniger Materie; der Unterschied war gerade groß genug, dass die Strukturen entstehen konnten, die wir heute sehen.
Wenn die Materie damals aber nicht komplett gleich verteilt war, dann muss auch die Temperatur der Hintergrundstrahlung leicht unterschiedlich sein. Das liegt an etwas, das man den Sachs-Wolfe-Effekt nennt, und den müssen wir uns jetzt auch noch anschauen. Nach der Quantenmechanik kriegen wir es jetzt mit der Relativitätstheorie zu tun. Wieder in der extremen Kurzversion: Wir wissen, dass Masse den Raum krümmt und das hat Einfluss auf Licht, dass sich durch den gekrümmten Raum bewegt. Es gibt eine gravitative Rotverschiebung: Vereinfacht gesagt: Licht, dass sich durch einen stark gekrümmten Raum bewegen muss, verliert dabei ein wenig Energie und erscheint röter. Und weil das erste Licht, weil die kosmische Hintergrundstrahlung sich eben durch die nicht ganz gleichmäßig verteilte Materie bewegen musste, hat es dabei auch mal mehr und mal weniger Energie durch die gravitative Rotverschiebung verloren und damit auch eine leicht unterschiedliche Temperatur. Die Unterschiede sind winzig, es geht hier um Variationen von 1/30.000 Grad. Aber sie müssen da sein und wir haben sie gemessen. Das erste Mal 1992 mit dem COBE-Satelliten und dann immer genauer mit den Weltraumteleskopen WMAP und Planck. Wir wissen - wieder aus diversen quantenmechanischen Gründen - dass die Variationen der Temperatur in der kosmischen Hintergrundstrahlung nicht beliebig ausfallen können. Sie müssen bestimmten mathematischen und statistischen Mustern folgen und nach allem was wir bis jetzt gemessen haben, tun sie das auch.
Nur in einer Region des Himmels, im Sternbild Eridanus, da ist das nicht der Fall. Genau das ist der Kalte Fleck, der 2004 in den Daten des WMAP-Satelliten entdeckt und später durch die Beobachtungen des Planck-Weltraumteleskops bestätigt worden ist. Die Hintergrundstrahlung die aus dieser Richtung kommt, ist kälter als sie sein sollte und sie ist es auf eine Art, die nicht zu den quantenmechanischen Fluktuationen passt, die man erwarten würde.
Seit damals hat man durch mehr oder weniger spektakuläre Erklärungen probiert, die Existenz des kalten Flecks zu erklären. Zu den spektakulären Erklärungen gehört die Hypothese, dass der kalte Fleck quasi der Abdruck eines anderen Universums ist, das mit unserem verbunden war, bevor die beiden durch die rapide Expansion bei der kosmischen Inflation getrennt worden sind. Etwas weniger spektakulär, aber deutlich realistischer ist eine andere Erklärung. Dafür müssen wir nochmal zurück zum Sachs-Wolfe-Effekt. Wir düfen ja nie vergessen, dass das Universum sich ausdehnt. Stellen wir uns ein Lichtteilchen der Hintergrundstrahlung vor, dass sich durch das Universum bewegt. Was passiert, wenn es sich durch eine Gegend bewegt, in der besonders viel Materie ist. Oder besonders wenig. Besonders viel Materie findet man in den Galaxienhaufen, beziehungsweise den Superhaufen, den Strukturen, die aus Galaxienhaufen bestehen. Das Gegenteil davon sind die Voids, also die gigantischen Leerräume, die zwischen den Superhaufen liegen. Wenn sich unser Photon jetzt also in so einen Galaxienhaufen hineinbewegt, dann gewinnt es zuerst Energie. Und wenn es sich wieder rausbewegt, dann verliert es Energie - genau das habe ich vorhin erklärt, als ich den Sachs-Wolfe-Effekt erklärt habe. Aber so ein Galaxienhaufen ist groß! Selbst Licht braucht lange, um diese Region zu durchqueren. In dieser Zeit hat sich das Universum weiter ausgedehnt und auch der Galaxienhaufen ist durch die Expansion des Kosmos ein bisschen weniger dicht geworden. Oder anders gesagt: Als das Lichtteilchen in den Haufen hineingeflogen ist, war der Raum noch stärker gekrümmt als später, als es wieder rausgeflogen ist. Das Lichtteilchen hat also beim Rausfliegen weniger Energie verloren als es beim Reinfliegen gewonnen hat. Das nennt sich "integrierter Sachs-Wolfe-Effekt" und der ganze Prozess verläuft umgekehrt, wenn das Lichtteilchen aus einer normalen Region des Universums in eine Void hinein und wieder hinausfliegt. Dann kriegt es beim Rausfliegen weniger Energie zurück als es vorher verloren hat. Es ist also kälter geworden, als es sein sollte und genau das ist vermutlich die Ursache für den kalten Fleck. Irgendwo in der Richtung, in der der kalte Fleck am Himmel zu sehen ist, muss eine enorm große Void sein, also ein enorm großer Bereich des Universums, in dem sich so gut wie nichts befindet. Wir kennen jede Menge solcher Voids im Universum, aber die, die für den kalten Fleck verantwortlich sein könnte, haben wir erst 2015 gefunden. Sie trägt, ebenfalls nach dem Sternbild, den Namen "Eridanus Supervoid". Sie ist wirklich super; irgendwas zwischen einer halben Milliarde und einer Milliarde Lichtjahre groß! Das ist wirklich viel nichts; das Licht das diese Void durchquert hat, braucht dann auch noch gut 2 Milliarden Jahre, bis es bei uns angekommen ist. Und auch wenn es nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, sieht doch alles danach aus, als sei dieses große Nichts im fernen Universum der Grund dafür, dass am Himmel ein zu kalter Fleck zu sehen ist.
Hallo liebe Hörerinnen und Hörer der Sternengeschichten!
Ich habe mich ja erst vor ein paar Wochen, im Dezember außertourlich an euch gewendet. Und mache das jetzt schon wieder. Keine Sorge, das wird jetzt nicht dauernd passieren, aber es gibt wieder ein paar aktuelle Sachen die ich euch sagen möchte und ich möchte die regulären Folgen der Sternengeschichten dafür nicht nutzen; da sollen wirklich nur die Sternengeschichten drin zu hören sein.
Also! Im Dezember habe ich ja angekündigt, dass es in diesem Jahr die Premiere der Sternengeschichten als Live-Show auf der Bühne geben wird. Am 28. März 2024 in der Schwarzkaue Herten. Ich freu mich schon sehr darauf und ihr offensichtlich auch. Denn die Show war nach kurzer Zeit komplett ausverkauft. Deswegen hab ich mir gedacht, ich hänge noch einen Termin an! Und darum gibt es nun einen Tag später, am 29. März 2024 einen Zusatztermin. Wieder in der Schwarzkaue und dafür gibt es noch Karten. Wir werden einfach ein zweites Mal Premiere feiern! Warum auch nicht, ich freu mich wirklich schon sehr darauf und ein Tag zum Feiern ist viel zu wenig!
Ich hoffe, wir sehen uns in Herten. Den Link zum Ticketkauf findet ihr unter schwarzkaue.de bzw. direkt in den Shownotes zu dieser kurzen Folge. Und es könnte auch sein, dass noch ein paar Karten für die Live Show zur Folge 100 von "Das Universum" zu kriegen sind. Da werde ich mit meiner Kollegin Ruth auf der Bühne stehen und die 100. Folge unseres Podcasts "Das Universum" feiern. Das wird auch sehr cool!
So oder so: Bis bald in Herten. Und wenn alles gut läuft, gibt es die Sternengeschichten irgendwann vielleicht auch an anderen Orten zu sehen.
Tickets Zusatztermin Sternengeschichten: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse-2/
Tickets "Das Universum": https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/das-universum-wird-100-jubilaeums-gala-2
Sternengeschichten Folge 581: Nicole-Reine Lepaute und der Halleysche Komet
Nicole-Reine Lepaute war die "einzige Frau in Frankreich, die ein wirkliches Verständnis für die Astronomie hat". Das schrieb der französische Astronom Jérôme Lalande im Jahr 1803 und Lalande war nicht einfach irgendwer. Er war einer der bedeutendsten Astronomen des 18. Jahrhunderts und sein Name ist einer der 72, die auf dem Eiffelturm angebracht sind, um die Personen wegen ihrer wissenschaftlichen und technischen Leistungen zu ehren. Die heutige Folge soll aber von Nicole-Reine Lepaute handeln und nicht von Jérôme Lalande - obwohl man die Geschichte der einen nicht ohne die des anderen erzählen kann.
Lepaute wurde am 5. Januar 1723 in Paris geboren, als Nicole-Reine Étable de la Brièr. Ihr Vater war Kammerdiener von Louise Élisabeth d’Orléans, einer Angehörigen des französischen Königshauses. Schon als Kind war klar, dass Nicole-Reine sehr intelligent war; sie las alle Bücher, die ihr unter die Finger kamen und schon als Kind war sie sehr an der Astronomie interessiert. Mit Mitte 20 heiratete sie Jean André Lepaute, der damals der königliche Uhrmacher war. Das war damals ein Beruf, für den man nicht nur handwerkliche sondern auch wissenschaftliche und mathematische Fähigkeiten brauchte und das Ehepaar Lepaute widmete sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich. Nicole-Reine konstruierte gemeinsam mit Jean André auch eine spezielle astronomische Uhr, die 1753 bei der französischen Akademie der Wissenschaften präsentiert wurde. Dort wurde sie von Jérôme Lalande inspiziert, der damals schon ein bekannter Astronom war. Lalande war 1752 Direktor der Berliner Sternwarte geworden und 1753 Mitglied in der französischen Akademie der Wissenschaft. Sein Kontakt mit Nicole-Reine Lepaute war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit.
Eines der gemeinsamen Projekte war das 1755 erschienene Buch "Traite d'horlogerie", eine Abhandlung über die Uhrmacherei. Veröffentlicht wurde es aber nur unter dem Namen von Jean André Lepaute, obwohl Nicole-Reine einen wichtigen mathematischen Teil beigesteuert hat. Will man zum Beispiel eine Pendeluhr bauen, dann funktioniert das nur, wenn man genau weiß, wie lange ein Pendel für eine Schwingung braucht. Genau das hat sie ausgerechnet, für Pendel die nur ein paar Zentimeter lang sind bis hin zu einem Pendel das für eine Schwingung eine Stunde benötigt und dafür circa 12.000 Kilometer lang sein. Dass der wissenschaftliche Beitrag von Frauen nicht offiziell gekennzeichnet wird, war damals leider üblich - aber zumindest Lalande hatte keinerlei Probleme damit, weswegen er auch offiziell darauf hin wies, dass diese Berechnungen von Nicole-Reine Lepaute stammten. Und weil er von ihren Fähigkeiten überzeugt war, arbeitete er auch später mit ihr zusammen.
Ein aktuelles Problem der damaligen Zeit war die genaue Berechnung der Umlaufbahn des Halleyschen Kometen. Erst wenige Jahrzehnte zuvor hatte Edmond Halley ja überhaupt festgestellt, dass es diesen Kometen gibt und dass er einer prinzipiell vorhersagbaren Bahn folgt. Das war erst durch Newtons Gravitationsgesetz möglich, davor dachte man, dass Kometen einfach irgendwann und irgendwie auftauchen und wieder verschwinden. Jetzt aber bemühte man sich, möglichst genau vorherzusagen, wann der Komet das nächste Mal in die Nähe der Erde kommt und beobachtet werden kann. Das ist ein ziemlich kompliziertes Problem, denn dafür muss man zum Beispiel auch berechnen, wie die Anziehungskraft der Planeten Saturn und Jupiter die Bahn von Halley beeinflussen und dafür muss man berechnen, wie sich Saturn und Jupiter bewegen und gegenseitig beeinflussen, und so weiter. Kurz gesagt: Man muss jede Menge komplexe astronomische Berechnungen anstellen und genau das war es, was Nicole-Reine Lepaute besonders gut konnte. Lalande schlug Lepaute vor, diese Arbeit gemeinsam mit Alexis-Claude Clairaut durchzuführen, einem Mathematiker. Die drei stellten fest, dass vor allem die Störung des Jupiters einen ungewöhnlich großen Einfluss haben würde, und der Komet erst Anfang 1759 den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreichen und nicht schon Ende 1757 sichtbar sein würde wie andere berechnet hatten. Tatsächlich sah man den Halleyschen Kometen erst Ende 1758 am Himmel und der Termin für den sonnennächsten Punkt wich nur um gut vier Wochen von dem Zeitpunkt ab, den Lalande, Lepaute und Clairaut berechnet hatten.
Ein großer Erfolg, den aber zumindest Clairaut nicht mit einer Frau teilen wollte. Er weigerte sich, den Beitrag von Nicole-Reine Lepaute anzuerkennen. Lalande hingegen war wieder einmal sehr deutlich. Sechs Wochen lang hatten die drei quasi Tag und Nacht gerechnet, schrieb er später und dann: "Die Hilfe Mme. Lépautes war so, daß ich ohne sie die enorme Arbeit überhaupt nicht hätte in Angriff nehmen können. Es war notwendig, die Distanz der beiden Planeten Jupiter und Saturn zum Kometen separat für jeden aufeinanderfolgenden Grad über 150 Jahre hinweg zu berechnen". In einem Buch, das Lalande über den Kometen schrieb, hat er den Beitrag von Lepaute explizit erwähnt; Clairaut hingegen, der 1760 ebenfalls ein Buch über die Mathematik der Kometenbewegung publizierte, strich ebenso explizit jede Erwähnung von Lepaute.
Lalande und Lepaute arbeiteten weiterhin gemeinsam. Lalande war mittlerweile der Direktor der "Connaissance des temps" geworden. Das war und ist heute immer noch das offizielle astronomische Jahrbuch von Frankreich, dass Positionen von Sonne, Mond und Planeten enthält und Anweisungen, die man damit zum Beispiel seine Position berechnen kann. Damals waren solche Jahrbücher enorm wichtig, vor allem für die Seefahrt und es war keine geringe Aufgabe, jedes Jahr aufs Neue die nötigen Daten mit der notwendigen Genauigkeit zusammenzutragen. Lalande engagiert sich deswegen dafür Nicole-Reine Lepaute als Assistentin. Bis 1774 arbeiteten sie gemeinsam daran, bis Lalande dieses doch eher anstrengende Amt mit einiger Freude wieder abgeben konnte. Nur um sich gemeinsam mit Lepaute einer nicht weniger anstrengenden Aufgabe zu widmen: Für ein anderes astronomisches Nachschlagewerk rechnete Lepaute die Positionen der Sonne, des Mondes und der Planeten für den kompletten Zeitraum zwischen 1774 und 1793 aus.
Daneben beschäftigte sie sich auch mit der Berechnung von Sonnenfinsternissen. Für eine Finsternis im Jahr 1764 veröffentlichte sie - diesmal unter ihrem eigenen Namen - zwei Karten, die den Verlauf der Finsternis für Europa und für Paris zeigten.
Nicole-Reine Lepaute hatte neben all dieser Arbeit auch noch Zeit für ein Privatleben. Kinder hatten sie und ihr Eheman zwar nicht, aber sie adopierten den Neffen ihres Mannes und Nicole-Reine nahm sich die Zeit, ihn persönlich in Astronomie und Mathematik auszubilden. Erfolgreich, denn er wurde Mathematikprofessor und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Ein zweiter Neffe wurde ebenfalls von ihr unterrichtet und war schon im Alter von 6 Jahren in der Lage, astronomische Berechnungen anzustellen. Aber dessen Eltern hatten etwas gegen das wissenschaftliche Leben und verbaten ihm den Unterricht bei seiner Tante. Zu Beginn der 1780er Jahre musste dann auch Nicole-Reine Lepaute selbst ihre wissenschaftliche Arbeit sein lassen. Einerseits aus gesundheitlichen Gründen, da ihre Augen immer schlechter wurden. Andererseits musste sie sich um ihren sehr kranken Ehemann kümmern, was sie bis 1788 auch tat. Am 6. Dezember 1788 starb sie allerdings an Typhus; ein halbes Jahr vor ihrem Mann.
"Die Zeit die ich mit ihr und ihrer Familie verbracht habe, ist die Zeit an die ich mich am liebsten erinnere", schrieb Lalande später. Bis sich auch der Rest der wissenschaftlichen Welt an sie erinnerte, hat es aber ein wenig gedauert. 1935 wurde ein Krater auf dem Mond nach ihr benannt und 1960 ein Asteroid. Und wer in Paris die Rue Albert Einstein entlang geht, vielleicht um die Bibliothèque Mathématiques Informatique der Universität zu besuchen, kann dort in die Rue Nicole-Reine Lepaute abbiegen. Die ist zwar nur gut 20 Meter lang, aber immerhin…
Sternengeschichten Folge 580: Enceladus und außerirdische Mikroben
"In einem kurzen Nachtrag zu meinem letzten Artikel über Nebel, verkünde ich die Entdeckung eines sechsten Satelliten des Saturn". So beginnt ein Artikel von William Herschel, der am 12. November 1789 veröffentlicht wurde. Der englische Astronom, der durch die Entdeckung des Planeten Uranus ein paar Jahre zuvor weltberühmt wurde, hatte auch danach nicht aufgehört, den Himmel zu beobachten. Er fand zwei Monde des frisch entdeckten Uranus und dann auch zwei Monde des Saturn. Einer davon, nämlich Mimas, war das Thema von Folge 489 der Sternengeschichten. Heute sehen wir uns den anderen an: Enceladus.
Diesen Namen hat ihm nicht William Herschel gegeben, sondern dessen Sohn John Herschel, der ebenfalls ein berühmter Astronom war. In der griechischen Mythologie ist Enkelados einer der Giganten, der gegen Zeus und die restlichen olympischen Götter kämpft. Als Saturnmond ist Encelados weniger gigantisch, er hat einen Durchmesser von nur circa 500 Kilometern, womit er es nur auf Platz 17 der größten Mondes des Sonnensystems schafft. Die Bahn des Mondes um Saturn ist fast perfekt kreisförmig und sein Abstand liegt bei circa 177.680 Kilometer, wenn man von den oberen Wolkenschichten aus misst. Er befindet sich damit auch außerhalb der Saturringe, zumindest außerhalb der klassischen Ringe. Denn Enceladus hat seinen ganze eigenen Saturnring, den sogenannten "E-Ring". Er ist mit 300.000 Kilometern extrem breit und Enceladus sitzt ziemlich genau in der Mitte dieses Rings.
Der E-Ring leuchtet nicht sehr hell; das Material ist dort nicht so dicht wie bei den inneren Ringen, die man normalerweise meint, wenn man von den "Saturnringen" spricht. Man braucht gute Teleskope, wenn man ihn sehen will und deswegen wurde er auch erst 1966 entdeckt. Es hat allerdings bis 2005 gedauert, bis man auch herausgefunden hat, warum es den E-Ring überhaupt gibt. In diesem Jahr ist die Raumsonde Cassini das erste Mal an Enceladus vorbeigeflogen und danach noch ein paar Mal. Heute wissen wir, dass der E-Ring aus sehr kleinen Eis- und Staubpartikeln besteht; so klein, dass der Ring eigentlich instabil sein sollte. Die feinen Partikel werden durch die Strahlung der Sonne quasi aus der Umlaufbahn des Saturn gepustet und nach ein paar 10.000 Jahre sollte nichts mehr davon übrig sein. Dass wir ihn heute immer noch sehen können, liegt daran, dass es eine Quelle gibt, die immer wieder neue Eis- und Staubteilchen produziert. Diese Quelle ist - wenig überraschend - der Mond Enceladus. Misst man die Dichte der Ringteilchen, dann findet man genau dort am meisten, wo sich auch der Mond befindet. Nur: Wie produziert Enceladus diese Teilchen und wie kommen sie ins All?
Dazu schauen wir uns am Besten den Mond ein wenig genauer an. Seine Dichte liegt bei circa 1,6 Gramm pro Kubikzentimeter, dass heißt er muss im Wesentlichen aus Eis bestehen, vermutlich mit einem Kern aus Gestein. Wäre es ein felsiger Himmelskörper oder gar ein felsiger Himmelskörper mit einem metallischen Kern, so wie die Erde, dann müsste seine Dichte weitaus höher sein. Dass Enceladus eine Eiswelt ist, sieht man auch daran, wie viel Sonnenlicht er reflektiert. Nämlich gut 99 Prozent, womit er mehr Licht reflektiert als alle anderen Himmelskörper im Sonnensystem von denen wir wissen; die Oberfläche von Enceladus ist heller als frisch gefallener Schnee. Was man auf Enceladus dagegen eher kaum sieht, sind große Krater. Der größte hat nur einen Durchmesser von 34 Kilometern und das ist ein Zeichen dafür, dass seine Oberfläche vergleichsweise jung ist.
Für eine junge Oberfläche braucht es aber irgendeine Art von geologischer Aktivität. Ein geologisch toter Himmelskörper, wie zum Beispiel unser Erdmond, hat jede Menge Krater, in allen Größen. Jedes Trumm dass dort irgendwann mal eingeschlagen ist, hat einen Krater hinterlassen. Auf der Erde dagegen schlagen auch immer wieder Asteroiden ein, aber dort sorgen Plattentektonik und Vulkanismus auch dafür, dass sich die Erdoberfläche immer wieder erneuert und die alten Krater verschwinden.
Auf einem 500 Kilometer großen Eismond ist aber eher nicht mit feuerspeienden Vulkanen zu rechnen. Dafür kann es dort eine andere Art von geologischer Aktivität geben: Den Kryovulkanismus, über den ich in Folge 300 schon ausführlich gesprochen habe. Der funktioniert im Prinzip genau so wie der Vulkanismus hier auf der Erde, nur dass Eis und Wasser die Rolle von Gestein und Magma spielen. Und dass so etwas auf Enceladus tatsächlich stattfindet, haben wir sogar schon beobachtet. Die Raumsonde Cassini hat Bilder der Eisfontänen gemacht, die aus Spalten in der Südpolregion des Mondes ins All hinaus schießen. Wir wissen aus den Messungen der Raumsonde auch, dass die Temperatur in der Umgebung dieser Spalten circa 20 Grad höher ist als normal. Es liegt also nahe, dass irgendwo im Inneren des Mondes flüssiges Wasser existiert, dass durch die Spalten aufsteigt und als Eis ins All geschleudert wird. Die Schwerkraft des kleinen Mondes reicht nicht aus, um es festzuhalten, und so kriegt der E-Ring immer wieder Nachschub. Was genau für die Erwärmung im Inneren des Mondes sorgt, ist noch unklar - aber die gravitative Wechselwirkung des Mondes mit Saturn und den anderen Monden in der Umgebung dürfte eine Rolle spielen; außerdem gibt es dort auch Ammoniak, dass den Schmelzpunkt von Eis herabsetzt.
Am 9. Oktober 2008 ist Cassini dann in einem Abstand von nur 25 Kilometer an Enceladus vorbei geflogen. So dicht ist eine Raumsonde bis dahin noch nie an irgendwas vorbei geflogen und durch Glück hat man bei dieser nahen Begegnung auch noch eine frische Eruption erwischt. Cassini ist direkt durch eine "Wolke" aus Partikeln geflogen, die der Mond ausgestoßen hat. Es war so viel Material vorhanden, dass es sogar einen messbaren Effekt auf die Bewegung der Sonde gehabt hat. Und man konnte natürlich die Instrumente von Cassini nutzen um die Zusammensetzung des Material zu untersuchen. Es bestand unter anderem aus Wasserdampf, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und diverse andere organische Moleküle.
Wasser, Wärme und diverse auf Kohlenstoff basierende Chemikalien: Das sind eigentlich genau die Voraussetzung, die man für die Entstehung von Leben benötigt. Und tatsächlich gilt Enceladus auch als einer der besten Kandidaten für die Suche nach außerirdischem Leben im Sonnensystem. Die Daten wir haben, deuten darauf hin, dass es einen kompletten Wasserozean unter der Eiskruste von Enceladus geben muss. Wir haben auch Wasserstoff-Moleküle gemessen, die aus den Spalten im Eis der Oberfläche kommen und Methan. Auf der Erde kennen wir Orte, die sehr gut zu diesen Daten passen würden: Die hydrothermalen Quellen am Meeresgrund, wo heißes Wasser aus dem Inneren des Planeten nach oben steigt und wo sich dann Mikroorganismen ansiedeln, die mit Hilfe von Wasserstoff und Kohlendioxid Methan produzieren. All das haben wir auch auf Enceladus nachgewiesen. Aber nur weil die Daten zur Existenz von Leben passen, bedeutet das nicht, dass sie die Existenz dieses Lebens auch belegen. Es kann genau so gut ein rein chemischer Prozess sein, der im Ozean von Enceladus abläuft und all diese Chemikalien produziert.
Trotzdem hat sich die Astrobiologin Ruth-Sophie Taubner im Jahr 2018 die Sache genauer angesehen. Nicht auf dem Saturnmond, sondern in einem Labor auf der Erde. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat sie Methanothermococcus okinawensis erforscht. Dieser Mikoorganismus lebt auf der Erde an den vorhin erwähnten hydrothermalen Quellen. Dort produziert er Methan und Taubner wollte wissen, ob er das auch unter den Bedingungen könnte, die auf Enceladus herrschen. Also stellte sie die Bedingungen im Labor nach und das Ergebnis zeigt: Ja, Methanothermococcus okinawensis könnte auch im unterirdischen Ozean von Enceladus überleben. Das heißt natürlich nicht, dass genau dieser Mikroorganismus dort lebt. Das heißt nichtmal, dass dort irgendetwas lebt. Aber es zeigt, dass es auf Enceladus Leben geben könnte! Ob das wirklich so ist, wird sich aber erst zeigen, wenn wir irgendwann mal eine Raumsonde dorthin schicken, die den Mond nicht nur aus der Ferne betrachtet, sondern dort auch landet.
Sternengeschichten Folge 579: Das Intracluster-Medium
Das Weltall ist leer. Ok, es gibt jede Menge Planeten, Sterne und Galaxien. Aber sehr viel mehr gibt es Nichts. Der Raum zwischen den Planeten, zwischen den Sternen, zwischen den Galaxien: Der ist sehr viel größer und darin ist nicht viel zu finden. Aber ein bisschen was ist trotzdem da. Ich hab davon schon mal in Folge 79 gesprochen, aber da hauptsächlich davon, was man zwischen den Sternen finden kann. Heute geht es um das intergalaktische Medium und verglichen damit ist der Raum zwischen den Sternen regelrecht voll. Wenn man eine Chance auf echtes Nichts haben will, muss man die Galaxien verlassen. Aber wenn da wirklich komplett gar nichts zu finden wäre, dann wäre die Folge jetzt schon wieder vorbei. Ist sie aber nicht, denn wir schauen uns jetzt an, was da im Nichts doch noch zu entdecken ist.
Wir müssen aber zuerst noch mal bei den Galaxien bleiben. Die sind nicht komplett gleichmäßig im Universum verteilt. Sie bilden Galaxienhaufen, also größere und kleinere Gruppen aus hunderten Galaxien. Und die Galaxienhaufen selbst bilden noch größere Strukturen, die galaktischen Superhaufen. In diesen Haufen, aber zwischen den Galaxien, finden wir das "Intracluster Medium". Es handelt sich um ein dünnes, heißes Gas, aber man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass da eine riesige Gaswolke existiert, durch die die Galaxien pflügen. Das Intracluster-Medium hat eine Dichte von ungefähr 0,001 Teilchen pro Kubikzentimeter. Das heißt, in einem Volumen von einem Liter findet man im Durchschnitt gerade mal ein einziges Teilchen. Oder noch einmal anders gesagt: So ein Teilchen des Intracluster-Mediums kann im Schnitt ein Lichtjahr weit fliegen, bevor es mit einem anderen Teilchen zusammenstößt. Und bevor ich jetzt immer "Teilchen" sage, klären wir mal, um was es sich dabei genau handelt. Wenig überraschend vor allem Wasserstoff. Das ist immerhin das häufigste Element im Universum, mit Abstand, und deswegen wundert es auch nicht, wenn die paar Teilchen die man zwischen den Galaxien findet, ebenfalls Wasserstoff sind. Ein bisschen Helium ist auch dabei, das zweithäufigste Element im Universum. Aber man hat auch andere Elemente gefunden. Kohlenstoff oder Stickstoff zum Beispiel. Das ist spannend: Im Raum zwischen den Galaxien ist weit und breit kein Stern zu finden. Es ist ja schon IN den Galaxien ein weiter Weg von einem Stern zu einem anderen. Aber ZWISCHEN den Galaxien liegen Millionen Lichtjahre an Nichts - wo kommen diese Elemente her? Denn für alles, was kein Wasserstoff oder Helium ist, braucht es auf jeden Fall einen Stern. Nur Wasserstoff und Helium sind direkt beim Urknall entstanden; der Rest durch Kernfusion im Inneren von Sternen beziehungsweise durch die Prozesse, die dann beim oder nach dem Tod eines Sterns passieren. Aber ohne Stern geht es nicht.
Und natürlich sind die schwereren Elemente des Intracluster-Mediums auch in Sternen entstanden. Wenn so ein Stern dann stirbt, verteilt er seine Materie in der Gegend. Mal recht langsam, mal aber auch recht schnell, zum Beispiel durch Supernova-Explosionen. Und wenn die Supernova-Explosion eine wirklich heftige Explosion ist, kann Material dabei so stark beschleunigt werden, dass es aus der Galaxie in der sich der Stern befindet, hinaus geschleudert wird. Noch weiter kommt es dann aber normalerweise nicht. Denn die ganzen Galaxien eines Galaxienhaufens üben ja zusammengenommen eine enorme Gravitationskraft aus und die überwindet das Teilchen dann nicht. Es wird Teil des Intracluster-Mediums und bleibt dort. Was sehr gut für die Wissenschaft ist. Denn wenn wir ferne Galaxienhaufen ansehen, dann sind die ja wirklich weit weg. Das Licht von dort ist dementsprechend lange unterwegs. Wir sehen also in die Vergangenheit, unterschiedlich weit, je nachdem wie weit der Galaxienhaufen weg ist. Wir können dann in diesen Haufen das Intracluster-Medium untersuchen, die Häufigkeit der verschiedenen Elemente messen und wissen dann, wie gut die Galaxien zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Vergangenheit des Universums darin waren, Elemente zu produzieren.
Aber wie beobachtet man das Intracluster-Medium eigentlich? Wenn da nur ab und zu ein Atom mitten im Nichts rumschwebt, wie soll man das beobachten, noch dazu in so enormer Entfernung? Zuerst einmal ist die Dichte des Intracluster-Mediums zwar gering - aber es gibt halt wirklich viel Raum zwischen den Galaxien und in Summe kommt da einiges zusammen. Man schätzt, dass circa 15 Prozent der Gesamtmasse eines Galaxienhaufens in Form von Teilchen des Intracluster-Mediums zwischen den Galaxien rumfliegt. Und mit der Gesamtmasse ist wirklich die gesamte Masse gemeint. Also nicht nur die Materie, die wir sehen können; also das, was zum Beispiel in Form von Sternen leuchtet. Sondern auch die dunkle Materie, die wir zwar nicht leuchten sehen, deren Gravitationswirkung wir aber beobachten können. Die Galaxien in einem Haufen bewegen sich zu schnell, als das der sichtbare Teil schon alles sein könnte. Es muss mehr Zeug da sein, dass Gravitationskraft ausübt, aber eben Zeug das nicht sichtbar ist und das Zeug nennen wir "dunkle Materie". Die Sterne aus denen die Galaxien bestehen machen nur circa 5 Prozent der Gesamtmasse aus, also nur ein Drittel der Masse des Intracluster-Mediums. Und der überwiegende Rest der Haufenmasse ist dunkle Materie. Trotzdem: Auch wenn es vergleichsweise viel Intracluster-Medium gibt, ist es immer noch extrem dünn verteilt. Wie kann man das sehen?
Das liegt daran, dass das Intracluster-Medium extrem heiß ist, mit Temperaturen zwischen 10 und 100 Millionen Grad. Aber "Temperatur" heißt hier nicht das, was es üblicherweise heißt. Würde man ein Raumschiff in den Raum zwischen den Galaxien steuern und aussteigen, würde man nicht verbrennen. Wie denn auch, da ist ja nix. Ich hab das in Folge 367 erklärt: Wenn wir spüren, dass es heiß ist, liegt es im Prinzip daran, dass die Teilchen der Luft gegen uns stoßen. Und je schneller sich die Teilchen bewegen, desto mehr Hitze spüren wir. Anders gesagt: Temperatur ist ein Maß dafür, wie schnell sich ein Teilchen bewegt aber was wir spüren hängt von der Dichte der Teilchen ab. Und das Intracluster-Medium ist extrem heiß, aber wir würden nichts davon spüren, weil es so wenig dicht ist. Und es ist deswegen so heiß, weil die Teilchen so schnell sein müssen, wenn sie überhaupt aus den Galaxien in den Raum dazwischen gelangen wollen. Das ist aber nur ein Faktor; es gibt ja auch noch die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien. Mit ihrer Gravitationskraft beschleunigen sie Materie aus ihrer Umgebung auf enorme Geschwindigkeiten und schießen oft regelrechte Fontänen aus Gas mit enormer Geschwindigkeit hinaus in den intergalaktischen Raum. Und dann gibt es noch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien. Wenn kleinere Galaxien zu größeren verschmelzen, wird das Material im intergalaktischen Raum durchgewirbelt und auch das führt zu einer Erwärmung.
Wir haben also wenig Zeug, aber heißes Zeug und heißes Zeug gibt Strahlung ab. Beim Intracluster-Medium ist das vor allem Röntgenstrahlung und die kann man nachweisen. Wir beobachten ja ferne Galaxienhaufen wo man, vereinfacht gesagt, die ganzen Galaxien des Haufens mit dem Teleskop auf einen Blick sehen kann. Und wenn der Blick mit einem Röntgenteleskop erfolgt, dann sieht man damit auch die Strahlung, die aus dem Raum zwischen den Galaxien kommt. In Summe produzieren die ganzen Teilchen dort nämlich schon eine relevante Menge an Strahlung und wenn wir uns die genau genug anschauen, können wir daraus ableiten, wo das Zeug ist, wie dicht verteilt es ist und woraus es besteht.
Es mag komisch erscheinen, wenn sich die Wissenschaft so stark mit diesen paar Teilchen beschäftigt, die zwischen den Galaxien rumfliegen. Aber sie sind wichtig! Ich hab schon erwähnt, dass man damit herausfinden kann, wie gut die Galaxien in der Vergangenheit darin waren, chemische Elemente zu produzieren. Das sind enorm relevante Informationen, wenn wir wissen wollen, wie sich das gesamte Universum entwickelt hat. Am Anfang gab es ja nur Wasserstoff und Helium und der Rest kam erst mit den ersten Sterne, die die ersten Galaxien gebildet haben. Und die folgenden Generationen von Sternen hatten dann schon mehr Elemente zur Verfügung, wodurch sich auch die ganze Entwicklung der Galaxien verändert hat. Durch die Beobachtung des Intracluster-Mediums können wir das nachvollziehen - wir können aber auch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien besser verstehen. Wenn sich zwei Galaxien begegnen und nahe kommen, dann kann durch die zwischen ihnen wirkende Gravitationskraft Material aus den Galaxien hinaus ins Intracluster-Medium gezogen werden. Es bilden sich regelrechte Ströme aus Material, die noch lange Zeit später zeigen, dass eine Wechselwirkung stattgefunden hat, selbst wenn alles schon lange vorbei ist. Es kann aber auch umgekehrt laufen; Material aus dem Intracluster-Medium kann in eine Galaxie fallen und dort Einfluss auf die Entstehung von Sternen haben.
Wenn wir verstehen wollen, wie sich das Universum entwickelt hat und wie die Galaxien so geworden sind, wie wir sie heute sehen, dann müssen wir uns auch damit beschäftigen, was sich dort befindet, wo fast nichts ist. Und das Intracluster-Medium ist übrigens nicht das einzige Nichts. Ich habe bis jetzt nur von dem gesprochen, was sich zwischen den Galaxien eines Galaxienhaufens befindet. Aber es gibt ja viele Galaxienhaufen. Und zwischen diesen Galaxienhaufen ist noch viel mehr leerer Raum. Ist der dann wirklich leer? Na ja - zumindest so leer, wie es nur irgendwie geht im Universum. Aber nicht völlig leer. Dort ist jetzt zwar wirklich nicht mehr viel. Aber das, was man dort noch finden kann, nennt sich das "Warm-heiße intergalaktische Medium" und ist eine extrem spannende Sache. Aber darüber reden wir in einer anderen Folge der Sternengeschichten.
Sternengeschichten Folge 578: Das Lambda-CDM-Modell
Heute geht es in den Sternengeschichten um Alles. Es geht um die Geschichte des Universums, vom Anfang bis zur Gegenwart. Und natürlich wird es keine vollständige Geschichte sein; ein Überblick muss reichen. Wir schauen uns aber trotzdem heute das Lambda-CDM-Modell an. So nennt man das, was landläufig als "Urknalltheorie" beschrieben wird oder auch das "Standardmodell der Kosmologie". Es geht also um das wissenschaftliche Modell, mit dem wir beschreiben, wie sich das gesamte Universum seit dem Urknall entwickelt hat. Natürlich nicht im kleinsten Detail; das Lambda-CDM-Modell beschreibt jetzt zum Beispiel nicht, wie die Sonne entstanden ist, wie sich die Säugetiere auf der Erde entwickelt haben oder wie die menschliche Zivilisation entstanden ist. Aber es kann dagegen sehr gut beschreiben, wie sich die großräumige Struktur in der Verteilung der Galaxien entwickelt hat, wie sich das Universum ausdehnt, warum es eine kosmische Hintergrundstrahlung gibt und warum sie so aussieht, wie sie aussieht. Und noch ein paar mehr Dinge, die wir uns dann vielleicht später ansehen.
Fangen wir aber mal mit dem Namen an, denn da steckt schon jede Menge drin. Lambda-CDM-Modell klingt sehr wissenchaftlich und in diesem Namen stecken auch zwei der wichtigsten Komponenten des Modells drin. Der griechische Buchstabe Lambda wird in der Kosmologie verwendet um die kosmologische Konstante zu beschreiben. Und das "CDM" steht für "cold dark matter", also eine Variante der dunklen Materie. Das Standardmodell der Kosmologie ist also das eines Universums, in dem es eine kosmologische Konstante gibt und in dem kalte, dunkle Materie existiert. Was das bedeutet wird gleich klar werden; wir werfen aber zuerst noch einen kurzen Blick auf die Entwicklung des Modells.
Wir müssen dafür zurück in die 1920er Jahre. Damals war durch Beobachtungen einer Sonnenfinsternis einerseits klar geworden, dass die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein tatsächlich in der Lage ist, die Gravitation korrekt zu beschreiben. Andererseits wusste man dank der Beobachtung ferner Galaxien, dass sich das Universum ausdehnt. Aus diesen beiden Erkenntnissen hat sich die erste Urknalltheorie entwickelt: Das Universum hat einen Anfang; es hat einen Anfang in der Zeit; es hat in einem extrem heißen und dichten Zustand begonnen und sich seitdem beständig abgekühlt und ausgedehnt. Aus diesem Modell heraus konnte man auch die Existenz der kosmischen Hintergrundstrahlung vorhersagen, von der ich in Folge 316 ausführlich gesprochen habe. Deswegen jetzt nur ganz kurz: Zu Beginn gab es im Universum noch keine Atome wie jetzt. Ein Atom besteht ja aus einem Atomkern aus Protonen und Neutronen und einer Hülle aus Elektronen. Damals war es aber so heiß, dass die Atomkerne und Elektronen enorm schnell bewegt haben. So schnell, dass sich die Elektronen nicht an die Atomkerne binden konnten. Das hat Konsequenzen gehabt, den neben Atomkernen und Elektronen gab es damals ja auch noch jede Menge Energie in Form von Strahlung. Die konnte sich nicht aber ungehindert ausbreiten, weil sie ständig von den freien Elektronen abgelenkt worden ist. Erst gut 400.000 Jahre nach dem Urknall war das Universum kühl genug, damit sich aus Atomkernen und Elektronen vollständige Atome bilden konnten. Und erst jetzt war der Weg frei für die Strahlung. Sie begann, sich durch das Universum auszubreiten, von jedem Punkt aus in jede Richtung. Was bedeutet, dass ein Teil davon auch heute noch unterwegs ist und der Teil, der gerade von den Punkten des Universums kommt, die ausreichend weit von uns entfernt sind, trifft dann eben auch gerade heute auf unsere Messinstrumente. Sofern wir welche haben natürlich. Aber in den 1960er Jahren hatte man die ersten und damit die kosmische Hintergrundstrahlung nachgewiesen, die von der Urknalltheorie vorhergesagt worden ist. Dass war auch der Moment, in der sich diese Theorie des Universums gegenüber den Alternativen durchgesetzt hat; bis dahin gab es noch viele Forscherinnen und Forscher, die zum Beispiel die Steady-State-Theorie (von der ich in Folge 491 gesprochen habe) favorisiert hatten.
Mit dem Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung war aber längst noch nicht alles erledigt. Irgendwie muss man ja auch erklären, wie aus der Suppe an Atomen in der Frühzeit des Univerums die ganzen Galaxien entstanden sind, die wir heute sehen. Wäre die gesamte Materie nach dem Urknall wirklich komplett gleichmäßig verteilt gewesen, dann hätte es keinen Grund gegeben, warum sich darin irgendwelche "Klumpen" bilden hätten sollen. Die Gravitationskräfte wäre dann überall gleich stark gewesen; jeder Teil des Universums hätte jeden anderen Teil genau gleich stark angezogen und es wäre ein Gleichgewicht entstanden. Wir sehen aber heute eindeutig, dass das so nicht gewesen sein hat können. Es gibt Bereiche im Universum, wo sehr viel Materie zu finden ist, nämlich die ganzen Galaxienhaufen. Und es gibt Bereiche, wo keine Materie ist, nämlich die großen Leerräume dazwischen, die sogenannten "Voids". Es muss also auch im frühen Universum Abweichungen vom Gleichgewicht gegeben haben: Bereiche, wo ein bisschen mehr Materie war und Bereiche, mit ein klein bisschen weniger Dichte. Die dichtere Bereiche haben eine stärkere Anziehungskraft ausgeübt als die weniger dichten und dort hat sich das Material geklumpt, noch mehr Anziehungskraft ausgeübt, und so weiter. Am Ende hat sich daraus die heute beobachtbare Verteilung der Galaxien entwickelt. Daraus folgt, dass auch die Hintergrundstrahlung nicht komplett gleichmäßig sein kann. Ich lasse die Details jetzt aus, die habe ich schon in den früheren Folgen erzählt. Aber wenn die Materie im frühen Universum ein bisschen ungleichmäßig verteilt war, dann muss es winzige Unterschiede in der Energie der Hintergrundstrahlung geben. Und die hat man 1992 auch tatsächlich gemessen.
Es gab aber immer noch zwei Probleme. Das mit der Galaxienentstehung aus den ursprünglichen Dichteunterschieden in der Materie nach dem Urknall hat nicht funktioniert. Zumindest nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Materie die wir heute sehen können, die gesamte Materie des Universums ist. Aber man wusste auch schon spätestens seit den 1960er Jahren, dass es da noch eine andere Art von Materie geben muss, nämlich die "Dunkle Materie". Darüber habe ich in Folge 25 und danach immer wieder gesprochen. Beobachtungen der Bewegung von Galaxien und Sternen haben gezeigt, dass sie sich so bewegen, wie sie es tun würden, wenn neben der normalen sichtbaren Materie noch sehr viel mehr Materie vorhanden ist, die wir nicht sehen können. Und auch die Entstehung von Galaxien lässt sich nur dann korrekt beschreiben, wenn man davon ausgeht, dass es sehr viel mehr Materie geben muss, die nicht leuchtet - dunkle Materie eben. Also wurden auch diese Beobachtungsdaten in das Urknallmodell inkludiert. Ende der 1990er Jahre entdeckte man auch, dass das Universum nicht nur expandiert, sondern im Laufe der Zeit immer schneller expandiert. Es muss als eine Kraft geben, die dafür sorgt, dass es das tut und die hat man "dunkle Energie" genannt. Diese Kraft verhält sich genau so, wie die "kosmologische Konstante", die Albert Einstein damals in seine allgemeine Relativitätstheorie eingebaut hat. Er hat das damals aber nicht getan, um ein Universum zu beschreiben, dass sich immer schneller ausdehnt. Er wollte ein Universum beschreiben, das sich gar nicht ausdehnt und weil seine Gleichungen aber ein expandieres Universum geliefert haben, hat er sie so modifiziert, dass sie eine Kraft enthalten, die dem entgegenwirken und das Universum statisch halten kann. Später hat man diese Konstante immer gleich Null gesetzt, weil man ja beobachten konnte, dass das Universum eben nicht statisch ist und tatsächlich expandiert. Die Entdeckung der beschleunigten Expansion hat aber gezeigt, dass die kosmologische Konstante in Einsteins Gleichungen einen Wert haben muss, der größer als Null ist.
Um das Jahr 2000 herum war also klar: Um die Entwicklung des Universums zu beschreiben, brauchen wir ein Modell, dass in der Lage ist, sowohl den Einfluss der dunklen Materie als auch den Einfluss einer kosmologischen Konstante bzw. der dunklen Energie zu beschreiben. Und dieses Modell ist das Lambda-CDM-Modell: "Lambda" steht für die kosmologische Konstante und "CDM" für "cold dark matter". Und mit "cold" ist übrigens nicht die Temperatur im üblichen Sinne gemeint. "cold dark matter", also "kalte dunkle Materie" ist Materie, die nicht-baryonisch ist, also nicht aus den üblichen Protonen und Neutronen besteht, wie die Materie die wir kennen. Sie ist "kalt" in dem Sinn, dass sie sich sehr viel langsamer bewegt als die Lichtgeschwindigkeit. "Heiße" dunkle Materie wären zum Beispiel Neutrinos - die sind auch nicht-baryonisch, aber bewegen sich enorm schnell. Aber heiße dunkle Materie passt nicht zu dem, was man beobachtet. Die kalte dunkle Materie ist auch nicht in der Lage Energie in Form von Photonen abzugeben (sonst würden wir sie ja sehen) und sie wechselwirkt nur über die Gravitationskraft mit anderer Materie.
Es wäre zu viel, das gesamte Lambda-CDM-Modell im Detail vorzustellen und zu erklären, aber es gibt sechs wichtige Parameter, die man kennen muss, wenn man auch konkret verstehen will, wie all das, was ich jetzt kurz beschrieben habe, tatsächlich funktioniert. Das ist zuerst einmal die Hubble-Konstante, also der Wert der angibt, mit welcher Rate das Universum heute expandiert. Dann muss man Omegab und Omegam kennen. Mit Omegab wird der Anteil der baryonischen Materie an der gesamten Energiedichte des Universums beschrieben und die "bayronische" Materie ist das, was wir als "normale" Materie kennen. Omegam ist dann der Anteil der gesamten Materie, also normale und dunkle Materie an der gesamten Energiedichte. Anders gesagt: Omegab sagt mir, wie viel normale Materie es im Universum gibt. Wenn man das von Omegam abzieht, weiß man, wie viel dunkle Materie es gibt. Und das was übrig bleibt von der gesamten Energiedichte, was keine dunkle oder normale Materie ist, ist die dunkle Energie. Die nächsten drei Parameter sind ein wenig kniffliger zu beschreiben. Zuerst ist da Tau, die optische Dichte zum Zeitpunkt der Reionisierung. Mit "Reionisierung" ist der Zeitpunkt gemeint, den ich vorhin beschrieben habe, also der Moment 400.000 Jahre nach dem Urknall, als sich die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben und die "optische Dichte" beschreibt, wie gut sich die Strahlung zu dem Zeitpunkt im Universum ausbreiten konnte. Die letzten beiden Parameter heißen "Krümmungsfluktuationsamplitude" und "spektraler Index" und sind ein bisschen schwieriger zu verstehen. Es geht dabei um die "primordialen Fluktuationen", also die Dichteunterschiede in der Verteilung der Materie im ganz frühen Universum. Die kann man mathematisch mit den beiden Parametern die ich gerade erwähnt habe, beschreiben. Das läuft - sehr vereinfacht - so. Man schaut sich zum Beispiel einen Abschnitt des Himmels an, der 180 Grad umfasst - also eine Hälfte des Himmels - und misst dort die Energie der kosmischen Hintergrundstrahlung. Und dann schaut man sich den andere 180 Grad Ausschnitt an. Diese Werte vergleicht man, und bestimmt den Unterschied. Dann macht man das aber auch für alle kleineren Ausschnitte. Man teilt den Himmel in Viertel, in Achtel, in Sechzehntel, und so weiter - so weit die Auflösung der Instrumente reicht (und die reicht mittlerweile weit, bis hin zu Ausschnitten, die nur ein paar Hundertstel Grad groß sind). Wenn man jetzt in einem Diagramm die beobachtete Energieschwankungen in den jeweilgen Ausschnitten gegenüber der Größe der Ausschnitte aufträgt, dann kriegt man eine Linie, die auf und ab schwankt. Man kann sich die Sache auch als Schwingung in diese "Urmaterie" vorstellen, also als eine Grundwelle mit vielen Oberwellen, die bescheibt, wie sich die Dichte im Gas verändert. Die Krümmungsfluktuationsperiode und der spektrale Index sind jetzt zwei Zahlen, mit denen man genau diese Schwingung mathematisch darstellen kann.
Wie gesagt: Alles ein wenig kompliziert, aber es geht ja immerhin um die Beschreibung des gesamten Universums! Und diese sechs sind nur die auf jeden Fall nötigen Parameter, ohne die geht es auf keinen Fall. In Wahrheit umfasst das Lambda-CDM-Modell noch sehr viel mehr Parameter, die ich mir jetzt aber spare. Auf jeden Fall ist das Lambda-CDM-Modell eine wirklich gute Beschreibung des Universums. Die Messdaten der Hintergrundstrahlung passen zum Beispiel sehr gut zu dem, was vorhergesagt wird, also zu der auf und ab schwingenden Kurve die ich gerade erklärt habe. Und daraus folgen Werte für den Anteil der baryonischen und dunklen Materie, mit denen sich die Entwicklung der Galaxien sehr gut nachvollziehen lassen. Aber natürlich ist das Modell nicht perfekt. Es gibt sehr viele offene Fragen und sehr viel, was wir noch nicht verstehen. Es ist also definitiv damit zu rechnen, dass wir das Lambda-CDM-Modell in Zukunft immer wieder erweitern, modifiziern und anpassen müssen. Oder vielleicht sogar irgendwann komplett umbauen. Was nicht heißt, dass alles falsch sein könnte. Wir haben ja konkrete Beobachtungen die uns zeigen, dass da zum Beispiel die Hintergrundstrahlung ist, die nur entstanden sein kann, wenn das Universum früher sehr viel heißer und dichter war. Wir sehen, dass das Univesum sich ausdehnt. Und so weiter. Diese Daten kann man nicht ignorieren. Aber weiß weiß, ob wir dem Lambda-CDM-Modell in Zukunft nicht noch ein paar andere Buchstaben hinzufügen müssen…
Sternengeschichten Folge 577: Der Krieg zwischen Sonne und Mond und die erste Science-Fiction-Geschichte der Welt
Science Fiction ist keine Wissenschaft, aber sie hat die Wissenschaft immer schon beeinflusst. Lange bevor die ersten Raketen ins Weltall geflogen sind, haben sich Menschen schon vorgestellt, wie es sein könnte, durchs Weltall zu reisen. Mal realistischer, wie zum Beispiel Jules Verne in seinem Roman "Von der Erde zum Mond", mal weniger realistisch, wie Johannes Kepler in seinem Werk "Somnium", von dem ich in Folge 472 der Sternengeschichten ausführlich erzählt habe. H.G. Wells hat sich in "Krieg der Welten" vorgestellt, wie das Leben auf dem Mars aussehen könnte, Arthur C. Clarke hatte die Idee zu geostationären Satelliten und einem Weltraumlift in seinen Büchern entwickelt und zumindest eine davon ist später Realität geworden. Und so weiter - kurz gesagt: Die Science Fiction inspiriert die Wissenschaft dazu, die dort gezeigten Visionen umzusetzen und die Wissenschaft inspiriert die Science Fiction, die Realität kreativ weiterzudenken.
Die klassische Science Fiction mit den Werken von H.G. Wells, Jules Verne oder Mary Shelley beginnt im 19. Jahrhundert, die moderne Science Fiction in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Aber natürlich haben Menschen auch schon früher entsprechende Ideen gehabt. Die Science Fiction ist ein so vielfältiges Genre, dass sie sich schwer abgrenzen lässt und ebenso schwer ist es, die "erste" Science-Fiction-Geschichte der Welt zu identifizieren. Aber es ist vermutlich nicht völlig falsch, wenn man bei dem Buch "Wahre Geschichten" anfängt. Geschrieben wurde es vor fast 2000 Jahren, im 2. Jahrhundert von Lukian von Samosata. Die Stadt Samosata lag damals in der römischen Provinz Syrien und ihre Ruinen heute unter dem Wasser des Atatürk-Stausees in der östlichen Türkei. Über das Leben von Lukian weiß man nicht sehr viel, aber er hat vermutlich als Redner und Autor gearbeitet und es sind knapp 70 seiner Werke bekannt. Eines davon ist "Wahre Geschichten" und darin findet man die früheste bekannte Darstellung einer Reise durch den Weltraum und von außerirdischen Lebewesen.
Lukian wollte aber keine klassische Science Fiction schreiben; so etwas gab es damals in dem Sinne ja auch nicht. Sein Reisebericht ist eher eine Parodie auf die damalige Geschichtschreibung. Und "Geschichtsschreibung" hat damals wenig mit dem zu tun, was wir heute darunter verstehen. Diese Berichte waren im Wesentlichen frei erfundene Geschichten über das, was angeblich tatsächlich in fernen Ländern beziehungsweise der Vergangenheit passiert ist. In seiner Einleitung schreibt Lukian zum Beispiel "So hat Ctesias, Ctesiochus Sohn, aus Cnidus, in seinem Buche über Indien Dinge geschrieben, die er weder selbst gesehen, noch von irgend Jemand erzählen gehört hatte." Und fährt fort: "Viele Andere haben sich, in demselben Geiste, zur Aufgabe gemacht, uns ihre weiten Reisen, ihre Irrfahrten zu beschreiben, und von ungeheuren Bestien, wilden und grausamen Menschen, seltsamen Sitten und Gebräuchen zu erzählen."
Auch Lukian will so einen Bericht verfassen und beendet seine Einleitung mit den Worten: "So erkläre ich denn feierlich: 'Ich schreibe von Dingen, die ich weder selbst gesehen, noch erfahren, noch von Andern gehört habe, und die eben so wenig wirklich, als je möglich sind.' Nun glaube sie, wer da Lust hat!"
Was sollen wir also glauben, wenn wir Lust dazu haben? Die Reise von Lukian beginnt bei den Säulen des Herakles, also in Gibraltar, wo er mit 50 Kameraden ein Schiff besteigt. Sie segeln hinaus in den Atlantik, um "neue Dinge kennen zu lernen und zu erfahren, wo der Ocean aufhöre, und was wohl das für Leute seyn mögen, die jenseits desselben wohnen". Als erstes finden sie eine Insel, auf der ein Fluss aus Wein fließt. Auch die Fische darin bestehen aus Wein und müssen mit normalen "Wasserfischen" gemischt werden, um beim Essen nicht zu betrunken zu werden. Und Lukian findet auch ganz besondere Weinreben: "Unten am Boden bestanden sie aus einem sehr kräftigen und dicken Stamme, weiter aufwärts aber waren es Mädchen, die bis auf die Hüften herab an allen Theilen vollkommen ausgebildet waren". Diese Wesen, halb Wein, halb Frau haben Haare aus Weinblättern und Weintrauben und sind den Männern anscheinend durchaus freundlich gesinnt. Aber Achtung: "Zwei meiner Gefährten, die sich verführen ließen, konnten sich nicht wieder losmachen, sondern wuchsen und wurzelten dergestalt mit ihnen zu einem Gewächse zusammen".
Die restlichen Männer, die den Weinfrauen entkommen sind, besteigen ihr Schiff, das aber sofort von einem Sturm in die Luft gehoben wird. Dort oben segelt es dann weiter, sieben Tage und sieben Nächte. Am achten Tag erreichen sie "eine Art von Erde in der Luft […] gleich einer großen, kugelförmigen, von hellglänzendem Lichte erleuchteten Insel". Als sie dort anlegen, erkennen sie tief unter sich eine andere Erde, die sie als ihre eigene erkennen. Lukian stellt fest, dass er auf dem Mond gelandet ist und dort geht es wild zu. Er wird sofort von einer Truppe Ritter, die auf riesigen Vögeln reiten festgenommen und zum König des Mondes gebracht. Der erklärt, dass er ursprünglich auch von der Erde kommt, jetzt aber gerade Krieg mit den Bewohnern der Sonne führt. Der Mondkönig wollte nämlich den unbewohnten Morgenstern kolonialisieren, was dem Sonnenkönig aber nicht gepasst hat. Es gab Krieg und Lukian ist gerade rechtzeitig zur großen Schlacht gekommen. Dort kämpfen jede Menge seltsame Wesen. Zum Beispiel die "Krautflügler", "eine außerordentlich große Gattung von Vögeln, die, anstatt mit Federn, über und über mit Krautblättern bewachsen sind". Es gab auch "Knoblauchstreiter" und "Hirsenschießer", außerdem auch "Flohspringer", die auf Flöhen reiten die so groß wie zwölf Elephanten sind. Und die "Luftspringer", "die aus der Ferne Rettiche von entsetzlicher Größe auf den Feind schleuderten. Wer von einem solchen Rettiche getroffen ward, starb gleich darauf, indem die Wunde augenblicklich in eine abscheulich riechende Fäulniß übergieng".
Trotz all des grässlichen Gemüses gewinnt der Mond die Schlacht. Alle feiern, bis auf einmal die "Wolkenzentauren" auftauchen, gigantische fliegende Wesen halb Mensch, halb Pferd, die für die Sonne kämpfen und zu spät aufgetaucht sind. Jetzt aber greifen sie an, der Krieg bricht erneut aus und die Sonne gewinnt die Oberhand. Eine Mauer wird zwischen Mond und Sonne errichtet, "aus einer gedoppelten Reihe dichter Wolken gebildet, wodurch eine vollkommene Mondsfinsterniß entstand". Der Mondkönig ist gar nicht froh über die Finsternis, aber am Ende gibt es dann doch einen Friedensvertrag.
Bevor Lukian wieder weiter reist, verfasst er noch einen kurzen Bericht über die Lebensweise der Mondbewohner. Es sind übrigens wirklich Mondbewohner und nicht auch Mondbewohnerinnen, denn Frauen gibt es dort nicht. Kinder werden dort, wie Lukian schreibt, "von Männern geboren, mit denen man hier in der Ehe lebt, indem jeder bis zum fünf und zwanzigsten Jahre der Geheirathete ist, nach dieser Zeit aber selbst heirathet. Sie tragen die Frucht nicht in der Bauchhöhle, sondern in der Wade: sobald nämlich das Empfängniß geschehen ist, wird die Wade dick und immer dicker; nach einiger Zeit aber schneidet man sie auf und zieht ein todtes Kind heraus, das nun mit offenem Munde dem Winde ausgesetzt und so zum Leben gebracht wird."
Es gibt aber auch Baummenschen, deren Entstehung ein bisschen anders läuft. Lukian erklärt: "Man schneidet einem Manne den rechten Hoden ab, und pflanzt ihn in die Erde: aus diesem wächst nun ein ungeheurer, fleischerner Baum, in Gestalt eines Phallus, mit Zweigen und Blättern. Die Frucht, die er trägt, ist eine Art ellenlanger Eicheln, aus welchen, wenn man sie reif werden läßt und sodann auseinander schlägt, die Menschen genommen werden."
Nun ja. Lukian weiß auch, was die Mondwesen essen: Den Dampf, der von gebratenen Fröschen aufsteigt. Es gibt am Mond auch Weinreben, die aber keine Weintrauben haben, sondern welche aus Wasser. Lukian vermutet, hier den Ursprung der Hagelkörner gefunden zu haben, die ab und zu auf die Erde fallen. Auf dem Mond gilt man übrigens nur als schön, wenn man eine Glatze hat und die Bewohner können ihre Augen herausnehmen: "Wer also Lust hat, nimmt sie aus und hebt sie auf, bis er etwas zu sehen braucht, alsdann setzt er nur seine Augen wieder ein und sieht."
Auf der Rückreise macht Lukian zuerst beim Morgenstern halt, auf dem aber nicht viel los ist. Dann gelangt er zur "Lampenstadt", die "etwas unterhalb des Thierkreises zwischen der Luftregion der Pleiaden und der der Hyaden" liegt, wie Lukian schreibt. Diese Stadt wird tatsächlich ausschließlich von Lampen bewohnt, die in Laternen leben und Lukian trifft sogar seine eigene Hauslampe von der Erde. Auf der landen sie dann auch endlich wieder, werden aber sofort von einem gigantischen Walfisch verschluckt, in dem über tausend Menschen leben und gegeneinander Krieg führen. Nach dem Aufenthalt im Fisch gelangen sie in ein Meer aus Milch und auf eine Insel aus Käse, treffen danach diverse tote Prominente auf der Insel der Seligen, bis sie endlich wieder auf eine größere Landmasse treffen, "von welchem wir vermutheten, daß es der, unserm Erdtheil gegenüber liegende, Continent seyn möchte".
Hier endet der Bericht von Lukian und es ist klar, dass das alles erstmal wenig mit Science Fiction der Art zu tun hat, die wir heute gewöhnt sind. Aber es wäre auch höchst überraschend, wenn sich jemand vor 2000 Jahren Raumschiffe mit Laserkanonen oder ähnlicher Technik ausgedacht hätte. Die Fiction in Science Fiction kann nur auf der verfügbaren Science basieren und zu Lukians Zeit wusste man nichts über den Weltraum. Warum sollte der Mond nicht einfach mit einem Schiff erreichbar sein, dass durch die Luft fliegt? Warum sollten dort keine Menschen leben? Natürlich hat Lukian sich einfach irgendeinen lustigen Quatsch ausgedacht, das war ja auch Ziel seines Werks, wie er in der Einleitung geschrieben hat. Aber allein die Tatsache, dass er sich für seine Reise eben nicht eine beliebige Reise ausgedacht hat, sondern eine Reise zum Mond, zur Sonne und zum Morgenstern; eine Reise über die Grenzen der Erde hinaus, zeigt, dass die Menschen auch damals schon darüber nachgedacht haben müssen, wie es denn wäre, auf diesen leuchtenden Himmelskörpern zu leben, die man in der Nacht sehen kann. Wie es sein könnte, zu diesen unerreichbaren Orten zu reisen und was man dort erleben könnte. Lukian hat sich die selben Gedanken gemacht, die sich nach ihm unzählige Menschen gemacht haben und die am Ende dazu geführt haben, dass wir tatsächlich und in echt zum Mond gereist sind.
Die "Wahren Geschichten" von Lukian sind eine Parodie die man nur wirklich verstehen kann, wenn man die Zeit versteht in der sie geschrieben wurden und den Zweck kennt, zu dem sie verfasst worden sind. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass Lukian in seiner Fantasie durchs Weltall und zu anderen Himmelskörpern gereist ist und man kann sie deswegen durchaus zur Science Fiction zählen. Lukian hätte seine Kritik an den zeitgenössischen Reiseberichten ja auch ebenso gut anbringen können, wenn er von Reisen in ferne Regionen der Erde geschrieben hätte. Hat er aber nicht; er ist zum Mond, zur Sonne und zu den Sternen gereist!
Und wer weiß, was er auf dem unbekannten Kontinent alles erlebt hat, mit dessen Entdeckung die "Wahren Geschichten" enden. Der letzte Satz dort lautet: "Was ich nun weiter auf dem festen Lande sah und erlebte, soll in den nächsten Büchern erzählt werden". Leider ein falsches Versprechen; diese Bücher gibt es nicht. Aber wie sonst sollte ein Autor eine Geschichte voller Lügen beenden, als auf diese Weise…
Weltpremiere: Sternengeschichten Live am 28. März 2024
Hier gibts Karten zur Show: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse/
Hallo liebe Hörerinnen und Hörer der Sternengeschichten. Ich melde mich wieder einmal außertourlich bei euch; Ankündigungen dieser Art mache ich ja nicht in den Folgen selbst, damit sie euch nicht beim Hören stören. Und ich hoffe, ihr hört euch das hier trotzdem an, weil es vielleicht den einen oder die andere von euch interessieren wird.
Die Sternengeschichten gibt es jetzt seit über 11 Jahren und fast 600 Folgen. Jede Woche erzähle ich euch was und ihr hört es euch an. Das freut mich und das werde ich natürlich auch weiter genau so machen. Aber es wäre nett, auch mal die Menschen zu sehen, die das hier hören. Und vielleicht wollt ihr auch zur Abwechslung mal was sehen und nicht nur zuhören. Deswegen habe ich mich jetzt endlich entschlossen, aus dem Sternengeschichten-Podcast auch eine Show für die Bühne zu machen.
Die Premiere - die Weltpremiere! - von "Sternengeschichten Live" wird am 28. März 2024 in der Schwarzkaue in Herten im Ruhrgebiet stattfinden. Und dort wird natürlich mehr passieren, als das ich einfach nur 10 Minuten lang etwas über das Universum erzähle. Es wird ein ganzer Abend voller Sternengeschichten werden; Sternengeschichten die es im Podcast bis jetzt noch nicht zu hören gegeben hat und vor allem auch nicht nur Geschichten, sondern auch ein wenig Action. Ich werde euch das eine oder andere Experiment zeigen; es wird Bilder zu sehen geben und wenn alle brav sind, werden wir das eine oder andere Experiment am Ende gemeinsam konsumieren können.
Ich will nicht zuviel verraten - aber ihr könnt euch jetzt schon Tickets dafür besorgen, wenn ihr wollt; den Link dazu findet ihr in den Shownotes.
Und ich weiß, dass viele jetzt vielleicht enttäuscht sind, weil die Veranstaltung in Herten stattfindet und nicht näher bei euch. Aber irgendwo muss die erste Show ja stattfinden. Und ich habe nichts dagegen, die Sternengeschichten-Liveshow auch ein zweites, drittes und viertes Mal aufzuführen. Und noch viel öfter danach. Ob das passieren wird, hängt natürlich davon ab, wie gut die Premiere läuft. Und davon, ob Menschen oder Organisationen, die solche Events veranstalten Interesse an dem haben, was ich tue, und mich für weitere Vorstellungen einladen. Aber keine Sorge: Sobald es weitere Vorstellungen geben wird, werde ich das hier bekannt gegeben und überall sonst, wo ich Dinge im Internet bekannt geben kann.
Ich würde mich freuen, wenn wir uns im März in Herten sehen. Und ich freue mich natürlich vor allem, wenn ihr euch die zukünftigen Folgen der Sternengeschichten genau so gerne anhört, wie ihr sie bisher gehört habt. Und weil ich schon mal dabei bin: Wenn ihr gern noch mehr über Astronomie hören wollt, dann könnt ihr gerne auch mal den Podcast "Das Universum" ausprobieren, den ich gemeinsam mit meiner Kollegin Ruth aufnehme - und von dem es im März übrigens auch eine Live-Show anlässlich unserer 100. Folge geben wird. Ihr könnte euch auch den Podcast "Das Klima" anhören, den ich mit Claudia gemeinsam aufnehme und wenn ihr die Sternengeschichten unterstützen wollt, findet ihr die Infos dazu auch in den Shownotes.
Ich wünsche euch allen frohe Feiertage! Erholt euch gut, ruht euch aus und habt auch weiterhin viel Spaß mit den Sternengeschichten!
Hier gibts Karten zur Show: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse/
Hier geht es zum Podcast "Das Universum": https://dasuniversum.podigee.io/
Und hier zu "Das Klima": https://dasklima.podigee.io/
Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter ), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
Sternengeschichten Folge 576: Der Helium-Blitz
Heute geht es um den Helium-Blitz. Das klingt gefährlich und wenn man so will, ist es das auch. Aber keine Sorge: Niemand läuft Gefahr, von einem Helium-Blitz erwischt zu werden. Dort, wo der stattfindet kommt kein Mensch jemals hin. Es geht um einen Vorgang der tief im Inneren eines Sterns stattfindet, und uns aber trotzdem etwas über das gesamte Universum verraten kann.
Aber so weit sind wir noch nicht. Bevor wir überhaupt beim Helium-Blitz ankommen, müssen wir uns ein wenig damit beschäftigen, was ein Stern so treibt. Nämlich Kernfusion! Im Inneren eines Sterns wird Wasserstoff zu Helium fusioniert und die dabei freigesetzte Energie strahlt nach außen. Das ist noch simpel; davon habe ich auch schon in sehr vielen Sternengeschichten erzählt.
Damit diese Kernfusion stattfinden kann, muss es heiß genug sein und der Druck ausreichend hoch. Das ist üblicherweise nur in den innersten Bereichen eines Sterns der Fall weswegen die Fusion wenig überraschend auch nur dort stattfindet. Und auch wenn Sterne sehr groß sind, ist der Wasserstoff im Kern irgendwann verbraucht. Und bevor er verbraucht ist, wird er natürlich immer weniger. Wenn ein Stern ein gewisses Alter erreicht, dann sinkt also auch das Ausmaß an Strahlung, dass er durch Wasserstofffusion in seinem Kern produziert. Wenn weniger Strahlung nach außen kommt, gerät der Stern aus dem Gleichgewicht. Bisher hat die stetige Strahlung der Gravitationskraft entgegen gewirkt, die die großen Mengen an Gas ausüben und die den Stern dazu bringt, in sich zusammen zu fallen. Wenn aber der Wasserstoff zur Neige geht, dadurch weniger Kernfusion stattfindet und die Strahlungsmenge sinkt: Dann wird auch der Gravitationskraft weniger entgegen gesetzt und der Stern beginnt, ein wenig in sich zusammen zu fallen. Sein Inneres verdichtet sich und das führt erstens einmal dazu, dass jetzt auch der Wasserstoff in den noch unverbrauchten Schichten weiter außen um den Kern herum heiß genug wird, um fusionieren zu können.
Vereinfacht gesagt können wir uns den Stern also jetzt so vorstellen: Im Kern ist Helium, das aber nicht viel tut, weil die Temperatur dort nur ausreichend hoch ist, um Wasserstoff zu fusionieren - der aber nicht mehr da ist - und nicht hoch genug ist, um auch Heliumatome fusionieren zu lassen. Um diesen Heliumkern herum sind Schichten aus Wasserstoff, der sehr wohl fusioniert und dabei jede Menge neues Helium produziert. Helium, dass dann aber auch wieder nur rumliegt und nichts tut. Außer natürlich, den Heliumkern immer dichter und dichter zu machen. Solange aus dem Kern keine Strahlung kommt, die durch Fusion erzeugt wird, kann er ja nicht anders, als unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen zu fallen und genau das macht der Heliumkern.
Irgendwann passiert aber etwas besonders: Der Kern entartet. Das klingt seltsam, aber mit "Entartung" ist ein quantenmechanisches Phänomen gemeint. Es geht vor allem um das sogenannte "Pauli-Prinzip", das ich aber jetzt nicht im Detail erklären will. Aber es besagt, dass zwei Teilchen, wie zum Beispiel zwei Elektronen, niemals einen identischen Quantenzustand haben können. Der Quantenzustand wird von den sogenannten Quantenzahlen bestimmt, aber auch das würde jetzt zu weit führen. Im Wesentlichen geht es um die Energie, die die Teilchen haben können und die hängt zum Beispiel davon ab, wo genau sich die Elektronen in der Hülle eines Atoms befinden. In der Praxis bedeutet das alles folgendes: Wenn die Dichte im Heliumkern immer weiter steigt, dann werden die Teilchen immer weiter zusammengequetscht. Eine der Haupterkenntnisse der Quantenmechanik ist aber nun gerade, dass Teilchen wie Elektronen nicht einfach "irgendeinen" Zustand haben können, sondern das Eigenschaften wie die Energie die sie haben können, quantisiert sind. Insbesondere gibt es einen niedrigstmöglichen Zustand und niedriger geht es nicht. Wenn die Materie im Kern also immer weiter zusammengedrückt wird, sind die Teilchen dort irgendwann so nahe aneinander gepackt, dass alle verfügbaren Energielevels besetzt sind.
Das erzeugt eine Art von Druck, den sogenannten Entartungsdruck. Der wirkt jetzt der Gravitationskraft entgegen, aber dieser Druck hängt nicht beziehungsweise so gut wie gar nicht von der Temperatur ab. Wenn der Kern noch weiter komprimiert wird, hat das kaum Einfluss auf die Bewegungsenergie der Teilchen. Es gibt, sehr vereinfacht gesagt, keine verfügbaren Energiezustände mehr. Die Teilchen haben eh schon die höchstmöglichen Energielevel erreicht (und alle darunter auch besetzt). Mehr Energie ändert nichts an der Dichte. Denn normalerweise ist es ja genau das, was passiert: Wenn man Energie in einen Haufen Teilchen steckt, zum Beispiel in dem man sie komprimiert und dadurch erwärmt, bewegen sie sich schneller und diese Bewegung übt einen Druck aus (was man zum Beispiel gut daran sehen kann, dass die Luft sich in einer Luftmatratze ausdehnt, wenn sie in der prallen Sonne liegt und die Matratze ebenfalls viel praller macht als wenn sie im Schatten liegen würde). Die entartete Materie im Heliumkern dehnt sich aber nicht aus, wenn sie heißer wird. Der Kern bleibt also dicht, und weil von außen immer weiter neues Helium aus der Wasserstofffusion nachgeliefert wird, steigt die Temperatur immer weiter an. Irgendwann erreicht sie ungefähr 100 Millionen Grad und das ist der Zeitpunkt, an dem der Helium-Blitz stattfindet.
Ja, ich weiß, das war jetzt sehr viel Quantenmechanik. Aber manchmal ist es eben auch in der Astronomie nötig, sich mit dem Verhalten der kleinsten Teilchen zu beschäftigen, wenn man verstehen will, wie die wirklich großen Dinge funktionieren. Jetzt aber zurück zum Helium-Blitz. Bei Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad können die Helium-Atome endlich fusionieren. Die Temperatur im Kern steigt schlagartig enorm stark an, aber - wie ich vorhin erklärt habe - an der Dichte ändert sich dadurch nichts. Je höher aber die Temperatur ist, desto effektiver kann das Helium fusionieren. Wir kriegen also einen sich selbst verstärkenden Prozess: Die Heliumfusion erhöht die Temperatur und die erhöhte Temperatur erhöht die Heliumfusion - und so weiter. Und weil die Kernmaterie immer noch entartet ist und ihr Volumen nicht ändert, kann sich dadurch auch kein Gegendruck aufbauen; sie kann sich nicht ausdehnen, abkühlen und dadurch den Prozess stabilisieren.
Das Resultat: In extrem kurzer Zeit wird im Kern des Sterns eine enorm große Menge an Strahlung freigesetzt. Und "extrem kurz" heißt hier auch sehr kurz. Gerade weil so viel Helium fusioniert wird, ist es auch schnell wieder verbraucht und die enormen Mengen an Strahlung sorgen dafür, dass die entartete Materie wieder "normal" wird. Das ganze ist nach ein paar Minuten bis Stunden vorbei. Also nicht die komplette Phase der Helium-Fusion, die dauert viel länger, die fängt jetzt quasi erst an. Erst nach dem Helium-Blitz kann der Stern das restliche Helium (und das, was von der Wasserstofffusion in den äußeren Schichten nachgeliefert wird) kontrolliert fusionieren; erst jetzt stellt sich wieder ein Gleichgewicht aus Gravitationskraft und dem Druck der nach außen dringenden Strahlung ein.
Und jetzt wollen natürlich alle gerne wissen, wie so ein Helium-Blitz aussieht, oder? Er sieht leider gar nicht aus. Man kann davon tatsächlich nichts sehen. Fast die ganze Energie wird durch die Ausdehnung des Kerns aufgebraucht, sobald der Zustand der Entartung aufgehoben ist und das was übrig bleibt, wird von den weiter außen liegenden Schichten des Sterns absorbiert. Von außen sieht man also tatsächlich nichts - aber wir wissen, dass so ein Blitz stattfinden muss, weil das direkt aus den Eigenschaften des Sterns und den quantenmechanischen Eigenschaften der Materie folgen muss. Wir wissen auch, dass das nur Sterne können, die nicht zu viel Masse haben. Schwere Sterne haben ausreichend viel Masse, um die für eine Heliumfusion nötige Temperatur in ihrem Kern zu erreichen, ohne dass die Materie dort entarten muss. Da fängt also einfach die Heliumfusion an, ohne Helium-Blitz. Und bei Sternen, die zu wenig Masse haben, wird es nie heiß genug für eine Heliumfusion. Nur bei einer Masse, die circa zwischen der halben und der zweieinhalbfachen Sonnenmasse liegt, kriegt man einen Helium-Blitz. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass unsere Sonne genau so ein blitzender Stern sein wird. Aber erst weit in der Zukunft; diese Phase erreicht sie erst in 5 bis 6 Milliarden Jahren.
Der Helium-Blitz ist aber nicht nur eine spannende Phase in der Entwicklung eines Sterns. Er ist auch recht praktisch. So ein Helium-Blitz passiert ja immer unter den gleichen Bedingungen, das liegt an all der Quantenmechanik von der wir vorhin gesprochen haben. Das heißt, die Sterne, die so einen Blitz durchlaufen, tun das alle auch zum mehr oder weniger selben Zeitpunkt ihrer Entwicklung und haben deswegen auch eine mehr oder weniger identische Helligkeit. Zumindest wenn man sie im Infrarotlicht betrachtet - aber jetzt sind wir eigentlich schon bei einem neuen Phänomen angelangt. Es nennt sich die "Spitze des Roten Riesenastes" oder auf englisch "Tip of the Red Giant Branch" und ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten. Aber eben genau weil Sterne in ihrer Entwicklung zum Zeitpunkt des Helium-Blitzes circa gleich hell sind und weil nach dem Helium-Blitz mit der stabilen Heliumfusion eine grundlegend andere Phase in ihrer Entwicklung stattfindet, kann man das nutzen, um ihre Entfernung zu bestimmen. Man muss nur einen Haufen Sterne beobachten, die alle mehr oder weniger gleich weit von uns entfernt sind, also zum Beispiel Teil eines Kugelsternhaufens oder einer Galaxie. Wenn ich dann deren Temperatur und Leuchtkraft bestimme, kann ich daraus erkennen, in welcher Phase ihrer Entwicklung sie sich befinden und die identifizieren, die gerade mit der Heliumfusion begonnen haben. Und weil wir wissen, wie hell sie zum Zeitpunkt des kurz davor stattgefundenen Helium-Blitzes gewesen sind, können wir diese Helligkeit mit der vergleichen, die wir tatsächlich beobachten und die umso geringer sein wird, je weiter der Stern von uns entfernt ist. Anders gesagt: Dank des Helium-Blitzes wissen wir, wie hell der Stern sein sollte. Weil er aber in einer bestimmten Entfernung von uns ist, erscheint er uns weniger hell und aus dem Ausmaß dieser Abschwächung folgt direkt die Entfernung.
Das, was eigentlich unsichtbar im Kern eines Sterns stattfindet, erlaubt es uns also, herauszufinden, wie weit Galaxien von uns entfernt sind. Da soll noch mal jemand sagen, die Astronomie wäre keine kreative Wissenschaft!
Sternengeschichten Folge 575: Omega Centauri
Betrachtet man das Sternbild des Zentauren, dann sieht man an seinem Rücken einen sehr schwach leuchtenden nebligen Fleck. Und wenn man diesen Fleck wirklich betrachten will, dann sollte man auch wissen, dass das Sternbild von Mitteleuropa aus so gut wie gar nicht sichtbar ist; am besten ist es also, man befindet sich auf der Südhalbkugel. Idealerweise hat man auch eine Sternkarte mit dabei, damit man in den vielen Sternen die Figur des mythologischen Wesens, halb Mensch, halb Pferd erkennen kann und weiß, wo der Rücken ist. Und ein Fernglas schadet auch nicht, denn der schwach leuchtende neblige Fleck leuchtet wirklich nur sehr schwach, wenn man ohne Hilfsmittel hinsieht. Aber wenn dann alles klappt, kann man sich darüber freuen, den Kugelsternhaufen Omega Centauri gesehen zu haben!
Ich habe ihn schon in den Folgen 444 und 516 kurz erwähnt, aber weil es ein wirklich spannendes Himmelsobjekt ist, lohnt es sich, auch einmal länger darüber zu reden und genau das werde ich jetzt tun. Das Sternbild des Zentauren kannte man schon in der Antike und der griechische Astronom Ptolemäus hat in seinem Werk "Almagest" schon vor fast 2000 Jahren darauf hingewiesen, dass da über der Schulter des Wesens ein leuchtender Punkt ist. Im 17. Jahrhundert bekam das Objekt dann vom deutschen Astronom Johann Bayer die Bezeichnung "Omega Centauri", was eigentlich eine Bezeichnung für einen Stern ist. Aber Bayer hatte für seine Arbeit auch noch kein Teleskop zur Verfügung - der englische Astronom Edmond Halley ein paar Jahrzehnte später aber schon. Und er stellte korrekt fest, dass es sich bei Omega Centauri nicht um einen Stern handelt, als er das Objekt im Jahr 1677 bei seinen Beobachtungen von der Südhalbkugel aus beobachtet hat.
Im 18. Jahrhundert wurde es dann als "Nebel" in den entsprechenden astronomischen Listen geführt und erst 1826 wurde Omega Centauri als das bezeichnet, was er wirklich ist: Nämlich ein Kugelsternhaufen. Der schottische Astronom James Dunlop schrieb in seiner Arbeit "Ein Katalog von Nebeln und Haufen in der südlichen Hemisphäre", dass es sich dabei um eine "wunderschöne Kugel aus Sternen" handelt, die zur Mitte hin immer dichter werden.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie ein Kugelsternhaufen aussieht. Der Name ist definitiv nicht falsch gewählt: Es ist eine kugelförmige Ansammlung von Sternen. In der Mitte stehen sie sehr dicht beeinander, zum Rand hin werden es immer weniger. Alle Sterne eines Haufens sind durch ihre wechselseitigen Gravitationskräfte aneinander gebunden und man findet diese Objekte meistens in den äußersten Bereichen einer Galaxie. Sie und die Sterne aus denen sie bestehen sind typischerweise sehr alt und ebenso typischerweise findet man in so einem Haufen ein paar hunderttausend Sterne.
Omega Centauri ist aber alles andere als typisch. Dieser Haufen hat einen Durchmesser von 150 Lichtjahren und besteht aus gut 10 Millionen Sternen. Damit ist er der größte Kugelsternhaufen in unserer Milchstraße und auch der hellste, den wir am Nachthimmel sehen können und das, obwohl er gut 16.000 Lichtjahre von uns entfernt ist. 10 Millionen Sterne in einer Kugel von 150 Lichtjahren Durchmesser: Das ist schon einiges. In der Zentralregion von Omega Centauri stehen die Sterne wirklich dicht an dicht. Der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Sternen dort liegt bei circa einem Zehntel Lichtjahr. Der Abstand der Sonne von ihrem nächsten Nachbarstern beträgt 4 Lichtjahre.
Wir wissen noch nicht genau, wie Kugelsternhaufen entstehen. Aber wir gehen davon aus, dass die Sterne dort alle mehr oder weniger zur gleichen Zeit aus der selben riesigen kosmischen Gaswolke entstanden sind. Das passt auch zu den Beobachtungen, die zeigen, dass die Sterne in den meisten Kugelsternhaufen alle mehr oder weniger gleich alt sind. Und wieder zeigt sich, dass Omega Centauri alles andere als typisch ist. Hier gibt es Sterne diverser Generationen und das sagt uns, dass Omega Centauri vielleicht gar kein Kugelsternhaufen ist, sondern nur so aussieht als wäre er einer.
Wir wissen ja auch, dass die Milchstraße in der Vergangenheit immer wieder kleinere Galaxien verschluckt hat. In der Umgebung großer Galaxien gibt es jede Menge kleinere Zwerggalaxien. Wenn die sich zu nahe kommen, kann die größere Galaxie die kleineren Sternensysteme mit ihrer Gravitationskraft regelrecht auseinander reißen. Ich habe in Folge 177 ausführlich über diese Prozesse gesprochen - aber am Ende so eines Vorgangs verteilen sich die Sterne der Zwerggalaxie in der Milchstraße und es bleiben kaum Spuren zurück. Wir können aber mit etwas Glück noch "Sternströme" beobachten, also quasi lange Ketten aus Sternen, die sich um und durch die Milchstraße winden und die die letzten Überbleibsel sich auflösenden Zwerggalaxien sind. Wenn so eine Zwerggalaxie aber einen sehr dicht mit Sternen besiedelten Zentralbereich hat, kann der die Auflösung vielleicht überleben. Eben weil die Sterne dort so dicht an dicht stehen, halten sie sich durch ihre Gravitationskraft quasi gegenseitig fest. Die weiter außen liegenden Sterne der Zwerggalaxie werden im Laufe der Zeit abgelöst und verteilen sich, aber der Zentralbereich bleibt übrig und sieht dann aus wie - ja, eine große Kugel aus Sternen. Genau so also, wie Omega Centauri. Und weil es eben kein Kugelsternhaufen ist, sondern die zentrale Region einer ehemaligen Galaxie, findet man in Omega Centauri nicht nur mehr Sterne als erwartet sondern auch Sterne mit unterschiedlichem Alter.
Im Jahr 2019 wurde dann tatsächlich auch ein Sternstrom entdeckt, der sich ganz in der Nähe von Omega Centauri befindet. Die Sterne, die diesen Strom bilden haben ein ähnliches Alter wie die in Omega Centauri und Computersimulationen der Bewegung der Sterne haben gezeigt, dass dieser Strom tatsächlich seinen Ursprung in Omega Centauri hat. Der Sternstrom hat den Namen "Fimbulthul" bekommen, nach einem Fluss aus der nordischen Mythologie und mit dieser Entdeckung ist ziemlich klar, dass Omega Centauri wirklich der letzte überlebende Rest einer ehemaligen Galaxie ist.
Und wenn das so ist: Sollte man dort nicht noch etwas anderes finden? In den Zentren der großen Galaxien befindet sich ja ein supermassereiches schwarzes Loch. Steckt in Omega Centauri also auch eines drin? Na ja - das ist schwer zu sagen. Wir wissen, dass supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren der GROSSEN Galaxien sind, also in Galaxien wie der Milchstraße oder der Andromedagalaxie. Bei Zwerggalaxien ist das nicht so klar. Wenn, dann sind es auf jeden Fall schwarze Löcher, die deutlich weniger Masse haben. Nicht ein paar Millionen oder Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne, sondern vielleicht nur ein paar zehntausend mal so viel.
Im Jahr 2008 hat man sich die Bewegung der Sterne im innersten Bereich von Omega Centauri ganz genau angesehen. Wie schnell sich Sterne in so einem Haufen bewegen hängt ja unter anderem von der Gesamtmasse des Haufens ab. Die Beobachtungen haben aber gezeigt, dass sich die Sterne in Omega Centauri schneller bewegen als sie es sollten, wenn da wirklich nur die Menge an Sternen drin ist, die wir sehen können und sonst nichts. Um die Bewegung der Sterne zu erklären fehlen noch circa 40.000 Sonnenmassen, die sich im Zentrum des Haufens befinden müssen. Oder anders gesagt: Im Zentrum von Omega Centauri befindet sich ein schwarzes Loch mit der 40.000fachen Masse der Sonne.
Solche Objekte nennt man "intermediäre schwarze Löcher" oder "mittelgroße schwarze Löcher" um sie von den stellaren schwarzen Löcher zu unterscheiden, die beim Tod eines großen Sterns entstehen und von den supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der großen Galaxien abzugrenzen. Wir haben bis jetzt noch nicht so viele von diesen mittleren schwarzen Löchern entdeckt, was schade ist. Denn wir wissen ja immer noch nicht genau, wie die supermassereichen schwarzen Löcher entstehen. Aber wenn wir wüssten, dass es in großen Kugelsternhaufen häufiger solche mittleren schwarzen Löcher gibt, wäre das eine spannende Information. Denn es ist klar, dass die supermassereichen schwarzen Löcher nicht direkt entstehen können. Nach allem was wir wissen ist es nicht möglich, dass da irgendwas ist, was in sich zusammenfällt und am Ende ein schwarzes Loch mit der millionen- oder milliardenfachen Sonnenmasse bildet. Andererseits dauert es auch wirklich lange, bis ausreichend viele kleine schwarze Löcher miteinander kollidieren, um so ein supergroßes Ding zu formen. Wenn es aber eine große Anzahl mittlerer schwarzer Löcher gibt, könnten die vielleicht der Ausgangspunkt für die Entstehung der supermassereichen schwarzen Löcher sein.
Das mittelgroße Loch von Omega Centauri würde jedenfalls gut ins Bild passen; es hätte genau die Masse, die man für eine Zwerggalaxie erwartet. Allerdings haben spätere Arbeiten gezeigt, dass Omega Centauri vielleicht doch kein schwarzes Loch hat. Das liegt daran, dass man nicht exakt bestimmen kann, wo sich das Zentrum des Haufens tatsächlich befindet. Und je nachdem ändern sich auch die Berechnungen der Sternbewegungen um das Zentrum herum. Vielleicht passt mit der Bewegung also eh alles und es braucht kein schwarzes Loch im Zentrum. Oder es gibt doch eines, aber mit weniger Masse als gedacht.
Klar ist auf jeden Fall: Omega Centauri ist ein äußerst spannendes Objekt, egal ob da jetzt ein schwarzes Loch drin ist oder nicht. Es ist der letzte Rest einer fremden Galaxie, der sich mitten in unserer eigenen Milchstraße befindet - da lohnt es sich, genauer hinzusehen.
Sternengeschichten Folge 574: Extreme transneptunische Objekte
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um extreme transneptunische Objekte. Das sind Objekte, die sich hinter der Umlaufbahn des Neptun befinden, aber das extrem! Aber natürlich wollen wir uns das genauer ansehen, also: Die Objekte um die es geht, sind Asteroiden. Das sich davon hinter der Umlaufbahn des Neptuns jede Menge befinden, wissen wir. Pluto ist das prominenteste Mitglied - er befindet sich im Kuiper-Asteroidengürtel, von dem schon die komplette Folge 174 gehandelt hat. Der Kuipergürtel beginnt bei circa 30 Astronomischen Einheiten, als dem 30fachen Abstand zwischen Erde und Sonne. 30 Astronomische Einheiten ist auch der mittlere Abstand des Neptun von der Sonne; seine Umlaufbahn ist also die innere Grenze des Kuipergürtels. Die äußere Grenze befindet sich circa 50 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt. Hinter dem Kuipergürtel geht es aber noch weiter. Es folgt die "gestreute Scheibe" von der ich in Folge 320 mehr erzählt habe und irgendwann die Oortsche Wolke, die das Thema von Folge 321 war. Dahinter ist dann aber wirklich Schluss.
Wenn es also heute um extreme transneptunische Objekte geht, dann ist auf jeden Fall mal klar, dass wir von Asteroiden sprechen, die sich hinter der Umlaufbahn des Neptun befinden. Und es ist klar, dass wir es nicht mit dem Kuipergürtel zu tun haben, denn wir wollen von Objekten sprechen, die sich extrem weit von der Sonne entfernt befinden. Ihr mittlerer Abstand von der Sonne liegt bei mindestens 150 Astronomischen Einheiten, was aber nicht heißt, dass sie immer so weit entfernt sind. Viele Asteroiden und insbesondere die extremen transneptunischen Objekte befinden sich auf stark elliptischen Umlaufbahnen. Das heißt, dass sie am sonnenfernsten Punkt ihrer Umlaufbahn extrem weit von der Sonne entfernt sind; am sonnennächsten Punkt aber sehr viel näher sein können. Den sonnennächsten Punkt nennt man "Perihel" und das Perihel kann man auch benutzen, um die extremen transneptunischen Objekte einzuteilen. Wenn sie ein Perihel haben, das zwischen 38 und 45 Astronomischen Einheiten liegt, nennt man sie ESDOs. Das steht für "extrem scattered disc objects" oder "extreme Objekte der gestreuten Scheibe". Sie befinden sich vermutlich deswegen dort wo sie sich befinden, weil sie von der Gravitationskraft des Neptuns dorthin geschleudert worden sind. Sie haben sich also früher sehr viel näher an der Sonne befinden; dort wo sich heute auch noch die ganzen Asteroiden des Kuipergürtels befinden. Irgendwann sind sie aber ein bisschen zu nahe an Neptun geraten und dessen Gravitationskraft hat ihre Umlaufbahn gestört. Von ihren ursprünglich kreisförmigen Bahnen sind sie auf stark elliptische Bahnen geraten, die sie nun weit aus dem äußeren Sonnensystem hinaus führen. Weil sie aber am Perihel immer noch vergleichsweise nahe an Neptun herankommen, ist ihre Bahn immer noch ein wenig unter dem Einfluss des Gasriesen.
Die Asteroiden, deren Perihel weiter von der Sonne entfernt ist als 45 Astronomische Einheiten, nennt man EDDOs, was für "extreme detached disc objects" oder "extrem losgelöste Scheibenobjekte" steht. Sie sind kaum noch von Neptun beeinflusst und wenn das Perihel der Asteroiden größer als 50 bis 60 Astronomische Einheiten ist, dann kann Neptun überhaupt keinen Einfluss mehr auf ihre Umlaufbahn nehmen und man nennt diese Gruppe die "Sednoiden", nach dem Asteroid Sedna, den wir uns gleich noch ein wenig genauer ansehen werden.
Sedna gehört mit einem Durchmesser von gut 1000 Kilometern zu den größten bekannten extremen transneptunischen Objekten. Der Asteroid hat einen mittleren Abstand zur Sonne von 540 Astronomischen Einheiten. Sein Perihel liegt bei 76 Astronomischen Einheiten und das Aphel, also der sonnenfernste Punkt der Umlaufbahn bei über 1000 Astronomischen Einheiten! Das ist schon ziemlich extrem, es geht aber noch extremer. Da ist zum Beispiel der Asteroid mit dem schönen Namen Leleākūhonua. Er wurde am 13. Oktober 2015 entdeckt, hat einen mittleren Abstand von der Sonne von 1100 Astronomischen Einheiten und entfernt sich auf seiner Bahn bis zu 2000 Astronomischen Einheiten von ihr. Mit einem Durchmesser von circa 300 Kilometern ist er nicht so groß wie Sedna, aber auch kein kleiner Felsbrocken mehr. Es gibt auch Asteroiden, die sich noch weiter von der Sonne entfernen; zum Beispiel 2019 EU5 mit einem Aphel von knapp 2400 Astronomischen Einheiten oder 2014 FE72 mit einem Aphel, dass bei über 3000 Astronomischen Einheiten liegt. Beide werden aber nicht zu den Sednoiden gezählt, weil ihr Perihel zu nahe an Neptun liegt - was gleichzeitig auch bedeutet, dass diese beiden Brocken wirklich sehr extrem langgestreckte Umlaufbahnen haben.
Aber lassen wir die Himmelsmechanik mal beiseite. Ich habe vorhin schon erklärt, dass die ESDOs und EDDOs, also diejenigen extremen transneptunischen Objekte die noch so nahe an Neptun herankommen, um von ihm beeinflusst zu werden, ihren Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach im Kuipergürtel haben, aus dem sie eben durch den Einfluss von Neptun hinausgeschleudert worden sind. Bei den Sednoiden ist die Sache nicht ganz so klar. Sie sind so weit entfernt, dass es schwer ist, ihre Existenz und die Form ihrer Umlaufbahnen durch den Einfluss von Neptun oder den anderen Planeten des Sonnensystems zu erklären. Auch die Sednoiden haben im Allgemeinen sehr stark elliptische Umlaufbahnen und das kann nicht von Anfang an so gewesen sein. Normalerweise entstehen Himmelskörper auf näherungsweise kreisförmigen Bahnen und wenn sie die heute nicht mehr haben, hat etwas dazu geführt, dass das so ist. Bei den Sednoiden werden drei unterschiedliche Hypothesen diskutiert.
Es könnte zum Beispiel sein, dass früher ein anderer Stern vergleichsweise nahe an der Sonne vorbeigeflogen ist. Solche Begegnungen gibt es immer wieder mal; mal mehr und mal weniger nahe. Obwohl "immer wieder" und "mehr" und "weniger nahe" hier nach astronomischen Maßstäben zu verstehen ist. Solche Vorbeiflüge anderer Sterne passieren nicht alle paar Jahre, sondern eher alle paar Millionen Jahre. Und "nahe" heißt nicht, dass sie bis ins innere oder auch ins äußere Sonnensystem vordringen - dann wären die Planeten schon längst von ihren stabilen Umlaufbahnen gestört worden und es würde uns nicht mehr geben. "Nahe" heißt, dass ein anderer Stern vielleicht im Abstand von einem Lichtjahr oder auch einem halben Lichtjahr vorbei fliegt. Nahe genug, um Einfluss auf die Asteroiden in den äußersten Bereichen zu nehmen, aber nicht so nahe, um die Bahnen der Planeten durcheinander zu bringen. In der Frühzeit des Sonnensystems könnten solche Vorbeiflüge besonders häufig gewesen sein, denn die Sonne ist ja vermutlich nicht alleine entstanden sondern als Teil eines Sternhaufens, der aus dutzenden oder hunderten Sternen bestand. Damals waren die Sterne alle noch nahe beieinander; erst später haben sie sich überall in der Milchstraße verteilt. Ein nahe Begegnung zwischen der jungen Sonne und einem ihrer Geschwistersterne könnte die Sednoiden auf ihre heutige stark elliptische Bahn gebracht haben.
Es könnte aber auch sein, dass die Sednoiden gar nicht im Sonnensystem entstanden sind, sondern bei einem anderen Stern. Und bei einer nahen Begegnung hat die Sonne einfach ein paar seiner Asteroiden eingefangen.
Oder es gibt hinter der Umlaufbahn des Neptun nicht nur jede Menge Asteroiden sondern auch mindestens einen Himmelskörper, der so groß ist, dass man ihn als Planet bezeichnen kann. Dieser Planet könnte mit seinem gravitativen Einfluss dafür gesorgt haben, dass die Sednoiden ihre heutige Umlaufbahn bekommen haben.
Alle drei Hypothesen sind nicht unplausibel. Die letzte der drei hat im Jahr 2016 jede Menge Aufmerksamkeit bekommen, als die Analyse der Umlaufbahnen der bekannten extremen transneptunischen Objekte Hinweise auf genau so eine Störung durch einen Planeten geliefert hat. Ich habe von diesem hypothetischen "Planet Neun" in Folge 322 ausführlich erzählt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in der chaotischen Zeit der Planetenentstehung ein großer Himmelskörper, der eigentlich viel näher an der Sonne entstanden ist, weit hinaus ins äußere Sonnensystem geschleudert worden ist und seitdem dort die Bahnen der fernen Asteroiden durcheinander bringt. Aber solange man so einen Planeten nicht direkt beobachten und seine Existenz damit zweifelsfrei belegen kann, bleiben uns nur indirekte Hinweise.
Und die kriegen wir nur, wenn wir noch mehr extreme transneptunische Asteroiden und vor allem noch mehr Sednoiden entdecken. Was nicht einfach ist! Wir haben nur dann eine Chance, wenn sich so ein Asteroid gerade in den sonnennahen Bereichen seiner Umlaufbahn befindet. Ein Felsbrocken, selbst wenn er ein paar hundert Kilometer groß ist, ist für uns auf der Erde quasi unsichtbar, wenn er sich ein paar hundert oder gar tausend Astronomische Einheiten entfernt befindet. Und leider - das bestimmen die Gesetze der Himmelsmechanik - bewegt sich ein Objekt umso schneller, je näher es der Sonne kommt. Anders gesagt: Ein Asteroid auf einer extrem langgestreckten Bahn verbringt sehr viel Zeit dort, wo wir ihn nicht entdecken können und nur sehr wenig in den Bereichen, wo wir eine Chance haben, ihn zu finden.
Aber wir werden natürlich auch immer besser bei der Beobachtung der fernen Himmelkörper. Wenn wir eine ausreichend große Menge gefunden haben, können wir ihre Umlaufbahnen untersuchen. Und glücklicherweise sagen die drei Hypothesen zur Entstehung der Sednoiden unterschiedliche Eigenschaften der Bahnen voraus. Wenn ein Planet Neun für ihre Bahnen verantwortlich ist, sollten sie alle ähnliche Werte für ihr Perihel haben. Wenn sie von einem anderen Stern stammen, sollten wir das an ihrer Bahnneigung erkennen können und wenn es die Störung eines anderen Sterns war, dann sollte sich gar keine Gemeinsamkeiten bei den Umlaufbahnen der Sednoiden zeigen. Auf jeden Fall ist eines klar: Die Erforschung der extremen transneptunischen Objekte kann uns einiges über die Frühzeit unseres Sonnensystems verraten. Mike Brown, einer der Entdecker von Sedna hat deswegen auch gesagt: "Sedna ist ein Fossil aus der Frühzeit des Sonnensystems". Und je mehr solcher Fossilien wir finden, desto besser werden wir die Vergangenheit verstehen!
Sternengeschichten Folge 573: Die ewige Inflation
Ewige Inflation! Das klingt nach einem sehr deprimierenden Konzept der Wirtschaftswissenschaft. Ist es aber natürlich nicht - es geht um Kosmologie. Wir werden heute beim Urknall anfangen und am Ende feststellen, dass der Urknall vielleicht gar nicht der Anfang war sondern immer noch stattfindet und unser Universum nicht das einzige sein könnte, das existiert. Und wie immer, wenn es um Kosmologie geht, wird die Angelegenheit ein wenig verwirrend werden. Aber keine Sorge, wir kommen da schon gut durch. Bis zum Ende. Oder zum Anfang, je nachdem.
Schauen wir uns zuerst mal das an, was in der Kosmologie als "Inflation" bezeichnet wird. Ich habe darüber schon ausführlich in den Folgen 69 und 70 gesprochen. Aber das ist lange her, deswegen lohnt sich vielleicht ein kurzer Rückblick. Seit den Arbeiten von Albert Einstein, Edwin Hubble und ihren Kolleginnen und Kollegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war klar, das Universum expandiert. Es dehnt sich aus und war demnach in der Vergangenheit kleiner als heute. Und irgendwann in der Vergangenheit gab es einen Punkt, an dem es ein Punkt war. Oder anders gesagt: Das Universum hat einen Anfang in der Zeit. Vor 13,8 Milliarden Jahren war alles was wir heute sehen in einem extrem kleinen Raum verdichtet; alle Orte waren ein Ort und ausgehend von diesem extrem dichten und heißen Zustand hat sich das Universum zu dem Kosmos ausgedehnt, den wir jetzt sehen können.
Es gibt sehr viele Beobachtungsdaten, die diesen Befund stützen und ich habe darüber schon in vergangenen Folgen gesprochen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man aber festgestellt, dass diese Urknalltheorie auch ein paar Probleme hat. Wir sehen zum Beispiel auf großen kosmologischen Skalen keinerlei Raumkrümmung. Das Universum erscheint uns völlig flach - was zwar nicht unmöglich ist, aber sehr unwahrscheinlich. Die, wenn man so viel, Form des Universums, wird einerseits durch die Menge an Materie und Energie bestimmt, die es enthält, denn die sorgt ja dafür, dass der Raum sich krümmt. Andererseits aber auch durch die Geschwindigkeit der Expansion. Und um ein Universum zu kriegen, das flach ist und nicht in die eine oder andere Richtung gekrümmt, müssten die Anfangsbedingungen beim Urknall enorm exakt aufeinander abgestimmt gewesen sein. Es gibt noch ein paar andere ähnliche Probleme, aber die lasse ich jetzt mal weg, bevor es zu kompliziert wird.
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren hat man dann eine Lösung für diese Probleme gefunden. Der sowjetische Kosmologe Alexei Starobinsky und vor allem und unabhängig davon der Amerikaner Alan Guth hatten die Idee der kosmologischen Inflation. Und natürlich waren noch viele andere Forscherinnen und Forscher beteiligt, aber ein historischer Überblick über diese Forschung muss auf eine andere Folge der Sternengeschichten warten. Die Grundidee ist eigentlich ganz simpel: Kurz nach dem Urknall hat sich das Universum für eine sehr kurze Phase unvorstellbar schnell ausgedehnt. Warum löst das das Problem, das ich eben beschrieben habe? Wenn ein Raum gekrümmt, aber absurd groß ist, dann merkt man nichts von der Krümmung. Man kann das an der Erdoberfläche sehen: Die ist definitiv gekrümmt, aber weil die Erde im Vergleich zu uns Menschen so groß ist, erscheint sie uns flach. Und weil das Universum sich eben in seiner inflationären Phase so absurd stark ausgedehnt hat, spielt es keine Rolle, wie stark oder schwach die Krümmung davor war. Danach war es auf jeden Fall groß genug, so dass es uns heute als flach erscheint.
Die ganze Angelegenheit ist natürlich deutlich komplexer als "Das Universum hat sich in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt". Das fängt schon bei "sehr kurz" und "sehr schnell" an. Die Phase der Inflation hat 10 hoch minus 35 Sekunden nach dem Urknall begonnen. Darunter kann man sich nichts vorstellen. 0,000… insgesamt 34 Nullen und dann 1 Sekunden nach dem Urknall. Und gedauert hat die Phase bis ungefähr 10 hoch minus 33 oder 10 hoch minus 30 Sekunden nach dem Urknall. Kann man sich auch nicht vorstellen. In dieser absurd kurzen Zeit ist das Universum um das 10 hoch 26fache größer geworden. Also 100 Quadrillionen mal größer, als es vorher war - was sich aber auch niemand vorstellen kann. Deswegen also: in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt".
So weit, so gut. Aber es bleiben trotzdem auf jeden Fall noch mindestens zwei Fragen offen. Erstens: Warum hat das Universum angefangen, sich inflationär auszudehnen? Und zweitens: Warum hat es dann wieder damit aufgehört? Damit sind wir genau bei den zentralen Punkten für diese Folge. Punkte, für die man leider sehr viel sehr komplexe Mathematik benötigen würde, um sie wirklich detailliert zu erklären. Ich probiere es also jetzt mal in einer sehr, sehr vereinfachten Form. Wir müssen dafür mit dem Begriff des "falschen Vakuums" anfangen. Wir wissen aus der Quantenmechanik, dass ein Vakuum ja nie wirklich leer ist. Aufgrund der Quantenfluktuationen steckt immer ein bisschen Energie im Vakuum, denn auch wenn dort absolut nichts drin ist, gibt es immer noch die diversen Quantenfelder, die ja quasi immer da sind. Das sind die Dinger, die ich schon in Folge 247 genauer erklärt habe; die Grundlage der Materie, vereinfacht gesagt. Wenn ausreichend viel Energie in ein Quantenfeld gesteckt wird, kann ein Teilchen entstehen. Wenn nicht, dann nicht - aber sie sind immer da. Jetzt kann so ein Vakuum theoretisch verschiedene mögliche Energiezustände haben. Das "wahre Vakuum" wäre eines, das sich im niedrigstmöglichen Zustand befindet. Und ein falsches Vakuum ist dann logischerweise in einem Zustand, in dem die Energie höher ist. Man kann das mit einem Ball vergleichen. Der will auch immer einen Zustand mit möglichst wenig Energie einnehmen oder anders gesagt: Wenn er kann, dann rollt der Ball nach unten. Stellen wir uns jetzt einen Berg vor, der auf halben Weg nach unten eine kleine Grube hat. Wenn der Ball am Gipfel liegt und einen kleinen Schubs bekommt, wird er nach unten rollen. Wenn er dabei in die Grube fällt, wird er dort bleiben, auch wenn er den Zustand mit der niedrigstmöglichen Energie noch nicht erreicht hat. Man muss ihn nochmal anschubsen, damit er aus der Grube rauskommt und bis ganz nach unten ins Tal rollt. So ähnlich ist es auch mit dem Vakuum, auch wenn es schwer ist sich vorzustellen, wie man ein Vakuum aus einer Grube schubsen kann…
Man geht bei der Theorie der Inflation jedenfalls davon aus, dass es ein spezielles Feld gegeben hat bzw. gibt, das Inflatonfeld. Je nachdem wie dieses Feld sich verändert, kann es dazu führen, dass sich das Universum ausdehnt oder nicht beziehungsweise absurd schnell ausdehnt. Der Zustand des Feldes hängt, sehr vereinfacht gesagt, von der Temperatur ab und den energetisch günstigstens Zustand des Feldes nennt man das "wahre Vakuum". Wenn man jetzt davon ausgeht, dass dieses Inflatonfeld kurz nach dem Urknall in einem falschen Vakuum war, dann könnten zufällige Quantenfluktuationen dafür gesorgt haben, dass es in ein wahres Vakuum oder ein anderes falsches Vakuum mit niedriger Energie als zuvor gewechselt ist. Dadurch hat sich der Zustand des Feldes so weit geändert, dass eine exponentielle Expansion des Universums ausgelöst worden ist: In diesem Moment ist die Inflationsphase gestartet. Bei diesem Übergang von einem Vakuumzustand in den anderen hat das Inflationfeld Energie abgegeben und zwar in Form von Strahlung und Materie. Und diese Materie, die jetzt im Universum vorhanden war, hat die Inflation wieder eingebremst und beendet, so dass der Kosmos ab da wieder "normal" expandiert hat, also nicht mehr exponentiell schnell.
Wie gesagt: Das war eine sehr stark vereinfachte Erklärung der Inflation. In Wahrheit hat man sehr lange gebraucht um zu verstehen, was da passiert und musste unterwegs mehrere Probleme lösen. Die allererste Idee zur Inflation hat zum Beispiel keinen vernünftigen Mechanismus gehabt, um die Inflation nach dem Start wieder zu beenden. Erst später fand man einen Weg, wie man das hinbekommt und als man sich diese "neue Inflation", wie die Theorie mittlerweile genannt hat, genauer angesehen hat, ist man auf ein spannendes Phänomen gestoßen. Die Inflation muss nämlich nicht überall zu Ende gehen. Es können sich - wieder sehr vereinfacht gesagt - durch die zufälligen Quantenfluktuationen quasi einzelne "Blasen" bilden, in denen das Inflatonfeld gerade den passenden Wert hat, um die Inflation zu beenden. Anderswo geht sie aber ungehemmt weiter. Das, was wir "unser Universum" nennen, wäre dann eben nur eine dieser Blasen, in denen die Inflation geendet hat und dadurch Strahlung, Materie und all das andere produziert hat. In der langsamer expandierenden Blase konnte sich dann der Kosmos entwicklen, den wir heute sehen und auf die Weise entwickeln, die wir durch unser Urknallmodell beschreiben. Aber wenn das alles wirklich so ist, dann ist unsere Blase definitiv nicht die einzige. Es muss durch die Quantenfluktuationen immer und immer wieder dazu gekommen sein, dass sich aus dem übergeordneten inflationär expandierenden Raum Blasen abgespalten haben, in denen die Inflation stoppt. Und das muss auch passiert sein, bevor unsere Universumsblase sich gebildet hat. Das, was wir "Urknall" nennen, wäre demnach nicht der Anfang von allem, sondern nur der Anfang des Endes der Inflation in der Blase, die unser Universum darstellt. Tatsächlich gibt es keinen "Anfang von Allem", sondern nur die ewige Inflation, aus der sich immer wieder neue Universumsblasen abspalten.
Es besteht natürlich keinerlei Chance, diese anderen Universen zu beobachten oder irgendwie in Kontakt mit ihnen zu treten. Wir sind von ihnen durch den seit ewig inflationär expandierenden Raum getrennt. Diese anderen Universen sind so unerreichbar für uns, dass wir auch behaupten könnten, sie würden gar nicht existieren. Aber wenn das mit der ewigen Inflation stimmt, dann muss es sie geben. Dann leben wir in einem Raum, der noch viel unvorstellbar viel größer ist als das eh schon unvorstellbar große Universum, das wir beobachten können. Wir leben in einer kleinen Blase die vor 14 Milliarden Jahren in diesem Raum aufgepoppt ist; in einem Raum, in dem immer wieder neue Universen auftauchen - und übrigens auch wieder verschwinden können. Es ist sogar möglich, dass jedes dieser Universen andere Naturgesetze hat.
Ob das aber wirklich so ist, wissen wir nicht. Wir gehen davon aus, dass so etwas wie die inflationäre Phase existiert haben muss. Nur dann machen unsere Beobachtungen des Universums Sinn und alles was wir bis jetzt beobachtet haben, stimmt gut mit dem Konzept einer inflationären Phase überein. Und wenn die Inflation so abgelaufen ist, wie wir es uns derzeit vorstellen, dann stehen die Chancen gut, dass es eine ewige Inflation gewesen ist. Aber natürlich kann es auch sein, dass die Inflation anders funktioniert als wir es uns vorstellen und es gibt durchaus Forscherinnen und Forscher die Modelle der Inflation entwickelt haben, die ohne ewige Inflation auskommen; Stephen Hawking zum Beispiel. Manche dieser Modelle kann man unter Umständen auch durch Beobachtungen überprüfen oder widerlegen. Ohne in die Details gehen zu wollen: Wir könnten Spuren der Inflation in der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen; also der Strahlung, die gut 400.000 Jahre nach dem Urknall entstanden ist, die immer noch im Universum registrierbar ist und in der sich der Zustand des Kosmos unmittelbar nach dem Urknall quasi eingebrannt hat. Bis jetzt haben wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung nichts gesehen, dass unseren Inflationsmodellen widerspricht. Aber leider auch noch nichts, was uns eindeutig sagt, dass sie stattgefunden hat, das es sich um eine ewige Inflation handelt - oder eben nicht.
So oder so: Irgendwann werden wir vielleicht mehr wissen. Und bis dahin bleibt es ein faszinierender Gedanke, dass selbst so etwas gewaltiges wie unser Universum nur eine kleine Blase in einem viel größeren Raum ist, in dem unzählige andere Universum aufploppen und verschwinden wie der Seifenschaum in der Badewanne.
Sternengeschichten Folge 572: Terraforming auf der Venus
Können Menschen auf der Venus leben? Ganz klar: Nein! Ende der Folge. Aber damit ich doch noch etwas zu erzählen habe, stelle ich die Frage lieber anders. Nämlich so: Könnten wir die Venus lebensfreundlich machen? Und da lautet die Antwort: Na ja… vielleicht!
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Terraforming. So bezeichnet man, wie ich schon in Folge 414 erzählt habe, die absichtliche Umwandlung eines für Menschen unbewohnbaren Himmelskörpers so dass Menschen dort leben können. In der damaligen Folge habe ich allerdings über den Mars gesprochen und über Methoden wie wir diesen Planeten für uns Menschen lebensfreundlich machen könnten. Heute wollen wir uns die Venus ansehen. Die Venus lebensfreundlich machen: Das könnte man für eine ziemlich aussichtslose Idee halten. Immerhin kennen wir kaum einen Planeten, der so unfreundlich für uns ist wie die Venus.
Die Temperatur auf unserem Nachbarplaneten liegt bei 460 Grad Celsius. Die Atmosphäre ist so dicht, dass auf der Oberfläche der 90fache Druck herrscht, den wir hier auf der Erde spüren. Und die Atmosphäre besteht noch dazu fast komplett aus Kohlendioxid. Auf der Venusoberfläche zu stehen wäre etwa so, also würden wir uns hier auf der Erde in über 900 Meter Meerestiefe aufhalten. In einem Meer allerdings, dass fast 500 Grad heiß ist und in dem Blei schmelzen würde. Wie um Himmels Willen soll man so eine höllische Welt lebensfreundlich machen? Und warum überhaupt?
Das Warum ist eine gute Frage; denn natürlich muss man sich schon fragen, wieso wir einen zweiten Planeten brauchen. Und ob es ethisch vertretbar ist, einen kompletten Planeten umzuformen und quasi seinen Originalzustand zu zerstören, nur für uns Menschen. Darüber will ich heute aber nicht reden (obwohl ich der Meinung bin, dass man Planeten wie Mars und Venus in Ruhe lassen und erforschen aber nicht verändern soll). Sondern über die Frage, wie man es anstellen würde, wenn man sich dazu entschieden hat. Und wenn wir einen anderen Planeten terraformen wollen, ist die Venus gar keine so schlechte Wahl. In Größe und Masse ist sie fast ein Zwilling der Erde, ganz im Gegensatz zum Mars, der viel kleiner ist. Die Anziehungskraft die man auf der Venusoberfläche spürt ist fast identisch mit der auf der Erde und würden wir dort leben können, hätten wir keine Probleme mit Muskelschwund wegen der geringen Gravitationskraft wie wir es auf dem Mars hätten. Und wenn man mal vom Mond absieht, kommt kein anderer großer Himmelskörper des Sonnensystems der Erde so nahe wie die Venus. Man könnte vergleichsweise leicht, regelmäßig und schnell von einem Planeten zum anderen fliegen, was durchaus von Vorteil ist, wenn beide Welten von Menschen bewohnt sind.
Aber bevor es so weit ist, müssen wir die Venus erst mal lebensfreundlich kriegen. Und das ist, wie man sich denken kann, definitiv nicht so einfach. Sieht man von diversen Science-Fiction-Büchern ab, dann war der erste, der sich darüber Gedanken gemacht hat, der amerikanische Astronom Carl Sagan. In einer Arbeit aus dem Jahr 1961 schlug er vor, das man Mikroorganismen auf der Venus aussetzen könnte, die Fotosynthese betreiben. Sie würden so das Kohlendioxid in der Atmosphäre in Sauerstoff umwandeln. Denn genau das ist das Hauptproblem beim Venus-Terraforming: Wir müssen irgendwie die enorm dichte CO2-Atmosphäre loswerden. Sie sorgt dafür, dass dort ein so extremer Treibhauseffekt existiert und die Temperaturen so absurd hoch sind.
Sagans Idee war prinzipiell gut, aber damals wusste man noch nicht, dass der Druck auf der Venusoberfläche so extrem hoch ist. Bei den Werten die dort herrschen, funktioniert das Prinzip nicht. Man wusste auch nicht, dass in der Atmosphäre Schwefeldioxid enthalten ist und das es so gut wie kein Wasser auf der Venus gibt. Das alles zusammen führt dazu, dass Mikroorganismen dort nicht viel ausrichten können. Man bräuchte auch Wasserstoff, damit die Mikroorganismen den Kohlenstoff aus dem CO2 irgendwie in andere Moleküle umwandeln können und den findet man auf der Venus auch kaum.
Aber Kohlenstoff und CO2 kann man auch anders loswerden. Auf der Erde ist viel CO2 im Gestein gebunden. Man könnte probieren, jede Menge Magnesium und Kalzium auf die Venus zu bringen. Die könnte CO2 binden und aus der Atmosphäre entfernen. Allerdings braucht man dafür eine wirklich große Menge. Ungefähr so viel, wie der Asteroid Vesta wiegt und der hat immerhin einen Durchmesser von über 500 Kilometern. Gut, man könnte das Zeug vielleicht irgendwo vom Merkur zur Venus rüber schaffen, denn der Merkur enthält sehr viele passende Mineralien. Aber leicht ist das nicht und definitiv außerhalb unserer aktuellen und vermutlich auch zukünftigen Fähigkeiten.
Aber kann man die Atmosphäre nicht einfach direkt loswerden? Jetzt nicht irgendwie absaugen, aber wenn zum Beispiel ein großer Asteroid auf einem Planeten einschlägt, kann dadurch auch ein Teil der Atmosphäre ins All geschleudert werden. Die Venus hat aber eine recht große Masse und dementsprechend groß muss auch ein Asteroid sein, um das zu erreichen. Wenn der Einschlag nicht mit ausreichend Wumms erfolgt, dann werden die Moleküle der Atmosphäre nicht ausreichend stark beschleunigt, um ins Weltall entkommen zu können. Man bräuchte ein paar tausend Einschläge von Brocken, die circa 700 Kilometer groß sind. Und abgesehen davon, dass wir die aus dem äußeren Sonnensystem zur Venus schaffen müssten, weil es so viele davon in der Nähe gar nicht gibt, wäre es vermutlich auch einfacher, die Sache mit dem Magnesium vom Merkur durchzuziehen.
Also sollte man vielleicht einen ganz anderen Ansatz probieren? Ein Vorschlag des britischen Wissenschaftlers Paul Birch sieht vor, einen riesigen Spiegel im All zu installieren, der das Sonnenlicht von der Venus abhält. Das entfernt zwar die Atmosphäre nicht, würde aber die Temperatur deutlich senken. Und wenn es mal ein wenig kühler ist, kann man es vielleicht wieder mit den Mikroorganismen probieren. Heutzutage ist es ja auch kein großes Problem mehr, die per Gentechnik an etwaige Widrigkeiten auf der Venus anzupassen. So ein Spiegel müsste zwischen Venus und Sonne platziert werden, am besten im Lagrange-Punkt L1, also an einem der Punkte, an denen sich die von Venus und Sonne wirkenden Gravitationskräfte aufheben. Und so ein Spiegel müsste einen Durchmesser haben, der vier mal so groß ist wie der Durchmesser der Venus. Nicht einfach zu bauen also, ganz im Gegenteil. Und wenn wir so ein gigantisches reflektierendes Dings im All hätten, würde es nicht lange an Position bleiben. Der Druck des Sonnenlichts würde den Spiegel langsam aber sicher verschieben. Wir müssen also entweder einen Antrieb einbauen, der jede Menge Energie braucht. Oder bauen einen schlaueren Spiegel: Am besten eine Flotte aus vielen kleinen Spiegel, die so positioniert werden, dass sie einen Teil des Sonnenlichts so auf die Nachbarspiegel umleiten, dass dieses Licht genau den Druck des restlichen Sonnenlichts ausgleicht und alle in Position bleiben. Theoretisch ist das möglich, praktisch aber nicht einfach umsetzbar.
Wenn wir aber so eine Spiegelflotte hinkriegen, könnten wir die Venus damit weit unter den Gefrierpunkt von Wasser kühlen. So weit, dass das Kohlendioxid in der Atmosphäre zuerst flüssig und dann fest wird. Dazu sind mindestens gut -60 Grad Celsius nötig und dann hätte die Venus keine dichte CO2-Atmosphäre mehr. Das ganze Kohlendioxid würde in Form von Trockeneis auf ihrer Oberfläche liegen und dann müsste man es irgendwie einsammeln und wegschaffen - zum Beispiel zum Mars, wo man Treibhausgase gut brauchen kann, wenn man auch diesen Planeten aufwärmen und terraformen will.
Alles nicht einfach, aber zumindest nicht unmöglich. Wenn wir es also irgendwie geschafft haben sollten, eine Venus zu bauen, die eine vernünftige Temperatur und keine dicke CO2-Atmosphäre hat, sind wir aber noch lange nicht fertig. Denn es fehlt uns Wasser. Das müssten wir hinbringen; wir könnten zum Beispiel einen der kleineren Monde von Jupiter und Saturn schnappen, die fast komplett aus Wassereis bestehen. So ein Mond wie Enceladus zum Beispiel, mit gut 250 km Durchmesser. Denn schmeißen wir auf die Venus und haben Wasser. Ganz fertig wären wir dann aber immer noch nicht. Die Venus rotiert extrem langsam um ihre eigene Achse. Auf der Erde dauert so eine Rotation 24 Stunden und so lange dauert auch ein Tag hier bei uns. Ein Venustag dauert dagegen gut 117 Erdtage. Es ist also extrem lange hell - und dann extrem lange dunkel. Das müsste man auch irgendwie korrigieren. Den Planeten schneller rotieren lassen ist keine Option; dafür wäre so absurd viel Energie nötig, dass das kaum zu schaffen ist. Besser wäre es, man installiert wieder ein paar Spiegel in einer Umlaufbahn um die Venus die - je nachdem - ein bisschen Licht der Sonne blockieren oder Sonnenlicht zur Oberfläche umlenken, so dass man dann Tag und Nacht vernünftig regulieren kann.
Was der Venus dann trotz allem noch fehlt, ist ein Magnetfeld, das leider auch recht wichtig ist, wenn wir Menschen dort leben wollen. Ohne Magnetfeld schützt uns nichts vor der kosmischen Strahlung. Wie wir ein planetares Magnetfeld bauen können, ist aber völlig ungeklärt. Man könnte gigantische Ringe aus supraleitenden Material um den Planeten legen, durch die Strom fließt und dabei ein Magnetfeld erzeugt. Aber auch wenn das theoretisch nicht unmöglich ist, ist es das vermutlich in der Praxis.
Wir können am Ende also drei Dinge festhalten: Erstens ist es zumindest in der Theorie machbar, die Venus in einen lebensfreundlichen Planeten zu transformieren. Zweitens haben sich erstaunliche viele Forscherinnen und Forscher mit dieser Frage beschäftigt. Und drittens zeigt uns der absurde Aufwand, den wir dafür treiben müssten, ein weiteres Mal, was für ein einzigartiger Planet unsere Erde ist. Schauen wir besser darauf, dass sie lebensfreundlich bleibt; dann können wir uns in der Zukunft immer noch um die anderen Planeten kümmern.
Sternengeschichten Folge 571 - Die Dunkelwolke Barnard 68
Die Astronomie ist oft sehr direkt, wenn es darum geht, Dinge zu benennen. Wenn es also in der heutigen Folge um "Dunkelwolken" geht, dann ist es also auch wenig überraschend, wenn ich erkläre, dass eine "Dunkelwolke" eine dunkle Wolke ist. Aber ein bisschen komplexer ist es natürlich schon. Es geht nicht um Wolken, wie wir sie bei uns am Himmel finden, dunkel oder nicht. Die astronomischen Dunkelwolken sind deutlich größer; die können einige Lichtjahre groß sein.
Sie bestehen vor allem aus Wasserstoff, enthalten aber auch jede Menge andere Moleküle; das, was man üblicherweise als "kosmischen Staub" bezeichnet. Die typische Dichte einer Dunkelwolke liegt bei 100 bis 300 Molekülen pro Kubikzentimeter. In einem Labor auf der Erde wäre das ein ziemlich perfektes Vakuum; im noch viel leereren Weltraum ist das aber eine ganze Menge; vor allem wenn man all die Kubikzentimeter zusammenzählt, die in einen Durchmesser von ein paar Lichtjahren passen.
Eine Dunkelwolke ist also eine enorm große Ansammlung von Gas und Staub, die sich zwischen den Sternen befindet. Und sie ist deswegen dunkel, weil der ganze Staub das Licht der Sterne blockiert, die sich von uns aus gesehen hinter der Wolke befinden. Eine Dunkelwolke sieht also für uns tatsächlich wie ein dunkler Fleck aus, der sich am ansonsten von Sternen übersääten Himmel befindet; fast so wie ein Loch im Universum.
Die uns nächstgelegene Dunkelwolke ist - vermutlich - diejenige mit der Bezeichnung "Barnard 68". Die trägt sie deswegen, weil der amerikanische Astronom Edward Emerson Barnard 1927 einen Katalog voller Dunkelwolken publiziert hat, in dem diese Wolke Nummer 68 war. Sie schaut aus wie ein typischer formloser Blob, sofern es so etwas wie einen "typischen formlosen Blob" überhaupt geben kann. Aber es ist halt nicht jede Dunkelwolke so formschön wie etwa der Pferdekopfnebel, den ich in Folge 425 der Sternengeschichten ausführlich vorgestellt habe. Aber Barnard 68 mangelnde Formgebung wird durch seine Nähe zu Erde auf jeden Fall wettgemacht. Die Distanz liegt bei circa 500 Lichtjahren und weil diese Wolke eben eine deutlich höhere Dichte hat als das umgebende Weltall und uns so nahe ist, können wir sie besonders gut beobachten.
Und wir wollen sie besonders gut beobachten! Denn diese Wolken sind genau die Objekte, aus denen später einmal Sterne entstehen. Wenn die Wolke unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfällt, ist das Resultat ein Stern. Beziehungsweise meistens mehrere Sterne. Aber bei Barnard 68 ist das noch passiert und deswegen ist diese Dunkelwolke ein super Forschungsobjekt, wenn wir verstehen wollen, wie Sterne entstehen.
Fangen wir damit an, was wir wissen. Barnard 68 hat einen Durchmesser von circa einem halben Lichtjahr. Die Masse der Wolke ist größtenteils Wasserstoff, was blöd ist, weil sich der so schlecht beobachten lässt. Zumindest wenn er so kalt ist wie der Wasserstoff in solchen Wolken üblicherweise ist, nämlich circa -264 Grad Celsius; nur knapp 10 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Wir wissen aber auch, dass da jede Menge Staub drin ist; diverse komplexere Molekül-Ansammlungen die ein paar Mikrometer groß sind. Diese Teilchen haben die Angewohnheit, Lichtwellen zu blockieren und zwar umso stärker, je kürzer die Wellenlänge des Lichts ist. Deswegen erscheinen sie uns ja auch dunkel, wenn wir mit normalen Teleskopen hinschauen. Das Licht der dahinter liegenden Sterne wird vom Staub blockiert und wir können nix sehen. Aber wenn wir langwelligeres Licht beobachten, sieht die Sache ganz anders aus. Infarotstrahlung zum Beispiel. Die können unsere Augen nicht sehen, aber mit den passenden Teleskopen ist es überhaupt kein Problem. Und die langwellige Infrarotstrahlung wird von der Wolke sehr viel weniger oder gar nicht blockiert. Anders gesagt: Für ein Infrarotteleskop wird die Wolke durchsichtig und wir können das Licht der Sterne sehen, die hinter der Wolke liegen.
Man wird natürlich immer noch eine Abschwächung des Lichts beobachten. Vor allem in der zentralen Region der Wolke, wo der Staub am dichtesten ist und das Licht der Hintergrundsterne die größte Strecke durch den Staub zurücklegen muss. Aber genau das hilft uns dabei, die Struktur von Barnard 68 zu verstehen. Die Details sind kompliziert: Aber wenn man sich ansieht, wie sich das Licht der Sterne verändert hat, die man durch die Wolke hindurch beobachtet hat, kann man daraus berechnen, wie viel Staub dieses Licht durchquert hat. Und bekommt so eine Ahnung von der Staubverteilung innerhalb der Wolke. Durch den Vergleich der Daten mit anderen Beobachtungen und diverser komplexer Berechnungen kann man aus der Menge an Staub auch auf die Menge an Wasserstoffgas in der Wolke schließen und bekommt so eine Gesamtmasse. Bei Barnard 68 liegt sie bei circa der dreifachen Sonnenmasse und nur ein Hundertstel davon ist der Staub, der das Licht blockiert.
Das ist aber erst der Anfang. Diese Beobachtungen von Barnard 68 haben auch gezeigt, wie stark das Licht abgeschwächt wird. Um 35 Größenklassen, was echt sehr, sehr viel ist. Zum Vergleich: Würden wir das Licht der Sonne so sehr abschwächen, dann wäre es auf der Erde stockfinster. Wir könnten die Sonne nicht mal mehr mit freiem Auge wahrnehmen und bräuchten ein vergleichsweise gutes Teleskop, um sie sehen zu können.
Kurzer Einschub: Wenn eine Wolke das Licht so stark verfinstern kann. Und wenn diese Wolken überall da draußen in der Milchstraße sind. Und wenn sich Sterne und Wolken durch die Milchstraße bewegen: Kann es da nicht sein, dass so eine Wolke mal mit dem Sonnensystem kollidiert? Oder besser gesagt: Kann es sein, dass die Sonne auf ihrem Weg durch die Galaxis mal durch so eine Wolke durchfliegt und dann alles auf einmal finster wird? Nun ja - unmöglich ist es nicht. Wir würden dann zuerst bemerken, dass das Licht der Sterne sehr viel weniger hell leuchtet als früher. Es würde vermutlich wenig von dem Staub und Gas der Wolke in das innere Sonnensystem gelangen; da schützt uns die Heliosphäre der Sonne. Also der Bereich, in dem der Sonnenwind noch vergleichsweise stark ist. Die Teilchen, die die Sonne ständig hinaus ins All bläst halten die Teilchen der Wolke davon ab, zu tief ins Sonnensystem einzudringen. Aber wenn die Wolke dicht genug ist, könnte trotzdem was davon bis zu uns gelangen. Dann würde es zwar nicht stockfinster, aber es könnte schon ein wenig dunkler werden auf der Erde, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Temperatur oder die Photosynthese der Pflanzen. Es gibt Hypothesen, die vergangene Massensterben und Eiszeiten auf den Durchgang des Sonnensystems durch eine Dunkelwolke zurückführen. Aber es gibt keine wirklich guten Belege dafür, dass das wirklich so war.
Bleiben wir bei dem, was wir tatsächlich wissen und bei Barnard 68. Die Daten zeigen aber auch, dass Barnard 68 gerade in einer ganz besonderen Phase sein muss. Es dauert typischerweise nur ein paar 100.000 Jahre bis so eine Wolke zu einem Stern kollabiert. Das ist aus astronomischer Sicht ein sehr kurzer Zeitraum und Barnard 68 kann auf diesem Weg noch nicht sehr weit gekommen sein. Wäre der Kollaps der Wolke schon wesentlich voran geschritten, dann wäre der Staub in ihrem Zentrum schon so dicht, dass wir auch mit Infrarotteleskopen nicht mehr durchsehen könnten. Barnard 68 muss sich also tatsächlich in den allerersten Phasen des Prozesses befinden, bei dem am Ende ein Stern entsteht. Deswegen ist ihr Inneres, wie die Messungen zeigen, auch vergleichsweise homogen - es gibt dort keine Klumpen, wie man es gegen Ende der Sternentstehung erwarten würde.
Barnard 68 befindet sich also noch in einem einigermaßen guten Gleichgewicht. Die Teilchen in der Wolke bewegen sich; nicht viel, weil es ja so kalt dort ist. Aber ein bisschen Bewegung ist vorhanden und die erzeugt einen nach außen gerichteten Druck, der der nach innen gerichteten Kraft entgegen wirkt, die von der Gravitation der Masse der Wolke stammt. Weil die Wolke so ausgedehnt ist, also vergleichsweise wenig Masse auf vergleichsweise viel Raum verteilt, ist die Gravitationskraft, die sie auf sich selbst ausübt und die zu einem Kollaps führen kann, ziemlich schwach. Und der Druck der Teilchen reicht aus, um den Kollaps zu verhinden. Noch jedenfalls. Die Wolke verhält sich aktuell so wie eine Seifenblase, die zwar ein bisschen vor sich hin wobbelt, aber nicht dauerhaft größer oder kleiner wird. Nur wenn die Gravitationskraft in Barnard 68 ausreichend lange die Oberhand gewinnt, kann die Wolke kollabieren und zu einem Stern werden.
Wann das passiert, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir hier eine wirklich gut Gelegenheit haben, die allerersten Schritte zu beobachten, die gegangen werden müssen, wenn ein großer Haufen Wasserstoff und Staub ein Stern werden möchte. Und deswegen werden wir diesen dunklen Fleck im Universum auch weiterhin sehr genau im Blick behalten.
Sternengeschichten Folge 570: Auf der Suche nach außerirdischen Bäumen
Heute geht es um außerirdische Bäume. Und ja, wir werden über Wissenschaft reden und nicht über Science Fiction. Es geht tatsächlich um Bäume, die auf anderen Planeten wachsen. Nicht das wir so etwas schon entdeckt hätten. Aber theoretisch wären wir vielleicht in der Lage, genau das zu tun.
Das klingt auf den ersten Blick absurd. Es ist ja schon schwer genug, überhaupt Planeten zu finden, die andere Sterne umkreisen. Wie um Himmels Willen sollen wir da jetzt herausfinden, ob auf diesen Planeten Bäume wachsen oder nicht?
Ja, es ist schwierig, die Planeten anderer Sterne zu entdecken. Das ist das erste Mal 1995 gelungen und in den ersten 30 Jahren danach haben wir ein paar tausend weitere gefunden. Die allermeisten davon haben wir nur indirekt nachgewiesen, aber nicht direkt gesehen. Soll heißen: Wir haben die Auswirkungen der Planeten auf ihre Sterne beobachtet, weil die Planeten mit ihrer Gravitationskraft den Stern zum Wackeln bringen oder einen Teil seines Lichts verdecken. Nur in einer Handvoll Fällen haben wir den Planet tatsächlich gesehen. Und "gesehen" heißt hier, dass wir das Licht, das der Planet von seinem Stern reflektiert, im Teleskop auffangen konnten. Wir haben einen kleinen Lichtpunkt gesehen; keine aufgelöste Planetenscheibe und schon gar kein Bild, das detailliert genug wäre, um so etwas wie Bäume zu sehen.
Das wird auch in Zukunft nicht möglich sein, solange wir nicht den interstellaren Raum durchqueren und dorthin fliegen. Aber in Zukunft werden mit besseren Teleskopen immer mehr Planeten direkt beobachtet werden können; wir werden also immer öfter in der Lage sein, Licht zu messen, dass die Planeten anderer Sterne zu uns reflektieren.
In Folge 464 der Sternengeschichten habe ich über die "Biosignaturen" gesprochen. Damit sind Signale gemeint, die darauf hinweisen, dass auf einem Planeten Leben existiert. Und mit "Leben" ist vor allem einfaches Leben gemeint. Mikroorganismen; Algen, und andere Einzeller. Die Art von Leben, die auch Milliarden Jahre lang die dominante Form des Lebens auf der Erde war, bevor sich das mehrzellige Leben entwickelt hat. Aber auch das einfache Leben hat einen Stoffwechsel. Und produziert dabei zum Beispiel Gase wie Methan oder Sauerstoff, die sich in der Atmosphäre anreichern können. Das Licht, das von einem Planeten reflektiert wird, bewegt sich durch diese Atmosphäre hindurch und wird dabei ein wenig verändert. Ein Teil des Lichts wird blockiert, je nachdem welche Gase sich in der Atmosphäre befinden. Mit entsprechenden Messinstrumenten können wir das messen; genau so stellen wir ja auch schon seit längere Zeit fest, woraus Sterne bestehen oder erforschen die Planeten des Sonnensystems. Licht, das von den Planeten anderer Sterne zu uns kommt, könnte genau solche Biosignaturen enthalten und wir könnten sie finden.
So eine Biosignatur würde uns aber nicht unbedingt sagen, mit welcher Art von Leben wir es zu tun haben. Nehmen wir zum Beispiel die "red edge", die "rote Kante". Pflanzen auf der Erde betreiben Fotosynthese; sie nutzen Sonnenlicht als Energiequelle. Sie nutzen aber nur einen Teil davon; den grünen Anteil des Lichts und auch den Infrarotanteil reflektieren sie. Wenn wir das von der Erde reflektierte Sonnenlicht vom All aus betrachten - was wir mit Raumsonden schon getan haben - dann sehen wir, dass ein Teil davon quasi fehlt, nämlich der Teil, der von den Pflanzen absorbiert wird. Der Rest wird reflektiert und wenn wir die jeweilige Menge auftragen, sehen wir eine starken Sprung zwischen roten und infraroten Anteil des Lichts. Das nennt sich die "rote Kante" und ist Zeichen dafür, dass auf der Erde Leben existiert, das Fotosynthese betreibt.
Würden wir anderswo bei einem anderen Planeten auch so eine rote Kante beobachten, wäre das ein ziemlich guter Hinweis, dass diese Art von Leben auch dort existiert. Wir könnten daraus aber nicht ablesen, ob es sich um einzelliges oder mehrzelliges Leben handelt. Mikroorganismen wie die einzelligen Algen in den Ozeanen der Erde betreiben genau so Fotosynthese wie riesige Mammutbäume. Und es wäre eigentlich recht cool zu wissen, ob Leben das anderswo existiert ist, einzellig ist oder nicht. Auf der Erde hat es, wie gesagt, enorm lange gedauert, bis sich komplexe, mehrzellige Lebewesen entwickelt haben. Milliarden Jahre lang gab es nur Mikroorganismen und erst vor vergleichsweise kurzer Zeit haben sich die komplexeren Lebewesen entwickelt, die großen Pflanzen, die Bäume, die Tiere, und so weiter. Warum hat das so lange gedauert? War das nur ein Zufall? Wie wahrscheinlich ist es, dass sich komplexes Leben entwickelt? Auf all diese Fragen haben wir keine Antwort und es wäre enorm hilfreich, wenn wir Informationen über das Leben auf anderen Planeten kriegen könnten.
Deswegen haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich Gedanken über den Nachweis von mehrzelligen Lebewesen auf anderen Planeten gemacht und dafür die Bäume ausgesucht. Einerseits, weil die Struktur in der Bäume wachsen etwas sehr grundlegendes zu sein scheint; etwas, was pflanzliches Leben quasi von selbst tut, wenn es komplexer wird. Und andererseits, weil damit die Methode funktioniert, die sie sich ausgedacht haben.
Stellen wir uns einen Wald vor. Je nachdem, wie wir den betrachten, wird er uns unterschiedlich hell erscheinen. Es kann sein, dass wir die Sonne genau im Rücken haben. Die Schatten, die die Bäume dann werfen, zeigen von uns weg. Haben wir die Sonne jedoch genau gegenüber, dann fallen die Schatten in unsere Beobachtungsrichtung. Oder anders gesagt: Die Menge an Sonnenlicht, die ein Wald in unsere Richtung reflektiert, hängt davon ab, wie die Sonne gerade am Himmel steht. Das kann man auf Satellitenbilder der Erde gut beobachtet; je nach relativer Stellung von Erde, Sonne und Satellit sind die Wälder mal heller und mal dunkler.
Bei den Planeten anderer Sterne sehen wir aber nicht nur keine Bäume, wir sehen auch keine Wälder. Nicht mal Kontinente und Ozeane. Wir sehen gar nichts, aus einem Lichtpunkt. Aber das würde schon reichen. Nehmen wir an, wir haben ein Weltraumteleskop, das fast genau in Richtung der Ebene blickt, in der der Planet seinen Stern umkreist. Dann können wir die Menge an Licht messen, die der Planet reflektiert, wenn der Stern von uns aus gesehen vor dem Teleskop ist und mit der Lichtmenge vergleichen, die reflektiert wird, wenn der Planeten an einem anderen Punkt seiner Umlaufbahn ist. So wie bei meinem Beispiel der Waldbeobachtung vorhin wird sich auch die Lichtmenge verändern, weil die Bäume mal mehr und mal weniger Licht in unsere Richtung reflektieren.
Natürlich ändert sich die Lichtmenge die ein Planet in unsere Richtung reflektiert auch ganz einfach dadurch, dass er sich um seinen Stern bewegt. Aber wenn auf dem Planeten Wälder stehen, gäbe des eine zusätzliche Veränderung in der Lichtmenge, die, wie die Berechnungen zeigen, durchaus groß genug sein könnte, um sie zu messen.
Wenn das Leben auf dem anderen Planeten nur aus Einzellern besteht, die gleichmäßig über die Meere und Kontinente verteilt sind, würden wir diese zusätzliche Veränderung nicht beobachten; besteht das Leben aber aus Bäumen und Wäldern, würden wir es merken.
Nun ja, zumindest theoretisch. Es gibt natürlich schon noch ein paar Probleme. Zum Beispiel die Wolken. Ein lebensfreundlicher Planet, mit Kontinenten und Meeren und Wäldern auf dem es keine Wolken gibt, ist schwer vorstellbar. Und Wolken haben einen sehr viel größeren Einfluss auf die Menge an reflektierten Licht als Bäume. Aber, und das ist die gute Nachricht, Wolken und Bäumen reflektieren Licht unterschiedlich und vor allem erhöht sich die Menge an reflektierten Licht unterschiedlich schnell, je nachdem ob Wolken oder Bäume beteiligt sind. Mit ausreichend langen Beobachtungsreihen und jeder Menge Datenanalyse kann man also rausfinden, ob man es mit Wolken zu tun hat oder ob zwischendurch mal Phasen waren, in denen keine Wolken am außerirdischen Himmel standen und das Licht des Sterns von Bäumen reflektiert wurde.
Es gibt noch weitere Komplikationen; Gebirge, etc und andere Strukturen, die Einfluss auf das reflektierte Licht haben. Aber rein prinzipiell kann man festhalten: Es werden nicht die Fähigkeiten der Astronomie sein, die uns daran hindern, außerirdische Bäume zu entdecken. Wenn sie da draußen irgendwo in großer Menge wachsen, haben wir eine Chance, sie irgendwann auch zu finden. Das eigentliche Problem ist das "wenn" aus meinem vorigen Satz. Auf der Erde wachsen jede Menge Bäume. Aber wir haben keine Ahnung, ob es erstens überhaupt irgendwo außerirdisches Leben gibt und ob es zweitens, sollte es existieren, so etwas ähnliches wie Bäume bildet die annähernd so funktionieren wie wir es von der Erde kennen. Aber was sollen wir sonst tun? Leben, das "irgendwie" anders ist, können wir nicht erforschen, weil wir ja nicht wissen, was dieses "irgendwie" sein soll. Wir müssen zwangsläufig mit dem arbeiten, was wir verstehen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass wir zumindest vorbereitet sind. Wenn es tatsächlich außerirdische Bäume gibt, werden wir sie nicht übersehen.
Sternengeschichten Folge 569: Galaktische Gezeiten
Wenn man von Gezeiten spricht, denkt man zuerst an den Mond. Kein Wunder, denn die Gezeiten, die wir hier auf der Erde erleben sind ja auch höchst beeindruckend. Ebbe und Flut an den Küsten der Meere haben im Laufe der Geschichte großen Einfluss auf unsere Kultur gehabt, auf den Handel, die Schifffahrt, und so weiter. Und diese Gezeiten werden vom Mond verursacht.
Oder besser gesagt: Sie werden auch vom Mond verursacht. Für ein Drittel der Gezeitenwirkung die wir beobachten, ist die Sonne verantwortlich. Denn die Gezeiten sind nichts, was speziell mit dem Mond zu tun hat. Gezeitenkräfte sind ein viel umfassenderes Phänomen. Gezeiten sind eine spezielle Auswirkung der Gravitationskraft. Jeder Körper mit Masse übt eine Gravitationskraft auf jeden anderen Körper mit Masse aus und zwar umso stärker, je größer die beteiligten Massen sind und je geringer der Abstand zwischen ihnen ist. Bei den Gezeiten kommt es aber nicht auf die Stärke der Gravitationskraft an, sondern auf den Unterschied zwischen Gravitationskräften.
Das bedeutet, dass es um einen Gradient in der Gravitationskraft geht und DAS bedeutet, dass die Gezeiten etwas sind, was entsteht, wenn an unterschiedlichen Orten unterschiedlich starke Gravitationskräfte wirken. Ich habe in Folge 161 der Sternengeschichten schon sehr ausführlich erklärt, wie die Gezeiten auf der Erde verursacht werden und wir haben festgestellt, dass das im Detail eine ziemlich knifflige Angelegenheit ist. Aber die Grundlage des Phänomens besteht darin, dass unterschiedliche Orte der Erdoberfläche unterschiedlich weit vom Mond entfernt sind. Und weil die Stärke der Gravitationskraft eben auch vom Abstand abhängt, ist auch die Gravitationskraft, die der Mond auf diese unterschiedlichen Orte ausübt, unterschiedlich stark - selbst wenn es nur um ein paar tausend Kilometer Unterschied im Abstand zum Mond geht. Diese Unterschiede sind natürlich trotzdem gering, aber sie können sich in den Ozeanen der Erde so auswirken und verstärken, dass am Ende Ebbe und Flut entstehen.
Dass der Mond für den Großteil der Gezeitenwirkung verantwortlich ist, liegt nur daran, dass er der Erde so nahe ist. Die Sonne ist deutlich weiter entfernt, hat aber auch eine viel größere Masse. Insgesamt reich das aus, dass auch sie noch eine relevante Gezeitenkraft ausüben kann, weil eben auch unterschiedliche Orte der Erde unterschiedlich weit von der Sonne entfernt sind. Sie sind auch unterschiedlich weit von der Venus weg, dem Mars, und so weiter. Aber abseits von Sonne und Mond sind alle anderen Himmelskörper des Sonnensystems entweder zu klein, zu weit entfernt oder beides, so dass die von ihnen ausgeübte Gezeitenkraft vernachlässigbar gering ist.
Aber wir müssen im Sonnensystem ja nicht halt machen. Wie gesagt: Gezeiten sind ein ganz allgemeines Phänomen. Womit wir jetzt bei den galaktischen Gezeiten sind. Wenn wir eine Galaxie wie unsere Milchstraße in ihrer Gesamtheit betrachten, dann übt sie natürlich ebenfalls eine Gravitationskraft aus. All die Sterne, die Gaswolken, die dunkle Materie und der Rest aus dem sie besteht hat Masse und mit dieser Masse erzeugt sie eine Gravitationskraft mit der sie zum Beispiel andere Galaxien in ihrer Umgebung beeinflusst. Die Masse in der Galaxis ist aber nicht gleichmäßig verteilt. Im Zentralbereich der Milchstraße sind die Sterne dicht gedrängt; dort finden sich auch sehr viel mehr Sterne als weiter außen und auch das supermassereiche schwarze Loch sitzt dort. Im Gegensatz zu den dünn besiedelten äußeren Regionen der Milchstraße übt die Zentralregion also eine starke Gravitationskraft aus.
Unser Sonnensystem liegt ungefähr 25.000 Lichtjahre von dieser Zentralregion entfernt. Wenn wir jetzt also eine Linie durch die Sonne zum Zentrum der Milchstraße ziehen, dann wird die Gravitationskraft entlang dieser Linie in Richtung Zentrum immer stärker und in die andere Richtung immer schwächer. Stellen wir uns vor, dass die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne gerade an dem Punkt angelangt ist, der dem galaktischen Zentrum am nächsten ist. Dann wird sie eine stärkere Gravitationskraft spüren als wenn sie sich auf dem genau gegenüberliegenden Punkt befindet. Sie ist also Gezeitenkräften ausgesetzt, die vom Zentrum der Galaxis ausgeübt werden. Hat das irgendwelche Auswirkungen und wenn ja, welche?
Nun: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer. Der Abstand zwischen zwei einander gegenüberliegenden Punkten ihrer Bahn beträgt das doppelte, also 300 Millionen Kilometer. Das ist nichts im Vergleich zu den 25.000 Lichtjahren Abstand zum galaktischen Zentrum. Das ist 800 Millionen mal weiter entfernt! Die Gravitationskraft der nahen Sonne ist der absolut dominierende Einfluss auf die Erde; ob sie 300 Millionen Kilometer näher oder weiter weg vom galaktischen Zentrum ist, spielt für sie absolut keine Rolle. Die galaktischen Gezeiten sind für die Erde irrelevant.
Aber das bedeutet nicht, dass man diese galaktischen Gezeiten komplett ignorieren könnte. Bleiben wir noch ein wenig im Sonnensystem. Die Erde ist der Sonne relativ nahe, aber es gibt auch Himmelskörper, die weiter entfernt sind. Die Asteroiden im Kuipergürtel hinter der Neptunbahn zum Beispiel. Oder die noch weiter entfernten Objekte in der Oortschen Wolke. Da kann der Abstand zur Sonne bis zu einem Lichtjahr betragen und das ist eine ganz andere Situation. In diesen fernen Regionen ist die Gravitationskraft der Sonne so schwach, dass die Kometen und Asteroiden der äußeren Oortschen Wolke ebenfalls nur extrem schwach an die Sonne gebunden sind. Sie bewegen sich nahe der Grenze, an der es überhaupt keine Bindung mehr gibt und der gravitative Einfluss der anderen Sterne in der Nachbarschaft überwiegt. Das ist das Konzept der Hill-Sphäre das ich in Folge 257 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe. Die Hill-Sphäre um einen Körper herum ist der Bereich, in dem seine eigene Gravitation dominiert. Der Mond befindet sich zum Beispiel in der Hill-Sphäre der Erde; wäre er weiter weg, würde er sich unabhängig von uns um die Sonne bewegen und nicht noch zusätzlich um die Erde kreisen.
Und die Objekte in der Oortschen-Wolke sind eben gerade noch so innerhalb der Hill-Sphäre der Sonne. Das bedeutet, dass schon geringste Störungen reichen können, um sie der Sonne zu entreißen. Und die galaktischen Gezeiten können genau so eine geringe Störung sein. Wie genau der Einfluss der galaktischen Gezeiten auf die Oortsche Wolke des Sonnensystem ist, wissen wir allerdings nicht. Wir können das in Computersimulationen untersuchen und wissen daher, dass es möglich ist. Wir gehen davon aus, dass die Störungen durch die galaktischen Gezeiten einer der Prozesse ist, durch den es dort draußen immer wieder mal unruhig wird und wodurch dann zum Beispiel auch Kometen ins innere Sonnensystem abgelenkt werden. Aber beobachten können wir das natürlich nicht; dafür ist die Oortsche Wolke viel zu weit entfernt.
Wir wissen aber, dass die galaktischen Gezeiten auch anderswo Einfluss haben. Es gibt zum Beispiel Doppelsterne, wo die beiden Sterne sehr weit voneinander entfernt sind; bis zu 10.000 mal weiter entfernt als die Erde von der Sonne. Galaktische Gezeiten können dazu führen, dass diese Systeme instabil werden. Und es gibt auch Planeten, die andere Sterne in enorm großer Entfernung umkreisen. Auch hier können die galaktischen Gezeiten dafür sorgen, dass solche Planetensysteme instabil werden.
Auch auf noch größerer Ebene zeigt sich der Einfluss: Wenn sich zwei Galaxien nahe kommen, dann sorgen die Gezeitenkräfte, die sie aufeinander ausüben, für enorme Verformungen. Galaxien können so ihre Spiralarme verlieren; interstellare Gaswolken können so durcheinander gewirbelt werden, das auf einen Schlag jede Menge neue Sterne entstehen, und so weiter.
Und vielleicht sind die galaktischen Gezeiten am Ende sogar für das Leben auf der Erde verantwortlich. Gut, das ist ein wenig weit hergeholt. Aber wir wissen, dass die chemischen Bausteine aus denen sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, vermutlich durch die Einschläge von Asteroiden und Kometen gekommen sind. Einschlagen tun diese Objekte auch ohne galaktische Gezeiten - aber es gibt auch die Panspermie-Hypothese, von der ich in Folge 123 erzählt habe: Die Bausteine oder vielleicht sogar primitive Mikroorganismen selbst könnten anderswo im Weltall entstanden und mit Asteroiden und Kometen von Stern zu Stern gereist sein. Das ist, wie gesagt, eher unwahrscheinlich aber es ist nicht unmöglich. Und ein Mechanismus, der dafür sorgen kann, dass ein Stern Kometen und Asteroiden verliert, so dass sie sich auf den Weg zu anderen Sternen machen können, sind die galaktischen Gezeiten. Vielleicht verdanken wir unsere Existenz also einer großen kosmischen Abfolge von Ebbe und Flut.
Sternengeschichten Folge 568: Schnellläufer auf der Flucht aus der Galaxis
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Schnellläufer. Aber wir werden natürlich nicht über Sport reden, sondern über Sterne. Mit dem etwas veralteten Wort "Schnellläufer" bezeichnet man Sterne, die sich sehr schnell bewegen. Und bevor wir anfangen können uns damit zu beschäftigen, müssen wir erstmal klären, was wir mit der Bewegung von Sternen eigentlich meinen. Es geht nicht um die scheinbare Bewegung der Sterne die wir im Lauf einer Nacht am Himmel beobachten können. Die sehen wir ja nur, weil die Erde sich um ihre Achse dreht; die Sterne selbst haben mit dieser Bewegung nichts zu tun. Sie bewegen sich aber und zwar annähernd kreisförmig um das Zentrum unserer Milchstraße. Das darf man sich nicht so vorstellen wie die Planeten, die sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen; so regelmäßig ist die Bewegung der Sterne nicht. Im Gegensatz zum Sonnensystem ist der Großteil der Masse der Milchstraße ja nicht im Zentrum zu finden. Dort ist zwar ein sehr massereiches schwarzes Loch, dass circa vier Millionen mal mehr Masse hat als ein typischer Stern. Aber es gibt eben auch ein paar hundert Milliarden Sterne in der Milchstraße und dazwischen jede Menge kosmisches Gas, Staub und so weiter. Ein Stern spürt auf seinem Weg durch die Milchstraße also auch die Anziehungskräfte all dieser anderen Objekte sehr deutlich und seine Bahn ist daher tendenziell komplex und chaotisch, aber in erster Näherung bewegt er sich um das Zentrum der Milchstraße. Unsere Sonne braucht für eine Runde circa 200 Millionen Jahre, aber wenn ich von "schnellen Sternen" spreche, dann meine ich auch nicht unbedingt diese Art der Bewegung. Je nachdem, ob ein Stern näher am Zentrum ist oder weiter weg, bewegt er sich schneller oder langsamer rundherum; die Schnelligkeit der Schnellläufer hat aber nichts damit zu tun.
Es geht um Sterne, die sich prinzipiell sehr schnell durch den Raum bewegen, unabhängig davon, ob sie nahe am Zentrum sind oder nicht. Und was bedeutet nun "schnell" in diesem Zusammenhang? Grob gesagt eine Geschwindigkeit die um 65 bis 100 Kilometer pro Sekunde schneller ist als die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne in der Umgebung bewegen. Ein Beispiel dafür ist Barnards Pfeilstern, von dem ich in Folge 150 mehr erzählt habe. Er bewegt sich in Bezug auf das Sonnensystem mit 140 Kilometer pro Sekunde und das ist schon ziemlich schnell. Wir wollen uns heute aber mit RICHTIG schnellen Sternen beschäftigen, die deswegen auch "hypervelocity stars" also "Hypergeschwindigkeitssterne" genannt werden. In Bezug auf das Zentrum der Milchstraße bewegen sich typische Sterne mit Geschwindigkeiten von ein paar 100 Kilometer pro Sekunde; die Sonne zum Beispiel mit gut 220 Kilometer pro Sekunde. Es gibt aber Sterne, die sich mit mehr als 1000 Kilometer pro Sekunde bewegen und genau um die soll es heute gehen.
Dass es solche Sterne geben könnte, hat der amerikanische Astronom Jack Hills 1988 in einem Fachartikel erstmals vermutet. Seine Idee: Die Mehrheit der Sterne zieht nicht allein durch die Milchstraße sondern tut das als Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems. In den späten 1980er Jahren hat man schon sehr stark vermutet, dass sich im Zentrum der Milchstraße und den Zentren aller großen Galaxien enorm massereiche schwarze Löcher befinden, wie ich ja in Folge 455 ausführlich erzählt habe. Man war sich nicht absolut sicher, aber WENN da so ein Loch ist, dann kann es passieren, dass ein Doppelsternsystem auf seinem Weg durch die Galaxie in die Nähe dieses Lochs gelangt. Und dann wirkt die Gezeitenkraft: Auf den Stern, der dem schwarzen Loch näher ist, wirkt eine sehr viel stärkere Gravitationskraft als auf den, der ein Stückchen weiter weg ist. Das Paar wird auseinander gerissen, der nähere der beiden wird vom schwarzen Loch quasi eingefangen wird und beginnt, es zu umkreisen. Der andere Stern verliert dann plötzlich seinen Partner und wird hinaus ins All geschleudert. Das ist ein bisschen so wie beim Hammerwerfen: Zuerst drehen sich Mensch und Hammer gemeinsam im Kreis, aber sobald der Hammer losgelassen wird, saust er mit hoher Geschwindigkeit davon. Hill hat das alles durchgerechnet und kam zu dem Schluss, dass - je nach Masse des schwarzen Lochs - Sterne mit bis zu 4000 Kilometer pro Sekunde davon rasen könnten. Und würde man solche hypervelocity stars finden, dann wäre das ein ziemlich guter Beleg dafür, dass da wirklich ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie sitzt.
Im Jahr 2005 hat man - belegt durch sehr viele andere Beobachtungsdaten - schon längst keinen Zweifel mehr an der Existenz der supermassereichen schwarzen Löcher gehabt. Aber Jack Hills Vorhersage ist dennoch eingetreten: Warren Brown, Margaret Geller, Scott Kenyon und Michael Kurtz entdeckten einen Stern, der sich in Bezug auf das Zentrum der Milchstraße mit 853 Kilometer pro Sekunde bewegt. Das war zwar weniger als Hill prognostiziert hatte, aber die damals höchste beobachtete Geschwindigkeit für einen Stern in der Milchstraße. Und schnell genug, dass der Stern nicht mehr an die Milchstraße gebunden war. Das ist so wie bei den Raketen und der Erde. Die Gravitationskraft der Erde sorgt dafür, dass alles, was man nach oben wirft, wieder nach unten kommt. Nur wenn es schnell genug ist, kann es der Anziehungskraft der Erde dauerhaft entkommen und bei der Erde ist dafür eine Geschwindigkeit von über 11 Kilometer pro Sekunde nötig. Um der Anziehungskraft der gesamten Milchstraße zu entkommen, braucht man um die 500 Kilometer pro Sekunde. Es hängt natürlich davon ab, ob man sich nahe am Zentrum befindet, wo die meiste Masse ist oder weit außen, wo man nicht mehr so viel Anziehungskraft überwinden muss. Aber bevor es zu kompliziert wird, halten wir fest: Die Geschwindigkeit dieses Sterns war definitiv schnell genug, um sich dauerhaft von der Milchstraße entfernen zu können. Was der Stern mit der Bezeichnung SDSS J090745.0+024507 auch vor hat. Er bewegt sich direkt vom Zentrum der Milchstraße weg und wird diesen Weg auch dauerhaft fortsetzen, bis er irgendwann im intergalaktischen Raum verschwunden ist. Deswegen hat man ihm auch den Spitznamen "Outcast", der Ausgestoßene verpasst. Outcast hat für den Weg vom Zentrum der Milchstraße bis dorthin, wo man ihn entdeckt hat, gute 80 Millionen Jahre gebraucht. Das passt auch gut zu seinem Alter und auch seine chemische Zusammensetzung zeigt, dass er vermutlich vor besagten 80 Millionen Jahren irgendwo in der Nähe des galaktischen Zentrums entstanden sein muss; als Teil eines Doppelsternsystems, wie es Jack Hill vorhergesagt hat. Sein Partner wurde vom schwarzen Loch eingefangen und Outcast auf seinen Weg aus der Galaxis hinaus geschleudert. Diese nahe Begegnung mit einem schwarzen Loch ist der einzige plausible Weg, wie Outcast seine enorme Geschwindigkeit erreicht haben kann.
Mittlerweile haben wir auch eine Handvoll andere Hypergeschwindigkeitssterne entdeckt, zum Teil noch schneller unterwegs als Outcast. Zum Beispiel S5-HVS1, der im Jahr 2019 gefunden wurde und sich mit fast 1800 Kilometer pro Sekunde bewegt. Vor circa 5 Millionen Jahren muss auch er seinen Partnerstern bei einer Begegnung mit dem galaktischen schwarzen Loch verloren haben. Mittlerweile befindet er sich fast 29.000 Lichtjahre von der Erde entfernt und damit schon weit von der Zentralregion der Milchstraße weg. Auch er wird den intergalaktischen Raum erreichen und sich zu den vermutlich zahlreichen anderen Sternen gesellen, die dort im Laufe der Zeit gelandet sind. Wie viele es genau sind, ist schwer zu sagen, aber da alle Galaxien durch die beschriebenen Prozesse immer wieder Sterne rauswerfen, wird es eine durchaus relevante Menge sein. In einem typischen Galaxienhaufen könnten die intergalaktischen Sterne zusammen eine Masse habe, die der einer Galaxie gleich kommt. Aber angesichts der Leere die im Raum zwischen den Galaxien herrscht und den enormen Distanzen, ist es so gut wie unmöglich, dass sich zwei davon einmal treffen werden. Übrigens: Falls einer dieser Sterne nach seiner Entstehung auch Planeten gebildet hat, dann ist es definitiv möglich, dass sie immer noch mit ihm unterwegs sind. Sie können auch nach dem Rauswurf durch das schwarze Loch an ihren Stern gebunden bleiben. Und sollte auf so einem Planeten eines intergalaktischen Sterns Leben existieren, dann hat es zwar vermutlich einen ziemlich beeindruckenden Ausblick auf die Galaxien in der Umgebung - wäre ansonsten aber ziemlich einsam.
Sternengeschichten Folge 567: Der Granatstern My Cephei
"Einen sehr ansehnlicher Stern, der nicht von Flamsteed markiert wurde, kann man in der Nähe des Kopfes von Kepheus finden. Er hat eine schöne, tief granatrote Farbe (…) und ist ein äußerst schönes Objekt, ganz besonders wenn man zuvor einige Zeit einen weißen Stern betrachtet, bevor man das Teleskop auf ihn richtet."
Das schrieb der Astronom Wilhelm Herschel im Jahr 1783 in einem Aufsatz, in dem er unter anderem Sterne auflistete, die er am Himmel sehen konnte, die aber nicht im Katalog seines Kollegen John Flamsteed zu finden waren. Den Stern, den Herschel da neben vielen anderen erwähnt, bezeichnen wir heute als "My Cephei" oder auch als "Granatstern". Seine rote Farbe ist tatsächlich etwas besonderes; es ist der röteste Stern, den man mit bloßem Auge am Himmel sehen kann. Aber bevor wir uns mit seiner Farbe beschäftigen, klären wir zuerst einmal die grundlegenden Dinge.
My Cephei ist, wie der Name sagt, am Himmel im Sternbild Kepheus zu finden, das am Nordhimmel zwischen der Kassiopeia und dem Drachen liegt. Man kann Kepheus und damit auch My Cephei das ganze Jahr über in der Nacht beobachten. Seine Entfernung ist schwer zu bestimmen, liegt aber verMytlich bei circa 3000 Lichtjahren. Die Helligkeit von My Cephei ist veränderlich; sie schwankt zwischen 3,4 und 5 Magnituden. Je nachdem, wann man gerade schaut, kann er also wie ein durchschnittlich heller Stern am Himmel erscheinen oder wie ein sehr schwach leuchtender, den man ohne optische Hilfsmittel gerade noch sehen kann. Die Helligkeitsschwankungen sind dabei komplex und werden von zwei Perioden von 850 beziehungsweise 4400 Tagen dominiert.
Und warum verändert der Granatstern seine Helligkeit? Weil es sich dabei um einen roten Überriesen handelt und einen besonders großen noch dazu. Seine Leuchtkraft ist gut 300.000 mal höher als die der Sonne, womit My Cephei zu den hellsten Überriesen der gesamten Milchstraße gehört. Der Stern ist gut 1500 mal größer und 25 mal schwerer als die Sonne, mit einer Oberflächentemperatur von circa 3200 Grad aber ein paar tausend Grad kühler. Man Myss sich nochmal klar machen, wie groß das wirklich ist. Würde man My Cephei ins Zentrum unseres Sonnensystems setzen, würde er weit über die Umlaufbahn des Jupiter und fast bis zum Saturn reichen!
So groß sind Sterne normalerweise nicht; so groß werden sie erst gegen Ende ihres Lebens und auch nur, wenn sie schon recht groß angefangen haben. Wir wissen, dass sich auch unsere Sonne ausdehnen wird, wenn sie in ein paar Milliarden Jahren den Wasserstoff in ihrem Zentrum komplett zu Helium fusioniert hat. Dann wird sie anfangen, Helium zu anderen chemischen Elementen zu fusionieren und mehr Energie produzieren als vorher. Sie wird im Kern deutlich heißer werden und auch ihre äußeren Schichten werden wärmer. So warm, dass der Wasserstoff, der sich dort befindet, nun auch fusionieren kann. Die Kernfusion wird dann im Kern und in den äußeren Schichten stattfinden; sehr viel mehr Energie wird aus dem Inneren der Sonne nach außen dringen und der ganze Stern wird sich dadurch stark aufblähen. Die Sonne wird allerdings höchstens bis zur Erdbahn reichen; um ein roter Überriese zu werden, hat sie nicht genügend Masse.
My Cephei allerdings schon und dieser Stern hat die Endphase seines Lebens schon erreicht. Er hat dafür auch nur gut 10 Millionen Jahre gebraucht; im Gegensatz zu den circa 10 Milliarden Jahre, die es bei der Sonne insgesamt dauern wird, bis sie den aufgeblähten Zustand erreicht. Aber wir wissen ja, dass die Kernfusion in einem Stern umso heftiger und schneller abläuft, je größer seine Masse ist und My Cephei ist eben ein enorm großer Stern.
Rote Überriesen wie My Cephei zeigen auch so gut wie immer Helligkeitsveränderungen. Wie sie genau entstehen, ist immer noch nicht eindeutig geklärt. Aber es hat verMytlich mit ihrer komplexen Struktur zu tun. Eben weil die Kernfusion nicht mehr nur im innersten Kern abläuft sondern auch in den äußeren Schichten, kann sich dadurch die Durchlässigkeit dieser Schichten für Strahlung ändern. Die wird unter anderem davon bestimmt, wie viele freie Elektronen dort existieren. Normalerweise sind die Elektronen ja Teil der Hülle der Atome, aber wenn es heiß genug wird, können sie sich ablösen und verhindern, dass sich die Strahlung, die von weiter innen kommt, ungestört nach außen ausbreiten kann. Sie "staut" sich quasi, heizt den Stern weiter auf, was zu einer zusätzlichen Ausdehung und erhöhter Helligkeit führt. Durch die Ausdehung kühlt die Schicht aber wieder ab, die Durchlässigkeit wird höher und die gestaute Strahlung kann entweichen. Ich hab das in Folge 64 schon mal ein wenig genauer erklärt, als es um den Kappa-MechanisMys gegangen ist und man verMytet, dass so etwas ähnliches auch in den roten Überriesen stattfindet.
Ich habe jetzt schon oft erwähnt, dass My Cephei ein roter Überriese ist und auch Wilhelm Herschel hat ja von der granatroten Farbe gesprochen. Man kann die Sache mit der Farbe auch wissenschaftlich angehen, wenn man den sogenannten "Farbindex" berechnet. Dazu misst man die Helligkeit eines Objekts mit unterschiedlichen Farbfiltern und vergleicht die Werte. Sehr gebräuchlich sind Messungen im blauen Licht und im roten Licht und wenn man dann die rote Helligkeit von der blauen Helligkeit abzieht, bekommt man einen Farbindex. Wenn dieser Index nahe beim Wert Null liegt, dann gibt der Stern ähnlich viel blaues wie rotes Licht ab und wird insgesamt eher weißlich erscheinen. Ist der Farbindex negativ, dann überwiegt der blaue Anteil und man wird einen eher bläulich leuchtenden Stern vor sich haben. Ein positiver Farbindex weißt dagegen auf einen rot leuchtenden Stern hin. Und wer jetzt genau aufgepasst hat und sich denkt: Moment Mal - wenn ein Stern im roten Licht heller ist als im blauen Licht und ich die größere rote Helligkeit von der kleineren blauen Helligkeit abziehe - müsste ich dann nicht einen negativen Farbindex bekommen?, hat zwar einerseits recht, andererseits aber nicht. Denn man darf die, zugegebenermaßen etwas komische, Konvention der Astronomie nicht vergessen, nach der die Helligkeit in der Astronomie in der Einheit "Magnituden" gemessen, die so definiert sind, dass Sterne mit hoher Helligkeit eine kleine Magnitude haben und umgekehrt.
Aber lassen wir diese Rechnerei beiseite und halten fest: Je größer der Farbindex, desto röter der Stern. Der Granatstern hat einen Farbindex von gut 2,4 Magnituden, was ihn von allen Sternen die man mit bloßen Auge sehen kann, zum rötesten Stern macht. Aber bevor sich jetzt alle begeistert aufmachen um ihn am Himmel zu suchen, Myss ich noch zwei Dinge anmerken. Erstens ist der Granatstern zwar tatsächlich rot, aber ein Teil seiner roten Farbe ist nicht auf ihn selbst zurückzuführen, sondern auf den interstellaren Staub, der sich zwischen uns und ihm befindet. Licht, dass durch diesen Staub dringt, erscheint uns auch röter und weil der Granatstern so weit weg ist, ist da viel Staub in der Sichtlinie. Ohne den Staub wäre er zwar immer noch rot, aber der Farbindex wäre geringer. Zweitens, und das ist der wichtigere Punkt: Wer den Stern am Nachthimmel findet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit kein rotes oder rötliches Objekt sehen. Es kann sein, dass er rötlich erscheint, aber das liegt dann daran, dass bei der Beobachtung gerade starke Luftunruhen herrschen. Die stören die Ausbreitung des Sternenlichts durch die Atmosphäre, was auch der Grund ist, warum Sterne oft zu flackern scheinen; sie stören aber Licht unterschiedlicher Farbe unterschiedlich stark und es kann sein, dass deswegen gerade mehr rotes Licht unser Auge erreicht als normal. Bei ruhiger Atmosphäre oder beim Blick mit Fernglas oder Teleskop wird der Stern eher orange-gelblich erscheinen, vielleicht mit einem Stich ins rötlich-bräunliche. Herschels Bezeichnung als "granatrot" war ein wenig klein wenig unglücklich; beziehungsweise war es vor allem meine Übersetzung. Im englischen Original sagt Herschel, dass er einen Stern gesehen hat mit "a very fine deep garnet colour". Das Wort "garnet" entspricht zwar dem deutschen "Granat" und bezieht sich zwar auf das entsprechende Mineral, dass tatsächlich sehr oft rot ist, aber nicht rot sein Myss und durchaus auch andere Farben haben kann. Wilhelm Herschel hat keine Fotos gemacht; wir wissen auch nicht, ob er den Stern mit freiem Auge angesehen hat oder mit einem Teleskop und welche optischen Fehler dieses Teleskop gehabt haben könnte, die den Farbeindruck beeinflussen.
Aber am Ende ist das ja auch egal. Es kann jeder und jede selbst zum Himmel schauen und eine eigene Vorstellung der Farbe des Granatsterns bekommen. Dass es ein roter Überriesenstern ist, ist ebenso klar und damit auch, wie es um die Zukunft seiner Farbigkeit bestellt ist. Nicht gut nämlich, Sterne mit so großer Masse wie My Cephei werden am Ende ihres Lebens bei einer gewaltigen Supernova explodieren. Übrig bleibt dann nur ein schwarzes Loch und dann hat sich die Sache mit der Farbe von selbst erledigt.
Sternengeschichten Folge 566: Ist das Universum eine Simulation?
„Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wußte von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist."
Das hat vor gut 2300 Jahren der chinesische Philosoph und Dichter Zhuāngzǐ geschrieben. Er war sicherlich nicht der erste Mensch, der sich darüber Gedanken gemacht hat, was die eigentliche Natur der Realität ist; diese Frage hat man sich in der Philosophie, der Kunst, der Literatur, der Religion, und so weiter immer wieder gestellt und tut das bis heute. Mittlerweile ist allerdings auch die Naturwissenschaft dazu gekommen und stellt die Frage, ob unser gesamtes Universum vielleicht eine Simulation ist.
Spätestens seit dem Kinofilm "Matrix" aus dem Jahr 1999 können so gut wie alle etwas mit dieser doch etwas seltsamen Idee anfangen. Im Film geht es ja darum, dass die Maschinen die Welt beherrschen und die Menschen in großen Lagern gefangen gehalten werden, ohne Bewusstsein. Ihnen wird allerdings eine künstliche Realität vorgespielt; sie leben ein Leben, dass ihnen völlig normal erscheint, obwohl es nur eine riesige Simulation ist.
Dass die Science Fiction so etwas aufgreift, ist nicht überraschend (und "Matrix" war auch nicht das erste Werk, in dem es um dieses Thema ging). Wenn aber die seriöse Wissenschaft auch darüber nachdenkt, ob alles was wir als "real" wahrnehmen vielleicht nur eine Simulation ist, dann sieht das schon ein wenig anders aus.
Schauen wir also mal, was das alles soll mit der Simulation des Universums. Die Grundidee geht ungefähr so: Unsere Computertechnik macht immer größere Fortschritte. Wenn wir unsere heutige Technik mit dem vergleichen, was vor ein paar Jahrzehnten möglich war, dann ist der Unterschied enorm. Und wer weiß, wie es in ein paar Jahrhunderten oder Jahrtausenden sein wird? Vielleicht sind wir dann in der Lage, eine so exakte Simulation der Welt in einem Computer zu erstellen, dass sie nicht von der Realität zu unterscheiden ist? Vielleicht können wir ja auch ein menschliches Bewusstsein so exakt simulieren, dass es nicht von einem echten Bewusstsein zu unterscheiden ist. Auch die Entwicklung künstlicher Intelligenz macht ja immer größere Fortschritte. Vielleicht sind wir also irgendwann in der Lage, Millionen, Milliarden oder noch viel mehr simulierte Menschen in einer simulierten Welt zu erschaffen, die dort ihr simuliertes Leben leben ohne zu merken, dass es nur eine Simulation ist.
Und wenn das alles so sein könnte: Was spricht dann dagegen, dass das nicht alles längst schon passiert ist und WIR die simulierten Menschen in der simulierten Welt sind? Die moderne Version dieser "Simulationshypothese" stammt vom schwedischen Philosophen Nick Bostrom, der 2003 den Artikel "Are you living in a computer simulation?" veröffentlicht hat. Er geht darin von drei Annahmen aus, und behauptet, dass sie alle mehr oder weniger gleich wahrscheinlich beziehungsweise unwahrscheinlich sind, und mindestens eine davon wahr sein muss. Diese drei Annahmen lauten so:
1) Wir Menschen schaffen es nicht, uns so weit zu entwickeln, um die nötige Technik zu erreichen, eine entsprechende Simulation durchzuführen. 2) Wenn es Zivilisationen gibt, die technisch in der Lage sind, solche Simulationen durchzuführen, dann hat so gut wie keine davon auch ein Interesse daran, die Simulation auch praktisch durchzuführen.
Und 3) Wir leben in einer Computersimulation.
Man kann noch nachvollziehen, dass zumindest eine der Möglichkeiten zutreffen muss. Entweder wir leben in einer Simulation, das ist Variante 3. Oder es gibt niemanden, der in der Lage ist oder Lust dazu hat, eine Simulation durchzuführen. Das sind Varianten 1 und 2.
Wir können aber nicht entscheiden, welche der drei Möglichkeiten zutrifft. Bostrom meint, wir könnten hoffen, dass Variante 3 richtig ist, denn das würde es unwahrscheinlicher machen, dass Variante 1 zutrifft, dass wir uns also irgendwann in Zukunft selbst auslöschen, bevor wir in der Lage sind, eine technisch hochstehende Zivilisation zu errichten.
Das klingt jetzt alles noch nicht sonderlich naturwissenschaftlich. Man kann aber zumindest mal überlegen, wie wahrscheinlich Varianten 1 und 2 sind. Gibt es etwas, dass rein prinzipiell dagegen spricht, dass wir die technischen Fertigkeiten entwickeln, eine Computersimulation zu entwickeln, die ein Universum simulieren kann? Die Anhänger der Simulationshypothese sagen "Nein". Denn, so das Argument, wenn wir uns anschauen, wie sich die Rechenleistung der Computer im Laufe der Zeit entwickelt hat, sehen wir ein stetiges Wachstum. Und es spricht nichts dagegen, dass das auch in Zukunft so weiter geht. Das mag sein, aber es gibt tatsächlich keinen Beleg dafür, dass es WIRKLICH immer so weiter geht. Vor allem, und das ist der wichtigste Punkt, wissen wir nicht, wie wir ein echtes "künstliches" Bewusstsein schaffen können. Wir können das jetzt jedenfalls definitiv nicht. Gut, vielleicht kriegt es jemand in der Zukunft hin. Vielleicht aber auch nicht. Wir wissen derzeit noch nicht einmal, wie ein Bewusstsein im Gehirn überhaupt entsteht. Und deswegen können wir auch nicht wissen, ob das ein Vorgang ist, der sich maschinell reproduzieren lässt. Oder, wenn sich so etwas irgendwie machen lässt, ob das was, das dabei entsteht, mit dem vergleichbar ist, was wir "Bewusstsein" nennen. Und weil wir das nicht wissen, können wir auch nicht sagen, ob die Simulationshypothese überhaupt funktioniert.
Das muss man vielleicht noch einmal wiederholen, weil wir dazu neigen, es zu vergessen, angesichts all der Entwicklungen in der Computertechnik, bei der künstlichen Intelligenz, und so weiter. Wir wissen nicht, wie das Bewusstsein funktioniert. Wir können zwar daran glauben, dass zukünftige Technik in der Lage ist, ein Bewusstsein zu simulieren. Aber wir können es nicht wissen. Das liegt nicht nur daran, dass uns das notwendige medizinische Wissen über das Gehirn und so weiter fehlt. Wir wissen zum Beispiel auch noch zu wenig über die Grundlagen der Quantenmechanik, den fundamentalen Aufbau der Materie; wir wissen nicht, ob die Elementarteilchen in Wahrheit aus irgendwas anderem bestehen, den Strings der Stringtheorie, und so weiter. Das müssen wir aber wissen, weil all das eine Rolle spielt, wenn wir auch das Bewusstsein fundamental verstehen wollen und auch, wenn wir Computer bauen wollen, die ausreichend viel Rechenleistung haben für so eine Simulation. Mit konventionellen Geräten ist das mit Sicherheit nicht möglich; wenn, dann braucht man irgendeine Weiterentwicklung von Quantencomputern, die auf völlig anderen Prinzipien beruhen.
Aber lassen wir all das mal beiseite. Und behaupten einfach "Wir leben in einer Simulation". Was hätte das für Konsequenzen? Können wir das zum Beispiel irgendwie feststellen? Auch das ist knifflig. Wenn wir simuliert sind, dann kann man uns ja auch so simulieren, dass wir nicht in der Lage sind, die Simulation zu erkennen. Aber trotzdem hat sich die Wissenschaft auch damit beschäftigt. Die Details würden jetzt zu weit führen, aber es gibt bestimmte quantenmechanische Experimente, die zumindest theoretisch in der Lage wäre, eine Simulation zu erkennen. Sie beruhen auf einem Effekt, den man auch von den Computerspielen kennt, die wir jetzt benutzen: Da wird nie die komplette Welt simuliert, sondern nur der Teil, der gerade relevant ist und unter Beobachtung steht. Und weil es in der Quantenmechanik ja durchaus darauf ankommt, ob ein Vorgang beobachtet wird oder nicht, kann man daraus entsprechende Experimente konstruieren, die uns sagen könnten ob wir in einer Simulation leben oder nicht. Aber solche Experimente sind in der Praxis kaum umzusetzen und am Ende stehen wir wieder vor dem Problem, dass wir 1) nicht wissen, ob wir die Quantenmechanik gut genug verstehen, um solche Aussagen machen zu können und wir 2) nicht wissen, ob die Simulation nicht ganz anders läuft als wir uns jetzt vorstellen, wie so eine Simulation laufen könnte.
Und 3) ist es vielleicht keine gute Idee, die Existenz der Simulation nachzuweisen. Denn wer weiß, ob es denen, die die Simulation laufen lassen, gefällt, dass wir das tun. Vielleicht drehen sie den Computer auch einfach ab, wenn wir drauf kommen, dass es die Simulation gibt? Die hypothetischen Simulierer könnten aber übrigens in einer ähnlichen Situation sein. Denn WENN wir nur simuliert sind, wäre es seltsam, wenn wir die einzigen wären. Wir denken ja auch darüber nach, wie wir eine Welt simulieren können. Und wenn wir es können, dann tun wir es vermutlich auch. Und wenn es solche Simulationen tatsächlich gibt, dann spricht zumindest theoretisch nichts dagegen, dass eine simulierte Welt selbst wieder eine Welt simuliert. Und so weiter. Wenn es möglich ist, ein Universum zu simulieren, dann sind vermutlich die überwiegende Mehrheit der existierenden Bewusstseine simuliert und nur eine Minderheit davon ist echt.
Am Ende ist die Sache mit dem simulierten Universum aber vor allem nur eine interessante Idee, über die man durchaus nachdenken kann. Aber auch wenn es eine interessante Idee ist, auch wenn es spannend ist, sich das vorzustellen und sich mit den Science-Fiction-Geschichten zu beschäftigen, die das getan haben: Es gibt keine wissenschaftlich seriösen Argumente, aus denen man ableiten könnte, dass es wahrscheinlich ist, dass wir in einer Simulation leben. Die philosophische Gedanken über die Natur der Realität in eine naturwissenschaftliche Hypothese umdeuten zu wollen, nach der das Universum ein Computerprogramm ist und wir nur Simulationen sind: Das ist eigentlich schon nah an der Pseudowissenschaft. Aber gut, es kann natürlich sein, dass da nur die Simulation aus mir spricht…
Sternengeschichten Folge 565: Regolith - Der Boden über unseren Füßen
"Erinnert euch daran, nach oben zu den Sternen zu blicken – und nicht nach unten auf eure Füße" - das hat Stephen Hawking in seiner letzten Videobotschaft, kurz vor seinem Tod im März 2018 gesagt. Und diesem Zitat kann ich natürlich nur zustimmen. Allerdings kann es sich durchaus auch lohnen nach unten auf die Füße zu sehen. Ganz besonders dann, wenn diese Füße nicht auf der Erde stehen, sondern auf dem Boden eines anderen Himmelskörpers.
Und genau das ist das Thema dieser Folge der Sternengeschichten. Es geht um den Boden über unseren Füßen; den Boden anderer Himmelskörper und insbesondere den Boden des Mond. Dort sind ja tatsächlich schon menschliche Füße gestanden. Und vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere: Ok, schön und gut - aber was soll man da groß erzählen können? Boden ist Boden, egal ob auf der Erde, dem Mond oder dem Mars. Am Mond ist der Boden halt grau und ohne Pflanzen und man braucht einen Raumanzug, wenn man darauf rumlaufen will. Aber was soll da eine ganze Podcastfolge füllen?
Nun, so einfach ist die Sache nicht. Nehmen wir den Mond: Als in den 1960er Jahren die ersten Versuche gemacht wurden, dort zu landen - zuerst mit Raumsonden und später dann auch mit Raumkapseln aus denen Menschen aussteigen sollten - da war man sich nicht wirklich sicher, was einen dort erwartet. Man befürchtete zum Beispiel, dass das Apollo-11-Raumschiff nicht landen, sondern einfach in einer meterdicken Schicht aus lockerem Staub versinken könnte. Das klingt komisch, aber wir müssen uns nur einmal überlegen, was "Boden" eigentlich sein soll. Wenn man das genau wissen will, dann ist das eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Auf der Erde ist da zuerst mal die Gesteinskruste des Planeten, aber als "Boden" bezeichnet man eigentlich nur die oberste Schicht dieser Kruste. Und wie die beschaffen ist, hängt ganz deutlich von den Eigenschaften des Planeten selbst ab. Lassen wir mal die Stellen beiseite, an denen die Erdoberfläche tatsächlich aus nacktem Gestein besteht; Gebirge, und so weiter. Dann ist die Beschaffenheit des restlichen Bodens, vereinfacht gesagt, durch die Anwesenheit von Leben, Wasser und Wetter geprägt. Wind und Wetter erodieren das Gestein, zerbröckeln es, Flüsse transportieren diese Stücke durch die Gegend und wir kriegen zum Beispiel Boden der aus Sand besteht. Oder wir kriegen die Art von Boden, die wir "Erde" nennen, wenn Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen darin leben und mit ihrem Stoffwechsel das Gestein langsam aber sicher zu Erdboden machen.
Aber auf dem Mond gibt es kein Wetter, es gibt kein fließendes Wasser und es gibt keine Lebewesen. Wieso sollte man dort etwas anderes finden, als Gestein? Man kann ja auch schon mit kleinen Teleskopen sehen, dass dort überall Krater sind. Und in meterdicken Staubschichten kriegt man keine Krater. Aber wie ich schon gesagt habe: So einfach ist es nicht. Ja, am Mond sind Krater. Aber genau diese Krater sagen uns, dass auf dem Mond im Laufe der Zeit jede Menge Asteroiden eingeschlagen haben. Mehr noch: Wir wissen, dass der Mond keine Atmosphäre hat, so wie die Erde. Die Erdatmosphäre sorgt dafür, dass nur die sehr großen Felsbrocken aus dem All auf dem Erdboden einschlagen können. Die kleineren brechen in der Atmosphäre auseinander. Auf dem Mond findet das nicht statt; alles, was aus dem All kommt, kommt auch bis zur Mondoberfläche durch und trifft dort mit Geschwindigkeiten bis zu 25 Kilometer pro Sekunde auf. Große Asteroiden, die große Krater schlagen ebenso wie winzige interplanetare Gesteinsbrocken die nur ein paar Zentimeter oder Millimeter groß sind. Und auch die verursachen Krater. Kleine Krater, aber eben trotzdem Krater, weil nichts da ist, was sie bremmst. Und dann gibt es auch noch die kosmische Strahlung, also vor allem die geladenen Teilchen die die Sonne aus ihren äußersten Schichten hinaus ins All schleudert. Auch davor schützt uns auf der Erde die Erdatmosphäre; der Mond wird dagegen voll davon getroffen. Und auch diese kosmische Strahlung kann das Gestein der Mondoberfläche verwittern.
Wir haben also den Mond, mit einer felsigen Oberfläche und ohne schützende Atmosphäre. Die Mondoberfläche ist seit 4,5 Milliarden Jahren dem Bombardement von Asteroiden und kosmischer Strahlung ausgesetzt. Was passiert mit Felsen, wenn man sie ein paar Milliarden Jahre lang mit großen und kleinen Hämmern bearbeitet? Sie werden zu Staub! Die Frage, die man sich in den 1960er Jahren gestellt hat, war die nach der Dicke dieser Staubschicht. Es war klar, dass der Mond nicht komplett mit Staub bedeckt ist; es gab auch Regionen mit festerem Gestein; voller Krater und übersäht mit riesigen Felsbrocken - das konnte man ja von der Erde aus sehen. Aber das waren genau die Gegenden, in denen man eigentlich nicht landen wollte. Man wollte eine Region in der möglichst nichts war, was die Landung behindern könnte. Und das waren genau die Ebenen, auf denen unter Umständen dicke Staubschichten ein Raumschiff verschlucken könnten.
Ob das wirklich passieren würde oder nicht, hängt unter anderem auch davon ab, wie "fluffig" der Staub ist, also wie gut die Staubkörner zusammenhalten - oder eben nicht. Aber das wusste man damals nicht. Die ersten Raumsonden, die in den 1960er Jahren auf dem Mond landeten, lieferten gute Hinweise, dass die Staubschicht nur ein paar Zentimeter dick ist, aber man konnte nicht ausschließen, dass es in anderen Gegenden vielleicht anders ist. Und wenn man sich die Landestützen der Apollo-Raumschiffe ansieht, dann erkennt man auch, dass man diese Gefahr nicht ganz abgeschrieben hatte. Die Landebeine hatten unten große Scheiben montiert mit einem Durchmesser von jeweils fast einem Meter. Ihr Zweck: Zu verhindern, dass die Landefähre zu sehr in der Staubschicht einsinkt.
Ist sie dann aber ja nicht. Wir wissen heute, dass die Staubschicht auf dem Mond tatsächlich nur ein paar Zentimeter dick ist. Beziehungsweise ist sie durchaus deutlich dicker, so wie man es nach Milliarden von Jahren an mechanischer Einwirkung erwarten würde. Aber man sinkt eben nur ein paar Zentimeter ein. Und es wird langsam Zeit, diese Staubschicht bei ihrem korrekten Namen zu nennen: Regolith. Der Regolith auf dem Mond war aber auch nach der erfolgreichen Landung nicht unproblematisch. Man war natürlich zuerst einmal wissenschaftlich daran interessiert und tatsächlich bestand einer der ersten Aktionen, die Neil Armstrong nach seinem Ausstieg aus der Landefähre durchgeführt hat, darin, ein bisschen Mondstaub in einen Beutel zu füllen und in seiner Tasche zu verstauen. Selbst wenn man jetzt aus irgendwelchen Gründen sofort wieder starten würde müssen, hätte man zumindest irgendwas vom Mond mitgebracht. Am Ende hat man ja sehr viel mehr zur Erde transportiert; nicht nur Felsbrocken sondern auch Staub. Zum Teil hat man den Staub absichtlich gesammelt, zum Teil aber unabsichtlich mitgenommen. Wenn man sich die Bilder der Apollo-Astronauten ansieht, dann erkennt man deutlich, wie schmutzig ihre weißen Raumanzüge sind. Das liegt daran, dass der feine Regolith elektrostatisch geladen ist und deswegen extrem gut an der Kleidung haftet. Deswegen wissen wir auch, wie Mondstaub riecht: Als sich die Astronauten nach ihrem Einsatz umgezogen haben, konnten sie den Geruch an ihren Raumanzügen feststellen und waren einhellig der Meinung, es würde nach abgebrannten Schwarzpulver riechen, also ein wenig so wie nach einem Feuerwerk.
Staub, der überall haften bleibt ist allerdings auch ein Problem; nicht nur wenn man hier auf der Erde eine saubere Wohnung haben will. Im Weltraum kann es wirklich schwierig werden, zum Beispiel weil helle Oberfläche durch den Staub dunkel werden, wodurch sie sich dann stärker aufheizen, als sie es tun sollten. Die Staubkörner werden auch nicht durch Wind und Wetter abgeschliffen und sind zum Teil recht kantig, und deswegen besonders gut darin, Oberflächen und andere Komponenten durch Abrieb zu schädigen. Ebenso wie die Lungen und den Rest des Körpers der Menschen, die diesen Staub einatmen. Das ist bei Mondstaub noch gefährlicher als bei irdischem Staub. Eben weil die Körnchen so kantig sind, haben sie eine größere Oberfläche als runde Staubkörner und können deswegen besser chemisch reagieren. Die gesundheitlichen Folgen sind also tendenziell größer als bei Staub von der Erde.
Neben diesen negativen Auswirkungen ist der Mondstaub aber auch etwas, mit dem wir uns auseinander setzen können beziehungsweise müssen, wenn wir in Zukunft vielleicht dauerhafte Siedlungen auf dem Mond errichten wollen. Dafür brauchen wir Baumaterial und es wäre besser, wir finden es vor Ort als das wir es von der Erde ins All fliegen müssen. Ein Vorschlag ist "Mondbeton" oder "Lunarcrete" bzw. "Mooncrete, so wie Beton auf der Erde, nur mit Regolith. Entsprechende Experimente wurden mit - sehr geringen Mengen - an echtem Mondstaub gemacht und waren recht erfolgreich. Dieses Material ist hitzbeständig und kann die Temperaturextreme auf dem Mond aushalten; es kann die radioaktive Strahlung aus dem Weltall abwehren - ist aber nicht luftdicht. Ob wir in Zukunft wirklich in Häusern aus Mondbeton wohnen, wird sich erst zeigen müssen. Aber wenn, dann wollen wir auf dem Mond vielleicht auch Pflanzen züchten. Das geht in irdischem Boden vergleichsweise einfach, weil die Mikroorganismen ihn ausreichend mit Nährstoffen angereichert haben. Beim Mondstaub muss man die extra hinzufügen, aber wenn man das macht, dann können dort tatsächlich Pflanzen wachsen, wie ein Experiment 2022 erstmals gezeigt hat.
Es gäbe noch viel mehr über den Boden des Mondes zu erzählen und noch viel mehr über den Boden des Mars. Dort waren zwar noch keine Menschen unterwegs, aber das kommt ja vielleicht noch. Auch dort ist alles voll mit Regolith, aus fast den selben Gründen wie beim Mond. Wir wissen, dass wir nicht darin versinken würden. Aber wenn wir irgendwann dauerhaft auf dem Mars leben wollen, dann müssen wir auch hier überlegen, wie wir aus dem Regolith einen echten Erdboden machen können, der Pflanzen ernähert und dort wachsen lässt.
Die Sterne sind wichtig. Aber der Boden eben auch. Im Sinne von Stephen Hawking beende ich diese Folge also mit: "Erinnert euch daran, nach oben zu den Sternen zu blicken – und auf den Boden über euren Füßen".
Sternengeschichten Folge 564: Ariane 5 - Die europäische Rakete
In der Nacht von 5. auf 6. Juli 2023 gab es vermutlich jede Menge Jubel beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Ariane-5-Rakete, die den Kommunikationssatelliten "Heinrich Hertz" ins Weltall bringen sollte, hob pünktlich um Mitternacht ab. Der Start verlief ohne Probleme und der Satellit konnte seinen Weg in eine geostationäre Umlaufbahn antreten. Es war ein besonderer Start - nicht wegen des Kommunikationssatelliten (obwohl das DLR ihn vermutlich sehr besonders findet, immerhin sollen damit einige neue Techniken der Kommunikation im und mit dem Weltraum getestet werden). Es war der letzte Start der Ariane 5, einer der erfolgreichsten und zuverlässigsten Raketen, die Europa je gebaut hat.
27 Jahre früher war die Stimmung am Raketenstartplatz nicht ganz so gelöst. Ganz im Gegenteil, man war ziemlich am Boden zerstört, genau so wie die Ariane-5-Rakete, die am 4. Juni 1996 eigentlich das erste Mal ins Weltall fliegen sollte. Der Ariane-Flug V88 sollte vier Cluster-Satelliten ins Weltall bringen, die von der europäischen Weltraumagentur ESA und der NASA gebaut wurden, um das Magnetfeld der Erde zu untersuchen. Die Rakete schaffte es aber nicht annähernd in den Weltraum; knapp 40 Sekunden nach dem Start began sie, auseinander zu brechen und wurde schließlich gesprengt. Sie war vom Kurs abgewichen und der Grund dafür waren Fehler in der Software, die den Flug steuern sollte. Das war ein großer Rückschlag, den man hatte große Hoffnungen in diese neue Rakete gesetzt. Eigentlich ein ziemlich schlechtes Vorzeichen, und glücklicherweise absolut nicht repräsentativ dafür, wie die Ariane 5 in den kommenden Jahrzehnten gearbeitet hat.
Schauen wir zuerst aber noch ein wenig in die Vergangenheit. Die ersten Länder, die Raketen gebaut haben, die Satelliten und später auch Menschen ins All bringen konnten, waren die USA und die Sowjetunion. Europa und damals vor allem Frankreich wollten aber verständlicherweise einen eigenen Zugang zum All haben; unabhängig von den beiden Supermächten. 1962 wurde deswegen die European Launcher Development Organisation (ELDO) gegründet, um genau dieses Ziel durch eine Entwicklung einer eigenen Rakete zu erreichen. Gründungsmitglieder der ELDO waren Deutschland, Belgien, Frankreich, das vereinigte Königreich, Italien, die Niederlande und Australien. Ja, Australien gehört nicht zu Europa, aber dort gab es einen Startplatz für Raketen, den man verwenden wollte. Die Rakete, die man dort ins All schicken wollte, trug den passenden Namen "Europa", hat es aber nie geschafft, den Weltraum zu erreichen. Alle Teststarts von Europa 1 und Europa 2 (insgesamt sowieso nur vier, die zwischen 1964 und 1971 stattgefunden haben) sind gescheitert, aber das ganze Projekt war von Anfang an eher wenig erfolgreich. Italien hat schon 1969 aufgehört, die Beiträge zu zahlen; 1973 haben auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgehört, zu zahlen. 1973 hat man die ELDO komplett aufgelöst; den Job eine funktionierende Rakete zu bauen, hatte von da an die European Space Research Organisation (ESRO), eine weitere europäische Weltraumorganisation aus Europa, die vor allem Satelliten gebaut hat, die von den USA ins All gebracht wurden. Aus der ESRO ist 1975 die heute noch bestehenden Europäische Weltraumagentur ESA geworden; eine eigene Rakete hatte Europa aber immer noch nicht.
Insbesondere Frankreich wollte so eine Rakete aber unbedingt und auf Anregung von Frankreich wurde das Ariane-Programm ins Leben gerufen. Die dabei entwickelte Rakete trug den Namen Ariane, der französische Name der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Ariadne. Diese Rakete war erfolgreicher als die Europa-Rakete; der erste Start der Ariane erfolgte am 24. Dezember 1979 und war erfolgreich. Wenig später wurde die multinationale Firma Arianespace gegründet, die den Betrieb und die Vermarktung der Raketen übernehmen sollte; etwas, was eine Organisation wie die ESA nicht so gut kann. Die ganzen wirtschaftlichen Details will ich jetzt nicht erklären, aber kurz gesagt: Arianespace ist dafür zuständig dass die Raketen gebaut werden und kümmert sich um die Kommerzialisierung; bietet also Transportkapazitäten für alle möglichen Satelliten an. Die ESA ist der Hauptvertragspartner von Arianespace und beauftragt den Bau der Raketen.
Auf das Modell Ariane-1 sind - wenig überraschend die Modelle Ariane 2, Ariane 3 und Ariane 4 gefolgt. Neben diversen kommerziellen und militärischen Kommunikationssatelliten haben diese Raketen auch immer wieder wissenschaftliche Instrumente ins All gebracht. Am 2. Juli 1985 ist zum Beispiel die Sonde Giotto gestartet worden, die den Halleyschen Kometen besucht hat. Insgesamt gab es aber nur 11 Starts der Ariane 1, nur 6 der Ariane 2 und ebenfalls 11 der Ariane 3 Rakete. Die Ariane 4 dagegen war wesentlich langlebiger. Zwischen 1999 und 2003 gab es 116 Starts von denen 113 erfolgreich waren. Zu den bedeutenen wissenschaftlichen Instrumenten die damit ins All geflogen sind, gehören zum Beispiel der Hipparcos-Satellit, von dem ich in Folge 87 mehr erzählt habe und das Infrarot-Weltraumteleskop ISO. Aber auch die erfolgreiche Ariane 4 war, vereinfacht gesagt, nur eine Verbesserung der Vorläufermodelle. Eine richtig neue Rakete sollte erst die Ariane 5 werden. Man wollte sehr viel mehr Nutzlast ins All bringen können und das bei sehr viel geringeren Kosten. Mittlerweile waren die Kommunikationssatelliten deutlich größer und schwerer geworden und wenn man im Geschäft bleiben wollte, dann brauchte Europa ein eigene Schwerlastrakete. Außerdem wollte man den Raumgleiter "Hermes" ins All bringen können. Das wäre ein Raumschiff gewesen, das ähnlich wie das Space Shuttle mit einer Rakete startet, aber von alleine landen kann. Es sollte bis zu drei Menschen ins All bringen und ich sage deswegen "wäre" und "sollte", weil das Hermes-Projekt am Ende nie umgesetzt worden ist.
Die neue Schwerlastrakete Ariane 5 aber sehr wohl! Ohne auf sämtliche Details des Raketenbaus einzugehen, besteht diese Rakete aus einer großen Hauptstufe und zwei zusätzlichen Feststoffboostern. Diese Komponenten geben der Ariane 5 auch ihr typisches Aussehen: In der Mitte die klassische Rakete und auf der Seite "kleben" noch zwei kleinere Raketen dran, vereinfacht gesagt. Wenn die Ariane 5 startet, dann zündet zuerst nur das Haupttriebwerk. Die Hauptstufe ist knapp 30 Meter hoch (die gesamte Rakete übrigens knapp 55 Meter), mit einem Durchmesser von 5,4 Metern. Es passen fast 180 Tonnen Treibstoff hinein und die müssen auch drin sein, denn das Material aus dem sie besteht ist so dünn und leicht, dass die Hauptstufe unter ihrem eigenen Gewicht kollabieren würde, wenn sie nicht vom Treibstoff stabilisiert wird. Wenn die Hauptstufe korrekt zündet und alles perfekt läuft, werden ein paar Sekunden später die Booster gezündet. In jeden von ihnen passen 270 Tonnen Treibstoff, also ingesamt deutlich mehr als in der Hauptstufe. Die Booster sind es deswegen auch, die so gut wie den gesamten Schub beim Start liefern; erst wenn sie ausgebrannt sind - circa 2 Minuten nach dem Start - werden sie abgeworfen und das Haupttriebwerk übernimmt den Rest des Fluges.
Im Laufe der Zeit sind verschiedene Versionen der Ariane 5 gebaut wurden. Die, die 1996 beim ersten Start überhaupt gleich explodiert ist, war eine Ariane 5G und es war gleichzeitig auch der letzte Fehlschlag. Bei zwei weiteren Missionen wurde nicht die nötige Höhe erreicht um die Kommunikationssatelliten optimal einzusetzen. Aber die restlichen Flüge sind erfolgreich verlaufen. Die verbesserte Ariane 5G+ flog im Jahr 2004 zwar nur dreimal, aber dreimal erfolgreich. Zwischen 2005 und 2009 gab es 6 fehlerfreie Flüge der Ariane 5GS, die im Vergleich zu den beiden Vorgängermodellen eine höhere maximale Nutzlast ins All bringen konnte. Die Ariane 5ES, die zwischen 2008 und 2018 8 mal erfolgreich gestartet ist, konnte die Nutzlast nochmal erhöhen. Am häufigsten eingesetzt wurde aber die Ariane 5 ECA. Ihr erster Start war am 11. Dezember 2002 und auch das war ein Fehlschlag. Die Rakete ist abgestürzt und es war das letzte Mal, dass eine Ariane-5-Rakete explodiert ist. Das wusste man damals aber noch nicht, deswegen hat man die Entwicklung der leistungsstarken ECA ein wenig pausiert und sich alles nochmal angesehen. Was dazu geführt hat, dass eine der großen wissenschaftlichen Missionen der ESA ebenfalls verschoben werden musste. Die Raumsonde Rosetta, die auf einem Kometen landen sollte, hätte eigentlich schon am 13. Januar 2003 mit einer ECA starten sollen, konnte aber erst am 4. März 2004 mit einem anderen Raketentyp fliegen und musste deswegen auch einen anderen Kometen ansteuern als ursprünglich geplant.
Die restlichen Flüge der ECA - insgesamt waren es 82 - verliefen dann aber alle erfolgreich, nur einmal konnten zwei Kommunikationssatelliten nicht exakt an den gewünschten Ort gebracht werden. Bis zum 5. Juli 2023 sind von der Ariane 5 ECA jede Menge Satelliten ins All gebracht und vor allem auch jede Menge wissenschaftliche Instrumente. Zum Beispiel das Weltraumteleskop Herschel und Planck, die Sonde zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung, die 2009 gestartet wurden. Oder Bepi-Columbo, die Raumsonde zur Erforschung des Merkus, die 2018 losgeflogen ist. Und natürlich das James-Webb-Weltraumteleskop, das am 25. Dezember 2021 von einer Ariane 5 ECA erfolgreich ins All gebracht wurde. Dieser Flug war sogar so erfolgreich und das Teleskop wurde so exakt in den Weltraum gebracht, dass man sich jede Menge Treibstoff gespart hat und die Missionsdauer des Teleskops sogar verdoppeln konnte. Der vorletzte Flug der Ariane 5 hat die Raumsonde JUICE auf den Weg zur Erforschung der Jupitermonde gebracht, bevor dann der Kommunikationssatellit Heinrich Hertz den letzten Flug begleitet hat.
Die Ariane 5 war ein höchst erfolgreiche und zuverlässige Rakete. Und sie wird nicht die letzte Ariane gewesen sein, die ins All geflogen ist. Immerhin gibt es noch jede Menge Zahlen hinter der 5.
Sternengeschichten Folge 563: Miranda, der seltsame Mond des Uranus
Das Sonnensystem ist voller Welten. Von der Erde aus sehen wir davon leider entweder gar nichts oder höchstens ein paar Lichtpunkte am Himmel. Und die Welt um die es heute geht, ist ohne optische Hilfsmittel komplett unsichtbar für uns. Sie befindet sich bei Uranus, den man zwar theoretisch mit freiem Auge sehen könnte, aber in der Praxis eigentlich so gut wie nie ohne optische Hilfsmittel sehen kann. Der ferne Planet wird von einem Haufen Monde umkreist, von denen ich in Folge 409 der Sternengeschichten schon erzählt habe. Heute geht es aber nur um einen dieser Monde, nämlich Miranda. Sein Durchmesser beträgt nur circa 470 Kilometer und so ein kleiner Himmelskörper ist in der enormen Entfernung von der Erde natürlich nicht mit freiem Auge zu sehen. Es wäre aber cool, wenn man es könnte. Denn Miranda ist ein höchst seltsames Objekt. Der Mond sieht komplett durcheinander aus; irgendwie zusammengestückelt, so als wären da ein Haufen unterschiedlichster Felsbrocken wahllos ineinander gekracht. In der Mitte eine Region, die tatsächlich ein bisschen so aussieht wie wir es von unserem Erdmond kennen; darunter aber eine komische rechteckige Struktur mit hellen Gräben; am Rand lange, dunkle Furchen die sich über den halben Monbd ziehen und darunter sieht es so aus, als wäre ein kleines Stück aus Miranda herausgebrochen.
So eine komplexe Oberfläche würde man sich bei so einem winzigen Objekt wie Miranda definitiv nicht erwarten. Aber da ist dieser Mond nunmal, knapp 130.000 Kilometer von Uranus entfernt auf einer kreisförmigen Umlaufbahn, die ihn alle 1,4 Tage einmal um den fernen Eisriesen-Planet bringt. Von seiner Existenz wissen wir seit dem 16. Februar 1948 als der Astronom Gerard Kuiper ihn mit dem Teleskop der McDonald-Sternwarte in Texas entdeckt hat. Miranda befindet sich außerhalb des Ringsystems von Uranus auf einer, wie gesagt, fast perfekt kreisförmigen Bahn. Diese Bahn ist aber um mehr als 4 Grad gegenüber der Äquatorebene von Uranus geneigt und das ist außergewöhnlich. Was das zu bedeuten hat, schauen wir uns später noch genauer an. Bleiben wir zuerst noch kurz bei Uranus selbst. Über diesen Planeten gäbe es auch jede Menge zu erzählen; für diese Geschichte hier ist aber die Art und Weise interessant, wie Uranus um die Sonne kreist. Das tut er mit einer Umlaufzeit von knapp 84 Jahren. Die Achse, um die Uranus selbst alle gut 17 Stunden rotiert ist aber um 97 Grad gegenüber der Ebene geneigt, in der er sich um die Sonne bewegt. Oder anders gesagt: Uranus "rollt" quasi um die Sonne. Ein halbes Uranus-Jahr lang ist sein Nordpol fast direkt auf die die Sonne gerichtet; die andere Hälfte zeigt der Südpol zur Sonne. Das bedeutet, dass eine Hälfte des Uranus 42 Jahre lang dunkel ist, worauf dann ein 42 Jahre langer heller "Tag" folgt (ein bisschen so wie bei den Polartagen und Polarnächten in Arktis und Antarktis auf der Erde). Und was für Uranus gilt, gilt auch für Miranda, der den Planeten ja nahezu in dessen Äquatoreben umkreist. 42 Jahre lang ist die eine Hälfte des Mondes hell und die andere dunkel und dann ist es 42 Jahre lang umgekehrt.
Das ist aber bei weitem noch nicht alles, was Miranda so außergewöhnlich macht. Schauen wir uns an, was es dort alles zu sehen gibt. Zum Beispiel die Coronae. Das ist lateinisch für Krone beziehungsweise Kranz und genau so sehen die Dinger auch aus: runde oder ovale Strukturen, die keine Krater sind. Wir kennen so etwas von der Venus: Dort entstehen die Coronae, wenn Magma aus dem Planeteninneren aufsteigt und dabei die Kruste nach oben drückt. Dann bricht die Kruste auf und das geschmolzene Material fließt an den Rändern nach oben. Die Struktur die dabei entsteht ist das, was wir heute Corona nennen.
Bei einem heißen Planeten wie der Venus ist das plausibel. Aber nicht bei einem winzigen Mond wie Miranda, der noch dazu eiskalt ist. Die mittlere Dichte von Miranda liegt nur wenig über einem Gramm pro Kubikzentimeter, was bedeutet, das er fast vollständig aus Wassereis bestehen muss. Fast 80 Prozent des Mondes sind Eis, der Rest sind ein bisschen Gestein und gefrorene Gase wie Methan. Mit heißem Magma ist im Inneren von Miranda eher nicht zu rechnen. Aber wir kommen später auf dieses Thema und die Entstehung der Coronae auf Miranda zurück. Schauen wir uns zuerst eine davon etwas genauer an: Inverness Corona. Auf einem Bild von Miranda ist sie leicht zu erkennen, denn sie ist fast schon rechteckig statt oval oder kreisförmig. Es handelt sich um eine gewaltige Senke in dem sie umgebenden Hochland, mit einer Ausdehnung von mehr als 230 Kilometer. Man erkennt jede Menge Furchen und deutliche Helligkeitsunterschiede in der Oberfläche. Allgemein ist Miranda ein eher heller Himmelskörper. Er reflektiert im Mittel gut 32 Prozent des einfallenden Sonnenlichts, mehr als doppelt so viel wie der Erdmond reflektiert. Innerhalb von Inverness Corona variiert die reflektierte Lichtmenge aber zwischen 20 und 40 Prozent; sehr helle Regionen wechseln sich dort mit sehr dunklen Bereichen ab. Neben Inverness Corona befindet sich Elsinore Corona, eine noch ausgedehntere Region aus parallel verlaufenden Gräben die bis zu 320 Kilometer lang sind.
Wirklich beeindruckend auf Miranda sind allerdings die Rupes. So werden die Klippen auf Miranda genannt und nirgendwo gibt es höhere als dort. Wenn man auf der Erde möglichst tief nach unten fallen will, ohne in ein Flugzeug zu steigen, dann muss man auf die Insel Baffin Island in Kanada reisen. Dort steht der Mount Thor, mit einer Steilwand, von der aus es 1250 Meter senkrecht nach unten geht (und es hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber der erste, der diesen Berg bestiegen hat war der Astronom Lyman Spitzer, über den ich in Folge 362 mehr erzählt habe). Das ist aber nichts gegen die Verona Rupes auf Miranda. Von dieser Klippe geht es 20 Kilometer tief nach unten. 20 Kilometer! Würde man von Mount Thor fallen, braucht man circa 20 Sekunden bis man unten ankommt. Von der Spitze der Verona Rupes würde man mehr als 12 Minuten lang fallen. Das liegt nicht nur allein an der Höhe, sondern natürlich auch an der enorm geringen Schwerkraft die auf dem kleinen Mond herrscht. Trotzdem sollte man diesen Sprung nicht ausprobieren: Auch in der geringen Schwerkraft von Miranda erreicht man am Ende eine hohe Geschwindigkeit und würde mit gut 200 Kilometer pro Stunde am Boden der gewaltigen Klippe aufprallen.
Es ist schon ein wenig überraschend: Warum finden wir die größte bekannte Klippe des Sonnensystems gerade auf diesem kleinen Uranusmond? Und wieso hat dieser Mond überhaupt so viele geologische komplexe Strukturen? Was ist da los, wie ist dieser Mond entstanden, dass er heute so aussieht, wie er aussieht?
Lauter gute Fragen und leider gibt es darauf nicht ganz so viele gute Antworten. Früher dachte man, dass der Mond nach seiner Entstehung durch eine Kollision mit einem anderen Himmelskörper quasi komplett zerbrochen ist und die Bruchstücke sich dann wieder auf die chaotische Weise zusammengesetzt haben, die wir heute sehen. Das klingt prinzipiell plausibel; so etwas kann passieren - aber je genauer man sich Miranda angesehen hat, desto weniger Hinweise hat man für diese Hypothese gefunden. Heute geht man von einer anderen Situation aus. Miranda ist ja nicht der einzige Mond des Uranus; da sind noch mehr als zwei Dutzend andere. Zum Beispiel Ariel und Umbriel; beide deutlich größer als Miranda. Computersimulationen zeigen, dass Miranda nach seiner Entstehung in einer Bahnresonanz mit einem beziehungsweise beiden dieser anderen Monde befunden haben könnte. Das heißt, dass die Umlaufbahnen um Uranus der Monde in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander gestanden sind. Während Ariel einmal um den Uranus läuft, macht Miranda genau drei Umläufe: das wäre zum Beispiel eine 3:1 Resonanz. Heute ist Miranda in keiner Bahnresonanz, aber früher könnte der Mond eben in genau so einer 3:1 Resonanz mit Ariel und einer 5:3 Resonanz mit Umbriel gewesen sein. In solchen Resonanzzuständen können sich die gravitativen Wirkungen der Monde aufeinander verstärken, weil sie eben nach regelmäßigen Zeiten die gleichen relativen Abstände haben wie zuvor. Ariel beziehungsweise Umbriel haben also - vereinfacht gesagt - immer wieder mit ihrer Gravitation an Miranda geschubst und das hat Konsequenzen. Zuerst wurde die Umlaufbahn von Miranda dadurch exzentrisch, ist also stark von einer Kreisbahn abgewichen. Das hat die Gezeitenwirkungen verstärkt, die Uranus auf Miranda ausübt und diese starke Gezeitenkraft hat den Mond verformt und dadurch aufgeheizt. Wärmeres Wassereis aus seinem Inneren konnte an die Oberfläche steigen, so wie geschmolzenes Gestein im Inneren der Erde nach oben steigt. Dadurch können auch auf Miranda tektonische Prozesse ablaufen, die dann zum Beispiel die Coronae entstehen lassen; die Gebirge auffalten, die Klippen bilden, und so weiter.
Die Resonanz hat aber nicht ewig gedauert; irgendwann war die Bahn von Miranda so weit gestört, dass sie nicht mehr in Resonanz mit Ariel oder Umbriel war. Ich will nicht auf die ganzen himmelsmechanischen Details eingehen, aber am Ende führt das dazu, dass die Bahn wieder sehr kreisförmig wird, aber die Bahnneigung sich erhöht, genau so wie wir es heute beobachten.
Womit wir beim letzten Problem wären, was Miranda angeht. Wenn ich sage, "wie wir es heute beobachten", dann ist damit eigentlich gemeint: Wie die Raumsonde Voyager 2 es im Jahr 1986 beobachtet hat, als sie an Uranus vorbei geflogen ist und dabei auch ein paar Bilder von Miranda machen konnte. Dass die Sonde gerade an Miranda vorbei geflogen ist - in einem Abstand von knapp 30.000 Kilometer war reiner Zufall; Voyager 2 war auf dem Weg zum Neptun und das war eben die Bahn, die für diesen Flug nötig war. Damals hat niemand damit gerechnet, dass dieser kleine Mond so ein extrem spannendes Objekt sein könnte. Aber das zeigt eben auch wieder, dass man NIE genau sagen kann, was man finden wird, bevor man nicht nachsieht. Wer weiß, was die anderen Monde des Uranus noch für unerwartete Eigenschaften zeigen. Oder die Monde des Neptun; des Jupiters, des Saturns und all die anderen Kometen, Asteroiden und restlichen Himmelskörper, die wir noch gar nicht oder nur extrem lückenhaft im Detail beobachtet haben. Und auch bei Miranda wäre noch viel zu beobachten. All das, was ich bis jetzt erzählt habe, von Inverness Corona, von den Verona Rupes, und so weiter, spielt sich nur auf einer Hälfte des Mondes ab. Was auf der anderen Hälfte noch alles zu sehen wäre, wissen wir nicht. Denn die hat Voyager 2 nicht fotografiert. Vielleicht ist Miranda ja noch viel außergewöhnlicher als wir bisher glauben!
Sternengeschichten Folge 562: Die ursprüngliche Massefunktion
Es gibt viele offene Fragen in der Astronomie. Zum Beispiel wenn es um die Natur der dunklen Materie geht oder die der dunklen Energie. Wir wissen nicht, was im Inneren von schwarzen Löchern wirklich passiert. Und wir haben keine Ahnung, was vor dem Urknall war. Bei solchen Fragen muss man auch nicht viel erklären um zu verstehen, warum es sich lohnen würde, eine Antwort darauf zu haben. Es gibt aber auch ungelöste Probleme, die auf den ersten Blick deutlich unspektakulärer aussehen - auf den zweiten Blick aber von enormer Bedeutung sind.
"Wie hat das alles angefangen?" ist eine der Fragen, die sich vermutlich alle Menschen irgendwann mal gestellt haben. Religion, Philosophie und mittlerweile auch die Naturwissenschaft versuchen sich an Antworten und das ist gut so. Aber wer hat sich schon mal die Frage nach der "ursprünglichen Massefunktion" gestellt? Vermutlich niemand außerhalb der Astronomie und weder Philosophie noch Religion scheinen eine Meinung dazu zu haben. Und auch wenn der Begriff ein wenig sperrig klingt, lohnt es sich, wenig genauer hinzusehen. Es geht vielleicht nicht um den fundamentalen Anfang von Allem und die ultimative Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Aber es geht AUCH um Anfänge und es geht vor allem um den Weg, um an verlässliche Antworten auf Fragen zu kommen.
Bei der ursprünglichen Massefunktion, die in der Fachsprache Englisch auch die "Initial Mass Function" heißt und deswegen oft mit "IMF" abgekürzt wird, geht es um Sterne. Ich habe schon oft genug erzählt, wie Sterne entstehen und will das hier nicht im Detail wiederholen. Auf jeden Fall aber fängt alles mit einer Wolke aus Gas an, die unter ihrem eigenen Gewicht kollabiert, bis die Gasmassen am Ende so dicht zusammengepresst sind, dass in ihrem Inneren die Kernfusion einsetzen kann und ein Stern entstanden ist.
Die Details sind bekanntlich deutlich komplizierter aber es gibt einen Punkt, den wir uns auf jeden Fall genauer ansehen müssen. Die simple Erklärung "Eine Gaswolke kollabiert und es entsteht ein Stern" ist insofern falsch, als dass aus einer Gaswolke nicht EIN Stern entsteht. Die kosmischen Wolken aus denen die Sterne entstehen, sind enorm groß. Sie können hunderte Lichtjahre groß sein und die millionfache Masse der Sonne haben. Wenn so eine Wolke in sich zusammenfällt, dann entsteht daraus nicht ein Stern, sondern hunderte bis tausende auf einmal.
Wir wissen außerdem, dass Sterne gibt, die sehr viel weniger Masse haben als unsere Sonne. Und Sterne, die sehr viel mehr Masse haben. Wie viel Masse ein Stern hat, hängt selbstverständlich von seiner Entstehung ab. Wenn eine große Gaswolke kollabiert, dann fragmentiert sie dabei auch. Das soll heißen: Die ganze Masse der Wolke fällt nicht auf einen Punkt zu; fällt nicht in ein einziges Zentrum zusammen. Sondern es bilden sich darin jede Menge Klumpen, die alle für sich in sich zusammenfallen bis eben ein ganzer Haufen Sterne entstanden sind. Sterne, deren Masse davon abhängt, wie groß der jeweilige Klumpen war, aus dem sie sich gebildet haben.
Und die Frage um die es jetzt geht lautet: Wenn so eine Gaswolke kollabiert, wie viele Sterne mit welcher Masse werden dabei gebildet? Die Beziehung, die das angibt; also die Anzahl der Sterne innerhalb eines bestimmten Massebereichs: Das ist die ursprüngliche Massefunktion. Mit so einer Beziehung kann man dann zum Beispiel berechnen, dass so und so viele Sterne die doppelte Sonnenmasse habe; so und so viele Sterne die halbe Sonnenmasse, und so weiter. Nur: Wie findet man diese Funktion?
Der erste, der das versucht hat, war der Astronom Edwin Salpeter. In Österreich geboren, dann nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich nach Australien geflohen und später nach Amerika ausgewandert, hat er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit Quantenmechanik und der Entwicklung von Sternen beschäftigt. Und 1955 die erste Ursprüngliche Massenfunktion aufgestellt. Sein Ansatz war empirisch, das heißt, er hat probiert das Problem durch Beobachtungen zu lösen. Man kann ja einfach die Sterne beobachten, die da sind; ihre Massen bestimmen und dann schauen, wie viele Sterne mit bestimmten Massen es gibt. Dann sucht man eine mathematische Funktion, die diesen Zusammenhang beschreibt und: Fertig!
Das klingt einfach, ist es aber natürlich nicht. Damit das wirklich funktioniert, müsste man ALLE Sterne beobachten die es gibt; idealerweise müsste man über alle Sterne Bescheid wissen, die es jemals gegeben hat. Das geht nicht und das wusste Salpeter auch. Aber irgendwo muss man ja anfangen, also hat er die diversen Beobachtungsdaten zusammengetragen und eine entsprechende Funktion aufgestellt. Aus mathematischer Sicht war diese Formel recht simpel, wenn man wissen will, wie viele Sterne einer bestimmten Masse es gibt, muss man einfach den Wert dieser Masse nehmen und das dann hoch -2,35 nehmen. Aber auf die mathematischen Details kommt es gar nicht an, sondern auf die Tatsache, dass es sehr überraschend wäre, wenn man so etwas die ursprüngliche Massefunktion durch so ein simples Potenzgesetz beschreiben könnte. Der Kollaps einer Gaswolke ist ein höchst chaotischer Prozess, der von vielen Faktoren abhängt. Von den Eigenschaften der Atome selbst bis hin zu externen Einflüssen wie der Strahlung von Sternen in der Umgebung, und so weiter. Aber wie gesagt: Irgendwo muss man mal anfangen und eine simple Näherung ist besser als gar nichts.
Und besser als eine simple Näherung ist natürlich eine genauere Näherung. Dazu braucht man mehr Beobachtungsdaten und da wird es schon wieder schwierig. Große Sterne, mit viel Masse, leuchten hell und heiß und sind daher sehr gut zu beobachten, auch wenn sie weit entfernt sind. Sterne mit geringer Masse, zum Beispiel rote Zwergsterne, sind logischerweise weniger heiß, weniger hell und damit auch schlechter zu sehen. Der sonnennächste Stern - Proxima Centauri - ist zum Beispiel genau so ein roter Zwerg und wir haben ihn erst 1917 entdeckt, wie ich in Folge 114 der Sternengeschichten erzählt habe. Wir wissen außerdem, ganz unabhängig von der ursprünglichen Massefunktion, dass es sehr viel mehr kleine Sterne gibt als große Sterne. Ungefähr drei Viertel aller Sterne im Universum sind rote Zwergsterne; Sterne von ungefähr der Masse unserer Sonne sind sehr viel seltener und machen nur circa 6 Prozent aller Sterne aus. Salpeter hatte sich damals bei seiner Arbeit auf die sonnenähnlichen Sterne konzentriert, die leichter zu beobachten sind als die leuchtschwachen roten Zwerge. Aber wenn man allgemeine Prinzipien über alle Sterne aus einer kleinen, nicht repräsentativen Untergruppe ableiten will, schafft das eben Probleme.
Salpeters Ansatz ist im Laufe der Zeit verbessert worden, mit immer besseren Beobachtungsdaten. Aus der simplen mathematischen Formel sind komplexere Formeln geworden, bei der man verschiedene mathematische Gleichungen verwenden muss, je nachdem ob man es mit kleinen, mittleren oder großen Sternen zu tun hat. Aber das fundamentale Problem bleibt: Wir haben zu wenig Daten, sowohl was die sehr großen als auch die sehr kleinen Sterne angeht. Große Sterne mit viel Masse sind sehr heiß und deswegen läuft die Kernfusion dort sehr schnell ab. Sie haben ihren Treibstoff schnell aufgebraucht; explodieren bei Supernovas und deswegen sehen wir nicht so viele davon. Kleine Sterne wären zahlreich vorhanden, sind aber schwer zu beobachten.
Uns fehlen also die Daten, um eine verlässliche ursprüngliche Massenfunktion aufzustellen. Und wir haben auch keine Theorie, die so exakt beschreiben kann, was beim chaotischen Kollaps einer Gaswolke passiert, um auf diesem Weg eine Massenfunktion ableiten zu können. Dazu kommen noch ein paar grundlegendere Probleme: Wer sagt denn, dass es so eine Funktion überhaupt geben muss? Also es gibt sie natürlich in dem Sinn, als dass man die Massenverteilung einer Sternenpopulation immer mit einer mathematischen Formel beschreiben kann. Aber es wäre eigentlich höchst überraschend, wenn es eine "universale" Funktion geben würde, die immer und überall für alle Arten der Sternentstehung gilt. Die Bedingungen die in der Milchstraße für die Sternentstehung herrschen sind anders, als in anderen Galaxien. Und die Bedingungen die JETZT in der Milchstraße herrschen, sind anders, als sie vor ein paar Milliarden Jahren waren. Selbst innerhalb der Milchstraße gibt es unterschiedlichste Sternentstehungsregionen mit unterschiedlichen Bedingungen.
Wenn überhaupt, dann müsste eine ursprüngliche Massefunktion jede Menge Parameter haben, mit der man sie an die verschiedenen Orte und Zeiten anpassen kann, für die sie verwendet werden soll. So oder so brauchen wir in der Astronomie ein möglichst gutes Verständnis über die Entstehung der Sterne. Denn davon hängt alles andere ab! Wenn wir ein paar der fundamentalen Fragen beantworten wollen, die ich zu Beginn gestellt habe; Fragen über dunkle Materie, dunkle Energie, den Urknall, und so weiter: Dann können wir auf naturwissenschaftliche Weise nur dann Antworten finden, wenn diese auf Beobachtungsdaten basieren. Und all diese Beobachtungen haben auf die eine oder andere Art mit Sternen zu tun. Beziehungsweise: Mit dem Licht der Sterne. In der Astronomie können wir, mit wenigen Ausnahmen, NUR das Licht der Sterne beobachten und müssen daraus alles andere ableiten. Eigenschaften wie das Alter der Sterne, ihre Temperatur oder eben ihre Masse sind einer direkten Beobachtung nicht zugänglich. Wir müssen das Verhalten von Sternen so gut wie nur irgendwie möglich verstehen, wenn wir solche Eigenschaften indirekt aus der Beobachtung des Lichts bestimmen wollen. Und zum Verhalten von Sternen gehört zuallerst natürlich auch ihre Entstehung und damit das, was durch eine ursprüngliche Massenfunktion beschrieben wird.
Und erst wenn wir ausreichend viele Eigenschaften von ausreichend vielen Sternen bestimmt haben, können wir diese Daten nutzen, um damit zum Beispiel die Dynamik einer Galaxie zu untersuchen. Die unser wiederum Information über die dunkle Materie liefern kann. Und so weiter: Egal ob es um den Urknall geht, um erdähnliche Exoplaneten oder was auch immer sonst wir über das Universum wissen wollen: Wir müssen die Sterne verstehen, wenn wir Antworten haben wollen. Und deswegen ist Suche nach der ursprünglichen Massefunktion so wichtig.
Sternengeschichten Folge 561: Die Entstehung des Universums aus dem Nichts
"Das Universum ist eines der Dinge, die von Zeit zu Zeit einfach passieren". Je nachdem, wie lange man über diesen Satz nachdenkt, ist er entweder eine flapsige Bemerkung oder eine sehr tiefgründige Aussage. Tatsächlich stammt der Satz aus einer wissenschaftlichen Arbeit, die im Jahr 1973 veröffentlicht worden ist und zwar von Edward Tryon. Ein Name, den kaum jemand kennt; selbst innerhalb der Wissenschaft nicht und das obwohl Tryon der erste war, der sich ernsthaft wissenschaftliche Gedanken über die Entstehung des Universums gemacht hat.
Bevor wir aber zu Tryon kommen und zu seiner Arbeit, müssen wir zuerst ein paar mögliche Missverständnisse aus dem Weg schaffen. Denn vielleicht denkt jetzt der eine oder die andere: Moment mal, die Urknalltheorie ist doch viel älter als 1973! Das stimmt, aber das, was landläufig als "Urknalltheorie" bekannt ist und wissenschaftlich korrekt als Lambda-CDM-Modell bezeichnet werden muss, ist eine kosmologisches Modell, das die ENTWICKLUNG des Universums beschreibt. Es geht darin um die Entstehung der ersten Elementarteilchen; darum, wie sich aus diesen Teilchen die ersten Atome entwickelt haben, daraus die ersten Sterne, und so weiter. Es geht um die fundamentalen physikalischen Kräfte und wie die sich unter den extrem Bedingungen im sehr, sehr frühen Universum verhalten haben. Das Urknallmodell ist sehr gut darin zu beschreiben, wie sich unser heutiges Universum aus einem extrem dichten, extrem heißen Anfangszustand vor 13,8 Milliarden Jahren entwickelt hat. Es macht aber keine Aussagen darüber, wie das Universum selbst entstanden ist!
Und das ist ja eine ziemlich fundamentale Frage: Warum gibt es das Universum überhaupt? Dass es da ist, ist offensichtlich und Astronomie und Kosmologie sind recht gut darin, zu beschreiben wie es funktioniert und was darin alles passiert. Aber warum ist es da? Warum gibt es etwas und nicht einfach nur nichts? Das ist natürlich eine zutiefst philosophische Frage; es ist eine Frage mit der sich alle Religionen der Welt auf die eine oder andere Weise beschäftigt haben. Und es ist eine Frage, die von der Wissenschaft die längste Zeit über ignoriert worden ist. Beziehungsweise ist "ignoriert" vielleicht der falsche Begriff. Man hat festgestellt, dass die Wissenschaft nicht in der Lage ist, darüber irgendwelche sinnvollen Aussagen zu treffen und deswegen darauf verzichtet, das zu tun.
Aber prinzipiell gibt es keinen Grund, nicht doch auch auf wissenschaftliche Weise über Fragen dieser Art nachzudenken. Ansonsten würde man ja in der Forschung nie zu etwas kommen. Womit wir bei Edward Tryon wären. Geboren wurde er am 4. September 1940 in Terre Haute, in den USA und studierte an der Cornell Universtät Physik. Später machte er sein Doktorat in Berkeley an der Uni von Kalifornien wobei er vom Nobelpreisträger Steve Weinberg betreut wurde. Weinberg war nicht nur einer der Mitbegründer des Standardmodells der Teilchenphysik sondern hat sich auch mit Kosmologie beschäftigt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn auch Tryon über die Verbindungen zwischen den ganzen großen und den ganz kleinen Dingen nachgedacht hat. Denn das ist genau das, was man braucht, wenn man es mit der Entstehung und Entwicklung des Universums zu tun hat. Das Universum ist heute groß; war aber früher klein. Und irgendwann kleiner als die kleinsten Objekte die wir uns vorstellen können. Wenn wir irgendwas über seine Entstehung herausfinden wollen, müssen wir uns zwangsläufig mit den Phänomenen der Teilchenphysik und der Quantenmechanik beschäftigen.
Wenn es um so etwas höchst abstrakes wie die Entstehung des Universums selbst geht, gibt es - neben allen anderen Problemen - zwei grundlegende Probleme. Zuerst wäre da einmal die fundamentale Energieerhaltung. Wieso kann "etwas" einfach aus dem "nichts" heraus entstehen? Alle bekannten Gesetze der Naturwissenschaft sagen uns, dass es nicht möglich ist, dass irgendwas "einfach so" zu existieren beginnt. Und zweitens: Wenn da einfach nur nichts ist, welchen Grund; welche Ursache sollte es geben, damit aus dem Nichts ein "etwas" wird? Wir haben also Probleme mit der Kausalität, also den Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung und mit den Erhaltungssätzen, wenn wir erklären wollen, wie das Universum entstanden ist.
Und jetzt sind wir bei Vakuumfluktuationen. Das war auch das Wort, mit dem Edward Tryon zuerst für Gelächter und erst sehr viel später für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Bei einem Vortrag des britischen Kosmologen Dennis Sciama hat Tryon in einer Pause die Bemerkung gemacht, dass das Universum vielleicht eine Vakuumfluktuation sein könnte. Damals hielten das alle für einen Witz; erst später wurde klar, dass Tryon das durchaus ernst gemeint hatte. Und zwar 1973, als sein Aufsatz mit dem Titel "Ist das Universum eine Vakuumfluktuation?" in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlich wurde. Der berühmte Kosmologe Alan Guth, der maßgeblich zum Verständnis der allerersten Vorgänge im Universum beigetragen hat, hat Tryons Bemerkung und späteren Aufsatz als "wahrscheinlich erste wissenschaftliche Idee über die Herkunft des Universums "bezeichnet und wenn wir verstehen wollen, um was es dabei geht, müssen wir die Sache mit den Vakuumfluktuationen ein wenig genauer ansehen.
Was soll das sein; ein Vakuum ist ja nichts und wie soll das Nichts fluktuieren; sich also verändern? Klingt alles sehr paradox, aber wenn man es mit der Quantenmechanik zu tun hat, dann kommt man um solche paradox erscheinenden Phänomene nicht umhin. Ich habe vorhin erwähnt, dass nicht einfach irgendwas aus dem Nichts entstehen kann. Nur dass das in der Quantenmechanik unter Umständen durchaus möglich ist. Tryon schreibt in seiner Arbeit "In der Quantenelektrodynamik ist es zum Beispiel möglich, dass ein Elektron, ein Positron und ein Photon spontan aus dem Vakuum entstehen. Wenn das passiert, existieren die drei Teilchen für einige Zeit, bevor sie sich gegenseitig auslöschen und keine Spur zurück lassen. Das spontane, zeitlich begrenzte Auftauchen von Teilchen aus einem Vakuum wird Vakuumfluktuation genannt und ist ein völlig normales Phänomen in der Quantenfeldtheorie."
Soweit Tryon im Jahr 1973; und bevor ich weiter erzähle, möchte ich noch anmerken, dass die Sache mit den Vakuumfluktuationen WIRKLICH knifflig ist. Das, was Tryon da beschreibt ist nicht exakt das, was man heute unter Vakuumfluktuationen versteht; da geht es um virtuelle Teilchen und eigentlich geht es um sehr viel Mathematik, die man mit der Existenz realer oder virtueller Teilchen veranschaulichen kann aber nicht unbedingt muss und vielleicht auch nicht in allen Fällen veranschaulichen sollte. Ich beschränke mich jetzt auf die eher allgemeine Beschreibung, dass laut dem, was wir durch die Quantenmechanik wissen, durchaus Teilchen "einfach so" entstehen können. In der Quantenmechanik geht es um Statistik und Wahrscheinlichkeiten; man kann zum Beispiel nicht exakt sagen, wo sich ein Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es sich an einem bestimmten Ort befinden könnte. Und auch das mit dem Vakuum ist nicht so einfach. Das ist nicht einfach leer, sondern voll mit Quantenfeldern, die zwar nicht nichts sind, aber eigentlich auch nicht etwas, sondern eher das Potenzial für etwas. Was aber genaugenommen eine enorm und zu sehr vereinfachende Beschreibung ist; aber egal - Quantenfelder sind etwas, aus dem Teilchen spontan entstehen können.
Wir haben aber immer noch ein Problem mit der Energieerhaltung. Das Universum ist voll mit Energie (und Masse, was aber ja eigentlich das selbe ist). Die kann nicht aus dem Nichts kommen, soweit wir wissen. Aber auch das hat sich Tryon überlegt. Die ganze Masse, all die Sterne, die Galaxien und alles andere im Universum stellen eine enorme Menge an Energie dar, das stimmt. Aber die Gravitationskraft, die zwischen all diesen Objekten wirkt, kann man in diesem Zusammenhang als eine Art von negativer Energie interpretieren. Das kann man sich vielleicht mit diesem Vergleich besser vorstellen: Wenn ich einen schweren Stein in den 20. Stock eines Hochhauses trage, dann muss ich dafür Energie aufwenden, weil ich ihn durch das Gravitationsfeld der Erde bewege und diese Gravitation den Stein eigentlich am Boden liegen lassen möchte. Der Stein im 20. Stock hat jetzt eine sogenannte "potentielle" Energie und was für ein Potenzial das ist, kann man beobachten, wenn man den Stein von dort zu Boden fallen lässt. Der Stein gewinnt an Energie, wenn er fällt. Oder anders gesagt: Ein Stein hoch oben hat eine größere potenzielle Energie als einer der Boden liegt. Der am Boden hat eine potenzielle Energie gleich Null; was man auch daran merkt, dass so ein Stein wenig macht; der liegt nur rum und wenn man will, dass er was tut, muss man Energie zuführen. Ich könnte jetzt auch ein Loch buddeln, und einen Stein, den ich dort hineinwerfe, hätte dann eine negative potenzielle Energie, denn ich muss Energie aufwenden, um ihn wieder auf das Nullniveau, das heißt die Erdoberfläche zu heben. Das gilt jetzt aber nur für die Erdoberfläche, weil wir in diesem Beispiel das Nullniveau eben genau auf dort festgelegt haben. Man kann sich aber auch überlegen, wo die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten tatsächlich gleich Null ist: Nämlich dann, wenn sie unendlich weit voneinander entfernt sind. Das eigentliche Nullniveau für die Gravitationsenergie liegt also vereinfacht gesagt unendlich weit über unseren Köpfen. Und auf diese Weise interpretiert haben alle Objekte eine negative potenzielle Gravitationsenergie. Oder noch einmal anders gesagt: Die Gravitation kann als negative Energie betrachtet werden und Tryon hat sich überlegt, dass diese negative Energie ja vielleicht genau die positive Energie der Masse im Universum ausgleichen könnte. Insgesamt betrachtet wäre das Universum dann also etwas, was eine Energie von Null hätte und wenn so etwas dann einach spontan aus dem Vakuum ploppt, sollte das kein Problem mehr sein.
Jetzt ist die Sache natürlich sehr viel komplexer; das, was ich bis jetzt erklärt habe, ist sehr stark vereinfacht und dazu kommt, dass man seit 1973 auch ein paar neue Dinge herausgefunden hat. Man hat die Quantenmechanik besser verstanden; hat Phänomene wie die dunkle Energie entdeckt, die ja auch so eine Art Gegenkraft zur Gravitation ist, und so weiter. Aber der prinzipielle Befund von Tryon bleibt - mit diversen Modifikationen - immer noch bestehen. Das Universum könnte eine Vakuumfluktuation sein. Es könnte "einfach so", aus dem Nichts heraus entstanden sein.
Gelöst ist die Sache damit aber immer noch nicht. Natürlich nicht! Wenn das Universum einfach "nur" eine Fluktuation im Vakuum ist, dann muss man als nächestes nämlich fragen: Was für ein Vakuum soll das denn sein? Tryon schreibt in seiner Arbeit vom "Vakuum eines größeren Raums", in den das Universum eingebettet ist. Und der muss ja am Ende auch wieder irgendwo her kommen… Trotzdem: Tryons Idee war die erste, mit der man auf einer halbwegs seriösen wissenschaftlichen Basis darüber nachdenken konnte, wie so etwas wie das Universum selbst ENTSTEHEN kann. Und wenn wir irgendwann herausfinden sollten, dass es wirklich so war; das wir wirklich spontan aus dem Nichts entstanden sind, dann ist das definitiv ein Fortschritt in der Erkenntnis, selbst wenn wir dann noch klären müssen, in welchem übergeordneten Raum dieses Nichts sich befindet. Aber so wird es immer sein: Egal welche Art von Anfang wir für unsere Existenz finden; wir werden und müssen uns immer fragen, was denn DAVOR war. Und da hilft es auch nichts, wenn man einfach behauptet, das es kein "davor" gibt oder dass es keinen Anfang gibt. Wir können uns nicht vorstellen, dass es etwas gibt, was kein "davor" hat. Egal ob das jetzt eine quasi wissenschaftliche Behauptung ist, wie früher, als man dachte, das Universum hat immer schon existiert und würde bis in die Unendlichkeit weiter existieren. Oder ob man aus der Religion irgendeinen "Gott" einführt, der angeblich "davor" war und aus irgendwelchen Gründen aber selbst kein "davor" braucht: Es ist unbefriedigend. Es kann gut sein, dass unser Gehirn schlicht und einfach nicht in der Lage ist, auf eine Weise zu denken, die diesen Zwiespalt auflöst. Aber wir werden nicht aufhören, darüber nachzudenken.
Tryon selbst hat das mit dem Satz kommentiert, den ich zu Beginn erwähnt habe. In seinem Artikel schreibt er: "Bezüglich der Frage, warum so etwas passiert, biete ich den bescheidenen Gedanken an, dass unser Universum einfach eines der Dinge ist, die eben von Zeit zu Zeit passieren".
Tryon selbst hat seine Pioneerleistung nicht viel gebracht; seine Arbeit wurde lange Zeit ignoriert; erst später, als man ein besseres mathematisches Verständnis für all diese Phänomene entwickelt hat, hat man die Sache mit der Entstehung aus den Vakuumfluktuationen ernster genommen. Bekannt ist sein Name trotzdem nicht geworden, obwohl er es verdient hätte. Tryon ist am 11. Dezember 2019 gestorben und sein Nachruf in der New York Times weiß auch nicht viel mehr zu berichten als über seine akademische Ausbildung und seine Arbeit aus dem Jahr 1973. Aber immerhin wird dort erwähnt, dass er Katzen mochte und in seinen letzten Jahren immer wieder Streuner aufgenommen hat. Für eine Katze, die sich nicht in seine Wohnung getraut hat, hat er sogar eine beheizte Unterkunft gebaut.
Sternengeschichten Folge 560: Quasi-Sterne
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Quasi-Sterne. Und damit sind nicht die "quasi stellar objects" gemeint, beziehungsweise die "Quasare"; also die aktiven Zentren von fernen Galaxien, von denen ich in Folge 52 schon ausführlich erzählt habe. Die Quasi-Sterne um die es jetzt geht sind, sind wie normale Sterne, nur nicht so ganz. Quasi Sterne eben. Es sind Objekte, die von außen so aussehen wie normale Sterne, in deren Inneren sich aber eine Überraschung verbirgt. Diese kosmischen Überraschungseier sollte man aber eher geschlossen halten, denn in ihnen gibt es nichts zum Spielen und auch keine Schokolade. Sie sind allerdings äußerst spannend und um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir bei einem ganz anderen Problem anfangen.
Und brauchen dafür jetzt doch noch einmal kurz die Quasare, die ich zu Beginn erwähnt habe. Wir wissen, dass sich in den Zentren aller großen Galaxien gigantische schwarze Löcher befinden, deren Masse das Millionen- bis Milliardenfache der Sonnenmasse betragen kann. Solche supermassereichen schwarzen Löcher können ruhig sein oder aktiv, je nachdem was sich in ihrer Umgebung befindet. In jungen Galaxien gibt es jede Menge Gas und Staub und all das wirbelt um das zentrale schwarze Loch herum, bevor es hineinfällt. Bei diesem Wirbeln wird elektromagnetische Strahlung freigesetzt und deswegen leuchtet die Umgebung dieser aktiven schwarzen Löcher enorm hell. So hell, dass man das auch noch in großer Entfernung beobachten kann. Diese aktiven Zentren ferner Galaxien nennt man auch "Quasare"; die Zentren von alten Galaxien wie unserer Milchstraße sind dagegen ruhiger. Dort ist nur noch sehr wenig Staub und Gas und diese supermassereichen schwarzen Löcher bringen ihre Umgebung deswegen deutlich weniger stark zum Leuchten.
Dass es supermassereiche Löcher in den Zentren der Galaxien gibt, weiß man schon lange (darüber habe ich in Folge 455 mehr erzählt) und spätestens als wir 2019 das erste Bild so eines supermassereichen schwarzen Lochs gemacht haben, besteht darüber kein Zweifel mehr. Was wir dagegen nicht gut verstehen, ist die Entstehung dieser Objekte. Wir wissen, wie normale schwarze Löcher entstehen, also schwarze Löcher die bis zu ein paar Dutzend Mal schwerer sind als die Sonne. So etwas bildet sich, wenn ein großer Stern am Ende seines Leben keine Kernfusion mehr durchführen kann und unter seinem eigenen Gewicht immer weiter in sich zusammenfällt. Es gibt aber keine Sterne, die so groß sind, dass sie zu einem schwarzen Loch kollabieren, dass ein paar Millionen Sonnenmassen hat.
Kein Problem, könnte man denken: Dann entstehen diese gewaltigen schwarzen Löcher halt in dem viele kleine miteinander verschmelzen. Das ist prinzipiell zwar möglich. Aber es braucht Zeit und wir haben mittlerweile aktive Galaxien entdeckt, die nur ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall existieren - und das ist zu kurz, als dass ein supermassereiches schwarzes Loch aus vielen kleinen entstehen kann. Es muss also einen anderen Mechanismus geben; einen Mechanismus, der schwarze Löcher produziert, die deutlich größer sind als sie normalerweise aus dem Kollaps eines Sterns entstehen würden.
Die Quasi-Sterne sind genau so ein Mechanismus. Und zwar ein hypothetischer, das sage ich am besten gleich dazu. Wir wissen nicht, ob es solche Objekte gibt, aber wenn, dann wären sie enorm faszinierend. Simpel gesagt handelt es sich um einen Stern, in dessen Inneren ein schwarzes Loch sitzt. Nur dass es eben kein echter Stern sein kann; in normalen Sternen findet im Zentrum Kernfusion statt und die sorgt dafür, dass so ein Stern überhaupt so funktionieren kann, wie ein Stern. Die großen Mengen an Gas aus denen ein Stern besteht, wollen unter ihrer eigenen Schwerkraft immer stärker in sich zusammenfallen; die bei der Kernfusion freiwerdende Strahlung dagegen bewegt sich vom Kern nach außen und wirkt diesem Kollaps entgegen. Deswegen bleibt ein Stern stabil und es klingt ein wenig seltsam, wenn man behauptet, dass im Kern eines Sterns auch ein schwarzes Loch sein kann. Das schwarze Loch zieht einfach alles an, verschluckt die Gasmassen des Sterns und fertig. Am Ende kriegen wir ein schwarzes Loch und es bleibt weder ein Stern übrig, noch ein Quasi-Stern.
Das ist im Prinzip richtig. Aber in Warheit auch ein wenig komplizierter. Gehen wir zurück in die Frühzeit des Universums, als es noch keine Sterne gab. Nur sehr viel Wasserstoff und Helium; die anderen chemischen Elemente gab es damals noch nicht, denn die müssen ja erst durch die nuklearen Prozesse in den Sternen produziert werden. Die gigantischen Gaswolken aus Wasserstoff und Helium kollabieren und bilden nun genau diese ersten Sterne. Es kann aber auch sein, dass die Gaswolke so enorm viel Masse hat, dass sie gleich direkt zu einem schwarzen Loch kollabiert. Und es kann sein, dass da noch viel mehr Masse ist. Dann kriegen wir ein schwarzes Loch mit einer Hülle aus Wasserstoff und Helium. Und warum fällt dieses ganze Zeug nicht auch einfach ins schwarze Loch?
Weil schwarze Löcher eben nicht einfach nur Löcher sind, in das Zeug kommentarlos hineinfällt. Ich hab das zu Beginn schon erwähnt: Material in der Nähe eines schwarzen Lochs fällt nicht auf direktem Weg hinein, so wie ein Stein, den man in ein Loch im Boden wirft. Es wird beschleunigt; es wirbelt auf spiralförmigen Umlaufbahnen um das Loch herum, bis es irgendwann am Ende dabei so nahe gekommen ist, dass es der Anziehungskraft nicht mehr entkommen kann. Und bei dieser enorm schnellen Bewegung wird das Material so stark aufgeheizt, dass es Strahlung abgibt. Diese Strahlung kann so stark sein, dass sie das verbliebene Material in der Umgebung des schwarzen Lochs regelrecht davon pustet und deswegen kann ein schwarzes Loch auch nicht so einfach beliebig stark anwachsen. Man nennt das das "Eddington-Limit": Wenn ein schwarzes Loch zu viel Zeug verschluckt, entsteht dabei so viel Strahlung, dass der Rest weit hinaus ins All gedrückt wird und nicht mehr ins Loch fallen kann. Das Wachstum des schwarzen Lochs hat also eine eingebaute Grenze und das ist ein Problem, wenn wir auf der Suche nach einem Mechanismus sind, der überdurchschnittlich große schwarze Löcher produziert.
Es ist allerdings nur auf den ersten Blick ein Problem. Auf den zweiten Blick sieht die Situation nämlich so ähnlich aus, wie ich es vorhin kurz bei den normalen Sternen erzählt habe. Die Gravitation will den Stern kollabieren lassen; der Strahlungsdruck der Kernfusion wirkt dem entgegen und es entsteht ein Gleichgewicht, dass den Stern stabil hält. Jetzt haben wir eine sehr große Menge an Gas, die kollabiert. Ein schwarzes Loch entsteht; verschluckt noch mehr Material und dabei wird Strahlung frei, die nach außen drängt. Wenn die Gashülle um das schwarze Loch aber aussreichend viel Masse hat, dann kann sie durch diese Strahlung NICHT weggedrückt werden. Wir kriegen ein Gleichgewicht, zwischen der Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs frei wird und der Gravitationskraft der Gashülle. Und auch hier kann am Ende eine Art von Gleichgewicht entstehen. Kein dauerhaftes natürlich. Die Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt, reicht nicht, um die äußere Gashülle davon zu pusten. Sie kann sie aber auch nicht dauerhaft auf Abstand zum schwarzen Loch halten. Das heißt, es fällt weiterhin ständig Material aus der Hülle ins Loch; das Loch wächst - langsam - immer weiter, bis die Gashülle irgendwann komplett weg ist. Es dauert circa 7 Millionen Jahre, bis alles verschluckt ist, aber während dieses Vorgangs würde das Objekt von außen so aussehen, wie ein großer, heißer Stern, obwohl er alles andere ist als ein normaler Stern.
"Groß" heißt hier wirklich groß: Ein solcher Quasi-Stern hätte eine Masse von circa 10 Millionen Sonnenmassen; so viel wie manche sehr kleine Galaxien. Und der Quasi-Stern ist zwar groß, aber definitiv kleiner als eine Galaxie, weil eben ein großer Teil der Masse im schwarzen Loch in seinem Inneren sitzt. Die äußersten Schichten der Gashülle, die das Loch umgeben hätten eine Temperatur von circa 10.000 Grad, was circa doppelt so viel ist als bei der Sonne, aber nicht unbedingt untypisch für Sterne.
Wichtig ist aber, was am Ende passiert: Nachdem das schwarze Loch die gesamten Gasmassen verschluckt hat, hat es eine Masse von ein paar tausend Sonnenmassen und das ist deutlich mehr, als es normalerweise haben könnte. Denn normalerweise würde eben das Eddington-Limit verhindern, dass ein schwarzes Loch zu stark wächst. Weil wir bei einem Quasi-Stern aber genau die richtigen Bedingungen haben; weil die Masse der Gashülle genau groß genug ist, um NICHT durch die Strahlung davon gepustet zu werden; weil wir hier das schwarze Loch quasi langsam genug füttern: Deswegen kann es über sein normales Limit hinaus wachsen. Und wenn so etwas oft genug vorkommt und es ausreichend viele solcher schwarzen Löcher gibt, die aus Quasi-Sternen entstanden sind, und DIE miteinander verschmelzen, dann könnte das schnell genug passieren, um zu erklären, wie die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden sind, die wir heute beobachten.
Die ganze Sache klingt plausibel; ist aber eben nur eine Hypothese. Und eine, die schwer zu überprüfen ist. Quasi-Sterne kann es nur im frühen Universum gegeben haben. Sie können nur aus Gaswolken entstehen, die aus Wasserstoff und Helium bestehen. Beziehungsweise: Sie können nur aus Gaswolken entstehen, in denen außer Wasserstoff und Helium sonst keine anderen Elemente enthalten sind. Warum das so ist, ist fast schon wieder ein Thema für eine eigene Sternengeschichte. Aber ganz kurz erklärt: Wie groß eine Gaswolke beziehungsweise ein Protostern werden kann, hängt unter anderem auch von der Fähigkeit des Gases ab, sich selbst zu kühlen. Ansonsten landen wir wieder beim Eddington-Limit: Wenn die Gasmassen zu heiß werden, dann können sie nicht mehr zu einem kompakteren Objekt wie einem Stern kollabieren sondern fliegen auseinander. Aus diversen Gründen, auf die ich hier jetzt nicht eingehen möchte, läuft der Kühlungsprozess effizienter, wenn in einer Gaswolke nicht nur Wasserstoff und Helium vorhanden sind, sondern auch andere chemische Elemente. Die gab es aber im frühen Universum nicht; und deswegen waren damals sehr, sehr große Gaswolken nötig, mit ausreichend viel Masse, um die ersten Sterne entstehen zu lassen. Nur solche großen Massen konnten ausreichend viel Gravitationskraft aufbringen, um trotz der schlechteren Kühlung zu Sternen zu kollabieren. Deswegen waren die erste Sterne im Universum so viel größer als die Nachfolgegenerationen, denen dann ja schon die chemischen Elemente zur Verfügung standen, die diese ersten Sterne bei der Kernfusion erzeugt haben.
Für einen Quasi-Stern braucht man aber noch viel mehr kollabierende Masse und wenn man das mit einer "modernen" Gaswolke aus dem heutigen Universum versuchen würde, würde das nicht klappen. Es kann sie nur im frühen Universum gegeben haben und ein paar Millionen Jahre später waren sie schon wieder verschwunden und zu großen schwarzen Löchern geworden.
Irgendwie müssen die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden sein; immerhin wissen wir ja, dass sie da sind. Vielleicht waren die Quasi-Sterne im frühen Universum ihr Ursprung. Und vielleicht finden wir irgendwann auch noch einen Weg, das zweifelsfrei nachzuweisen. Bis dahin bleibt es weiter spannend; ganz ohne Schokolode.
Sternengeschichten Folge 559: Der Rechenfehler und die Supernova
John Flamsteed wurde 1675 der erste königliche Astronom in England, er gründete die Königliche Sternwarte in Greenwich, er stritt sich heftig mit Isaac Newton - aber all diese Geschichten habe ich schon in anderen Folgen der Sternengeschichten erzählt. Heute geht es um den Himmelsatlas Historia coelestis Britannica, das Lebenswerk von Flammsteed. Genauer gesagt: Es geht um einen ganz besonderen Stern, der in diesem Katalog aufgeführt ist. Einen Stern, den es gar nicht gibt.
Flamsteeds Katalog enthielt die Positionen von 2935 Sternen. Er hat sie alle beobachtet, die Beobachtungsdaten in mühsamer und komplizierter Arbeit in Koordinaten umgerechnet; entsprechende Karten dazu gezeichnet, und so weiter. Warum? Weil das, und fast nur das, damals die Arbeit der Astronomie war! Man konnte ja nicht mehr tun, als die Positionen der Sterne zu messen, und noch ihre Helligkeit. Aber mehr war da nicht; all das, was wir heute über den Aufbau, die Entwicklung der Sterne, über die Galaxien, und so weiter bekannt ist, war damals nicht nur unbekannt, es war für die Menschen auch unmöglich, das mit ihren Methoden herausfinden zu können. Darüber hinaus hat Flamsteed auch ein ganz praktisches Ziel verfolgt; sein Atlas sollte ein fundamentaler Teil einer neuen Methode sein, wie Schiffe auf hoher See ihre Position bestimmen können, aber das hab ich ja in Folge 148 schon genau erklärt.
Flamsteed hat jedenfalls sehr viele Sterne beobachtet. Er konnte dabei natürlich auch keine fotografischen Methoden nutzen; er konnte nur schauen und mit seinen Messgeräten probieren, die Position zu genau wie möglich zu bestimmen. Bilder, die er auch später in Ruhe nochmal nachträglich vermessen konnte, gab es nicht. Es ist also verständlich, wenn man davon ausgeht, dass Flamsteed ab und zu mal Fehler gemacht hat. Wir alle machen Fehler und bei fast 3000 Sternen wäre es überraschend, wenn da jede einzelne Position perfekt passt. Flamsteed hat die endgültige Veröffentlichung seines Werks auch nicht mehr erlebt; es wurde nach seinem Tod herausgegeben und auch danach haben andere Forscherinnen und Forscher nochmal alles genau angesehen und probiert, Fehler zu korrigieren.
Eine dieser Forscherinnen war Caroline Herschel, die Schwester des Astronomen Wilhelm Herschel, der den Uranus entdeckt hat. Caroline war aber nicht nur die Schwester, sondern selbst auch Astronomin die ihrer eigenen Forschung nachging. Und bei ihrer ausführlichen Kontrolle von Flamsteeds Katalog ist ihr der Stern mit der Bezeichnung "3 Cassiopeia" aufgefallen. Da, wo der laut Flamsteed sein sollte, war am Himmel nichts zu finden. Knapp daneben war ein anderer Stern, und Herschel ging davon aus, dass Flamsteed sich bei der Positionsbestimmung ein klein wenig verrechnet hatte und eigentlich diesen Stern gemeint hatte. Sie fand auch keine Aufzeichnungen von Flamsteed zur genaue Rechnung und strich den aus ihrer Sicht nicht existenten Stern aus dem Katalog und setzte stattdessen den anderen ein.
Auch der Astronom Francis Baily beschäftigte sich mit der Korrektur von Flamsteeds Arbeit. Und auch er stolperte über 3 Cassiopiea. Der Fehler, den Flamsteed gemacht haben musste, um die Position des Sterns so falsch zu berechnen, war eigentlich untypisch groß für Flamsteed, der sonst immer extrem genau gearbeitet hat. Auch er konnte nicht herausfinden, was Flamsteed da beobachtet hatte; warum er einen Stern gesehen haben sollte, der nicht da ist.
Aber gut - Fehler passieren eben nun mal. Und wenn ein Katalogeintrag unter tausenden ein wenig komisch ist, dann muss man daraus kein großes Drama machen. 3 Cassiopeia wurde gestrichen und die Sache war vorerst erledigt. Aber so ganz ist der mysteriöse Rechenfehler-Stern nicht aus der Astronomie verschwunden. Und tatsächlich haben wir das Rätsel mittlerweile vielleicht gelöst. Wir springen ein wenig in die Zukunft; aus dem 17. Jahrhundert in die Mitte des 20. Jahrhunderts. 1948 veröffentlichten die britischen Astronomen Martin Ryle und Francis Graham-Smith Ergebnisse aus ihren Beobachtungen auf dem damals noch sehr neuen Forschungsfeld der Radioastronomie. Im Sternbild Cassiopeia fanden sie dabei eine extrem starke Radioquelle, also irgendein Objekt oder Phänomen, bei dem enorme Mengen an elektromagnetischer Strahlung im langwelligen Radiobereich freigesetzt werden. Das Ding hat heute die Bezeichnung "Cassiopeia A" und ist eine der stärksten Radioquelle außerhalb des Sonnensystems, die wir am Himmel beobachten können. Um was es sich dabei genau handelt, wussten Ryle und Smith damals noch nicht. Erst ein paar Jahre später konnte man Cassiopeia A auch mit normalen Teleskopen beobachten. Und je genauer man hinsehen konnte, desto klarer wurde die Lage. Das Objekt dehnte sich aus; sehr schnell sogar. Man beobachtete also offensichtlich eine Art Explosion. Mittlerweile haben wir sehr detaillierte Bilder, die unter anderem von Weltraumteleskopen gemacht worden sind und die zeigen sehr eindeutig, dass Cassiopeia A der Überrest einer Supernova-Explosion ist. Ein gewaltiger Roter Riesenstern muss hier unter seinem eigenen Gewicht kollabiert sein, als er keinen Treibstoff mehr für die Kernfusion in seinem Inneren hatte.
Wir sehen leuchtende Gasmassen, die sich annähernd kugelförmig um ein Zentrum verteilen. Was wir nicht direkt sehen, aber messen können, ist die Geschwindigkeit mit der sich diese Gasschalen ausdehnen. Sie tun das mit bis zu 6000 Kilometer pro Sekunde und das ganze Material ist so heiß, dass es jede Menge Strahlung abgibt, unter anderem eben auch die Radiostrahlung, die Ryle und Smith damals gemessen haben. Im Zentrum der sich ausbreitenden Gasmassen befindet sich vermutlich ein Neutronenstern, also der letzte, extrem verdichtete Rest des Kerns, der vom ehemaligen Riesenstern noch übrig geblieben ist, bevor er damals bei der gewaltigen Explosion seine äußeren Schichten im All verteilt hat.
Aber: Wann war dieses "damals" eigentlich? Das kann man berechnen, wenn man schaut, wie schnell sich das Gas ausbreitet und welche Strecke es schon zurück gelegt hat. Dann kann man zurückrechnen auf den Zeitpunkt, als alles in der Mitte vereint war; der Stern also noch ganz war. Tut man das, dann kommt man ungefähr auf das Jahr 1680. Und 1680, im August um genau zu sein, hat Flamsteed auch die Beobachtungen gemacht, bei der er den mysteriösen Stern 3 Cassiopeia gesehen haben will. Es ist natürlich auch kein Zufall, dass sowohl Flamsteeds Stern als auch der Supernova-Überrest das "Cassiopeia" im Namen haben. Beide Objekte befinden sich in der gleichen Gegend am Himmel, dort wo das Sternbild Cassiopeia ist. Tatsächlich liegen die Positionen des Supernova-Überrests und von Flamsteeds Sterns sehr nahe beieinander.
Hat Flamsteed also tatsächlich gesehen, wie der Rote Riesenstern explodiert ist? Cassiopiea A ist circa 11.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Es ist kein Wunder, dass dort niemand einen Stern gesehen hat; mit den damaligen Teleskopen kann man das in so einer Entfernung nicht sehen. Wenn der Stern aber zur Supernova wird, wird er so hell, dass er sichtbar ist. Wenn es aber eine wirklich helle Supernova gewesen wäre, dann wäre es komisch gewesen, wenn außer Flamsteed niemand etwas gesehen hätte. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Helligkeit in diesem Fall gerade an der Grenze gewesen sein könnte, wo man ein Teleskop braucht, um das Ding zusehen. Wer also einfach nur so zum Himmel schaut, sieht nichts. Nur wer ein Teleskop an die richtige Stelle des Himmels richtet, sieht den Lichtpunkt, der allerdings ohne weitere Analyse auch nicht anders aussieht, als ein Stern. Es ist also möglich, dass Flamsteed zufällig Glück hatte und die Supernova bei seiner Katalogarbeit entdeckt und für einen Stern gehalten hat. So eine Supernova verblasst aber im Lauf der Zeit; nach ein paar Monaten oder Jahren ist nix mehr zu sein, zumindest nicht in so einem Teleskop wie es Flamsteed damals hatte.
Und dann wundern sich Leute wie Herschel oder Baily, warum da ein Stern im Katalog steht, der gar nicht mehr am Himmel ist. Tatsächlich hat man später auch die Aufzeichnungen gefunden, in denen Flamsteed seine Messungen und Berechnungen aufgeschrieben hat. Und festgestellt, dass er nicht einfach die Position eines Sterns falsch bestimmt hat. Flamsteed hat 3 Cassipoeia beobachtet und er hat auch Beobachtungsdaten für den Stern, von dem Caroline Herschel dachte, es wäre der Stern mit dem Flamsteed 3 Cassiopiea verwechselt hat. Oder anders gesagt: Es ist kaum möglich, dass es diese Verwechslung gegeben hat. Da war wirklich ein Stern am Himmel, den Flamsteed beobachtet hat und der später nicht mehr zu finden war.
Ist der Fall damit also gelöst? Es wäre schön, aber so eindeutig ist es selten, wenn man es mit der Geschichte zu tun hat. Wir wissen schlicht und einfach nicht, was Flamsteed damals gemacht hat. Der Unterschied in der Position von 3 Cassiopiea und Cassipoeia A ist klein, aber doch größer, als die Fehler, die Flamsteed üblicherweise bei seinen Positionsbestimmungen gemacht hat. Aber es gibt so viel, was bei Beobachtungen schief gehen kann; wer weiß schon, was da wirklich passiert ist. Aber es ist zumindest durchaus plausibel, dass John Flamsteed im Sommer 1680 tatsächlich als einziger Mensch die Supernovaexplosion eines 11.000 Lichtjahre entfernten Riesensterns gesehen hat. Und weil er nicht gewusst hat und auch nicht wissen konnte, mit was er zu tun hat, ist dieses gewaltige kosmische Ereignis nur zu einem weiteren Katalogeintrag und dann als vermeintlicher Rechenfehler ganz gestrichen worden…
Sternengeschichten Folge 558: Analoge Standorte: Mars und Mond auf der Erde
Raumfahrt ist ein großartiges Abenteuer. Egal ob es jetzt um Satelliten geht, die fremde Himmelskörper umkreisen und fantastische Bilder zur Erde schicken. Oder um Rover, die auf der Oberfläche von Mond und Mars herumfahren. Oder um Menschen, die diese fremden Welten tatsächlich betreten. Raumfahrt ist aber nicht nur ein Abenteuer sondern ein gefährliches Abenteuer und vor allem nicht Selbstzweck, sondern Wissenschaft. Wir wollen diese fremden Welten verstehen und wir wollen dabei nicht sterben und auch nicht unnötig viel Geld verschwenden. Auf der Erde kann man in vielen Fällen Dinge einfach ausprobieren und wenn es nicht klappt, dann zieht man hier eine Schraube nach, baut dort ein neues Teil an und versucht es noch einmal. Ok, so einfach ist es nicht immer, aber im Weltall ist es nie einfach. Es ist schon gefährlich und aufwendig, überhaupt einmal dorthin zu kommen. Und wenn man dort ist und etwas nicht funktioniert, dann hat man im besten Fall nur ein teures Gerät kaputt gemacht und im schlimmsten Fall sterben Menschen.
Aber wie soll man das Problem lösen? Der Weltraum ist gefährlich, gerade weil es der Weltraum ist und nicht die Erde. Die Bedingungen dort; die Bedingungen auf Mond oder Mars sind völlig anders als auf der Erde. Wie soll man etwas für einen Einsatz im Weltraum oder auf der Oberfläche eines anderen Himmelskörpers testen, wenn man sich nicht dort befindet? Gar nicht, wäre die korrekte Antwort. Zumindest dann nicht, wenn man die Tests unter exakt den gleichen Bedingungen wie beim Einsatz durchführen will. Aber man kann zumindest probieren, näherungsweise hier auf der Erde nach Bedingungen zu suchen, die man auch außerhalb der Erde findet. Orte, an denen das möglich ist nennt man "Analoge Standorte" und die wollen wir uns in dieser Folge ein wenig genauer ansehen.
Was genau ein "analoger Standort" ist, hängt davon ab, was man genau untersuchen will. Ein Container der auf irgendeinem Parkplatz rumsteht, kann ein analoger Standort sein, wenn es darum geht herauszufinden, wie Menschen sich verhalten, wenn sie lange Zeit auf engstem Raum eingesperrt sind, so wie sie es wären, wenn sie sich in einem Raumschiff oder einer Raumstation befinden. Aber im allgemeinen sucht man schon nach etwas präziseren Übereinstimmungen.
Man kann die Realitätsnähe analoger Standorte grob nach folgenden Kategorien einteilen: Morphologie, Chemie, Biologie und Forschungsbedingungen. Der Container am Parkplatz wäre ein Beispiel für die letzte Kategorie; da geht es ja darum, die Bedingungen nachzustellen, die Menschen bei ihrer Arbeit auf einer Raumstation haben. Genauso dazu gehören Unterwassereinrichtungen wie zum Beispiel die der NASA Extreme Environment Mission Operations oder kurz NEEMO, wo sich Astronautinnen und Astronauten knapp 20 Meter unter dem Meeresspiegel in speziellen Stationen wochenlang von der Außenwelt abschirmen und für ihre Arbeit üben können. Wenn sie dann die Station verlassen und sich im Wasser aufhalten, haben sie zwar keine echte Schwerelosigkeit, aber zumindest ähnliche Bedingungen wie bei einem Einsatz im Weltall und ein Raumanzug, der schon im Wasser Probleme macht, wird vermutlich auch im All nicht sonderlich praktisch sein.
Man kann aber auch nach anderen Ähnlichkeiten suchen, zum Beispiel nach geografischen Merkmalen auf der Erde, die denen auf anderen Himmelskörpern ähneln. Ein Rover, der sich über den Boden des Mars bewegen soll, sollte das zumindest in einer ähnlich beschaffenen Landschaft auf der Erde schaffen, sonst braucht er gar nicht erst losfliegen. Als die ersten Astronauten des Apollo-Programms zum Mond geflogen sind, hat man sie vorher an geologischen Expeditionen auf der Erde teilnehmen lassen, damit sie lernen, wie man zum Beispiel Gestein erkennt, das bei Asteroideneinschlägen entstanden ist. Das findet man auch auf der Erde und wenn sie es am Mond finden sollen, müssen sie besser vorher lernen, wie es aussieht. In der Umgebung vieler irdischer Vulkane findet man Terrain, dass dem auf dem Mond ähnlich ist; auf unseren Gletschern kann man zumindest ein Gefühl dafür kriegen, wie es in den Polarregionen des Mars sein muss, und so weiter. Neben diesen morphologischen Ähnlichkeiten, also den Ähnlichkeiten in der Form von geografischen Merkmalen, kann man auch auf die Chemie und die Biologie schauen.
Eine Rover, der auf dem Mars bestimmte Gesteinsarten finden und analysieren soll oder gar nach den Spuren von Mikroorganismen sucht, sollte all das auch auf der Erde finden können und idealerweise unter ähnlichen Bedingungen. Und bevor der Rover sich an die Arbeit machen kann, müssen wir überhaupt erst mal verstehen, ob und wie sich Chemie und Biologie auf anderen Himmelskörpern überhaupt verhalten könnten. Wenn wir wissen wollen, ob am Mars etwas lebt oder gelebt haben kann, müssen wir hier auf der Erde nach Orten suchen, wo es zumindest mal ebenso kalt und trocken ist und schauen, was dort leben kann und wie es das tut. Und so weiter. Es gibt jede Menge Fragestellungen, bei denen man schon hier auf der Erde anfangen kann, nach Antworten zu suchen, bevor man sich auf den Weg ins All macht. Und es gibt ebenso viele Orte, an denen man das tun kann. Die können wir uns nicht alle ansehen, aber zumindest ein paar davon schon.
Zum Beispiel den Rio Tinto im Südwesten von Spanien. Der Name bedeutet so viel wie "roter Fluss" und genau das ist er auch: Ein Fluss, dessen Wasser deutlich rot gefärbt ist. Grund dafür sind vor allem Pyrit und Chalkopyrit, zwei Eisenverbindungen die verwittern. Das tun sie unter anderem deswegen, weil dort Mikroorganismen leben, die in der Lage sind, einen Teil dieser Verbindungen quasi zu "fressen" und dabei andere Stoffe freisetzen, die dann in den Fluss gelangen. Wegen all dieser Stoffe ist das Wasser des Flusses auch extrem sauer, weswegen dort so gut wie nichts leben kann, nur eben ein paar sehr zähe, sehr extreme Mikroorganismen. Genau deswegen interessiert sich auch die Astrobiologie auch für den Rio Tinto, denn dort kann man lernen, wie es vielleicht auf dem Mars abgelaufen sein könnte. Eisenverbindungen gibt es dort heute noch jede Menge und Wasser gab es früher vielleicht mal sehr viel mehr als jetzt und wenn wir das Leben im Rio Tinto verstehen, kriegen wir einen Eindruck, wie es am Mars gewesen sein könnte.
Ein anderer analoger Standort ist Beacon Valley in der Antarktis. Dieser Ort kommt den Bedingungen am Mars vielleicht näher als jeder andere Ort auf der Erde. Dass es in der Antarktis kalt ist, ist keine Überraschung und wenn es dort richtig kalt ist, ist es fast so kalt wie auf dem Mars. Der Mars ist aber nicht nur kalt, sondern auch extrem trocken. Trockenheit erwartet man sich in der Antarktis nicht; immerhin ist da ja alles voll mit gefrorenem Wasser. Aber einerseits ist das Wasser dort eben gefroren und damit trocken und nicht flüssig. Und andererseits gibt es in der Antarktis auch die antarktischen Trockentäler, zu denen auch Beacon Valley gehört. Die Täler sind Teil des transantarktischen Gebirges, das sich einmal quer durch den südlichsten Kontinent zieht. Die Berge dort können bis zu 4500 Meter hoch werden und sie schirmen die Trockentäler vom Eis ab. Die Gletscher aus dem Inneren des Kontinents kommen da nicht drüber und auf der Küstenseite des Gebirges bleiben die Täler eisfrei. Auch der Wind, der vom eisigen Inneren über die Berggipfel zu den Tälern wehen muss, verliert dabei seine Feuchtigkeit. Der Schnee fällt auf das transantarktische Gebirge und übrig bleibt nur ein sehr trockender Fallwind, der von den Bergen in die Täler zum Meer saust und dabei noch die letzten Reste an Feuchtigkeit mitnimmt.
Wir haben dort also extrem kalte und trockene Bedingungen, so wie überall auf dem Mars. Auf der Erde sind die antarktischen Trockentäler aber einzigartig und deswegen auch ein einzigartiger analoger Standort wenn man den Mars erforschen will. Dass es auf der Oberfläche des Mars kein Leben zu geben scheint, wissen wir mittlerweile. Und auch in den Trockentäler der Antarktis gibt es an der Oberfläche quasi kein Leben. Aber dort gibt es unterirdische Seen und in einigen hat man schon Mikroorganismen gefunden. Noch haben wir solche Lebensräume auf dem Mars nicht gefunden, aber wenn wir sie einmal finden sollten, dann sicherlich nur, weil wir zuvor auf der Erde entsprechend geübt haben.
Wenn man auf der Suche nach einer extrem trockenen Gegend mit sehr dünner Luft ist - der Mars hat ja auch so gut wie keine Atmosphäre - dann wird man in der Atacama-Wüste fündig. Auch hier ist es kalt, im Vergleich zu vielen anderen Wüsten, immerhin liegt die Gegend 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Durch die Höhe kriegt man auch sehr viel UV-Strahlung ab, wie man es in der dünnen Atmosphäre des Mars tun würde und Salzbecken mit Perchloraten. Das sind Verbindungen aus Chlor und Sauerstoff, die man auch im Marsstaub nachgewiesen hat. Und die auf der Erde von Mikroorganismen abgebaut werden können. Es ist also kein Wunder, dass auch in der Atacama-Wüste jede Menge weltraumrelevante Forschung durchgeführt worden ist.
Es gibt noch viel mehr Orte auf der Erde, wo man zumindest ein Gefühl dafür kriegen kann, wie es draußen im Weltall und auf der Oberfläche anderer Himmelskörper sein könnte. Das ist für die Wissenschaft sehr praktisch - aber uns Menschen reicht das Gefühl alleine nicht. Wir wollen wirklich dort draußen sein. Und wenn wir auf der Erde ausreichend viel geübt und gelernt haben, werden wir das irgendwann auch schaffen.
Sternengeschichten Folge 557: Das verschwundene Hafnium und die Entstehung der Erde
Die Astronomie hat es nicht leicht. So gut wie alles, was sie untersucht, ist absurd weit weg. Man kann es nur anschauen, und über die unvorstellbaren Entfernungen im Universum ist das natürlich nicht leicht. Trotzdem haben wir es im Laufe der Zeit geschafft, eine erstaunliche Menge an Wissen zu sammeln. Die Entfernung ist aber nur ein Problem, denn oft hat will man auch Dinge wissen, die prinzipiell nicht beobachtbar sind. Zum Beispiel die Entstehung der Planeten im Sonnensystem. Das ist vor 4,6 Milliarden Jahren passiert und wir haben keine Zeitmaschine, um das live ansehen zu können. Wir können probieren, andere Planetensysteme zu beobachten, die gerade dabei sind zu entstehen und daraus allgemeine Prinzipien abzuleiten. Wir können Computersimulationen erstellen, die in Modellen nachvollziehen, was damals passiert sein könnte. Aber wenn wir trotzdem irgendwas konkretes über die Entstehung eines Himmelskörpers wie der Erde wissen wollen, brauchen wir auch konkrete Daten. Und überraschenderweise geht das: Wenn wir wissen wollen, was bei der Entstehung der Erde passiert ist, müssen wir uns mit Hafnium beschäftigen.
Hafnium ist ein chemisches Element und eines von den eher unbekannten. Im Alltag hat man so gut wie nie damit zu tun und man hat es auch vergleichsweise spät entdeckt. 1912 hat man vermutet, dass es da noch ein stabiles chemisches Element geben muss, ein Atom das 72 Protonen im Atomkern haben muss. Immerhin kannte man ja schon die Elemente Lutetium und Tantal, die 71 beziehungsweise 73 Protonen im Atomkern hatten und da wäre es komisch gewesen, wenn es nicht auch eines mit 72 Protonen geben würde. Entdeckt hat man es aber erst 1923, in Kopenhagen und darum heißt es auch so, wie es heißt: Hafnia ist der lateinische Name der dänischen Hauptstadt.
Hafnium ist nicht sonderlich häufig und es kommt in der Erdkruste auch nicht in Reinform vor sondern nur in Verbindung mit dem Element Zirconium. Wenn man Hafnium auf chemischen Weg in Reinform gewinnt, dann kriegt man ein silbrig glänzendes Schwermetall, das trotzdem weich und biegsam ist. Weil es so wenig davon gibt und so schwer zu gewinnen ist, kommt man aber selten in die Verlegenheit, es bearbeiten zu müssen. Es wird eigentlich hauptsächlich als Steuerstab in Kernreaktoren verwendet, weil es sehr korrosionsbeständig ist und sehr gut die bei einer Kernspaltung freiwerdenden Neutronen aufnehmen kann. Aber weil es so teuer ist, wird es nur vom Militär verwendet, für Atom-U-Boote oder so; da kann man es sich anscheinend leisten.
Wir interessieren uns aber aus einem anderen Grund für Hafnium. So wie fast jedes chemische Element hat es auch Isotope, also Variationen des Atoms, wo der Kern zwar immer noch 72 Protonen hat, aber eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen. Am häufigsten ist Hafnium-180, das 108 Neutronen im Kern hat, es gibt aber insgesamt 35 Isotope und manche davon sind radioaktiv; das heißt, sie sind nicht stabil und zerfallen nach einer gewissen Zeit. Insbesonder Hafnium-182 tut das und zwar mit einer Halbwertszeit von circa 9 Millionen Jahren. Soll heißen: Von einer gewissen Menge an Hafnium-182 ist nach 9 Millionen Jahren die Hälfte zerfallen, nach weiteren 9 Millionen Jahre die Hälfte von der verbliebenen Hälfte, und so weiter. Das Element, in das sich Hafnium-182 durch seine Radioaktivität umwandelt ist Wolfram, genauer gesagt das Isotop Wolfram-182 und das zerfällt nicht mehr weiter.
Und das ist zwar alles sehr interessant; erklärt aber immer noch nicht, wie wir damit in die Vergangheit zur Entstehung der Erde schauen können. Die Sache wird deutlicher, wenn wir uns klar machen, dass Hafnium-182 auch bei Supernova-Explosionen auf natürlichem Weg erzeugt wird. Das Isotop kann auch in den äußeren Schichten von sterbenden Roten-Riesensternen gebildet werden. So oder so wird das Hafnium dann im All verteilt und gelangt in die Wolken aus Gas und Staub, aus denen neue Sterne und Planeten entstehen. Und wenn diese Stern- und Planetenentstehung nicht allzu lange nach der Explosion der Supernova beziehungsweise dem Tod der Roten Riesen erfolgt, dann haben die entstehenden Planeten auch ein bisschen Hafnium-182 dabei.
Also: Gehen wir davon aus, dass in der Nähe der kosmischen Wolke aus der das Sonnensystem entstanden ist, ein paar sterbende Sterne Hafnium-182 verteilt haben. Und dass die Planeten bei ihrer Entstehung auch ein bisschen Hafnium-182 als Baumaterial zur Verfügung hatten. Was hilft uns das jetzt, mehr als 4,5 Milliarden Jahre später? Nach dieser enorm langen Zeit ist definitiv auch das letzte Hafnium-182-Atom längst zerfallen. Das stimmt, aber wir sind ja noch nicht fertig. Hafnium ist ein sogenanntes lithophiles Element. Das heißt, es bleibt eher dort, wo sich Fels und Gestein befinden; siliziumhaltiges Material. Wolfram, das Element in das Hafnium zerfällt ist dagegen ein kleines bisschen siderophil. Das bedeutet "eisenliebend" und deswegen treibt sich Wolfram eher dort herum, wo sich auch das Eisen rumtreibt.
Jetzt müssen wir uns noch kurz überlegen, was passiert, wenn ein Planet entsteht. Und keine Sorge: Am Ende wird sich alles wunderbar zusammenfügen. Ein Planet der gerade erst dabei ist, zu entstehen, ist undifferenziert. Das heißt, die ganzen chemischen Elemente aus denen er besteht, sind mehr oder weniger gleichmäßig durchmischt. Ich könnte ein Stückchen von seiner äußersten Schicht nehmen und eines aus dem tiefsten Inneren und beide Stücke würden mehr oder weniger gleich aussehen. Wenn ein Planet groß genug ist, beginnt er irgendwann, sich zu differenzieren. Das heißt, die chemischen Elemente sortieren sich nach ihrem Gewicht. Schweres Zeug, wie Eisen sinkt immer tiefer in den Planeten hinein und das leichte Material, wie Gestein, bleibt außen. Das ist auch bei der Erde passiert und deswegen hat unser Planet ja auch einen Kern, der vor allem aus Eisen besteht mit einer Kruste aus Gestein außen rum.
Mit diesen Informationen haben wir jetzt alles beisammen, was wir brauchen, um ein paar Details der Erdentstehung zu erforschen. Denn eine offene Frage lautet ja zum Beispiel: Wie schnell geht das mit der Differenzierung eines Planeten? Entsteht der Kern gleich nachdem der Planet selbst sich gebildet hat oder dauert das länger? Diese Frage lässt sich mit Hilfe des verschwundenen Hafniums beantworten. Stellen wir uns nochmal die gerade erst gebildete Erde vor. Und schauen, was passieren würde, wenn ihr Kern sich schnell bildet. Dann war noch nicht genug Zeit für das Hafnium-182 zu Wolfram-182 zu zerfallen. Und weil das Hafnium eben lithophil ist und gern dort bleibt, wo auch das Gestein bleibt, bleibt es auch außen und sinkt nicht mit dem Eisen in den sich bildenden Kern. Dort, in der Kruste der Erde, zerfällt das Hafnium dann in Wolfram. Wie würde die Sache aussehen, wenn sich der Kern erst spät bildet? Dann ist das Hafnium schon längst zu Wolfram zerfallen, wenn die Differentierung beginnt und dieses Wolfram sinkt, weil es eisenliebend ist, mit dem Eisen in den Kern. Im ersten Fall haben wir einen Planeten mit Wolfram in der Kruste und im zweiten Fall einen Planeten mit Wolfram im Kern. In den Kern der Erde können wir nicht schauen, aber wir können Material aus der Erdkruste analysieren und schauen, wie groß die Menge an Wolfram-182 dort ist.
In Wahrheit ist es natürlich wie immer viel komplizierter, denn es gibt auch noch andere Wege, wie Wolfram-182 erzeugt werden kann, zum Beispiel durch die Einwirkung der kosmischen Strahlung. Aber man kann das alles entsprechend analysieren und am Ende aus der Menge an Wolfram-182 rausfinden, wie schnell die Erde ein differenzierter Planet geworden ist. Das Ergebnis: Recht flott! 30 Millionen Jahre nach dem Beginn der Planetenentstehung war die Erde schon quasi fertig. Obwohl es gerade bei der Erde ein wenig knifflig ist, weil da ja noch die gigantische Kollision war, bei der der Mond entstanden ist und die hat alles ein wenig durcheinander gebracht. Aber auch hier hat die Hafnium-Wolfram-Uhr geholfen: Wir können ja auch Mondgestein entsprechend analysieren und daraus das Alter des Mondes bestimmen. Daraus folgt, dass er circa 30 bis 50 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems entstanden ist. Die Erde war also vermutlich gerade "fertig" mit ihrer Entstehung, als ihr ein anderer, circa marsgroßer Planet in die Quere gekommen ist und bei dieser gewaltigen Kollision ist der Mond entstanden. Apropos Mars: Auch Marsmeteorite wurden ja schon gefunden und wenn wir uns die anschauen, dann zeigt sich, dass unser Nachbarplanet ein wenig älter ist. Er muss schon ungefähr 10 Millionen Jahre nach Beginn der Planetenentstehung fertig geworden sein. Oder vielleicht auch: nicht fertig geworden sein, denn dieses geringe Alter deutet darauf hin, dass er gar nicht den vollen Prozess durchlaufen hat, wie es bei der Erde der Fall war. Er wäre dann quasi ein Planeten-Embryo und es kann gut sein, dass der große und schnell wachsende Jupiter mit seinen gravitativen Störungen in seiner Nähe dafür gesorgt hat, dass Mars nicht genug Baumaterial bekommen hat, um ein ebenso großer Planet wie Erde oder Venus zu werden.
Wir können auch andere Meteoriten mit der Hafnium-Wolfram-Methode untersuchen, denn die Meteoriten stammen ja von den Asteroiden, die nichts anderes sind, als der ganze Rest der Planetenentstehung; die Bausteine, die damals übrig geblieben sind. Je nach Art der Meteoriten kriegt man da ein Alter von weniger als einer Million bis zu drei Millionen Jahren.
Die Hafnium-Wolfram-Uhr ist keine Zeitmaschine, aber doch eine wunderbar kreative Methode, um in die Vergangenheit des Sonnensystems zu schauen. Und wer weiß, was für Methoden wir noch finden und was wir mit denen dann über unsere Entstehung entdecken werden.
**Sternengeschichten Folge 556: El Nino und die komplexen Oszillationen der Erde ** In der heutigen Folge der Sternengeschichten reden wir übers Meer. Aber nicht nur über das Meer; wir reden über Strömungen, Wetter, Niederschlag, Wind; über Ozeanografie und über Meteorologie. Und wer sich jetzt fragt, wo in dieser Folge die Sterne sind: Die kommen nicht vor! Wir bleiben auf der Erde, aber es lohnt sich auch mal wieder, einen sehr genauen Blick auf unseren eigenen Planeten zu werfen. Denn wir vergessen gerne, dass das der einzige Planet ist, denn wir wirklich aus der Nähe und im Detail erforschen können. Bei den anderen Planeten des Sonnensystems geht das nicht und schon gar nicht bei den Planeten, die andere Sterne umkreisen. Bei diesen anderen Himmelskörpern neigen wir dazu, sie als Einheit wahrzunehmen. Und sagen dann Sachen wie: Auf der Venus ist extrem heiß. Oder: Der Mars hat so gut wie keine Atmosphäre. Was ja alles richtig ist, aber genau so wenig wie es "die Erde" gibt, gibt es auch nicht "den Mars" und "die Venus". Auf ihre eigene Art sind das ebenso vielfältige und komplexe Welten wie die Erde und für die Planeten anderer Sterne gilt das auch, selbst wenn wir dort bis jetzt noch weniger Informationen haben als über die Planeten des Sonnensystems.
Wir sehen die anderen Himmelskörper als einheitliche Objekte, weil wir zu wenig über sie wissen. Und genau deswegen lohnt sich ein Blick auf die Erde, denn sie zeigt uns sehr deutlich, wie enorm komplex so ein Planet in Wahrheit ist. So enorm komplex, dass es nicht möglich ist, "die Erde" in einer kurzen Podcast-Folge zu beschreiben. Und selbst das eine Thema, das ich für dieses Mal ausgesucht habe, lässt sich nicht in allen Details behandeln. Es geht in dieser Folge um El Niño. Das kennt man hierzulande vielleicht aus den Nachrichten, wenn es heißt, dass irgendwo in Südamerika wieder mal ein "El Niño" auftritt und deswegen komische Sachen mit dem Wetter passieren. Aber was genau heißt es eigentlich, wenn es irgendwo "El Niño" gibt?
Genaugenommen geht es um ENSO, die El-Niño-Southern Oscillation. Und das wiederum ist der Name für die enorm komplexe Art und Weise, wie Meer und Atmosphäre zusammenhängen können. Fangen wir mal bei der Luft an. In den Tropen, am Äquator, steht die Sonne das ganze Jahr über hoch am Himmel. Deswegen ist es dort auch so warm und deswegen erwärmt sich dort auch die Luft so stark. Und was macht warme Luft? Sie steigt nach oben und strömt dann in Richtung Norden (oder in Richtung Süden, wenn wir uns auf der Südhalbkugel der Erde befinden). Dabei kühlt sie dann wieder ab und sinkt nach unten, ungefähr auf Höhe von Nordafrika, Mexiko und Südchina (bzw. auf Höhe von Australien oder Südafrika auf der Südhalbkugel). Deswegen ist dort dann der Luftdruck höher und die Luft strömt wieder zurück in Richtung Tropen, wo der Luftdruck wegen der aufsteigenden Luft ja tiefer ist. Dieses großräumige Zirkulationsmuster nennt man "Hadley-Zelle". Jetzt dreht sich die Erde aber auch noch um ihre Achse und das führt dazu, dass die Luft nicht einfach schnurgerade vom Äquator Richtung Norden bzw. Süden strömt. Die Erdrehung lenkt die Bewegung der Luft ab und zwar in Richtung Westen. Das führt auf der Nordhalbkugel zu einem Wind, der aus Nordosten weht und einem Südostwind auf der Südhalbkugel. Das sind die berühmten "Passat-Winde", die fast konstant wehen und so wichtig für die Schifffahrt waren und sind, weil man sich immer einigermaßen darauf verlassen konnte, dass im Atlantik bzw. im Pazifik der Wind aus der selben Richtung kommt.
Der Passat treibt aber nicht nur Segelschiffe an, sondern schiebt auch das Wasser der Ozeane vor sich her. Wir schauen uns jetzt mal an, wie das im Pazifik auf der Südhalbkugel aussieht. Da weht der Passat ja aus südöstlicher Richtung. Also von der Westküste Südamerikas in Richtung Südostasien und schiebt dabei Wasser vor sich her. Der Passat türmt quasi einen Wasserberg auf und vor der südamerikanischen Küste ist der Meeresspiegel daher circa 60 Zentimeter niedriger als am anderen Ende des Pazifiks bei Indonesien, Malaysien und Co. Wenn vor Südamerika das vergleichsweise warme Wasser von der Oberfläche der Meere durch den Passatwind weggeschoben wird, dann bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Kaltes Wasser steigt aus den tieferen Schichten nach oben und wie das genau funktioniert, wäre fast schon wieder eine eigene Podcastfolge wert. Ich spare mir jetzt aber diese Details; wer es wirklich ganz genau wissen will, kann ja mal unter dem Stichwort "Ekman-Transport" nachschlagen. Jedenfalls haben wir jetzt vor Südamerika kaltes Wasser aus den tieferen Schichten des Ozeans, das sich in Richtung Westen bewegt und dabei langsam erwärmt wird. Von der südamerikanischen Küste startet das Wasser mit circa 24 Grad, in Indonesien angekommen sind es dann schon gut 28 Grad. Das warme Wasser verdampft, die warme und feuchte Luft steigt auf, kühlt sich ab und es regnet; so entsteht dort das typische Monsun-Klima, während es an der Westküste von Südamerika eher trocken ist.
Das was ich jetzt beschrieben habe, ist in Wahrheit erstens noch viel komplizierter. Und zweitens die sogenannte "Normalphase" der El-Niño-Southern Oscillation. In der Normalphase haben wir in Südostasien wegen der höheren Temperaturen der Luft, die dadurch schneller aufsteigt ein Tiedruckgebiet; bei Südamerika dagegen ein Hochdruckgebiet. Die Luft, die in Südostasien aufsteigt, strömt weiter oben in der Atmosphäre nach Osten und sinkt bei Südamerika wieder ab, aber weil das Wasser ja schon im asiatischen Monsun rausgeregnet ist, ist diese absinkende Luft sehr trocken und sammelt erst wieder Feuchtigkeit, wenn sie über dem Meer zurück nach Westen strömt. Diese großräumige Luftzirkulation nennt man übrigens die "Walker-Zirkulation" und zusammen mit der "Hadley-Zirkulation" die ich vorhin beschrieben habe, bildet sie ein eigentlich sehr stabiles System, bei dem warme Luft und kaltes Wasser von Südamerika nach Südostasien strömt.
Und jetzt sind wir beim El Niño angelangt. Der findet statt, wenn sich die Luftdruckverhältnisse umkehren. In Südostasien wird der Luftdruck immer stärker, vor Südamerika immer schwächer und das kann sich sogar komplett umkehren, so dass wir bei Indonesien ein Hochdruckgebiet haben und vor Südamerika ein Tiefdruckgebiet. Das schwächt dann auch die Passatwinde oder kann sie sogar komplett die Richtung ändern lassen. Und dann läuft alles umgekehrt ab: Warmes Wasser von Südostasien strömt Richtung Südamerika und dort gibt es dann auch ungewöhnlich starke Regenfälle. Dort steigt auch kein kaltes Wasser aus den tieferen Ozeanschichten mehr auf. In Südostasien ist dagegen sehr viel trockener als normal.
Es gibt übrigens auch noch eine dritte Phase, die "La Niña" genannt wird. Dann verstärkt sich alles, was ich für die Normalphase beschrieben habe; in Indonesien regnet es extrem viel, in Südamerika ist es extrem trocken. Diese drei Phasen, Normalphase, El Niño und La Niña sind die drei Hauptphasen der El-Niño-Southern Oscillation und wechseln sich ab. Man darf sich das aber nicht als regelmäßige Oszillation vorstellen. Manchmal können zwei El-Niño-Phasen aufeinanderfolgen, manchmal gibt es jahrzehntelang nur Normalphase und La Niña-Phasen. El-Niño- und La-Niña-Phasen dauern typischerweise einige Monate bis zu einem Jahr und treten meistens im Winter um Weihnachten herum auf, woher auch der Name "El-Niño" stammt. Der bezieht sich auf "El-Niño de Navidad", also das "Christkind".
Zwei Fragen habe ich bis jetzt noch nicht beantwortet: 1) Was ist der Grund dafür, dass sich die Luftdruck- und Windverhältnisse alle paar Jahre umkehren? Und 2): Was für Auswirkungen hat das alles. Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Wissen wir nicht. Der Mechanismus, der der El-Niño-Southern Oscillation zugrunde liegt ist nicht vollständig geklärt. Wir wissen, dass im Pazifik das warme Wasser mal in die eine Richtung strömt und mal in die andere; das sich Luftdruck- und Windverhältnisse entsprechend ändern; das das alles Einfluss darauf hat, wie viel Wasser aus dem Meer verdunstet, wie feucht die Luft ist, wie viel Niederschlag es gibt, und so weiter. Aber wie all diese komplexen Phänomene im Detail zusammenhängen haben wir noch nicht verstanden. Dafür sehen wir aber - leider - sehr gut, welche Auswirkungen das alles hat.
Wenn in einer El-Niño-Phase kein kühles Wasser aus den tiefern Meeresschichten vor Südamerika mehr nach oben steigt, dann werden auch weniger Nährstoffe an die Meeresoberfläche transportiert. Dann stirbt das Plankton ab und damit gibt es auch weniger Fische, was nicht nur doof für die Fische selbst ist, sondern auch für die Menschen in Südamerika, die vom Fischfang leben. Wenn die ganze feuchte Luft ihre Feuchtigkeit über den Anden ablädt, anstatt in Südoastien, dann kommt es dort zu ungewöhnlichen und starken Regenfällen, die Hangrutschungen und Überschwemmungen verursachen. Die Auswirkungen von El-Niño betreffen aber nicht nur Südamerika; das Wetter auf fast der ganzen Welt wird dadurch beeinflusst. Im Amazonas auf der anderen Seite von Südamerika herrscht Trockenheit; es gibt Wirbelstürme in Mittelamerika, in Südostasien ist es viel trockener als normal, was Waldbrände wahrscheinlicher macht. Korallen, Vögel, Robben und jede Menge andere Tiere sterben wegen der ungewohnten Temperaturen; in Afrika ändern sich die Wettermuster und wenn man das ganze global betrachtet, dann ist es in einer El-Niño-Phase tendenziell wärmer als als in der Normalphase oder der La-Niña-Phase.
Was angesichts der Klimakrise durchaus bedenklich ist: Wir machen die Welt sowieso schon immer wärmer und wenn dann auch noch El-Niño dazu kommt, wird das alles noch verstärkt. Und auch wenn El-Niño irgendwann wieder vorbei ist, können wir in der Zwischenzeit vielleicht den einen oder anderen Kipppunkt im Klimasystem erreicht haben und wie das so ist mit Kipppunkten: Wenn einmal was gekippt ist, kippt es so schnell nicht wieder zurück.
Es ist also klar, dass so etwas wie El Niño-Southern Oscillation ein wichtiges Phänomen ist, wenn man wissen will, wie ein Planet wie die Erde funktioniert. Und wie ich anfangs schon gesagt habe: In Wahrheit ist die ganze Sache noch sehr viel komplizierter als in meiner kurzen Darstellung. Und die El Niño-Southern Oscillation ist nur eine von einem ganzen Schwung solcher Oszillationen. Da ist zum Beispiel auch die Nordatlantische Oszillation, die unter anderem Einfluss auf den Golfstrom hat, der die Temperaturen in Europa maßgeblich beeinflusst. Es gibt die Madde-Julian-Oszillation, die Atlantische Multidekaden-Oszillation, und so weiter. Und dann gibt es auch noch die großräumigen Luftströmungen, die da auch noch mit drinhängen und wir haben immer noch nicht das Gebiet der Luft- und Ozeanströmungen verlassen. Es gibt noch so viel mehr, was einen Planeten wie die Erde ausmacht. Geologie, Vulkanismus, Tektonik, die unterschiedlichen Tiere und Pflanzen, Flüsse und Seen, Berge, und so weiter und alles hängt voneinander ab und miteinander zusammen. Ein Planet ist eine unvorstellbar komplexe Welt und das sollte man nie vergessen, wenn man hinauf in den Himmel schaut und die Lichtpunkte betrachtet, die wir zum Beispiel "Mars" oder "Venus" nennen. Planeten sind mehr als nur Lichtpunkte, es sind vollständige Welten, die da draußen im All ihre Runde ziehen und jede für sich auf seine eigene Art so komplex wie die Erde.
Sternengeschichten Folge 555: Die Geschichte des Einsteinrings
Wer an der Universität im Bereich Astronomie, Kosmologie oder theoretische Physik forscht, wird diese Situation kennen: Man bekommt eine Nachricht von einer Person, die selbst nicht in diesen Forschungsbereichen tätig ist, sondern zum Beispiel Ingenieurswissenschaften, Elektrotechnik, etwas ganz anderes oder auch gar nichts studiert hat. Trotzdem ist diese Person der Meinung, sie hätte etwas Bedeutsames entdeckt und bittet nun darum, die eigene Arbeit zu beurteilen und idealerweise auch bei der Veröffentlichung dieser Arbeit zu helfen.
Mir jedenfalls ist das sehr oft passiert und auch meinen Kolleginnen und Kollegen. Meistens geht es darum, dass jemand meint, er oder sie hätte die Relativitätstheorie widerlegt, oder eine neue Idee, wie das Universum entstanden ist, woraus die Materie besteht, die Weltformel, die alles erklären kann gefunden, und so weiter. Und in allen Fällen, zumindest denen die ich bisher erlebt habe, handelt es sich um eine Idee, bei der man schnell zeigen kann, dass sie falsch ist.
Im Frühjahr 1936 beginnt eine Geschichte, die anfangs genau so aussieht wie das, was ich gerade erzählt habe. Aber ganz anders endet. In diesem Jahr kam Rudi Mandl in das Gebäude der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Washington um dort den "Science Service" zu besuchen, eine Institution die sich mit der Popularisierung von Wissenschaft beschäftigt. Mandl wollte Hilfe bei der Publikation einer Idee, die er hatte und die mit Albert Einsteins Relativitätstheorie zu tun hat. Rudi Mandl war allerdings selbst kein Wissenschaftler. Er kam aus Tschechien, hatte in Wien Elektrotechnik studiert, danach aber nicht in der Forschung gearbeitet und wanderte in die USA aus. Das, was er meinte entdeckt zu haben, sah auf den ersten Blick nicht völlig unseriös aus. Deswegen (oder weil sie ihn schnell los werden wollten?) schlugen die Leute vom Science Service vor, dass er seine Idee doch mit dem unbestreitbaren Experten für die Relativitätstheorie besprechen sollte: Albert Einstein selbst. Und sie gaben ihm ein Empfehlungsschreiben und sogar ein bisschen Geld für den Trip nach Princeton, wo Einstein lebte und arbeitete.
Bevor wir uns anschauen, wie Einstein darauf reagiert hat, sollten wir uns aber Mandls Idee noch ein wenig genauer ansehen. Die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie habe ich ja schon öfter besprochen. Einstein hat festgestellt, dass der Raum nicht einfach nur eine unveränderbare Bühne ist; ein Hintergrund, auf dem sich die Dinge im Universum abspielen. Sondern dass der Raum, beziehungsweise genauer: die Raumzeit, selbst ein Ding ist, mit Eigenschaften die sich verändern können. Insbesondere hat Einstein festgestellt, dass der Raum gekrümmt sein kann und das Objekte bei ihrer Bewegung durch den Raum dieser Krümmung folgen müssen. Gekrümmt werden kann der Raum durch die Anwesenheit von Masse und damit hatte Einstein eine neue Erklärung für das Phänomen der Gravitation gefunden: Masse krümmt den Raum und Objekte die sich in der Nähe einer Masse bewegen, werden durch diese Krümmung bei ihrer Bewegung abgelenkt. Genau so, als würde eine Kraft auf sie wirken; eine Kraft, die man als Gravitationskraft bezeichnet.
Das war 1936 alles schon längst durch Beobachtungen bestätigt und Einstein der weltberühmte Wissenschaftler, als den wir ihn heute in Erinnerung haben. Mandl hatte aber eine andere Idee: Wenn Licht der Krümmung des Raums folgt, dann kann der Raum ja quasi wie eine optische Linse aus Glas wirken. Und genau so, wie eine solche Linse das Licht zum Beispiel verstärken kann, oder ein Bild verzerren kann, sollte das auch ein passend gekrümmter Raum können. Was wäre zum Beispiel, wenn man das Licht eines Sterns betrachtet, der von uns aus gesehen genau hinter einem anderen Stern steht? Der vordere Stern krümmt den Raum und damit wird auch das Licht des hinteren Sterns um ihn herum gebogen. Wir sollten also den vorderen Stern sehen, und um ihn herum einen Kreis aus Licht, der das verzerrte Bild des hinteren Sterns ist.
Das war Mandls Idee, die er Einstein vorstellen wollte, was er am 17. April 1936 auch getan hat. Einstein hörte sich die Sache freundlich an; sie machten gemeinsam ein paar Berechnungen und dann fuhr Mandl wieder nach Hause. Er schrieb aber weiter an Einstein und drängte ihn, die Sache auch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlich. Wovon Einstein allerdings nicht so begeistert war. Einerseits, weil Mandl nicht einfach nur die Idee zu der ringförmigen Verzerrung des Sternenlichts hatte. Seine Gedanken gingen weit darüber hinaus; er stellte sich zum Beispiel vor, dass solche Raumkrümmungslinsen auch die überall im Weltall befindliche kosmische Strahlung auf die Erde fokusieren könnten, und dass sie das auch in der Vergangenheit immer wieder getan haben. Dabei wären durch die vermehrt auftreffende Strahlung Mutationen in den Lebewesen ausgelöst und die Evolution angetrieben worden. Mandl sah seine Idee als Ausgangspunkt einer umfassenden Neubewertung der Entstehung des Lebens; er war der Meinung, dass seine Lichtringe schon bei diversen astronomischen Beobachtungen gesehen worden wären, nur hätte man das nicht erkannt, und so weiter. Es ist verständlich, dass Einstein da eher skeptisch war. Außerdem, und das war der viel wichtigere Punkt, hatte Einstein bei seinen Rechnungen mit Mandl gezeigt, dass der Effekt quasi unbeobachtbar wäre. Das zu einem Ring verzerrte Licht eines Hintergrundsterns wäre nicht beobachtbare. Der Ring wäre so winzig, dass er mit den Teleskopen der damaligen Zeit nicht gesehen werde könnte und auch nicht mit Teleskopen, die aus damaliger Sicht in absehbarer Zukunft gebaut werden könnten.
Mandl hörte aber nicht auf, Einstein um Publikation zu bitten (und gleichzeitig auch jeder Menge anderer Wissenschaftler in der Angelegenheit zu schreiben). Er wandte sich auch wieder an den Science Service der Akademie der Wissenschaft und am Ende gab Einstein nach. Am 4. Dezember 1936 schrieb er eine kurze Notiz in der Fachzeitschrift "Science", mit dem Titel "Lens-like Action of a Star by the Deviation of Light in the Gravitational Field", also "Linsenartige Wirkung eines Sterns durch die Ablenkung von Licht im Gravitationsfeld". Der Text beginnt mit "Vor einiger Zeit besuchte mich R. Mandl und bat mich, die Ergebnisse einer kleinen Berechnung zu publizieren, die ich auf sein Ansuchen hin angestellt habe. Diese Notiz erfüllt seine Bitte". Am Ende der Notiz stellt Einstein allerdings auch noch einmal explizit fest, dass er keine große Chance sieht, diesen Effekt zu beobachten.
Für Einstein war die Sache damit erledigt, für den Rest der Wissenschaft aber nicht. Aber bevor wir dazu kommen, schauen wir noch einmal in die Vergangenheit. Mandl war nicht der erste, der die Idee zur Verzerrung von Sternenlicht durch Gravitationslinsen hatte. Die hatte Einstein selbst auch schon gehabt, schon 1912, auch wenn er sie damals nicht publiziert hat. Einstein hat damals recht ähnliche Rechnungen angestellt wie Mandl. Vermutlich war das auch der Grund, warum er sich am Ende doch von der Publikation überzeugen ließ, auch wenn der Effekt seiner Meinung nach unbeobachtbar und damit wertlos für die Wissenschaft war. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass Einstein auch der Lichtring-Effekt bekannt war. Denn im Jahr 1924 veröffentlichte der russische Physiker Orest Danilowitsch Chwolson in der Fachzeitschrift "Astronomische Nachrichten" eine kurze Notiz mit dem Titel "Über eine mögliche Form fiktiver Doppelsterne" in der er auch berechnete, wie das Licht eines Hintergrundsterns durch einen Vordergrundstern abgelenkt werden kann und sogar anmerkt, dass der Vordergrundstern von einem Ring umgeben sein müsste, wenn der Hintergrundstern von der Erde aus gesehen exakt dahinter liegt. Und in der selben Ausgabe der Fachzeitschrift, sogar auf der selben Seite, findet sich auch ein kurzer Artikel von Albert Einstein.
Die Idee der Gravitationslinse war jetzt also publiziert und diverse Wissenschaftler reagierten darauf. Unter anderem Fritz Zwicky, den manche vielleicht noch von der "Dunklen Materie" kennen; er war ja derjenige, der diesen Begriff erfunden und auch die ersten Beobachtungsdaten geliefert hat, die auf ihre Existenz hinweisen. Aber das ist eine andere Geschichte; in diesem Fall wies Zwicky darauf hin, dass man diesen Effekt ja nicht nur bei Sternen suchen kann, sondern auch bei Galaxien. Es kann ja auch eine Galaxie im Vordergrund das Licht einer genau dahinter stehenden Galaxie ablenken und dann kriegt man eine Galaxie, die von einem Ring aus Licht umgeben ist. Und dieser Ring wäre deutlich größer als im Fall der Sterne.
Es hat allerdings bis 1979 gedauert, bis man tatsächlich das erste Mal beobachten konnte, wie Licht von Galaxien auf diese Weise abgelenkt wird. Da hat man aber "nur" gesehen, wie das Bild von Galaxien verformt wird, der Ring, der Mandl beschäftigt hat, war da nicht zu sehen. Dafür braucht es eben wirklich eine perfekte Ausrichtung und ganz genaue Beobachtungen. Man sah immer wieder unfertige Ringe, also Galaxien, deren Licht zu mehr oder weniger langen Bögen verformt war. Der erste komplette Ring konnte dann aber im Jahr 1987 beobachtet werden. Das Licht der fernen Galaxie mit der Bezeichnung B1938+666 formte einen kompletten Ring um eine nicht ganz so weit entfernte elliptische Galaxie.
In den Jahren danach fand man Dutzende weitere solcher "Einsteinringe", wie das Phänomen mittlerweile genannt wurde (obwohl man es genau so gut Chwolson-Ring oder Mandl-Ring nennen könnte). Man hat sogar im Jahr 2008 einen doppelten Ring gefunden: Drei Galaxien standen von uns aus gesehen genau in einer Reihe und die vorderste hat die Bilder der beiden dahinter zu zwei unterschiedlich großen Ringen verformt.
Die Entdeckung der Einsteinringe war nicht nur eine weitere Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre Beobachtung ist mittlerweile auch ein wichtiges Instrument bei der Erforschung des Universums geworden. Die Art und Weise, wie genau das Bild der fernen Galaxien verzerrt wird, sagt uns, wie viel Masse sich zwischen uns und ihnen befindet. Und dabei geht es nicht nur um die sichtbare Masse, sondern die gesamte Masse, also auch die der dunklen Materie, die wir ja anders nicht beobachten oder bestimmen können. Ohne Gravitationslinsen uns Einsteinringe wüssten wir sehr viel weniger über die dunkle Materie als wir es tun und wenn wir in Zukunft noch mehr wissen werden, dann weil wir diesen Effekt noch viel stärker genutzt und noch mehr Einsteinringe im Universum beobachtet haben.
Und vielleicht werden Mandl und Chwolson ja doch noch bestätigt und Einsteins Behauptungen, dass man den Lichtring um einen Stern nie beobachten wird können, ist falsch. Denn 2016 fanden ein paar Forscherinnen und Forscher heraus, dass sich Alpha Centauri A, also einer der drei Sterne, die das der Sonne nächstgelegene Sternensystem bilden, im Mai 2028 von uns aus gesehen sehr nah vor einem viel weiter entfernten Stern vorbeibewegen wird. Man kann die Bewegung der Sterne nicht so extrem exakt berechnen, aber die Chancen stehen fast 50:50, dass das Licht des Hintergrundsterns dann einen Einsteinring um Alpha Centauri A bilden wird. Und wenn das so ist, dann wird man das auch mit den Teleskopen auf der Erde beobachten können.
Sternengeschichten Folge 554: Sternbeben
Wir alle wissen, was ein Erdbeben ist. So schrecklich die Folgen solcher Naturkatastrophen für uns Menschen sein können, sind Erdbeben trotzdem etwas, was auf einem geologisch aktiven Planeten wie der Erde völlig normal ist. Und wir können froh sein, dass die Erde geologisch aktiv ist, denn ohne Plattentektonik und Vulkanismus wäre der Planet nicht lebensfreundlich. Diese Phänomene sind Teil jeder Menge geologisch-chemisch-biologischer Zyklen, ohne die wir keine lebensfreundliche Atmosphäre hätten.
In dieser Folge soll es aber nicht um Erdbeben gehen, sondern um Sternbeben. Und die erste Frage die sich hier stellt lautet: Was soll denn da bitte beben bei einem Stern? Ein Stern ist eine riesige Kugel aus heißem Gas; da ist nichts, was beben kann. Das ist richtig. Aber nicht ganz richtig. Die Bewegung des Materials im Inneren der Erde sorgt dafür, dass ihre Oberfläche manchmal bebt. Und genau so kann die Bewegung des heißen Gases im Inneren eines Sterns dafür sorgen, dass der ganze Stern zu Schwingen beginnt. Ein bisschen so, wie eine Glocke, die man angeschlagen hat. Aber auch das ist nicht das, worum es in dieser Folge gehen soll. Was nicht heißt, dass die Erforschung der Sternschwingungen nicht wichtig ist! Das ist sie sehr wohl und ich habe in Folge 164 ausführlich über die "Asteroseismologie" gesprochen, also die Disziplin, die sich genau damit beschäftigt.
Das, wovon ich in dieser Folge sprechen möchte, sind Ereignisse, die nicht bei normalen Sternen vorkommen und der Begriff "Sternbeben" ist daher auch ein wenig missverständlich. Er wird aber trotzdem so verwendet, wie das halt oft ist in der Wissenschaft. Für die Sternbeben, um die es heute gehen soll, müssen wir uns Neutronensterne ansehen. Also das, was von einem großen Stern übrig bleibt, nachdem der mangels Brennstoff die Kernfusion eingestellt hat. So ein Stern schleudert seine äußeren Schichten bei einer großen Explosion hinaus ins All, während gleichzeitig sein inneren Kern extrem kollabiert. Die Materie dort wird so sehr verdichtet, dass am Ende ein Objekt übrig bleibt, das circa so schwer ist wie die Sonne, aber nur noch ein paar Dutzend Kilometer groß.
Ein Neutronenstern ist keine Kugel aus Gas mehr. Er besteht überhaupt nicht mehr aus irgendwelchen identifizierbaren chemischen Elementen; die Struktur normaler Atomkerne kann bei der extremen Dichte des Materials eines Neutronensterns nicht mehr aufrecht erhalten werden. Bis auf die äußerste Schicht; die besteht bei einem Neutronenstern aus einer Kruste aus den Kernen von Eisenatomen. Diese Kruste ist aber maximal ein paar Dutzend Meter dick, darunter nimmt der Anteil an Neutronen immer weiter zu. Diese Teilchen sind es ja auch, die dem Objekt seinen Namen gegeben haben. Normalerweise können Neutronen nicht frei existieren; sie müssen zusammen mit den elektrisch positiv geladenen Protonen in einem Atomkern verbunden sein. Ein ungebundenes Neutron ist instabil und wandelt sich schnell in ein Proton und ein Elektron um. Und ein Antineutrino ist bei diesem Prozess auch noch dabei, aber das ist jetzt gerade nicht wichtig.
In einem Neutronenstern herrscht aber ein so immenser Druck, dass - vereinfacht gesagt - die Elektronen sofort wieder in die Protonen zurück gequetscht werden. Ein Neutron kann also gar nicht zerfallen. In den inneren Schichten besteht ein Neutronenstern also tatsächlich fast komplett aus Neutronen und was ab einer Tiefe von circa 10 Kilometern, also schon im Kern des Neutronensterns passiert, wissen wir noch nicht exakt. Man vermutet, dass dort vielleicht nicht einmal mehr Neutronen existieren können, sondern dass der Druck so hoch ist, dass dort freie Quarks existieren. Quarks sind die Elementarteilchen, aus denen Protonen und Neutronen bestehen und auch sie können normalerweise nicht alleine vorkommen. Sie müssen immer mit anderen Quarks verbunden sein und eben Neutronen oder Protonen bilden. Aber unter den extremen Bedingungen im Kern eines Neutronensterns könnte es anders sein.
Wie es wirklich ist, wissen wir aber noch nicht. Wir können die Bedingungen im Inneren eines Neutronensterns nicht im Labor oder mit Teilchenbeschleunigern nachstellen und wir können auch nicht in einen Neutronenstern hinein schauen. Zumindest nicht direkt und jetzt sind wir bei den Sternbeben angelangt. Genau so wie die Erdbeben ein wichtiges Instrument sind, um die Vorgänge im Inneren der Erde zu verstehen, können die Sternbeben uns helfen, das Innere der Neutronensterne zu erforschen.
Dazu müssen wir uns noch einmal klar machen, wie enorm hoch die Dichte dieser Himmelskörper ist. Seine mittlere Dichte beträgt typischerweise 1 Billiarde Gramm pro Kubikzentimeter. Oder anders gesagt: Ein Zuckerwürfelgroßes Stück würde ungefähr eine Billion Kilogramm wiegen, was ungefährt so viel ist wie eine Milliarde Autos. Man kann sich also vorstellen, dass auf der Oberfläche eines Neutronensterns eine enorme Anziehungskraft herrscht. Beziehungsweise kann man es sich vermutlich nicht vorstellen, wie denn auch! Auf der Erde gibt es hohe Berge und tatsächlich sind die Berge bei uns ungefähr so hoch, wie sie theoretisch sein können. Wären sie noch höher, dann würden sie unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen. Wenn die Erde eine höhere Dichte hätte und damit eine höhere Anziehungskraft, dann wären auch die Berge niedriger. Auf einem Neutronenstern kann es auch Berge geben - die können dann aber maximal ein paar Millimeter hoch sein. Alles andere ist bei der dort herrschenden Anziehungskraft nicht möglich.
Was Neutronensterne außerdem tun: Extrem schnell rotieren. Auch das ist ein klassischer Effekt: Wenn eine rotierende Masse komprimiert wird, muss sie sich schneller drehen als vorher. Das liegt an der Drehimpulserhaltung und man kann das leicht im Alltag ausprobieren. Setzt euch auf einen Drehstuhl, dreht euch und streckt dabei die Arme aus. Wenn ihr euch jetzt komprimiert, also die Arme dicht an den Körper führt, dann werdet ihr euch schneller drehen. Bei einem Neutronenstern wurde die ganze Masse eines Sterns auf ein paar Dutzend Kilometer verdichtet und dementsprechend stark hat sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht. So ein Ding kann sich bis zu ein paar 1000 Mal pro Sekunde um seine Achse drehen. Das führt dazu, dass die Form eines Neutronensterns nicht exakt kreisförmig ist. So wie auch die Erde ein wenig abgeplattet ist, weil sie rotiert, ist das auch ein Neutronenstern. Im Laufe der Zeit nimmt die Rotationsgeschwindigkeit eines Neutronensterns aber ab. Das hat unterschiedliche Gründe. Ein Neutronenstern kann auch ein extrem starkes Magnetfeld haben; so wie sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht, wenn der Stern verdichtet wird, verstärkt sich auch das Magnetfeld. Es kann sein, dass die magnetischen Pole dieses Magnetfeldes nicht mit der Ausrichtung der Rotationsachse übereinstimmen. Bei der Erde fallen magnetischer Nord- und Südpol ja auch nicht exakt mit den geografischen Polen zusammen. Wenn das bei einem Neutronenstern der Fall ist, dann erzeugt er sehr starke Strahlung, die er dann entlang seines Magnetfeldes ins All schleudert - wie das genau passiert habe ich ja schon in Folge 142 erklärt.
So oder so: Die Energie für diese Strahlung wird aus der Rotationsenergie abgezweigt. Und je langsamer ein Neutronenstern rotiert, desto kreisförmiger will er werden. In seiner Kruste baut sich immer mehr Spannung auf, die sich irgendwann dann explosiv bei einem Sternbeben entlädt, genau so wie es ja auch bei einem Erdbeben ist. Spannungen kann es auch geben, wenn die Kruste unterschiedlich schnell rotiert als die darunter liegenden Schichten. Dann entstehen sehr starke Magnetfelder und durch die unterschiedlichen Rotationsgeschwindigkeiten verzwirbeln die sich immer stärker, bis auch diese Spannungen sich bei einem gewaltigen Sternbeben lösen. Es gibt noch mehr Effekte, die eine Rolle spielen, unter anderem das sogenannte Frame-Dragging, aber dafür müssten wir jetzt auch noch mit der Relativitätstheorie anfangen, und das würde zu weit führen.
Jedenfalls: In der Kruste eines Neutronensterns kann es zu Beben kommen. Ein sehr gewaltiges Sternbeben hat man am 27. Dezember 2004 registriert. So stark wie damals war bis dahin kein Sternbeben gewesen; es war die hellste Explosion die man bis dahin außerhalb des Sonnensystems beobachtet hatte. Stattgefunden hat sie bei SGR 1806-20, ein Neutronenstern der sich 42.000 Lichtjahre entfernt befindet, dort am Himmel wo das Sternbild Schütze ist. Innerhalb von winzigen Sekundenbruchteilen ist die Kruste des Objekts explosiv aufgebrochen und eine gewaltige Menge an Strahlung ist dadurch frei geworden. In einer Zehntelsekunde wurde mehr Energie frei, als die gesamte Sonne in 150.000 Jahren abstrahlt. Hätte sich der Neutronenstern innerhalb eines Radius von 10 Lichtjahren von der Erde befunden, hätte diese extreme Strahlungsmenge die Ozonschicht zerstört und unter Umständen ein Massensterben ausgelöst.
Das war aber ja nicht der Fall; stattdessen konnte man das Ereignis nutzen, um mehr über den Neutronenstern herauszufinden. Eine genaue Analyse der abgegeben Strahlung zeigt, dass der Stern sehr schnell pulsiert haben muss; er hat geschwungen wie eine angeschlagene Glocke und anhand dieser Schwingungen konnte man zum Beispiel abschätzen, dass die äußere Kruste in diesem Fall knapp 1,5 Kilometer dick sein muss. Nicht jedes Sternbeben ist allerdings so stark wie dieses und die schwächeren Beben die wir registriert haben, haben nicht genug Informationen geliefert, um auch dort mehr über den Aufbau der Neutronensterne zu erfahren. Aber das Mega-Beben aus dem Jahr 2004 wird nicht das letzte gewesen sein. Und je mehr wir davon beobachten, desto eher finden wir heraus, was im Inneren der Neutronensterne passiert. Mit besseren Teleskopen, besseren theoretischen Modellen und ein wenig Glück finden wir vielleicht auch bei einem zukünftigen Beben einen Nachweis für freie Quarks im Kern der Neutronensterne. Das wäre dann eine wirklich tolle Entdeckung, denn mit dem, was wir auf der Erde bauen können, würden wir die für so einen Nachweis nötigen Energien niemals hinkriegen. Dafür müssen wir die viel gewaltigeren natürlichen Labore der Neutronensterne und ihrer Beben nutzen.
Sternengeschichten Folge 553: Warum ist der Himmel blau?
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um die Lichtstreuung. Wenn man noch nie davon gehört hat, dann klingt das Wort ziemlich harmlos. In der Physik meint man mit "Streuung" ganz allgemein einen Vorgang, bei dem ein Objekt durch die Wechselwirkung mit einem anderen Objekt abgelenkt wird. Wenn beim Fußball jemand eine Flanke annimmt und den Ball ins Tor kickt, dann ist das in gewissen Sinne auch nichts anderes als eine Streuung, in dem Fall eben die Streuung des Balls am Fuß. Aber um Fußball soll es heute nicht gehen und wir bleiben auch beim speziellen Fall, in dem Licht gestreut wird. Und keine Sorge, das reicht vollkommen um eine Folge der Sternengeschichten zu füllen.
Licht kann an so gut wie allem gestreut werden und je nachdem, was ihm genau in die Quere kommt, können ganz unterschiedliche Phänomene entstehen. Fangen wir mit dem an, was wir in unserem Alltag quasi täglich sehen können, nämlich den Auswirkungen der sogenannten Rayleigh-Streuung. Formal handelt es sich dabei um die elastische Streuung elektromagnetischer Wellen an Teilchen, deren Durchmesser im Vergleich zur Wellenlänge der Strahlung klein ist. In der Praxis ist die Rayleigh-Streuung der Grund, warum der Himmel blau ist.
Klären wir aber vorher nochmal das mit der "elastischen Streuung". Wenn ein Streuungsvorgang elastisch ist, dann ist die Bewegungsenergie vor dem Stoß genau so groß wie danach. Im Gegensatz zum "inelastischen Stoß" beziehungsweise der inelastischen Streuung, wo beim Streuungs- oder Stoßvorgang ein Teil der Bewegungsenergie in andere Energieformen umgewandelt werden kann, zum Beispiel in Wärme- oder Deformationsenergie. Wenn zum Beispiel ein Auto frontal gegen eine Mauer fährt, handelt es sich definitiv um einen inelastischen Stoß. Vor der Kollision hat das Auto eine gewisse Bewegungsenergie, die Mauer nicht. Danach stehen sowohl Auto als auch Mauer; die Summe der Bewegungsenergien hat sich also auf jeden Fall verändert. Man sieht aber auch sehr gut, wohin die Bewegungsenergie des Autos verschwunden ist: Sie hat dazu geführt, dass das Auto massiv verformt wurde und jetzt nur noch ein Schrotthaufen ist.
In der Alltagswelt ist jeder Stoß ein inelastischer Stoß, aber wenn es um Atome und Elementarteilchen geht, dann gibt es dort durchaus auch elastische Stoßvorgänge, da eine bestimmte Mindestenergie benötigt wird, wenn man ein Atom anregen, also quasi aufwärmen will. Das liegt an der Quantenmechanik, die Energie nur in bestimmten Mengen zulässt, aber so weit ins Detail müssen wir jetzt gar nicht gehen.
Bei der Rayleigh-Streuung haben wir es auf jeden Fall mit kleinen Teilchen zu tun; zum Beispiel mit den Atomen und Molekülen in der Luft. Die sind definitiv kleiner als die Wellenlänge von für unsere Augen sichtbarer elektromagnetischer Strahlung, also dem, was wir normalerweise als "Licht" bezeichnen. Es geht also um die Frage, was passiert, wenn Licht sich durch die Erdatmosphäre bewegt. Licht ist Energie und zwar um so mehr, je kleiner die Wellenlänge ist. Rotes Licht enthält also weniger Energie als das blaue Licht mit seiner kürzeren Wellenlänge. Mit dieser Energie kann das Licht nun die Elektronen anregen, die sich in den Hüllen der Atome der Luftmoleküle befinden. Wenn das passiert, dann verändert sich die Verteilung der Elektronen und damit auch ihre Position. Die Details würden jetzt zu weit führen, aber die schwingende Lichtwelle bringt, vereinfacht gesagt, auch die Elektronen der Moleküle zum Schwingen und damit dazu, selbst Strahlung auszusenden. Und es ist diese Strahlung, die wir dann als das gestreute Licht wahrnehmen.
Wie das genau und in welchen Ausmaß das passiert, hängt vom sogenannten "Wirkungsquerschnitt" ab; vereinfacht gesagt ist das ein Maß für die Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung zwischen dem Licht und einem Teilchen. Bei der Rayleigh-Streuung hängt der Wirkungsquerschnitt von der Wellenlänge ab. Je kürzer die Wellenlänge, desto stärker die Streuung. Oder anders gesagt: Blaues Licht wird circa 16 mal stärker gestreut als rotes Licht. Das ist der Grund für den blauen Himmel: Hätte wir keine Atmosphäre, wäre der Himmel immer schwarz, so wie in der Nacht. Dann würde das weiße Sonnenlicht einfach ungehindert auf die Erde fallen und wir würden zwar die helle Sonne am Himmel sehen, aber dort wo die Sonne nicht ist, wäre es einfach nur schwarz. Aber weil wir eine Atmosphäre haben, wird das Sonnenlicht gestreut, sobald sie darauf trifft. Untertags steht sie, zumindest in den meisten Gegenden der Welt, hoch am Himmel. Der Weg des Lichts durch die Atmosphäre ist also vergleichsweise kurz und es bleibt nicht so viel Zeit für das Licht, an den Molekülen der Luft gestreut zu werden. Deswegen wird vor allem der Anteil des Sonnenlichts gestreut, bei dem der Wirkungsquerschnitt groß ist: Das blaue Licht. Es breitet sich also durch die Streuung in alle Richtungen aus und wir sehen den gesamten Himmel bläulich eingefärbt.
Anders ist es, wenn die Sonne sehr tief steht, also in der Morgen- oder Abenddämmerung. Jetzt muss das Licht einen langen Weg durch die Atmosphäre zurücklegen. Jetzt wird sehr viel Licht gestreut und wieder sehr viel blaues Licht. So viel, dass der blaue Anteil des Sonnenlichts zu einem großen Teil seitlich wegstreut ist, bevor der Rest in unseren Augen ankommt. Dieser Rest besteht dann vor allem aus den rötlichen/gelblichen Anteilen und sorgt für die schönen Sonnenauf- und untergänge.
Jetzt wird der eine oder die andere einwerfen wollen, dass der Himmel doch bitte nicht immer blau ist. Manchmal schaut man aus dem Fenster und sieht nur eine trübe, grau-weißliche Suppe und keinen klaren, blauen Himmel. Das stimmt, und dafür ist ein anderer Streuungs-Vorgang verantwortlich, nämlich die sogenannte "Mie-Streuung". Die findet statt, wenn die Teilchen an denen das Licht gestreut wird, keine kleinen Moleküle oder Atome sind, sondern größer - ungefähr so groß wie die Wellenlänge des Lichts selbst. Das können zum Beispiel kleine, feine Wasserströpfchen sein. Oder Staub- und Rußpartikel. In diesem Fall hängt das Ausmaß der Streuung kaum von der Wellenlänge des Lichts ab. Alle Farben werden annähernd gleich stark gestreut und das weißliche Sonnenlicht verteilt sich ebenso weißlich über den ganzen Himmel. Das ist auch der Grund, warum Wolken weiß erscheinen, denn die sind ja nichts anderes, als große Ansammlungen feiner Wassertropfen, die über den Himmel schweben. Und wenn die Luft sehr feucht ist, ist der ganze Himmel trüb. Die Mie-Streuung kann man auch nachts beobachten, wenn sich um den hell leuchtenden Mond herum ein nebelartiger Lichthof bildet. Auch das liegt am Wasser in der Luft und ein Mond mit Hof ist daher ein Anzeichen für nahendes Schlechtwetter.
Etwas erfreulicher ist die Mie-Streuung zu sehen, wenn man es mit dem Tyndall-Effekt zu tun hat. Man kennt das: Man spaziert zum Beispiel durch den Wald und das Sonnenlicht bildete wunderschöne Strahlen, die durch das Blätterdach fallen. Auch hier ist der Grund die Streuung des Lichts an Staub- oder Wasserpartikeln. Ein Teil des Sonnenlichts wird dadurch seitlich aus dem Strahl heraus gestreut, weswegen wir ihn auch von der Seite aus sehen können.
Es gibt noch jede Menge andere Arten der Lichtstreuung. Zum Beispiel all die Fälle, wo Licht nicht an Atomen, Molekülen oder Partikeln gestreut wird, sondern an Elementarteilchen wie Elektronen. Und es muss ja auch nicht immer nur für unsere Augen sichtbares Licht sein; gestreut werden kann jede Art der elektromagnetischen Strahlung, auch Röntgenstrahlung, Radiostrahlung, und so weiter. Es ist sogar möglich, dass Licht an Licht gestreut wird. Das klingt seltsam, denn was soll da der Grund sein? Der Grund ist in dem Fall die Quantenmechanik und die Tatsache, dass es Quantenfluktuationen gibt, die kurzfristig Teilchen hervorbringen, die dann aber gleich wieder verschwinden. Die spielen in der Alltagswelt keine Rolle, sorgen aber dafür, dass Licht sogar an Licht gestreut werden. Diese Art der Streuung spielt sogar eine Rolle in der Astronomie - aber das ist eine so lange Geschichte, dass ich sie mir lieber für eine andere Folge aufhebe. Lichtstreuung ist eben tatsächlich ein sehr vielfältiges Problem und es kann sehr viel passieren, wenn man dem Licht in die Quere kommt.
Sternengeschichten Folge 552: Der Stickstoff der Erdatmosphäre
Die Atmosphäre der Erde besteht fast komplett aus Stickstoff und Sauerstoff. Stickstoff macht dabei die überwiegende Mehrheit aus; 78 Prozent der Luft bestehen aus diesem Element. 21 Prozent sind Sauerstoff und dann ist da noch ein bisschen Argon, Kohlendioxid und andere Gase in sehr geringen Mengen. Den Sauerstoff brauchen wir dringend zum Überleben, aber auch der Stickstoff ist wichtig. Und die Frage seiner Herkunft ist durchaus spannend. Wie ist die Erde eigentlich dazu gekommen, von einer Atmosphäre mit so viel Stickstoff umgeben zu sein?
Während die Erde entstanden ist, vor circa 4,6 Milliarden Jahren, hatte sie noch keine Atmosphäre im eigentlich Sinn. Sie ist, so wie die anderen Planeten, aus einer großen kosmischen Wolke voll Gas und Staub entstanden. Beziehungsweise: Die Sonne ist aus so einer Wolke entstanden und die Planeten aus dem Zeug, dass dann noch übrig war. So oder so: Diese kosmischen Wolken bestehen fast völlig aus den beiden häufigsten Elementen im Universum, aus Wasserstoff und Helium. Und das waren auch die beiden Gase, die die noch in Entstehung begriffene Erde in ihrer Uratmosphäre gehabt habt. Diese Wasserstoff-Helium-Atmosphäre hat sie aber nicht festhalten können. Einerseits, weil diese beiden Atome die leichtesten chemischen Elemente und daher auch sehr flüchtig sind. Es braucht mehr Masse und mehr Anziehungskraft als die Erde hat, um sie dauerhaft halten zu können. Und andererseits war die junge Sonne noch sehr hell, heiß und aktiv und mit ihrer starken Strahlung und ihren starken Sternwinden hat sie die Uratmosphäre der Erde wie ein Sandstrahler abgetragen und wieder ins All gepustet.
Die junge Erde war auch extrem heiß, quasi komplett aufgeschmolzen und es hat ein wenig gedauert, bis sie einigermaßen fest geworden ist. Ihre nächste Atmosphäre hat sie aus den Gasen bekommen, die durch Vulkanismus und andere geologische Vorgänge aus ihrem Inneren ausgegast sind. Das war vor allem sehr viel Kohlendioxid, aber auch Methan, Stickstoff und Wasserdampf. Es hat über eine Milliarde Jahre gedauert, bis die Erde so weit abgekühlt war, dass flüssiges Wasser dauerhaft auf ihrer Oberfläche existieren konnte. Und dann hat es erst mal geregnet; der ganze Wasserdampf aus der Atmosphäre regnet runter und regnet und regnet und regnet - ein paar Millionen Jahre lang. Dieser Regen hat das meiste Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt und auch die meisten anderen Gase, bis auf den Stickstoff. Der ist nämlich ein sogenanntes "Inertgas", also ein Gas, das sich nur sehr widerwillig an chemischen Reaktionen beteiligt. Er hat also so gut wie kaum an irgendwelchen chemischen Reaktionen in der Atmosphäre teilgenommen und ist daher auch zum größten Teil dort geblieben. Stickstoff hat außerdem keine große Lust, ins Gestein der Erde eingebunden zu werden, im Gegensatz beispielsweise zu Sauerstoff. Der Stickstoff bleibt also einfach in der Atmosphäre und sammelt sich dort an. Genau deswegen haben wir so viel davon und dass wir neben dem Stickstoff auch noch einen relevanten Anteil an Sauerstoff in der Atmosphäre haben, liegt am Leben auf der Erde. Ich habe davon ja schon in Folge 171 erzählt: Vor circa 3,5 Milliarden Jahren haben ein paar der damals existierenden Mikroorganismen angefangen, Photosynthese zu betreiben und dabei Sauerstoff zu produzieren. Das Gas hat sich immer weiter angereichert, zuerst im Meer und dann in der Atmosphäre.
So ist im Laufe der Zeit die Luft entstanden, die wir heute atmen: Hauptsächlich Stickstoff und ein bisschen Sauerstoff. Was aber immer noch nicht erklärt, wo der Stickstoff ursprünglich hergekommen ist. Dazu müssen wir noch mal zurück in die Zeit, als die Planeten entstanden sind. Beziehungsweise noch ein wenig weiter zurück. Beim Urknall selbst, vor 13,8 Milliarden Jahren, gab es noch keinen Stickstoff; damals entstanden nur Wasserstoff und Helium. Aber Stickstoff gehört zu den chemischen Elementen, die durch Kernfusionsprozesse im Inneren von Sternen entstehen können. Als die ersten Sterne des Universums ihr Leben beendet haben, haben sie ihre Innereien bei Supernova-Explosionen im All verteilt und in den kosmischen Wolken, die zuvor nur aus Wasserstoff und Helium bestanden haben, haben sich nun langsam auch andere Elemente angereichert. Die Wolke, aus der sich die Sonne gebildet hat, hat also schon Stickstoff, Sauerstoff und jede Menge andere Atomsorten enthalten. Immer noch sehr, sehr wenig im Vergleich zur Menge von Wasserstoff und Helium, aber immerhin.
Dann ist die Sonne entstanden und aus dem übrig gebliebenen Material hat sich eine Scheibe aus Gas und Staub um sie herum gebildet. In dieser Scheibe hat sich das ganze Zeug immer weiter zusammengeklumpt; es sind Felsbrocken entstanden, die immer größer geworden sind und irgendwann haben sich aus all diesen Brocken die Planeten gebildet. Der Stickstoff war Teil dieser Brocken und ist so auch auf die Erde gekommen. Von den ersten Sternen in die kosmische Wolke aus der sich die Sonne gebildet hat, von dort ins Baumaterial der Erde und dann aus ihrem Inneren hinaus in die Atmosphäre: Das ist der Weg des Stickstoffs, aber die Sache ist natürlich ein wenig komplizierter als diese kurze Beschreibung. Vor allem beschäftigt die Forschung die Frage, aus welchen Regionen des sehr jungen Sonnensystems die Erde ihren Stickstoff bekommen hat.
Fangen wir mal mit der trivialen Feststellung an, dass es näher an der Sonne wärmer ist als weiter von ihr entfernt. Flüchtige Stoffe, wie Wasserstoff, Sauerstoff, oder eben auch Stickstoff können in dieser Umgebung nur in Form von Gas existieren und nicht kondensieren, also Feststoffe bilden bzw. Teil von Feststoffen sein. Das geht nur weiter draußen im Sonnensystem, ungefähr hinter der Bahn des Jupiters. Dort ist es kühl genug. In der Nähe der Sonne gibts also jede Menge Staub mit nur sehr wenigen flüchtige Gasen wie Stickstoff. Weiter draußen dagegen gibt es sehr viel mehr. Sonnennahe Planeten wie die Erde haben sich also aus Brocken gebildet, die kaum Stickstoff enthalten, was bedeutet, dass der Stickstoff erst später dazu gekommen sein muss; durch Asteroiden und Kometen die im äußeren Sonnensystem entstanden und dann auf der Erde eingeschlagen sind.
Das jedenfalls war das Bild, dass man lange Zeit von der Situation gehabt hat. Im Jahr 2021 fand man dann aber heraus, dass alles noch ein wenig komplizierter ist. Wenn man sich den Stickstoff ansieht, den man in Meteoriten findet, ist es nämlich nicht immer die selbe Art. Atome können in unterschiedlichen Varianten existieren; je nachdem wie viele Neutronen sie in ihrem Kern haben. Der Atomkern eines Stickstoffatoms muss immer sieben Protonen haben, sonst ist es kein Stickstoff. Die Zahl der elektrisch ungeladenen Neutronen kann aber variieren. In 99 von 100 Fällen sind es sieben Neutronen, es können aber auch acht sein (und theoretisch auch andere Variationen, aber die sind nicht stabil und spielen für unsere Überlegungen jetzt keine Rolle). Die normale Varianten von Stickstoff mit je sieben Protonen und Neutronen nennt man Stickstoff-14 und es ist klar, dass dieses Atom ein bisschen leichter als der Stickstoff-15, der ein Neutron mehr im Kern hat.
Dadurch kann man die beiden unterscheiden und man hat herausgefunden, dass Meteoriten die aus dem inneren Sonnensystem stammen nicht nur generell sehr viel weniger Stickstoff enthalten als die aus dem äußeren Sonnensystem, sondern im Vergleich zum Stickstoff-14 auch weniger Stickstoff-15. Oder anders gesagt: Das Verhältnis von Stickstoff-14 zu Stickstoff-15 unterscheidet sich, je nachdem ob die Meteoriten nahe an der Sonne entstanden sind oder weiter weg. Jetzt könnte man sich das entsprechende Verhältnis beim Stickstoff auf der Erde ansehen und würde eigentlich erwarten, dass es dem Verhältnis entspricht, das wir von den Objekten im äußeren Sonnensystem kennen. Denn von dort stammen ja, wie ich gerade erklärt habe, die Himmelskörper, die den Stickstoff auf die Erde gebracht haben. Die Daten haben gezeigt, dass das nicht so ist. Die Erde muss ihren Stickstoff sowohl von sonnennahen als auch von sonnenfernen Objekten bekommen.
Es lief also vermutlich so ab: Im inneren Sonnensystem konnte sich der Stickstoff in Form diverser organischer Verbindungen halten und wurde Teil des Baumaterials der Planeten. Der Sonnenwind, also das Material, das die Sonne aus ihren äußeren Schichten ins All schleudert, enthält ebenfalls kleine Mengen an Stickstoff, aber mit einem geringen Anteil an Stickstoff-15. Das führt dazu, dass sich nahe an der Sonne Objekte bilden, die arm an Stickstoff-15 sind im Vergleich zum äußeren Sonnensystem. Wir bekommen also eine Zweiteilung, was das Baumaterial angeht und erst später hat sich das alles ein wenig vermischt, als durch die gravitativen Störungen des Jupiters immer mehr Asteroiden und Kometen aus dem äußeren Sonnensystem ins innere Sonnensystem gelangt sind. Die Erde hat sich bei ihrer Enstehung aus dem sonnennahen Reservoir bedient, das arm an Stickstoff-15 ist und später kam dann das Stickstoff-15-reiche Material aus dem äußeren Sonnensystem dazu.
Die Erkenntnis, dass auch nahe an einem Stern zumindest gewisse Mengen Stickstoff im Baumaterial für Planeten existieren, ist interessant. Denn nicht jedes Planetensystem hat einen großen Jupiter in der Mitte sitzen, der durch seine Gravitation Material von außen nach innen transportiert. Aber, wie wir jetzt wissen, auch wenn ein Planet nur aus sternnahen Material entsteht, ist Stickstoff vorhanden. Was sehr praktisch ist, wenn wir auf der Suche nach lebensfreundlichen Planeten sind. Denn Stickstoff ist enorm wichtig für das Leben auf der Erde. Er ist Bestandteil der Proteine, also den Moleküle, aus denen wir Lebewesen quasi bestehen. Wir müssen, so wie alle anderen Lebewesen auch, Stickstoff mit unserer Nahrung aufnehmen und es braucht einen komplette Stickstoffkreislauf, damit Leben auf der Erde existieren kann. Aber das ist eigentlich schon wieder eine ganz andere Geschichte…
Sternengeschichten Folge 551: Marietta Blau und die Zertrümmerungssterne
In der heutigen Folge geht es unter anderem um "Zertrümmerungssterne". Das klingt astronomisch, immerhin kommt das Wort "Sterne" darin vor. Und es hat auch mit Astronomie zu tun, nur etwas anders als man denkt. Wir fangen aber nicht mit Sternen an, sondern mit Marietta Blau. Sie wurde am 29. April 1894 in Wien geboren. Sie wuchs in einer wohlhabenden und gebildeten Familie auf, ihr Vater war Jurist und Musikverleger, und Marietta konnte die Matura abschließen und ab 1914 an der Universität Wien ein Studium beginnen. Sie entschied sich für Physik und Mathematik und schloss 1919 ihre Doktorarbeit am Institut für Radiumforschung ab. Da wurde nicht nur Radium erforscht; es war eine Forschungseinrichtung zur Untersuchung der Radioaktivität - die erste der Welt übrigens. Radioaktivität wurde erst 1896 entdeckt; das Element Radium entdeckten Marie und Pierre Curie erst 1898 und dieses neue physikalische Phänomen hat damals die Welt der Wissenschaft enorm interessiert. So sehr, dass man in Wien 1910 ein eigenes Institut gegründet hat und der erste Leiter diese Instituts für Radiumforschung in Wien war der Physiker Stefan Meyer. Er war Assistent von Victor Franz Hess und wer sich noch an Folge 317 erinnert, wird wissen, dass Hess die kosmische Strahlung entdeckt hat. Dazu kommen wir aber später noch einmal.
Marietta Blau jedenfalls hat sich auch für Radioaktivität interessiert und unter der Betreuung von Stefan Meyer eine Dissertation mit dem Titel "Über die Absorption divergenter Gammastrahlung" geschrieben; sich also mit der hochenergetischen radioaktiven Strahlung beschäftigt. Ihr Doktoratsstudium konnte sie beenden; immerhin. Das war damals für Frauen nicht normal und dass Frauen überhaupt erst zum Studium zugelassen waren, war zu Blaus Zeiten noch nicht so lange her. Und dass eine Frau nach ihrem Studium an einer Universität forscht, war in Österreich damals auch nicht vorgesehen. Blau konnte also keine akademische Laufbahn einschlagen und ging nach Berlin, um dort in einer Fabrik für Röntgenröhren zu arbeiten. 1921 bekam sie eine Anstellung als Assistentin an der Universität in Frankfurt am Main, wo sie den Ärzten die physikalischen Grundlagen der Radiologie beigebracht hat; ihnen also erklärt hat, wie Röntgenstrahlung funktioniert und wie man sie für medizinische Zwecke einsetzen kann. Dieser Schritt war wichtig für ihre Karriere, denn dort musste sie sich nicht nur mit der Physik der Radioaktivität beschäftigen, sondern auch mit Fotografie. In der Medizin geht es ja darum, Röntgenbilder zu machen und das ging damals selbstverständlich noch analog. Man hatte also Photoplatten, die mit bestimmten chemischen Substanzen bestrichen waren, die auf Licht oder eben auf radioaktive Strahlung reagieren und so ein Bild erzeugen können.
Als 1923 die Mutter von Marietta Blau sehr krank wurde, ging sie wieder zurück nach Wien und nahm eine unbezahlte Arbeitsstelle am Institut für Radiumforschung an. Für ihren Lebensunterhalt musste sie selbst sorgen, was sie aber nicht davon abhielt, ihrer Forschung nachzugehen. Marietta Blau hat damals probiert, die Photoplatten als Nachweismethode für atomare und subatomare Teilchen zu nutzen. Wenn man damals Radioaktivität nachweisen wollte, dann hat man meistens sogenannte "Szintillationszähler" benutzt. Der funktioniert, vereinfacht gesagt, mit einem Stück Material, dass einen kleinen Lichtblitz erzeugt, wenn energiereiche Strahlung darauf trifft. Diese sehr schwachen Blitze konnte man dann zählen und aus ihrer Häufigkeit auf die Art der eintreffenden Strahlung schließen beziehungsweise auf die Existenz der Teilchen, die die Strahlung erzeugt haben. Das war mühsam und fehleranfällig. Eine andere Methode ist die "Nebelkammer", von der ich in Folge 510 ausführlich erzählt habe. Hier beobachtet man winzige, künstliche Wolken, die in einer speziellen Umgebung in einem Messgerät erzeugt werden, wenn radioaktive Strahlung oder entsprechende Teilchen durchsausen. Auch das war nicht einfach, vor allem, wenn man dauerhafte Aufzeichnungen haben wollte.
Marietta Blau hat deswegen begonnen, mit Photoemulsionen zu experimentieren. Gemeinsam mit ihrer Assistentin Hertha Wambacher testete sie verschiedene chemische Substanzen, tauschte sich mit den Firmen aus, die fotografische Filme hergestellt haben, hat an der Zusammensetzung, der Dicke der Schichten, und so weiter gefeilt bis sie am Ende eine Methode hatte, bei der man mit den Photoplatten tatsächlich die Spuren von Teilchen "sehen" konnte. Die chemische Schicht, die Emulsion, muss dabei besonders gleichmäßig sein, nicht zu dick und nicht zu dünn, aber wenn alles passt, dann kann man dort die Spuren von Teilchen sehen, die zum Beispiel bei radioaktiven Zerfallsprozessen erzeugt werden. Wenn diese Teilchen auf die Photoplatten treffen, erzeugen sie dort eine chemische Reaktion und entsprechende Spuren, die - wie ein normales Foto - entwickelt und fixiert werden können. Aus der Länge, der Dicke und der Form der Spuren kann man rekonstruieren, um welches Teilchen es sich gehandelt hat. Blau und Wambacher konnten so die Spuren von Alpha-Teilchen identifizieren, also der niederenergetischen radioaktiven Strahlung; sie konnten Protonen finden, die Bausteine der Atomkerne, und sogar die elektrisch ungeladenen Neutronen nachweisen. Diese Teilchen wurden erst 1932 entdeckt und nur ein paar Monate nachdem die Entdeckung bekannt gegeben wurde, konnten Blau und Wambacher die Neutronen auch mit ihrer Methode finden.
Dass es sich bei dieser Arbeit nicht einfach nur um eine Spielerei handelt, zeigt die Verleihung des Haitinger-Preises den die Akademie der Wissenschaft im Jahr 1936 an die beiden Frauen verlieh. 1937 wurde es dann richtig spannend. Blau und Wambacher platzierten ihre Photoplatten am Hafelekar in Tirol. 2300 Meter über dem Meer; hoch über Innsbruck, platzierten sie ihre Platten um damit die kosmische Strahlung nachzuweisen. Jetzt sind wir wieder bei Victor Hess. Der hat 1912 entdeckt, dass aus dem Weltall ständig jede Menge radioaktive Strahlung auf die Erde trifft. Diese kosmische Strahlung wird von der Sonne, aber auch von allen anderen Sternen und diversen anderen Prozessen im All erzeugt. Zum Glück schützt uns die Atmosphäre der Erde und auch das Magnetfeld vor dem Großteil der Strahlung. Aber je höher man sich befindet, desto mehr kommt noch durch.
Tatsächlich konnten Blau und Wambacher die kosmische Strahlung mit ihrer Methode sehen: Sie sahen "Zertrümmerungsterne". Also Spuren auf ihren Platten, bei der von einem Punkt sternförmig jede Menge Linie ausgingen. Damit so etwas entstehen kann, muss ein sehr hochenergetisches Teilchen kommen, auf die Photoplatte treffen, wo es dann eines der Atome der chemischen Emulsion "zertrümmert", also Protonen und Neutronen aus dem Atomkern rausschlägt, die dann selbst wieder neue Kernreaktionen auslösen können. So kriegt man die sternförmigen Spuren und der "Zertrümmerungsstern" war ein Beleg für die durch die kosmische Strahlung ausgelösten Kernreaktionen; das, was man heute mit dem Fachbegriff "Spallation" bezeichnet. Die Spallation durch kosmische Strahlung ist ein spannender und wichtiger Prozess; sie ist zum Beispiel der einzige Weg, wie das chemische Element Bor entstehen kann. Durch Kernfusion, also die Verschmelzung von kleineren Atomkernen zu größeren beziehungsweise durch Kernspaltung größerer Kerne in kleinere geht das nicht; dafür hat Bor nicht die passende Anzahl an Protonen im Kern. Aber wenn kosmische Strahlung auf die richtigen Materialien trifft, kann sie genau die richtigen Atomkernbausteine raushauen, damit am Ende Bor-Atome übrig bleiben.
Bor ist ein wichtiges Element für uns Menschen; wir brauchen es für unsere Knochen und die Funktion des Gehirns. Nicht viel, aber wenn es nicht da ist, dann fehlt es uns. Und der Prozess, der dieses Element erzeugt, ist genau der, den Blau und ihre Assistentin Wambacher nachweisen konnten. Mit diesen Forschungsergebnissen wäre es normalerweise kein Problem gewesen, eine Professur und eine fixe Stelle an einer Universität zu bekommen. Aber nicht im Jahr 1937; nicht in Österreich und nicht wenn man eine Frau ist und noch dazu aus einer jüdischen Familie kommt. Blau und Wambacher bekamen noch den Lieben-Preis der Akademie der Wissenschaften verliehen und ein Jahr später musste Blau das Land verlassen (Wambacher übrigens konnte bleiben; sie war keine Jüdin und hatte sich mit den Nationalsozialisten arrangiert). Nach einem kurzen Zwischenstopp in Oslo landete sie in Mexiko, wo sie durch Vermittlung von Albert Einstein einen Job als Lehrerin an einer höheren Schule für Ingenieure bekam. Nebenbei forschte sie noch ein wenig; bastelte sich selbst Messgeräte, nutzte dann aber die erste Gelegenheit, um in die USA zu übersiedeln. 1944 bekam sie dort einen Job in der Wirtschaft, später dann endlich wieder eine wissenschaftliche Stelle an der Columbia University in New York. Ab 1948 beschäftigte sie sich dort mit der Datenauswertung von Teilchenbeschleunigern; wurde 1950 auch amerikanische Staatsbürgerin. 1950 schließlich wurde der Nobelpreis für Physik verliehen und zwar "für die Entwicklung der photografischen Methode zur Untersuchung von nuklearen Prozessen". Allerdings nicht an Marietta Blau, sondern an den britischen Physiker Cecil Powell. Er hat die Methode von Blau und Wambacher für seine Forschung genutzt und damit ein paar Teilchen nachweisen können, die bis dahin noch nicht nachweisbar waren. Den Nobelpreis bekam er auch für diesen Nachweis, aber eben auch explizit für die Entwicklung der Methode mit den Photoplatten.
Dass Blau den Nobelpreis nicht erhalten hat, ist einer der großen Fehler des Nobelpreiskomitees. Blau (und Wambacher) wurden sogar von Erwin Schrödinger für den Nobelpreis vorgeschlagen; der Preis wurde aber trotzdem nur an Cecil Powell verliehen und der hat es geschafft, in seiner Nobelpreisrede kein einziges Mal den Namen "Marietta Blau" zu erwähnen.
Marietta Blau bekam 1956 eine Stelle als Professorin an der Universität von Miami, kehrte aber dennoch 1960 nach Österreich zurück (Wambacher starb schon 1950). Sie begann dort wieder am Institut für Radiumforschung zu arbeiten; sie leitete eine Arbeitsgruppe an der Daten des europäischen Kernforschungszentrums CERN ausgewertet wurden und betreute Doktorarbeiten. Aber, hat sich das Institut wohl gedacht, wir haben die Frau nicht bezahlt als sie vor dem Krieg hier gearbeitet hat, warum also sollen wir sie jetzt bezahlen? Die Stelle von Blau war unbezahlt und die Akademie der Wissenschaft verlieh ihr 1962 zwar einen weiteren Preis - den Erwin Schrödinger-Preis für ihr Lebenswerk - ging aber nicht so weit, sie in die Akademie aufzunehmen.
Mariette Blau starb im Jahr 1970 in Wien, an Krebs und völlig verarmt. Keine wissenschaftliche Zeitschrift hielt es damals für notwendig, einen Nachruf auf sie zu verfassen. Und selbst heute ist ihr Name nicht so bekannt, wie er es sein sollte. Noch im Jahr 2012 ist, anlässlich des hundertsten Jubiläums der Entdeckung der kosmischen Strahlung, eine lange Arbeit erschienen, in der die Entwicklung der entsprechenden Forschung von damals bis heute dargestellt wurde, allerdings ebenfalls unter Auslassung des Beitrags von Blau und Wambacher.
Immerhin: Im Jahr 2004 hat die Stadt Wien eine Straße nach ihr benannt; in ihrer ehemaligen Schule hängt eine Gedenktafel und ein Hörsaal der Universität Wien trägt ihren Namen. Angesichts dessen, was sie in der Wissenschaft geleistet hat, ist das aber ohne jeden Zweifel viel zu wenig.
Sternengeschichten 550: Kugelblitz - Ein schwarzes Loch aus Licht
Wenn ich in dieser Folge der Sternengeschichten über "Kugelblitze" rede, dann meine ich nicht das, was man vielleicht normalerweise darunter versteht (sofern man darunter überhaupt etwas versteht). Ich meine also nicht die kugelförmigen Leuchterscheinungen, die Menschen immer wieder in der Nähe von Gewittern sehen und bei denen man noch nicht letztgültig weiß, um was es sich handelt beziehungsweise ob sie überhaupt existieren oder nur eine Sinnestäuschung sind.
Die Kugelblitze von denen ich heute erzählen möchte, sind etwas völlig anderes. Es geht um Quantenmechanik und um Relativitätstheorie und das erste Mal, dass der Begriff "Kugelblitz" in diesem Zusammenhang aufgetaucht ist, war vermutlich in einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 1954. Autor war der amerikanische Physiker John Wheeler, einer der Pioniere bei der Erforschung schwarzer Löcher. Und damit stecken wir auch schon mitten im Thema. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Die schwarzen Löcher stecken mitten in den Kugeblitzen. Aber bevor es zu verwirrend wird, fangen wir mit etwas anderem an. Und zwar mit einem "Geon". Das war auch der Titel der Arbeit von John Wheeler aus dem Jahr 1954: "Geon".
Dieses Wort ist eine Abkürzung für "gravitational-electromagnetic entity". Also frei übersetzt, ein gravitativ-elektromagnetisches Dingens. Was Wheeler mit "Geon" genau meint, ist ohne den Einsatz von sehr viel theoretischer Physik und Mathematik schwer zu beschreiben. Aber vereinfacht gesagt geht es um folgendes. Wenn man eine elektromagnetische Welle hat, dann steckt darin ja eine gewisse Menge an Energie. Und, das wissen wir dank Albert Einstein, Energie und Masse sind äquivalent, dass heißt, beides sind nur zwei unterschiedliche Ausprägungen des selben Phänomens und man kann das eine in das andere umwandeln. Insbesondere wissen wir aber auch, dass Masse die Raumzeit krümmt. Das war ja die große und geniale Erkenntnis die zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie geführt hat. Wenn Objekte bei ihrem Weg durch die Raumzeit ihrer Krümmung folgen, dann sieht das für uns so aus, als würde eine Kraft auf sie wirken und zwar genau die Kraft, die wir als Gravitation beschreiben. Oder kurz gesagt: Masse krümmt den Raum und deswegen hat jede Masse eine gewissen gravitative Anziehungskraft. Aber wenn Energie und Masse quasi das selbe sind, dann sollte Energie doch genau so die Raumzeit krümmen wie das eine Masse tut?
Richtig, sagt Wheeler. Und wenn genug Energie in so einer elektromagnetischen Welle steckt, dann krümmt sie dadurch die Raumzeit vielleicht so, dass sie dadurch zusammengehalten wird. Es ist schwer, das genau zu beschreiben, aber die Energie die im elektromagnetischen Feld steckt, kann vielleicht so stark sein, dass die elektromagnetische Energie quasi in einem Stück Raum gefangen ist, weil sie durch die von ihr selbst erzeugte Gravitationskraft fest- oder zusammengehalten wird.
Wenn das passiert, dann hat man genau so ein "gravitativ-elektromagnetisches Dingens", das Wheeler als "Geon" bezeichnet hat. In der Einleitung seiner Arbeit schreibt er auch, dass er sich das Wort ausgedacht hat, um den Begriff "Kugelblitz" zu ersetzen, der früher verwendet worden ist. Das mit dem Ersetzen hat nicht geklappt, aber heute wird "Kugelblitz" meistens für einen Spezifalfall eines Geons verwendet. Denn wir wissen ja, was passiert, wenn man ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum packt: Dann wird die Anziehungskraft in der Umgebung der Masse so groß und die Raumzeit so stark gekrümmt, dass ein schwarzes Loch mit einem Ereignishorizont entsteht. Nähert man sich dieser Masse dann über den Ereignishorizont hinaus, bleibt man für immer dahinter gefangen.
Wir können uns jetzt die gleiche Frage stellen wie vorhin: Wenn Masse und Energie das selbe sind, kann man dann nicht einfach auch sehr viel Energie in einem gewissen Raumbereich konzentrieren, um ein schwarzes Loch zu erzeugen? Genau das ist ein Kugelblitz! Wenn Strahlung - also Licht, Wärme oder was auch immer sonst - ausreichend stark konzentriert wird, dann krümmt die in dieser Strahlung enthaltene Energie die Raumzeit so stark, dass man ein schwarzes Loch bekommt. Die Strahlung ist dann in dem von ihr selbst geschaffenen Loch gefangen. Von außen betrachtet merkt man dann auch keinen Unterschied mehr; es spielt keine Rolle, ob das schwarze Loch aus einer Konzentration von Masse oder von Energie entstanden ist. Von außen ist alles hinter dem Ereignishorizont sowieso nicht zugänglich. Ein schwarzes Loch ist eine extreme Krümmung der Raumzeit und es ist egal, was der Ursprung dieser Krümmung ist.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum uns dann so etwas wie ein Kugelblitz überhaupt interessiert. Wir können schwarze Löcher ja sowieso nur von außen untersuchen. Und wenn wir nicht erkennen können, ob es aus konzentrierter Strahlung oder konzentrierter Masse entstanden ist, dann kann es uns ja auch eigentlich wurscht sein. Das ist im Prinzip richtig - aber auch nicht ganz. Wheeler war unter anderem an dem Konzept interessiert, weil man damit zum Beispiel Elementarteilchen konstruieren könnte. Schwarze Löcher müssen ja keine gigantischen Massenmonster sein, wie die, die wir in den Zentren von Galaxien finden und die Millionen oder Milliarden mal schwerer sind als die Sonne. Es kommt nicht auf den absoluten Wert der Masse an (oder der Energie) sondern auf die Konzentration. Wenn man wenig Masse auf sehr, sehr, sehr kleinem Raum konzentriert, kriegt man genau so ein schwarzes Loch. Ich habe in Folge 471 ja schon von den winzigen primordialen schwarzen Löchern erzählt; schwarze Löcher, die kleiner als Atome sind. Sofern es sie gibt, denn das wissen wir noch nicht. Aber wenn es solche oder andere winzige schwarze Löcher gibt, dann schauen die für uns auf den ersten Blick wie Teilchen aus: Winzige Konzentrationen von Masse und Wheeler hat spekuliert, ob man nicht vielleicht die bekannten Elementarteilchen auf diese Weise erklären kann. Oder sogar Rückschlüsse auf noch unbekannte Teilchen ziehen kann.
Ganz so einfach ist die Sache dann aber auch wieder nicht. Seit der Arbeit von Stephen Hawking wissen wir ja, dass schwarze Löcher nicht stabil sind. Sie erzeugen Hawking-Strahlung und wie das geht, habe ich in Folge 238 ausführlich erklärt. Auf jeden Fall verlieren sie dadurch im Laufe der Zeit Energie und Masse und haben sich irgendwann komplett aufgelöst. Die schwarzen Löcher, die wir kennen, also die, die aus sterbenden Sternen entstehen oder die, die sich in den Zentren von Galaxien befinden, brauchen dafür unvorstellbar lange. Aber kleine schwarze Löcher lösen sich sehr, sehr viel schneller auf.
Ein kleines schwarzes Loch; ein kleiner Kugelblitz ist also ein Objekt, das sehr viel Energie abgibt, über einen mehr oder weniger langen Zeitraum, je nach seiner Masse. Womit wir bei einem weiteren Punkt sind, in dem die Kugelblitze die Fantasie der Forschung angeregt haben. Und nicht nur die der Forschung. Vielleicht erinnert sich jemand an die Folge von "Star Trek: Das nächste Jahrhundert" mit dem Titel "Gefangen in einem temporären Fragment"; die im Original nicht ganz so holprig "Timescape" heißt. Dabei treffen Captain Picard und seine Crew auf die Enterprise, die im Kampf mit einem romulanischen Schiff in der Zeit eingefroren zu sein scheint. Bei der Untersuchung des Vorfalls entdecken sie auch die Energiequelle des Romulaner-Raumschiffs: eine "künstliche Quantensingularität". Das klingt ein wenig technischer und realistischer als "winziges, selbst erzeugtes schwarzes Loch" oder "Mini-Kugelblitz", aber im Prinzip handelt es sich genau darum. Und auch die echte Forschung hat sich - zumindest theoretisch - überlegt, ob man einen Kugelblitz nicht als Antrieb für Raumschiffe verwenden kann.
Dazu muss man so einen Kugelblitz natürlich erst mal herstellen. Oder nachweisen, dass es die Dinger überhaupt geben kann. Das wissen wir nämlich nicht. Man kann natürlich ausrechnen, wie viel Energie man braucht. Wenig überraschend: Sehr viel. Wenn man die dann entsprechend konzentriert, erzeugt man einen winzigen Bereich im Raum, in dem die Temperatur so absurd hoch ist, dass wir gar nicht wissen, ob es so eine hohe Tempertur überhaupt geben kann. Sie ist auf jeden Fall höher als die Temperaturen, die mit den derzeitigen wissenschaftlichen Theorien sinnvoll beschrieben werden können. Wir bräuchten eine Quantentheorie der Gravitation um korrekt zu beschreiben, was bei so absurd hohen Temperaturen wirklich passiert. Aber so eine Theorie haben wir nicht; wir können Gravitation nicht auf Elementarteilchenebene beschreiben und umgekehrt.
Aber tun wir mal so, als könnte es solche Mini-Kugeblitze wirklich geben. Wie mini müssten sie sein, damit man sie für ein Raumschiff nutzen kann? Nicht zu klein, denn dann hätten sie sich durch die Hawking-Strahlung zu schnell aufgelöst. Und nicht zu groß, denn dann kann man im Raumschiff nichts damit anfangen und zu wenig Strahlung geben sie auch ab. Ein passender Kugelblitz wäre auf jeden Fall sehr viel kleiner als ein Proton, als einer der Atomkernbausteine. Hätte aber immer noch eine Masse von mehr als einer halben Million Tonnen und würde etwa 5 Jahre lang brauchen, bis es sich aufgelöst hat. So ein Kugelblitz würde eine Energie von 129 Petawatt abstrahlen, mehr als das 7000fache des jährlichen Energieverbrauchs der ganzen Menschheit. So ein Ding kann man jetzt natürlich nicht einfach irgendwo in ein Batteriefach stecken. Man muss die Strahlung die aus dem Kugelblitz kommt, irgendwie auffangen und nutzen. Die Strahlung ist hochenergetische Gammastrahlung und würde eine massive Platte aus Titan schmelzen, selbst wenn die noch gut 30 Kilometer entfernt ist. Um ein Raumschiff mit einem Kugelblitz betreiben zu können, müsste man also eine ausreichend dicke und große Absorperplatte in ausreichend großem Abstand platzieren, so dass sie von der Strahlung nicht zerstört, sondern quasi angeschoben wird. Oder man kann die Energie irgendwie anders auffangen und nutzen. Wenn man die Energie aus so einem Mini-Kugelblitz zu 100 Prozent nutzen könnte, könnte man selbst ein sehr großes Raumschiff in den 5 Jahren die der Kugelblitz existiert auf die Hälfte oder drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, je nachdem wie groß das Schiff tatsächlich ist.
So oder so ist das aber alles mehr Science Fiction als Wissenschaft. Zumindest was die Raumschiffe angeht. Kugelblitze und Geonen sind Teil der theoretischen Physik und werden dort untersucht. Vielleicht finden wir irgendwann einmal raus, ob solche seltsamen Objekte im realen Universum tatsächlich existieren. Ob wir damit aber auch Raumschiffe antreiben werden oder nicht, bleibt wahrscheinlich noch etwas länger der eigenen Fantasie überlassen.
Sternengeschichten Folge 549: Der Asteroid Interamnia
Die heutige Folge der Sternengeschichte könnte ein wenig kürzer werden als üblich. Denn es geht um einen Himmelskörper, über den erstaunlich wenig bekannt ist, obwohl es eigentlich viel gäbe, was man darüber wissen wollen würde.
Fangen wir also am besten mal mit etwas an, was wir wissen. Dem Geburtstag von Vincenzo Cerulli zum Beispiel. Der italienische Astronom wurde am 20. April 1859 geboren. Er baute sich seine eigene Sternwarte, 150 Kilometer von Rom entfernt, in Teramo. Dort beobachtete er unter anderem dem Mars und kam zu dem Schluss, dass die Marskanäle, über die zu der Zeit alle diskutierten, nur eine optische Täuschung sind. Was auch richtig war: Wie ich in Folge 404 der Sternengeschichten schon erzählt habe, gab es nie irgendwelche Bewässerungskanäle auf unserem Nachbarplaneten, die von Marsbewohnern angelegt wurden, auch wenn diverse prominente Astronomen des 19. Jahrhunderts behauptet haben, so etwas gesehen zu haben. Bei seinen Beobachtungen ging Cerulli aber auch etwas anderes ins telekopische Netz: Ein Asteroid. Die waren an der Wende zum 20. Jahrhundert keine große Sensation mehr. Man hatte schon ein paar hundert davon gefunden seit der erste von ihnen im Jahr 1801 entdeckt wurde (übrigens auch von einem Italiener). Dieser erste bekannte Asteroid war Ceres, der gleichzeitig auch der größte Asteroid im Hauptasteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter ist. Ceres hat immerhin einen Durchmesser von 940 Kilometern. Im Jahr danach fand man den Asteroid Pallas, immerhin noch 511 Kilometer im Durchmesser; die in den folgenden Jahren entdeckten Asteroiden Juno und Vesta waren 254 und 525 Kilometer groß. Es kamen noch weitere dazu, alle um die 200 Kilometer groß; erst 1849 kam wieder ein größere Brocken: der Asteroid Hygiea mit 430 Kilometer Durchmesser.
Heute sieht der Stand der Dinge so aus: Die vier größten Asteroiden sind Ceres, Vesta, Pallas und Hygiea. Dann kommt ein großer Haufen an Asteroiden, die einen Durchmesser zwischen 100 und 300 Kilometer haben. Aber dazwischen ist ist irgendwie eine Lücke. Es gibt nur zwei bekannte Asteroiden im Hauptgürtel mit einem Durchmesser zwischen 300 und 400 Kilometer. Der eine davon heißt "Europa", so wie der Jupitermond und der Kontinent und damit wir nicht durcheinander kommen, lassen wir den heute mal außen vor. Der andere ist mit einem Durchmesser von 322 Kilometer sowieso noch ein kleines Stück größer und der fünftgrößte Asteroid im Hauptgürtel. Es ist genau der Asteroid, der am 2. Oktober 1910 von Vincenzo Cerulli entdeckt wurde und wenn ich jetzt fragen würde, könnte vermutlich kaum jemand spontan seinen Namen nennen, oder?
Beziehungsweise schon, weil ich den Namen ja schon in den Titel der Folge geschrieben habe: Es handelt sich um den Asteroid Interamnia, was der lateinische Name für die Stadt Teramo ist, wo Cerulli seine Sternwarte gebaut hat. Interamnia ist nicht nur der fünftgrößte sondern vermutlich auch der fünftmassereichste Asteroid des Hauptgürtels. Ceres ist auch hier an der Spitze, seine Masse macht ganze 39 Prozent der Masse aller Asteroiden dort aus. Dann kommt Vesta mit 11% der Masse des gesamten Asteroidengürtels. Pallas schafft noch 8,5 Prozent, Hygiea hat 3,6 Prozent und Interamnia immerhin noch 1,5 Prozent der Gesamtmasse des Asteroidengürtels.
Es handelt sich also um einen durchaus relevanten Himmelskörper. Umso überraschender ist es, dass man so wenig von ihm hört. Zu Ceres und Vesta sind schon Raumsonden geflogen; wir haben die beiden großen Asteroiden aus der Nähe gesehen; sie umkreist, kartografiert, und so weiter. Pallas wurde ausführlich erforscht und selbst über Hygiea gibt es genug Wissen, um damit locker eine Folge der Sternengeschichten füllen zu können; Folge 387 wenn nochmal jemand nachhören möchte.
Aber Interamnia? Es ist erstaunlich, wie wenig wir über diesen Asteroid wissen. Aber zumindest wissen wir ein bisschen was. Interamnia ist ein Asteroid vom F-Typ. Dabei geht es um eine Klassifikation von Asteroiden anhand ihrer spektralen Eigenschaften. Man beobachtet also das Licht, dass die Objekte von der Sonne reflektieren und spaltet es dann in seine Bestandteile auf. Je nach Material aus dem die Asteroiden bestehen, wird man dann sehen, dass bestimmte Farben fehlen. Je nachdem, ob da jetzt mehr rotes Licht reflektiert oder mehr blaues Licht, und so weiter, kann man herausfinden, woraus die Asteroiden bestehen und sie klassifizieren. Es gibt drei Obergruppen, die C-Typ-, die S-Typ- und die X-Typ-Asteroiden. C-Typ-Asteroiden sind am häufigsten, sie sind eher dunkle Objekte die aus kohlenstoffreichen Gestein bestehen. Circa drei Viertel aller Asteroiden lassen sich hier einordnen; S-Typ-Asteroiden sind mit einem Anteil von 17 Prozent am zweithäufigsten. Sie sind ein wenig heller und bestehen aus Silikaten. X-Typ-Asteroiden sind, vereinfacht gesagt, alle anderen die nicht in die beiden ersten Gruppen passen. Aber natürlich gibt es jede Menge Untergruppen. F-Typ-Asteroiden sind eine Untergruppe vom C-Typ; sie sind eher selten und Iteramnia ist der größte von ihnen.
Der Asteroid hat einen mittleren Abstand zur Sonne von 3 Astronomischen Einheiten, ist also im Mittel dreimal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Seine Bahn weicht deutlich von einer Kreisbahn ab, am sonnennächsten Punkt kommt er unserem Stern auf bis zu 2,6 Astronomischen Einheiten nahe, am sonnenfernsten Punkt sind es 3,5 Astronomische Einheiten. Die Bahn ist außerdem um 17 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid 5 Jahre und 129 Tage und er rotiert außerdem mit einer Periode von 8 Stunden und 44 Minuten um seine eigene Achse.
Wir haben Interamnia bis jetzt noch nicht aus der Nähe gesehen, die besten Aufnahmen stammen vom Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte. 2019 gab es ausführliche Beobachtungen damit, bei denen auch der Durchmesser auf 332 Kilometer festgelegt werden konnte. Die Dichte die aus den Daten bestimmt werden konnte, liegt bei 1,98 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist ein ähnlicher Wert wie bei Ceres und deutet darauf hin, dass Interamnia zu einen guten Teil aus Eis besteht. Die Bilder die man machen konnte, sind zwar nicht sonderlich detailreich, aber man erkennt zumindest keine Spuren irgendwelcher größere Krater oder Oberflächenstrukturen, was ebenfalls auf Eis hinweist. In Gestein überleben Krater wesentlich länger als auf einer Oberfläche aus Eis. Der Asteroid scheint auch eine sehr regelmäßige Form zu haben; er ist im wesentlichen ein Ellipsoid im hydrostatischen Gleichgewicht. Das soll folgendes heißen: Die Erde zum Beispiel ist ja nicht deswegen rund, weil sie exakt so entstanden ist. Sondern weil das eben die Form ist, die man kriegt, wenn man ausreichend viel Masse auf einen Haufen wirft. Wenn die Gravitationskraft dieser Masse groß genug ist, dann zieht sie sich unter ihrer eigenen Schwerkraft zu einer Form zusammen, die man in erster Näherung als Kugel beschreiben kann. Wenn diese Kugel dann auch noch um ihre eigene Achse rotiert, dann wird die Form ein wenig abgeplattet, um so stärker, je schneller sie rotiert. Nur kleine Objekte, die nicht genug Eigengravitation haben, können irreguläre Formen haben. Je nach Material kann man die Mindestgröße für das hydrostatische Gleichgewicht bei ein paar hundert Kilometer Durchmesser ansetzen; Interamnia zeigt, dass sie in diesem Fall aber unter 300 Kilometer liegen muss. Denn der Asteroid hat genau die Form, die ein Objekt mit einer Dichte von knapp 2 Gramm pro Kubikzentimeter haben sollte, wenn es sich unter seiner eigenen Schwerkraft verformt.
Interamnia ist also nicht nur ein Asteroid, der von der Größe und der Masse her genau im Übergangsbereich zwischen den großen und den kleinen Asteroiden im Hauptgürtel steht. Sondern auch ein Objekt, dass genau im Übergangsbereich zwischen den eher größeren, sphärischen Himmelskörpern steht; den Planeten und Zwergplaneten wie Ceres und den irregulären kleinen Objekten; den typischen Asteroidenfelsbrocken mit ein paar Dutzend Kilometern Größe und irgendwelchen chaotischen Formen.
Mit dieser Erkenntnis ist das Wissen über Interamnia im Wesentlichen auch schon wieder erschöpft. Wir wissen, dass es sich um einen faszinierenden Himmelskörper handeln muss, von dem wir viel über die Entstehung des Sonnensystems und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Arten der großen und kleinen Objekte im Weltall lernen können. Aber uns fehlen mehr Daten. Das ist einerseits frustrierend. Andererseits ist es aber auch gut zu wissen, dass da draußen noch so viele tolle Forschungsobjekte existieren.
Sternengeschichten Folge 548: Die Whirlpool-Galaxie
Die Sternengeschichten sind ein Podcast und ein Podcast ist etwas zum Anhören. Ich bemühe mich immer, die Phänomene der Astronomie so zu erklären, dass es reicht, dabei zuzuhören. In diesem Fall möchte ich aber eine Ausnahme machen und die Hörerinnen und Hörer auffordern, sofern möglich, kurz auf Pause zu drücken und im Internet nach einem Bild der Whirlpool-Galaxie zu suchen. Oder dass zumindest zum bestmöglichen Zeitpunkt nach Ende des Podcasts zu machen. Man kann sich diese Folge der Sternengeschichten auch anhören, ohne so ein Bild gesehen zu haben. Aber die Whirlpool-Galaxie ist ein so beeindruckender Anblick, das sollte man nicht verpassen.
Ok - ich hoffe, ihr konntet einen Blick auf M51 bzw. Messier 51 werfen, wie die Whirlpool-Galaxie auch genannt wird. Beziehungsweise NGC 5194 und NGC 5195, je nachdem welche Katalogbezeichnung man verwendet. Letztere, das "NGC", bezieht sich auf den New General Catalogue of Nebulae and Clusters of Stars und die sagt uns gleich etwas sehr wichtiges. Die Whirlpool-Galaxie besteht eigentlich aus zwei einzelnen Galaxien. Sieht man sich ein Bild davon an, erkennt man eine wunderschöne, gewaltige Spiralgalaxie, mit zwei langen, mehrfach gewundenen Spiralarmen und einem hell leuchtenden Zentralbereich. Und am Ende des einen Spiralarms sitzt noch einmal ein hell leuchtender Blob. Die große Spiralgalaxie ist NGC 5194 - und der kleine Blob ist eine Zwerggalaxie mit der Bezeichnung NGC 5195.
Entdeckt wurde die Whirlpool-Galaxie am 13. Oktober 1773 von Charles Messier. Über diesen französischen Astronom habe ich ja schon in Folge 128 ausführlich gesprochen. Beziehungsweise habe ich da über seinen Katalog erzählt. Messier wollte damals alle diffusen, nebelartigen Objekte am Himmel auflisten, die man vielleicht mit einem Kometen verwechseln kann. Um was es sich bei diesen nebligen Dinger handelt, war ihm nicht so wichtig beziehungsweise gab es damals auch noch keine Möglichkeit, dass herauszufinden. Messier wollte es ein bisschen einfacher beim Kometensuchen haben, sein Messier-Katalog ist aber immer noch sehr populär, vor allem in der Hobby-Astronomie. Objekt Nummer 51 in seinem Katalog war jedenfalls das Objekt, dass wir heute die Whirlpool-Galaxie nennen. Obwohl man natürlich lange nicht wusste, dass es sich um eine Galaxie handelt. Das erste vernünftige Bild von ihr gab es Mitte des 19. Jahrhunderts. Der irische Astronom William Parsons, der 3. Earl of Rosse war nicht nur ein begeisterter Astronom, sondern baute sich auch enorm große Teleskope. Sein größtest hatte einen Spiegel mit einem Durchmesser von 1,83 Metern und damit konnte er 1845 die Whirlpool-Galaxie beobachten und machte einige Zeichnungen, die deutlich eine spiralförmige Struktur und den kleinen Blob, der an einem Arm dran hing.
Erst in den 1920er Jahren fanden Edwin Hubble und seine Kollegen heraus, dass viele dieser nebelartigen Strukturen tatsächlich enorm weit entfernte Galaxien sind und heute wissen wir, dass die Whirlpoolgalaxie circa 25 bis 30 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Es handelt sich tatsächlich um eine Spiralgalaxie, so wie auch unsere Milchstraße eine ist. Allerdings sind bei ihr die Spiralarme ein wenig ausgeprägter als bei uns. Ihr Durchmesser beträgt circa 80.000 Lichtjahre und sie enthält ungefähr 160 Millionen Sterne. Wer sie selbst beobachten will, muss im Sternbild der Jagdhunde auf die Suche gehen. Ein Stück nördlich der Jagdhunde liegt die sehr viel einfacher zu findende Sternenkonstellation des großen Wagens. Der östlichste Stern davon, Alkaid, also das hintere Ende der Deichsel des Wagens liegt knapp an der Grenze zu den Jagdhunden und M51 findet sich ein bisschen östlich und südlich von Alkaid. Um M51 zu sehen reicht schon ein Fernglas, wenn man aber Details sehen will, sollte man ein etwas größeres Teleskop verwenden.
Mit einem richtigen großen Teleskop kann man auch sehr gut sehen, dass die Sterne in den Spiralarmen von M51 eher bläuchlich leuchten, das Licht der kleineren Galaxie aber insgesamt eher rötlich ist. Daran erkennt man, dass in der großen Galaxie viele junge Sterne existieren, die eben tendenziell heiß und blau-weiß leuchten, während in der Begleitgalaxie eher alte Sterne zu finden sind, die kühler und rötlicher leuchten. Schauen wir uns diese Begleitgalaxie noch einmal genauer an: NGC 5195 ist eine Zwerggalaxie und eher unförmig. Im Röntgenlicht dagegen leuchtet sie extrem hell; schaut man sich die Whirlpool-Galaxie mit einem Röntgenteleskop an, dann sieht man eigentlich nur zwei sehr helle Bereiche. Einer ist der Zentralbereich von M51 und darüber reden wir gleich noch. Der andere ist NGC 5195, die Begleitgalaxie. Die Spiralarme die beide verbinden, sind im Röntgenlicht kaum zu sehen. In der kleinen Galaxie kommt die Röntgenstrahlung von den vielen Sternen, die schon etwas älter sind und dadurch auch viel Röntgenstrahlung produzieren. Aber eher wenig Ultraviolettstrahlung; das machen vor allem junge und heiße Sterne. Mit einem Ultraviolett-Teleskop sind daher auch die Spiralarme von M51 deutlich zu sehen; die Begleitgalaxie dagegen so gut wie gar nicht.
Die Unterschiede zwischen den beiden Galaxien stammen vor allem von der Wechselwirkung zwischen den beiden. Wir wissen ja mittlerweile sehr gut, dass Galaxien einander ständig in die Quere kommen. Unsere Milchstraße wird in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxien verschmelzen; in der Vergangenheit sind immer wieder kleinere Zwerggalaxien von der Milchstraße verschluckt worden, und so weiter: Wechselwirkungen zwischen Galaxien sind völlig normal und bei der Whirlpool-Galaxien können wir so eine Wechselwirkung wunderbar beobachten. Dass die Spiralarme von M51 so ausgeprägt sind, liegt wahrscheinlich daran, dass NGC 5195 vor ungefähr 500 Millionen Jahren einmal quer durch die Hauptebene der großen Galaxien geflogen ist. Dabei wurde jede Menge Staub und Gas durcheinander gewirbelt und es sind jede Menge Sterne entstanden. Vor circa 100 Millionen Jahren muss die Begleitgalaxie M51 wieder in Gegenrichtung durchquert haben, so dass sie sich jetzt aus unserer Sicht ein kleines Stück hinter M51 befindet. Wenn man mit den richtigen Instrumenten genau hinschaut, dann sieht man noch mehr Spuren dieser Interaktion. Man kann Ströme aus Gas und Sternen erkennen, die aus den Galaxien hinausragen bzw. sich zwischen ihnen erstrecken. Die kleine Galaxie hat sich vermutlich bei ihrem Durchgang aus M51 mit sich gerissen. Am Ende wird das aber nichts nutzen; in ferner Zukunft wird NGC 5195 mit der großen Galaxie verschmelzen und in ihr verschwinden.
Bis dahin dauert es aber noch ein paar Milliarden Jahren und wir haben Zeit, uns den Kern von M51 anzusehen. Der ist nämlich ein aktiver Kern. Soll heißen: Im Zentrum der großen Galaxie gibt es, wie in den Zentren aller großen Galaxien, ein supermassereiches schwarzes Loch. Bei M51 ist das Loch aber von sehr viel Staub umgeben. Die Gravitationskraft des Lochs beschleunigt den Staub, heizt ihn auf und es wird jede Menge Strahlung freigesetzt. Auf den detailiertesten Bildern der Galaxie kann man den hellen Kern erkennen und sogar ein dunkles Band aus Staub, das ihn umgibt.
2020 hat die Whirlpool-Galaxie ein weiteres Mal Schlagzeilen gemacht. Es wurde die Entdeckung des ersten extragalaktischen Planeten verkündet. Also eines Planeten, der sich außerhalb unserer Milchstraße befindet. Bis dahin kannten wir nur Planeten die sich in unserer eigenen Galaxie befinden und so gut wie alle davon waren mehr oder weniger in der Nachbarschaft der Sonne, also höchstens ein paar hundert bis 1000 Lichtjahre weit weg. Es ist immer noch enorm schwer, Planeten zu finden die andere Sterne umkreisen; bei anderen Galaxien erscheint das fast unmöglich. Da können wir ja meistens noch nicht einmal einzelne Sterne sehen; wie sollen wir da Planeten finden, die diese Sterne umkreisen? In diesem Fall hat man ein Röntgenteleskop benutzt. Stellen wir uns einen sogenannten Röntgendoppelstern vor. Damit ist ein System gemeint, wo ein großer Stern ein schwarzes Loch oder einen Neutronenstern umkreist. Masse kann vom Stern zum Loch oder dem Neutronenstern fließen und wenn sie dort auftrift, wird Röntgenstrahlung freigesetzt. So weit, so klar - solche Dinger haben wir in unserer eigenen Galaxie schon entdeckt. Was man 2020 entdeckt hat, war so ein Röntgendoppelstern, bei dem das Röntgenlicht plötzlich sehr viel dunkler wurde. Und dann wieder heller. Beziehungsweise hat man behauptet, es könnte sowas sein. Man hat Röntgenlicht gesehen, dass aus einem Sternhaufen in M51 kommt, wo sich viele junge Sterne befinden. Wenn einer davon so ein Doppelstern ist und der große Stern des Paars von einem Planeten umkreist wird, und dieser Planet von uns aus gesehen genau vor der Röntgenquelle vorüber zieht, dann kann das Röntgenlicht kurzfristig verschwinden. Aber. Und jetzt kommen jede Menge Abers! Aber: so eine Röntgenquelle fluktuiert auch aus jeder Menge anderer Gründe. Aus sich selbst heraus zum Beispiel, weil die Masse halt unregelmäßig vom Stern weg fließt. Oder weil sich irgendwas anderes zwischen uns und die Quelle schiebt. Ein Stern, ein brauner Zwerg; irgendwas was auf der Sichtlinie liegt. Das könnte sogar ein Asteroid in unserem eigenen Sonnensystem sein. Ein extragalaktischer Planet ist nur eine von vielen Möglichkeiten und die Daten reichen nicht aus, um eindeutige Aussagen zu treffen. Natürlich müssen auch die Sterne von M51 von Planeten umkreist werden. Aber aus der einmaligen Beobachtung eines Abfalls des Röntgenlichts einer Quelle in dieser Galaxie kann man noch nicht schließen, dass es sich um so einen Planeten handelt.
So oder so: Wir werden die Whirlpool-Galaxie weiterhin im Blick behalten. Nicht unbedingt, um dort extragalaktische Planeten zu entdecken. Aber es gibt dort noch sehr viel mehr zu erforschen. Und sie schaut einfach so wunderbar hübsch aus!
Sternengeschichten Folge 547: Michael Stifel und der Weltuntergang
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Mathematik. Und bevor deswegen jemand gleich wieder auf den Ausschaltknopf drücken möchte, sage ich auch gleich dazu, dass wir auch über den Weltuntergang reden werden. Aber anfangen tun wir mit der Mathematik. Es ist keine große Überraschung, wenn ich sage, dass die Mathematik von enormer Bedeutung für die Astronomie ist. Genau so wie sie eine enorme Bedeutung für die gesamte Naturwissenschaft hat, und übrigens nicht nur für die Naturwissenschaft. Mathematik ist die Art und Weise, wie wir probieren, die Zusammenhänge in der Welt in Worte zu fassen. Nur dass diese Worte eben keine Worte in normaler Sprache sind. Sondern Formeln und Symbole. Aber wir brauchen genau diese abstrakte symbolische Sprache, wenn wir verstehen wollen, wie die Welt funktioniert. Ein Beispiel: Niemand kann sich wirklich anschaulich vorstellen, wie eine vierdimensionale Raumzeit aussehen soll; noch weniger kann man sich vorstellen, wie es aussehen soll, wenn etwas vierdimenionsales gekrümmt wird. Trotzdem ist genau das die zentrale Aussage der allgemeinen Relativitätstheorie: Das Universum besteht aus der vierdimensionalen Raumzeit die von den in ihr enthaltenen Massen gekrümmt wird. Wenn die Objekte bei ihrer Bewegung durch den Kosmos dieser Krümmung folgen, sieht das für uns so aus wie die Wirkung einer Kraft, die sie aufeinander ausüben und die wir "Schwerkraft" genannt haben. Wenn wir verstehen wollen, wie Gravitation funktioniert, müssen wir uns mit der vierdimensionalen Raumzeit auseinandersetzen und man kann sich zwar mit diversen Vergleichen und Veranschaulichungen behelfen, wenn man echte Wissenschaft betreiben will, kommt man damit aber nicht weiter. Dafür braucht es die exakte und abstrakte Sprache der Mathematik, in der es überhaupt kein Problem ist, die entsprechenden Beziehungen aufzuschreiben. Man kann sich eine vierdimensionale Raumzeit zwar nicht vorstellen, aber man kann problemlos damit rechnen und darauf kommt es an!
Es gäbe noch jede Menge andere Beispiele, aber ich hoffe, die Bedeutung der Mathematik ist trotzdem klar. Deswegen muss man in der Astronomie nicht nur die für das jeweilige Forschungsgebiet nötige Mathematik beherrschen. Sondern kann sich auch damit beschäftigen, neue mathematische Methoden zu finden. Wenn jemand ein neues Teleskop baut; ein neues Messinstrument, und so weiter: Dann würde niemand bezweifeln, dass man damit einen Beitrag zur Astronomie leistet. Aber mit der Mathematik ist es genau so. Sie ist auch ein Instrument und auch sie muss entwickelt werden.
Ich habe mir deswegen die Mühe mit dieser langen Vorrede gemacht, damit klar wird, dass es nicht um irgendwelche unnötigen oder trivialen Leistungen geht, wenn ich jetzt gleich von der Arbeit des deutschen Mathematikers Michael Stifel erzähle. Wenn ich zum Beispiel erzähle, dass er Rechenregeln für Potenzen gefunden hat oder eine Methoden gefunden hat, mit der man höhere Wurzeln berechnen kann. Aus heutiger Sicht reisst das niemanden vom Hocker. Wenn ich zum Beispiel die dritte Wurzel aus 58 berechnen will, dann tippe ich das einfach in den Taschenrechner und sehe, dass das ein bisschen mehr als 3,87 ist. Aber jetzt stellt euch mal vor, ihr müsst das ohne Taschenrechner machen. Ihr könnt das auch nicht einfach bei Google eintippen oder per Chat schnell euren Freundeskreis fragen. Ihr müsst das im frühen 16. Jahrhundert machen; in einer Welt, in der die meisten Menschen nicht mal gelernt haben, wie man Zahlen multipliziert oder dividiert; wo man eine Rechnung wie "4 + 5 = 9" noch nicht mal einfach so aufschreiben kann, weil erstens sehr viele Menschen nicht schreiben können und sich zweitens Symbole wie "+" oder "=" noch nicht wirklich durchgesetzt haben. Eine Welt, kurzgesagt, in der die Naturwissenschaft erst beginnt, sich zu entwickeln und in der die Mathematik in ihrer modernen Form quasi nicht existiert.
Das ist die Welt von Michael Stifel, vermutlich irgendwann um 1487 in Esslingen am Neckar geboren. Seine Eltern waren wohlhabend; Michael konnte zur Schule gehen und trat danach ins Augustinerkloster in Esslingen ein. Dort wurde er 1511 auch zum Priester geweiht, sein Leben war aber alles andere als das ruhige Leben, dass man sich vielleicht von einem Mönch in einem Kloster erwartet. Das frühe 16. Jahrhundert war nicht nur aber vor allem aus religiöser Sicht ziemlich chaotisch. 1517 veröffentlichte Martin Luther (der später noch wichtig für Stifel werden wird) seine berühmten 95 Thesen und spaltete die christliche Kirche. Stifel selbst war auch eher dem Protestantismus zugeneigt und mit der katholischen Kirche immer wieder uneins. Deswegen musste er Esslingen auch verlassen und bekam durch Luthers Vermittlung eine Stellung als evangelischer Prediger in Mansfeld. In dieser Position began er auch, sich mit Mathematik zu beschäftigen. Allerdings nicht so, wie man sich das heute vorstellt, wenn jemand anfängt, Mathematik zu lernen. Es war ein eher mystisches Interesse, dass Stifel dazu trieb, sich mit den Eigenschaften von Zahlen zu beschäftigen. Er betrieb das, was man "Wortrechnung" nennt und heute definitiv in den Bereich der Esoterik gehört, damals aber durchaus eine weitverbreitete Methode war, um zum Beispiel die Bibel zu interpretieren. Dabei werden den Buchstaben Zahlen zugeordnet und die Manipulation dieser Zahlen und ihre Rückwandlung in Buchstaben soll Botschaften offenlegen, die zuvor nicht erkennbar waren. Ein Beispiel: 1521 starb der damalige Papst Leo X. Das kann man auf Latein als "LEO DECIMUS" schreiben. L, D, C, I, M und V (das V hat man im Latein als U verwendet) sind gleichzeitig aber auch römische Zahlen. Und wenn man ein wenig mit diesen Zahlen herumspielt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Name des Papstes der Zahl 666 entspricht. Die gilt laut Bibel als Symbol des Antichristen womit laut Stifel klar war, dass der Papst in Wahrheit das absolut Böse ist. Ok, wenn ein Protestant in der damaligen aufgeheizten Stimmung so etwas dem katholischen Oberhaupt vorwirft, ist das eher wenig überraschend. Aber es zeigt, wie und auf welche Art auch ein Theologe wie Stifel Interesse an der Mathematik finden kann.
Stifels Biografie blieb weiter unruhig. 1524 schickte ihn Luther nach Grieskirchen in Oberösterreich, wo er der erste evangelische Prediger Österreichs wurde, aber dann wegen Kriegsgefahr 1527 wieder zurück nach Deutschland musste, diesmal nach Wittenberg, wo er bei Luther wohnte und sich weiter mit Religion und Mathematik beschäftigt hat. In der Nähe von Wittenberg, dem heutigen Annaburg, erhielt Stifel eine Stelle als Priester und dort veröffentlichte er 1532 auch ein Buch mit dem Titel "Ein Rechen Büchlin Vom EndChrist", in dem er seine mathematischen Erkenntnisse aus der Bibel darlegt. Das erste Kapitel trägt den Titel "Wie man ein jedes Wort inn dieser Rechnung zur Zal machen möge" und beschreibt genau das, was ich vorhin anhand des Namens des Papstes erklärt habe. Die Details lasse ich jetzt auch, aber im Laufe seiner Untersuchung stellte Stifel fest, dass der Untergang der Welt kurz bevor stehen würde. Er bezog auf eine Stelle im Johannes-Evangelium, Kapitel 19, Vers 37: "Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben." Vermutlich hatte Stifel Gründe, warum er gerade diese Stelle ausgewählt hat, auf jeden Fall kann man das wieder auf Latein übersetzen, die Buchstaben raussuchen die auch römische Zahlen sind, ein bisschen damit rumspielen und kommt dann zur Zahl 1533. In diesem Jahr musste die Welt untergehen, und zwar genau um 8 Uhr morgens des 19. Oktober. Luther war nicht sehr begeistert davon, dass sein Freund den Weltuntergang vorhersagen wollte, was Stifel aber nicht abhielt.
Die Menschen der Stadt glaubten Stifel, viele Menschen verschenkten ihr Hab und Gut, die Bauern stellten die Arbeit ein, diverse Leute pilgerten extra zum 19. Oktober nach Annaburg nur um zuzusehen, wie die Welt doch nicht unterging. Dementsprechend wenig erfreut waren sie und Stifel musste in Schutzhaft genommen werden, um ihn vor dem Zorn der erbosten Menschen zu schützen. Weltuntergangspropheten gab es damals wie heute und damals noch viel mehr. In der religiös und politisch chaotischen Zeit des frühen 16. Jahrhunderts waren Untergangsfantasien fast schon normal und Stifel definitiv nicht der einzige, der vom baldigen Ende ausging. Und ich habe diese Epsiode vor allem deswegen erzählt, weil Stifels Karriere damit nicht zu Ende war. Sie fing erst so richtig an. Stifel wollte sich weiterhin mit Mathematik beschäftigen, aber ein wenig ernüchtert über seine peinliche Fehlprognose, ließ er die Wortrechnung in der Bibel bleiben und widmete sich der reinen Mathematik. Er besorgte sich die Standardwerke der damaligen Zeit und brachte sich selbst alles bei, was es zu wissen gab. Er übersetzte wichtige Bücher ins Deutsche wie zum Beispiel die des antiken Mathematikers Euklid und verfasste auch selbst Bücher über das Rechnen und das Lösen von Gleichungen. Das wichtigste davon ist "Arithemtica integra", 1544 erschienen und eine Zusammenfassung von allem, was damals über Arithmetik und Algebra bekannt war. Arithmetik ist das, was man üblicherweise mit "Rechnen" meint und war damals die Beschäftigung mit den Grundrechenarten. Algebra ist das Rechnen mit Unbekannten, also das Lösen von Gleichungen. Das Buch wurde enorm bekannt und damit nicht nur der Inhalt sondern auch die Art und Weise, in der dieser Inhalt präsentiert wurde. Im Mittelalter hatte man sich noch längst nicht auf eine einheitliche mathematische Symbolik geeinigt, das hat bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gedauert. Damals verwendete man zwar schon die heute noch üblichen arabischen Zahlen, aber jede Menge unterschiedliche Symbole. Das uns so vertraute Gleichheitszeichen etwa wurde erst 1557 das erste Mal in einem Buch verwendet. Davor schrieb man alles mögliche, zum Beispiel die Phrase "est egale", was auf Latein so viel wie "ist gleich" heißt, wenn man das aussagen wollte, was wir heute mit dem Gleichheitszeichen tun. Bei den anderen Symbolen war es genau so. Die einen schrieben so, die anderen so und mal wurden dieses Symbol verwendet und mal jenes. Aber wenn sich ein Buch wie das von Stifel so enorm durchsetzt, dann gilt das auch für die dort verwendeten Symbole. Stifel hat die heute verwendeten Zeichen für + und - zwar nicht selbst erfunden. Aber mit seiner Arbeit eben dafür gesorgt, dass sich sich durchgesetzt haben. Gleiches gilt für das Wurzelzeichen und das Wort "Exponent" hat er tatsächlich als erster verwendet.
Womit wir bei seinen wichtigsten Beiträgen zur Mathematik wären. Stifel hat sich ausführlich mit dem beschäftigt, was wir heute als Potenzrechnung bezeichnen. Wenn wir so etwas rechnen wollen wie a hoch x mal a hoch y, dann wissen wir, dass das Ergebnis a hoch x+y lautet. Warum man das so machen kann, hat Stifel in seinem Buch gezeigt. Er hat Tabellen mit den von ihm berechneten Werten für diverse Potenzen veröffentlicht, was sehr praktisch ist, denn genau das wäre die Antwort auf die Frage vom Beginn: Wie führt man eine komplexe Rechnung aus, wenn man keinen Taschenrechner hat? Gar nicht, man schlägt die Antwort in einer Tabelle nach! Genau so hat man es damals gemacht und das war in vielen Fällen noch bis ins 20. Jahrhundert so (Taschenrechner gibt es ja noch nicht sooo lange). Irgendwer muss diese Tabellen zwar berechnen, aber genau das war der Job von Leuten wie Stifel. In der Astronomie müssen heute alle wissen, wie man ein Teleskop benutzt. Es reicht aber, wenn nur wenige Menschen auch wissen, wie man die Dinger konkret baut. In der Mathematik war es genau so: Wenn ein paar Leute gute Tabellen herstellen, kann der Rest sie einfach benutzen. Ganz besonders praktisch waren die Tabellen in Stifels Buch, die wir heute als Logarithmentafeln bezeichnen würden. Der Logarithmus ist quasi die Umkehrfunktion beim Potenzieren, aber darüber hinaus auch anderweitig enorm praktisch. Ein Beispiel: Was kommt raus, wenn man 17 mal 28 rechnet? Gut, auch das ist ein Fall für den Taschenrechner, aber man kann es zur Not auch im Kopf rechnen und das Ergebnis ist 476. Aber was, wenn die Zahlen größer sind? Dann rechnet es sich im Kopf nicht mehr so gut und auch auf dem Papier ist man eine Weile beschäftigt. Besser wäre es, man könnte sich das mühsame Multiplizieren sparen. Und genau das erlaubt der Logarithmus. Statt 17 mal 28 kann ich auch rechnen "Logarithmus von 17 PLUS Logarithmus von 28". Was hilft das? Erklärt ich gleich, schauen wir zuerst mal, was der Logarithmus von 17 eigentlich sein soll. Der Taschenrechner sagt, dass das 1,23… ist. Was nichts anderes bedeutet, dass 10 hoch 1,23… gleich 17 ist. Der Logarithmus einer Zahl sagt mir, mit welchem Exponenten ich die Basis - in diesem Fall die 10 - potenzieren muss, um die Ausgangszahl zu kriegen. 10 hoch 1,23… ist 17. Der Logarithmus von 17 ist 1,23…
So wie für die Potenzen gibt es auch für den Logaritmus Rechenregeln und die wichtigste davon sagt, dass der Logarithmus von x PLUS dem Logarithmus von y gleich dem Logarithmus von x MAL y ist. Anders gesagt: wenn ich "Logarithmus von 17 PLUS Logarithmus von 28" berechnen, dann ist das Ergebnis eine Zahl, in dem Fall 2,6776… Und ich weiß, dass der Logarithmus von x mal y auch gleich dieser Zahl ist. Ich muss jetzt also nur noch 10 hoch 2,6776… rechnen und komme zum Ergebnis 476. Das klingt immer noch nach viel Rechnerei; das ist auch viel Rechnerei. Aber mit den richtigen Tabellen ist es ganz einfach. Ich muss dort nur nachschlagen, welcher Eintrag bei der 17 steht und was bei der 28. Diese beiden Zahlen addiere ich und suche dann in der Tabelle nach einer Zahl, wo der Eintrag zu meinem Ergebnis der Addition passt. Da muss man vielleicht ein wenig blättern, aber am Ende kann man auch eine sehr komplizierte Multiplikation durch eine sehr simple Addition zweier Zahlen lösen. Und es geht übrigens genau so bei der Division, die man mit Logarithmen zu einer Subtraktion vereinfachen kann. Um das zu beherrschen, muss man auch gar nichts von Logarithmen und Exponenten wissen; es reicht wenn man weiß, wie man die Tabelle benutzt. Die Person, die die Tabellen erstellt, muss allerdings sehr wohl über all das Bescheid wissen. Michael Stifel hat das Rechnen mit Logarithmen und die Logarithmentafeln nicht erfunden, aber seine Arbeit hat einen enorm wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass sich diese Rechenart entwickeln konnte.
Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein war das eine absolut übliche Methode die überall in der Naturwissenschaft verwendet wurde. Vielleicht hat jemand schon mal von "Rechenschiebern" gehört, die man benutzt hat, bevor es Taschenrechner gab. Das waren nichts anderes, als mechanische Geräte, bei denen ein paar Skalen gegeneinander verschoben werden konnten, so dass man wie in einer Tabelle die entsprechenden Logarithmenwerte nachschlagen konnte. Und vor den Rechenschiebern bzw. parallel dazu, gab es an allen Unis dicke Bücher mit den Tabellen. Wer vor circa 1970 in der Naturwissenschaft gearbeitet hat, kennt diese Logarithmentafeln vielleicht sogar noch aus eigener Anschauung… Die Berechnung dieser Tabellen war eine fundamental wichtige Aufgabe der Mathematik und Michael Stifel hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Er hat auch Methoden entwickelt, um Wurzeln zu berechnen oder quadratische Gleichungen zu lösen. Er hat dazu beigetragen, die negativen Zahlen in die moderne Mathematik einzuführen und es war absolut keine Überraschung, dass er 1559 der erste Professor für Mathematik an der damals neu gegründeten Universität Jena wurde.
Stifels Weg zur Mathematik war ungewöhnlich und mit seiner Weltuntergangsrechnung ist er auch mal ein wenig falsch abgebogen. Aber er hat die richtige Richtung wiedergefunden und gehört zu den wichtigsten Vertretern der spätmittelalterlichen Mathematik. Er hat viel von dem vorbereitet, was später in der Mathematik wichtig wurde. Und die Universität Jena hat keine falsche Wahl getroffen, als sie 2015 ein neuens Zentrum für Daten- und simulationsbasierte Wissenschaft gegründet und es das "Michael Stifel Center Jena for Data-Driven & Simulation Science" genannt hat.
Sternengeschichten Folge 546: Hyperkompakte Sternensysteme
Das Wort "Sternsystem" ist ein wenig schwierig in der Astronomie. Es ist nicht immer klar, was damit gemeint ist. Beim Wort "Sonnensystem" ist es klar; das ist all das, was gravitativ an die Sonne gebunden ist. Also die Sonne, die acht Planeten, all die Monde, Asteroiden und so weiter. Und man könnte meinen, dass - weil die Sonne ja ein Stern ist - mit "Sternsystem" einfach ganz allgemein ein System aus einem Stern und all dessen, was ihn umkreist gemeint ist. Tatsächlich kann das eine Bedeutung des Wortes sein. Aber wenn, dann wird das Wort auf diese Weise eher außerhalb der Wissenschaft verwendet; in der Wissenschaft eher nicht. Da redet man sowieso auch englisch und wenn man von einem "stellar system" oder "star system" spricht, meint man im allgemeinen einen Doppel- oder Mehrfachstern. Also ein System aus zwei oder mehr Sternen, die sich gegenseitig umkreisen. Man kann den Begriff aber auch weiter fassen, und mit "Sternsystem" das meinen, was wir ansonsten "Sternhaufen" nennen würden. Also ein paar tausend bis Millionen Sterne, die durch ihre Gravitation in einem Haufen gebunden sind. Manchmal wird es auch als Begriff für eine Galaxie aus Milliarden von Sternen verwendet.
Ich diskutiere das deswegen so ausführlich, weil ich in dieser Folge etwas über "hyperkompakte Sternensysteme" erzählen will. Und ich bin mir nicht sicher, ob es dieses Wort auf deutsch eigentlich gibt. Also schon, ich habe es ja gerade verwendet. Dabei aber nur den englischen Fachbegriff übersetzt und der lautet "hypercompact stellar system" oder kurz "HCSS". Und bevor sich jemand unter meiner Übersetzung von "stellar system" etwas falsches vorstellt, wollte ich die sprachlichen Probleme gleich zu Beginn klären. Andererseits wäre es auch überraschend, wenn jemand der oder die sich nicht beruflich damit beschäftigt, unter einem "hypercompact stellar system" überhaupt etwas vorstellen kann.
Fangen wir also am Anfang an und das sind in diesem Fall supermassereiche schwarze Löcher. Die waren ja schon oft das Thema in den Sternengeschichten. Es geht um schwarze Löcher, die die millionfache oder viele hundert milliardenfache Masse unserer Sonne haben. Wir finden solche gewaltigen Objekte in den Zentren der Galaxien; auch im Zentrum unserer eigenen Milchstraße. Wir wissen noch nicht genau, wie diese enormen Himmelskörper entstehen. Ein kleines schwarzes Loch entsteht, wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens unter seinem eigenen Gewicht kollabiert und immer dichter wird; so dicht, bis irgendwann so viel Masse auf so kleinem Raum zusammengedrängt ist, dass sich darum ein Ereignishorizont bildet. Bzw. nicht bildet, denn ein Ereignishorizont ist ja kein reales Ding, sondern einfach nur der Abstand zu einer Masse, bei dem die Anziehungskraft so groß geworden ist, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich wieder zu entfernen. Einem normalen Objekt, wie einem Stern, kann man gar nicht so nahe kommen, aber wenn die Masse enorm verdichtet wird, wird es möglich.
Ein Stern KANN unter seiner eigenen Schwerkraft ausreichend stark verdichtet werden, sofern er groß genug ist. Es gibt aber nichts, was groß genug wäre, um zu einem supermassereichen schwarzen Loch zu kollabieren. Zumindest nichts, was wir kennen oder uns im Rahmen des derzeitigen Wissens über das Universum vorstellen können. Deswegen ist es ziemlich klar, dass bei der Entstehung der supermassereichen schwarzen Löcher Verschmelzungen eine Rolle spielen müssen. Wir wissen, dass Galaxien ständig wechselwirken. Sie ziehen einander an, sie kollidieren miteinander, sie verschmelzen zu neuen, größeren Galaxien und irgendwann kollidieren dann auch die jeweiligen supermassereichen schwarzen Löcher aus ihren Zentren. Wie das ganze angefangen hat und ob die gigantischen schwarzen Löcher wirklich durch zahllose Verschmelzungen kleinerer schwarzer Löcher entstanden sind, wissen wir nicht. Aber für diese Geschichte reicht es zu wissen, dass supermassereiche Löcher miteinander kollidieren.
Wenn sie das tun, dann entstehen dabei Gravitationswellen. Darüber habe ich in Folge 184 genauer gesprochen, aber sehr vereinfacht gesagt: Wenn zwei Objekte mit Masse einander umkreisen, dann wird dabei die Raumzeit zum Wackeln gebracht. Die Objekte verlieren dabei Energie und kommen einander näher, bis sie irgendwann miteinander zusammenstoßen. Das gilt prinzipiell für alle Objekte, auch für mich, wenn ich jetzt aufstehen und um meinen Schreibtisch laufen würde. Aber die Gravitationswellen wären in dem Fall absurd winzig und ebenso mein Energieverlust. Seit 2015 können wir Gravitationswellen nachweisen, aber nur dann, wenn es sich um sehr massereiche Objekte handelt, die einander enorm schnell umkreisen, also bei schwarzen Löchern und Neutronensternen in den letzten Phasen ihrer Verschmelzung. Wenn zwei schwarze Löcher verschmelzen, dann gibt es sehr starke Gravitationswellen und am Ende bleibt ein neues schwarzes Loch mit größere Masse übrig.
Es kann jetzt aber passieren, dass dieses schwarze Loch plötzlich mit enormer Geschwindigkeit davon saust. Das klingt seltsam und das würde eigentlich auch dem dritten Newtonschen Gesetz widersprechen. Das besagt ja, dass es für jede Kraft eine gleich große, entgegengesetzte Kraft geben müssen. Oder anders gesagt: Ein schwarzes Loch kann nicht einfach so aus dem Nichts losfliegen. Was in diesem Fall aber auch nicht passiert. Die Details sind ein wenig kompliziert, aber es läuft daraus hinaus, dass Gravitationswellen nicht unbedingt gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben werden müssen. Und wenn das der Fall ist, dann kann eine Art Rückstoß entstehen, der das schwarze Loch, das sich bei der Verschmelzung gebildet hat, mit hoher Geschwindigkeit davon schleudert. Und "hoch" meint hier wirklich hoch: das Ding kann mit bis zu 5000 Kilometer pro Sekunde davon sausen, eventuell sogar noch schneller. Das ist auf jeden Fall schnell genug, um die Anziehungskraft der gesamten Masse der Galaxie zu überwinden, in der es sich befindet.
Ein supermassereiches schwarzes Loch, das bei einer Verschmelzung entsteht, kann dabei also aus seiner Galaxie geworfen werden. Diesen Weg muss es dann aber nicht alleine gehen. Denn es war ja zuvor im Zentrum und da ist ja meistens sehr viel los. Das gilt auch bei Galaxien; hier stehen die Sterne sehr viel dichter als in den äußeren Bereichen und diese Sterne sausen mit hoher Geschwindigkeit um das schwarze Loch herum. Man kann sich das ein bisschen wie bei einem Stern vorstellen, der von seinen Planeten umkreist wird. Aber wirklich nur ein bisschen, denn so ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie wird unter Umständen von ein paar hunderttausend bis zu ein paar Millionen Sternen umkreist. Und von denen wird es viele auf seinem Weg hinaus aus der Galaxie mitnehmen. Nicht alle, aber alle, die sich gerade noch schnell genug um das Loch herum bewegen, um durch den Rückstoß nicht zurück gelassen zu werden.
Wir haben jetzt also ein supermassereiche schwarzes Loch, das von tausenden Sternen umkreist wird und sich nicht innerhalb einer Galaxie sondern außerhalb davon befindet. Genau das ist ein "hyperkompaktes Sternensystem". Sternensystem, weil es - so wie ein Sternhaufen - ein System von Sternen ist, die eine Gruppe bilden. Und hyperkompakt, weil diese System sehr viel kompakter sind als solche Sternhaufen es typischerweise sind. Was wenig überraschend ist, denn hier sitzt ja auch ein schwarzes Loch mit gewaltiger Masse im Zentrum und zwingt die Sterne auf enge Umlaufbahnen. Die größten hyperkompakten Sternensysteme können circa 20 Parsec durchmessen, was circa 65 Lichtjahre sind und der Größe eines normalen Kugelsternhaufens entspricht. Die kleinsten wären nur so groß wie das Sonnensystem, nur eben mit sehr, sehr viel mehr Sternen.
Das klingt alles sehr spannend und vermutlich wartet ihr darauf, dass ich euch jetzt erzähle, wo und wann man diese hyperkompakten Sternensysteme schon überall entdeckt hat. Die Antworten lauten: Nirgendwo und noch nicht. Ausgehend von theoretischen Überlegungen zum Gravitationswellenrückstoß hat man 2009 vorgeschlagen, dass es solche Systeme geben könnte. Aber sie sind nicht so einfach nachweisbar. Das schwarze Loch im Zentrum ist ja im wesentlichen unsichtbar und von außen sieht so ein hyperkompaktes Sternensystem aus wie ein normaler Sternhaufen; vielleicht etwas schwächer leuchtend. Um nachzuweisen, dass es sich um ein HCSS handelt, müsste man die Geschwindigkeit messen, mit der sich die Sterne um das Zentrum des Haufens bewegen und das ist zwar prinzipiell möglich. Aber es ist viel Arbeit und klappt auch nur bei ausreichend nahen Sternhaufen. Und bei denen wäre es uns aufgefallen, wenn in der Mitte ein Ding sitzt, dass ein paar millionen Mal so viel Masse hat wie die Sonne. Wir müssen die HCSS in fernen Galaxienhaufen suchen und schauen, ob da irgendwo zwischen den Galaxien ein kleiner Sternhaufen sitzt, der eigentlich kein echter Sternhaufen ist.
Und WENN wir diesen Nachweis einmal schaffen, hätten wir damit auch gleich nachgewiesen, dass der Gravitationswellenrückstoß nicht nur eine theoretische Überlegung ist, sondern in der Realität auch wirklich vorkommt. Wir hätten gezeigt, dass supermassereiche schwarze Löcher nicht ausschließlich in den Zentren von Galaxien vorkommen können. Und wüssten einiges mehr, was die Entwicklung supermassereicher schwarzer Löcher und ihrer Galaxien angeht. Man kann also davon ausgehen, dass wir die Suche nach den hyperkompakten Sternensystemen nicht so schnell aufgeben.
Sternengeschichten Folge 545: Die Magnetfelder der inneren Planeten
Ich habe in den Sternengeschichten schon oft über Magnetismus und Magnetfelder gesprochen. Das ist wenig überraschend; immerhin ist der Elektromagnetismus ja eine der vier fundamentalen Grundkräfte des Universums. Es wäre eher überraschend, wenn Magnetfelder keine Rolle in der Astronomie spielen würden. Das tun sie aber; zum Beispiel wenn es darum geht zu verstehen, wie die Sonne funktioniert. Oder wenn wir verstehen wollen, was einen Planeten lebensfreundlich macht. Magnetfelder verraten uns was bei schwarzen Löchern passiert, welche Eigenschaften die Sterne haben, und so weiter. In der heutigen Folge wollen wir uns aber die Magnetfelder der Himmelskörper im Sonnensystem anschauen.
Eigentlich müssten wir dazu mit der Sonne anfangen. Sie hat ein enormes Magnetfeld das sich weit über die Ausdehnung unseres Sterns hinaus erstreckt. Auch die Erde liegt noch im Magnetfeld der Sonne - aber dieses interplanetare Magnetfeld und die diversen elektromagnetischen Effekte die die Sonne verursacht wären zu umfangreich; das braucht irgendwann mal eine eigene Folge. Schauen wir uns stattdessen zuerst die Magnetfelder der Planeten an und als erstes das der Erde. Immerhin ist das der Himmelskörper, den wir am besten kennen.
In erster Näherung kann man sich das Erdmagnetfeld so vorstellen wie das Magnetfeld, das ein ganz normaler Stabmagnet verursacht. Also so ein Ding, dass man sicherlich auch im Schulunterricht schon gesehen hat; ein magnetisches Stück Metall, mit einem Nordpol und einem Südpol. Die Linien des Magnetfeldes laufen vom Nordpol zum Südpol (oder umgekehrt, je nachdem wie man es sehen will). An diesen Magnetfeldlinien richtet sich zum Beispiel auch die Nadel eines Kompass aus, was der Grund dafür ist, dass man so ein Ding benutzen kann, um heraus zu finden, wo Norden ist.
Jetzt steckt im Inneren der Erde aber natürlich kein gigantischer Stabmagnet. Dafür aber eine gigantische Kugel aus Eisen. Unser Planet hat einen Kern aus Eisen mit einem Durchmesser von 7000 Kilometern - was übrigens deutlich größer ist als unser Mond! Im Kern der Erde ist es heiß; so heiß, dass das Eisen flüssig ist. Noch weiter innen ist es zwar noch heißer; dort ist aber auch der Druck sehr viel höher und das Eisen ist deswegen fest. Dieser Unterschied ist wichtig, denn nur weil der äußere Erdkern flüssig ist, hat die Erde das Magnetfeld, dass sie hat. Der äußere Kern ist aber nicht nur flüssig, sondern auch in Bewegung. Natürlich dreht sich sowieso alles im Kreis, weil die Erde sich um ihre Achse dreht. Das flüssige Eisen wabert aber auch vor sich, so wie Wasser in einem Kochtopf. Nah am inneren, festen Kern ist das flüssige Eisen am heißesten und hat dadurch auch eine geringere Dichte als das kühlere Eisen das darüber liegt. Das heiße Eisen steigt also auf, kühlt dabei ab, wird dichter und fängt wieder an, nach unten zu sinken. Es sind also Temperatur- und Dichteunterschiede die diese "Konvektion" verursachen. Verstärkt wird der Effekt, weil der Erdkern insgesamt im Laufe der Zeit abkühlt. Es wird also immer ein bisschen des flüssigen Eisens fest; es kristallisiert aus, wenn es auf den festen, inneren Kern trifft. Der innere Kern wird also immer größer und gleichzeitig wird bei der Kristallisation von flüssigem zu festen Eisen auch ein wenig Wärme frei. Diese Wärme treibt die vorhin beschriebene Konvektion zusätzlich an. Genau genommen ist die Sache noch ein wenig komplizierter. Der Kern der Erde besteht zwar hauptsächlich, aber nicht komplett aus Eisen. Aus dem festen inneren Kern können sich chemische Elemente wie Sauerstoff oder Schwefel lösen, die leichter sind als das Eisen und dann ebenfalls nach oben durch den flüssigen Kern steigen.
Dass der Kern der Erde nach den 4,5 Milliarden Jahren die seit der Entstehung unseres Planeten schon vergangen sind, noch nicht komplett ausgekühlt ist, liegt unter anderem an den radioaktiven Elementen, die sich auch im Erdinneren befinden und die bei ihrem Zerfall ebenfalls Wärme freisetzen, wie ich schon in Folge 143 ein wenig ausführlicher erklärt habe.
Und ich habe deswegen jetzt so ausführlich erklärt, wie und warum sich das Eisen im Kern der Erde bewegt, weil das zentral für die Entstehung planetarer Magnetfelder ist. Der äußere Kern der Erde ist eine elektrisch leitende Flüssigkeit die in ständiger Bewegung ist. Eine Bewegung, die übrigens noch sehr viel komplexer ist, als ich es vorhin erklärt habe. Das flüssige Eisen steigt nicht nur einfach nach oben und sinkt wieder nach unten. Durch die Drehung der Erde um ihre Achse wird das ganze noch quasi verzwirbelt, die Ströme aus Eisen werden verdreht und sehen eher aus wie Schraubenlinien und dann kommt noch ein Haufen chaotischer Effekte dazu.
Und wie kriegt die Erde jetzt ihr Magnetfeld? Am Anfang, als die Erde entstanden ist, muss sie schon irgendeine Art von Magnetfeld gehabt haben. Nicht so stark wie heute; auch nicht so umfassend wie jetzt. Vielleicht gab es nur kleine magnetische Regionen im Erdinnern, aus Material das noch von der Entstehungsphase her magnetisiert war, durch das Magnetfeld der Sonne oder sonst irgendwie. So oder so: Im Inneren der Erde gab es flüssiges Eisen, das sich bewegt hat. Ein elektrischer Leiter, was die Flüssigkeit ja ist, der sich durch ein Magnetfeld bewegt, erzeugt einen elektrischen Strom. Und Strom erzeugt ein Magnetfeld - Magnetismus und Elektrizität sind ja nur zwei Arten, wie man das selbe Phänomen - den Elektromagnetismus - betrachten kann. Wenn alles vernünftig zusammenpasst, dann kann sich das anfangs kleine Magnetfeld auf diese Weise selbst verstärken, immer stärker werden und am Ende ein stabiles, sich selbst aufrechterhaltendes Magnetfeld entstehen. Das nennt sich "Geodynamo" und ist das gleiche grundlegende Prinzip mit dem auch ein Fahrraddynamo Strom erzeugt.
Bei der Erde funktioniert das recht gut, wie wir wissen, und es gut, dass es gut funktioniert, denn das Magnetfeld schützt uns vor der kosmischen Strahlung aus dem Weltall. Aber wie sieht es mit den anderen Planeten im Sonnensystem aus? Fangen wir ganz innen an, beim Merkur. Der kleinste Planet besitzt ebenfalls ein Magnetfeld, auch wenn es nur sehr schwach ist; 150 mal schwächer als das der Erde. Eigentlich hat auch der Merkur einen Kern aus Eisen mit einem Mantel aus Gestein, der darüber liegt. Und auch dort sollte - vereinfacht gesagt - der selbe Prozess ablaufen, der das Magnetfeld der Erde erzeugt. Warum das Magnetfeld des Merkurs trotzdem so schwach ist, ist noch nicht restlos geklärt. Es könnte mit seiner Nähe zur Sonne zu tun haben. Die Sonne schleudert ja ständig geladene Teilchen aus ihren äußeren Schichten hinaus ins All. Dieser "Sonnenwind" transportiert auch einen Teil des Sonnenmagnetfeldes weit hinaus ins All. Merkur sitzt da quasi mittendrin und die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und dem Magnetfeld des Merkur könnte elektrische Ströme in seinem Kern erzeugen, die dort den Dynamoprozess abschwächen.
Der nächste Planet ist die Venus. Sie wird oft als Zwilling der Erde bezeichnet, weil sie ungefähr gleich groß und schwer ist. Aber sie hat kein eigenes Magnetfeld. Grund dafür ist vermutlich die extrem langsame Rotation des Planeten. Die Erde schafft eine Drehung um ihre Achse in 24 Stunden, die Venus braucht dafür 243 Tage. Das ist zu langsam, um das flüssige Innere ihres Kerns vernünftig zum Strömen zu bekommen. Die Venus hat allerdings ein - sehr schwaches - externes Magnetfeld. Auch hier ist der Sonnenwind verantwortlich: In der äußeren Schicht der Venusatmosphäre befinden sich jede Menge elektrisch geladene Teilchen. Wenn die ebenfalls elektrisch geladenen Teilchen des Sonnenwinds darauf treffen, entsteht ein Magnetfeld, dass den ganzen Planeten umgibt.
Über die Erde haben wir schon gesprochen; als nächstes kommt der Mars an die Reihe. Auch er hat kein Magnetfeld und der Hauptgrund dafür ist seine Größe. Der Mars ist sehr viel kleiner als die Erde. Er hat zwar einen Kern aus flüssigem Eisen und auch dort hat anfangs der Dynamoeffekt ein Magnetfeld erzeugt. Wir wissen, dass der Mars früher ein vergleichsweise starkes Magnetfeld gehabt hat. Der Mars ist aber zu klein, um einen festen Eisenkern zu haben; der Druck reicht dafür nicht aus. Und weil der Mars kleiner ist, hat er auch nicht so viele radioaktive Elemente, die Wärme liefern können und ist schneller ausgekühlt. Es war dann umgekehrt wie bei der Erde: Beim Mars ist der äußere Kern fest geworden und der innere blieb flüssig. Auf diese Weise können die für einen Dynamo nötigen Konvektionsströmungen aber nicht weiterlaufen und das Magnetfeld ist verschwunden. Und mit ihm dann auch die Atmosphäre, weil die jetzt nicht mehr vor dem Sonnenwind geschützt war. Die geladenen Teilchen der Sonne haben die Moleküle der Marsatmosphäre quasi vom Planeten weggeschubst und deswegen ist der Mars heute so lebensfeindlich, wie er ist. Ein bisschen Magnetfeld gibt es dort auch noch, aber das entsteht wieder extern, so wie bei der Venus, wenn der Sonnenwind mit dem kleinen Rest an Atmosphäre wechselwirkt, die der Mars noch hat.
Damit haben wir die inneren Planeten durch; die großen Gasplaneten des Sonnensystems haben allesamt starke Magnetfelder. Sie entstehen aber ein wenig anders als das der Erde und es gibt jede Menge interessante Phänomene, die wir bei den inneren Planeten nicht finden. Die Magnetfelder der äußeren Planeten schauen wir uns in einer anderen Folge an, aber wir werfen zum Abschluss noch einen kurzen Blick auf die Monde. Der Erdmond hat heute kein eigenes Magnetfeld. Sein früher flüssiger Kern ist schon längst ausgekühlt und fest geworden. Wie es früher war, können wir noch nicht abschließend sagen. Es kann sein, dass er für kurze Zeit ein eigenes Magnetfeld gehabt hat. Darauf weisen magnetische Spuren hin, die wir im Mondgestein gefunden haben. Aber es gibt auch Mondgestein, das diese Spuren nicht aufweist. Vielleicht war der Mond also auch nur zum Teil mit Magnetfeldern ausgestattet, die externe Ursachen hatten. Einschläge von Meteoriten können zum Beispiel Gestein pulverisieren und ionisieren, wodurch lokale Magnetfelder entstehen können.
Bleibt noch ein weiterer großer Himmelskörper mit Magnetfeld: Der Jupitermond Ganymed; der größte Mond des Sonnensystems, größer als Merkur und sehr viel größer als der Erdmond. Über ihn habe ich in Folge 541 ausführlich gesprochen. Sein Magnetfeld wurde 1996 durch die Raumsonde Galileo entdeckt. Wie genau es entsteht, wissen wir noch nicht. Sein Kern ist auf jeden Fall klein und man rechnet dort eher nicht mit flüssigem Eisen. Aber vielleicht ist da ja doch noch ein bisschen was; auf jeden Fall aber gibt es unter seiner gefrorenen Oberfläche einen Ozean aus flüssigem Wasser. Salzwasser, das ebenfalls eine elektrisch leitfähige Flüssigkeit ist. Und dann bewegt sich Ganymed ja mitten durch das extrem starke Magnetfeld des Jupiter, was definitiv einen Einfluss hat. Aber über die magnetischen Phänomene der Gasplaneten wollte ich ja in einer anderen Folge sprechen.
Lassen wir den Jupitermond also beiseite und halten wir fest: Die Erde ist ein ganz besonderer Ort, auf jeden Fall in unserem Sonnensystem. Sie ist der einzige Planet mit fester Oberfläche und einem starken Magnetfeld. Und sie ist der einzige Planet, auf dem Leben existieren kann. Das die beiden Phänomene zusammenhängen, sollte nach dieser Folge keine Überraschung mehr sein.
Sternengeschichten Folge 544: Dunkle Supernova
Wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens explodiert, dann nennt man das "Supernova". Solche Ereignisse gehören zu den gewaltigsten Explosionen die das Universum zu bieten hat. So gewaltig, dass so ein sterbender Stern für kurze Zeit die Leuchtkraft einer ganzen Galaxie voll mit hunderten Milliarden Sternen übertreffen kann. So hell, dass wir eine Supernova noch in Millionen Lichtjahren Entfernung sehen können. Schon der Name sagt, dass es sich um etwas extrem Helles handeln muss: "Nova" heißt "neu" und als man das erste Mal eine Supernova gesehen hat, dachte man, es handelt sich um einen neuen Stern. Verständlicherweise, denn wenn eine Supernova ausreichend nahe stattfindet, dann sieht es wirklich so aus, als würde plötzlich ein neuer Stern am Himmel aufleuchten. Heute wissen wir, dass es sich nicht um die Geburt eines Sterns handelt, sondern um seinen Tod. Und vielleicht gibt es auch dunkle Supernova-Explosionen.
Das klingt seltsam. Ich habe ja gerade erklärt, dass so eine Supernova extrem hell ist. Und jetzt rede ich auf einmal vom Gegenteil, einer "dunklen Supernova". Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir uns zuerst mal ein wenig im Detail ansehen, was bei einer Supernova überhaupt passiert. Warum explodiert ein Stern einfach, wenn er am Ende seines Lebens angelangt ist? Was heißt das eigentlich: "am Ende seines Lebens"? Natürlich sind Sterne nicht lebendig, das ist klar. Aber die Metapher von Geburt, Leben und Tod passt recht gut zu dem, was im Laufe der Zeit mit einem Stern passiert. Ich werde jetzt nicht alle Prozesse durchgehen, von der Sternentstehung, über die Sternentwicklung und so weiter - das habe ich in anderen Folgen schon ausführlich getan. Für jetzt reicht es zu wissen, dass im Inneren eines Sterns so extreme Temperaturen und Dichten herrschen, dass dort Wasserstoffatome zu Heliumatomen fusioniert werden. Bei diesen Kernreaktionen wird Energie frei und die bringt den Stern zum Leuchten. Nicht nur das, die aus dem Kern des Sterns nach außen strahlenden Lichtteilchen üben auch einen Druck auf die Materie des Sterns aus, der der Gravitationskraft entgegenwirkt, unter der der Stern eigentlich in sich zusammen fallen will. Auch das hab ich schon oft erzählt. Irgendwann hat der Stern aber keine Atome mehr im Kern, die er fusionieren kann. Dann fällt er unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Bei diesem Kollaps finden weitere Kernreaktionen statt, bei denen Neutrinos entstehen.
Neutrinos entstehen auch so, als Nebenprodukt der normalen Kernfusion. Und weil diese Elementarteilchen so gut wie gar nicht mit andere Materie wechselwirken, können sie normalerweise auch einfach so aus dem Inneren eines Sterns ins All hinaus sausen. Unsere Sonne produziert in jeder Sekunde unzählige Neutrinos, die mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch das Sonnensystem fliegen und dabei zum Beispiel auch mitten durch die Erde hindurch - oder uns Menschen hindurch sausen. Wir sind für die Neutrinos quasi gar nicht da, wir sind weniger als Luft für sie. Wie gesagt, so ist es normalerweise. Wenn jetzt aber ein Stern kollabiert, weil die Fusion in seinem Innerem zum Erliegen gekommen ist, dann ändert sich die Lage. Zuerst einmal werden bei den Kernreaktionen die während des Kollaps stattfinden, sehr viel mehr Neutrinos erzeugt. Und dann wird das Innere des Sterns durch den Kollaps auch sehr viel dichter. Das bedeutet, dass die Neutrinos nicht mehr ganz so einfach nach draußen kommen. Sie wechselwirken zwar so gut wie gar nicht mit anderer Materie, aber ein klein wenig eben schon. Und wenn sie sich irgendwo aufhalten, wo die Materie wirklich extrem dicht ist, spüren das auch die Neutrinos. Irgendwann wird die Dichte so groß, dass die Neutrinos mehr oder weniger gefangen sind. Und irgendwann wird auch der Kollaps langsamer, weil die Dichte zu groß wird. Die nach innen fallenden Schichten des Sterns prallen auf den dichten Kern, der schon so dicht ist, wie es nur geht und es entsteht eine Druckwelle, die am Kern wieder nach außen reflektiert wird. Das ist jetzt der Moment, den man als Start der Supernova-Explosion bezeichnen kann. Die nach außen rasende Druckwelle komprimiert und erhitzt die Gasschichten des Sterns und die Neutrinos, die jetzt ebenfalls nach außen gelangen können, sorgen bei der Wechselwirkung mit dem dichten Material für eine zusätzliche Erhitzung und Beschleunigung der Expansion des Sterns. Oder anders gesagt: Der Stern explodiert. Das, was danach übrig bleibt ist nur der extrem dichte Rest des Sternenkerns, je nach Masse ein Neutronenstern oder schwarzes Loch.
Das war jetzt natürlich eine sehr stark vereinfachte Beschreibung der Vorgänge. Das alles läuft auch extrem schnell ab, der Kollaps des Kerns dauert nur Sekundenbruchteile. Aber das ist, mehr oder weniger, dass, was die Astronomie unter einer "Kernkollapsupernova" versteht. Nicht jeder Stern endet so; er muss dafür ausreichend viel Masse haben. Nur wenn beim Kollaps von außen ausreichend viel Masse nach innen fällt und den Kern ausreichend stark verdichtet, reicht es für eine Supernovaexplosion. Mindestens die achtfache Masse der Sonne sollte ein Stern haben, wenn eine Supernova daraus werden soll.
Unsere Sonne wird am Ende ihres Lebens zu einem roten Riesen. Die massereicheren Sterne werden Rote Überriesen. In beiden Fällen bedeutet das vorerst, dass ein Stern in den letzten Phasen seines Lebens immer heißer wird. Das liegt daran, dass am Schluss nicht mehr Wasserstoff zu Helium fusioniert wird, sondern Helium und andere Atome den Brennstoff für die Fusion stellen und dabei mehr Energie freigesetzt wird, die dafür sorgt, dass sich der Stern aufbläht. Bei der Sonne werden die äußeren Schichten hinaus ins All gepustet, bis nur noch der innere Kern übrig bleibt, ein weißer Zwergstern, der dann nur noch abkühlt. Bei massereicheren Sternen ist die Ausdehnung sehr viel größer. Würde man einen roten Überriesen dorthin setzen, wo sich die Sonne befindet, dann würde alles bis circa inklusive der Umlaufbahn des Jupiters darin verschwinden. Diese roten Überriesen sind es dann, deren Kern kollabiert und die zu einer Supernova werden.
Es gibt da allerdings ein Problem. Das sogenannte "Rote Überriesen Problem". Wenn man schaut, welche Sterne zu Supernovae werden, dann sind das vor allem die, die eine Masse vom 8 bis zum 17fachen der Sonnenmasse haben. Aber was ist mit den noch größeren Sternen? Die sollten ja noch größere rote Überriesen werden und damit noch besser zu sehen sein. Aber bei den Supernova-Explosionen die wir bisher beobachtet haben, findet man so gut wie keine Vorläufersterne, die mehr als das 17fache der Sonnenmasse haben. Was passiert hier? Die Vermutung: Solche Sterne beenden ihr Leben nicht bei einer Supernova, sondern einer "fehlgeschlagenen Supernova", wahlweise auch "Un-Nova" oder "dunkle Supernova" genannt.
Vereinfacht gesagt: Ein Stern implodiert einfach; er fällt in sich zusammen und kollabiert direkt zu einem schwarzen Loch, ohne große Explosion, die wochenlang extrem hell leuchtet und von uns beobachtet werden kann. Das kann man natürlich jetzt mal so vermuten - aber warum sollten manche Sterne explodieren und andere implodieren? Für eine mögliche Erklärung müssen wir wieder auf die Kernreaktionen im Inneren des Sterns schauen. Im Normalzustand wird Wasserstoff zu Helium fusioniert, das habe ich schon erwähnt. Wenn der Wasserstoff im Kern alle ist, dann kann ein Stern auch Heliumatome miteinander verschmelzen und dabei entstehen Kohlenstoff- und Sauerstoffatome. Bei kleinen Sternen wie unserer Sonne ist dann Schluss, größere Sterne können noch mehr Druck auf ihren Kern aufbauen; noch höhere Temperaturen erzeugen und dann auch noch die Kohlenstoff- und Sauerstoffatome fusionieren lassen. Dabei entstehen dann Atome wie Magnesium, Neon oder Natrium.
Wir konzentrieren uns auf den Kohlenstoff: Der fusioniert bei so hohen Temperaturen, dass die bei der Fusion erzeugten Photonen auch eine enorm hohe Energie haben. So hoch, dass sie diese Energie spontan in Paare von Elektronen und Positronen umwandeln können. Ein Positron ist das Antiteilchen des Elektrons und Materie und Antimaterie löschen sich natürlich sofort wieder gegenseitig aus. Dabei entstehen wieder hochenergetische Photonen, aber auch Neutrinos und Antineutrinos, die - wie vorhin beschrieben - aus dem Stern hinaus sausen, und dabei auch Energie nach außen transportieren. Diese Energie fehlt dem Stern und er hält typischerweise nur noch ein paar tausend Jahre durch, bevor der Kernkollaps einsetzt.
Jetzt wird es interessant: Wie lange die Phase der Kohlenstofffusion dauert, hängt von der Masse des Sterns ab. Bei Sternen mit geringerer Masse findet die Fusion konvektiv statt. Das heißt, dass der Kohlenstoff im Kern sich ständig durchmischt. So wie kochendes Wasser im Topf brodelt: Heißes Wasser steigt von unten auf, dafür sinkt kühleres von oben nach unten. Durch die Konvektion kommt frischer Kohlenstoff von außen nach innen und der Stern kann mehr Kohlenstoff fusionieren. Aber dadurch entstehen auch mehr Neutrinos, die Energie nach außen transportieren. Wegen dieses Energieverlusts fällt der Kern des Sterns immer weiter in sich zusammen und wird sehr kompakt. Danach setzen die Prozesse ein, die ich vorhin beschrieben habe: Es gibt eine Schockwelle, der Stern expandiert explosiv und es gibt eine Supernova.
Wenn jetzt aber ein Stern eine größere Masse hat, dann findet die Kohlenstofffusion nicht konvektiv statt. Es kommt weniger frischer Kohlenstoff von außen in den Kern; die Fusion endet früher und es gibt weniger Verluste durch die Neutrinos. Der Kern ist nicht so kompakt; ist größer als im anderen Fall und außen um diesen Kern sind noch dichte Schichten aus Kohlenstoff und anderen Atomen. Wenn der Kern jetzt kollabiert, dann wird die Schockwelle - sehr vereinfacht - von diesen Schichten um den Kern herum aufgefangen. Das ganze Gas fällt nach innen, auf den sowieso schon dichten Kern. Es gibt keine Supernovaexplosion und der übergroße Kern hat eine so hohe Dichte erreicht, dass er sofort zu einem schwarzen Loch kollabiert. Man kann ausrechnen, wo die Grenze der Ausgangsmasse liegt, bei der so etwas passiert: Circa 19 Sonnenmassen, was einigermaßen gut zu dem passt, was man beim "Roten Überriesen Problem" beobachtet hat.
Fassen wir alles noch einmal zusammen: Sterne mit ausreichend großer Masse - mindestens dem achtfachen der Sonnenmasse - beenden ihr Leben mit einer Supernova-Explosion. Wenn ein Stern aber zu viel Masse hat - circa das 17 bis 19fache der Sonnenmasse - dann sorgen die Kernreaktionen in der Endphase seines Lebens dafür, dass er nicht explodiert, sondern implodiert und direkt zu einem schwarzen Loch wird. Dabei wird keine oder höchstens sehr wenig Strahlung frei und wir sehen keine extrem helle Supernova-Explosion sondern - ja: Nichts. Eine dunkle Supernova eben.
Ob das wirklich so ist, wissen wir noch nicht. Supernova-Explosionen sind leicht zu beobachten. Aber dunkle Supernovae eben leider nicht. Es gab schon Fälle, wo man einen roten Überriesen verschwinden sehen hat. Auf der einen Aufnahme war er noch zu sehen; auf einer anderen, die später gemacht wurde, war er weg. Spuren von einer Supernova waren nicht zu finden - aber ein Beweis ist das leider noch nicht. Vielleicht haben wir die Supernova einfach übersehen; es wird ja nicht jeder Bereich des Himmels ständig fotografiert. Wir brauchen mehr Daten; müssen mehr rote Riesensterne finden, die einfach so vom Himmel verschwinden bevor wir uns sicher sein können, dass dunkle Supernovae wirklich existieren.
Aber es ist auf jeden Fall eine faszinierende Vorstellung: Die größten und hellsten Sterne des Universums, in deren Inneren am Ende ihres Lebens unvorstellbare Energien frei werden, verschwinden einfach so. So, als würde einfach jemand das Licht ausmachen…
Sternengeschichten Folge 543: Die Ringe des Uranus
Wenn man an die Ringe eines Planeten denkt, kann man kaum anders, als sich Saturn mit seinem gewaltige Ringsystem vorzustellen. Schon in vergleichsweise kleinen Teleskopen man die Ringe erkennen und spätestens seit die Raumsonde Cassini im Jahr 2004 im Saturnsystem angekommen ist und es in den folgenden Jahren intensiv erforscht hat, haben wir spektakuläre Nahaufnahmen der unzähligen Ringe. Saturn ist der "Herr der Ringe", wir können dort eine faszinierend komplexe Dynamik zwischen Ringen, Monden und Planet beobachten. Aber so spannend Saturn ist - auch andere Planeten haben Ringe. Ich habe in Folge 36 einen kurzen Überblick über die planetaren Ringe gegeben und erwähnt, dass alle vier Gasplaneten solche Ringsysteme besitzen. Keines davon ist so enorm wie das von Saturn. Jupiter und Neptun haben zwar Ringe, aber die sind eher unscheinbar und rudimentär. Die Ringe des Uranus dagegen sind deutlich komplizierter. Wir finden dort nicht die Komplexität wie bei Saturn, aber es passiert sehr viel mehr als bei den wenigen und dünnen Ringen von Jupiter und Neptun. Also werfen wir heute einen Blick auf das Ringsystem des Uranus.
Entdeckt hat den Planeten bekanntlich der britische Astronom Wilhelm Herschel im Jahr 1781. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Mensch einen neuen Planeten des Sonnensystems entdeckt hat. Herschel war ein großartiger Beobachter und seine selbstgebauten Teleskope waren die größten und besten ihrer Zeit. Und natürlich hat Herschel den Uranus weiterhin beobachtet. Er hat dort Monde gefunden - und vielleicht auch als erster die Ringe gesehen.
Bis vor einiger Zeit hat man die Entdeckung der Uranusringe ins Jahr 1977 gelegt - davon erzähle ich später noch mehr. Aber auch früher war schon bekannt, dass Herschel am 22. Februar 1789 folgenden Satz in sein Beobachtungsbuch geschrieben hat: "Verdacht auf einen Ring". Der verdächtige Planet war Uranus; Herschel hat auch noch eine Zeichnung hinzugefügt und angemerkt, dass der Ring ein wenig rötlich ausgesehen habe. Die Beobachtung wurde 1797 auch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, aber in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht sonderlich ernst genommen. Man war skeptisch, ob Herschel wirklich in der Lage gewesen ist, Ringe bei Uranus zu beobachten und vor allem verwundert darüber, dass niemand anderes seine Beobachtung bestätigt hat.
Deswegen galt der 10. März 1977 als offizielle Entdeckung der Uranusringe. Damals nutzten die Astronomen James Elliot, Edward Dunham und Douglas Mink das "Kuiper Airbone Observatory"; ein Teleskop, das in einem Flugzeug montiert war und mit dem man hoch hinauf und weit über einen großen Teil der störenden Erdatmosphäre fliegen konnte. Die drei waren daran interessiert eine andere Atmosphäre zu beobachten, nämlich die des Uranus. Sie wussten, dass an diesem Tag der Stern SAO 158687 von Uranus bedeckt wird. In dem kurzen Moment, bevor sich Uranus vor den Stern schiebt, leuchtet ein bisschen Sternenlicht durch die äußeren Schichten der Atmosphäre hindurch und die Analyse dieses Lichts erlaubt es, ein paar Eigenschaften wie die Zusammensetzung der Atmosphäre zu bestimmen. Bei der Beobachtung machten die drei Astronomen allerdings eine überraschende Entdeckung: Kurz bevor es zur Bedeckung kam, verschwand der Stern für einen winzigen Augenblick. Danach nochmal. Und nochmal. Insgesamt fünfmal ist der Stern verschwunden und wieder aufgetaucht bevor er vom Planeten endgültig bedeckt wurde. Und nach Ende der Bedeckung fand das gleiche Spiel nochmal statt: Fünfmal ein kurzes Blinken, bevor alles wieder normal war.
Die Schlussfolgerung war klar: Uranus ist von mindestens fünf Ringen umgeben, und jeder davon hat einmal kurz den Stern verdeckt, bevor sich der ganze Uranus vor ihn geschoben hat. Die Ringe wurde den mit griechischen Buchstaben α, β, γ, δ und ε bezeichnet und so heißen sie heute auch noch.
Wieder zurück zu Herschel: 2007 nahm man sich seine Aufzeichnungen nochmal genau vor. Man konnte zeigen, dass ein Ring des Uranus damals tatsächlich genau so zu sehen war, wie Herschel ihn gezeichnet hatte. Und man wusste mittlerweile auch, dass dieser Ring leicht rötlich leuchtet. Es ist also nicht unmöglich, dass Herschel im Jahr 1789 wirklich als erste einen Uranus-Ring gesehen hat. Aber warum gerade er und danach niemand mehr bis 1977? Das weiß man nicht, aber manche vermuten, dass die gerade einsetzende industrielle Revolution die Luft immer mehr verschmutzt hat, so dass der sowieso schon kaum sichtbare Ring gar nicht mehr zu sehen war.
So oder so: Mittlerweile wissen wir, dass der Uranus Ringe hat und das ohne jeden Zweifel. Wir wissen auch, dass es mehr als die fünf Ringe sind, die 1977 entdeckt worden sind. Wenn man sie nach ihrem Abstand vom Planeten aus ordnet, angefangen beim planetennächsten Ring, dann heißen sie: 1986U2R/ζ, 6, 5, 4, α, β, η, γ, δ, λ, ε, ν und μ. Das klingt ein wenig durcheinander, aber das hat mit den weiteren Entdeckungen zu tun. Elliot, Dunham und Mink, die die ersten fünf Ringe fanden, haben danach noch vier weitere entdeckt. Einer lag zwischen den Ringen Beta und Gamma und wurde Eta genannt und drei lagen noch innerhalb des Alpha-Rings und wurden mit den Zahlen 4, 5 und 6 bezeichnet. Was daran lag, dass man wieder Sternbedeckungen beobachtete und die potenziellen Bedeckungen des Sterns durch Ringe mit Zahlen nummeriert hat. Aber nur die Ereignisse mit den Nummern 4, 5 und 6 stellten sich tatsächlich als durch Ringe verursacht heraus. Im Jahr 1986 kam dann die Raumsonde Voyager 2 als erste Raumsonde am Uranus vorbei und machte nicht nur die ersten Bilder der Ringe, sondern entdeckte auch zwei neue, die mit Lambda und mit 1986U2R/ζ bezeichnet wurden. Diesen komischen Namen hat der Ring, weil der von Voyager entdeckte Ring 1986U2R genannt wurde. Später wurde bei Beobachtungen von der Erde aus ein weiterer Ring gefunden, den man Zeta-Ring nannte und vorerst für einen eigenständigen Ring gehalten hat. Erst später hat man dann gemerkt, dass es eigentlich zweimal derselbe Ringe war. Und dann war da noch das Hubble-Weltraumteleskop, dass 2003 und 2005 noch zwei Ringe gefunden hat, außerhalb all der anderen Ringe und die haben die Bezeichnungen Nu und Mu bekommen.
Na ja - man kann darüber streiten, ob man die Namen der Ringe nicht ein bisschen vernünftiger sortieren hätte können. Aber so heißen nun eben jetzt und wir schauen ein wenig, was da eigentlich passiert in diesen 13 Ringen. Man kann sie grob in drei Gruppen teilen: Die neun Ringe 6, 5, 4, α, β, η, γ, δ, ε werden als die "Hauptringe" bezeichnet. Sie sind sehr schmal und nur ein paar Kilometer breit. Der hellste und breiteste ist der Epsilon-Ring. Von ihm kommen alleine schon zwei Drittel des Lichts, das das gesamte Ringsystem reflektiert. Die Helligkeit des Rings schwankt allerdings, was daran liegt, dass der Ring nicht überall gleich breit ist - die Ringweite schwankt zwischen 20 und fast 100 Kilometer. Seine Dicke ist aber höchstens 150 Meter. Die Teilchen aus denen der Epsilon-Ring - und die anderen Hauptringe bestehen - sind sehr dunkel und wir wissen tatsächlich noch nicht, woraus sie genau bestehen. Nicht aus reinem Eis, wie es beim Saturn im Allgemeinen der Fall ist. Vermutlich bestehen sie aus einer Mischung von Eis und anderem Zeug, aber was das genau ist, wissen wir nicht. Vermutlich Moleküle die aus der Atmosphäre des Uranus stammen.
Der Delta-, der Gamma-, der Eta-, der Alpha- und der Beta-Ring sind nur weniger als ca 10 Kilometer breit und die innersten Hauptringe 6, 5 und 4 sind noch schmaler. Zwischen den Ringteilchen der Hauptringe gibt es auch mal mehr und mal weniger Staubteilchen, aber nicht so viele wie im Lambda und im 1986U2R/ζ-Ring. Sie bilden die zweite Ringruppe, die "Staubringe". Sie bestehen vor allem aus Staub mit einer Größe von ein paar Mikrometern. Gruppe Nummer 3 wird von Mu und Nu gebildet, die "Außenringe". Im Vergleich zu den inneren Ringen sind sie enorm breit, zwischen 17.000 und 3.800 Kilometer. Sie bestehen vermutlich fast vollständig aus Staubteilchen, was auch ihre rote Färbung erklärt.
Jetzt wäre es natürlich noch interessant zu wissen, wie diese Ringe entstanden sind. Aber auch da wissen wir noch viel zu wenig. Wir wissen, dass sie vergleichsweise jung sind. Und eigentlich sollten sie gar nicht da sein. Denn normalerweise sollten sich Ringe dieser Art im Laufe der Zeit einfach verflüchtigen. Die kleinen Teilchen verteilen sich immer weiter, die Ringe werden breiter und dünner und sind irgendwann weg. Es muss einen Mechanismus geben, der dafür sorgt dass das nicht geschieht. Beim Saturn ist das zum Beispiel der Einfluss der vielen Saturnmonde, die mit ihrer Gravitationskraft dafür sorgen, dass die Ringe da bleiben wo sie sind. Solche "Schäfermonde", die die Ringteilchen an der Ausbreitung hindern, sollte auch der Uranus haben. Und er hat ja auch Monde, aber keine, die an der richtigen Position sind. Oder besser gesagt: Fast keine. 1986 hat man die kleinen Monde Cordelia und Ophelia entdeckt, die den hellen Epsilon-Ring quasi bewachen. Die Details des Mechanismus überspringe ich jetzt, aber es geht um die Übertragung von Drehimpuls von den Monden auf die Ringteilchen, was dafür sorgt, dass der Ring stabil bleibt, die beiden Monde aber immer weiter auseinander wandern. Aus dem aktuellen Abstand der Monde kann man also abschätzen, wie alt die Ringe circa sind: 600 Millionen Jahre höchstens, was wenig ist angesichts des Alters des Sonnensystems von 4,5 Milliarden Jahren.
Bei den anderen Ringen hat man keine Schäfermonde gefunden; wir wissen auch noch nicht, wie sie genau entstanden sind. Es liegt nahe, dass die Teilchen von zerbrochenen Monden stammen, die dem Uranus zu nahe gekommen sind und Kollisionen zwischen Bruchstücken immer kleinere Teilchen erzeugt haben. Die Staubringe stammen von Zusammenstößen zwischen größeren Ringteilchen und von den Trümmern die bei Einschlägen von Meteoriten auf den Uranusmonden entstehen. Aber was die Hauptringe in Position hält und wo sie ihren Ursprung haben, wird wohl ungeklärt bleiben, bis irgendwann wieder einmal eine Raumsonde dem fernen Uranus einen Besuch abstattet. Irgendwo müssen sich dort noch ein paar Monde verstecken; vielleicht gibt es auch noch mehr Ringe die wir bis jetzt übersehen haben. Oder irgendetwas ganz anderes, das es nur bei Uranus gibt und wir deswegen noch nicht verstanden haben. Das Universum ist so groß und wir wissen immer noch viel zu wenig.
Sternengeschichten Folge 542: 40 Eridani und Mr. Spock
Wenn im Winter das Sternbild Orion nachts gut sichtbar am Himmel steht, kann man probieren ein Stück westlich seines hellen Fußsterns Rigel den nicht ganz so hellen Stern 40 Eridani zu finden. Er ist durchaus zu sehen, auch ohne optische Hilfsmittel, auf jeden Fall dort, wo die Nacht noch dunkel genug ist. Was man ohne Teleskop aber nicht erkennen kann, sind die spannenden Details. Zum Beispiel dass es sich bei diesem Stern eigentlich um drei Sterne handelt. Und auch um die Frage nach dem Heimatplaneten von Mr. Spock aus der Science-Fiction-Serie "Star Trek" zu klären, braucht man mehr als nur die eigenen Augen.
Aber fangen wir mal mit dem an, was man auf den ersten Blick erkennen kann. 40 Eridani leuchtet orange-geblich und ist Teil des Sternbilds Eridanus. Der Name stammt aus dem Katalog von John Flamsteed, der im frühen 18. Jahrhundert die Sterne katalogisiert und nach Sternbildern sortiert hat. Jeder Stern bekam dabei eine fortlaufende Nummer, die seine Position im Sternbild beschreibt. 40 Eridani ist der gebräuchlichste Name, es gibt aber auch noch andere, zum Beispiel "Omicron 2 Eridani", nach der Bayer-Bezeichung, wo die Sterne nach Helligkeit in ihrem Sternbild mit griechischen Buchstaben sortiert werden. Der traditionelle Name stammt, wie so oft in der Astronomie, aus dem arabischen und lauten "Keid", was so viel heißt wie "Eierschale" und sich auf den Nachbarstern "Beid" bezieht, was "Ei" bedeutet. Im Jahr 2016 hat die Internationale Astronomische Union diesen traditionellen Namen auch als offizielle Bezeichnung von 40 Eridani festgelegt, der nun also eben auch offiziell "Keid" heißt. Ich werde aber trotzdem vorerst bei der Bezeichnung "40 Eridani" bleiben, damit es nicht verwirrend wird.
Denn es besteht Potenzial für Verwirrung, wie wir gleich sehen werden. 1738 hat der britische Astronom William Herschel den Stern beobachtet und festgestellt, dass es sich eigentlich um einen Doppelstern handelt. Und 1851 hat der deutsche Astronom Otto Wilhelm von Struve noch genauer hingesehen und bemerkt, dass auch der von Herschel entdeckte zweite Stern in Wahrheit ein Doppelstern ist.
Gehen wir die Himmelskörper also mal der Reihe nach durch. Da ist zuerst 40 Eridani A, der Stern, der immer schon zu sehen war und der offiziell "Keid" heißt. Seine Masse ist ein bisschen geringer als die der Sonne; er leuchtet aber nur halb so hell. Der Stern ist vermutlich ein wenig älter als die Sonne, so genau weiß man das aber nicht. Man macht aber auf jeden Fall nichts falsch, wenn man sagt, dass die Sonne und 40 Eridani A in etwa gleich alt sind. Die beiden anderen Sterne sind circa 400 Astronomische Einheiten weit weg; das entspricht circa dem 10fachen Abstand zwischen Sonne und Pluto. Dieses Sternenpaar ist deutlich lichtschwächer; man braucht schon ein vernünftiges Teleskop um sie zu sehen.
40 Eridani B ist ein weißer Zwerg und 40 Eridani C ein roter Zwerg. Das bedeutet, dass B sein Sternenleben schon hinter sich hat. Als das Sternensystem entstanden ist, war er vermutlich von allen drei der Stern mit der größten Masse, weswegen er seinen Brennstoff am schnellsten durch Fusion aufgebraucht hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Er hat in der letzten Phase seines Lebens einen großen Teil seiner äußeren Schichten abgestoßen und jetzt ist nur noch der heiße, innere Kern übrig, in dem keine Fusion mehr stattfindet. Der rote Zwerg dagegen ist ein typischer Stern; die Mehrheit der Sterne im Universum sind solche roten Zwerge, die alle sehr viel weniger Masse haben als die Sonne und sehr viel schwächer leuchten. Dafür halten sie aber auch sehr viel länger durch und können Billionen von Jahren leuchten.
Das was ich gerade erzählt habe, ist der aktuelle Stand unseres Wissens. Dass es sich bei 40 Eridani B um einen weißen Zwerg handelt, hat man erst Anfang des 20 Jahrhunderts entdeckt. Genau genommen ist B damit der erste weiße Zwerg, den wir überhaupt gefunden haben. Wir haben es nur nicht gemerkt, weswegen heute üblicherweise Sirius B als erster bekannter weißer Zwerg gilt. B und C umkreisen einander mit 35 Astronomischen Einheiten Abstand, also circa die Distanz zwischen Sonne und Neptun und brauchen für einen Umlauf ungefähr 252 Jahre. Beide zusammen umkreisen 40 Eridani A, was ungefähr 7200 Jahre dauert.
Als so komplexes Dreifachsternsystem wäre 40 Eridani an sich schon interessant. Es gibt aber zwei Dinge, die alles noch ein wenig spannender machen. Zum ersten wäre da "Star Trek". Als diese Science-Fiction-Serie 1966 startete, war an Bord des Raumschiffs Enterprise auch ein Außerirdischer, nämlich Mr. Spock, der neben Captain Kirk und dem Rest der Crew durchs All flog. Spock war ein Vulkanier vom Planeten Vulkan. Wo dieser Planet sich genau befindet, wurde in der Serie und den Kinofilmen nie genau erklärt. 1991 erklärte aber Gene Roddenberry, der Erfinder von Star Trek, anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Serie, dass es sich bei Vulkan um den Stern 40 Eridani A handelt. Und später wurde in der Serie die Entfernung zwischen der Erde und Vulkan mit 16 Lichtjahren angegeben, was tatsächlich auch der Entfernung von 40 Eridani A entspricht.
Man kann sich also vorstellen, dass Science-Fiction-Fans und Medien sehr aufgeregt waren, als Astronominnen und Astronomen im Jahr 2018 verkündeten, dass man tatsächlich einen Planeten entdeckt hat, der 40 Eridani A umkreist. Und das ist das zweite spannende Ding. Natürlich ist niemand davon ausgegangen, dass da draußen wirklich ein Planet ist, auf dem Außerirdische leben, die spitze Ohren und einen Hang zur Logik haben. Aber es war schon ein netter Zufall, dass der Stern, der laut Star Trek das Heimatsystem von Mr. Spock ist, tatsächlich auch einen Planeten besitzt. Noch dazu einen Planeten, der sich in der habitablen Zone von 40 Eridani A befindet, also dem Bereich um den Stern herum, wo prinzipiell lebensfreundliche Bedingungen auf einem Planeten herrschen können. Ob der neu entdeckte Planet tatsächlich auch lebensfreundlich ist, ist eine ganz andere Frage. Man hat eine Masse von 8,5 Erdmassen bestimmt und wie Leben auf so einer "Supererde" funktioniern könnte, wissen wir nicht. Die Schwerkraft wäre dort auf jeden Fall höher als auf der Erde; circa doppelt so hoch. Lebewesen dort müssen also ein wenig stärker sein; was Mr. Spock ja bekanntlich ist. Er müsste dann aber auch deutlich dickere Beine haben, wenn er tatsächlich von der Supererde bei 40 Eridani A kommt.
Aber bevor wir zu viel spekulieren, schauen wir lieber wieder auf die echte Astronomie. Für einen Umlauf um den Stern würde der potenzielle Vulkan knapp 42 Tage brauchen. Was ein wenig seltsam ist, denn genau das ist auch die Periode, mit der sich der Stern um seine Achse dreht. Sowas kann natürlich sein, aber solche Zufälle sind immer ein wenig komisch. Vor allem, wenn man sich die Methode ansieht, mit der der Planet gefunden wurde. Das war die "Radialgeschwindigkeitsmethode": Vereinfacht gesagt analysiert man das Licht, dass vom Stern zur Erde kommt. Wenn ein Planet den Stern umkreist, dann wird der Stern dadurch ein wenig zum Wackeln gebracht. Mal wackelt der Stern also ein wenig in unsere Richtung; mal von uns weg. Diese Verschiebung kann man im Licht des Sterns erkennen und aus der Art und Weise des Wackelns kann man auf die Eigenschaften des Planeten schließen. Ein Planet ist aber nicht das einzige Phänomen, dass ein Signal im Licht des Sterns hinterlassen kann. Unsere Sonne zum Beispiel hat Sonnenflecken, also Bereiche, wo - sehr vereinfacht gesagt - das Gas aus dem sie besteht besonders wild von den elektrischen und magnetischen Feldern in ihrem Inneren durcheinander geschüttelt wird. Diese Flecken sind ein wenig dunkler und kühler als der Rest der Sonnenoberfläche und diese Flecken bewegen sich mit der Rotation der Sonne. Mal sehen wir die Flecken, mal sehen wir sie nicht und bei anderen Sternen kann es natürlich auch Flecken geben. Auch das beeinflusst das Licht, das von einem Stern zu uns gelangt und auf den ersten Blick kann das genau so aussehen, wie das Signal eines Planeten. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ja eigentlich gar nichts sehen: Wir sehen einen Lichtpunkt; wir sehen die Planeten nicht direkt, wir sehen die Sternflecken nicht direkt, wir haben nur das Licht. Das müssen wir sorgfältig analysieren und können daraus indirekt auf die Existenz von Planeten - oder Sternflecken - schließen.
Den Astronominnen und Astronomen, die damals die Entdeckung von "Vulkan" verkündet haben, haben natürlich auch gemerkt, dass die Umlaufperiode des Planeten mit der Rotationsperiode des Sterns fast übereinstimmt. Und angemerkt, dass das auch heißen kann, dass da gar kein Planet ist, sondern man einfach die Aktivität des Sterns selbst sieht. Aber sind am Ende ihrer Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass es vermutlich doch ein Planet ist. Im Jahr 2023 haben andere Forscherinnen und Forscher nochmal genauer hingesehen. Und festgestellt: Nein, das ist doch ziemlich sicher nur der Effekt von Sternaktivität und Sternrotation und kein Planet.
Tja, nichts mit Vulkan. Was aber nicht heißen muss, dass es keine Planeten gibt, die 40 Eridani A umkreisen. Theoretisch können auch Planeten um 40 Eridani B oder C kreisen; aber die wären dann eher nicht lebensfreundlich. Als B zu einem weißen Zwerg geworden ist, hat er alle eventuell vorhandenen Planeten zerstört oder lebensfeindlich gemacht. Und C ist ein sehr aktiver Stern, der ständig jede Menge schädliche Strahlung ins All schleudert. Wenn, dann bleibt A als Stern für lebensfreundliche Planeten. Und wenn es so einen Planeten gibt, dann wäre das definitiv eine science-fiction-würdige Umgebung. Der Stern würde dort sehr viel größer am Himmel erscheinen als die Sonne und in der Nacht würde man ein extrem helles Sternenpaar - weiß und orange-rötlich leuchtend - am Himmel sehen.
Aber vielleicht ist dort ja auch wirklich kein Planet und auch das wäre irgendwie passend. Denn auch der fiktive Vulkan ist ja mittlerweile aus der Welt von Star Trek verschwunden…
Sternengeschichten Folge 541: Der Jupitermond Ganymed
Das Inventar unseres Sonnensystems ist groß. Neben der Sonne selbst und den acht Planeten gibt es ja noch ein paar hundert Monde - und von den Billionen Asteroiden und Kometen fange ich gar nicht erst an. Die meisten Monde finden sich bei den beiden größten Planeten Jupiter und Saturn. Und der größte Planet beherbergt auch den größten Mond des Sonnensystems: Ganymed.
Sein Durchmesser beträgt 5262 Kilometer. Damit ist er deutlich größer als der Mond der Erde, der es nur auf einen Durchmesser von 3476 Kilometer bringt. Ganymed ist sogar noch größer als Merkur, der einen Durchmesser von 4880 Kilometer hat. Würde Ganymed nicht den Jupiter umkreisen sondern alleine seine Runden um die Sonne ziehen, würde niemand auf die Idee kommen, ihn nicht als Planet zu bezeichnen. So aber ist er ein Mond, deswegen aber nicht weniger spannend.
Entdeckt wurde Ganymed im Jahr 1610 von Galileo Galilei, zusammen mit Kallisto, Europa und Io, den restlichen großen Monden des Jupiter, die wir heute deswegen auch die "galileischen Monde" nennen. Unabhängig und fast zeitgleich wurden die Monde auch vom deutschen Astronom Simon Marius gefunden und von Marius stammen auch die Namen. "Ganymed" ist eine Figur aus der griechischen Mythologie; er war ein Hirtenjunge, der von Zeus in den Olymp entführt wurde, wo er ewig leben und den Göttern dienen sollte; und als Geliebter von Zeus. Ganymed ist übrigens auch der einzige Jupitermond, der nach einem Mann benannt worden ist, aber wir wollen uns diesmal nicht mit Mythologie und Geschichte aufhalten, sondern lieber mit der faszinierenden astronomischen Forschung zu Ganymend weitermachen.
Fangen wir mit der Bewegung an. Ganymed umkreist den Jupiter in einem Abstand von etwas mehr als einer Million Kilometer auf einer fast kreisförmigen Bahn die auch so gut wie nicht gegenüber der Äquatorebene des Jupiter geneigt ist. Geht man von Jupiter nach außen, dann ist Ganymed der dritte der vier galileischen Monde. Dem Jupiter am nächsten ist Io, dann kommt Europa, dann Ganymed und außen befindet sich noch Kallisto. Interessant ist der Vergleich der Umlaufzeiten der drei inneren Monde: Io braucht für eine Runde um Jupiter nur gut 1,77 Tage; Europa schafft einen Umlauf in knapp 3,55 Tagen und Ganymed macht eine Runde in circa 7,16 Tagen. Oder anders gesagt: Während Ganymed einen Umlauf um Jupiter macht, macht Europa genau zwei Runden und Io legt vier Runden zurück. Die drei Monde befinden sich also in einer "Resonanz der mittleren Bewegung" wie es offiziell heißt. Wie es genau dazu gekommen ist, ist noch unklar. Wir wissen, dass solche Resonanzen sehr stabil sein können; wenn sich Himmelskörper einmal so arrangiert haben, dann neigen sie dazu, auch in so einer Konfiguration zu bleiben. Vielleicht hat alles mit Io, dem innersten großen Mond angefangen, der - so wie unser Mond bei der Erde - Gezeiten auf Jupiter verursacht. Das führt, wieder so wie auch beim Mond der Erde, dazu, dass sich Io ein wenig von Jupiter entfernt hat (das liegt an der Drehimpulserhaltung, aber das will ich jetzt nicht im Detail erklären). Irgendwann hat der Abstand genau gepasst, so dass Io in einer 2:1 Resonanz mit Europa gelandet ist. Ab diesem Zeitpunkt haben sich beide Umlaufbahnen gemeinsam vergrößert, bis sie in der oben beschriebenen Resonanz mit Ganymed gelandet sind.
Aber lassen wir die Bewegung mal beiseite und schauen uns an, wie Ganymed aussieht. Auf den ersten Blick ein wenig wie unser Mond: Voll mit Kratern und größeren dunklen Regionen. Im Gegensatz zum Erdmond, der mit einer dicken Schicht aus Staub bedeckt ist und eine felsige Oberfläche hat, finden wir auf Ganymed vor allem Eis. Mit dem beschäftigen wir uns später noch; jetzt schauen wir kurz auf die Krater. In den dunklen Regionen finden wir sehr viele Krater, was darauf hinweist, dass sie sehr alt sind. In den helleren Regionen sind weniger Krater zu finden; sie müssen daher jünger sein. Was es auf Ganymed auch gibt oder zumindest in der Vergangenheit gegeben hat, ist Tektonik. Der Mond hat zwar nicht so viele Kontinentalplatten wie die Erde, aber auf jeden Fall zwei davon und an ihren Rändern kann man so etwas ähnliches wie Gebirge sehen. Und wo Tektonik ist, muss es auch Vulkanismus geben und auch davon finden wir Spuren auf Ganymed. Allerdings keine Vulkane wie auf der Erde, sondern Eisvulkane. Aber wie gesagt, zum Eis kommen wir noch.
Was beim Anblick von Ganymed sofort auffällt, ist eine sehr große dunkle Region die fast ein Drittel der jupiterabgewandten Hälfte des Mondes bedeckt. Und ja, Ganymed hat eine Hälfte, die immer in Richtung Jupiter zeigt und eine von der aus man Jupiter nie sehen kann. So wie beim Erdmond haben sich auch hier Umlaufzeit und die Drehung von Ganymed um seine Achse durch die Gezeitenkräfte so aufeinander abgestimmt, dass eine "gebundene Rotation" entstanden ist. Würde man von Jupiter aus zu Ganymed schauen, würde man immer die selbe Seite sehen und niemals auf die Rückseite blicken können. Was schade ist, denn genau da befindet sich "Galileo Regio", die riesige dunkle Region von der ich vorhin gesprochen habe. Sie hat einen Durchmesser von 3200 Kilometer und ist vermutlich der älteste Teil der Oberfläche Ganymeds.
Aber jetzt schauen wir aufs Eis. Kalt genug dafür ist es auf jeden Fall; die Durchschnittstemperatur auf Ganymeds Oberfläche beträgt circa -160 Grad Celsius. Wir wissen, dass ein Großteil der Oberfläche mit Eis bedeckt ist. Und das Innere ist ebenso voll damit. Ganymed ist in der Hinsicht ein typischer Himmelskörper des äußeren Sonnensystems. Er besteht aus einer dicken Eiskruste, die über einem Mantel aus Gestein liegt. Im Gegensatz zu den kleineren Monden ist er aber groß genug um auch noch einen Kern aus Eisen zu besitzen. Dank der extrem tiefen Temperaturen ist die äußerste Eiskruste so hart gefroren wie Gestein. Aber darunter befindet sich flüssiges Wasser. Und nicht nur ein paar Pfützen sondern ein mondumspannender, extrem tiefer Ozean in dem insgesamt mehr Wasser zu finden ist als in allen Meeren der Erde.
Aber woher will man das wissen!? Wir können ja nicht durchs Eis schauen? Das nicht, aber wir können Spuren des Wassers sehen. Ich habe vorhin von Vulkanismus gesprochen und so wie auf der Erde ab und zu ein bisschen geschmolzenes Material aus ihrem Inneren an die Oberfläche gelangt, passiert das auch auf Ganymed. Nur dass dieses geschmolzene Material eben keine Lava ist, also flüssiges Gestein, sondern geschmolzenes Eis. Die Astronomie hat aber auch noch andere Methoden, um in das Innere eines Himmelskörpers zu schauen. Man kann zum Beispiel das Hubble-Weltraumteleskop nehmen und damit die Nordlichter des Ganymed beobachten. Und ja, sowas hat dieser Mond auch. Um zu verstehen, wie das funktioniert, müssen wir uns noch ein paar andere Eigenschaften anschauen.
Zum Beispiel das Magnetfeld, denn neben der Erde und dem Merkur ist Ganymed der einzige feste Himmelskörper, der ein nennenswertes eigenes Magnetfeld besitzt. Die Gesamtsituation ist trotzdem ein wenig anders, weil Jupiter zwar kein fester Himmelskörper ist sondern ein Gasplanet, aber trotzdem natürlich auch ein Magnetfeld hat, ein enorm starkes sogar, das so ausgedehnt ist, dass sich Ganymed mitten hindurch bewegt. Die beiden Magnetfelder wechselwirken also miteinander; es bildet sich ein Strahlungsgürtel um Ganymed, also ein Bereich aus magnetischen Feldlinien, in dem geladene Teilchen eingefangen werden können. Solche geladenen Teilchen können aus Jupiters Atmosphäre stammen, von der Sonne aber vor allem auch von Ganymed selbst. Denn der Mond hat eine Atmosphäre; zumindest so etwas ähnliches. Wenn zum Beispiel die Sonnenstrahlung - und da vor allem der hochenergetische Ultraviolet-Anteil - auf das Eis der Mondoberfläche fällt, dann können elektrisch geladene Sauerstoffatome aus dem Eis geschlagen werden, die sich dann in einer sehr, sehr dünnen Atmosphäre ansammeln und von dort in den Strahlungsgürtel entkommen können.
So oder so, wir haben also geladene Teilchen die im Magnetfeld von Ganymed gefangen sind und dort können die Teilchen Strahlung abgeben, die man als Polarlichter sehen kann. Beziehungswiese die das Hubble-Weltraumteleskop 2015 beobachten konnte. Obwohl Polarlichter oder Nordlichter in diesem Fall eigentlich schlechte Begriffe sind, denn im Gegensatz zur Erde ist die Aurora - wie das korrekte Wort heißt - nicht an den Polen zu sehen, sondern in zwei Bändern, die den Mond nördlich und südlich des Äquators umgeben. Die Position der Bänder ist nicht fix, sondern verändert sich, je nachdem wie sich das Magnetfeld des Jupiters gerade ändert. Was aber passiert, wenn Ganymed einen Wasserozean hat; einen Salzwasserozean um genau zu sein? Dann würde das Magnetfeld des Jupiter in dieser elektrisch leitenden Flüssigkeit ein zusätzliches Magnetfeld erzeugen, dass dem des Jupiters entgegen wirkt und die Veränderung der Aurorabänder merklich reduzieren. Und genau das hat Hubble beobachtet: Die Aurora auf Ganymed verändert sich viel weniger stark als man es erwarten würde; sie verändert sich dagegen genau so, wie sie es tun würde, wenn da ein riesiger unterirdischer Ozean existiert. Ungefähr 100 Kilometer tief, bedeckt von einer circa 150 Kilometer dicken Eisschicht.
Es ist erstaunlich, was wir schon alles über Ganymed wissen. Immerhin ist der Mond nicht gerade in der Nähe. 1973 und 1974 flogen das erste Mal Raumsonden vorbei, nämlich Pioneer 10 und 11. 1979 haben dann Voyager 1 und 2 ebenfalls bei einem Vorbeiflug Daten gesammelt. Erst 1995 haben wir Ganymed aber so wirklich erforschen können, als die Galileo-Raumsonde NICHT an Jupiter vorbei geflogen, sondern dort geblieben ist und acht Jahre lang den Planeten und seine Monde untersucht hat. Aber das ist auch schon wieder lange her und es wird Zeit, dass wir Jupiter und seinen Monden wieder mal einen Besuch abstatten. Zum Glück hat sich im April 2023 die Raumsonde JUICE genau mit diesem Ziel auf den Weg gemacht. Und wer weiß, was wir dann auf diesem faszinierenden Himmelskörper noch alles entdecken werden…
Sternengeschichten Folge 540: Das Tychonische Weltmodell
Wir wissen heute, dass sich die Erde in einer Umlaufbahn um die Sonne bewegt, genau so wie die anderen Planeten des Sonnensystems. Früher dachten die Menschen, es wäre umgekehrt: Die Erde wäre das Zentrum des Universums und Sonne und die anderen Himmelskörper würden sich um sie herum drehen. Den Wechsel von diesem geozentrischen Weltbild zum modernen heliozentrischen Bild haben wir der Arbeit von Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler zu verdanken.
Das ist alles richtig - aber es ist nicht die komplette Geschichte. Es gab auch lange vor Nikolaus Kopernikus schon Menschen, die davon überzeugt waren, dass sich die Erde um die Sonne bewegt (zum Beispiel in der griechischen Antike). Kopernikus Modell des Sonnensystems war zwar revolutionär, hat die Beobachtungsdaten aber nicht dramatisch besser erklärt als das alte geozentrische Weltbild. Das lag daran, dass Kopernikus immer noch davon ausging, dass sich die Planeten auf Kreisbahnen bewegen und erst durch die Arbeit von Kepler und Newton bekam man ein realistisches Bild der Planetenbewegung. Aber davon habe ich ersten schon in früheren Sternengeschichten erzählt und zweitens soll es heute um etwas anderes gehen: Das Tychonische Weltmodell.
Benannt ist es nach dem dänischen Astronom Tycho Brahe, von dessen aufregenden Leben ich schon in Folge 167 ausführlich erzählt haben. Er lebte im 16. Jahrhundert und war der letzte große Astronom, der noch ohne Teleskop gearbeitet hat. Seine Beobachtungen haben es seinem Schüler Johannes Kepler ermöglicht, sein revolutionäres Werk "Astronomia Nova" zu verfassen und die Bewegung der Planeten zu erklären. Brahe hat Kometen beobachtet und gezeigt, dass sie sich weit außerhalb der Umlaufbahn des Mondes befinden, was damals eine durchaus bemerkenswerte Erkenntnis war. Damals gingen immer noch die meisten Menschen von der antiken Vorstellung aus, dass die Planeten an kristallenen Sphären montiert sind, die sich um die Erde drehen. Tycho Brahe konnte zeigen, dass Kometen sich durch diese Sphären hindurch bewegen müssen; dass diese Sphäre also nicht existieren können.
Diese Arbeit und andere Beobachtungen brachten Brahe dazu, das geozentrische Weltbild im Laufe der Zeit immer kritischer zu sehen. Andererseits wollte er sich aber auch nicht von der Vorstellung der Erde als Mittelpunkt lösen. Deswegen entwickelte er etwas, das man als eine Art Kompromiss verstehen kann: Ein geo-heliozentrisches Weltsystem, in der sich die Planeten zwar um die Sonne bewegen, die Erde aber trotzdem das Zentrum ist.
Im Detail sieht das so aus: Die Erde ist der Mittelpunkt und der Mond bewegt sich um die Erde herum. Ebenfalls um die Erde bewegt sich die Sonne, so wie im geozentrischen System. Aber wie im heliozentrischen System bewegen sich Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Sonne. Anders gesagt: Die Sonne, mitsamt den Planeten umkreist die Erde, die sich selbst nicht bewegt.
Das klingt zuerst einmal unnötig kompliziert. Die Erde in der Mitte oder auch die Sonne in der Mitte und alles andere bewegt sich rundherum: Das hat eine gewisse Eleganz. Aber quasi zwei Mittelpunkte - das klingt verwirrend. Aber die Idee von Tycho Brahe ist nicht so seltsam, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Und es war übrigens auch keine Idee, die nur Tycho Brahe hatte. Im 16. Jahrhundert gab es mehrere Menschen, die sich so ein Mischsystem vorgestellt haben. Zum Beispiel Nicolaus Reimers; der Vorgänger von Tycho Brahe als kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, der auch Kopernikus Werk ins Deutsche übersetzt hat. Reimers Modell unterschied sich ein wenig von Brahes; bei Brahe stand die Erde zum Beispiel still, bei Reimers drehte sie sich um ihre Achse. Reimers hat Brahe aber auf jeden Fall vorgeworfen, die Idee von ihm geklaut zu haben, was der selbstverständlich bestritt. Schon lange vor den beiden, im 6. Jahrhundert, hat der römische Gelehrte Martianus Capella ein Weltmodell vorgestellt in dem sich Venus und Merkur um die Sonne bewegen, die Sonne und der Rest der Planeten aber die Erde. Im frühen 16. Jahrhundert hat der indische Astronom Nilakantha Somayaji ebenfalls ein Modell entwickelt, dass dem Tychonischen Weltmodell entspricht.
Aber lassen wir jetzt mal die Streitigkeiten über Prioritäten und die diversen Variationen und Vorläufer weg und bleiben bei Tycho Brahes Weltmodell. Wenn man sich das ein wenig genauer anschaut, dann ist es nämlich gar nicht so dumm, wie man denken würde. Man muss es sich aber mit den Augen der Menschen aus dem 17. Jahrhundert anschauen. Oder besser gesagt: Mit den Teleskopen des 17. Jahrhunderts. Die waren damals ja noch neu; Anfang des 17. Jahrhunderts war Galileo Galilei der erste, der so ein Gerät an den Himmel gerichtet und damit Planeten und Sterne beobachtet hat. Dabei hat Galilei natürlich auch jede Menge Sterne gesehen. Aber nicht als die Lichtpunkte, die man bei der Beobachtung mit freiem Auge gewöhnt war. Die Sterne zeigten sich in Galileis Teleskop als kleine Scheibchen; unterschiedlich hell und unterschiedlich groß. Galileo Galilei ging davon aus, dass er hier die tatsächliche Form der Sterne sah. Und es eben große Sterne gab, kleine Sterne, in unterschiedlichen Entfernungen und deswegen auch unterschiedlich hell. Eine prinzipiell vernünftige Annahme, nur leider eine, von der wir heute wissen, dass sie falsch ist.
Die Sterne sind so weit entfernt, dass wir auch in sehr großen Teleskopen nicht mehr sehen als Punkte. Und erst recht gilt das für das Teleskop, das Galilei damals benutzt hat. Dass er trotzdem Scheibchen gesehen hat, lag an diversen optischen Effekten. Ich hab das ausführlich in Folge 309 erklärt, als ich von den Airy-Scheiben gesprochen habe.
Was man damals auch beobachten konnte: Die Himmelskörper scheinen sich definitiv um die Erde herum zu bewegen. Aber nicht so, wie sie es tun sollten, wenn die Erde im Mittelpunkt ist und alle anderen sich um sie drehen. Immer wieder hat man Planeten beobachtet, die "rückläufig" sind. Das soll folgendes bedeuten: Schaut man sich zum Beispiel an, wo sich der Mars Nacht für Nacht am Himmel befindet, dann sieht man, wie er sich immer in die selbe Richtung bewegt. Irgendwann scheint er aber stehen zu bleiben und wandert dann für einige Zeit sogar rückwärts, bis er wieder die übliche Richtung aufnimmt. Die Vertreter des geozentrischen Weltbildes haben dieses Verhalten durch Epizykel erklärt. Also angenommen, dass sich die Planeten nicht auf einer Kreisbahn um die Erde herum bewegen, sondern auf einer Kreisbahn, deren Mittelpunkt sich auf einer Kreisbahn um die Erde bewegt. In so einem Fall würde ein Planet tatsächlich immer wieder scheinbar vor- und rückwärts am Himmel wandern.
Das Tychonische Weltbild hat diese Epizykel quasi gleich fix eingebaut. Die Planeten bewegen sich um die Sonne. Und die Sonne um die Erde herum. Auch hier findet man immer wieder rückläufige Bahnen.
Wo stehen wir jetzt, aus Sicht des 17. Jahrhunderts? Wir haben beobachtet, dass die Planeten sich rückläufig bewegen können. Wir haben beobachtet, dass das Universum voller Sterne ist, in unterschiedlichen Entfernungen. Die erste Beobachtung legt nahe, dass sich Sonne mit den Planeten um die Erde herum bewegt. So wie es im tychonischen Weltbild beschrieben ist. Aber was ist mit der zweiten Beobachtung? Hier wird es ein wenig kompliziert.
Der Hauptunterschied zwischen dem heliozentrischen System und dem tychonischen Weltbild ist die Position der Erde. Im ersten Fall bewegt sich die Erde um die Sonne; im zweiten Fall ruht sie im Zentrum des Universums und dreht sich höchstens um ihre eigene Achse. Das hab ich jetzt schon oft gesagt, aber dieser Unterschied ist wichtig, denn auch den Menschen damals war klar, was daraus folgt. Wäre die Erde im Zentrum, dann würden sich die Sterne entweder auch um die Erde herum bewegen. Oder aber die Sterne wären irgendwo fix und würden sich nur scheinbar bewegen, weil die Erde sich dreht. Am Ende ist der Effekt der selbe; wenn die Erde sich aber um die Sonne bewegt, dann bedeutet das, das wir im Laufe eines Umlaufs, also eines Jahrs, aus unterschiedlichen Blickrichtungen auf die Sterne schauen. Und sich die scheinbare Position der näheren Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne ändern würde. Je nachdem von wo wir gerade schauen, sehen wir sie mal vor dem einen und mal dem anderen Hintergrund. Dieses Phänomen nennt man "Parallaxe" und auch darüber habe ich schon oft in den Sternengeschichten gesprochen.
Der relevante Punkt ist: Je weiter entfernt ein Stern ist, desto kleiner ist die scheinbare Bewegung. Wie gesagt, all das war den Menschen damals bekannt. Wenn man also keine Parallaxe bei den Sternen beobachten kann, dann bedeutet das entweder, dass die Sterne sehr, sehr weit entfernt und die scheinbare Bewegung zu klein ist, um sie beobachten zu können. Oder aber es heißt, dass es keine Parallaxe GIBT, weil die Erde sich nicht um die Sonne bewegt. Galileo Galilei war vom ersten Fall überzeugt: Die Sterne sind alle weit weg und deswegen sehen wir keine Parallaxe; es gibt also keinen Widerspruch zum heliozentrischen Weltbild.
Ein Zeitgenosse von Galilei war der deutsche Astronom Simon Marius, von dem ich in Folge 131 schon mehr erzählt habe. Er hat sich immer wieder Mal mit Galilei gestritten; unter anderem darüber, wer die Jupitermonde als erster entdeckt hat. Heute wissen wir, dass es Galilei war; Marius war aber nur kurz dahinter und die Mondes des größten Planeten unabhängig von seinem italienischen Kollegen gefunden. Auch Marius hat die Sterne beobachtet; auch Marius hat die Scheibchen gesehen - kam aber zu ganz anderen Schlüssen als Galilei. Marius war der Meinung, dass die Sterne vergleichsweise nahe sein müssen, wenn man sie als Scheibchen im Teleskop sehen kann. Außerdem sah er, dass nicht alle Himmelskörper sich direkt um die Sonne bewegen müssen; die Jupitermonde kreisen um Jupiter und mit ihm gemeinsam um die Sonne. Wenn die Sterne also nahe sind, dann müsste man eine Parallaxe sehen können, wenn sich tatsächlich die Erde um die Sonne herum bewegt. Wir sehen aber keine Parallaxe; wir sehen stattdessen, dass es auch Bewegungen gibt, bei denen nicht die Erde im Mittelpunkt ist. Die naheliegende Schlussfolgerung: Die Planeten bewegen sich um die Sonne und die Sonne um die Erde herum.
Aus Sicht des frühen 17. Jahrhunderts war das tychonische Weltbild also eine durchaus plausible Angelegenheit. Simon Marius hat mit seiner Argumentation genaugenommen Recht gehabt, wenn auch aus den falschen Gründen. Und auch Galilei hatte Recht, ebenfalls aus den falschen Gründen. Beiden fehlte das nötige Wissen zur Optik, um zu verstehen, warum Sterne in einem Teleskop als Scheibchen zu sehen sind und zu verstehen, dass das nichts mit dem Abstand oder dem realen Aussehen der Sterne zu tun haben, sondern einfach mit den optischen Eigenschaften eines Teleskops.
Erst die Arbeit von Johannes Kepler und Isaac Newton hat gezeigt, wie man das heliozentrische Modell brauchbar verwenden kann, um die Bewegung der Planeten zu verstehen. Und genaugenommen hat erst der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel jeden Zweifel beseitigt, als es ihm 1838 als erstem gelungen ist, die Parallaxe eines Sterns und damit seine Entfernung zu messen. Die Sterne waren tatsächlich weit entfernt; viel weiter als man dachte und es war daher auch keine Überraschung, dass Galilei und seine Zeitgenossen keine Chance hatten, diese Parallaxe zu beobachten.
Das Tychonische Weltbild mag auf den ersten Blick absurd erscheinen; als eine unnötig komplizierte Konstruktion, die nur geschaffen wurde, weil ein paar halstarrige alte Astronomen den Fortschritt nicht akzeptieren wollten. Aber diese Ansicht verkennt, dass man die Dinge immer Licht ihrer Zeit betrachten muss. Und wenn es nachdem geht, was die Menschen damals mit den vorhandenen technischen Mitteln herausfinden konnten, dann war das Tychonische Modell eine gute Beschreibung der Realität und, wenn man so will, fast besser als das heliozentrische Weltbild. Dass wir heute mehr wissen als in der Vergangenheit kann man den Leuten im 17. Jahrhundert nicht vorwerfen.
Sternengeschichten Folge 539: Der Transit der Venus
Ich erinnere mich noch sehr gut an den 8. Juni 2004. Vor allem deswegen, weil am nächsten Tag meine Defensio stattgefunden hat, also der Vortrag, bei dem ich die Ergebnisse meiner Doktorarbeit präsentieren musste und je nachdem wie diese Ergebnisse von meinen Kolleginnen und Kollegen beurteilt würden, würde ich mein Studium erfolgreich abschließen oder nicht. Ich war also entsprechend nervös und hatte gar nicht so viel Zeit, mich dem seltenen astronomischen Ereignis zu widmen, das an diesem Tag stattfand: Dem Transit der Venus vor der Scheibe der Sonne. Von der Erde aus gesehen ist die Venus am 8. Juni 2004 genau vor der Sonne vorbei gezogen. Wenn man die Sonne - natürlich nur mit entsprechenden Filtern - mit einem Teleskop beobachtet hat, hat man einen kleinen dunklen Punkt gesehen, der schnurgerade seinem Weg über ihre helle Oberfläche folgt. Etwas besser erinnere ich mich an den 6. Juni 2012, als der nächste Venustransit stattgefunden hat. Ich weiß nicht, ob und an welche Transits sich die Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts erinnern, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur die Transits am 8. Juni 2004 und am 6. Juni 2012 gewesen sein können. Denn der letzte Transit vor 2004 fand im Jahr 1882 statt. Und auch wenn dieser Podcast noch sehr lange im Internet verfügbar sein sollte, wäre ich doch überrascht, wenn hier jetzt jemand mithört, der oder die den Transit gesehen hat, der auf das Ereignis im Jahr 2012 gefolgt ist. Das wäre nämlich der 11. Dezember 2117 und falls es doch so sein sollte: Hallo Zukunft, viele Grüße aus dem frühen 21. Jahrhundert!
Aber was ist so besonders, wenn die Venus vor der Sonne vorrüber zieht? Und warum passiert so etwas zweimal im Abstand von knapp 8 Jahren und über hundert Jahre davor und danach nicht? Die Antwort auf beide Fragen ist faszinierend und deswegen soll es in dieser Folge genau darum gehen. Die Antwort auf die erste Frage habe ich zum Teil schon in Folge 263 gegeben. Da ging es um die Längeneinheiten in der Astronomie und eine die sehr weit verbreitet ist, ist die Astronomische Einheit. Eine Astronomische Einheit ist genau 149 Millionen 597 870,7 Kilometer lang. Heute ist der Wert einfach so festgelegt, aber ursprünglich war die Astronomische Einheit als der mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne definiert. Und der Abstand zwischen Sonne und Erde ist ja durchaus eine fundamentale Größe. Es ist absolut wichtig zu wissen, wie weit unser Planet von der Sonne entfernt ist beziehungsweise überhaupt zu wissen, wie weit irgendwas von irgendwas anderem im Sonnensystem entfernt ist. Aber wie hat man das rausgefunden? Die komplette Geschichte dieser Forschung würde mehr als nur eine Podcastfolge füllen, aber die kurze Version geht so:
Die relativen Abstände zwischen den Himmelskörpern lassen sich recht einfach herausfinden. Seit den grundlegenden Arbeiten von Johannes Kepler und Isaac Newton im 17. Jahrhundert wissen wir im Grunde darüber Bescheid, wie sich die Planeten um die Sonne bewegen. Wir wissen, dass sie sich schneller oder langsamer bewegen, je nachdem wie weit sie von der Sonne entfernt sind. Das dritte Keplersche Gesetzt sagt uns sogar direkt, wie die Umlaufzeiten der Planeten und ihre mittleren Abstände zur Sonne zusammenhängen. Mit diesem Wissen kann man zum Beispiel herausfinden, dass der Mars im Mittel 1,5 mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Und dass der Jupiter gut 5 mal weiter von der Sonne weg ist als die Erde. Aber das sind eben relative Abstände. Wenn wir absolute Zahlen haben wollen, also zum Beispiel wissen wollen, wie viele Kilometer es von der Sonne bis zum Jupiter sind, dann müssen wir auch den Abstand zwischen Erde und Sonne in absoluten Zahlen kennen. Wie misst man das? Man kann ja nicht einfach hinfliegen und dann auf den Tacho schauen; schon gar nicht im 17. Jahrhundert. Aber es geht, wenn man einen Venustransit beobachtet. Die Idee dazu nennt sich Parallaxe und darüber habe ich ja schon öfter gesprochen. Wenn ich ein und das selbe Objekt aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachte, dann scheint es sich gegenüber dem Hintergrund zu bewegen. Wie stark diese scheinbare Bewegung ausfällt, hängt davon ab, wie weit die unterschiedlichen Beobachtungspositionen auseinander sind.
Das ist auch so, wenn man von der Erde aus die Venus beobachtet. Je nachdem, von welchem Ort aus man die Beobachtung anstellt, wird man die Venus vor einem leicht anderen Hintergrund sehen. Das ist immer so, aber es ist besonders gut zu beobachten, wenn die Venus gerade direkt vor der Sonne zu sehen ist. Schaut man zum Beispiel von einem Punkt weit im Norden aus dem Transit zu, dann wird man die Venus näher am Mittelpunkt der Sonne vorbei ziehen sehen als von einem Beobachtungspunkt im Süden, wo die scheinbare Bahn der Venus weiter auf der Sonnenscheibe hinauf rutscht. Von Süden aus gesehen verbringt die Venus als weniger Zeit direkt vor der Sonne, weil ihr Weg vor der Sonnenscheibe näher am Rand der Sonne stattfindet und damit kürzer als als der Weg, den man von Norden sieht. Es gibt noch ein paar mehr Effekte die man berücksichtigen muss, aber das ist das Prinzip. Man stellt unterschiedliche Beobachtungen von unterschiedlichen Orten der Erde während eines Venustransits an. Und misst so genau wie möglich die Zeit, die die Venus braucht um von einem Rand der Sonne zum anderen zu gelangen. Der Unterschied in den Messungen hängt davon ab, wie weit die Beobachtungsposten auseinander sind, und vom Abstand zwischen Erde und Venus. Die Distanz zwischen den Beobachtungsstationen auf der Erde kann man messen. Die Dauer des Transits ebenso. Und damit hat man alle Informationen die man braucht um die Distanz zwischen Erde und Venus in absoluten Zahlen zu berechnen, womit dann auch der Abstand zwischen Erde und Sonne berechnet werden kann und alle anderen Abstände im Sonnensystem.
Diese Methode war insofern enorm praktisch, weil man nicht, wie sonst bei der Parallaxe, den Winkel messen muss, um den sich ein Objekt scheinbar vor dem Hintergrund bewegt. Das ist sehr aufwendig und schwer exakt zu bewerkstelligen. Bei einem Venustransit reicht es aber, die Dauer zu messen, die die Venus vor der Sonne verbringt. Und Zeitmessung war auch im 18. Jahrhundert schon einigermaßen genau möglich. Also zu der Zeit, als Edmond Halley im Jahr 1716 als erster die Idee hatte, den Abstand zwischen Erde und Sonne auf diese Weise zu berechnen. Blöd nur, dass damals kein Venustransit in Reichweite war. Der letzte fand im Jahr 1639 statt und war überhaupt der erste, der nachweislich beobachtet worden ist (so etwas sieht man ja nicht mit freiem Auge und man muss vorher genau berechnen, wann so ein Ereignis stattfindet, wenn man es sehen will). Halley konnte rechnen und wusste, dass der nächste Transit am 6. Juni 1761 stattfinden würde. Der damals 60jährige Astronom konnte sich denken, dass er dieses Ereignis nicht mehr erleben würde, hat aber seine jüngeren Kollegen aufgefordert, sich diese Gelegenheit gefälligst nicht entgehen zu lassen. Was diese auch nicht getan haben. Überall auf der Welt versuchte man im Jahr 1761 die nötigen Messungen anzustellen und das gleiche ist auch noch acht Jahre später passiert, als 1769 der nächste Transit stattgefunden hat. Es gab jede Menge Schwierigkeiten, Abenteuer und man kann wunderbare Geschichten über dieses quasi erste weltweite Forschungsprojekt erzählen. Was ich aber ein anderes Mal tun werde. Am Ende jedenfalls hatte man ein Ergebnis, das aber nicht so genau war, wie gehofft. Die Messungen waren schwieriger als gedacht; 1769 lief es dann schon ein wenig besser und man kam auf einen Abstand zwischen Erde und Sonne von 153 Millionen Kilometer. Schon recht nahe am richtigen Wert, noch besser war es dann beim Transit von 1882. Auch acht Jahre davor gab es einen Transit, aber 1874 war der Transit von fast ganz Europa aus unsichtbar, was eine wirklich genaue Messung behindert hat. Aber 1882 lief es ein wenig besser und man konnte den Wert der Astronomischen Einheit ein wenig genauer bestimmen.
Und vielleicht ist dem einen oder der anderen etwas aufgefallen. Es gab zwei Transits in den Jahren 2004 und 2012. Und zwei in den Jahren 1761 und 1769. Und zwei in den Jahren 1874 und 1882. Mal abgesehen von den langen Zeiträumen dazwischen finden Venustransits offensichtlich immer gleich doppelt stand, mit einem zeitlichen Abstand von acht Jahren. Das kann doch kein Zufall sein? Ist es natürlich auch nicht, sondern wunderbare Himmelsmechanik. Wenn die Venus von der Erde aus gesehen vor der Sonne steht, nennt man das eine "untere Konjunktion" und sie findet alle 583,92 Tage statt. Warum? Weil die Erde für eine Runde um die Sonne 365,256 Tage braucht. Ein Umlauf in 365,256 Tagen, das entspricht einer Geschwindigkeit von 0,0027 Umläufen pro Tag, was zugegebenermaßen eine etwas komische Weise ist eine Geschwindigkeit anzugeben, aber absolut ausreichend für unsere Zwecke. Die Venus bewegt sich mit 0,00445 Umlaufen pro Tag und der Unterschied zwischen beiden Geschwindigkeiten beträgt 0,00171 Umläufe pro Tag. Oder ein kompletter Umlauf um die Sonne alle 583,92 Tage. Anders gesagt: Alle 583,92 Tage steht die Venus wieder in einer unteren Konjunktion. Jetzt gibt es aber nicht alle 583,92 Tage einen Venustransit.
Das liegt darin, dass die Venusbahn ein bisschen in Bezug auf die Erdbahn geneigt ist. Die Linie an der sich die Ebene der Venusbahn und die Ebene der Erdbahn schneiden nennt man die Knotenlinie und diese Linie hat zwei Knotenpunkte, nämlich dort wo sich die Venusbahn mit der Knotenlinie schneidet. Einmal kommt die Venus quasi von oben nach unten durch die Ebene der Erdbahn und einmal von unten nach oben. Und nur wenn die Venus während einer unteren Konjunktion genau in einem Knotenpunkt steht, gibt es einen Venustransit. Wenn wir mal davon ausgehen, dass das zu einem bestimmten Zeitpunkt so ist - wann passiert das das nächste Mal? Nicht nach 583,92 Tagen, dann steht die Venus von der Erde aus gesehen zwar wieder vor der Sonne, aber nicht auf der Knotenlinie sondern irgendwo anders und damit von der Erde aus gesehen ein Stück über oder unter der Sonne. Wir wollen jetzt wissen, wann sich eine untere Konjunktion wiederholt, in der die Venus auf der Knotenlinie steht. Ich spare mir jetzt ein wenig Mathematik und komme gleich zum Ergebnis, nämlich der Tatsache, dass die Erde für acht Umläufe um die Sonne fast genau so lange braucht wie die Venus für 13 Runden. Im ersten Fall sind es 2922,048 Tage, im zweiten Fall 2921,113 Tage. Das nennt sich eine 8:13 Resonanz und heißt: Nach acht Jahren stehen Erde und Venus also in Bezug auf die Sonne wieder so wie zuvor. Wenn die Venus heute auf der Knotenlinie steht, dann wird sie das in acht Jahren wieder tun. Und jetzt schauen wir noch mal auf die 583,92 Tage von vorhin, also die Periode mit der sich eine untere Konjunktion wiederholt. Wenn wir das mit 5 multiplizieren, dann landen wir bei 2919,6 Tagen. Was sehr nahe an den 2922 bzw 2921 Tagen liegt, die wir für die 8:13 Resonanz berechnet haben. Während der acht Jahre, die vergangen sind, seit die Venus das letzte Mal auf der Knotenlinie gestanden ist, haben fünf untere Konjunktionen stattgefunden und die letzte davon zufällig wieder fast genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Venus das nächste mal auf der Knotenlinie stand. Und das "fast" ist es, dass die Sache noch ein wenig komplizierter macht. Denn wir haben jetzt rausgefunden, warum sich Venustransits nach acht Jahren wiederholen. Aber noch nicht, warum sie sich nicht ALLE acht Jahre wiederholen. Das liegt an den knapp 2,5 Tagen Unterschied zwischen den beiden Perioden, also der 8:13 Resonanz und der 5fachen Periode der unteren Konjunktion. Ich spare mir wieder die entsprechende Rechnerei, aber wegen dieser Differenz ist die Venus nach acht Jahren 2,5 Tage früher vor Ort als die Erde. Während der 2,5 Tage die die Erde braucht um den Punkt zu erreichen, von dem aus ein Venustransit zu sehen ist, bewegt sich natürlich auch die Venus weiter. Ein Stück von der Knotenlinie weg und damit auch ein Stück nach oben oder unten in Bezug auf die Erdbahn. Um circa 269.000 Kilometer, was einem Winkel von 0,36 Grad entspricht. Der Winkel, den die Sonne von der Erde aus gesehen überdeckt ist aber nur 0,5 Grad groß. Wenn die Venus als zum Beispiel beim ersten Transit gerade am unteren Rand der Sonnenscheibe zu sehen war, dann wird sie beim nächsten Transit acht Jahre später 0,36 Grad weiter oben stehen. Und nochmal acht Jahre später wieder 0,36 Grad weiter oben und damit schon über der Sonne. Es ist kein Transit mehr zu sehen, für lange Zeit. Wie lange?
Das sehen wir, wenn wir uns die Umlaufzeiten noch ein wenig genauer anschauen. Die 8:13 Resonanz von vorhin war zwar halbwegs exakt, aber nicht ganz. Sehr viel exakter ist die Übereinstimmung zwischen 243 Erdjahren, 395 Umläufen der Venus und 152 Wiederholungen der unteren Konjunktion (das dürfen jetzt alle selbst nachrechnen). Nur alle 243 Jahre wiederholt sich die Situation eines Venustransits also wirklich exakt. Und da es ja zwei Knotenpunkt gibt, kriegen wir alle 243 geteilt durch 2 Jahre, also alle 121,5 Jahre einen Transit. Das Transitpaar, das in den Jahren 2117 und 2125 stattfinden wird (oder stattgefunden hat; nochmal Hallo an die Zukunft!) ist die Wiederholung des Transitpaares, das 243 Jahre zuvor in den Jahren 1874 und 1882 stattgefunden hat. Die Transits aus den Jahren 2004 und 2012 sind die Wiederholung der Transits von 1761 und 1769.
Ich weiß, das waren viele Zahlen in dieser Folge. Aber so ist die Astronomie eben auch. Und ich finde es ziemlich erstaunlich, dass man mit gar nicht so komplizierter Mathematik so fundamentale Rechnungen anstellen kann. Wir haben ja wirklich nicht mehr als die Grundrechenarten benötigt und ein bisschen simple Geometrie. Und am Ende konnten wir damit die Ausmaße des Sonnensystems bestimmen und die Abstände zu den Planeten, lange bevor wir in der Lage waren, dorthin zu fliegen.
Sternengeschichten Folge 538: Das holografische Universum
Wir leben vielleicht in einem holografischen Universum! Das hört und liest man immer wieder einmal, in seriösen Medien ebenso wie in den eher dubioseren Ecken des Internets. So oder so klingt das auf jeden Fall spektakulär. Hologramme kennen wir von Geldscheinen oder von irgendwelchen Special Effects. Ein Hologramm ist, vereinfacht gesagt, ein zweidimensionales Bild, das wir trotzdem dreidimensional wahrnehmen können. Und damit ist nicht einfach nur eine 3D-Zeichnung gemeint, sondern ein Bild, das wir tatsächlich auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und von unterschiedlichen Seiten betrachten können, obwohl es eigentlich nur zweidimensional ist. Und wenn wir in einem holografischen Universum leben sollten dann heißt das - ja, was eigentlich? Es klingt so, als wäre unser Kosmos von irgendwem konstruiert worden; als würden wir in einem Computerspiel leben oder wären nur eine Simulation. Auf jeden Fall klingt es enorm abenteuerlich, nach Aliens, nach versteckten Dimensionen, und so weiter.
Tatsächlich ist die Sache mit dem holografischen Universum erstens nichts von dem was ich gerade gesagt habe und zweitens ein sehr, sehr kompliziertes mathematisches Phänomen. Es ist daher auch nicht möglich, in einer kurzen Podcastfolge eine komplette Erklärung dazu zu geben. Das übersteigt mein Wissen und auch den Umfang einer Folge bei weitem. Aber wir können uns der Frage zumindest so weit annähern, um eine gute Idee zu bekommen, worum es geht.
Vor allem um Quantengravitation. Das ist etwas, das es eigentlich gar nicht gibt, noch nicht zumindest. Mit "Quantengravitation" wird eine physikalische Theorie bezeichnet, die in der Lage ist, die Gravitation als quantenmechanisches Phänomen zu beschreiben. Aktuell ist die beste Theorie zur Beschreibung der Gravitation die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein in der die Gravitation als Effekt der Krümmung in der vierdimensionalen Raumzeit beschrieben wird. Das funktioniert absolut hervorragend, passt aber nicht ganz zu der Art und Weise, mit der wir in der Physik die restlichen fundamentalen Kräfte beschreiben. Die elektromagnetische Kraft zum Beispiel wird im Rahmen einer quantenmechanischen Feldtheorie beschrieben (wie das funktioniert habe ich in Folge 247 der Sternengeschichten sehr ausführlich erklärt). Und auch die quantenmechanischen Theorien funktionieren in der Praxis sehr hervorragend. Das Problem daran ist, dass sich die beiden Erklärungsansätze nicht kombinieren lassen. Normalerweise stört das nicht - wenn wir uns mit Gravitation beschäftigen, dann müssen wir so gut wie nie berücksichtigen, was auf der Ebene der Elementarteilchen passiert. Da geht es um große Massen, um Sterne, Planeten, und so weiter. Und wenn wir das Verhalten von Elementarteilchen untersuchen, dann spielt die zwischen diesen winzigen Teilchen wirkende Gravitationskraft so gut wie keine Rolle und kann problemlos ignoriert werden. Aber es gibt Phänomene, wo wir mit dieser Trennung nicht durchkommen. In manchen Fällen haben wir es mit Objekten zu tun, die einerseits eine sehr starke Gravitationskraft ausüben und andererseits so klein sind, dass man sie auch quantenmechanisch betrachten muss. Schwarze Löcher sind so ein Phänomen und einer der Gründe, warum wir immer noch so wenig über sie wissen ist das Fehlen einer Theorie, die Gravitation quantenmechanisch beschreiben kann. Wenn wir so etwas wie ein schwarzes Loch rein gravitativ untersuchen, dann liefert die allgemeine Relativitätstheorie sinnlose Ergebnisse und bei einer rein quantenmechanischen Betrachtung ist es genau so. Es braucht eine Kombination, es braucht die Quantengravitation. Nicht nur wegen der schwarzen Löcher; auch wenn wir den Urknall verstehen wollen, Phänomene wie die dunkle Energie und vermutlich noch jede Menge mehr, von dem wir bis jetzt noch gar nicht wissen. Dazu kommt: Es ist einfach kein Zustand, mit so einer offensichtlichen Lücke im Fundament der physikalischen Theorien zu leben.
Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Physikerinnen und Physiker seit Jahrzehnten auf der Suche nach einer brauchbaren Theorie der Quantengravitation sind. Mit dem holografischen Universum hat das bis jetzt aber noch nichts zu tun. Das kommt noch, aber zuerst schauen wir noch kurz auf die Information. Und die Entropie. Der Begriff "Entropie" kann zwei unterschiedliche Bedeutungen haben; eine physikalische und eine, eher mathematische. Die physikalische oder besser gesagt thermodynamische Entropie beschreibt, simpel gesagt, wie viele unterschiedliche Zustände die Teilchen eines Systems einnehmen können, ohne dass sich am grundlegenden Zustand etwas ändert. Nehmen wir die Seiten eines Buchs: Da gibt es genau einen Zustand, nämlich den, in dem die Seiten von der ersten bis zur letzen korrekt geordnet sind. Alle anderen Zustände würden das Buch grundlegend ändern. Wenn ich die Seiten des Buchs aber alle raus reiße und wild durcheinander auf einen Haufen werfe, dann kann ich die Seiten auch problemlos anders wild durcheinander auf einen Haufen werfen. Auf welche Weise die Seiten durcheinander sind, ändert nichts am Erscheinungsbild des chaotischen Haufens. Im ersten Fall gibt es also einen möglichen Zustand, im zweiten Fall sehr viele. Im ersten Fall ist die Entropie niedrig, im zweiten ist sie sehr hoch. Die Entropie sagt uns also etwas darüber, wie ungeordnet ein System ist und, das ist ein grundlegendes physikalisches Gesetz, wenn man keine Energie von außen in ein System steckt, dann kann die Entropie nur größer werden, aber nicht kleiner. Vereinfacht gesagt: Alles wird immer unordentlicher, es sei denn man investiert ein wenig Energie.
Jetzt müssen wir uns noch die andere Entropie ansehen, die "Shannon-Entropie" genannt wird, nach Claude Shannon, der dieses Konzept in den 1940er Jahren entwickelt hat. Damit wird, wieder vereinfacht gesagt, der Informationsgehalt einer Nachricht gemessen. Und damit ist nicht das gemeint, was konkret in der Nachricht drin steht. Es geht also nicht um eine Formel, die mir sagt, dass die Nachricht "Außerirdisches Leben auf dem Mars entdeckt" mehr Information enthält als "Nachts ist es dunkel". Es geht allein darum, wie viele Bits man braucht, um die Nachricht zu kodieren. Das klingt ein wenig abstrakt. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Shannon-Entropie gibt an, wie viel Aufwand nötig ist, um die Nachricht vollständig zu beschreiben. In meinem Beispiel hat der erste Satz "Außerirdisches Leben auf dem Mars entdeckt" 42 Zeichen, die zweite Nachricht "Nachts ist es dunkel" nur 20. Ich brauche also weniger Buchstaben und deswegen ist auch die Shannon-Entropie im zweiten Satz geringer. Tatsächlich ist es ein wenig komplizierter. Ich könnte zum Beispiel die Leerzeichen weglassen und die Nachrichten wären immer noch verständlich. Und so weiter. Man geht bei der Shannon-Entropie davon aus, dass man alles so effizient wie möglich beschreibt und sich erst dann überlegt, wie viel Information braucht, um das ganze zu kodieren. In einem Computer zum Beispiel läuft alles binär, jede Information wird in eine Kette von Zuständen übersetzt, in "Bits" die entweder 0 oder 1 sein können, in virtuelle Schalter, die an oder aus sein können. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Shannon-Entropie und der thermodynamischen Entropie um zwei ganz unterschiedliche Dinge. Interessant ist der zweite Blick. Man kann sich zum Beispiel einen Luftballon vorstellen, der mit Helium gefüllt ist. Die Heliumatome werden, wie der Haufen Buchseiten vorhin, in jeder Menge Zustände im Ballon sein können. Mal so, mal so - solange der Ballon voll mit Helium ist, ändert sich grundlegend nichts. Und mit den entsprechenden Formeln könnte man auch die thermodynamische Entropie des Gases im Ballon berechnen. Man kann aber auch die Shannon-Entropie des Ballons berechnen, wenn man voraussetzt, das man jedes Gasatom als einzelnes Bits einsetzen kann, das verschiedene Zustände haben kann. Tut man das, dann sieht man erstens, dass man mit so einem Luftballon absurd viel Information speichern könnte und das die beiden Entropie-Begriffe das gleiche Ergebnis liefern.
Keine Sorge, wir kommen noch zum holografischen Universum. Aber wir müssen trotzdem noch ein wenig mit Entropie weiter machen. Wir sind derzeit weit davon entfernt, einzelne Atome als Bits verwenden zu können. Ein USB-Stick, auf dem man zum Beispiel ein Gigabyte speicher kann, hat eine Shannon-Entropie von gut 10 Milliarden Bits; was viel ist, aber dramatisch viel weniger als die thermodynamische Entropie des USB-Sticks. Ein Transistor auf einem Computerchip kann halt nur an oder aus sein; mehr geht nicht, der hat nur ein Bit. Aber auch wenn die Dinger immer kleiner werden, bestehen sie immer noch aus unzähligen Atomen und Elektronen, die alle irgendwelche Zustände haben können - und damit ist die thermodynamische Entropie zwangsläufig sehr viel größer.
Wir werden noch zu den Bits und der Entropie zurück kommen. Zuerst müssen wir aber noch schnell über schwarze Löcher reden. Stellen wir uns vor, wir nehmen unseren Luftballon und werfen in ein schwarzes Loch. Ich will jetzt nicht im Detail erklären, wie das alles mit schwarzen Löchern funktioniert, aber alle werden wissen, dass es da eine Grenze gibt, nämlich den Ereignishorizont. Und wenn man den Ereignishorizont um ein schwarzes Loch überschritten hat, dann ist die Anziehungskraft so groß, dass absolut nichts mehr zurück kann. Von außen betrachtet stellt der Ereignishorizont also eine ultimative Grenze dar und nichts kann je von hinter dem Ereignishorizont zurück kommen. Wenn wir jetzt also den Luftballon über den Ereignishorizont schubsen, was ist dann mit der ganzen schönen Entropie passiert, die im Heliumgas steckt? Sie ist aus dem Universum verschwunden, unrettbar verloren hinter dem Ereignishorizont. Was aber eigentlich nicht sein darf, denn die Entropie kann ja nicht geringer werden und wenn das wirklich so wäre, könnten wir mit schwarzen Löchern Entropie aus dem Universum entfernen. Und tatsächlich ist es auch nicht so, das haben diverse Forscher, unter anderem Stephen Hawking, schon in den 1970er Jahren festgestellt. Ich spare mir die Details, ich habe davon in Folge 383 ausführlicher erzählt. Aber man kann zeigen, dass auch schwarze Löcher selbst eine Entropie besitzen. Die Menge an Entropie ist proportional zur Fläche des Ereignishorizonts. Und, auch das weiß man, wenn man etwas in ein schwarzes Loch wirft, dann erhöht sich seine Masse und auch der Ereignishorizont wird größer. In Wahrheit ist alles sehr viel komplizierter, aber wir können zumindest fürs erste beruhigt sein und festhalten, dass die Fläche des Ereignishorizonts ein Maß dafür ist, wie viel Entropie im vom Ereignishorizont eingeschlossenen Raumvolumen ist. Beziehungsweise viele Information (im Sinne der Shannon-Entropie) darin enthalten ist.
Und das ist ein erster, wichtiger Punkt wenn man das mit dem holografischen Universum verstehen will: Die Information über etwas dreidimensionales - die Menge an Entropie in einem Raumvolumen - wird durch etwas zweidimensionales vermittelt - die Fläche des Ereignishorizonts. Das ist bemerkenswert, aber noch nicht der Punkt um den es geht. Dafür müssen wir jetzt wieder zurück zu der Sache mit der Shannon-Entropie; ich hab das ja nicht aus Spaß an der Freude so lang erklärt. Stellen wir uns vor, wir schmeißen jede Menge USB-Sticks auf einen Haufen. Dann hat dieser Haufen einerseits eine Shannon-Entropie, die - vereinfacht gesagt - von der Speicherkapazität der USB-Sticks abhängt. Und auch eine thermodynamische Entropie, die von den Zuständen der ganzen Teilchen abhängt, aus denen die USB-Sticks bestehen. Wenn wir jetzt immer mehr USB-Sticks auf den Haufen werfen, wie schnell wächst dann die gesamte Entropie an? Je mehr Sticks, desto mehr Teilchen, desto mehr thermodynamische Entropie. Und die Anzahl der Sticks wächst parallel mit dem Volumen des Haufens. Aber wenn man einfach immer mehr USB-Sticks auf den Haufen wirft, dann wird die Masse irgendwann zu groß werden und der Haufen kollabiert zu einem schwarzen Loch. Mit einem Ereignishorizont, von dem wir wissen, dass er proportional zur Entropie ist. Wenn wir jetzt noch mehr Sticks dazu werfen, dann verschwinden sie im Loch und der Ereignishorizont vergrößert seine Fläche. Oder anders gesagt: Ein schwarzes Loch stellt die Obergrenze für die Menge an möglicher Entropie bzw. Information dar, die in einem Volumen enthalten sein kann. Dieses Phänomen wurde als "holografisches Prinzip" bezeichnet: Die Informationsmenge eines dreidimensionalen Raums hängt von der Größe der zweidimensionalen Oberfläche ab, die ihn umschließt. So wie bei einem Hologram die Information, die man zur Beschreibung eines dreidimensionalen Bildes braucht in einer zweidimensionalen Fläche gespeichert ist.
Schwarze Löcher sind ziemlich verwirrend, das ist keine Neuigkeit. Aber es sind eben schwarze Löcher und nicht das gesamte Universum. Die Sache mit dem holografischen Universum stammt von dem Versuch, das holografische Prinzip auf den Kosmos als Ganzes anzuwenden. Und damit sind wir jetzt wieder bei der Quantengravitation vom Anfang. Wir haben keine Theorie der Quantengravitation aber jede Menge Ansätze und Hypothesen. Die alle aus sehr, sehr viel sehr, sehr komplexer Mathematik bestehen. Deswegen probiert man es oft einfacher und rechnet zuerst mit Modellsystemen. Man probiert also in diesem Fall, eine Theorie der Quantengravitation zu finden, die in einem hypothetischen Universum funktioniert, das nicht unseres ist, aber dafür einfacher. Ein Universum zum Beispiel, das sich nicht ausdehnt. Oder in dem die Materie überall exakt gleichmäßig verteilt ist. Oder in dem es gar keine Materie gibt. Damit lernt man zwar nichts über den realen Kosmos. Aber weil die Mathematik in diesem Modellen nicht so kompliziert ist, kann man vielleicht auf ein paar Sachen draufkommen, mit denen sich die komplizierte Mathematik des realen Universums dann einfacher lösen lässt.
Und ein Ding, auf das man bei solchen Versuchen gekommen ist, trägt den schönen Namen AdS/CFT-Korrespondenz. Oder, wenn man es mit vollem Namen nennt: Eine Korrespondenzvermutung zwischen einem Anti-de-Sitter-Raum und der konformen Feldtheorie. Gehen wir es der Reihe nach durch: Ein Anti-de-Sitter-Raum ist genau so ein Modelluniversum von dem ich vorhin erzählt haben. Es lässt sich, so wie unser reales Universum, durch die allgemeine Relativitätstheorie von Einstein beschreiben, hat aber nichts mit unserem Universum zu tun. Ein Anti-de-Sitter-Raum (benannt übrigens nach dem Astronomen Willem de Sitter) sieht überall und auch noch zu jedem Zeitpunkt gleich aus. Der Raum ist negativ gekrümmt; wenn man dort zum Beispiel einen Ball weg werfen würde, dann würde er wieder zu einem zurück kommen. Das gilt egal in welche Richtung man wirft und egal was man wie schnell wirft. Jetzt kommt die konforme Feldtheorie: Das ist eine quantenmechanische Feldtheorie, also eine Theorie mit der man quantenmechanische Teilchen beschreiben kann und die darüber hinaus noch bestimmte mathematische Eigenschaften besitzt. 1997 stellte der Physiker Juan Maldacena die Vermutung auf, dass es zwischen beiden theoretischen Beschreibungen eine Korrespondenz gibt, was später dann auch bestätigt wurde. Und "Korrespondenz" bedeutet in diesem Fall, dass man ein und das selbe physikalische Phänomen durch zwei unterschiedliche Theorien beschreiben kann. Sowas ist unter Umständen ganz praktisch, denn was in der einen Theorie sehr kompliziert sein kann, kann mit der anderen Theorie vielleicht einfach zu lösen sein und umgekehrt. Es schadet definitiv nichts, wenn man mehr als nur ein Werkzeug zur Verfügung hat. In diesem Fall geht es aber um etwas anderes: Einerseits hatte man hier die Gravitationstheorie die im Anti-de-Sitter-Raum funktioniert, der drei Dimensionen hat. Und andererseits die konforme Quantenfeldtheorie, die in diesem Fall auf einer zweidimensionalen Fläche definiert ist; quasi der Oberfläche des dreidimensionalen Raums. Und das, was man in der einen Theorie über Gravitation rechnen kann, kann man mit der anderen Theorie mit Quanten rechnen, und umgekehrt. Das ist es, was AdS/CFT-Korrespondenz meint und es klingt ziemlich beeindruckend. All die vielen Phänomene die man in einem dreidimensionalen Raum wahrnehmen kann, kann man physikalisch auch als zweidimensionale Phänomene auf der Oberfläche dieses Raums beschreiben. So wie das dreidimensional aussehende Hologram aus der auf einer zweidimensionalen Fläche kodierten Information entsteht, kann man sich den dreidimensionalen Raum des Universums aus den Informationen auf seiner zweidimensionalen Oberfläche entstanden denken. Oder nochmal anders gesagt: Wenn es eine totale Korrespondenz zwischen den beiden Theorien gibt, dann kann man eigentlich nicht unterscheiden, ob man jetzt in einem dreidimensionalen Raum lebt oder auf der zweidimensionalen Oberfläche des Raums. Je nachdem, wie und was man denkt (zum Beispiel je nachdem, wie die biologische Evolution das Gehirn entstehen hat lassen), wird man die eine oder die andere Möglichkeit wahrnehmen.
Aber. Und jetzt kommen sehr viele Abers! So spektakulär das alles klingt, darf man nicht vergessen, dass wir immer noch nicht vom realen Universum reden. Sondern vom Modellsystem des Anti-de-Sitter-Raums. Wir reden auch nicht von dem, was uns die durch unzählige Experimente bestätigte Quantenmechanik sagt, sondern von hypothetischen Erweiterungen der Quantenmechanik; von Stringtheorie und anderen Hypothesen, die im Rahmen der Quantengravitation entwickelt worden sind. Diese Hypothesen gehen zum Beispiel davon aus, dass die Materie in Wahrheit aus fast unendlich kleinen, eindimensionalen schwingenden "Fäden" besteht; dass unser Universum mehr als die drei für uns wahrnehmbaren sichtbaren Raumdimensionen hat, und so weiter. Trotz jahrzehntelanger Forschung auf diesem Gebiet konnten diese Hypothesen nicht durch Experimente oder Beobachtungen bestätigt werden. Auch nicht widerlegt, immerhin. Aber es muss deutlich werden, dass es sich hier um sehr hypothetische mathematische Beschreibungen handelt, die noch dazu ein Universum beschreiben, das sich massiv von unserem unterscheidet. Es gab entsprechende Berechnungen die darauf hinweisen, dass so etwas wie die AdS/CFT-Korrespondenz vielleicht auch in einem Universum existieren kann, das unserem etwas ähnlicher ist. Aber auch da bleibt erstens das Problem der ganzen hypotetischen Annahmen der Stringtheorie. Und zweitens: Nur weil man etwas mathematisch formulieren kann, folgt daraus nicht, dass es auch in der Realität existiert.
Das holografische Prinzip ist eine bemerkenswerte Idee die uns der theoretischen Beschreibung diverser Phänomene - wie zum Beispiel den schwarzen Löchern - durchaus weitergeholfen hat. Die Erweiterung dieses Prinzip auf das gesamte Universum ist dagegen eher eine spannende Spekulation. Es ist nicht unmöglich, dass wir dadurch vielleicht irgendwann auf eine brauchbare Theorie der Quantengravitation stoßen. Und dann werden wir mit Sicherheit auch ein paar neue, fundamentale Dinge über das Universum lernen. Dass wir in Wahrheit in einem Hologramm leben, muss aber eher nicht dazu gehören.
Sternengeschichten Folge 537: Die Helios-Raumsonden
1957 flog mit Sputnik der erste künstliche Satellit ins Weltall. Und auch wenn es vermutlich alle wissen sage ich trotzdem noch einmal dazu, dass ein Satellit ein Objekt ist, das die Erde umkreist. Was insofern wichtig ist, weil wir uns in dieser Folge mit Raumsonden beschäftigen wollen. Und ein Satellit ist keine Raumsonde. Eine Raumsonde ist ein Raumfahrzeug, dass das Schwerefeld der Erde verlassen hat. Dazu muss es in Bezug auf die Erde schneller als 11,2 Kilometer pro Sekunde unterwegs sein. Das ist die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit, alles was langsamer ist umkreist - wie eben ein Satellit - die Erde, aber kommt nicht weiter weg. Die erste erfolgreiche Raumsonde der Welt war Luna 1, mit der die Sowjetunion den Mond erreichen wollte, aber leider nicht ganz erreicht hat. Aber Luna 1 ist trotzdem am 4. Januar 1959 am Mond vorbeigeflogen und war damit definitiv die erste Raumsonde. Und ebenso definitiv nicht die letzte. Kurz nach Luna 1, im März 1959 waren die USA das erste Mal mit Pioneer 4 erfolgreich und dann folgten jede Menge andere Raumsonden die mal von der Sowjetunion und mal von Amerika gestartet wurden. Vor allem damals zum Mond, aber in den 1960er Jahren auch schon zur Venus und zum Mars. Zu Beginn der 1970er Jahren machte man sich dann auch auf den Weg zu Jupiter und Saturn - aber Raumfahrt und der erfolgreiche Start von Raumsonden war bis dahin eine Sache der beiden Weltmächte USA und UdSSR. Erst 1974 kam ein drittes Land ins Spiel: Die Bundesrepublik Deutschland mit den Helios-Sonden.
Schon 1966 haben der damalige westdeutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard und der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson vereinbart, dass man gemeinsam eine Mission zur Erforschung des Weltraums starten würde. Auf Seiten der USA sollte natürlich die NASA die entsprechende Planung durchführen; in Deutschland war die erst 1969 gegründete Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) verantwortlich, die Organisation aus der das heutige Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hervorgegangen ist. Und im Juni 1969 wurde die Zusammenarbeit auch offiziell beschlossen. Zwei Raumsonden sollten gebaut werden, deren Ziel kein Planet war, sondern der damals noch recht unerforschte Weltraum zwischen Sonne und Erde. Man wollte näher an die Sonne fliegen als je zuvor und schauen, was in der Nähe unseres Sterns so alles passiert.
Deutschland sollte 70% der Mission übernehmen, unter anderem den kompletten Bau der Raumsonden. Die Raketen würden von der USA kommen, ebenso wie ein Teil der Infrastruktur zur Kommunikation mit den Raumfahrzeugen. Der Name für die Mission wurde passend vom griechischen Sonnengott ausgeliehen: Helios.
Auf den ersten Blick waren die beiden Helios-Sonden fast identisch. Helios-A hatte ein Gewicht von 370 Kilogramm, Helios-B war mit 376,5 Kilogramm nur wenig schwerer. Aussehen tun beide wie überdimensionale Garnrollen. Zieht man die Antennen ab, dann waren beide Sonden knapp über 2 Meter hoch und an der dicksten Stelle 2,77 Meter breit. Da das Ziel die Erforschung der Sonne war, musste man natürlich darauf achten, dass die Sonden nicht zu heiß werden. Dazu hat man sie mit spiegelnden Reflektoren bestückt und auch noch Radiatoren eingebaut, die die aufgenommene Wärme möglichst schnell wieder abgeben können. Außerdem sollten die Sonden sich später im All sehr schnell um ihre eigene Achse drehen, mit einer Umdrehung pro Sekunde, damit die Wärme möglichst gleichmäßig aufgenommen und abgegeben werden kann.
Aber lassen wir mal die reine Raumfahrttechnik beiseite und schauen auf die Wissenschaft. Denn die beiden Sonden hatten natürlich auch jede Menge wissenschaftliche Instrumente an Bord. Zum Beispiel einen Detektor um Elektronen, Protonen und andere Teilchen zu messen. Damit wollte man mehr über den Sonnenwind rausfinden. Die Sonne gibt ja nicht nur Licht ab, sondern schleudert auch jede Menge Teilchen aus ihren äußeren Gasschichten ins All. Das ist der Sonnenwind und die Helios-Sonden sollten messen, wie viel davon wo zu finden ist. Enstprechende Messungen wurden minütlich gemacht, um ein möglichst detailiertes Bild zu bekommen. Ein Magnetometer war mit dabei, dass die Stärke und Richtung des Sonnenmagnetfeldes gemessen hat; man hatte ein Instrument dabei um die kosmische Strahlung zu detektieren. Die Erforschung von Sonnenwind und des Magnetfeldes im sonnennahen Weltraum waren zwei wichtige Forschungsfelder der Helios-Mission, aber nicht die einzigen. Man war auch am Staub interessiert, der da zwischen Sonne und Erde rumflog. Deswegen war zum Beispiel das "Zodiacal light instrument" an Bord, also ein Instrument das die Helligkeit des Zodiakallichts messen konnte (davon habe ich in Folge 97 mehr erzählt). Der interplanetare Staub reflektiert ja einen Teil des Sonnenlichts und wenn man diese Helligkeit kennt, kann man berechnen, wo und wieviel Staub im Weltraum zu finden ist. Außerdem gab es auch noch ein Gerät an Bord, das direkt vor Ort Mikrometeoriten untersuchen kann. Wenn die winzigen Staubkörner im Weltall auf die Sonde treffen - bzw. auf den Teil der Sonde, wo das entsprechende Instrument sitzt, dann konnte man damit die Masse der Körner bestimmen. Insgesamt waren auf jeder Helios-Sonde zehn wissenschaftliche Instrumente (sieben aus Deutschland und drei aus den USA) und dann gab es noch zwei Experimente, bei denen die Sonden selbst als Instrument verwendet worden sind. Aus der genauen Analyse der Bewegung der Sonden wollte man zum Beispiel die genaue Masse des Merkur bestimmen. Und dann wollte man noch ein bisschen was über die Sonnencorona herausfinden, also die äußerste, extrem dünne und extrem heiße Schicht der Sonnenatmosphäre. Wenn die Helios-Sonden da durch fliegen und ihre üblichen Radiosignale zur Erde schicken, dann sorgt das Material der Sonnencorona für Veränderungen im Signal, die man entsprechend analysieren kann.
Soweit die Wissenschaft, aber bevor man irgendwas messen kann, müssen die Sonden ins Weltall. Helios-A startete am 10. Dezember 1974 von Cape Canaveral aus und alles lief super, zumindest größtenteils. Und nach dem Start hat man die Sonden übrigens von A und B auf 1 und 2 umbenannt. Es war also jetzt Helios 1, die auf eine Umlaufbahn um die Sonne geflogen wurde, wo sie für eine Runde 192 Tage brauchte. Dabei kam sie unserem Stern auf 46,5 Millionen Kilometer nahe. Das ist ungefähr der Abstand, den auch der sonnennächste Planet Merkur zur Sonne hat. Man hatte zwar ein paar Probleme mit der Kommunikation, weil eine der beiden Antennen von Helios 1 sich nicht korrekt ausrichten ließ. Aber das bekam man halbwegs in den Griff. Im Februar 1975 kam Helios 1 der Sonne näher als jedes andere Raumfahrzeug zu dieser Zeit, der Abstand betrug nur noch 46,2 Millionen Kilometer. Und man stellte fest: Es wird zwar heiß, aber die Raumsonde wird nicht so enorm heiß, wie man eigentlich gedacht hatte. Das waren gute Nachrichten, besonders für Helios 2. Schlauerweise hat man beide Sonden nicht gleichzeitig gestartet sondern erst einmal abgewartet, was Helios 1 so treibt, bevor man Helios 2 ins All fliegt. Denn jetzt konnte man mit den Erkenntnissen aus der ersten Mission die zweite Sonde ein wenig verbessern. Zum Beispiel hat man noch ein wenig an der Antenne nachgebessert und die Genauigkeit von ein paar Instrumenten erhöht. Und weil Helios 1 kühler geblieben ist als gedacht, hat man sich dafür entschieden, Helios 2 noch ein Stück näher an die Sonne zu fliegen. Start für Nummer 2 war am 10. Januar 1976 und auf ihrer Umlaufbahn kam die Sonde bis auf 43,5 Millionen Kilometer an die Sonne heran.
Ursprünglich waren beide Sonden für eine Missionsdauer von 18 Monaten gebaut. Aber sie haben deutlich länger funktioniert. Erst im März 1980, also vier Jahren nach dem Start ist die Kommunikation mit Helios 2 abgebrochen; Helios 1 hat sogar bis 1986 durchgehalten. Und in dieser Zeit haben die Sonden jede Menge herausgefunden. Zum Beispiel, dass da deutlich mehr interplanetarer Staub herumfliegt, als man bisher gedacht hatte. Man konnte zum ersten Mal Helium-Atome im Sonnenwind nachweisen. Man bekam ein deutlich besseres Verständnis für die Sonnenaktivität. Die Sonne schleudert ja nicht immer gleich viel Material ins All; der Sonnenwind ist nicht immer gleich stark. Die Aktivität ändert sich mit einer Periode von circa 11 Jahren und die Helios-Mission überdeckte fast den kompletten Aktivitätszyklus, ausgehend vom Minimum im Jahr 1976. Zwischendurch war auch noch Zeit, ein paar Kometen zu beobachten die 1975, 1976, 1978 und 1979 nahe an der Sonne vorbeigeflogen sind, wobei man zum Beispiel untersuchen konnte, welche Auswirkungen der Sonnenwind auf die Kometenschweife hat.
Die erste Raumsondenmission an der nicht ausschließlich die USA oder die UdSSR beteiligt war, war also durchaus erfolgreich. Die Helios-Sonden haben Rekorde gesetzte, die lange Zeit nicht gebrochen wurden. Helios 2 hatte den Rekord für die größte Annäherung an die Sonne bis zum Jahr 2018, da ist dann die Parker Solar Probe der NASA bis auf 43,4 Millionen Kilometer an die Sonne geflogen. Beide Helios-Sonden waren bis 2018 auch die schnellsten Raumsonden, die je durchs All geflogen sind. Im Vergleich zur Sonne waren sie mit 70 Kilometer pro Sekunde unterwegs und auch hier war es die Parker Solar Probe, die diesen Rekord mit 163 Kilometer pro Sekunde gebrochen hat. Es ist übrigens kein Zufall, dass alte und neuer Rekordhalter Sonnenforschungssonden sind. Man muss schnell sein, wenn man sich der Sonne nähert; je näher man ihr kommt, desto stärker ist die Anziehungskraft und desto schneller muss man sein, wenn man sich auf einer Umlaufbahn halten will.
Die Helios-Sonden waren nicht so spektakulär wie die Apollo-Flüge zum Mond, die davor stattgefunden haben und angesichts der spektakulären Missionen der Gegenwart mit all ihrem Medienrummel fällt es leicht, die Raumfahrt der 1970er Jahre aus den Augen zu verlieren. An die Helios-Mission kann man sich aber durchaus erinnern. Es war eine wichtige Mission - und auch wenn wir sie nicht mehr erreichen können, fliegen beide Raumsonden auch heute noch um die Sonne herum.
**Sternengeschichten Folge 536: Der Komet Shoemaker-Levy 9 **
Am 23. März 1993 beobachtete das Ehepaar Carolyn und Eugene Shoemaker gemeinsam mit ihrem Kollegen David Levy von der Mount Palomar Sternwarte aus den Himmel. Sie arbeiteten am damals kleinsten der vier dortigen Teleskope, einem kleinen Spiegelteleskop, das aber ein sehr großes Gesichtsfeld hat, was ideal ist, wenn man einen großen Bereich des Himmels auf einmal sehen möchte.
Das Wetter in dieser Nacht war nicht optimal für Beobachtungen; es war stürmisch und Wolken zogen auf. Aber ein Teil des Himmels war noch wolkenfrei; der, wo sich auch Jupiter damals gerade befand. Die drei machten ein paar Aufnahmen; damals noch digital auf Film, bevor auch hier die Wolken eine weitere Beobachtung unmöglich machten.
Die Shoemakers und Levy waren auf der Suche nach Asteroiden und Kometen. Wenn man die finden will, muss man die selbe Region des Himmels zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten beobachten und die Bilder dann vergleichen. Ein Komet oder Asteroid bewegt sich im Vergleich zu den fernen Sternen auch in ein paar Stunden schon meßbar und wenn man einen Lichtpunkt findet, der seine Position von einem Bild zum nächsten verändert hat, hat man eine gute Chance, dass es sich um einen Asteroid oder Kometen handelt.
Carolyn Shoemaker kam aber erst zwei Tage später dazu, die Bilder zu sichten. Dann wurde sie aber fündig. Mit dem Satz "Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht aus wie ein zerquetschter Komet." hat sie ihre Entdeckung verkündet. Kometen sind ja eigentlich recht kleine Objekte. Sie bestehen aus einer Mischung von Eis und Gestein und sind höchstens ein paar Kilometer groß und normalerweise würde man so winzige Dinger so gut wie gar nicht entdecken können. Aber wenn ein Komet der Sonne nahe genug kommt, dann erwärmt er sich, ein Teil des Eises wird gasförmig, dehnt sich aus und entweicht ins All. Dabei wird auch Gesteinsstaub mitgerissen, der eine Hülle um das Objekt herum bildet. Diese Hülle, die "Koma", kann sehr, sehr groß werden, viele tausend Kilometer groß. Und weil der Staub das Sonnenlicht reflektiert, ist ein Komet - oder besser gesagt die Koma des Kometen - sehr gut zu sehen. Außerdem wird ein Teil des Staubs durch den Sonnenwind davon gerissen und bildet den noch längeren Kometenschweif. In diesem Fall sah Carolyn Shoemaker aber nicht eine Koma und einen Schweif, sondern eine komische Mischung aus einander überlappenden Komas und Schweifen.
Der neu entdeckte Komet war definitiv einen zweiten Blick wert. Zuerst aber wurde der Fund offiziell bekannt gegeben und der Himmelskörper bekam seinen offiziellen Namen. Wie bei Kometen üblich, wird der Name aus den Nachnamen der Personen gebildet, die ihn entdeckt haben. In diesem Fall Shoemaker-Levy 9 - weil die Shoemakers und David Levy sehr gut darin waren, Kometen zu entdecken und gemeinsam zuvor schon acht andere gefunden hatten. Aber keiner war so außergewöhnlich wie Nummer 9.
Zuerst einmal stellte man fest, dass Shoemaker-Levy 9 die Sonne gar nicht direkt umrundet. Der Komet befindet sich in einer Umlaufbahn um den Planeten Jupiter, wie ein kleiner Mond. Berechnungen seiner Bahn haben außerdem gezeigt, dass der Komet im Jahr zuvor, am 7. Juli 1992 in nur knapp 40.000 Kilometer Abstand an Jupiters Wolkendecke vorbei geflogen ist. Dabei müssen enorme Gezeitenkräfte auf den Kometen gewirkt haben, die den Kern in mehrere Stücke auseinander gerissen haben. So ist der "zerquetschte Komet" entstanden, den Carolyn Shoemaker auf ihrer Fotografie beobachtet hatte.
Ein Komet, der Jupiter umkreist und das durch die Gezeitenkraft des Riesenplaneten nicht mehr am Stück sondern als Trümmerhaufen: Das alleine wäre schon außergewöhnlich. Aber das war noch nicht alles! Zwei Monate nach der Entdeckung, am 22. Mai 1993, schickte Brian Marsden vom Minor Planet Center der Internationalen Astronomischen Union eine seiner üblichen Kurzmitteilungen in die Welt hinaus. Das Minor Planet Center ist die offizielle Anlaufstelle für alles was mit Kometen und Asteroiden zu tun hat. Dort werden alle Beobachtungsdaten gesammelt; dort werden Entdeckungen bestätigt, von dort aus wird mitgeteilt, welche Objekte noch ein paar mehr Beobachtungsdaten vertragen könnten, um ihre Bahn genauer zu bestimmen, und so weiter. In diesem Fall begann die Mitteilung mit der Feststellung, dass man in den letzten 2 Monaten schon knapp 200 Beobachtungen von Shoemaker-Levy-9 gesammelt hatte. Dann wurde noch einmal bestätigt, dass der Komet im Juli 1992 extrem knapp an Jupiter vorbei geflogen ist. Und dass es eine weitere sehr nahe Begegnung im Juli 1994 geben wird. Der Abstand zum Mittelpunkt von Jupiter wird dabei knapp 45.000 Kilometer betragen. Der Planet hat allerdings einen Radius von knapp 70.000 Kilometer. Oder anderes gesagt: Der Komet Shoemaker-Levy-9 wird mit Jupiter kollidieren.
Und DAS war eine wirkliche Sensation. Wir wissen natürlich, dass immer wieder Asteroiden und Kometen mit anderen Himmelskörpern kollidieren. Das wusste man auch schon 1993. Aber einerseits war dieses Wissen noch vergleichsweise neu. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts und unter anderem maßgeblich durch die Arbeit von Eugene Shoemaker setzte sich damals die Erkenntnis durch, dass große Einschläge nichts sind, was nur in der fernen Vergangenheit des Sonnensystems passiert ist, sondern heute immer noch stattfinden kann. Und zweitens konnte man bis damals noch nie live zusehen, wie zwei Himmelskörper kollidieren.
Und was genau passiert wenn ein Komet in die gewaltigen Gasmassen eines Riesenplaneten wie Jupiter eindringt, wusste damals auch niemand genau. Es könnte sein, dass das Ding einfach durch die atmosphärischen Schichten des Jupiters rauscht und quasi spurlos verschluckt wird. Oder aber es wird, zumindest kurzfristig, ein Loch in die Atmosphäre des Planeten gerissen und wenn der Komet dann unter dem Druck der tiefer liegenden Gasschichten zerissen wird und explodiert, wird jede Menge Gas hinaus ins All geschleudert. Das Problem: Anfangs sah es so aus, als würden wir nichts davon mitbekommen, egal was passiert. Denn die Berechnungen zeigten, dass der Einschlag am 16. Juli 1994 mitten auf der erdabgewandten Seite des Jupiters passieren sollte. Und man konnte in der kurzen Zeit nicht mal eben ein Teleskop hinter den Jupiter fliegen. Immerhin: Die Raumsonde Galileo war damals gerade schon auf dem Weg zum Jupiter und hatte von ihrer damaligen Position im Asteroidengürtel freie Sicht auf das Spektakel.
Zuerst passierte aber noch etwas anderes: Der zerquetschte Komet verwandelte sich in eine Perlenkette. Die Brocken im zertrümmerten Kern des Kometen bewegten sich zwar alle in die selbe Richtung. Aber bei der Annäherung an Jupiter wirkten wieder die Gezeitenkräfte. Die Trümmer, die ein bisschen näher an Jupiter waren, spürten eine stärkere Anziehungskraft als die, die weiter weg waren. Der Trümmerkern zog sich immer weiter auseinander, bis die Stücke wie an einer Kette aufgereiht durchs All Richtung Jupiter flogen. Es würde also nicht nur eine Kollision geben, sonderen mehrere, über mehrere Tage hinweg. Und dann zeigten neue Berechnungen, dass die ersten Treffer zwar immer noch auf der erdabgewandten Seite stattfinden würden. Aber immerhin an einer Stelle, die durch die Rotation des Jupiter schnell in unser Sichtfeld gedreht werden würde. Den Impakt selbst würde man also nicht direkt sehen können, aber wir würden sehr schnell sehen, welche Spuren der Komet hinterlassen hat.
Das erste Fragment von Shoemaker-Levy 9 traf am Abend des 16. Juli 1994 mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Sekunde auf den Jupiter. Die Raumsonde Galileo konnte einen Feuerball beobachten, der eine Temperatur von fast 24.000 Grad Celsius hatte und sich fast 3000 Kilometer über die Wolkendecke von Jupiter erhob. Fast alle großen Teleskope auf der Erde und auch das Hubble-Weltraumteleskop waren auf den Jupiter gerichtet. Als dann endlich der Einschlagsort ins Bild kam, sah man einen dunklen Fleck in der Atmosphäre des Riesenplanet. Einen Fleck, der größer als die Erde war. Das war natürlich kein Einschlagskrater, so etwas gibt es bei einem Gasplaneten nicht. Was man stattdessen gesehen hatte, war Gas aus den tieferen Schichten des Jupiters, das durch den Einschlag an die Oberfläche gelangt ist. Vor allem Schwefel und Schwefelkohlenstoff. Auch die anderen Kometentrümmer, die in den nächsten Tagen einschlugen, hinterließen Spuren - die man teilweise noch viel länger beobachten konnte. Und sogar 2010, fast 20 Jahre nach dem Einschlag, konnten Astronominnen und Astronomen noch Spuren des Einschlags nachweisen. Damals wurde das Herschel-Weltraumteleskop benutzt um den Jupiter zu beobachten. Herschel ist ein Infrarotteleskop und in der Lage, die Existenz von bestimmten Molekülen nachzuweisen, zum Beispiel Wasser. Das fand man bei Jupiter, aber es war auf eine Weise in seinen äußeren Atmosphärenschichten verteilt, die sehr ungewöhnlich war, wenn man davon ausgeht, dass es sich um Wasser handelt, das immer schon Teil von Jupiters Atmosphäre war. Viel besser ließen sich die Beobachtungen erklären wenn man davon ausgeht, dass es Wasser ist, das aus dem Kometenkern von Shoemaker-Levy 9 stammt.
1994 war das erste Mal, dass wir einen Kometeneinschlag beobachten konnten. Aber es war nicht das letzte Mal. Im Juli 2009 beobachtete man einen dunklen Fleck auf Jupiter, genau so wie damals die Spuren von Shoemaker-Levy 9. Den Einschlag selbst hat offensichtlich niemand mitbekommen, aber es muss ein kleiner Asteroid oder Komet gewesen sein, der da ein weiteres Mal auf Jupiter gefallen ist. Mittlerweile sind viel mehr Raumsonden unterwegs und auch viel mehr Teleskope auf der Erde und im Weltraum auf den Himmel gerichtet und deswegen bekommen wir auch mehr solcher Ereignisse mit. Aus den vorhandenen Daten schätzt man, dass es zwischen 10 und 65 Einschläge kleinerer Objekte auf Jupiter pro Jahr gibt, also Asteroiden die zwischen 5 und 20 Meter groß sind. Die größeren Objekte, die sichtbare Spuren in der Atmosphäre hinterlassen, treffen den Jupiter alle 2 bis 12 Jahre. So große Dinger wie Shoemaker-Levy 9 treffen den Jupiter aber nur einmal in ein paar Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Wir haben großes Glück gehabt, dass wir damals live dabei zusehen konnte - noch dazu aus sicherer Entfernung!
Sternengeschichten Folge 535: Maßeinheiten und das Système International
Heute müssen wir in den Sternengeschichten ein wenig fundamental werden. Bei all den Geschichten aus der Wissenschaft von denen ich in den letzten paar hundert Folgen erzählt habe, vergisst man vielleicht, dass es eben nicht nur Geschichten sind. Sondern Geschichten, die unser reales Universum beschreiben. Es sind wissenschaftliche Geschichten, deren Grundlage die Realität ist. Beziehungsweise die bestmögliche Annäherung an die Realität. Aber wir wollen nicht zu philosophisch werden, ganz im Gegenteil. Um die reale Welt dort draußen zu verstehen, müssen wir messen. Wir müssen beobachten, wir müssen Experimente anstellen, wir müssen Vermutungen anstellen und sie durch Daten überprüfen. Und damit das funktioniert, müssen wir uns darüber einig sein, was wir messen, wie wir es tun und vor allem wie wir die Ergebnisse der Messung darstellen.
Und damit sind wir bei der Metrologie angelangt. Nicht "Meteorologie", die Wissenschaft vom Wetter, sondern Metrologie, die Wissenschaft des Messens. Das ist komplizierter als man denken würde und das gilt insbesondere für die Festlegung von Maßeinheiten.
Zumindest wenn man es vernünftig machen möchte. Natürlich kann man einfach irgendeine Einheit festlegen, sagen wir, für die Länge. Ich kann hier und jetzt definieren, dass eine "Florianlänge" exakt der Distanz zwischen meinem Schreibtisch und der Bürotür entspricht. Die Naturwissenschaft würde mit dieser Längeneinheit genau so funktionieren wie bisher. Ich könnte die Entfernung zum Mond in Florianlängen beschreiben, die Geschwindigkeit der Erde in Florianlängen pro Sekunde, und so weiter. Aber aus wissenschaftlicher Sicht ist das Quatsch. Erstens würde niemand außer mir wissen, wie lang eine Florianlänge eigentlich ist. Es könnte vor allem niemand unabängig überprüfen, ohne zu Besuch in mein Büro zu kommen. Und wenn ich, so wie jetzt gerade, aus Versehen gegen den Schreibtisch stoße, dann hat sich der Wert der Florianlänge verändert, wenn auch nur um ein paar Millimeter.
Das war jetzt natürlich ein sehr absurdes Beispiel und es ist klar, dass niemand auf die Idee kommen würde, auf diese Weise eine Längeneinheit zu definieren. Wenn man sich aber anschaut, wie es früher so lief auf der Welt, dann war das gar nicht so weit von meinem Beispiel entfernt. Jedes Land, jede Region, oft sogar jede Stadt hatte ihre eigenen Einheiten für Länge, Gewicht, und so weiter.
Im 19. Jahrhundert konnte man Entfernungen in Bayern zum Beispiel in Klaftern messen, wobei ein Klafter ungefähr 180 Zentimetern entspricht. Oder in Ruthen, was etwa 3 Meter waren. Oder in "Wegstunden", was ein bisschen so wie "Lichtjahre" zu verstehen ist, also die Entfernung, die man in einer Stunde zurück legen kann, und in Bayern damals ungefähr 4,4 Kilometer entsprochen hat. Wer dagegen in Österreich eine Rute abgemessen hat, hat 3,16 Meter zurück gelegt. Und wer ein Maß einer Flüssigkeit bestellt hat, bekam in Österreich 1,417 Liter, in Bayern dagegen 1,5 Liter. Und so weiter. Das ganze Durcheinander bestand nicht nur zwischen Österreich und Bayern, sondern zwischen überall und überall anders und auch bei Flächenmaßen, Gewichten, und so weiter.
Das war alles damals schon nicht unproblematisch, für den Alltag und für die Forschung. Wenn jemand zum Beispiel irgendwelche Messungen angestellt und Distanzen in Meilen angegeben hat, dann war bei weitem nicht klar, dass alle anderen gewusst haben, um welche Distanz es wirklich geht. Wenn jemand anderes anderswo ein Experiment wiederholt hat, war nicht immer leicht herauszufinden, ob die Ergebnissen übereinstimmen oder nicht. Und als die Welt dann immer weiter zusammengewachsen ist, ist das alles zu einem richtigen Problem geworden. Für den Handel, die Politik und insbesondere für die Wissenschaft.
Eine komplette Geschichte der Maßeinheiten würde den Rahmen sprengen, also springen wir gleich in das Jahr 1790 und mitten in die französische Revolution. Die französische Akademie der Wissenschaft hat damals den Auftrag bekommen, ein einheitliches System für Maße und Gewichte zu entwerfen. Und das sollte bitteschön nicht irgendwie willkürlich sein, sondern nach Möglichkeit aus natürlichen Größen abgeleitet werden. Längeneinheiten sollten nicht mehr auf irgendwelchen Körperteilen basieren, wie bei Fuß oder Elle, und der ganze Wildwuchs der Umrechnungen musste beseitigt werden.
Schauen wir uns das am Beispiel der Längeneinheiten an. Hier hat man sich die Erde als Basis gesucht. Und sich gesagt: Wir messen die Distanz vom Nordpol bis zum Äquator, das ist definitiv eine von der Natur vorgegebene Größe. Und dann teilen wir diese Distanz durch 10 Millionen. Das Ergebnis nennen wir "Einen Meter" und ist die Grundlage für die Länge. Will man kleinere Einheiten haben, dann teilt man den Meter einfach wiederholt durch 100 und bekommt so Zentimeter, Millimeter und so weiter oder multipliziert mit hundert, dann kriegt man Kilometer, etc. Und wenn wir mal so eine natürliche Länge haben, können wir damit exakt einen Kubikdezimeter Wasser abmessen und sein Gewicht als Grundlage für die Gewichtseinheit nehmen. Und so weiter.
Das ist in der Praxis natürlich nicht so einfach wie es klingt. Ich habe in Folge 232 der Sternengeschichten ja schon erzählt, wie schwierig es war, die Messungen durchzuführen, um den Meter zu definieren. Und die ersten Definitionen die im 18. und 19. Jahrhundert gemacht wurden, waren auch nicht unbedingt die optimale Wahl, zummindest aus heutiger Sicht. Wir wissen zum Beispiel, dass die Erde keine perfekte Kugel ist und es einen Unterschied macht, wo genau man vom Norpdol zum Äquator misst. Also wurden im Laufe der Zeit immer wieder neue Definitionen vorgeschlagen, um die Grundlage des Einheitensystems so unabhängig von menschlichen Vorstellungen und Konventionen zu machen, wie es nur geht.
Die meisten Staaten der Welt sind heute Mitglied der sogenannten "Meterkonvention" beziehungsweise assoziert oder halten sich einfach so daran, was dort beschlossen wurde. Die Internationale Meterkonvention ist ein Vertrag, der am 20. Mai 1875 zuerst von 17 Staaten geschlossen wurde, darunter auch Deutschland, die Schweiz und Österreich. Aber auch die USA, Argentienen oder Russland waren dabei. Ziel war es, Institutionen zu gründen die sich um international gültige Einheiten kümmern. Dafür gibt es die Generalkonferenz für Maß und Gewicht, die alle paar Jahre stattfindet, das Internationales Komitee für Maß und Gewicht das alles verwaltet und das Internationale Büro für Maß und Gewicht, wo dann tatsächlich die entsprechenden Einheiten diskutiert, definiert und zur Verfügung gestellt werden. Die erste Generalkonferenz für Maß und Gewicht fand 1875 statt, dort wurden Definitionen für Länge, Gewicht und Zeit festgelegt. Später kamen andere Basiseinheiten dazu, weil man auch so etwas wie elektrischen Strom vernünftig und einheitlich messen können wollte. Dieses internationale Einheitensystem bekam bei der 11. Generalkonferenz für Maß und Gewicht im Jahr 1960 den Namen "Système International d’Unités", was so viel wie "Internationales Einheitensystem" bedeutet, aber trotzdem immer noch als SI, für "Système International" abgekürzt wird. Es gab immer wieder diverse Reformen und Neudefinitionen. Aber am Ende hat man sich auf sieben Basiseinheiten geeinigt.
Man könnte über jede dieser Einheiten mehrere Podcastfolgen machen; ihre Definitionen und die damit verbundene Wissenschaft sind voll mit spannenden Geschichten. Aber vorerst beschränke ich mich darauf, sie einfach mal aufzulisten.
Wir fangen mit der Zeit an. Die zugehörige Einheit ist die Sekunde und die ist heute definiert als "das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cäsium-133 entspricht". Und damit wird vielleicht auch klar, warum wir bei der sehr genauen Zeitmessung "Atomuhren" verwenden. Das sind keine Uhren, die mit Atomkraft angetrieben werden. Sondern Instrumente, in denen Atome, in dem Fall spezielle Cäsiumatome, von einem Energiezustand in einen anderen wechseln und dabei elektromagnetische Strahlung aussenden. Diese Strahlung hat eine Schwingungsperiode und wenn man die misst und mit 9.192.631.770 multipliziert, ist das genau eine Sekunde.
Die Einheit der Basisgröße Länge ist der Meter und ein Meter ist definiert als als die Strecke, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1 / 299 792 458 Sekunden zurücklegt. Daraus folgt übrigens sofort, dass die Lichtgeschwindkeit in SI-Einheiten EXAKT 299.792.458 Meter pro Sekunde beträgt. Nicht mehr, nicht weniger sondern exakt diese Geschwindigkeit. Bei der Einheit für die Masse war die Lage lange Zeit ein wenig knifflig. Tatsächlich hatte man noch im 19. Jahrhundert ein sogenanntes "Urkilogramm" gebaut. Das war, vereinfacht gesagt, einfach ein Stück Metall das in Frankreich aufbewahrt wurde ein Kilogramm war per Defintion die Masse von genau diesem Ding. Das ist natürlich unbefriedigend, und selbst wenn man sich sehr viel Mühe gibt, verändert so ein Objekt im Laufe der Zeit seine Masse, wird ein paar Mikrogramm leichter, weil es Abrieb gibt, und so weiter. In diesem Fall aren es nur circa 50 Mikrogramm in 100 Jahren, aber für die offizielle Basis einer Einheit ist das kein Zustand. Deswegen gibt es seit 2019 eine neue Definition.
Ein Kilogramm ist definiert, indem für die Planck-Konstante h der Zahlenwert 6,62607015 × 10 hoch –34 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit J s, die gleich kg m^2 s^–1 ist, wobei der Meter und die Sekunde mittels c und ΔνCs definiert sind. Das klingt verwirrend und das habe ich mir nicht selbst so ausgedacht, dass ist der offizielle Text der Definition. Bedeuten soll das ganze folgendes: Die Planck-Konstante ist eine fundamentale physikalische Konstante und beschreibt das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Lichtteilchens. Man gibt es in Einheiten von Energie mal Zeit an; Energie ist aber keine Basiseinheit, sondern kann durch eine Kombination von Masse, Länge und Zeit angegeben werden. Am Ende jedenfalls kommt man zu dem Ergebnis, dass die Planck-Konstante in SI-Einheiten in Kilogramm mal Quadratmeter pro Sekunde angegeben werden muss. Man kann ihren Wert messen; in der neuen Definition hat man ihren Wert aber einfach per Definition auf 6,62607015 × 10 hoch –34 Kilogramm mal Quadratmeter pro Sekunde festgelegt. Und weil auch Sekunde und Meter exakt festgelegt sind, kann man daraus berechnen, wie viel Masse etwas haben muss, das genau ein Kilogramm schwer ist. Zumindest in der Theorie, in der Praxis ist es ein wenig schwerer. Die Details verschiebe ich auf eine spätere Folge; man braucht dazu zum Beispiel eine Watt-Waage, aber uns fehlen ja noch ein paar Basiseinheiten und das würde jetzt zu weit führen.
Länge, Masse und Zeit kann man sich noch recht gut vorstellen und verstehen, dass man dafür Einheiten braucht. Aber da fehlt noch einiges. Die Temperatur zum Beispiel. Die wird in Kelvin gemessen und ein Kelvin ist diejenige Änderung der thermodynamischen Temperatur T, die einer Änderung der thermischen Energie um exakt 1.380649 x 10 hoch 23 Joule entspricht. Auch dafür hat man eine Naturkonstante, in diesem Fall die Boltzmann-Konstante, auf einen exakten Wert festlegen müssen. Anschaulich ist das Kelvin eine absolute Temperaturskala und wurde ursprünglich einmal eingeführt als die Temperaturskala, deren Nullpunkt nicht unterschritten werden kann. Es kann also nichts im Universum kälter als 0 Kelvin werden. Was aber eh kalt genug ist, das entspricht -273,15 Grad Celsius.
Was fehlt uns noch? Die elektrische Stromstärke! Die hat die Einheit "Ampere" und ist definiert als eine Ladungsmenge die der Ladung von 6 Trillionen 241 Billiarden 509 Billionen 074 Milliarden Elektronen entspricht, die in einer Sekunde an einem konkreten Punkt vorbei fließt. Diese Zahl stammt aus einer Neudefinition der Elementarladung, also der elektrischen Ladung eines einzelnen Elektrons.
Was wir auch noch messen müssen, gerade in der Astronomie, ist die Lichtstärke. Wie viel Licht gibt etwas ab? Von dieser Grundeinheit haben viele vielleicht noch nie gehört. Lichtstärke misst man in "Candela" und hier wird die Definition langsam ein wenig unübersichtlich. Aber so ist das halt, wenn man so exakt wie möglich sein will. Also probieren wir es: Wir haben Strahlung mit einer Frequenz von exakt 540 mal 10 hoch 12 Hertz. Diese Strahlung hat ein sogenanntes "Photometrisches Strahlungsäquivalent". Vereinfacht gesagt: Je größer das photometrische Strahlungsäquivalent, desto heller können wir eine Lichtquelle bei vorgegebener Strahlungsleistung sehen. Für die offizielle Defintion des Candela wird das photometrische Strahlungsäquivalent der Strahlung bei 540 mal 10 hoch 12 Hertz auf exakt 683 festgelegt, vorausgesetzt wir messen das ganze in Candela pro Kilogram, pro Quadratmeter, pro Sekunde hoch drei pro Raumwinkel. Und weil die ganzen anderen Einheiten ja schon fix definiert sind, kriegen wir über die Festlegung der Konstanten auch die Definition des Candela. "Candela" ist übrigens das lateinische Wort für Kerze und man hat das ganze ursprünglich so gewählt, damit eine normale Kerze eine Lichtstärke von etwa einem Candela hat.
Ich weiß, es wird langsam wirklich verwirrend, aber wir sind gleich durch. Wir müssen nur noch die siebte und letzte Einheit definieren und das ist die für die Stoffmenge. Und damit sind keine Stoffe gemeint, aus denen man Kleidung macht. Sondern ganz allgemein "Stoff", also quasi Zeug. Man kann irgendwas nehmen: Eine Haufen Atome. Einen Haufen Moleküle, was auch immer. Aber wenn man genau 602 Trilliarden 214 Trillionen 076 Billiarden von den Dingern auf einen Haufen packt, dann hat man exakt ein Mol davon. Denn "Mol" ist die Einheit der Stoffmenge und man kann sich fragen, wozu man das braucht? Weil man eben manchmal nicht nur wissen muss, wie viel Masse etwas hat, sondern auch, wie viele Teilchen es sind, die diese Masse haben. Das ist vor allem in der Chemie sehr wichtig und deswegen braucht es auch da eine verbindlich definierte Einheit um das angeben zu können.
Das sind die sieben Basiseinheiten des Système Internationale: Meter, Kilogramm, Sekunde, Kelvin, Ampere, Candela und Mol. Und wer nicht alle Definitionen verstanden hat, muss sich nicht ärgern. Es geht bei der Festlegung der fundamentalen Größen nicht unbedingt um Anschaulichkeit. Es geht einzig darum, dass alles so einheitlich, verbindlich und exakt wie möglich ist. Und am Ende reicht es ja zu wissen, DAS es eine Definition gibt, an die sich alle halten. Es müssen nicht alle auch jedes letzte Detail der Definition verstehen.
Vielleicht fragt sich nun der eine oder die andere, was denn mit solchen Einheiten ist wie Volt, für die elektrische Spannung. Oder Newton, für die Kraft. Oder Joule, für die Energie? Das sind keine Basiseinheiten, sondern abgeleitete Einheiten. Das soll heißen, dass man sie alle als Kombination der sieben Basiseinheiten darstellen kann. Ein Volt ist zum Beispiel ein Watt pro Ampere. Und ein Watt ist ein Joule pro Sekunde. Und ein Joule ist ein Newton mal Meter. Newton ist die Einheit der Kraft, Kraft ist Masse mal Beschleunigung und wird daher in Kilogramm mal Meter pro Sekunde zum Quadrat gemessen. Und das sind wieder Basiseinheiten.
Alle in der Naturwissenschaft verwendeten Einheiten kann man mit den Basiseinheiten beschreiben. Es gibt auch noch andere Einheitensysteme, zum Beispiel das Anglo-Amerikanische System wo man zum Beispiel Längen in Meilen misst und eine Meile 1,609344 Kilometer lang ist. Oder eine Gallone gleich 4,54609 Liter. Oder ein Stone gleich 6,35 Kilogramm. Und so weiter. Die werden aber vor allem in den USA und Großbritannien verwendet und dort auch vor allem im Alltag. In der Wissenschaft wird auch dort das Système International genutzt. Denn am Ende funktioniert die Wissenschaft nur, wenn alle sich einig sind, was wie gemessen wird. Die Metrologie mag zwar ein wenig trocken und kompliziert sein. Aber sie ist die Grundlage all der spannenden Entdeckungen die wir dort draußen im Universum machen.
Sternengeschichten Folge 534: Quaoar, ein besonderer Asteroid
Im Jahr 2002 konnte man in einigen Medien lesen, dass der "zehnte Planet" unseres Sonnensystems entdeckt worden ist. Zur Erinnerung: Damals galt auch Pluto noch als Planet, nämlich als Planet Nummer Neun. Erst 2006 war die Astronomie so weit, die fehlerhafte Klassifikation von Pluto als Planet zu korrigieren. Aber damals hatte das Sonnensystem ganz offiziell noch 9 Planeten und - zumindest den Schlagzeilen im Jahr 2002 zufolge - vielleicht bald 10.
Die amerikanischen Astronomen Chad Trujilo und Mike Brown hatten am 4. Juni 2002 Beobachtungen am Palomar-Observatorium in Kalifornien angestellt. Sie waren auf der Suche nach noch unbekannten Asteroiden im äußeren Sonnensystem. Und wurden an diesem Abend fündig. Das merkten sie aber erst 2 Tage später, als sie die Bilder am Computer auswerteten. Im Sternbild Schlangenträger bewegte sich ein Himmelskörper um die Sonne, der bisher noch unbekannt war. Die ersten Daten zeigten, dass er noch weiter entfernt von der Sonne ist als Pluto. Zumindest teilweise, denn Plutos Umlaufbahn ist sehr langgestreckt. Am sonnennächsten Punkt ist Pluto knapp 30 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, am sonnenfernsten Punkt ist es der 50fache Erdabstand. Der neu entdeckte Himmelskörper hat eine mehr kreisförmige Bahn und die Extreme ändern sich nicht so stark. Er kommt der Sonne nie näher als die 41fache Distanz zwischen Erde und Sonne und am fernsten Punkt ist er gut 45mal so weit entfernt wie die Erde.
Übrigens: Die Bestimmung der Bahn gelang nicht allein mit den Bildern die am 4. Juni 2002 aufgenommen wurden. Je mehr Bilder man hat und je größer der Zeitraum zwischen den Aufnahmen ist, desto genauer kann man die Bahn bestimmen. Trujilo und Brown haben sich also sofort auf die Suche nach sogenannten "precoveries" gemacht. Sie haben abgeschätzt, wo sich der Himmelskörper in der Vergangenheit befunden haben könnte und dann in den Archiven nach Aufnahmen von diesen Himmelsregionen gesucht. Und dort dann nachgesehen, ob sie das neu entdeckte Objekt finden können. Das kommt öfter vor als man denken würde. Denn ist natürlich nicht möglich, bei jeder astronomischen Aufnahmen jeden einzelnen Lichtpunkt zu identifizieren. Meistens ist man ja nur an einem bestimmten Stern oder anderem Objekt interessiert und macht sich nicht die Mühe, all die anderen Objekte auf dem Bild auch noch im Detail zu untersuchen. Aber wenn man weiß, wonach man sucht, wird man in den alten Daten oft fündig. In dem Fall gleich mehrfach; die ältesten Bilder die das neu entdeckte Objekt zeigten waren aus dem 1983 und noch auf klassischen Fotoplatten. Auf jeden Fall war mit diesen precoveries eine genaue Bestimmung der Bahn und des Abstands zur Erde möglich.
Wie jeder andere neu entdeckte Asteroid bekam auch dieser vorerst eine sogenannte "provisorische Bezeichnung" aus Zahlen und Buchstaben, mit denen der Zeitpunkt der Entdeckung kodiert wird: 2002 LM60. Es war auch ziemlich bald klar, dass es sich um ein vergleichsweise großes Objekt handeln muss. 2002 LM60 war recht hell und angesichts seiner großen Entfernung von der Sonne muss er auch recht groß sein. Man schätzte den Durchmesser auf 1300 Kilometer. Damit wäre er immerhin halb so groß wie Pluto gewesen und das größte Objekt, das man seit Plutos Entdeckung 1930 im Sonnensystem bis dahin gefunden hätte. Und egal ob Planet oder nicht - so ein großes Ding braucht natürlich auch einen Namen. Die Entdecker suchten in der Mythologie der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere von denen, die in der Nähe der Palomar-Sternwarte lebten, nach Ideen. Ihr Vorschlag: Quaoar, nach der Schöpfergottheit der Tongva, die früher dort lebten, wo sich heute Los Angeles befindet.
Der Name wurde bekannt gegeben, noch bevor die Internationale Astronomische Union, die eigentlich für solche Benennungen zuständig ist, sich dazu äußern konnte. Denn normalerweise läuft es so, dass ein Asteroid nach seiner Entdeckung eine provisorische Bezeichnung bekommt und dann, wenn seine Bahn ausreichen gut bestimmt worden ist, eine offizielle Nummer. Und erst dann wird ein echter Name gesucht und vergeben. In diesem Fall war der Name vor der Nummer da, aber die IAU war nicht böse. Im Gegenteil, sie gab Quaoar die Nummer 50.000, um die Tatsache hervorzuheben, dass es sich wegen seiner Größe um ein besonderes Objekt handelt. Normalerweise werden die Asteroiden ja einfach in der Reihenfolge ihrer Entdeckungen durchnummeriert, aber für Quaoar hat man eine Ausnahme gemacht und ihn mit der schönen, runden Nummer 50.000 einsortiert.
Mittlerweile wissen wir, dass die ersten Schätzungen über die Größe von Quaoar etwas zu groß war. Der Asteroid hat einen Durchmesser von gut 1100 Kilometern, was aber immer noch sehr groß ist. Und besonders ist Quaoar auf jeden Fall. Wie alle größeren Objekte in der Region hinter der Umlaufbahn von Neptun ist auch Quaoar ein eisiger Himmelskörper. Seine Oberfläche ist mit gefrorenem Methan, Ethan, Ammoniak und Stickstoff bedeckt. Man hat aber auch Wassereis gefunden und Hinweise darauf, dass das Innere von Quaoar ein wenig wärmer ist. So warm, dass dort Wasser vielleicht auch flüssig sein kann und durch Spalten an die Oberfläche dringt. So einen "Eisvulkanismus" kennen wir auch von anderen Himmelskörpern, aber auch der ferne Quaoar zeigt, dass das Phänomen vielleicht häufiger ist, als man dachte.
2007 gab es dann die nächste Entdeckung bei Quaoar. Mike Brown hatte sich noch einmal die Bilder angesehen, die im Jahr zuvor mit dem Hubble-Weltraumteleskop gemacht wurden. Damals wollte man eigentlich nur möglichst gute Daten des neu entdeckten Objekts sammeln und Quaoar war tatsächlich auch der erste Asteroid hinter der Neptunbahn der mit Hubble untersucht wurde. Auf den Bildern war aber bei genauerer Betrachtung noch mehr zu erkennen: Nämlich ein kleiner Mond, der um Quaoar kreist. Diesmal fragte Mike Brown gleich direkt bei den Tongva selbst nach einem Namen für das Objekt und die Wahl fiel auf Weywot, den Himmelsgott und Sohn von Quaoar in der Mythologie der Ureinwohner. Weywot hat einen Durchmesser von circa 170 Kilometern und umkreist den Asteroid in einem Abstand von 14.500 Kilometer. Das Asteroiden Monde haben beziehungsweise es Doppelasteroide gibt ist nicht ungewöhnlich. Man hat schon einige davon gefunden und meistens entsteht so etwas bei Kollisionen, wo Bruchstücke des größeren Objekts dann in einer Umlaufbahn landen. Vermutlich war das auch bei Quaoar der Fall, der in der Vergangenheit mit einem anderen großen Asteroid zusammengestoßen sein muss.
Damit ist die Geschichte über den besonderen Asteroid aber noch nicht zu Ende. Im Februar 2023 gab die Europäische Weltraumagentur die Ergebnisse bekannt, die bei der Beobachtung von Quaoar durch CHEOPS gewonnen wurden. CHEOPS ist ein kleines Weltraumteleskop und der Name steht für "CHaracterising ExOPlanet Satellite". Und wie dieser Name sagt, ist es der eigentliche Job dieses Instruments, sich die Planeten anderer Sterne genauer anzusehen. Das tut das Teleskop, in dem es die Helligkeit von Sternen sehr genau misst und nach Verdunkelungem sucht, die durch vorbeiziehende Planeten verursacht werden. Aber mit der Helligkeitsmessungen von Sternen kann man auch andere Dinge herausfinden. Es kommt immer wieder mal vor, dass ein Asteroid des Sonnensystems von uns aus gesehen genau vor einem Stern vorüber zieht. Der Asteroid ist zwar sehr viel kleiner als so ein Stern aber natürlich auch sehr, sehr viel näher. Deswegen kann er das Licht des nur punktförmig erscheinenden Sterns verdunkeln. Das dauert meist nur sehr kurz, aber wenn man vorher darüber Bescheid weiß, kann man im richtigen Moment hinschauen. Und wenn man weiß, wie schnell sich der Asteroid bewegt kann man aus der Dauer der Verdunkelung seine Größe sehr viel exakter bestimmen als mit anderen Methoden.
Genau deswegen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das "Lucky Star project" gestartet und probiert, Sternbedeckungen durch Asteroiden vorherzusagen und zu beobachten. Dazu muss man natürlich die Position der Sterne möglichst gut kennen und ein wenig Glück braucht man auch noch. Das hatte man in diesem Fall und konnte zwischen 2018 und 2021 beobachten, wie mehrere Sterne von Quaoar bedeckt wurden. Normalerweise würde man erwarten, dass das Licht des Sterns in dem Moment verschwindet, in dem sich der Asteroid von uns aus gesehen vor ihn schiebt und dann wieder zu sehen ist, wenn er vorbei gezogen ist. Licht an, Licht aus, quasi. Nur war das hier nicht so. Der Stern flackerte zuerst ein wenig, bevor er nicht mehr zu sehen war und er flackerte ein wenig, bevor er wieder komplett sichtbar wurde. Hätte man die Beobachtung mit einem Teleskop von der Erde aus gemacht, dann wäre das wenig überraschend gewesen. Die Störungen durch die Erdatmosphäre können genau so einen Effekt erzeugen. Aber CHEOPS ist ein Weltraumeteleskop und deswegen blieb nur eine Möglichkeit, die Daten zu erklären: Quaoar ist von einigen dünnen Ringen umgeben!
Im Gegensatz zur Entdeckung des Asteroiden-Mondes Waywot ist ein Asteroiden-Ring durchaus überraschend. Wir kennen zwar andere Asteroiden die Ringe haben, aber sehr, sehr viel weniger als Asteroiden mit Monden. Und vor allem hat Quaoar Ringe, die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie ein Himmelskörper zu Ringen kommen kann. Es kann sich zum Beispiel um die Reste einer Kollision haben. Oder um Material, das von Eisvulkanismus stammt. Asteroideneinschläge auf Monden können Staub ins All schleudern, der einen Ring bildet. Und so weiter. Aber solche Ringe sollten sich eigentlich innerhalb der sogenannten "Roche-Grenze" befinden. Das ist, vereinfacht gesagt, der Abstand zu einem großen Himmelskörper, innerhalb dessen sich keine Monde befinden können. Kommt ein Mond zum Beispiel einem Planeten näher als das Roche-Limit, dann wird er durch dessen Gezeitenkräfte zerstört - und es entsteht ein Ring aus Trümmern. Gibt es irgendwelche Trümmer außerhalb der Roche-Grenze, dann sollten die sich im Laufe der Zeit zu einem Mond zusammenballen. Alle bekannten Ringe von Asteroiden befinden sich innerhalb der Roche-Grenze. Aber der Ring von Quaor nicht. Der Grund dafür könnten die extrem tiefen Temperaturen sein, die verhindern das die Eisteilchen aus denen die Ringe bestehen, zusammenhalten. Aber um das Rätsel der Ringe von Quaoar zu lösen, wird man noch sehr viel genauer hinschauen müssen.
Noch ist keine Raumsonde in der Nähe von Quaoar vorbeigeflogen. Aber es gibt Konzepte für die Erforschung dieses fernen Himmelskörpers. Wenn eine entsprechende Sonde gebaut wird, wird es aber auf jeden Fall bis zur Mitte des Jahrhunderts dauern, bis sie gestartet und bei Quaoar angekommen ist. Aber wer weiß, was wir dort dann zu sehen kriegen!
Sternengeschichten Folge 533: Die Bauernastronomen der frühen Neuzeit
Wer Astronomie betreiben will, muss dafür an der Universität studieren. Das ist richtig, denn immerhin ist die Astronomie eine ausgewachsene Naturwissenschaft. Man muss jede Menge mathematische und physikalische Grundlagen lernen; man muss all das verstehen lernen, was die Forscherinnen und Forscher in den letzten Jahrhunderten rausgefunden haben und erst dann kann man anfangen, eigene Beiträge zum astronomischen Wissen zu leisten. Aber die Astronomie ist eine spezielle Wissenschaft. Man kann den Himmel auch völlig ohne wissenschaftlichen Anspruch beobachten, einfach nur weil es Spaß macht. Und dabei, trotz allem, ab und zu auch der wissenschaftlichen Forschung helfen. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Bahnen von Himmelskörpern wie Asteroiden und Kometen zu bestimmen. Je mehr Beobachtungen man hat, desto genauer ist die Bahnbestimmung und man braucht zwar schon ein wenig Ahnung und entsprechende Instrumente, kann aber Asteroiden und Kometen auch beobachten, ohne zuvor an der Uni studiert zu haben.
Dass man Wissenschaft überhaupt als echten Beruf betreiben kann, ist eine vergleichsweise neue Sache. Vor ein-, zweihundert Jahren war das nur etwas für Leute, sich keine Sorgen darum machen mussten, wie sie ihr Geld verdienen. Weil man entweder zum Beispiel sowieso in einem Kloster gelebt und keinen Bedarf an Geld gehabt hat. Oder weil man anderweitig reich genug war. Man konnte studieren und man konnte danach an einer Universität arbeiten. Aber die Forschungsinfrastruktur die wir heute haben, war früher in der Form nicht vorhanden. Und deswegen gab es auch sehr unkonventionelle Wege zur Astronomie. Zum Beispiel die der sogenannten "Bauernastronomen". So wird eine Gruppe von Menschen genannt, die im 17. und 18. Jahrhundert astronomische Arbeit geleistet haben, obwohl sie Bauern waren.
Natürlich ist man nicht prinzipiell unfähig, den Himmel zu erforschen, nur weil man als Landwirt arbeitet. Aber im 17. und 18. Jahrhundert war es nicht immer einfach, an Bildung zu kommen. Wer nicht lesen oder schreiben konnte; wer nicht das Geld oder die entsprechenden Bekannten hatte, hatte wenig Chancen auf ein Studium und eine Karriere an der Universität. Und wer aus einer Bauernfamilie stammte, wurde im Allgemeinen selbst ein Bauer und kein Astronom. Um so spannender sind die Lebensläufe der "Bauernastronomen".
Der erste, der so genannt wurde, ist Nikolaus Schmidt. Obwohl man darüber streiten kann, ob er wirklich "Bauernastronom" genannt werden sollte. Schmidt wurde 1606 im heutigen Thüringen in Deutschland geboren, also zu einer Zeit, als die moderne Wissenschaft und die moderne Astronomie gerade erst entstanden. Johannes Kepler sollte sein berühmtes Werk "Astronomia Nova" erst 1609 veröffentlichen; die revolutionären Arbeiten von Galileo Galilei und Isaac Newton waren ebenfalls noch nicht erschienen. Teleskope zur Himmelsbeobachtung waren noch unbekannt. Und die Grenzen zwischen Astronomie und Astrologie damals sehr fließend. Nikolaus Schmidt jedenfalls war das Kind einer Bauernfamilie und hatte keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Ein Knecht auf dem Hof konnte aber lesen und schreiben und von ihm lernte Nikolaus - als Teenager - nicht nur ebenfalls lesen und schreiben sondern schnell auch Latein aus der Bibel. Durch seinen Onkel, der Schreiber war, kam er mit weiteren Büchern in anderen Sprachen in Kontakt, die er ebenfalls schnell lernte. Der junge Schmidt legte sich eine große Büchersammlung zu und war insbesondere von der Astronomie fasziniert. Sterne und Planeten konnte er ja auch selbst beobachten, was er auch tat und darüber Aufzeichnungen anfertigte, wie über das Wetter. 1633 wurde der Herzog im nahen Weimar auf Schmidt aufmerksam und dadurch Fürsten, Geistliche und andere einflussreiche und gelehrte Menschen. Sein im Selbststudium angesammeltes Wissen verwendete Schmidt vor allem um Kalender zu verfassen. Das mag aus heutiger Sicht nicht sonderlich wichtig klingen. Aber die Astronomie IST die Grundlage des Kalenders und im 17. Jahrhundert musste man die entsprechenden Daten mit dem nötigen astronomischen und mathematischen Wissen berechnen. So ein Kalender war auch mehr als nur eine Auflistung der Tage eines Jahrs. Er enthielt Daten über Auf- und Untergang des Mondes, die Mondphasen, die Länge des Tages, und so weiter - all das musste berechnet werden und das war die Arbeit eines Kalenderastronomen wie Schmidt. Und natürlich gab es dazu damals immer auch noch jede Menge astrologische Daten, Berechnungen und Prognosen. Jedes Jahr veröffentlichte Schmidt einen neuen Kalender und nach seinem Tod veröffentlichte sie sein Sohn weiter, bis weit in das 18. Jahrhundert hinein.
Schmidt starb 1671 - da war Christoph Arnold schon 21 Jahre alt. Auch er war der Sohn einer Bauernfamilie aus Sommerfeld bei Leipzig. Und so wie Schmidt war auch Arnold ein sehr wissbegieriges Kind, dass schon früh und schnell lesen und schreiben lernte. Seine Schulbildung war kurz, sein Selbststudium dafür umso intensiver. Den Sternenhimmel konnte er bei seiner Arbeit auf den Feldern und Weiden gut beobachten. Bücher fand er im nahegelegenen Leipzig und dort lernte er auch Gottfried Kirch kennen, einen der führenden deutschen Astronomen der damaligen Zeit. Von ihm lernte Arnold jede Menge, vor allem über Kometen. 1680 war einer davon hell am Himmel über Deutschland zu sehen; entdeckte hatte ihn Gottfried Kirch, aber auch Arnold beobachtete ihn von seiner kleinen Sternwarte, die er sich am elterlichen Hof eingerichtet hatte. Und nur wenig später, am 15. August 1682 entdeckte Arnold selbst einen Kometen. Acht Tage später wurde er auch vom berühmten Astronom Johannes Hevelius beobachtet und dass der Amateur Arnold früher dran war, hat die Aufmerksamkeit der damaligen Fachwelt auf ihn gelenkt. Arnold veröffentlichte seine Beobachtungen des Kometen und auch wenn sich dann herausstellte, dass er doch nicht der erste war, der ihn gefunden hatte, war es sein Einstieg in die offizielle Welt der Astronomie. Und 1686 fand er dann - diesmal wirklich als erster in Europa - einen weiteren Kometen. Arnold beobachtete die Verfinsterungen der Jupitermonde, Doppelsterne, den Merkurdurchgang und als er 1695 mit nur 45 Jahren starb, war er ein durchaus angesehener Astronom.
Wir werden uns den Kometen aus dem Jahr 1682, über den Arnold seine erste Arbeit geschrieben hat, noch genauer ansehen. Aber zuerst gehen wir ins Jahr 1715 in die Nähe von Dresden. Dort, im Dorf Cossebaude, wurde Johann Ludewig geboren. Auch er war der Sohn einer Bauernfamilie, auch er war schon als Kind wißbegierung und "empfand einen großen Appetit zum Bücherlesen", wie er selbst schrieb. Zuerst war er aber noch mit lesen beschäftigt und Ludewig las alles, was er kriegen konnte. Religiöse Bücher, aber auch welche über Astronomie und Philosophie. Und vor allem Mathe-Bücher. Denn Ludewig arbeitete nicht nur als Bauer, sondern auch als Steuereintreiber. Und damit er sich nicht dauernd zu seinen Ungunsten verrechnete, brachte er sich im Selbststudium neben seiner Arbeit auch noch die Mathematik bei: "Ich habe diese Lektionen unter all grobe Bauernarbeit einmischen müssen und nur hin und wieder eine Stunde oder etliche dazu anwenden können", schreibt Ludewig. Neben der Astronomie und Mathematik interessierte er sich auf für Philosophie und Logik und entwickelte daraus seine eigenen Gedanken über den Aufbau der Welt. 1753 lernte er den Finanzbeamten und Privatgelehrten Christian Gotthold Hoffmann kennen, der so beeindruckt von Ludewigs Wissen war, dass er ihn dazu ermuntert hat, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Das tat Ludewig und er schrieb außerdem noch eine mathematisch-astronomische Analyse der Sonnenfinsternis die am 26. Oktober 1753 stattfand. Später schrieb er noch eine Abhandlung mit dem schönen Titel "Versuch, ob man behaupten könne, daß zu einer wahren Gelehrsamkeit viel Bücherlesen eben nicht nötig sey" in der er zu dem Schluss kam, dass man nicht unbedingt viele Bücher lesen muss, solange man die richtigen Bücher nur ordentlich genug liest. Alle drei Werke wurden 1756 unter dem Titel "Der gelehrte Bauer" zusammengefasst und als Buch veröffentlicht.
Dieses Buch über den außerordentlich gebildeten Bauer aus dem Dresdner Umland verbreitete sich in ganz Europa. In Österreich las es der damalige Direktor der Universitätssternwarte Wien: Maximilian Hell - der nicht nur Astronom war, sondern auch Jesuit. Und als Katholik war es ihm gar nicht so recht, dass da ein sächsischer Bauer so prominent dargestellt wurde. Denn Ludewig kam aus einer protestantischen Gegend und wenn jemand von der Überlegenheit der katholischen Bildung überzeugt war, dann die Jesuiten. Also veröffentlichte Hell selbst ein kurzes Werk in seinem astronomischen Jahrbuch um auf die wissenschaftliche Leistung eines österreichischen Bauern hinzuweisen, der aus dem eindeutig katholischen Tirol stammte. Das war Peter Anich, geboren am 22. Februar 1723 in Oberperfuss in der Nähe von Innsbruck. Wie die bisher beschriebenen Bauernsöhne bekam auch Anich wenig organisierte Bildung. Aber er lernte ein bisschen was vom örtlichen Pfarrer, er war fasziniert von den Sternen und von seinem Vater bekam er diverse handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Im Selbstudium brachte er sich bei, wie man eine Sonnenuhr baut und die entsprechenden mathematischen Berechnungen dafür durchführt. Solche Uhren waren auch im 18. Jahrhundert noch relevant, denn es gab zwar Kirchturmuhren, die aber regelmäßig neu justiert werden musste und dafür brauchte man eine möglichst genaue Sonnenuhr als Basis. 1751 wollte Anich es dann genau wissen und ging nach Innsbruck zu Ignaz Weinhart, Jesuit und damals Professor für Mathematik und Physik an der Universität. Weinhart gab Anich Privatunterricht für den der Bauer an seinen freien Tagen zu Fuß nach Innsbruck gehen musste; ein mehrstündiger Marsch in jede Richtung. Am Ende seiner Ausbildung sollte Anich für Weinhart einen Himmelsglobus bauen. Mit seinem astronomisch-mathematisch Wissen führte Anich die nötigen Berechnungen durch um insgesamt 1827 Sterne korrekt darstellen zu können. Dank seinem Wissen über Uhren und Mechanik konnte er ein Uhrwerk einbauen, dass den Globus analog zum realen Himmel drehen ließ und das von seinem Vater erlernte Drechslerhandwerk war die Grundlage für den Bau des Globus aus Holz. Das Stück erregte Aufmerksamkeit; Anich baute weitere Globen und Messinstrumente und begann auch sich mit Kartografie zu beschäftigen. Professor Weinhart regte beim kaiserlichen Hof an, dass man Anich mit der Erstellung einer Karte von Tirol beauftragen sollte. Was auch geschah und fünf Jahre lang zog Anich durch das ganze Land um alles genau zu vermessen. Er entwickelte die damaligen kartografischen Verfahren weiter und da er als Bauer auch einen guten Kontakt zu den Menschen hatte, konnte er jede Menge Namen von Bergen, Dörfern, und anderen geografischen Objekten in seine Karte aufnehmen, die bis dahin noch nicht offiziell erfasst worden waren. Der "Atlas Tyrolensis" wurde erst 1770, vier Jahre nach Anichs Tod veröffentlicht, mit Hilfe von Anichs Schüler und Nachfolger Blasius Hueber, ebenfalls Kind einer Bauernfamilie. Der Atlas von Tirol galt damals als die "bedeutendste angesehene und international bekannteste österreichische Karte". Sie ist fast fünf Quadratmeter groß, im Maßstab 1: 103.800. Sie ist heute noch von Bedeutung, zum Beispiel für die Gletscherforschung, da Anich die Ausdehnung der Gletscher sehr genau eingezeichnet hat, aber auch für die Erforschung historischer Ortsnamen.
Gehen wir wieder zurück nach Sachsen. Dort wurde, in Tolkewitz bei Dresden, im Jahr 1705 Christian Gärtner geboren. Er war kein Bauer, sondern Sohn eines Zwirnhändlers; ein Beruf in dem er später selbst arbeitete. Dabei kam er immer wieder auch nach Leipzig, wo er Buchhändler, Studenten und vor allem Mechaniker traf. Von ihnen lernte er das Schleifen von Linsen und konnte jetzt endlich selbst Fernrohre bauen und der Leidenschaft nachgehen, die ihn seit seiner Kindheit fasziniert hatte: Die Beobachtung des Himmels. Er machte sich einen Namen als jemand, der Teleskope bauen konnte und Ahnung vom Himmel hatte; baute sich seine eigenen Sternwarte und wurde vom Fürsten in Dresden gebeten, eine Sternwarte zu bauen. Und vor allem war er Lehrer und Förderer von Johann Georg Palitzsch. Der war wieder ein Sohn aus einer Bauernfamilie und wurde ebenfalls in der Nähe von Dresden geboren. Und so wie alle anderen die bisher erwähnt wurden, als Kind an der Wissenschaft interessiert. Astronomie und Physik brachte er sich selbst bei; bis er Christian Gärtner kennenlernte. Dort konnte er das erste Mal durch ein Teleskop schauen; bei ihm fand er auch die Kontakte zur Dresdner Gelehrtenwelt. Palitzsch war oft zu Gast im "Mathematisch-Physikalischen-Salon", traf andere Forscher und erfuhr dort auch von der Arbeit des Engländers Edmond Halley. Der Zeitgenosse und Freund von Isaac Newton nutzte dessen neue Theorie der Gravitation um diverse Kometenbeobachtungen zu untersuchen. Und fand dabei heraus, dass viele Kometen, die man für unterschiedlich hielt, in Wahrheit wiederholte Sichtungen von dem selben Objekt sind, dass sich auf einer regelmäßigen Umlaufbahn um die Sonne befindet. Das letzte Mal war dieser Komet 1682 in der Nähe der Erde, es war genau das Objekt, dass damals Christian Arnold beobachtet hatte. Und Halley sagte die Wiederkehr dieses Kometen für das Jahr 1758 voraus. Halley selbst starb schon 1742, aber die Welt der Astronomie war gespannt: Würde der Komet wirklich zum vorhergesagten Zeitpunkt kommen? Und vor allem: Wer würde ihn als erster sehen? Es war keiner der professionellen Astronomen an den großen Sternwarten der Welt. Sondern der sächsische Bauernastronom Johann Georg Palitzsch, der mit dieser Beobachtung in ganz Europa berühmt wurde.
Die Geschichten dieser Astronomen zeigen vor allem eines: Wenn man wirklich von den Sternen fasziniert ist, dann findet man auch einen Weg, sich damit zu beschäftigen. Wenn man aus einem bildungsfernen Umfeld stammt, ist es zwar ein wenig schwerer. Am Ende findet man seinen Weg zu den Sternen.
Sternengeschichten Folge 532: Wie man das Leben auf der Erde ausrotten kann
Ok, ich gebe zu, dass der Titel dieser Folge etwas pessimistisch klingt. Was ist das für ein komisches Thema; warum sollte man sich damit beschäftigen, wie man das Leben auslöschen kann? So was kommt in irgendwelchen Comics vor, wo Superbösewichte alles zerstören wollen. Aber die Wissenschaft hat doch hoffentlich besseres zu tun, als den Untergang der Welt zu planen? Hat sie natürlich, zum Beispiel die Suche nach Leben auf anderen Himmelskörpern. Aber genau deswegen muss man sich auch mit der Auslöschung des Lebens beschäftigen. Das Problem bei der Suche nach außerirdischem Leben ist ja, dass wir keine Ahnung haben, wie vielversprechend die ganze Angelegenheit ist. Wir kennen genau einen Himmelskörper im Universum, auf dem definitiv Leben entstanden ist und das ist die Erde. Wir wissen zwar mittlerweile halbwegs gut, wie sich das Leben in den letzten paar Milliarden Jahren entwickelt hat. Wir haben aber immer noch kaum eine Ahnung, was dazu geführt hat, DASS das Leben entstanden ist. Wir kennen nicht alle Voraussetzungen, die nötig sind, damit aus unbelebter Chemie lebendige Biologie entstehen kann. Was nichts anderes bedeutet: Wir können nicht sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass irgendwo Leben entsteht. Was aber eine durchaus relevante Information wäre! Ebenso relevant ist aber auch das Gegenteil davon: Um zu wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass man irgendwo Leben finden kann, müssen wir nicht nur wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass es entsteht, sondern auch, wie wahrscheinlich Leben wieder ausgelöscht wird.
Ich sage es zur Sicherheit noch einmal dazu: Es geht hier nicht um irgendwelche Science-Fiction-Szenarien. Ich rede nicht von intelligenten Aliens, die sich vielleicht durch irgendeinen Alien-Atomkrieg selbst auslöschen oder so. Es geht ganz allgemein um Leben. Um irgendwelche Pflanzen, Mikroorganismen, und so weiter. Die führen natürlich keinen Atomkrieg und man muss sich andere Ursachen anschauen, wenn man wissen will, was sie auslöschen könnte.
Menschen sind nicht sehr widerstandsfähig, zumindest wenn man sie mit anderen Lebewesen vergleicht. Ein paar Minuten ohne Sauerstoff; ein paar Minuten in kochendem Wasser; ein bisschen zu viel Druck und wir sind tot. Andere Tiere halten da wesentlich mehr aus. Zum Beispiel die Bärtierchen - das sind keine Bären, sondern winzige Lebewesen, die höchsten 1,5 Millimeter groß werden. Sie leben quasi überall wo es Wasser gibt oder es feucht genug ist. In den Meeren, in den Flüssen und Seen, im Moos, auf Pflanzen, im Boden, und so weiter. Und sie sind zäh! Man kann sie auf -272 Grad abkühlen, also fast auf den absoluten Nullpunkt oder auf 150 Grad aufheizen und sie halten trotzdem noch durch, zumindest ein paar Minuten. Und wenn die Temperaturen nicht so extrem sind, dann tangiert sie das quasi gar nicht. Man kann sie dem extremen Druck am tiefsten Punkt des Ozeans aussetzen und sie kommen damit klar; ebenso wie den Bedingungen im Weltraum (zumindest einige Zeit lang). Man kann sie einer radioaktiven Strahlung aussetzen, die tausend mal stärker ist als die für Menschen tödliche Dosis und sie halten das locker aus. Kurz gesagt: Wenn wir einen Weg finden, die Bärtierchen auszurotten, dann haben wir mit ziemlicher Sicherheit auch einen Großteil des restlichen Lebens auf der Erde ausgelöscht.
Im Prinzip gibt es drei Phänomene, die ausreichend mächtig wären, um das zu bewerkstelligen: Asteroideneinschläge, Supernova-Explosionen und Gammablitze. Fangen wir mit den Asteroideneinschlägen an: Da reicht natürlich nicht irgendein Asteroid. Dass die durchaus in der Lage sein können, ein Massensterben zu verursachen, haben wir ja in der Vergangenheit oft genug gesehen. Die Dinosaurier sind die prominentesten Opfer, aber bei weitem nicht die einzigen. Aber selbst bei diesem Ereignis vor 65 Millionen Jahren haben die meisten Fische im Meer überlebt. Und die Bärtierchen haben damals vermutlich nicht mal mit der Wimper gezuckt (wenn sie denn Wimpern gehabt hätten). Man müsste schon den gesamten Ozean zum Kochen bringen um sie in Bedrängnis zu bringen. Aber das würde man prinzipiell hinkriegen können. Um die Temperatur der Meere um 1 Grad zu erhöhen, muss man gut 6 x 10 hoch 24 Joule in sie hineinstecken. Das ist sehr viel Energie; ungefähr ein 1/70 der Energie die unsere Sonne pro Sekunde erzeugt oder 11 mal so viel Energie wie der Einschlag des Asteroids freigesetzt hat, der damals die Dinos ausgerottet hat. Aber selbst dann hat man die Temperatur nur um ein Grad erhöht. Wir brauchen hundert mal so viel! Man kann leicht ausrechnen, wie viel Masse ein Himmelskörper haben muss, damit seine Bewegungsenergie beim Einschlag ausreichend viel Wärmeenergie freisetzt um die Ozeane zum Kochen zu bringen: circa 2 Trillionen Kilogramm.
Das klingt viel und ist auch viel. Aber wenn wir uns mal die Asteroiden im Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter anschauen, dann finden wir einige, die das hinkriegen. Ceres, der größte Asteroid dort, hat zum Beispiel eine fast 500 mal größere Masse. Vesta und Pallas, die nächstgrößeren Asteroiden haben immer noch weit mehr als das hundertfache der Masse, die man braucht um die Ozeane zu verkochen. Insgesamt sind es gut 30 Asteroiden im Sonnensystem, die die Bedingung erfüllen. Dazu kämen dann natürlich noch ein Schwung großer Monde der Planeten und die Planeten selbst. Aber es ist definitiv nicht damit zu rechnen, dass ein anderer Planet auf der Erde einschlägt; genauso wenig wird ein Mond seinen Planeten verlassen und mit uns kollidieren. Und auch die ausreichend großen Asteroiden bewegen sich alle auf stabilen Bahnen und sind für uns nicht gefährlich. Wäre es anderes, dann wären solche Kollisionen in den vergangenen Milliarden Jahren ja schon passiert.
Aber wir sehen, dass es zumindest prinzipiell möglich ist: Es gibt Asteroiden, die ausreichend viel Masse haben, um bei einer Kollision die Bärtierchen und alle anderen Tiere auszulöschen. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Über die gesamte typische Lebensdauer eines Planeten gerechnet, liegt die Wahrscheinlichkeit für so ein Ereignis bei unter einem Hunderttausendstel.
Aber wie schaut es mit Gammablitzen und Supernova-Explosionen aus? In beiden Fällen handelt es sich um das, was passiert wenn große Sterne am Ende ihres Lebens explodieren. Dabei wird sehr viel potenziell gefährliche kosmische Strahlung frei und ganz besonders viel, wenn der explodierende Stern sehr groß ist, weswegen man dann nicht mehr von einer Supernova, sondern einem Gammablitz spricht. Wenn diese Strahlung auf die Erde trifft, dann kann sie einerseits die Ozonschicht schädigen, was zu noch mehr Strahlung auf der Erde führt, da diese Schicht eine Art Schutzschild vor der kosmischen Strahlung bildet. Gammablitze und Supernova-Explosionen können aber auch direkt Energie in die Ozeane übertragen und sie erwärmen. Wasser bildet allerdings auch einen Schutz vor kosmischer Strahlung und man kann sie ausrechnen, wie viel Strahlung in einer gewissen Tiefe noch übrig bleibt. Dann sieht man: Wenn man ausreichend viel Strahlung hat, um Bärtierchen in einer bestimmten Meerestiefe durch diese Strahlung zu töten, dann muss die so energiereich sein, dass der Ozean darüber allein dadurch darüber schon weggekocht ist. Es reicht also, sich auch hier auf den Temperaturanstieg zu konzentrieren.
Eine Supernova, die ausreichend mächtig ist um die Ozeane zum Kochen zu bringen, müsste auf jeden Fall näher als 0,13 Lichtjahre sein. Das wäre quasi noch in unserem Sonnensystem; das entspricht der 8250fachen Distanz zwischen Sonne und Erde. Gut, es wäre in den äußersten Bereichen des Sonnensystems, aber es wäre enorm nahe und wir wissen, dass da bei uns kein großer Stern rumhängt. Der uns nächstgelegene Stern ist Proxima Centauri, in 4 Lichtjahren Entfernung und der ist erstens viel zu klein, um als Supernova zu enden. Und selbst wenn Proxima ein größerer Stern wäre, würde eine Supernova in dieser Entfernung bei uns gerade mal zu einem Temperaturanstiegt von 0,1 Grad in den Ozeanen führen.
Gammablitze sind deutlich energiereicher und wenn wir den schlechtesten Fall annehmen, also davon ausgehen, dass die gesamte Energie so einer Mega-Explosion in Richtung Erde strahlt, dann reicht schon ein Abstand von gut 45 Lichtjahren um die Meere zum Kochen zu bringen. Es wird aber nicht jeder Stern am Ende seines Lebens einen Gammablitz erzeugen; das tun wirklich nur die, die sehr, sehr groß sind. Und von denen gibt es nicht sehr viele. Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Gammablitz ausreichend nahe stattfindet und dabei die ganze Strahlung in Richtung der Erde gelangt ist enorm gering und liegt bei einem 10 Milliardstel.
Es ist also durchaus schwer, das ganze Leben auf einem Planeten auszulöschen. Und genaugenommen haben wir ja auch nicht vom gesamten Leben gesprochen, sondern nur vom tierischen Leben. Ok, die Pflanzen würden die beschriebenen Ereignisse auch nicht überleben. Aber die Welt ist ja voll mit Mikroorganismen; mit Bakterien und so weiter und die können durchaus noch zäher sein als die Bärtierchen. Es gibt Mikroorganismen, die kilometertief im Gestein leben und vermutlich nicht mal dann Probleme kriegen, wenn man die gesamte Erdkruste aufschmelzen würde. Es würde dann vermutlich wieder ein paar Milliarden Jahre dauern, bis sich aus diesen Überlebenden neue Tiere und Pflanzen entwickelt hätten. Aber sofern ma den Planeten nicht komplett zerstört und quasi zerbröselt, wird man die Mikroorganismen nur schwer los werden.
Um Tiere und Pflanzen auszurotten muss man sich dafür vermutlich nicht ganz so anstrengen. Ein gewaltiger Asteroid oder ein Gammablitz vor der Haustür schaffen den Job zwar auf jeden Fall. Aber wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, dann geht es auch mit weniger Energie. Durch den menschengemachten Klimawandel sind wir ja gerade dabei, die Temperatur der Meere und der Atmosphäre zu erhöhen. Wir werden es natürlich nicht schaffen, die Meere zum Kochen zu bringen. Aber es reicht auch schon ein deutlich geringerer Anstieg, um die komplexen ökologischen Netzwerke und Nahrungsketten durcheinander zu bringen. Und wenn das Bärtierchen nix mehr zum Fressen findet, dann nutzt ihm seine Zähigkeit auch nichts.
Wir können diese Folge also mit einem gemischten Fazit beenden. Es ist einerseits sehr unwahrscheinlich, dass ein einziges Ereignis das Leben auf der Erde auslöscht. Wir sollten aber trotzdem sehr gut darüber nachdenken, wie wir mit der Welt umgehen. Denn zumindest wir Menschen sind nicht so unverwundbar wie das Bärtierchen.
Ich würde mich freuen, wenn ihr den Podcast für den Ö3-Podcast-Award nominiert: https://oe3.orf.at/podcastaward/stories/3030108/
Sternengeschichten Folge 531: Wer ist zuständig wenn die Aliens kommen?
In den Science-Fiction-Filmen ist die Sache immer recht klar: Wenn dort jemand außerirdisches Leben entdeckt, dann landet die Sache sehr schnell auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten. Und dort wird zusammen mit Militär und Geheimdiensten beschlossen, wie man weiter vorgehen muss und ob die Bevölkerung informiert werden soll. Nur ist das eben Science Fiction. Wie sieht es in der Realität aus?
Dort ist die Sache, wenig überraschend, nicht ganz so eindeutig. Das fängt schon mal damit an, dass Wissenschaft im Allgemeinen nicht im Geheimen stattfindet. Vor allem nicht die Astronomie. Sternwarten stehen überall auf der ganzen Welt und die Menschen die dort forschen und arbeiten sind nicht alle beim Geheimdienst angestellt. Sondern ganz normale Menschen. Und dann sind da noch all die vielen Leute, die den Himmel Nacht für Nacht als Hobby beobachten. Mit der Geheimhaltung wird es da also schwer. Gut, wenn jetzt irgendwelche gigantischen Alien-Raumschiffe am helllichten Tag mitten in einer Stadt landen, dann ist die Sache sowieso klar. Aber lassen wir diesen doch eher unrealistischen Fall mal beiseite und schauen wir uns an, was in der Praxis passieren würde, wenn irgendwo jemand Anzeichen für die Existenz eines außerirdischen Raumschiffs entdecken würde, dass durchs Sonnensystem fliegt.
Zuerst einmal kann man davon ausgehen, dass da nicht ein Astronom oder eine Astronomin steht und tatsächlich mit eigenen Augen durch ein Teleskop schaut und dort plötzlich ein Ding wie das Raumschiff Enterprise sieht. Vor allem, weil man in der Astronomie so gut wie gar nicht mit eigenen Augen durch Teleskope schaut. Das machen Kameras und man untersucht die Bilder die sie machen, später auf einem Computer. Vermutlich würde man also zuerst etwas sehen, das wie die typische Entdeckung eines Asteroiden oder Kometen aussieht. Also einen Lichtpunkt an einer Position, wo kein Stern ist und wo zuvor auch kein Lichtpunkt war. Solche Entdeckungen sind mittlerweile Standard und passieren fast in jeder Nacht. Man muss dann natürlich auch mehr Aufnahmen machen, am besten über mehrere Nächte hinweg. Und würde dann sehen, dass sich der Punkt bewegt; was aber noch immer nichts mit Raumschiffen zu tun hat. Denn Asteroiden bewegen sich ja auch. Erst eine längere und genauere Analyse würde dann eventuell zeigen, dass sich der Punkt nicht so bewegt wie ein natürlicher Himmelskörper. Also nicht nur allein durch den Einfluss der Gravitation der Sonne, sondern unter seiner eigenen Kraft, mit einem Antrieb.
Und sobald das geklärt ist, greift man zum Telefon und wählt die Nummer des Präsidenten? Natürlich nicht. Abgesehen davon, dass die wenigstens Astronominnen und Astronomen die Nummer des Präsidenten haben, egal obs der amerikanische ist oder das Oberhaupt irgend eines anderen Landes: So schnell läuft das mit Entdeckungen nicht. Man muss zuerst mal ausschließen, irgendeinen Fehler gemacht zu haben. Deswegen wird man erst mal die Kolleginnen und Kollegen anderer Sternwarten bitten, die Beobachtung zu überprüfen. Was man vermutlich sowieso schon früher gemacht hat, als man noch dachte es mit einem Asteroid zu tun zu haben. Denn man hat ja nicht immer gutes Wetter um beobachten zu können. Andere wollen das Teleskop für ihre eigenen Zwecke benutzen. Und so weiter: Genau aus diesem Grund arbeiten die Forscherinnen und Forscher zusammen um ein einmal entdecktes Objekt nicht wieder zu verlieren. Außerdem hat man die Entdeckung sowieso schon an die entsprechenden Stellen gemeldet, man möchte ja klar machen, wer den Asteroid zuerst gefunden hat. Und die entsprechende Stelle ist in diesem Fall das "Minor Planet Center" der Internationalen Astronomischen Union. Also keine Regierungsbehörde, sondern eine wissenschaftliche Organisation.
Halten wir also fest: Lange bevor klar ist, dass da ein Raumschiff durch die Gegend fliegt, wissen schon jede Menge Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt darüber Bescheid, dass da ein potenziell interessanter Himmelskörper aufgetaucht ist. Und da die ganzen Daten öffentlich zugänglich sind, kann das im Prinzip auch der Rest der Welt wissen. Und innerhalb der Forschungsgemeinschaft wird diskutiert werden, ob man die komische Bewegung des "Asteroids" irgendwie anders erklären kann oder ob man es wirklich mit Aliens zu tun hat. Und, so wie in der Wissenschaft üblich, wird diese Diskussion eher auch nicht geheim stattfinden. Die Leute werden Fachartikel schreiben, sie veröffentlichen, und so weiter.
Aber tun wir mal so, als hätte man wirklich einwandfrei ein außerirdisches Raumschiff identifiziert. Und bis auf eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen weiß niemand davon. Sollte man jetzt das Staatsoberhaupt kontaktieren? Die Polizei anrufen? Kann man alles machen. Kann man auch nicht machen. Man kann auch irgendwen anderen anrufen oder niemanden. Denn es gibt keinen offiziellen Plan, an den man sich in so einem Fall halten müsste. Es gibt keine Gesetze, die diesen Fall abdecken. Zumindest nicht so detailliert, wie man es sich wünschen würde. Die in den Vereinten Nationen organisierten Länder haben schon ein paar völkerrechtliche Gesetze über den Weltraum geschlossen, die aber alle weitestgehend mit Menschen zu tun haben. Da wird zum Beispiel geregelt, wie der Weltraum und andere Himmelskörper erforscht werden (und das zum Beispiel kein Land Anspruch auf den Mond erheben kann). Oder wie man sich bei Notfällen im All gegenseitig zu helfen hat; wer verantwortlich ist, wenn Weltraumschrott auf die Erde fällt, und so weiter. Aber da steht nirgendwo drin, was zu passieren hat, wenn die Aliens kommen.
Was nicht heißt, dass sich darüber niemand Gedanken gemacht hat. Insbesondere die Forscherinnen und Forscher, die im Bereich von SETI arbeiten haben das sehr ausführlich getan. "SETI" steht für "Search for Extraterrestrial Intelligence" und beschäftigt sich mit der Suche nach Spuren intelligenter außerirdischer Wesen; vor allem die Suche nach Signalen, die irgendwelche Alien-Zivilisationen vielleicht ins All geschickt haben. Da stellt sich ja die gleiche Frage: Wenn man irgendwann mal zweifelsfrei eine Botschaft aus dem All empfangen hat, die von Aliens abgeschickt worden ist, was macht man dann? Wer wird informiert und wann? Wer antwortet auf die Botschaft und wie? Im Laufe der Zeit sind da jede Menge Vorschläge gemacht worden. Zum Beispiel, dass man am besten schon vorher eine entspreche Antwort verfasst, weil vermutlich alles ziemlich konfus und hektisch wird, wenn man die Botschaft erst mal empfangen hat. Was prinzipiell sinnvoll klingt, aber in der Praxis auch eher komisch ist. Denn so eine vorbereitete Antwort kann notwendigerweise nicht auf das eingehen, was in der Alien-Botschaft drin steht. Und wer weiß, was die sich denken, wenn sie bei uns anrufen und dann quasi nur der Anrufbeantworter dran geht…
Man sollte sich vor einer Antwort schon damit beschäftigen, was in der Botschaft steht. Das muss man natürlich erst mal rauskriegen und das wird unter Umständen nicht so einfach sein und kann länger dauern. Es braucht, so lauten viele Vorschläge, eine Art Komitee, eine offizielle Behörde oder irgendwas in der Art, die vor allem aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht und sich mit der Antwort beschäftigt. Und die kann und soll man dann am besten wirklich schon gründen, bevor es soweit ist. Bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit könnte man sich - auch das ein Vorschlag - an der Kommunikation von Nuklearunfällen orientieren. Wenn man sich allerdings ansieht, wie das in der Vergangenheit in der Realität abgelaufen ist, ist das eventuell auch keine so gute Idee.
Natürlich besteht immer die Gefahr, dass ein einziges Land die Information für sich behalten will. Da Wissenschaft aber eigentlich fast nur noch international funktioniert, wird das schwierig. Aber sicherheitshalber sollte so ein Komitee oder so eine Behörde natürlich übernational organisiert sein. Und, auch das wurde in einem wissenschaftlichen Artikel so ausgeführt, wenn einmal die Aliens da sind, ist das mit den Streitigkeiten der Länder vermutlich eh bald vorbei. Weltmächte wie die USA oder Russland wären dann angesichts der Aliens nur mehr so wichtig wie es heute Andorra, Monaco oder San Marino sind.
Das offizielleste was es an Plänen für den Erstkontakt gibt, sind auf jeden Fall die Richtlinien, die die SETI-Forschung 1990 veröffentlicht und 2010 aktualisiert hat. Da drin steht, dass man zuerst natürlich einmal so gut wie nur irgendwie möglich sicher stellen muss, dass man es wirklich mit einer Alien-Botschaft zu tun hat. Und dann soll alles was man darüber weiß komplett der Öffentlichkeit, der restlichen wissenschaftlichen Gemeinschaft und der UNO bekannt gegeben werden. Genauer gesagt: Der UN-Generalsekretärin bzw. dem UN-Generalsekretär. Was übrigens auch der einzige Punkt ist, der tatsächlich so in einem völkerrechtlichen Vertrag steht. Seit dem 10. Oktober 1967 gibt es den Weltraumvertrag, bzw. den Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper wie es offiziell heißt. Dort kann man in Artikel XI lesen "Um die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Erforschung und Nutzung des Weltraums zu fördern, unterrichten die Vertragsstaaten, die im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper tätig sind, den Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Welt in größtmöglichem Umfang, soweit irgend tunlich, von der Art, der Durchführung, den Orten und den Ergebnissen dieser Tätigkeiten. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist gehalten, diese Informationen unmittelbar nach ihrem Eingang wirksam weiterzuverbreiten"
Ok, das ist sehr allgemein und von Aliens steht da nichts. Aber immerhin werden die Vereinten Nationen als offizielle Ansprechpartner für Forschungsergebnisse im All genannt. Ob man dann aber wirklich bei der UNO anruft, wenn man Aliens entdeckt hat, bleibt offen. Deutschland zumindest hat keinen offiziellen Plan, und das ist offiziell. Am 7. August 2018 gab Ulrich Nußbaum, damals Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Antwort auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek von den Grünen. Die Frage lautete: "Welche Vorkehrungen, Protokolle oder Pläne für einen möglichen Erstkontakt mit außerirdischem Leben gibt es auf Seiten der Bundesregierung und der ihr unterstellten Behörden, und in welchen konkreten Fällen war die Möglichkeit eines solchen Kontaktes Gegenstand eines bi- oder multilateralen Gesprächs mit anderen Staaten?". Die Antwort: "Für einen möglichen Erstkontakt mit außerirdischem Leben gibt es keine Protokolle oder Pläne, da die Bundesregierung einen Erstkontakt auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand für äußerst unwahrscheinlich hält"
In Österreich ist die rechtliche Lage übrigens ein wenig anders. Denn im Gegensatz zu Deutschland gehört Österreich zu den wenigen Ländern, die den sogenannten "Mondvertrag" der Vereinten Nationen ratifiziert haben. Offiziell heißt es "Übereinkommen zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten auf dem Mond und anderen Himmelskörpern" und war als Erweiterung des Weltraumvertrags von 1967 gedacht. Das haben aber nur 18 Staaten ratifiziert, unter anderem eben Österreich. In Artikel 5, Absatz 3 dieses Vertrags kann man aber lesen: "Bei der Ausübung ihrer Aktivitäten sollen die Staaten unverzüglich den UN-Generalsekretär, sowie die Öffentlichkeit und die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft von allen Phänomenen informieren, die sie im Weltraum, inklusive dem Mond, entdecken und die eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Menschheit oder irgendwelche Anzeichen von organischem Leben darstellen".
Sollte also in Zukunft eine österreichische Weltraummission auf dem Mond oder irgendwo sonst im All auf die Spuren von Aliens treffen, dann wird die UNO einen Anruf aus Wien bekommen müssen.
Sternengeschichten Folge 530: Die Vatikanische Sternwarte
Heute geht es um die Sternwarte des Vatikan. Und vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere, wieso der Papst ein eigenes Observatorium braucht? Was hat die katholische Kirche mit einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung am Hut? Und was wird da überhaupt erforscht?
Ok - die ersten beiden Fragen sind recht einfach zu beantworten. Ich habe in den vergangenen Folgen immer wieder Mal über Zeitrechnung und Zeitmessung erzählt. Das erscheint uns heute, wo es überall Uhren und Kalender gibt, sehr trivial. Aber früher war es nicht so einfach, einen exakten Überblick über die Uhrzeit oder den Jahreslauf zu haben. Im Alltag war das auch nicht unbedingt dramatisch wichtig. Man ist aufgestanden, wenn es hell wurde und wenns dunkel geworden ist, ging man halt wieder ins Bett. Die Menschen haben keine Terminkalender gehabt, die Minute für Minute durchgeplant war; wenn man verreist ist, war man sowieso ein paar Tage oder Wochen unterwegs und ob man da jetzt ein paar Stunden früher oder später ankommt, war egal. Aber ein paar Situationen gab es dann schon, wo es wichtig war, die genaue Zeit zu kennen. Die Landwirtschaft musste halbwegs genau darüber Bescheid wissen, wann der Frühling anfängt, der Herbst beginnt, und so weiter, um alles entsprechend zu organisieren. Und die Kirche musste wissen, wann die religiösen Feste gefeiert werden müssen. Gerade beim wichtigsten Fest der Christen - Ostern - ist das gar nicht so einfach zu bestimmen; es ist ein bewegliches Fest, das jedes Jahr an einem anderen Tag gefeiert wird und dessen genaues Datum von den Mondphasen, dem Lauf der Sonne, und ein paar anderen Details abhängt. Kurz gesagt: Wer genau wissen will, wie spät es ist und genau wissen will, wie der Kalender läuft, konnte das früher nur durch entsprechende und langwierige astronomische Beobachtungen herausfinden.
Um die Verbindung zwischen Kirche und Astronomie zu sehen, müssen wir ja nur schauen, welchen Kalender wir heute immer noch benutzen. Es ist der sogenannte Gregorianische Kalender und der heißt deswegen so, weil seine Einführung 1582 von Papst Gregor XIII. verordnet worden ist. Der alte, noch aus der Antike stammende julianische Kalender war viel zu ungenau und deswegen brauchte es eine Reform. Und die notwendigen astronomischen Beobachtungen und Berechnungen für einen besseren Kalender. Das dafür eingerichtete Institut, das 1578 auch eine eigene Sternwarte bekam, war der Ursprung der heutigen Vatikansternwarte. Geleitet wurde und wird die Einrichtungen von Mitgliedern des Jesuitenordens. Nach seiner Gründung im Jahr 1534 hat sich dieser Orden auf die Bildung konzentriert, um die Mitarbeiter der Kirche besser ausbilden zu können. Die Jesuiten haben dabei nicht nur auf religiöses Wissen gesetzt, sondern auch die klassischen Wissensdisziplinen des Mittelalters unterricht, zu denen auch Mathematik, Geometrie und Astronomie gehören. Es ist deswegen nicht überraschend, dass sich unter ihnen auch jede Menge Astronomen finden, die wichtige Beiträge zur Forschung geleistet haben.
Zum Beispiel Christoph Clavius, der erste Leiter der Sternwarte der auch die Arbeiten zur Kalenderreform durchgeführt hat. Er war und blieb zwar ein Anhänger des geozentrischen Weltbilds, stellte mit seinen Beobachtungen aber fest, dass die alte Sicht des Universums, nach der der Himmel auf ewig unveränderlich sein muss, nicht stimmen konnte. Sein Nachfolger als Leiter der Sternwarte war Christoph Grienberger. Er war ein Freund von Galileo Galilei und hat dessen Entdeckungen auch privat zugestimmt. Als Vertreter der Kirche schrieb er beim Prozess zu Galileis angeblicher Ketzerei zwar ein eher wohlwollendes Gutachten, das aber dann doch zu zurückhaltend war, um ihn vor der Verurteilung zu schützen. Er war auch an der Erfindung der parallaktischen Montierung beteiligt, eine heute weit verbreitete Art, ein Teleskop zu montieren, so dass man es leicht mit der scheinbaren Bewegung der Sterne mitführen kann.
1850 hat Angelo Secchi die Leitung der Sternwarte übernommen, der sich dort mit der damals gerade in Entstehung begriffenen Spektroskopie beschäftigt hat. Er gehörte zu den ersten, die das Sternenlicht mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufspaltete. Heute ist das eine der wichtigsten Methoden in der modernen Astronomie, wenn man herausfinden will, woraus ein Stern besteht. Damals war es komplettes Neuland; Secchi fand aber bei seiner Forschung immerhin ein paar markante Unterschiede die er für eine erste Einteilung der Sterne anhand ihrer Spektralklassen nutzte. Sie wurde zur Grundlage der heute immer noch verwendeten Harvard-Klassifikation, bei der die Sterne in die Spektralklassen O, B, A, F, G, K und M unterteilt werden, wie ich in Folge 132 ja schon ausführlich erklärt habe. Neben den fernen Sternen hat sich Secchi auch mit der Sonne beschäftigt und bei der Sonnenfinsternis im Jahr 1860 das erste Foto der Sonnenkorona gemacht, also der äußersten Schicht der Sonnenatmosphäre die normalerweise zu schwach leuchtet, um beobachtet zu werden.
Ein paar Jahre nach Secchis Tod musste die Sternwarte übersiedeln; der alte Kirchenstaat wurde vom 1870 neu entstandenen Königreich Italien aufgelöst und musste große Bereichen seiner ehemaligen Fläche abgeben. Dazu hat auch das Gelände der Sternwarte gehört, weswegen der damalige Papst Leo XIII einen Neubau angeordnet hat. Zuerst noch innerhalb von Rom, Anfang des 20. Jahrhunderts ist man dann aber ins Castel Gandolfo übersiedelt, wo sich die Sommerresidenz des Papstes befindet, die ebenfalls und heute immer noch Eigentum des Vatikans ist, obwohl sich das Gebiet 25 Kilometer außerhalb von Rom befindet. So wie anderswo auf der Welt in den großen Städten war es auch in Rom längst nicht mehr möglich, wirklich gute astronomische Beobachtungen anzustellen; dafür war es dort mittlerweile viel zu hell. Draußen auf dem Land aber war es noch dunkel und die Forscher an der Vatikansternwarte wollten gute Daten haben, um sich am internationalen Projekt der "Carte du Ciel" beteiligen zu können. Ich habe davon in Folge 301 mehr erzählt; es war eines der ersten wirklich großen, internationalen Vorhaben in der Astronomie. Ziel war es, den gesamten Himmel mit fotografischen Aufnahmen zu katalogisieren, mit einheitlichen Methoden und Instrumenten. Um den kompletten Himmel abzudecken, waren Sternwarten auf der ganzen Welt nötig und die Vatikansternwarte war eine davon.
Die unzähligen Aufnahmen zu vermessen und die Daten zu berechnen war natürlich auch jede Menge Arbeit. Heute würde man so etwas mit Computern erledigen und damals hat man das auch getan. Nur das mit dem Wort "Computer" keine Maschinen bezeichnet worden sind, sondern Menschen, die für die Rechenarbeit zuständig waren. Und sehr oft waren diese Menschen Frauen. Vor allem und leider deswegen, weil man ihnen damals deutlich weniger Gehalt bezahlen musste als Männern und so die viele Arbeit billiger erledigen konnte. Diese Frauen waren aber nicht nur mechanische Rechnerinnen; sie machten sich durchaus auch Gedanken über das, was sie da taten und wir verdanken ihnen jede Menge wichtige Entdeckungen. An der Harvard-Sternwarte in den USA gab es eine ganze Gruppe von ihnen, unter anderem Henrietta Swan Leavitt, die heraus fand, wie man die Entfernung zu bestimmten Sternen messen kann und damit die Grundlage legte, um zum Beispiel die Expansion des Universums entdecken zu können oder die Messung der Distanz zu anderen Galaxien. Im Vatikan musste man sich nicht so viele Gedanken über die Bezahlung der Mitarbeiter machen, aber auch hier setzte man Frauen ein, um die aufwendigen Rechenarbeiten zu erledigen. Vier Nonnen wurden rekrutiert, um die hunderttausenden Sterne aus den Carte-du-Ciel-Fotografien zu vermessen. Insgesamt waren es 481.215 Sterne und es war ein wenig peinlich, dass man zwar diese Zahl kannte, aber lange Zeit nicht die Namen dieser Frauen. Erst 2016 fand Sabino Maffeo, damals immerhin schon 93 Jahre alt, beim Ordnen von Unterlagen in der Vatikansternwarte ein paar alte Dokumente und darin die ganze Geschichte.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der österreichische Jesuit und Astronom Johann Hagen Direktor der Sternwarte. Er war zwar ein guter Astronom, aber nicht so gut beim Rechnen und Auswerten der Daten. Also schrieb er an diverse Nonnenklöster und fragte dort nach Frauen, die ein gutes Sehvermögen, Geduld und einen Hang zu methodischer Arbeit hatten. Die Klöster waren davon nicht so begeistert, denn astronomische Arbeit gehörte nicht zu ihrem Aufgabengebiet und man wollte die Nonnen lieber für anderes einsetzen. Ein Kloster aber schickte zwei Schwestern und dann später zwei weitere und diese vier Frauen arbeiteten 11 Jahre lang an der Vatikansternwarte bei der Auswerung der Daten. Dafür bekamen sie 1920 sogar eine Privataudienz beim Papst und einen goldenen Kelch als Dank. Dann sind ihre Namen aber in Vergessenheit geraten und erst 2016 dank der Entdeckung von Sabino Maffeo wieder bekannt: Emilia Ponzoni, Regina Colombo, Concetta Finardi und Luigia Panceri.
Die Vatikansternwarte ist heute ein sehr moderne Einrichtung die nicht nur von Italien aus arbeitet. Seit 1993 betreibt sie am Mount Graham in Arizona gemeinsam mit der dortigen Universität das Vatican Advanced Technology Telescope (VATT), das immerhin einen 1,8m großen Spiegel hat. An der Vatikansternwarte werden alle modernen astronomischen Themen erforscht, von Asteroiden über Galaxien bis hin zu dunkler Materie, Exoplaneten und Kosmologie. Es mag immer noch seltsam erscheinen, dass die katholische Kirche eine solche Forschungseinrichtung betreibt. Immerhin kann man definitiv nicht leugnen, dass sich die Kirche immer wieder dem wissenschaftlichen Fortschritt in den Weg gestellt hat. Aber ebenso wenig kann man die wissenschaftliche Arbeit der diversen Angehörigen der Kirche in den letzten Jahrhunderten leugnen. Die Welt ist halt nicht so schwarz/weiß wie wir uns das oft vorstellen. José Gabriel Funes, der bis 2015 Direkter der Sternwarte war, hat in einem Interview einmal gesagt: "Wir leben in einem Universum von 100 Milliarden Galaxien. Schon das ist ja eigentlich nicht mehr zu glauben. Da ist es eine sehr menschliche und tiefe Frage: warum gibt es so viele Galaxien und nicht einfach Nichts? Als Wissenschaftler können wir den Ursprung der Galaxien untersuchen und erklären, wie sie sich geformt haben. Wie es zu Sternen und Planeten kam. Ich habe keine Antwort, wie es zu diesem wundervollen Universum kam. Doch vor allem erzählt und spiegelt für mich die Schönheit des Universums die Schönheit des Schöpfers."
An einen Schöpfer und dessen Schönheit kann man glauben. Oder nicht. Aber dass auch die Kirche von der Schönheit des Universums beeindruckt ist und sich damit beschäftigen will, ist absolut verständlich.
Sternengeschichten Folge 529: Das galaktische Antizentrum
Im Zentrum unserer Galaxie ist jede Menge los. In einer Kugel mit circa 3 Lichtjahren Durchmesser rund um das Zentrum drängen sich 10 Millionen Sterne - und dass das sehr viele Sterne sind, sieht man schnell, wenn man sich überlegt, dass zwischen unserer Sonne und dem ihr nächstgelegenen Stern ein Abstand von vier Lichtjahren ist. Inmitten dieses Sterngewusels im Zentrum der Milchstraße sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch das vier Millionen mal mehr Masse hat als unsere Sonne. Seine Schwerkraft schleudert die Sterne mit enormen Geschwindigkeiten herum; die Bewegung der Sterne im Zentrum ist generell eher chaotisch und die ganze Gegend nicht sonderlich lebensfreundlich. Wenn einer der Sterne als Supernova explodiert, dann werden seine vielen nahen Nachbarn dadurch ebenfalls beeinflusst und die gesamte kosmische Strahlung all dieser dicht an dicht stehenden Sterne wäre für die Existenz von Leben ebenfalls nicht sehr zuträglich. Wir können froh sein, dass wir gut 25.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt sind, in den äußeren Bereichen der Milchstraße geht es ein wenig beschaulicher zu. Wäre unsere Galaxie eine Stadt, dann würden wir in Vororten leben, quasi im Speckgürtel der Milchstraße.
Aus unserer Sicht ist es spannend, auf das Zentrum zu blicken; gerade weil dort so viel passiert. Genau so spannend kann es aber auch sein, in die entgegengesetzte Richtung zu blicken. Also, um im Bild zu bleiben, nicht hinein ins wuselnde Stadtzentrum sondern hinaus, aufs platte Land, dort wo wirklich gar nichts mehr los ist. Zumindest scheinbar, denn wenn es um die Milchstraße geht, kann man aus der Beobachtung des galaktischen Antizentrums überraschend viel lernen.
Und dazu sollten wir vielleicht klären, was mit einem "Antizentrum" überhaupt gemeint ist. Das Zentrum ist klar; dass ist die Mitte und bei einer im Wesentlichen scheibenförmigen Struktur wie unserer Milchstraße ist das auch einigermaßen leicht zu definieren. Da kann es nur ein Zentrum geben - aber was ist das Gegenteil der Mitte? Der Rand? Ja, und Nein. In der Astronomie wird als "galaktisches Antizentrum" einfach der Punkt bezeichnet, der von uns aus gesehen dem galaktischen Zentrum genau gegenüberliegt. Wir können dafür wieder auf das praktische Bild der Himmelskugel zurückgreifen. Wir tun so, als wären wir in der Mitte des Universums und sehen alle Sterne und andere Himmelskörper wie auf einer großen Kugelschale um uns herum. So schaut es ja auch tatsächlich aus, wenn wir zum Himmel blicken und lange Zeit hat man auch geglaubt, dass die Welt exakt so organisiert ist und die Sterne wirklich nur Lichter sind, die auf irgendeiner fernen Kristallsphäre montiert sind. Die Realität ist natürlich eine andere, aber es ist in manchen Fällen praktisch, so zu tun, als würde es die Himmelskugel tatsächlich geben. Auf dieser fiktiven Sphäre sehen wir das Zentrum der Milchstraße auf jeden Fall dort, wo sich das Sternbild Schütze am Himmel befindet. Und wenn wir uns jetzt einmal um 180 Grad drehen, dann schauen wir auf die Sternbilder Fuhrmann und Stier. Genau an der Grenze zwischen ihnen findet wir den Stern Elnath, der zu den 50 hellsten Sternen des Himmels gehört und daher gut zu sehen ist. Wenn wir auf diesen Stern schauen, dann schauen wir fast genau auf das galaktische Antizentrum.
Schön und gut - aber warum sollte uns das interessieren? Dort sitzt kein schwarzes Loch um das sich alles dreht; dort sausen keine Sterne wild herum. Dort ist, wie es sich für ein Antizentrum gehört - nicht viel los. Aber genau das ist auch der Grund, warum diese Gegend für die Forschung interessant ist. Wir können ein weiteres Mal den Vergleich zwischen Stadt und Land verwenden. In der Stadt und vor allem im Stadtzentrum passiert jede Menge. Da geschehen neue Dinge; es eröffnen neue Geschäfte; es schließen Geschäfte, die neuen Filme und Theaterstücke werden dort als erstes aufgeführt, und so weiter. Es ist alles sehr lebendig und die Dinge ändern sich schnell. Draußen am Land läuft alles ein wenig langsamer ab. Es gibt weniger Veränderung und manchmal kommt es einem so vor, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Das ist, wenn es um den Vergleich von Stadt und Land geht, natürlich ein wenig übertrieben. Aber auch nicht völlig falsch und beim galaktischen Antizentrum definitiv korrekt.
Die Sterne, die sich dort draußen, am Rand der Milchstraße befinden, bewegen sich viel langsamer als die, die weiter drinnen ihre Runden ziehen. Die Abstände zwischen den Sternen sind viel, viel größer und damit auch die gravitativen Störungen, die sie aufeinander ausüben. Das bedeutet, dass wir dort auch die Vergangenheit der Milchstraße besonders gut erforschen können. Unsere Galaxis war ja nicht immer genau so, wie wir sie heute sehen. Es würde zu weit führen, jetzt die gesamte Geschichte einer Galaxie zu erzählen. Die Milchstraße ist alt, fast so alt wie das Universum selbst. Aber bei ihrer Entstehung war sie - so wie alle anderen Galaxien - noch nicht so groß wie heute sondern eine vergleichsweise kleine Gruppe von Sternen. Sie ist durch die Verschmelzung mit anderen kleinen Galaxien gewachsen und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wie ich in Folge 418 erzählt habe, wird sie in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxie verschmelzen und eine noch größere Galaxie werden. Es ist schwer, heute noch Spuren dieser vergangenen Wachstumsschritte zu finden. Die Sterne haben sich im Laufe der Zeit miteinander vermischt und wenn wir ins hektische Zentrum der Milchstraße schauen, finden wir gar keine Spuren mehr von dem, was früher vielleicht war.
In den Außenbereichen läuft es aber - wie gesagt - ein wenig langsamer ab. Unterschiede zwischen verschiedenen Sternengruppen können dort unter Umständen immer noch beobachtet werden; es war noch zu wenig Zeit, als dass sich auch dort alles vermischt hat. Störungen wirken sich nur langsam aus und die aus der Verschmelzung zweier Galaxien entstandenen Besonderheiten bleiben länger bestehen. Beim Blick nach außen können wir auch nicht nur die Außenbereiche der galaktischen Scheibe beobachten sondern gleichzeitig auch den Halo, also die große kugelförmige Region um die Scheibe der Milchstraße herum. Dort befinden sich jede Menge alte Kugelsternhaufen, Gaswolken und alte Einzelsterne und auch die Sternströme, von denen ich in Folge 177 erzählt habe und die die letzten Überreste von fremden Galaxien sind, die die Milchstraße früher mal verschluckt hat.
Dazu kommt: Der Blick ins Zentrum der Milchstraße ist uns fast komplett durch Staubwolken verstellt und wir brauchen Radio- und Infrarotteleskope, um dort etwas zu sehen. In Richtung Antizentrum ist naturgemäß weniger los und wir können sehr viel besser und genauer beobachten, was dort passiert. Zum Beispiel mit dem GAIA-Weltraumteleskop, dass bei seiner exakte Vermessung von knapp 2 Milliarden Sternen der Milchstraße natürlich auch das galaktische Antizentrum untersucht hat. Wir wissen jetzt, wie schnell und in welche Richtung sich die Sterne dort bewegen und die Daten sind äußerst interessant. Ich spare mir die mathematisch-wissenschaftlichen Details dieser Analyse - aber ein Ergebnis besteht zum Beispiel in der Erkenntnis, dass die Scheibe der alten, quasi ursprünglichen Scheibe der Milchstraße sehr viel kleiner ist als die heutige. Die Sterne, die aus der Verschmelzung der Milchstraße mit der Gaia-Enceladus-Galaxie vor gut 9 Milliarden Jahren stammen, reichen weit über diese ursprüngliche Scheibe hinaus (davon habe ich im Detail in Folge 480 gesprochen). Man hat auch entdeckt, dass die Scheibe der heutigen Milchstraße in den Außenbereichen ein wenig verbogen ist und hat auch diverse andere Hinweise auf gravitative Störungen und Einflüsse entdeckt. Worin sie genau bestehen, ist noch nicht eindeutig bekannt.
Aber auch hier wird die weitere Erforschung des Antizentrums neue Erkenntnisse bringen. Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort. Wenn es um das Verständnis von Galaxien an sich geht, haben wir ja enorm viel aus der Beobachtung anderer Galaxien gelernt. Lange bevor wir wussten, welche Form unsere eigene Milchstraße hat, haben wir die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten bei anderen, weit entfernten Sternensystemen gesehen. Wir sitzen ja mitten in der Galaxis und so wie man mitten im Wald vor lauter Bäumen kaum etwas über die Form des Waldes sagen kann, ist es schwer, die Milchstraße von innen heraus zu verstehen. Aber wenn es um die Außenbereiche einer Galaxie geht, hilft uns die Beobachtung ferner Objekte nicht viel. Denn dort befinden sich nunmal wenig Sterne und es ist schon schwer genug, weit entfernte Galaxien zu beobachten, weil von da nur so wenig Licht zu uns kommt. Die noch viel lichtschwächeren Außenbereiche dieser Galaxien sind im Detail so gut wie gar nicht zu untersuchen. Bei unserer Milchstraße klappt das aber recht gut; wir sitzen ja quasi auf halben Weg zwischen Zentrum und Rand. Und wenn wir den Blick vom Trubel in der Mitte abwenden und auch ab und zu mal in die scheinbar langweiligen Regionen draußen am galaktischen "Land" werfen, können wir dort Dinge lernen, die wir nirgendwo anders herausfinden können.
Sternengeschichten Folge 528: P Cygni - Das spontane Auftauchen eines Riesensterns
Im Sommer ist in Mitteleuropa das Sternbild Schwan schön und deutlich am Himmel zu sehen. Die markante kreuzförmige Konstellation mit dem hellen Deneb als Schwanz ist kaum zu übersehen. Ein bisschen genauer muss man hinsehen, wenn man in der Mitte des Kreuzes den Stern P Cygni erkennen will. Er ist mit freiem Auge durchaus sichtbar, aber kein extrem heller Stern. Trotzdem ist es überraschend, dass man diesen Stern erst am 18. August 1600 entdeckt hat. Der niederländische Astronom und Kartograf Willem Blaeu, ein Schüler des großen Astronoms Tycho Brahe, arbeitete damals an einem Himmelsglobus und bei den dafür nötigen Beobachtungen fand er im Sternbild Schwan einen hellen Stern, den überraschenderweise vorher noch niemand auf irgendwelchen Karten verzeichnet hatte.
Schon bald war klar, dass es sich dabei um keinen normalen Stern handeln konnte. Denn er wurde immer dunkler und dunkler und 1626 verschwand er wieder. Mit bloßem Auge konnte er nicht mehr beobachtet werden. Erst 1655 tauchte er, so wie damals 1600, wieder am Himmel auf; nur um 1662 ein weiteres Mal zu verschwinden. Das Versteckspiel ging weiter, aber in den letzten Jahrhunderten blieb er sichtbar und wurde langsam heller und heller. Er ist nicht mehr so hell, wie er damals 1600 bei seinem ersten dokumentierten Auftauchen zu sehen war - aber er ist noch ohne Hilfsmittel sichtbar. Seinen Namen hat der Stern vom Sternbild des Schwans, auf lateinisch "Cygnus" und dem Sternkatalog "Uranometria", den Johann Bayer im Jahr 1603 veröffentlicht hat und in dem die Sterne eines Sternbilds mit griechischen Buchstaben nach Helligkeit sortiert werden beziehungsweise mit lateinischen Buchstaben, wenn die griechischen nicht mehr ausgereicht haben. "P Cygni" also und es lohnt sich, einen genauen Blick auf diesen Stern zu werfen.
Was gar nicht so einfach ist, denn wir wissen immer noch nicht exakt, wie weit dieser Stern entfernt ist. Mindestens 5000 Lichtjahre; es können aber auch bis zu 7000 Lichtjahre sein. Dass man einen Stern in dieser Entfernung von der Erde aus überhaupt noch sehen kann, bedeutet, dass es sich um einen extrem hellen Himmelskörper handeln muss. Und tatsächlich ist er mindestens 500.000 mal leuchtkräftiger als die Sonne; vielleicht leuchtet er sogar fast eine Million mal stärker. Dafür muss er natürlich auch sehr heiß sein: P Cygni hat eine Oberflächentemperatur die irgendwo bei 18.000 bis 20.000 Grad liegt; sehr viel mehr als die Sonne mit ihren nur knapp 5500 Grad. Die Masse von P Cygni ist 30 bis 60 Mal größer als die der Sonne und sein Radius ist 76 mal größer. Es handelt sich also um einen gewaltigen Stern, in jeglicher Hinsicht. P Cygni ist das, was man einen "Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen" nennt. Leuchtkräftig und blau ist klar; ein Stern mit so einer großen Masse kann nicht anders als extrem heiß und damit hell zu sein. Die ganze Masse drückt mit enormer Kraft auf das Zentrum des Sterns und entfacht dort ein gewaltiges Kernfusionsfeuer; die Wasserstoffatome in seinem Inneren werden mit enormer Geschwindigkeit fusioniert und gewaltige Mengen an Strahlung bahnen sich ihren Weg nach außen und blähen den Stern dabei auf. Ein so heißer Stern ist auch zwangsläufig blau; es fehlt also noch der Teil mit dem "Veränderlichen".
Es gibt zwar durchaus auch jede Menge Sterne, die ihre Helligkeit verändern. Das tun sie aber meistens periodisch; sie werden also in wiederkehrenden zeitlichen Intervallen heller und dunkler und diese Schwankungen sind im Allgemeinen auch deutlich weniger stark als bei P Cygni. Wenn ständig Sterne so hell bzw. dunkel werden, dass sie für unsere Augen vom Himmel verschwinden oder plötzlich auftauchen, dann hätten wir das im Laufe der Zeit ja durchaus bemerkt. Und wenn doch einmal Sterne plötzlich auftauchen, dann handelt es sich um eine "Supernova"-Explosion, also um die letzten Momenten im Leben eines großen Sterns, der explodiert wenn er in seinem Inneren keine Kernfusion mehr durchführen kann, in sich zusammenfällt und dabei explodiert. Diese gewaltige Eruption und ihr Nachleuchten sieht für uns aus wie ein Stern, der plötzlich dort am Himmel auftaucht, wo vorher keiner war. Irgendwann ist die Supernova erloschen und dann sehen wir nichts mehr; zumindest nicht ohne optische Hilfsmittel. Dass aber ein Stern wie P Cygni immer wieder verschwindet und dann doch wieder hell leuchtend an den Himmel zurück kehrt, ist außergewöhnlich.
P Cygni ist noch nicht explodiert. Aber seine extremen Helligkeitsschwankungen zeigen, dass er sich definitiv dem Ende seines Lebens nähert. Das aber sowieso nicht lange gedauert haben kann. Sterne, die so viel Masse haben wie P Cygni und dadurch so extrem heiß und hell strahlen, verbrauchen ihren Brennstoff viel schneller als die eher behäbig leuchtenden Sterne wie unsere Sonne. Sie wird es auf eine Lebensdauer von gut 10 Milliarden Jahren bringen; Leuchtkräftige Blaue Veränderliche halten dagegen nur ein paar Millionen Jahre durch. Die enormen Mengen an Strahlung die aus ihrem Inneren nach außen dringen, blähen den Stern nicht nur auf; sie reißen quasi auch Teile seiner selbst hinaus ins All. Anders gesagt: Sie geben einen extrem starken Sternwind ab und dabei kommt es immer wieder zu regelrechten Eruptionen, bei denen sich der Stern in eine von ihm selbst erzeugte Gaswolke hüllt, die sich erst im Laufe der Zeit im All verflüchtigt.
Dieses Verhalten kann man auch in einem sehr interessanten Detail sehen, dem "P-Cygni-Profil". Ich habe im Podcast ja schon sehr oft über Spektrallinien gesprochen. Kurz gesagt: Das Material in den äußeren Schichten eines Sterns kann entweder einen bestimmten Teil des Sternenlichts blockieren oder aber durch das Licht des Sterns zum Leuchten angeregt werden. Im ersten Fall fehlt dann ein ganz konkreter Teil des Lichts und man sieht eine sogenannte Absorptionslinie; im zweite Fall kann man eine Emissionslinie beobachten. Nutzt man optische Elemente um das Licht in seine Bestandteile aufzuspalten, kann man genau sehen, aus welchen Farben es zusammengesetzt ist. Verstreut über diesen Regenbogen aller Farben wird man dunkle Absorptionslinien finden können, wo bestimmte Farben fehlen - oder eben helle Linien, die durch zusätzliche Lichtemission erzeugt worden sind. Ein P-Cygni-Profil ist nun eine ganz besondere Kombination aus Absorptions- und Emissionslinie.
Wenn wir das genau verstehen wollen, müssen wir uns überlegen, was wir eigentlich sehen, wenn ein Stern wie P Cygni einen Helligkeitsausbruch hat. Es wird dann jede Menge heißes Gas aus den äußeren Schichten der Sternatmosphäre in alle Richtungen des Alls geschleudert. Wenn wir in Richtung des Sterns sehen, dann sehen wir also, wie ein Teil dieses Gases, nämlich der, der sich genau zwischen uns und dem Stern befindet, auf uns zu bewegt. Das Gas, das sich genau auf der gegenüberliegenden Seite des Sterns befindet, entfernt sich dagegen von uns. Ein Teil des Gases, das sich von uns aus gesehen hinter dem Stern befindet, können wir gar nicht sehen; eben weil es vom Stern verdeckt wird. Vereinfacht gesagt, sehen wir also eine bestimmte Menge an Gas, die auf uns zu kommt und eine etwas kleinere Menge an Gas, die sich von uns entfernt. Das gesamte Gas wird aber vom Licht des Sterns angestrahlt und dadurch selbst zum Leuchten angeregt. Nun müssen wir aber noch den Doppler-Effekt berücksichtigen, den ich ja auch schon sehr oft erklärt habe. Licht, das von einer sich bewegenden Lichtquelle ausgesandt wird, erscheint uns unter einer leicht verschobenen Frequenz, genau so wie der Schall einer sich bewegenden Schallwelle - zum Beispiel von der Sirene eines fahrenden Krankenwagens - mal höher und mal tiefer klingt. Das Licht das von dem Teil der Gaswolke kommt, die sich auf uns zu bewegt wird in Richtung des blauen Lichts verschoben; das Licht des Gases das sich von uns entfernt erscheint dagegen rötlicher. Wir sehen aber kein symmetrisches Bild; weil eben ein Teil des Lichtes vom Stern verdeckt wird. Und jetzt kommt auch noch die Absorptionslinie dazu. Denn das Licht kommt ja nicht nur von den äußersten Teilen der Gashülle auf uns zu, sondern auch von den weiter innen gelegenen Teilen. Ein Teil davon wird auf seinem Weg nach außen von den restlichen Gasschichten absorbiert und so entsteht zusätzlich zur asymmetrisch rot- und blauverschobenen Emissionslinie auch noch eine Absorptionslinie, die ebenfalls in Richtung des blauen Lichts verschoben ist, weil sie ja aus dem Teil des Lichts stammt, das sich durch das Gas auf uns zu bewegt. Ohne Bilder ist das alles ein wenig schwer vorstellbar, aber wenn man diese asymmetrischen Absorptions- und Emissionslinien überlagert, bekommt man ein ganz charakteristisches Profil, das man immer dann findet, wenn ein heißer Stern große Mengen an Gas in Form einer sich schnell ausdehnenden Hülle von sich schleudert.
Es ist kein Wunder, dass wir noch nicht viele Leuchtkräftige Blaue Veränderliche wie P Cygni beobachtet haben. Sie können nur dort entstehen, wo sehr viel Material für die Entstehung von Sternen vorhanden ist und wenn sie einmal angefangen haben zu leuchten, kann sie nichts mehr vor ihrem schnellen Ende bewahren. Durch ihre extremen Sternwinde schleudern sie jedes Jahr eine Menge an Gas ins All, die das hundertfache der Erdmasse betragen kann. Diese Wolken dehnen sich mit mehreren hundert Kilometern pro Sekunden aus und verflüchtigen sich im Kosmos. In astronomischen Maßstäben haben sie ihren Stern aber kaum verlassen, bevor der nach aus Sicht eines typischen Sternenlebens quasi kurz nach seiner Geburt schon wieder bei einer gewaltigen Supernova sein Leben beendet. Die Liste der Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen ist nicht lang, wenn man sie mit der gesamten Anzahl an Sternen in der Milchstraße vergleicht. Umso außergewöhnlicher ist die Entdeckung von P Cygni, und das noch dazu gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die moderne Astronomie geboren wurden und die Menschen angefangen haben, den Himmel mit Teleskopen zu beobachten. Mit ein bisschen poetischer Freiheit könnte man P Cygni als Stern von Bethlehem bei der Geburt einer neuen Wissenschaft bezeichnen. Aber das wäre dann vielleicht doch ein wenig übertrieben…
Sternengeschichten Folge 527: Orcus und Vanth
Am 17. Februar 2004 beobachteten die amerikanischen Astronomen Mike Brown, Chad Trujilo und David Rabinowitz mit dem Teleskop der Palomar-Sternwarte in Kalifornien wieder einmal den Weltraum. Sie waren auf der Suche nach transneptunischen Objekten, also Himmelskörpern, die sich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun um die Sonne herum bewegen. Das erste dieser Objekte wurde schon 1930 gefunden und als neunter Planet des Sonnensystems mit dem Namen "Pluto" klassifiziert. Danach dauerte es bis in die 1990er Jahre bevor ein weiterer dieser fernen Himmelskörper gefunden werden konnte. Aber Anfang der 2000er Jahre hatte man schon eine Handvoll von ihnen gefunden und man wollte noch weitere entdecken, denn aus ihrer Beobachtung kann man viel über die Geschichte des Sonnensystems lernen. Dort draußen, fern von der Sonne, gibt es sehr viel mehr Asteroiden als im klassischen Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Objekte bewegen sich alle deulich langsamer als die sonnennäheren Himmelskörper und zwischen ihnen ist viel mehr Platz. Und das ist auch der Grund für die Existenz des Asteroidengürtels hinter der Neptunbahn: In der Entstehungszeit des Sonnensystems, vor 4,5 Milliarden Jahren, ging es dort einfach zu ruhig zu, als das große Planeten entstehen hätten können. Die langsamen und weit voneinander entfernten Objekte kollidierten viel zu selten miteinander um zu großen Himmelkörpern heranwachsen zu können. Und blieben kleine Himmelskörper.
Das ist einer der Gründe, der sie interessant macht. Sie bestehen aus einem sehr ursprünglichen Material; aus dem Stoff, aus dem alles andere entstanden ist und aus Material, das kaum durch Kollisionen und andere dramatische Ereignisse verändert worden ist. Ein weiterer Grund der sie für die Forschung so spannend macht, sind ihre Umlaufbahnen. Denn auch wenn es da draußen ruhiger zugeht als in der Nähe der Sonne: Ein bisschen Dynamik existiert schon. In den Folgen 68 und 374 der Sternengeschichten habe ich von der "planetaren Migration" erzählt; also davon, wie die äußeren Planeten des Sonnensystems während und kurz nach ihrer Entstehung sich ein Stück von der Sonne entfernt haben. Sie sind weiter innen im Sonnensystem entstanden als sie sich heute befinden. Bei ihrer Wanderung nach außen haben sie natürlich die Bahnen der fernen Asteroiden gestört und ihnen dynamische Muster aufgeprägt, die wir heute noch erforschen können. Pluto zum Beispiel befindet sich in einer 2:3 Resonanz mit Neptun; macht also zwei Runde um die Sonne in der selben Zeit die Neptun für drei Umrundungen benötigt. So etwas passiert nicht von selbst und ist ein Zeichen dafür, dass Neptun an einem anderen Ort entstanden ist und bei seiner Wanderung Pluto quasi in diesem resonanten Zustand eingefangen hat.
Jedenfalls: Man war auch der Suche nach weiteren Objekten hinter der Neptunbahn und am 17. Februar 2004 waren Brown, Trujilo und Rabinowitz ein weiters Mal erfolgreich. Zwei Tage später wurde ihr Fund offiziell bekanntgegeben; der Himmelskörper den sie entdeckt hatten bekam die für Asteroiden typische vorläufige Bezeichnung aus Zahlen und Buchstaben; in diesem Fall "2004 DW". Der Asteroid braucht 246 Jahre für eine Runde um die Sonne und bewegt sich auf einer stark elliptischen Bahn. Am sonnennächsten Punkt der Umlaufbahn ist er 30mal weiter von ihr entfernt als die Erde, am sonnenfernsten Punkt beträgt der Abstand aber das 48fache der Distanz zwischen Erde und Sonne. Wer mit den Zahlen im Sonnensystem vertraut ist, wird vielleicht bemerken, dass die Umlaufzeit dieses Asteroiden ziemlich nahe an der des Pluto liegt. Und tatsächlich befindet er sich - wie Pluto - in einer 2:3 Resonanz mit Neptun. Was aber nicht heißt, dass die beiden sich nahe kommen. Sie befinden sich immer auf unterschiedlichen Seiten der Sonne und aufgrund der resonanten Bahn bleibt diese Konfiguration auch erhalten.
2004 DW war also auf jeden Fall ein spannender Himmelskörper. Und brauchte bald eine bessere Bezeichnung als "2004 DW". Wenn ein Asteroid entdeckt und seine Bahn ausreichend gut bekannt ist, dürfen die, die ihn entdeckt haben, ihm auch einen Namen geben. Mike Brown und seine Kollegen schlugen "Orcus" vor. Das ist, in der römischen Mythologie, einer von mehreren Namen für den Gott der Unterwelt; so wie Pluto. Und wenn da draußen schon Pluto herum fliegt, kann man auch gleich noch einen weiteren Totengott dazu setzen, dachten sich Brown und seine Kollegen. Die Unterwelt ist aber nur eine Verbindung zu Plutos Namen; es gibt auch eine weitere, wenn auch etwas unwissenschaftlichere Parallele. Als damals ein Name für den heute "Pluto" genannten Himmelskörper gesucht wurde, hat man sich natürlich - so wie bei den anderen Planeten - an der griechisch-römischen Mythologie orientiert. Entdeckt hat Pluto zwar der amerikanische Astronom Clyde Tombaugh; er führte damals aber quasi die Arbeit von Percival Lowell weiter. Der war schon im 19. Jahrhundert auf der Suche nach Planeten hinter der Bahn von Neptun und hat für diesen Zweck eine eigene Sternwarte gegründet. Als Tombaugh 1930 den Pluto fand, war Lowell zwar schon über 10 Jahre tot - aber noch lange nicht vergessen. Es war vermutlich nicht der Hauptgrund für die Wahl des Namens, aber dennoch ein schöner Zufall, dass die ersten beiden Buchstaben von Pluto auch die Initialen von Percial Lowell waren. Als man 1978 den großen Mond von Pluto fand, nannten die Entdecker ihn "Charon", nach dem Fährmann, der in der griechischen Mythologie die Toten in das Reich des Totengottes führt. Thematisch absolut passend und schlau vom Entdecker James Christy gewählt, denn die ersten vier Buchstaben von Charon bilden den Spitznamen seiner Frau Charlene. Der Name der Frau von Mike Brown lautet nun zwar Diane, was absolut nichts mit Orcus zu tun hat. Aber Diane lebte während ihrer Jugend auf Orcas Island, vor der Küste von Washington und die beiden verbringen noch heute viel Zeit dort. Die Benennung des Asteroiden nach Orcus war also auch ein kleines Geschenk von Mike Brown an seine Frau.
Aber lassen wir mal die Namensgebung und schauen auf Orcus selbst. Neben der Umlaufbahn will man ja vor allem wissen, wie groß so ein Ding ist, wenn man es gerade frisch entdeckt hat. Was schwierig ist, wenn man nur einen schwachen Lichtpunkt auf einem Bild sehen kann. Anhand der ersten Daten schätzte man seinen Durchmesser auf 1600 bis 1800 Kilometer. Das ist ein ordentlicher Brocken und 2004 wäre das - nach Pluto - der größte bekannte Himmelskörper hinter Neptun gewesen. Und da 2004 auch Pluto selbst noch als Planet geführt wurde, hätte man durchaus auch Orcus als Planeten klassifizieren können. Hat man aber nicht, sondern 2006 die Entscheidung getroffen, Pluto aus der Gruppe der Planeten zu entfernen. Was durchaus sinnvoll war, wie ich ja in Folge 90 schon ausführlicher erklärt habe. Aber egal ob Planet oder Asteroid: Auf den wissenschaftlichen Wert der Erforschung von Orcus hat das natürlich keinen Einfluss. Und vermutlich ist er auch nicht so groß, wie anfangs gedacht. Man weiß immer noch nicht exakt, wie groß er ist; die Werte schwanken zwischen knapp 1000 Kilometer und um die 800 Kilometer. Aber die wahrscheinlichste Größe liegt vermutlich bei rund 920 Kilometer Durchmesser.
Trotz dieser immer noch ansehlichen Größe ist es schwer, Details über Orcus herauszufinden. Denn der 900 Kilometer große Brocken ist halt immer noch hinter der Neptunbahn. Wir wissen aus der Art wie der das Sonnenlicht reflektiert, dass es dort sehr viel Eis an der Oberfläche geben muss. Nicht nur gefrorenes Wasser, sondern auch Methan- und Ammoniakeis, immerhin liegt die Temperatur dort bei gut -230 Grad Celsius! Da kann auch so etwas wie Ammoniak fest zu Eis gefroren sein. Es ist aber erstaunlich, so etwas auf der Oberfläche eines transneptunischen Objekts zu finden; so etwas findet man dort so gut wie gar nicht. Ebenso wie klassisches Wassereis. Beziehungsweise findet man das natürlich schon, aber meistens nicht in kristalliner Form, so wie wir es auf der Erde gewöhnt sind. Die kleinen Asteroiden haben keine Atmosphäre die kosmische Strahlung abhält und diese Strahlung, die ungehindert auf das Eis trifft, sorgt in ein paar Millionen Jahren dafür, dass es sich in amorphes Eis verwandelt, also Eis, in dem die Wassermoleküle nicht mehr in einer regelmäßigen Struktur angeordnet sind. Wir wissen aber aus der Beobachtung von Orcus, dass es dort kristallines Wassereis gibt. Es ist also möglich, dass es dort Phasen von Kryovulkanismus gibt; dass also frisches Eis aus dem Inneren des Himmelskörperns wie Magma aus der Erdinneren an die Oberfläche tritt. Es ist sogar nicht einmal auszuschließen, dass es unter einer dicken Kruste aus Eis im Inneren von Orcus flüssiges Wasser gibt.
Was Orcus darüber hinaus auch noch hat, ist ein Begleiter. 2007 fanden Mike Brown und sein Team einen weiteren Himmelskörper, der sich um Orcus herum bewegt. Dieser Mond hat einen Durchmesser von circa 442 Kilometern und ist damit fast halb so groß wie Orcus selbst. Er befindet sich 9000 Kilometer von Orcus entfernt um braucht 9,5 Tage für eine Runde herum. Auch dieser Himmelskörper hat natürlich einen Namen: Mike Brown forderte die Leserinnen und Leser einer Zeitungskolumne die er schrieb dazu auf, einen Namensvorschlag einzureichen. Gewonnen hat die Einsendung der amerikanischen Schriftstellerin Sonya Taaffe: Vanth. So hieß bei den Etruskern, also quasi den Vorläufern der Römer, die Begleiterin des Totengottes. Vanth war eine Art Dämonin, die den Verstorbenen den Weg ins Jenseits anzeigt. Ein passender Name und einer der, zumindest soweit bekannt, keine irgendwie geartete Beziehung zu Taaffe oder ihrer Familie hat.
Über Vanth weiß man, abgesehen von seiner Existenz, noch nicht so viel. Da die beiden sich so nahe sind und beide zusammen der Erde so fern, ist es schwer, Vanth getrennt von Orcus zu beobachten. Beide sind nur winzige Lichtpunkte auf den Aufnahmen selbst der besten Teleskope. Wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir hinfliegen und nachsehen. Was sich mit Sicherheit lohnen würde; denn die Gegend hinter der Bahn von Neptun ist noch so gut wie komplett unerforscht. Wir haben eine Raumsonde, die kurz an Pluto vorbei geflogen ist und ein paar detaillierte Bilder gemacht hat. Die gleiche Sonde - New Horizons - hat ein paar Jahre später auch noch den transneptunischen Asteroid Arrokoth aus der Nähe fotografiert. Aber abgesehen davon war bis jetzt nicht viel los dort draußen. Es wartet immer noch eine neuen Welt darauf, entdeckt zu werden, voller faszinierender Himmelskörper wie Orcus und Vanth.
Sternengeschichten Folge 526: Das Deep Space Network
Weltraumteleskope die fantastische Bilder des Kosmos machen. Raumsonden, die zu fernen Himmelskörpern fliegen. Rover, die die Oberfläche des Mars erforschen; Menschen, die auf dem Mond spazieren gehen. Die Raumfahrt ist ein großes wissenschaftliches Abenteuer. Aber Abenteuer funktionieren nur in Büchern und Filmen ohne Vorbereitungen. In der Realität muss man sich auch bei so spektakulären Vorhaben wie der Raumfahrt um jede Menge recht unspektakuläre Dinge kümmern, wenn das Abenteuer nicht im Chaos enden soll.
Und in der Raumfahrt ist vor allem eine Sache von enormer Bedeutung: Kommunikation. Nehmen wir mal ein Weltraumteleskop; sowas wie Hubble oder James-Webb. Diese Geräte machen fantastische Aufnahmen und liefern extrem wertvolle wissenschaftliche Daten. Aber irgendwie müssen diese Daten ja zu uns auf die Erde gelangen. Irgendwie müssen wir hier auf der Erde den Teleskopen sagen, was sie wann und wo und wie beobachten sollen. Vor dem Beginn der Raumfahrt gab es Teleskope nur auf der Erde und Menschen, die diese Teleskope bedient haben. Die Daten waren Fotoplatten, die direkt aus den Kameras an den Teleskopen geholt wurden. Aber es sitzt ja niemand im Hubble-Weltraumteleskop und drückt dort irgendwelche Knöpfe. Die Datenübertragung muss hier also anders funktionieren.
Übrigens: Die allerersten Bilder aus dem Weltall wurden tatsächlich noch ganz klassisch mit analogen Fotoapparaten gemacht. Man schoß Raketen hinaus ins All, machte Fotos und dann stürzten die Satelliten wieder auf die Erde. Und wenn die Landung nicht zu heftig war, konnte man die Filme bergen und entwicklen. Aber das ist natürlich keine Methode für ernsthafte wissenschaftliche Forschung. Hier muss man die Daten digital übertragen, die Bilder also in elektronische Daten umwandeln, sie per Funk zur Erde schicken und dort wieder in normale Bilder übersetzen.
Für uns heute ist das völlig normal; wir schicken ständig Daten übers Internet durch die Gegend und um die ganze Welt. Aber wie schaut es mit dem Internet außerhalb der Erde aus? Wenn man sich nicht zu weit von unserem Planeten entfernt, dann kommt man noch halbwegs gut klar. Aber auch hier muss man sich ein paar Gedanken machen. Will man zum Beispiel mit der International Raumstation Kontakt aufnehmen, dann muss man berücksichtigen, dass sich die Raumstation zwar nur in 400 Kilometer Höhe befindet, aber sehr schnell um die Erde herum bewegt. Sie umkreist den Planeten einmal in 90 Minuten. Es bringt also gar nichts, wenn ich einfach nur an einem Ort eine Antenne aufstelle. Dann kann man zwar mit der Raumstation reden. Aber nur kurz und nur einmal alle 90 Minuten. Will man dauerhaften Kontakt sicherstellen - und das will man auf jeden Fall! - dann muss man entsprechende Bodenstationen um die ganze Erde herum verteilen, so dass immer eine davon gerade so positioniert ist um die Signale von der Raumstation zu empfangen.
Und wenn man es mit weiter entfernten Raumfahrzeugen zu tun hat, muss man ein wenig mehr Aufwand treiben. Womit wir jetzt beim Deep Space Network der NASA angelangt sind. "Deep Space" klingt nach sehr weit entfernt; nach Science Fiction; nach Kommunikation über Lichtjahre hinweg. Tatsächlich meint "Deep Space" im Zusammenhang mit der Kommunikation im All alles, was weiter als 2 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Das ist enorm weit; das ist deutlich weiter weg als der Mond, der ja nur gut 400.000 Kilometer weit weg ist. Aber es geht trotzdem vor allem um Kommunikation innerhalb des Sonnensystems. Wie so oft ist diese Definition übrigens nicht allgemeingültig: Für die NASA ist zum Beispiel schon alles ab 16.000 Kilometer Entfernung der "Deep Space".
Aber lassen wir mal die Definitionen beiseite. Es geht auf jeden Fall um die Kommunikation mit Raumsonden, die den Mars erforschen, oder die Venus. Die zu Jupiter und Saturn fliegen, oder noch weiter hinaus, wie es die Voyager 1 und 2 Sonden getan haben. All diese Sonden, Rover und Satelliten sind ja tatsächlich dort draußen und erledigen ihre Arbeit. Genau so wie das James-Webb-Teleskop, an seinem Beobachtungspunkt in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung. Und damit diese ganzen Instrumente tun können, was sie tun, müssen wir Kontakt mit ihnen haben. Genau das ist die Aufgabe des "Deep Space Network".
Man darf sich so eine Kommunikationsanlage nicht als simple Antenne vorstellen, wie wir sie vielleicht zuhause auf dem Dach haben, um Satellitenfernsehen zu empfangen. Theoretisch könnte man mit sowas natürlich auch Kontakt zu Raumfahrzeugen herstellen. Aber je weiter sie entfernt sind, desto schwächer wird das Signal. Je schneller die Kommunikation erfolgen soll, desto stärker muss das Signal sein und desto besser muss es auch empfangen werden können. Was an den Stationen des Deep Space Networks steht, sind also keine simplen Satellitenschüssel, sondern riesige Radioantennen. Ich komme gleich noch zu den Details; schauen wir zuerst noch einmal kurz, wo man solche Dinger am besten hinstellt. Idealerweise und im Gegensatz zu astronomischen Teleskopen stellt man so eine Antenne nicht hoch oben auf einen Berg, sondern in eine Talmulde oder ähnliches, damit möglichst wenig störende Signale von irdischen Radioquellen empfangen werden. Deswegen stellt man so ein Ding auch nicht mitten in eine Stadt oder unter stark genutze Flugrouten, wo einem dauernd Flugzeuge dazwischen funken. Das Wetter sollte auch halbwegs brauchbar sein; man kann zwar auch bei Regen Signale empfangen, aber wenns ständig extrem stürmt, oder sich Eis an den Antennen anlagert, dann ist das auch nicht unbedingt optimal. Es gibt noch mehr Standortfaktoren - aber das waren die wichtigsten.
Will man dauerhaft Kontakt mit einem fernen Raumfahrzeug haben, dann braucht man mindestens drei Stationen auf der Erde. Die müssen halbwegs gleichmäßig über die Erde verteilt sein; also drei nebeneinander im gleichen Land bringt auch nichts. Mindestens eine Station muss immer Kontakt zu Raumfahrzeug haben können, aber praktischerweise macht man das dann so, dass sich die Stationen überschneiden. Wenn also an einer Station das Raumfahrzeug wegen der Erdrehung immer weiter Richtung Horizont sinkt sollte eine andere Station das Raumfahrzeug gerade über dem Horizont "aufgehen" sehen, sodass theoretisch beide Kontakt aufnehmen können. Und erst dann wird die Kommunikation von einer Station zur nächsten übergeben.
Das Deep Space Network der NASA besteht aus drei Standorten. Dem Goldstone Deep Space Communications Complex in der Mojave-Wüste in Kalifornien, dem Madrid Deep Space Communications Complex, circa 55 Kilometer außerhalb von Madrid in Spanien und dem Canberra Deep Space Communication Complex am Rand eines Naturschutzgebietes in der Umgebung der australischen Hauptstadt Canberra. Früher hat die NASA auch noch Stationen in West Virginia oder Südafrika genutzt; die werden aber mittlerweile für andere Zwecke verwendet. In den 1960er Jahren war der Goldstone-Komplex mit drei 26m-Antennen und einer 64m-Antenne ausgestattet; in Madrid und Australien konnte man je eine 26m-Antenne nutzen. Das war für die Mondmissionen und den Rest der damaligen Arbeit der NASA ausreichend, aber als man weitere Missionen startete, die weiter hinaus ins All flogen, brauchte man bessere Kommunikation. In den 1970er-Jahren bekamen sowohl Madrid als auch Canberra eine weitere 26m-Antenne dazu und außerdem je eine große 64m-Antenne. Als dann Ende der 1970er Jahre die Voyager-Sonden ins All flogen und erstmals Daten von den äußeren Planeten des Sonnensystems schicken sollten, war ein weiteres Update nötig. Neue 34m-Antennen wurden gebaut; einige 26m-Antennen wurden auf 34m erweitert.
Im neuen Jahrtausend wurden die Anlagen dann noch mal erweitert; die Technik macht ja auch immer Fortschritte und irgendwann braucht man nicht nur größere Antennen, sondern auch neuere. In Goldstone waren seit den späten 1990er Jahren vier 34m-Antennen aktiv und eine 70m-Antenne; in Madrid und Canberra ebenfalls; dort steht auch das 64m große Parkes-Radioteleskop, das aber nur bei Bedarf dem Netzwerk hinzugeschaltet wird. Das klappt auch mit anderen Stationen; die NASA ist ja nicht die einzige Organisation, die Raumfahrt betreibt. Die Europäische Weltraumagentur ESA hat natürlich auch ein eigenes Netzwerk für die Kommunikation mit fernen Raumsonden, die "ESA tracking stations" oder ESTRACK. Die stehen in Argentinien, Französisch-Guayana, den Azoren, Spanien, Belgien, Schweden und Australien und ein Teil davon kann ebenfalls mit dem Deep Space Network der NASA zusammengeschaltet werden. Die chinesische Raumfahrtagentur hat jede Menge Antennen in China stehen, was aber nicht zur dauerhaften Kommunikation ausreicht. Deswegen betreibt man dort auch Schiffe, die passend auf dem Meer platziert werden können und spezielle Satelliten im All, die Signale weiterleiten können, auch wenn das Raumfahrzeug gerade nicht von China aus erreicht werden kann. 2010 hat China aber auch eine Anlage in Argentinien erreicht und in Namibia betreibt man ebenfalls eine Trackinstation. Aber auch China kooperiert immer wieder mit der ESA und greift auf die Stationen von ESTRACK zurück, genau so wie andere Raumfahrtnationen wie Indien oder Japan.
Eine 30 Meter große Antenne betreibt übrigens auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in der Nähe von Weilheim in Oberbayern. Von dort werden die Satelliten der Bundeswehr gesteuert; die Antenne kann aber auch in das ESTRACK-Netzwerk der ESA integriert werden.
All diese riesigen Antennen klingen nach ziemlich viel Aufwand für ein bisschen Kommunikation. Aber Kommunikation ist eben quasi fast alles in der Raumfahrt. Wir MÜSSEN mit den Raumfahrzeugen reden können; ansonsten bräuchten wir uns gar nicht erst die Mühe machen, sie ins All zu schicken. Und wenn man sich überlegt, wie schwach die Signale oft sind um die es hier geht, erscheinen die Antennen auf einmal gar nicht mehr so groß. Nehmen wir die Voyager-Sonden. Die haben Sender mit einer Leistung von 23 Watt und eine Antenne mit 3,7 Meter Durchmesser. 23 Watt ist nicht so wahnsinnig viel; ok, mehr als Handy an Sendeleistung hat; das liegt bei irgendwas zwischen einem halben und 3 Watt. Aber diese 23 Watt senden die Voyager-Sonden eben mittlerweile aus einer Entfernung von mehr als 22 Milliarden Kilometern. Ein Signal der Sonden ist gut 20 Stunden unterwegs, bis es überhaupt auf der Erde eintrifft. Und dort natürlich sehr viel schwächer als die ursprünglichen 23 Watt. Wenn man nicht ganz genau wüsste, wann und aus welcher Richtung und auf welcher Frequenz das Signal kommt, hätte man keine Chance es zu empfangen. Das Signal, dass auf der Erde empfangen werden muss, ist nur noch 10 hoch -18 Watt stark; also ein Trillionstel Watt. Es ist schwer, irgendeinen vernünftigen Vergleich für so eine winzige Leistung zu finden. Selbst der Energieumsatz in einer einzigen menschlichen Zelle ist größer als ein Trillionstel Watt.
Wenn wir mit unseren Raumsonden im All kommunizieren wollen, dann hat das nichts mit der Kommunikation hier unten auf der Erde zu tun. Wir müssen mit unseren gigantischen Antennen auf ein fast unhörbar leises Flüstern im Weltraum hören.
Sternengeschichten Folge 525: Pflanzen im Weltall
In Folge 336 der Sternengeschichten habe ich von all den Tieren erzählt, die schon ins Weltall geflogen sind. Aber es gibt ja nicht nur Tiere sondern auch Pflanzen und die sind mindestens ebenso wichtig. Auch wenn es um die Raumfahrt und die Astronomie geht. Also schauen wir uns heute mal die Pflanzen im Weltall an. Beziehungsweise die Pflanzen, die wir Menschen ins All gebracht haben. Denn Pflanzen die ohne unser zutun außerhalb der Erde wachsen, haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Man hat früher zwar mal geglaubt, dass auf dem Mars, der Venus, dem Mond und diversen anderen Himmelskörper Pflanzen wachsen würden; hat sogar geglaubt, zu sehen, wie sie dort wachsen. Aber das hat sich alles als Einbildung, optische Täuschung oder Beobachtungsfehler herausgestellt. Nach allem, was wir bis jetzt wissen, wächst im Sonnensystem nirgendwo was, mit Ausnahme der Erdoberfläche. Vielleicht taucht irgendwo noch die eine oder andere Alge auf und das wäre eine große Sensation. Vielleicht finden wir bei unseren Beobachtungen der Planeten anderer Sterne irgendwo Hinweise auf die Existenz extraterrestrischer Pflanzen und das wäre eine noch größere Entdeckung. Aber bis es so weit ist, müssen wir uns mit irdischen Pflanzen begnügen, die wir mit Raketen ins All gebracht oder dort wachsen haben lassen.
Aber auch das ist eine wichtige Sache. Ohne Pflanzen wären wir nicht überlebensfähig. Hier auf der Erde sind wir es auf keinen Fall. Wir brauchen die Pflanzen als Nahrungsgrundlage; sie produzieren den Sauerstoff den wir atmen und halten die diversen Ökosysteme im Gleichgewicht. Und das ist nur der Anfang; der Anblick der Pflanzen hilft uns auch, unser psychisches Gleichgewicht zu halten; Pflanzen sind Teil aller möglichen kulturellen Praktiken, wir verbringen unsere Freizeit in Wäldern und auf Wiesen, und so weiter. Ohne Pflanzen gäbe es uns nicht.
Wenn wir, so wie jetzt, für vergleichsweise kurze Zeit ins All fliegen, dann kommen wir theoretisch auch ohne Pflanzen aus. Die Nahrung können wir von der Erde aus mit in die Raketen oder Raumstationen nehmen. Ebenso den Sauerstoff. Und wenn es nicht zu lange dauert, dann halten wir es auch seelisch eine Zeit lang aus, nur in einer künstlichen Umgebung ohne natürliche Pflanzen zu leben. Aber für einen längeren Zeitraum oder gar dauerhaft ist das keine Option. Würden wir zum Beispiel eine ständig besetzte Basis auf dem Mond oder dem Mars schaffen wollen oder mit einem Raumschiff Monate oder gar Jahre lang zu weit entfernten Himmelskörpern reisen, dann müssen wir einen Weg finden, wie uns die Pflanzen begleiten können. Wir brauchen Gärten in unseren Raumfahrzeugen, die uns mit Nahrung und Sauerstoff versorgen. Die für unsere psychische Gesundheit sorgen und all die anderen Dinge tun, wofür wir sie brauchen. Es ist daher kein Wunder, dass die Pflanzenforschung von Anfang an Teil der Raumfahrt war.
Schon 1946 wurden die ersten Samen mit umgebauten V2-Raketen ins All geschossen. Die USA hat die von Deutschland im zweiten Weltkrieg erbeuteten Kriegswaffen genutzt, um erste Versuche in der Raumfahrt zu unternehmen. Damals wusste man noch nicht, ob man überhaupt Menschen ins All bringen kann und wenn ja, ob sie dort überleben können. Um die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf Lebewesen zu untersuchen, hat man daher mit Pflanzen und Tieren entsprechende Tests durchgeführt. Die ersten Samenkörner flogen 134 Kilometer hoch; die Rakete konnte aber nach der Landung auf der Erde nicht mehr geborgen werden. Erst ein ähnlicher Versuch ein paar Tage später, am 30. Juli 1946 lieferte Maiskörner, die sich zumindest für kurze Zeit außerhalb der Erdatmosphäre befunden haben. Es folgen andere Samen, die - zurück auf der Erde - eingepflanzt wurden um zu sehen, ob der Aufenthalt im All irgendwelche negativen Folge hatte. Eher nicht, Experimente aus der Sowjetunion legten sogar nahe, dass sie besser wachsen also die, die auf der Erde geblieben sind.
Es würde zu weit führen, alle Pflanzenexperimente im All aufzuzählen. Später jedenfalls ist man dazu übergegangen, das Wachstum der Pflanzen direkt im All zu untersuchen. Denn genau darum geht es ja: Man will sie auf einer Raumstation wachsen lassen oder in einem Raumschiff. Und die Frage die sich da sofort stellt, ist: Geht das? Hier auf der Erde wachsen Pflanzen nach oben; die Wurzeln graben sich nach unten in die Erde. Aber im All gibt es kein "oben" und "unten": Wissen die Pflanzen da überhaupt, wie sie wachsen sollen? Auf der Erde richten sich die Pflanzen oft nach der Sonne aus und orientieren ihren Stoffwechsel am Tag-Nacht-Rhythmus. Auch der fehlt im Weltall. Welche Nährstoffe brauchen sie und in welcher Erde müssen sie wachsen? Und so weiter. Auch hier würde es viel zu weit führen, alle Aspekte der Astrobotanik zu erklären. Aber schauen wir vielleicht auf den sogenannten "Gravitropismus". Als "Tropismus" wird in der Botanik ganz allgemein eine "Reizrichtungsreaktion" bezeichnet. Ein bestimmter Reiz bestimmt also wie und in welche Richtung sich eine Pflanze oder Teile von ihr bewegen. Wenn eine Pflanze auf Licht reagiert, sich also etwa Sprossen zum Licht hin bewegen und Wurzeln vom Licht weg, dann ist das ein "Phototropismus". Eine Reaktion auf Wärme ist ein Thermotropismus, reagiert die Pflanzen auf bestimmte Nährstoffe, handelt es sich um Chemotropismus, und so weiter. Es gibt jede Menge Tropismen und beim Gravitropismus ist der Reiz auf den reagiert wird die Gravitation. Wenn eine Pflanze zum Beispiel auf einem steilen Berghang trotzdem gerade nach oben und nicht einfach irgendwie schräge aus dem Hang wächst, dann kann sie das deswegen, weil sie in der Lage ist, ihr Wachstum an der zum Erdmittelpunkt gerichteten Gravitationskraft zu orientieren. Viele Pflanzen sind darauf angewiesen, dass ihre Teile zum richtigen Zeitpunkt nach oben, nach unten oder sonst irgendie korrekt ausgerichtet sind. Wie sie das können? Mit Statolithen - das sind winzige Körnchen aus festem Material, die sich im Inneren bestimmter Zellen befinden. Bewegt sich die Zelle, dann sorgt die Trägheit der Statolithen dafür, dass sie diese Bewegung zumindest kurzfristig nicht mitmachen und an bestimmten Stellen gegen die Zellwand drücken. Dieser Reiz kann registriert werden und der Pflanze sagen, wohin die Gravitation gerade wirkt. Übrigens benutzen nicht nur Pflanzen solche Statolithen, sondern auch jede Menge ander Lebewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Bei den Pflanten spielen Amyloplasten die Rolle der Schwerkraftanzeiger; das sind bestimmte Zellbestandteile die eigentlich zur Speicherung von Stärke dienen, aber auch in der Lage sind, wie Statolithen zu wirken.
Wie Pflanzen die Gravitation spüren können, wissen wir also. Und was machen sie mit dieser Fähigkeit? Das erforscht die "Gravitationsbiologie" und nein, den Begriff habe ich mir nicht ausgedacht. Die Untersuchung von Pflanzen macht aber nur einen kleinen Teil dieser Wissenschaft aus; viel öfter interessiert man sich für die Auswirkungen der Gravitation oder ihrem Fehlen auf Menschen. Die Anfänge dieser Disziplin gehen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück und damals hat man tatsächlich Pflanzen untersucht und sie auf einer Art Drehgestell wachsen lassen um zu schauen, was passiert und zu sehen, ob sie trotzdem noch wissen, in welche Richtung sie wachsen sollen.
Später konnte man die Pflanzen dann aber auch direkt im All erforschen, zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation. Dort hat man herausgefunden, dass Pflanzen auch in der Lage sind, die extrem geringe Mikrogravitation zu spüren, die dort herrscht und ihr Wachstum entsprechend auszurichten. Es ist also durchaus möglich, Pflanzen im All wachsen zu lassen; sogar welche, mit denen wir Menschen etwas anfangen können. Das hat zum Beispiel das Experiment mit dem schönen Namen "Veggie" gezeigt. 2014 flog diese kleine Kammer in der Pflanzen wachsen können zur Raumstation und man began dort Römersalat anzubauen. Im ersten Durchlauf ließ man die Pflanzen 33 Tage lang wachsen bevor sie geerntet, eingefroren und zur Analyse zurück zur Erde geschickt wurden. Beim zweiten Durchlauf im Jahr 2015 wuchs der Salat ebenfalls 33 Tage, aber dann konnten sich die für das Experiment zuständigen Astronauten Scott Kelly und Kjell Lindgren offensichtlich nicht mehr zurück halten und verputzten die Hälfte der Ernte selbst. Mit Balsamico-Essig und Oliven-Öl, wie die NASA verlautbart hat und Kjell Lindgren hat sich damit seinen Cheesburger verfeinert. Es hat ihnen offensichtlich nicht geschadet, ebenso wie die kulinarischen Resulate der weiteren Salat-Experimente und das hat die Wissenschaft mittlerweile auch offiziell festgestellt. Der Nährstoffgehalt des Weltraumsalats ist dem des auf der Erde gewachsenen Gemüses sehr ähnlich. Man findet im Salat der Raumstation allerdings mehr Mikroorganismen, was vermutlich an den speziellen hygienischen Bedingungen auf der ISS liegt. Gefährlich war aber keiner dieser Keime für Menschen.
Nur grüner Salat wird aber ein wenig langweilig. Zum Glück macht die Wissenschaft Fortschritte: 2020 wurden die ersten 20 Radieschen auf der ISS gezüchtet und 2021 wurden die ersten Paprika geerntet. Langsam kommt ein vernünftiges Menü zusammen, aber bis sich die Menschen auf der Raumstation selbst versorgen können wird es noch ein weiter Weg sein. Ganz besonders dann, wenn sie nicht mehr mit von der Erde mitgebrachten Boden arbeiten können, sondern zum Beispiel Pflanzen im Mars- oder Mondboden wachsen lassen wollen. Dort fehlen nämlich - nach allem was wir bis jetzt wissen - die Mikroorganismen die überall auf der Erde zu finden sind. Und die sind dringend nötig, damit im Boden all die Nährstoffe enthalten sein können, die Pflanzen brauchen.
Die Zeit, in der nur Testpiloten und Kampfflieger ins All gereist sind, sind schon lange vorbei. Heute sollte man auf jeden Fall auch immer ein paar Leute dabei haben, die sich mit Botanik und Gartenarbeit auskennen!
Sternengeschichten Folge 524: Das Geheimnis der Barium-Sterne
Im Sternbild Steinbock findet man einen durchschnittlich hellen Stern; mit bloßem Auge kann man ihn halbwegs gut sehen. Er ist 386 Lichtjahre weit weg und trägt die offizielle Bezeichnung "Zeta Capricorni". 1897 hat die Astronomin Antonia Maury dort die Existenz des chemischen Elements Barium nachgewiesen. Das ist an sich erstmal nicht außergewöhnlich; so wie die meisten anderen chemischen Elemente wird auch Barium in Sternen produziert. In diesem Fall nicht durch die normale Kernfusion, durch die zum Beispiel im Inneren der Sterne Wasserstoff zu Helium wird, sondern durch den sogenannten s-Prozess. Davon habe ich in Folge 412 ausführlich erzählt; es geht dabei um Vorgänge, die in Sternen ablaufen, die sich schon dem Ende ihres Lebens nähern. Diese alten Sterne haben den Wasserstoff in ihrem Kern schon verbraucht. Sie fusionieren dann das Helium, das sich dort angesammelt hat, wodurch es ein wenig heißer wird. Das führt dazu, dass nun auch in den äußeren Schichten des Sterns, wo noch genug Wasserstoff vorhanden ist, die nötigen Temperaturen für eine Kernfusion erreicht werden. Diesen Vorgang nennt man "Schalenbrennen", weil sich im Laufe der Zeit quasi unterschiedliche Fusionsprozesse in Schalen um den Kern anordnen. Ist nämlich das Helium im Kern auch verbraucht, setzten weitere Fusionsprozesse ein, die die bei der Heliumfusion entstandenen Elemente nutzen, und zum Beispiel Kohlenstoff oder Sauerstoff fusionieren. Wodurch es nochmal heißer wird und das Helium in den äußeren Schichten fusionieren kann und der Wasserstoff in den noch weiter liegenden Schichten. Und so weiter - am Ende kriegt man einen Stern, bei dem in jeder Schicht unterschiedliche Fusionsreaktionen ablaufen; je nach Temperatur die erreicht werden kann und die hängt davon ab, welche Masse der Stern hat - je mehr Masse, desto heißer.
Für den s-Prozess ist aber nur wichtig, dass bei vielen dieser Reaktionen Neutronen entstehen. Das sind die elektrisch ungeladenen Bauteile des Atomkerns und die können nun auf die Atomkerne treffen, die sonst noch so im Stern rumliegen. Wenn sich aber zu viele Neutronen an einen Atomkern anlagern, dann wird er instabil. Er zerfällt und bei diesem Zerfall können wieder neue Elemente entstehen; Elemente wie Barium die bei den normalen Kernfusionsprozessen nicht gebildet werden können.
Soweit, so klar. Wenn Zeta Capricorni Barium enthält, dann muss es sich um einen ausreichend großen Stern am Ende seines Lebens handeln, wo genau dieser s-Prozess abläuft. Aber wenn das so wäre, dann würde ich mich ja nicht damit aufhalten, eine Sternengeschichten-Folge dazu aufzunehmen. Zeta Capricorni ist tatsächlich ein großer Stern, aber keiner, der sich schon so weit dem Ende seines Leben genähert hätte, dass dort der s-Prozess ablaufen könnte. Eigentlich dürfte es dort also kein Barium geben. Der Natur ist es aber ziemlich egal, was wir glauben, dass dort passieren dürfte. Dort passiert, was passiert und wenn wir etwas beobachten von dem wir denken, dass es nicht beobachtbar sein dürfte, dann heißt das nur, dass wir etwas falsch verstanden haben.
Dass Zeta Capricorni kein seltsamer Einzelfall ist, haben die beiden amerikanischen Astronomen William Bidelman und Philip Keenan im Jahr 1951 erkannt. In einer Arbeit mit dem etwas technischen Titel "Die Ba II Sterne" haben sie eine ganze Gruppe von Sternen identifiziert, die vergleichsweise viel Barium enthalten, aber aufgrund ihrer Entwicklung eigentlich nicht enthalten sollten. Sie waren aber nicht in der Lage zu erklären, was der Grund für die Existenz dieser Barium-Sterne ist. Man brauchte mehr Daten und die wurden im Laufe der Zeit auch gesammelt.
Schauen wir wieder auf Zeta Capricorni: Im Jahr 1980 fand die in Deutschland geborene amerikanische Astronomin Erika Böhm-Vitense heraus, dass Zeta Capricorni einen Partner hat. Eine weißen Zwerg, ungefähr so schwer wie die Sonne und beide kreisen mit einer Periode von 6,5 Jahren umeinander. Auch das ist an sich noch nicht besonders; interessant wurde es aber, als man rausfand, dass alle Barium-Sterne Teil eines Doppelsternsystems sind, sehr oft mit einem weißen Zwerg als Partner wie bei Zeta Capricorni und das kann eigentlich kein Zufall sein.
Ein weißer Zwerg ist ein Stern, der sein Leben schon beendet hat. Soll heißen: Ein Stern, bei dem die Fusionsprozesse aufgehört haben und der in den letzen Phasen seines Lebens seine äußeren Schichten ins All gepustet hat, so dass nur noch der heiße und extrem dichte Kern übrig geblieben ist. Oder anders gesagt: Der weiße Zwerg hat die Phase mit dem Schalenbrennen und dem s-Prozess schon hinter sich. Er hatte also die nötige Zeit, um Elemente wie Barium zu produzieren. Die behält er aber nicht einfach so für sich. Ich hab vorhin gesagt, dass ein weißer Zwerg seine äußeren Schichten ins All gepustet hat. In diese Phase müssen wir jetzt nochmal genau schauen. Beim Schalenbrennen werden ja diese äußeren Schichten deutlich heißer als sie es vorher waren. Der Stern dehnt sich also massiv aus. Er wird zu einem roten Riesenstern und wenn er allein im All ist, passiert erstmal nichts weiter. Irgendwann kann er seine äußeren Schichten mit seiner eigenen Gravitationskraft nicht mehr festhalten und das ganze Zeug verflüchtigt sich in den Weltraum hinaus. Ist aber ein zweiter Stern ausreichend nahe, dann kann ein Teil des Materials von ihm angezogen und eingefangen werden. Oder andes gesagt: Der noch aktive Stern schnappt sich ein paar der chemischen Elemente, die er eigentlich noch gar nicht besitzen dürfte.
Barium-Sterne wie Zeta Capricorni machen sich also quasi älter, als sie es sind und sie erreichen das, weil sie chemische Elemente von ihrem sterbenden Partner bekommen, die sie selbst noch nicht produzieren können. Es ist auch kein Wunder, dass sie uns erst so spät aufgefallen sind und wir nicht so viele von ihnen kennen. Zuerst einmal braucht man zwei Sterne, die nicht nur ausreichend nahe beieinander liegen, sondern auch jeweils die richtige Masse haben müssen. Der eine gerade so viel mehr als der andere, dass er erstens sehr viel früher mit dem s-Prozess anfangen kann und zweitens auch so viel, dass er das überhaupt kann (nicht alle Sterne entwickeln sich auf diese Weise). Der Zeitraum, in dem ein Stern Elemente wie Barium produziert ist, im Vergleich mit einem Sternenleben auch recht kurz und wenn der zweite Stern nicht ausreichend viel länger lebt als der erste, dann kriegen wir von dem Transfer auch gar nichts mit; dann sehen wir nur zwei weiße Zwerge, die einander umkreisen. Wenn überhaupt, denn wir müssen unter all den Sternen da draußen ja noch die richtigen finden. Der Stern muss hell und/oder nahe genug sein, dass wir überhaupt messen können, dass das Barium drin ist, das nicht drin sein sollte. Und so weiter: Es gibt wenig Barium-Sterne und sie sind schwer zu finden.
Aber wenn man sie gefunden hat und wenn man sie untersuchen kann, dann sind sie äußerst lohnende Beobachtungsziele. Man kann von ihnen einiges über die Entwicklung von Sternen und der gesamten Milchstraße lernen. Zum Beispiel: Damit das im Inneren des Sterns erzeugte Barium überhaupt zum anderen Stern kommen kann, muss es ja zuerst einmal irgendwie an dessen Oberfläche gelangen. Die Details sind komplex, aber aus den Beobachtungsdaten der Bariumsterne und theoretischen Modellen zum s-Prozess und der Sternentwicklung kann man berechnen, wie sich das Material im Inneren des sterbenden Sterns durchmischt und wie stark der Sternwind ist, mit dem er das Zeug hinaus ins All pustet. Diese Sternwinde haben aber natürlich alle Sterne, die sich am Ende ihres Lebens ausdehnen; sie sind eine wichtige Quelle für die sogenannte interstellare Materie, also das Material das sich zwischen den Sternen befindet. Das ist zwar nicht viel, gar nicht viel, genau genommen, aber ein bisschen was ist schon da und das würde man gerne verstehen. Die Barium-Sterne erlauben uns, die Prozesse zu studieren, die dazu führen, dass sterbende Sterne Material hinaus ins All schleudern und damit wissen wir auch mehr über die interstellare Materie.
Und mit ausreichend Daten kann man noch mehr Details rauskriegen. Bei Zeta Capricorni hat man zum Beispiel nicht nur Barium gefunden, sondern auch das Element Niob. Das ist aus einem radioaktiven Isotop von Zirkonium entstanden, das wiederum aus den s-Prozessen des ehemaligen Sterns kommt. Weiß man, wie viel Niob heute noch da ist und kennt man die Rate, mit der das radioaktive Zirkonium zu Niob zerfällt, kann man ungefähr abschätzen, wann der Massentransfer zwischen den beiden Sternen stattgefunden hat. Das Resultat: Zeta Capricorni ist erst vor gut 3 Millionen Jahren zum Barium-Stern geworden. Also quasi erst gestern, nach astronomischen Maßstäben. Ein Glück, das wir rechtzeitig schlau genug geworden sind, ihn zu verstehen.
Sternengeschichten Folge 523: Fledermausmenschen auf dem Mond: Der große Moon-Hoax
"Neueste Berichte vom Cap der guten Hoffnung über Sir John Herschel’s höchst merkwürdige astronomische Entdeckungen, den Mond und seine Bewohner betreffend." Das war die Überschrift einer Artikelserie die ab dem 26. August 1835 in der amerikanischen Zeitung "New York Sun" erschienen ist. Und der Titel war nicht übertrieben: Die Entdeckungen von John Herschel waren allerdings höchst merkwürdig.
John Herschel war einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit; Sohn des noch viel bedeutenderen Astronom Wilhelm Herschel, der den Planeten Uranus entdeckt hat. John Herschel war einer der Pioniere der frühen Fotografie, auf ihn geht sogar das Wort "Photographie" zurück und zu seinen vielen astronomischen Arbeiten gehörte auch ein Katalog von Himmelskörpern, den er während seines 5jährigen Aufenthalts am Kap der guten Hoffnung in Südafrika angefertigt hatte. Dort war er zwischen 1833 und 1838 und mitten in diesem Zeitraum erschien der Artikel in der New York Sun.
Die Informationen auf denen dieser Text basiert stammen von Andrew Grant, der in der Einleitung so beschrieben wird: "Unsere zeitige und beinahe ausschließliche Kenntniß all dieser Umstände verdanken wir der intimen Freundschaft des Herrn Andrew Grant, Pflegesohnes des ältern und seit mehreren Jahren unzertrennlichen Gehülfen des jüngern Herschel. Als Secretär des letztern auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung und unermüdlicher Aufseher des großen Teleskopes war er im Stande, uns wenigstens eben so wichtige und werthvolle Mittheilungen zu machen, als diejenigen sind, welche Dr. Herschel selbst der Königlichen Astronomischen Societät übersandt hat. Auch versichert uns unser Berichterstatter, daß die voluminösen Documente, welche jetzt einem Ausschusse jener Gesellschaft vorliegen, wenig mehr enthalten, als Einzelnheiten und mathematische Erläuterungen derjenigen Thatsachen, welche er in seiner eignen weitläuftigen Correspondenz uns mitgetheilt hat."
Oder, ein bisschen weniger umständlich ausgedrückt: Grant ist ein enger Mitarbeiter von Herschel und darf deswegen dessen Forschungsergebnisse schon vorab in der Zeitung veröffentlichen; Ergebnisse, die in ein paar Wochen dann auch offiziell wissenschaftlich publiziert werden. Es folgt eine lange Abhandlung über das Teleskop, mit dem Herschel gearbeitet hat. Schon Herschels Vater war ja als bester Teleskopbauer seiner Zeit bekannt; Wilhelm Herschel baute 1789 das größte Teleskop der Welt, mit einem 1,2 Meter großen Spiegel und dank seiner hervorragenden optischen Instrumente war er auch in der Lage, als erster Mensch überhaupt einen neuen Planeten, den Uranus, zu entdecken. Und Sohn John war, so der Bericht in der New York Sun, ebenfalls ein hervorragender Teleskopbauer. Grant erzählt begeistert vom über sieben Meter großen Spiegel, der ein Gewicht von mehr als 7 Tonnen hat und Objekte um das 42.000fache vergrößern kann. Damit kann man Objekte auf dem Mond erkennen, die nur 45 Zentimeter groß sind.
Und mit genau diesem Wunderwerk der Technik machten sich Grant und Herschel nun an die Beobachtung des Mondes, am 10. Januar, gegen halb 10 am Abends, wie im Zeitungsartikel vermerkt ist. Zuerst sehen sie nur ein Gebirge, aber dann wird es interessant. Denn ein paar Steinen, die wie umgestürzte Säulen aussehen, sind "mit einer dunkelrothen, dem Papaver Rhoeas, oder der Klatschrose unserer sublunarischen Kornfelder, vollkommen ähnlichen Blumengattung über und über bedeckt: dem ersten organischen Naturproducte einer andern Welt, welches dem menschlichen Auge enthüllt worden ist."
Klatschmohnfelder auf dem Mond? Langsam kann man wohl ein wenig skeptisch werden, was den Wahrheitsgehalt des Berichts angeht… Aber schauen wir trotzdem mal weiter auf die spektakulären Entdeckungen. Als nächstes sehen die beiden Forscher einen "Mondwald", "ein Gehölz von so schönen, so unverkennbaren Tannen, wie ich sie nur je im Schooße meiner heimathlichen Gebirge emporsprossen sah". In dieser ersten Nacht finden sie noch diverse andere Pflanzen, so richtig spannend wird es aber in den kommenden Beobachtungsnächten. Grant berichtet: "Im Schatten der Bäume an der Südostseite sahen wir zahlreiche Heerden brauner Vierfüßler, die dem Aeussern nach vollkommen den Bisonochsen glichen, aber etwas kleiner waren, als irgend eine Gattung (…) unserer Naturgeschichte. Ihr Schwanz war dem unsers [Yak] ganz ähnlich; aber hinsichtlich ihrer halbmondförmig gekrümmten Hörner, des Buckels auf dem Rücken, der größe der Wampe, und der Länge ihres zottigen Haares, glichen sie vollkommen der Gattung, womit ich sie zuerst verglich; doch war die Bildung ihres Vorkopfes sehr unterscheidend (eine Bildung, die wir späterhin bei allen Thieren, welche wir noch entdeckten, vorfanden): diese bestand nämlich in einem großen fleischigen Wulst oberhalb der Augen, der sich quer über die Stirn bis zu den Ohren erstreckte." Und die Mondbisons waren erst der Anfang. Als nächstes kommt quasi ein Einhorn: "Es war bläulich bleifarben, von der Größe einer Ziege, mit Kopf und Bart wie diese, und einem einzigen, ein wenig nach vorn gekrümmten Horne."
Die Entdeckung des Tierlebens auf dem Mond geht weiter, neun verschiedene Säugetiere und fünf Vogelarten finden die beiden. Und dann, endlich die Sensation: fliegende Mondmenschen! "Sie waren ungefähr 4 Fuß hoch, waren, mit Ausnahme des Gesichts, mit kurzen, glatten, kupferfarbigen Haaren bedeckt, und hatten Flügel, welche aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haaren bestanden, die hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden lag. Das Gesicht, welches von gelblicher Fleischfarbe war, zeigte eine kleine Veredlung gegen das des großen Orangutangs, da es offener und klüger aussah und eine weit größere Ausdehnung des Vorkopfes zeigte. Indeß war der Mund sehr hervorstehend, obgleich dies etwas durch einen dicken Bart auf dem untern Kinnbacken und durch Lippen von weit menschlicherer Form als diejenigen irgend einer Species des Affengeschlechts verdeckt wurde. (…) Wir benannten die Classe dieser Geschöpfe mit dem wissenschaftlichen Namen „Vespertilio-homo“ oder „Fledermausmensch,“ und es sind ohne Zweifel unschuldige glückliche Creaturen, obgleich einige ihrer Vergnügungen sich nur schlecht mit unsern irdischen Ansichten vom Decorum vertragen würden."
Grant und Herschel beobachten die Fledermausmenschen bei ihrem Treiben, ihren Unterhaltungen und ihrem Herumgefliege über den Mond. Und finden dann sogar noch einen mysteriösen Tempel! "Es war ein gleichförmig dreieckiger Tempel, aus polirtem Saphir oder sonst einem ähnlichen, glänzenden, blauen Steine erbaut, der Myriaden goldener Lichtfunken zeigte, welche in den Sonnenstrahlen schimmerten und funkelten." Das Dach bestand aus Metall, in Form von Flammen und durch "einige wenige Oeffnungen in diesen metallenen Flammen bemerkten wir eine große Kugel von einer dunkleren Gattung Metall, fast von einer trüben Kupferfarbe, welche sie einschlossen und scheinbar um sie herumragten, wie um sie hieroglyphisch zu verzehren. " Alles sehr geheimnisvoll und ebenso mysteriös endet auch der Text: "Was meinten die erfindungsreichen Erbauer unter dem Globus von Flammen umgeben? Gedachten sie dabei irgend eines früheren Mißgeschicks ihrer Welt, oder sagten sie damit irgend eine zukünftige für die unsrige voraus?"
Ja, was wissen die Fledermausmenschen auf dem Mond, was wir nicht wissen! Was hält Herschel geheim? Denn Grant merkt im Bericht auch an, dass bestimmte Entdeckungen aus nicht näher genannten Gründen noch nicht öffentlich gemacht werden dürfen. Und dann ist da noch eine viel wichtigere Frage: Was soll der ganze Quatsch?!
Denn natürlich wissen wir heute, dass das alles Quatsch ist. John Herschel hat kein Superteleskop gehabt mit dem man Mondmenschen von der Erde beobachten kann. Das war mit der damaligen Technik unmöglich und selbst heute kriegen wir das nicht hin. Wenn wir solche Details auf der Mondoberfläche sehen wollen, müssen wir hinfliegen, von der Erde aus geht das nicht. Und wir waren ja auch schon am Mond und können mit Sicherheit sagen, dass sich dort keine Bisons, Einhörner oder Fledermausmenschen herumtreiben. Aus damaliger Sicht war die Sache aber längst nicht so klar. Was irgendein Astronom in Südafrika trieb oder nicht, ließ sich Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so schnell überprüfen wie heute. Und die Vorstellung, dass auf dem Mond und den anderen Himmelskörpern des Sonnensystems Leben und vielleicht sogar intelligente Lebwesen existieren, war ebenfalls nicht so absurd wie uns das heute vorkommt. Man hatte damals kaum Möglichkeiten, konkret zu messen oder zu beobachten, wie heiß oder kalt es zum Beispiel auf dem Mond oder dem Mars ist. Oder ob es dort eine Atmosphäre gibt. Aus diversen ideologischen und religiösen Gründen erschien es den Menschen auch absolut plausibel, dass auf JEDEM Himmelskörper Leben existiert; warum sonst sollte es so viele Planeten geben, wenn dort niemand lebt? Wilhelm Herschel selbst, der Vater von John, war der Meinung, dass sogar auf der Sonne Lebewesen wohnen, wie ich in Folge 333 der Sternengeschichten erzählt habe. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es diverse Astronomen die entsprechende Vermutungen zum Leben auf anderen Himmelskörpern geäußert hatten. Teilweise sehr konkret, so wie der Pfarrer und Hobby-Astronom Thomas Dick, der die Bevölkerungsdichte Englands auf andere Himmelskörper übertrug und so ausgerechnet hatte, dass 1) auf dem Mond circa 4,2 Milliarden Mondmenschen leben und das ganze Sonnensystem mehr als 22 Billionen Einwohner hat.
Die Menschen, die 1835 in der New York Sun über die Beobachtungen eines durchaus bekannten Astronomen lasen, haben das also vermutlich nicht alle für komplett absurd gehalten. Andere Wissenschaftler, wie der Astronom und Mathematiker Carl Friedrich Gauß waren da schon deutlich skeptischer. Aber lange konnte sich die Geschichte trotzdem nicht halten. Fledermausmenschen auf dem Mond waren vermutlich doch ein bisschen zu viel; andere Journalisten recherchierten die Story nach und stellten fest, dass Herschel keine Ahnung von den Entdeckungen hatte, die er angeblich gemacht haben soll und auch keinen Mitarbeiter namens Andrew Grant hatte.
Tatsächlich verfasst hat die Artikelserie der Reporter Richard Adams Locke, ein Mitarbeiter der New York Post, mit dem profanen Ziel, die Auflage der Zeitung zu steigern. Was ihm auch definitiv gelungen ist. Und was er später auch bereitwillig zugegeben hat. Tja. Dass Zeitungen Sachen schreiben, die nicht so ganz richtig sind, um mehr Exemplare verkaufen zu können, soll ja auch heute noch ab und zu mal vorkommen. Fake News im Ausmaß der Geschichte über die Fledermausmenschen vom Mond sind aber heutzutage nicht mehr denkbar. Hoffentlich…
Sternengeschichten Folge 522: Das atmosphärische Fenster
In der heutigen Folge geht es um das atmosphärische Fenster. Und da kann man sich gleich mal fragen, was das sein soll. Unsere Atmosphäre ist ja schon durchsichtig, wozu braucht die noch ein Fenster?
Und es stimmt ja: Wenn nicht gerade Wolken den Blick verdecken, dann kann man durch die Atmosphäre hindurch ganz wunderbar in den Weltraum hinaus schauen. Vor allem, wenn es dunkel genug ist und die Lichter der Zivilisation nicht alles überstrahlen. Dann sieht man den Sternenhimmel in all seiner funkelnden Pracht. Und so beeindruckend dieser Anblick auch ist: Tatsächlich ist der Ausdruck "in all seiner Pracht" nicht ganz richtig. Es gibt sehr viel, was wir nicht sehen können und der Grund dafür sind die Atmosphäre und ihre Fenster.
Dazu müssen wir uns zuerst ansehen, was es überhaupt zu sehen gibt und dann einen genaueren Blick auf die Atmosphäre der Erde werfen. Zu sehen gibt es vom Weltraum vor allem elektromagnetische Strahlung. Genaugenommen gibt es für uns Menschen sowieso nix anderes zu sehen als elektromagnetische Strahlung; unsere Augen können nichts anderes sehen als das. "Sehen" ist die Wahrnehmung elektromagnetischer Strahlung. Aber ich sage nicht umsonst so oft "elektromagnetische Strahlung" und nicht einfach nur Licht. Denn das, was wir im Alltag als Licht bezeichnen, ist zwar elektromagnetische Strahlung. Aber nur ein winziger Teil davon. Das Licht, das wir mit unseren Augen sehen können, hat eine Wellenlänge zwischen circa 400 und 700 Nanometern, reicht also von violett, über blaues Licht, grünes Licht, gelb und bis hin zu rotem Licht. Aber was passiert dort, wo die Wellenlänge kleiner als 400 Nanometer oder größer als 700 Nanometer ist? Jede Menge! Wir sehen halt nur nichts davon.
Wird die Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung größer als circa 690 Nanometer, dann nennt man diese Art des Licht "Infrarotstrahlung". Das kennen wir natürlich auch; diese Strahlung spüren wir auch, in Form von Wärme - aber wir sehen sie eben nicht mit unseren Augen. Ebenso wenig wie die Mikrowellenstrahlung, die Wellenlängen zwischen einem Millimeter und 10 Zentimetern hat. Wären unsere Augen in der Lage, Strahlung mit einer Wellenlänge im Zentimeterbereich wahrzunehmen, dann würden wir das Innere eines Mikrowellenherds hell strahlen sehen, denn genau diese Art des Lichts wird dort erzeugt und genutzt, um das Essen zu erwärmen. Könnten wir auch Strahlung mit Wellenlängen im Meter oder Kilometerbereich sehen, würden wir uns über das helle Leuchten der Lang- und Kurzwellensender wundern, die Radiowellen mit diesen Wellenlängen aussenden. Im kurzwelligen Bereich geht es genau so weiter. Hinter dem sichtbaren violetten Teil der Strahlung kommt das für uns unsichtbare Ultraviolett, das viele Insekten mit ihre Augen aber ganz wunderbar wahrnehmen können. Für sie leuchten die Blumen in Farben, die wir uns nicht vorstellen können. Und wenn die Wellenlänge nur noch wenige Nanometer beträgt, dann landen wir beim Röntgenteil der elektromagnetischen Strahlung. Die Röntgenstrahlung nutzen wir in der Medizin und wir sehen das Resultat der Untersuchung - aber nicht die Strahlung selbst, wie sie unseren Körper durchdringt.
Kurz gesagt: Es gibt da draußen jede Menge Licht, das unsere Augen nicht wahrnehmen können. Und die Himmelskörper im All leuchten in all diesen Farben, nicht nur in denen, die unsere Augen sehen können. Die aktiven Zentren von Galaxien senden Radiostrahlung aus, Supernova-Explosionen erzeugen Röntgenstrahlung, die interstellaren Gaswolken leuchten im Infrarotlicht, und so weiter. Wenn wir das Universum verstehen wollen, müssen wir alles sehen, was es zu sehen gibt. Na und, könnte man jetzt sagen? Dann bauen wir uns halt entsprechende Detektoren dafür! Genau, und das macht die Wissenschaft auch schon lange.
Es bleibt aber trotzdem noch ein Problem und das ist die Atmosphäre der Erde. Die besteht aus einem Gemisch verschiedenster Gase: Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid, Wasserdampf, Ozon, und so weiter. Das ist gut, weil wir einen Teil dieser Gase brauchen um atmen und leben zu können. Es ist aber auch schlecht, zumindest für die Astronomie, denn manche dieser Gase wechselwirken auf für uns sehr unangenehme Weise mit elektromagnetischer Strahlung. Bestimmte Moleküle können einen Teil der elektromagnetischen Strahlung absorbieren oder ablenken. Oder anders gesagt: Nicht alles, was vom Weltall kommend auf die Erdatmosphäre trifft, kommt bis zum Erdboden durch. Nehmen wir zum Beispiel die kurzwellige Ultraviolett-Strahlung: Die trifft schon ziemlich bald, in 15 bis 30 Kilometer Höhe über dem Boden auf die Ozonschicht. Ozon ist ein Molekül das aus drei Sauerstoffatomen besteht und das UV-Licht hat genau die richtige Wellenlänge, um von ihm absorbiert zu werden, Die zusätzliche Energie die das Molekül dadurch aufnimmt sorgt dafür, dass es ein Sauerstoffatom abspaltet, dass sich in Folge wieder mit anderen Sauerstoffatomen zu Ozon verbindet. Das bedeutet aber auch, dass dieser Teil der elektromagentischen Strahlung nicht bis zum Erdboden gelangen kann. Was in diesem Fall durchaus ok ist, denn die UV-Strahlung ist schädlich für uns Menschen und es ist gut, dass die Ozonschicht sie für uns abhält. Für die Astronomie ist es aber trotzdem nervig, denn das bedeutet, dass wir vom Boden aus nichts davon sehen können. Wir können nichts von der UV-Strahlung beobachten, die etwa das interstellare Medium aussendet oder der Sonnenwind; nichts von den heißen jungen Sterne, die mit diesem Licht die kosmischen Wolken in ihrer Umgebung beeinflussen, und so weiter.
Ob elektromagnetische Strahlung absorbiert oder gestreut wird und welcher Teil davon es ist, hängt von den jeweiligen Molekülen ab. Wasserdampf zum Beispiel blockiert einen großen Teil der Infrarotstrahlung, ein anderer Teil wird vom Kohlendioxid absorbiert. Fasst man alles zusammen, dann kommt man zu dem etwas deprimierenden Ergebnis, dass es in unserer Atmosphäre eigentlich nur zwei Fenster gibt. Durch eines gelangt das "normale" für unsere Augen sichtbare Licht auf den Erdboden und ein kleiner Teil der Infrarotstrahlung. Und das andere lässt Radiowellen durch. Und deswegen haben wir hier unten auf der Erde optische Teleskope stehen und auch Radioteleskope. Aber keine Infrarotteleskope, Röntgenteleskope oder UV-Teleskope. Die müssen wir ins All schicken und das ist teuer und aufwendig.
Aber immerhin haben wir ein paar Fenster. Die sind wichtig für uns, nicht nur für die Astronomie. Die Sonne leuchtet zwar auch in allen Teilen des elektromagnetischen Spektrums, das Maximum ihrer Strahlung liegt aber dort, wo wir das grüne Licht sehen können, also genau in der Mitte des für unsere Augen sichtbaren Teils. Das ist auch der Grund, warum wir unseren Stern als weiß-gelblich wahrnehmen: Alle Farben des Regenbogens mischen sich und das Resultat ist weiß. Dieser Teil des Lichts ist es auch, den die Pflanzen und Algen für ihre Photosynthese nutzen. Ohne das optische Fenster wäre das Leben auf der Erde in dieser Form nicht möglich. Problematisch für das Leben ist dagegen ein anderes Fenster. Oder besser gesagt: Das, was wir damit machen. Ich habe gerade gesagt, dass die Sonne den Großteil ihrer Energie im sichtbaren Teil des Spektrums abgibt. Was super ist, denn dieses Fenster ist ja offen und dadurch kommt diese ganze Energie auch zu uns auf den Erdboden. Sie bleibt aber nicht dort, sondern wird zumindest zum Teil wieder ins All reflektiert. Jetzt ist die Erde aber kein Spiegel und das, was reflektiert wird, ist nicht das ursprüngliche Sonnenlicht. Die Erde wärmt sich durch die Sonnenenergie auf und sie gibt einen Teil der Wärme in Form von Wärme- also Infrarotstrahlung ab.
Die Erde leuchtet also im Infrarotlicht und zum Glück gibt es auch ein kleines Infrarotfenster in der Atmosphäre. Ein großer Teil der Infrarotstrahlung kommt nicht durch, aber ein Teil schon und das ist wichtig. Denn nur weil die Erde in der Lage ist, ein bisschen was von der aufgenommenen Wärme wieder ins All hinaus abzugeben, wird es bei uns nicht zu heiß. Wäre das Infrarotfenster geschlossen, dann würden wir bald lebensfeindlich hohe Temperaturen haben. Und leider sind wir gerade dabei, genau das zu tun. Wir setzen immer mehr Treibhausgase frei, also Gase wie Methan oder Kohlendioxid, die genau die Art von Molekülen sind, die Infrarotstrahlung absorbieren. Wir hängen also quasi eine Decke vor unser Fenster und das Resultat ist die deutlich messbare Erwärmung der Erde.
Die Atmosphäre hat sowieso schon so wenig Fenster. Das meiste von dem, was draußem im All passiert, können wir von hier unten nicht sehen. Allein deswegen und nicht nur wegen der Klimakrise sollten wir die Fenster so gut wie möglich offen halten.
Kurz vor dem 10. Geburtstag dieses Podcasts melde ich mich noch einmal mit einer außertourlichen Folge zwischendurch. Keine Sorge, dauert nicht lange - ich habe nur ein paar Ankündigen, die Hörertreffen und ähnliches angehen. Am 30. November 2012 ist die allererste Folge der Sternengeschichten erschienen - was heißt, dass der Podcast am 30. November 2022 seinen 10. Geburtstag feiern wird. Eine spezielle Aktion dazu wird es - leider - nicht geben. Aber rund um dieses Datum herum gibt es ein paar nette Veranstaltungen, zu denen ich euch gerne einladen will. Zum Beispiel am 11. Dezember 2022 nach Herten im Ruhrgebiet! Dort wird es die große Premiere der Bühnenshow zum Podcast "Das Universum" geben; der Podcast, den ich mit meiner Kollegin Ruth Grützbauch betreibe. Es wird ein paar coole Experimente geben, eine Live-On-Stage Galaxienkollision; wir werden zeigen wie man das Unsichtbare sieht, so wie im Podcast ein paar coole Geschichten über das Universum erzählen und am Ende die Welt durch kollektives Gin-trinken retten. Kommt vorbei, es wird super werden!
Tickets und Infos dazu gibt's hier
Und wer zur Universums-Show nach Bremen kommen will: Hier ist der Link, dort dann am Kalender auf den 17. Januar 2023 klicken und dann kommt man zum Kartenkauf.
Am 18. Dezember 2022 wird es eine Veranstaltung in Wien geben. Unser Schwesterpodcast "Cosmic Latte - Kaffehausgespräche über Astronomie" hat zu einem Hörertreffen eingeladen und dem schließen wir uns gerne an. Es wird die Möglichkeit geben, die Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums in Wien bei einer Privatführung zu erkunden. Das ist immerhin die größte Schausammlung dieser Art auf der Welt. Treffpunkt dafür ist um 14.30 vor dem Naturhistorischen Museum, die Führung geht um 15 Uhr los. Die Kosten dafür betragen circa 20 Euro und die Plätze sind begrenzt. Wenn ihr kommen wollt, dann meldet euch bitte also unter [email protected] an. Nach der Führung, so zwischen 16 und 17 Uhr werden wir das Hörertreffen dann gleich nebenan am Weihnachtsmarkt im Museumsquartier Wien fortsetzen, ein bisschen plaudern und Punsch trinken. Da könnt ihr natürlich jederzeit und ohne Anmeldung dazu kommen.
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Und weil ich schon dabei bin, Dinge anzukündigen: Wer Ruth und mich live sehen möchte, aber nicht am 11. Dezember ins Ruhrgebiet kommen kann: Am 27.12 und 30.12 werden wir in Graz und in Wien gemeinsam mit Martin Puntigam eine Special-Silvester-Wissenschaftsshow aufführen.
Tickets und Infos daszu gibt's hier
Das wars auch schon wieder! Alle Infos und Links zu den Veranstaltungen in Herten und Wien und den anderen Terminen, auch denen im nächsten Jahr, findet ihr in den Shownotes. Ich würde mich freuen, euch irgendwo mal treffen zu können!
Und nächsten Freitag geht es dann wie immer mit einer neuen Folge der Sternengeschichten weiter!
Alle Infos unter florian-freistetter.at und sciencebusters.at
Sternengeschichten Folge 521: Der Muonionalusta-Meteorit
Das heutige Thema der Sternengeschichten ist circa 230 Kilogramm schwer, besteht fast komplett aus Eisen und Nickel und ist im Sommer 1906 das erste Mal aufgetaucht. Damals trieben sich die junge Schwedin Amalia Carlsson und ihr zehnjähriger Bruder Viktor im Wald herum, wo sie auf das Vieh ihrer Familie aufpassen sollten. Viktor war ein wenig langweilig, und er vertrieb sich die Zeit damit, herumliegende Steine mit dem Fuß durch die Gegend zu kicken. Einer davon war deutlich schwerer als die anderen und sah auch sehr anders aus. Also nahmen sie ihn mit in ihr Dorf. Von dort gelangte er in die Hände von Hjalmar Lundbohm, einem Geologen aus Kiruna und der stellte fest, dass es sich um einen Meteoriten handelte. Benannt ist er nach dem Ort, an dem er ursprünglich gefunden wurde, der finnischen Dorf Muonio, das 200 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt und unmittelbar an der Grenze zu Schweden. Was auch erklärt, wieso er von den Geschwistern Carlsson aus dem schwedischen Dorf Kitkiöjärvi gefunden wurde. Auf jeden Fall lag der Stein aus dem All, "flussabwärts von Muonio", was auf finnisch so viel wie Muonionalusta heißt.
Dieser erste Fund war nur gut 7,5 Kilogramm schwer, aber 1946 wurde beim Bau eines Hauses in Kitkiöjärvi ein zweites Stück des Meteoriten gefunden, mit einem Gewicht von 15 Kilogramm. Ein drittes Stück mit einem Gewicht von 6,2 Kilogramm fand man 1963, beim Bau einer Straße in Kitkiöjärvi. Mittlerweile hat man ein paar Dutzend weitere Stücke gefunden, die insgesamt gut 230 Kilogramm wiegen. Jetzt ist es natürlich immer aufregend, ein Objekt hier unten auf der Erde zu finden, das aus dem Weltall stammt. Aber Meteoriten kann man sich in jedem Naturmuseum ansehen; man kann sie sogar auf Mineralienbörsen und ähnlichen Einrichtungen kaufen; so enorm selten sind sie auch nicht. Warum also eine eigene Folge über einen ganz bestimmten Meteorit, noch dazu einem der einen so komplizierten Namen hat, wie Muonionalusta?
Weil Muonionalusta eben nicht einfach nur irgendein Meteorit ist. Kein Meteorit ist einfach nur irgendein Meteorit, jeder davon erzählt eine ganz eigene Geschichte und die des Muonionalusta ist heute an der Reihe. Dass die ganzen einzelnen Stücke tatsächlich zusammengehören, kann anhand ihrer chemischen Zusammensetzung bestimmen. Es handelt sich dabei um Eisenmeteorite der Klasse IVA, sogenannte "feine Oktaedrite". Und das wiederum sind Eisenmeteorite, die aus den Mineralien Kamacit und Taenit bestehen. Ich will jetzt gar nicht auf die mineralogischen und geologischen Details eingehen. Es handelt sich dabei jedenfalls um unterschiedliche Arten, wie Eisen kristallisieren kann, beziehungsweise Mischungen aus Eisen und Nickel. Unterteilt werden die Oktaedrite nach ihrem Nickelgehalt und der Art und Weise, wie groß die Kristallstrukturen sind.
Und das ist mehr als nur der übliche Ordnungssinn der Wissenschaft, die alles einteilt und unterteilt und nach diesem und jenem sortiert. Im Falle von Meteoriten sind die Details der mineralischen Struktur durchaus relevant. Sie sagen uns etwas über die Umstände, unter denen die Metallbrocken entstanden sind. Sie müssen zum Beispiel irgendwann bei ihrer Entstehung mal Temperaturen ausgesetzt gewesen sein, die auf jeden Fall höher als 800 Grad waren. Wie die unterschiedlichen Kristalle sich aus der ursprünglichen gleichmäßig verteilten Eisen-Nickel-Mischung herausbilden, hängt von der genauen chemischen Zusammensetzung und der Temperatur ab. Je höher der Nickelgehalt ist, desto geringer kann die Temperatur sein, bei der sich das Kamacit noch vom Taenit abspaltet. Das geht dann aber langsamer und deswegen werden die Kristallstrukturen schmaler und feiner. Es ist als durchaus wichtig zu wissen, ob man es mit einem "feinen" oder einem "groben" Oktaedrit zu tun hat (oder etwas dazwischen).
Aber da hört die Analyse noch längst nicht auf. 2003 fand man im Muonionalusta das Mineral Stishovit; es war das erste Mal, dass man so etwas in einem Eisenmeteoriten gefunden hatte. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich um eine sogenannte "Hochdruck-Modifikation von Quarz". Oder etwas simpler ausgedrückt: Stishovit kann nur entstehen, wenn irgendwo ein sehr hoher Druck herrscht. Gut, wenn ein Meteorit mit einer Geschwindigkeit von ein paar Dutzend Kilometern pro Sekunde auf die Erde prallt, dann herrscht in dem Moment definitiv ein hoher Druck. Und man hatte es zuvor tatsächlich in Einschlagskratern gefunden. Aber im Wald von Kitkiöjärvi ist kein Krater und die Tatsache, dass man so viele Bruchstücke des Meteoriten entdeckt hat deutet darauf hin, dass er noch in der Luft auseinander gebrochen ist. Diese Stücke sind dann wesentlich langsamer zur Erde gefallen und auch das Auseinanderbrechen selbst kann nicht so heftig gewesen sein, um Stishovit entstehen zu lassen.
Um herauszufinden, was da los war, müssen wir jetzt kurz eine allgemeinen Blick auf Eisenmeteorite werfen. Wieso gibt es die eigentlich? Wenn wir uns die vielen Asteroiden anschauen, die durchs Sonnensystem fliegen und die ja genau die Objekte sind, die bei einer Kollision mit der Erde zu den Meteoriten werden, die wir dann aufsammeln können, dann stellen wir fest, dass so gut wie alle davon KEINE Brocken aus Eisen sind. Im Gegenteil, es handelt sich eher um fast schon fluffige Verbindungen aus Gestein, Staub und Eis. Ja, sie enthalten auch Eisen und andere Metalle, aber nur wenig und nicht in Form irgendwelcher großer Brocken sondern in kleinsten Mengen, die überall mit dem Rest des Materials vermischt sind.
Wir müssen noch einen Schritt zurück gehen und auf die Entstehung der Asteroiden selbst schauen. Ganz zu Beginn des Sonnensystems war da ja noch nichts. Nur die junge Sonne und drumherum eine große Wolke aus Gas und Staub. Und mit "Staub" ist hier alles mögliche Zeug gemeint, also alle möglichen chemischen Elemente und Moleküle, nicht der Kram der bei uns zuhause unter dem Sofa liegt. Das hat angefangen, sich zusammenzuballen und immer größere Brocken zu bilden. Also Objekte, die aus einer quasi gleichmäßigen Mischung bestanden, aus Gestein, aus Metall und aus Eis. Und diese größeren Brocken haben sich dann zu noch größeren Brocken zusammengefunden. Und wenn so ein Ding eine gewisse Größe - ein paar hundert Kilometer - überschreitet, dann passiert etwas spannendes. Erstens drückt die ganze Masse ja unter ihrem eigenen Gewicht ja auf den Kern des Objekts und das umso stärker, je mehr Masse da ist. Und zweites waren in der Wolke auch radioaktive Elemente, die bei ihrem Zerfall Energie in Form von Wärme abgeben und davon natürlich auch um so mehr, je größer die Menge diese Elemente ist. Ein ausreichend großes Objekt kann so viel radioaktives Zeug beinhalten und so stark auf seinen eigenen Kern drücken, dass er zu schmelzen beginnt. Das Innere des Brockens wird flüssig und sein Material beginnt sich zu sortieren. Das schwere Zeug, Metalle wie Eisen und Nickel, sinkt in den Kern; das leichtere Gestein bleibt außen. Anders gesagt: Ausreichend große Himmelskörper haben einen metallischen Kern mit einer Gesteinskruste drumherum. Und was passiert, wenn die mit irgendwas kollidieren? Sie brechen auseinander und plötzlich HABEN wir große Metallbrocken, die durch die Gegend fliegen.
Eisenmeteorite wie Muonionalusta sind also die Kerne ehemaliger großer Asteroiden, die es nicht geschafft haben, zu noch größeren Objekten - den Planeten - heran zu wachsen, sondern vorher auseinander gebrochen sind. Das allein ist schon faszinierend genug, aber wir sind noch nicht am Ende. Schaut man sich die mineralische Struktur genau an, kann man herausfinden, wie heiß das Material in der Vergangenheit geworden und wie schnell beziehungsweise langsam es abgekühlt sein muss (denn das hat alles Einfluss auf die Art der Kristallisiation). So kann man auch herausfinden, wie lange es gedauert hat, vom Zeitpunkt der Bildung des metallischen Kerns bis zu dessen Auseinanderbrechen. Man braucht dazu noch ein paar andere Informationen, zum Beispiel die Menge an bestimmten radioaktiven Elementen im Meteorit. Denn solange das Material noch im Kern ist, ist es der radioaktiven kosmischen Strahlung nicht ausgesetzt. Sobald es aber nach dem Auseinanderbrechen frei und ungeschützt durchs All fliegt, wird es plötzlich von allen Richtungen von der überall vorhandenen kosmischen Strahlung bombardiert. Das führt zu nuklearen Reaktionen, die das Verhältnis dieser chemischen Elemente beeinflussen und hört erst auf, wenn der Meteorit auf die Erde gefallen und nun von der Erdatmosphäre vor der Strahlung geschützt ist. Daraus lässt sich also berechnen, wie lange der Himmelskörper nach dem Auseinanderbrechen des ursprünglichen Objekts durch den Weltraum geflogen ist. Und aus den geologischen Umständen des Fundortes und diversen anderen geochemischen Analysen, dem Grad der Verwitterung und so weiter kann man auch herausfinden, wie lange das Ding schon auf der Erde rumliegt.
Wenn man so einen Meteorit ausreichend genau anschaut, kann man also fast seine gesamte Geschichte rekonstruieren. Und die von Muonionalusta ist besonders spannend. Im Jahr 2010 fand eine Analyse des Meteoriten, dass die Bildung des ursprünglichen Objekts von dem er stammt, vor 4,56 Milliarden Jahren begonnen haben muss. So alt war keiner der damals bekannten Meteorite; das war nur ein paar Millionenen Jahr nach dem sich überhaupt die ersten gröberen Brocken aus der ursprünglichen Wolke um die junge Sonne gebildet haben. Muonionalusta hat dann ein paar Milliarden Jahre im Inneren eines größeren Himmelskörpers verbracht, der circa 200 Kilometer groß war. Eine Kollision mit einem anderen Brocken hat dann dazu geführt, dass der metallische Kern dieses Ursprungskörpers frei gelegt wurde. Er ist in mehrere Brocken zerfallen, manche davon noch mit Gestein umgeben, manche nicht. Aus diesen Bruchstücken sind die verschiedenen Eisenmeteorite vom Typ IVA entstanden, die wir heute auf der Erde gefunden haben und die geochemischen Analysen zeigen uns, dass Muonionalusta aus einem "nackten" Eisenbrocken entstanden sein muss, denn nur so konnte er schnell genug abkühlen um die Strukturen zu zeigen, die er hat. Das muss vor ungefähr 400 Millionen Jahren passiert sein und genau bei diesem Ereignis muss auch das Stishovit entstanden sein. Vorher war das nicht möglich, denn dafür war der Ursprungsörper zu klein. Auf die Erde gefallen ist er dann vor circa 800.000 Jahre und hat dann vier Eiszeiten erlebt, bevor er von Amalia und Viktor Carlsson in der skandinavischen Tundra entdeckt wurde.
Es gäbe noch mehr zu erzählen über Muonionalusta und die anderen Meteorite. Sie zeigen uns, wie die Planeten entstanden sind; und was damals im jungen Sonnensystem für Prozesse abgelaufen sind. Welche Vorgänge dazu geführt haben, das aus einer Wolke voll Gas und Staub die großen Planeten wurden, die wir heute sehen können; wir können aus ihnen sogar ablesen, was davor passiert ist; wie die älteren Sterne der Umgebung die gigantische Gaswolke beeinflusst haben, aus der später die Sonne wurde. So ein Stück Metall aus dem Weltraum ist ein Archiv der tiefen Vergangenheit. Im Muonionalusta finden wir die Geschichte des Sonnensystems und auch die Geschichte unseres eigenen Ursprungs.
Sternengeschichten Folge 520: Der tote Diamantenstern
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um BPM 37093. Oder V886 Centauri. Beide Bezeichnungen gehören zum selben Himmelskörper, einem ungefähr 50 Lichtjahre entfernten weißen Zwerg, den wir am Himmel im Sternbild Zentaur sehen können. Allerdings nur mit einem guten Teleskope, für die Beobachtung mit bloßem Auge ist sein Licht viel zu schwach. Und trotz der eher unspektakulären Bezeichnung handelt es sich um ein höchst spektakuläres Objekt. BPM 37093 ist ein gigantischer Kristall aus Kohlenstoff.
Aber fangen wir am Anfang an, der in diesem Fall das Ende ist. Nämlich das Ende eines Sterns wie unserer Sonne. Also kein winziger Zwergstern und auch kein massereicher Riesenstern. Sondern ein ganz normaler, mittelmäßiger Stern der das tut, was Sterne eben so tun, nämlich Wasserstoff zu Helium zu fusionieren. Das passiert im Kern des Sterns, wo es heiß genug dafür ist und nur so lange, so lange es dort noch ausreichend Wasserstoff gibt. Bei unserer Sonne reicht der Vorrat noch gut 5 bis 6 Milliarden Jahre, aber irgendwann ist Ende. Das war auch beim Vorläuferstern von BPM 37093 der Fall - ist aber noch nicht das Ende des Sterns. Ich habe das ja schon in vielen Folgen erzählt: Zuerst wird die Fusion immer schwächer und damit sinkt auch die Menge an Strahlung die aus dem Kern des Sterns nach außen dringt. Diese Strahlung ist aber die Gegenkraft zur Gravitation, die ständig bestrebt ist, den Stern in sich zusammenfallen zu lassen. Und genau das passiert jetzt und dadurch wird es im Kern noch heißer; so heiß, dass nun auch das Helium fusioniert werden kann und zwar zu Elementen wie Sauerstoff und Kohlenstoff. Wenn dann auch das Helium verbraucht ist - was viel schneller geht, weil von Anfang an weniger davon da ist - kommt es auf die Masse des Sterns an. Sie bestimmt, wie stark der Druck auf den Kern werden kann und damit die Temperatur, die dort herrschen kann. Und die bestimmt, welche Elemente noch miteinander fusionieren können. Massereiche Sterne können in der Endphase ihres Lebens auch noch Sauerstoff und Kohlenstoff fusionieren und diverse andere Atome. Sterne wie unsere Sonne aber nicht. Das heißt, dass nun die Fusion zum Erliegen kommt. Davor hat der Stern außerdem schon seine äußeren Gasschichten hinaus ins All gepustet. Da die Heliumfusion bei höheren Temperaturen abläuft, steigt auch die Menge an Strahlung, die nach außen dringt. Der Stern bläht sich auf und die äußersten Gasschichten lösen sich quasi ab und entkommen ins All. Übrig bleibt dann am Ende nur noch der Kern des Sterns, in dem keine Fusion mehr stattfindet und der deswegen unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen fällt. Die Materie im Kern wird enorm verdichtet und das, was dabei entsteht, nennt man einen Weißen Zwerg: Ein Himmelskörper der ungefährt die Masse der Sonne hat, aber nur noch so groß ist wie die Erde. Er ist immer noch heiß und leuchtet deswegen auch. Er erzeugt aber keine Strahlung durch Kernfusion mehr.
Genau so ist auch BPM 37093 entstanden. Dieser weiße Zwerg gehört aber zur speziellen Klasse der ZZ-Ceti-Sterne. Das sind weiße Zwerge, die pulsieren und dadurch ihre Helligkeit periodisch ändern. Ich habe über die verschiedenen Arten der veränderlichen Sterne ja schon in den Folgen 64 und 65 der Sternengeschichten gesprochen und in Folge 144 ein wenig im Detail über die Mechanismen, die die Helligkeitsänderung verursacht haben. Das will ich jetzt nicht alles wiederholen - aber es ist in bestimmten Fällen möglich, dass auch weiße Zwerge pulsieren. Um den Kern aus Kohlenstoff und Sauerstoff herum gibt es ja auch dort noch eine Art "Atmosphäre" aus Wasserstoff und Helium. Es wurde bei der Kernfusion ja nicht der gesamte Wasserstoff verbraucht; nur der Teil, der weit genug innen im Stern lag, wo es heiß genug war. Die äußeren Schichten blieben übrig und die werden auch nicht komplett hinaus ins All gepustet. Und in den übrig gebliebenen Schichten können die gleichen Prozesse ablaufen, die auch in normalen Sternen für periodische Helligkeitsänderungen sorgen.
Das ist durchaus interessant! Denn in Folge 164 der Sternengeschichten habe ich ja von der Asteroseismologie berichtet. Also der astronomischen Technik, bei der man aus den Helligkeitsveränderungen auf die Art der Schwingungen schließen kann, die das Material des Sterns ausführt, um die Helligkeitsänderungen zu verursachen. Und weiß man, wie der Stern schwingt, dann kann man - wie bei der Seismologie in der irdischen Geologie - auf das Innere des Sterns schließen. Das geht auch bei weißen Zwergen und noch dazu ist BPM 37093 ein weißer Zwerg, der genau die richtigen Eigenschaften hat, um eine Theorie zu überprüfen, die in der Astronomie schon seit den 1960er Jahren existiert. Es geht um die "Kristallisationstheorie" und die besagt, dass die Kerne von weißen Zwergen irgendwann kristallisieren. Denn dort findet ja, wie schon gesagt, keine Kernfusion mehr statt. Das ganze Zeug liegt einfach nur noch rum und kühlt ab. Irgendwann sollte das Material dann in einen festen, kristallinen Zustand übergehen. Herauszufinden ob und wenn ja, wie das genau passiert, ist wichtig. Denn wenn ein Material, das zuerst flüssig war, wieder fest wird, dann wird dabei die sogenannte "Kristallisationswärme" frei. Simpel gesagt: Um einen festen Stoff zu schmelzen, also ihn flüssig zu machen, muss man ihm Energie zuführen. Und die verschwindet nicht einfach. Wenn der Stoff dann wieder fest wird, wird genau diese Energie wieder frei. Das ist wichtig, denn das beeinflusst die Art und Weise, wie wir das Alter von weißen Zwergen bestimmen. Das tun wir, vereinfacht gesagt, durch eine Bestimmung seiner Temperatur. Je kühler, desto älter muss er sein. Und das Alter der weißen Zwerge sagt uns viel über die Entwicklung unserer Galaxie, darüber wann wo wie viele Sterne entstehen und wieder aufhören, Sterne zu sein. Wenn jetzt aber der Kern eines weißen Zwergs kristallisiert und dabei Wärme frei wird, dann verfälscht das die Statistik. Dann denken wir, der weiße Zwerg wäre jünger als er tatsächlich ist. Dabei ist er einfach nur ein wenig langsamer abgekühlt als er es ohne die Kristallisationswärme getan hätte.
Wie findet man nun aber raus, ob ein weißer Zwerg innen drin fest ist oder nicht? Genau das sagt uns die Asteroseismologie. Je nach dem wie viel des weißen Zwergs fest geworden ist und wie genau die Struktur der Kristalle aussieht, kann er auf bestimmte Weisen schwingen bzw. nicht schwingen. Oder anders gesagt: Bestimmte Schwingungen im Sternmaterial können sich nicht ausbreiten, wenn der Kern kristallisiert ist. Die Theorie dazu gab es, wie gesagt, seit den 1960er Jahren. Aber erst als man 1992 herausfand, dass BPM 37093 ein veränderlicher weißer Zwerg ist, hatte man ein passendes Objekt, um das auch zu überprüfen. Dazu muss man aber seine Helligkeitsschwankungen messen und das so genau wie möglich. Die Schwankungen der Helligkeit sind winzig und bewegen sich im Bereich von ein paar Promille der Helligkeit. Vor allem aber muss man die Helligkeit kontinuierlich messen und das ist schwierig. Denn selbst wenn man eine perfekte, sternenklare Nacht hat, dann muss man spätestens bei Sonnenaufgang mit den Messungen aufhören. Genau für solche Fälle wurde 1988 das "Whole Earth Telescope" gegründet. Dieses Teleskop ist natürlich nicht so groß wie die ganze Erde, aber es besteht aus einem Netzwerk von Teleskopen, die überall auf der Erde verteilt sind und zwar so, dass immer gerade irgendwo Nacht ist. Wenn die alle koordiniert arbeiten, kann man einen Stern rund um die Uhr beobachten. Mittlerweile kann man sowas natürlich auch mit Weltraumteleskopen machen, aber die sind sehr teuer und damals gab es noch kein Teleskop im Weltall, das explizit mit Messungen von Helligkeitsschwankungen beschäftigt war.
Mit dem Verbund des Whole Earth Telescope ist es im Jahr 2004 auf jeden Fall gelungen, BPM 37093 so genau zu beobachten, dass man seine innere Struktur analysieren konnte. Das Ergebnis: Circa 90 Prozent seiner Masse sind kristallisiert. Andere Arbeiten, die später durchgeführt wurden, kommen zu dem Schluss, dass die kristallisierte Masse zwischen 32 und 82 Prozent der Gesamtmasse liegen muss. So oder so war auf jeden Fall klar: Der Kern eines weißen Zwergs wird tatsächlich irgendwann zu einem Kristall. Und zweitens: Bei BPM 37093 liegt der kristalline Anteil ziemlich hoch.
Aber was heißt das eigentlich: Kristall? Wir stellen uns da immer irgendwas hübsch funkelndes vor. In der Physik wird damit aber ganz allgemein ein Festkörper bezeichnet, dessen Atome oder Moleküle regelmäßig angeordnet sind. Jede Kristallstruktur hat eine Basis, also eine bestimmte Anordnung der Atome, die sich dann periodisch im dreidimensionalen Raum wiederholt. Salz und Zucker sind zum Beispiel Kristalle. Und es gibt viele verschiedene Arten, wie eine Kristallstruktur aufgebaut sein kann. Eine davon ist die sogenannte "Diamantstruktur" die man - wenig überraschend - bei Diamanten das erste Mal beschrieben hat. Die Details würden jetzt zu weit gehen, aber es geht dabei um acht Kohlenstoffatome (ein Diamant besteht ja aus Kohlenstoff), die auf bestimmte Art angeordnet sind.
Was heißt das jetzt für BPM 37093? Wir haben einen weißen Zwerg, dessen Kern aus Kohlenstoff und Sauerstoff besteht und zu einem großen Teil kristallisiert ist. Ein Kristall aus Kohlenstoff! Also ein Diamant? Na ja, das ist natürlich verlockend es so zu sehen. Aber man weiß nicht genau, wie die Kristallstruktur dort aussieht. Vermutlich ist sie der Struktur von Diamant zumindest sehr ähnlich. Und man kann BPM 37093 mit gewisser Berechtigung als gigantischen, planetengroßen Diamanten bezeichnen. Darf sich aber dann nicht eines der funkelnden Dinger vorstellen, die wir hier auf der Erde in den Juweliersläden für viel Geld verkaufen.
Faszinierend ist die Sache auf jeden Fall! Vor allem, weil das was für BPM 37093 gilt, ja auch für andere weiße Zwerge gilt. Die haben wir bis jetzt nur noch nicht so gut beobachten können, um das festzustellen. Und auch unsere Sonne wird ihr Leben in ein paar Milliarden Jahren als weißer Zwerg beenden. Und dann ebenfalls anfangen, zu kristallisieren. Die Erde wird dann zwar schon lange kein Leben mehr beherbergen können und vielleicht sogar in den Endphasen des Sonnenlebens zerstört worden sein. Aber es ist trotzdem irgendwie schön zu wissen, dass am Ende nicht einfach nur ein toter Stern übrig bleibt, sondern ein gigantischer Diamant.
Sternengeschichten Folge 519: Sterne, die wie Menschen heißen
Ich habe in den Sternengeschichten schon oft über die Namen der Sterne gesprochen. Was auch sonst, immerhin rede ich sehr oft über Sterne und wenn man nicht weiß, wie etwas heißt, kann man schwer davon erzählen. Gleich in der zweiten Folge des Podcasts habe ich erklärt, wie die klassischen Bezeichungen wie "Alpha Centauri" oder "51 Pegasi" zustande gekommen sind. In Folge 370 habe ich von den Sternkatalogen erzählt, die für die Forschung so enorm wichtig sind und aus denen die meisten Sterne ihre Bezeichnungen voller Zahlen und Buchstaben bekommen.
Diese Bzeichnungen sind aber meist eher nichtssagend und wenig ästethisch. Unter "HD 209458" kann man sich zum Beispiel wenig vorstellen, noch weniger unter "OGLE-2016-BLG-1195L". Alte Sternnamen, wie "Sirius" oder "Wega" klingen da doch viel schöner. Und warum können die Sterne nicht nach Menschen benannt werden? In der Biologie und Botanik werden ja auch immer wieder Pflanzen und Tiere nach Menschen benannt, warum nicht auch die Sterne?
Die Sache mit der Benennung der Sterne ist ein wenig kompliziert. Das größte Problem dabei ist die Anzahl der Sterne. Es gibt einfach sehr, sehr, sehr viele davon. Allein ein paar hundert Milliarden in unserer Milchstraße und es gibt ein paar Billionen Galaxien wie unsere Milchstraße im bekannten Universum von denen alle selbst wieder aus ein paar hundert Milliarden Sternen bestehen. So viele Namen kann man sich nicht ausdenken. Muss man aber auch gar nicht, denn es ist nur dann sinnvoll, einem Stern einen Namen zu geben, wenn man auch irgendwelche konkreten Informationen darüber hat. Man muss zumindest mal seine genaue Position kennen, seine Helligkeit, vielleicht auch noch seine Geschwindigkeit. Und diese Daten haben wir bei den allermeisten Sternen nicht. Das GAIA-Weltraumteleskop hat im Jahr 2022 einen Katalog veröffentlicht, der Daten von 1,8 Milliarden Sternen enthält, so viel wie kein anderer Katalog zu diesem Zeitpunkt. Das sind zwar gerade mal 2 Prozent aller Sterne der Milchstraße. Aber auch 1,8 Milliarden Namen denkt man sich nicht auf die Schnelle aus. Und weil man trotzdem irgendeine Art der Bezeichnung braucht, verwendet man eben die Katalognummern, die vielleicht nicht ästethisch sind, aber zumindest systematisch.
Für die Wissenschaft ist das kein Problem. Aber wenn man mit der Öffentlichkeit über Astronomie sprechen will, dann ist es durchaus praktisch, wenn die Sterne "schöne" Namen haben. Und deswegen hat die Internationale Astronomische Union im Jahr 2015 begonnen, offizielle Namen für die Sterne festzulegen. Dabei hat sie viele der antiken Bezeichnungen und Namen, die im Laufe der letzten Jahrhunderte im Gebrauch waren, offiziell festgelegt. Also erklärt, dass Namen wie "Beteigeuze", "Antares" oder "Sirius" nun eben auch offiziell von der Internationalen Astronomischen Union als Namen der jeweiligen Himmelskörper anerkannt und zur Verwendung empfohlen werden. Darüber hinaus hat man aber auch angefangen, neue Sternnamen zu vergeben. Vor allem Sterne, die von Planeten umkreist werden. Im Jahr 2021 war man immerhin schon bei 451 offiziellen Sternennamen. Darunter waren aber nur zehn Stück, die nach Menschen benannt worden sind.
Es gibt natürlich jede Menge Sterne, die nach Göttern und anderen mythologischen Figuren benannt wurden. Aber wir reden jetzt von Menschen, die es tatsächlich gegeben hat. So wie Edward Emerson Barnard, der amerikanische Astronom, der 1916 einen Stern im Sternbild Schlangentränger untersucht und festgestellt hat, dass er sich enorm schnell bewegt; schneller als alle anderen damals bekannten Sterne. Und weil das so ein außergewöhnlicher Stern war, mit dem sich viele Forscherinnen und Forscher beschäftigt haben, ist man bald dazu übergangen, ihn nicht mit irgendwelchen Katalognummern zu bezeichnen, so wie BD+04°3561a, sondern ihn einfach "Den Stern von Barnard" beziehungsweise "Barnards Stern" zu nennen. Das hat sich dann etabliert und die Internationale Astronomische Union hat diesen Namen dann 2015 offiziell gemacht. Ein Sonderfall ist Alpha Canum Venaticorum, der hellste Stern im Sternbild der Jagdhunde. Zumindest ist er das heute, im 17. Jahrhundert hat man ja noch eine andere Einteilung der Sterne am Himmel in Sternbilder gehabt als heute. Beziehungsweise alle möglichen Einteilungen; da gab es noch keine systematische und allgemeingültige Regeln. Und in England hat der Kartenmacher Francis Lamb in einer Himmelskarte das Sternbild "Cor Caroli" eingezeichnet, benannt nach dem englischen König Karl. I. Der wollte zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch in England absolutistisch regieren, ohne Parlament, was aber nicht alle so super fanden und am Ende zum englischen Bürgerkrieg führte. Karl I. wurde hingerichtet und die Monarchie zumindest zeitweilig abgeschafft. Es gab aber noch genug, die Karl I. toll fanden und Francis Lamb war offensichtlich einer davon. Ihm zu Ehren wurden das Sternbild "Cor Caroli" auf die Karten gemacht und der hellste Stern dort als Cor Caroli Regis Martyris, also "Das Herz von Karl, dem Märtyrerkönig" genannt. Das Sternbild ist dann später wieder von den Karten verschwunden, der Name des Sterns blieb aber verkürzt als "Cor Caroli" bestehen und wurde 2015 der offiziellen Liste hinzugefügt. Genaugenommen ist der Stern also nach einem Körperteil eines Menschen benannt, aber das ignorieren wir einfach mal.
Und dann gibt es noch den seltsamen Fall der Sterne Alpha und Beta Delphini, also den hellsten und zweithellsten Stern im Sternbild Delfin. Die sind recht unscheinbar, aber in einem Sternkatalog aus dem Jahr 1814 wurden sie mit den Namen "Sualocin" und "Rotanev" bezeichnet. Zuerst wusste niemand, was das auf einmal soll und woher diese Namen kamen. Aber wenn man ein bisschen nachdenkt und die Wörter rückwärts liest, dann landet man bei "Nicolaus Venator". "Venator" ist lateinisch für "Jäger" und auf italienisch sagt man zum Jäger "Cacciatore". Und Niccolò Cacciatore ist der Name eines italienischen Astronoms, der Ende des 18. Jahrhunderts Assistent von Giuseppe Piazzi an der Sternwarte von Palermo wurde, also live mit dabei war, als Piazzi dort 1801 den ersten Asteroiden entdeckt hat. Gemeinsam mit Piazzi verfasste Cacciatore auch einen Sternenkatalog, genau der Katalog, in dem die beiden Sterne mit den komischen Namen aufgetaucht sind. Er dürfte sich also einfach, nur notdürftig getarnt, selbst dort verewigt haben. So oder so: Auch diese beiden Sternnamen wurden 2015 von der Internationalen Astronomischen Union offiziell gemacht.
Ein amerikanischer Astronom, ein englischer König und ein vorlauter Italiener: Das war der Stand der Dinge im Jahr 2015; drei Menschen hatten es geschafft, ihre Namen offiziell am Himmel als Stern zu verewigen. In den kommenden Jahren hat die Internationale Astronomische Union dann die Mithilfe der Bevölkerung gesucht. Schulen, astronomische Vereine und ähnliche Organisationen wurden aufgerufen, sich Namen für ausgewählte Sterne und ihre Planeten auszudenken. So kamen ein paar hundert neue offizielle Bezeichnungen dazu; und ein paar neue Menschen als Sternnamen an den Himmel.
Der Stern 55 Cancri heißt seitdem offiziell "Copernicus", nach dem Astronomen Nikolaus Kopernikus. Für die Benennung des Sterns Mu Arae, der von vier Planeten umkreist wird, war das Planetarium in Pamplona, in Spanien zuständig. Dort hat man sich entschieden, den Stern nach dem berühmten spanischen Schriftsteller Miguel de Cervantes zu benennen und genau so heißt er jetzt auch "Cervantes" (die Planeten haben Namen von Figuren aus seinen Büchern bekommen).
In der nächsten Runde der Sternbenennungen kamen noch ein paar Leute dazu. Diesmal bekam jedes Land einen Stern mitsamt Planeten zugeteilt. Der Stern HD 152581 durfte von Aserbeidschan benannt werden und man entschied sich für "Mahsati", nach einer persischen Dichterin, die um das 12. Jahrhundert herum gelebt hat. Kuba war für den Stern BD−17 63 zuständig und hat ihn "Felixvarela" genannt, nach dem kubanischen Priester Félix Varela, der dort im frühen 19. Jahrhundert gewirkt und sich für die Unabhängigkeit Kubas von Spanien eingesetzt hat. Indien hat sich für den Stern HD 86081 den Namen "Bibha" ausgesucht, nach der indischen Physikerin Bibha Chowdhuri, die ab den 1940er Jahren kosmische Strahlung und andere teilchenphysikalische Phänomene erforscht und auch gemeinsam mit dem englischen Physiker Patrick Blackett gearbeitet hat, der 1948 für die Erforschung der kosmischen Strahlung den Nobelpreis bekommen hat. Und zum Schluss haben wir noch einmal Spanien, diesmal mit dem Stern HD 149143, der mittlerweile "Rosalíadecastro" heißt, nach der galizischen Dichterin Rosalía de Castro.
Wer die Liste aus dem Jahr 2021 durchgeht, wird dort auch einen Stern finden, der "Franz" heißt. Dafür verantwortlich war Österreich; man hat den Stern HAT-P-14 den Namen "Franz" gegeben und seinen Planeten "Sissi" genannt. Aber, und das ist wichtig, damit nicht Kaiser Franz-Josef I und seine Frau, die Kaiserin Elisabeth aka Sisi, geehrt. Sondern die fiktiven Figuren Franz und Sissi, aus den Sissi-Filmen der 1950er Jahren mit Karlheinz Böhm und Romy Schneider. Denn die IAU sieht es nicht so gerne, wenn man Himmelskörper nach Menschen aus Politik und Militär benennt und Franz-Josef war sowohl das eine als auch das andere. Ok, Köng Karl I. ja auch, aber das war quasi eine historische Altlast, die man einfach akzeptiert hat.
Und so ganz toll scheint die Internationale Astronomische Union das mit den Sternen, die nach Menschen benannt sind, auch nicht mehr zu finden. Im Jahr 2022 fand der nächste Aufruf statt, ausgewählten Sternen Namen zu geben. Früher war in den Regeln noch festgelegt, dass man keine Namen vergeben soll, die sich auf Menschen beziehen, die weniger als 100 Jahre tot sind; auch nach noch lebenden Menschen soll man keine Sterne benennen. Ebenso nicht nach politischen, militärischen oder religiösen Personen. Mittlerweile steht aber in den Regel, dass Namen von echten Menschen, egal ob lebendig oder tot, nicht verwendet werden sollen. Punkt.
Es scheint also so, als würden Edward Emerson Barnard, König Karl I., Niccolò Cacciatore, Nikolaus Kopernikus, Miguel de Cervantes, Mahsati, Félix Varela, Bibha Chowdhuri und Rosalía de Castro vorerst die einzigen Menschen bleiben, die es als Sterne an den Himmel geschafft haben.
Sternengeschichten Folge 518: Die Zeitumstellung
Zeit ist ein fundamentales Thema. In der Wissenschaft, aber genau so in unserem Alltag. Die Uhrzeit ist wichtig für uns; wir organisieren unser gesamtes Leben nach dem, was die Uhr gerade anzeigt. Und gerade weil die Zeit so präsent in unserem Leben ist, vergessen wir gerne ihre astronomischen Ursprünge. Ein Tag ist das, was uns von der Rotation der Erde um ihre Achse vorgegeben wird. Diese Drehung unseres Planeten erzeugt den regelmäßigen Rhythmus von Tag und Nacht. Dass wir diese Rotation in 24 Stunden einteilen, die wiederum in 60 Minuten zu je 60 Sekunden unterteilt werden, ist historischer Zufall; wir hätten genau so gut einen Tag mit 100 Stunden oder 10 Stunden organisieren können; das sind ja alles nur willkürliche Zeiteinheiten. Genau so wie unsere ganze Uhrzeit willkürlich ist. Definitiv nicht willkürlich sind dagegen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Darauf haben wir keinen Einfluss; morgens wird es hell und abends wieder finster. Das war schon immer so und das wird auch immer so sein.
Natürlich ist es wesentlich einfacher Dinge zu tun, wenn es hell ist und deswegen haben wir Menschen uns bei unseren Aktivitäten immer schon nach dem Stand der Sonne gerichtet. Allerdings macht es uns unsere Planet nicht einfach. Die Achse, um die sich unsere Erde dreht, ist ein wenig geneigt. Würde sie exakt senkrecht auf die Erdbahn stehen, dann wären dunkle Nacht und heller Tag immer gleich lang. Aber sie ist geneigt und das macht es kompliziert; zumindest für alle, die nicht in unmittelbarer Nähe des Äquators leben. Dort sind Tag und Nacht tatsächlich so gut wie gleich lang, hält man sich aber weiter nördlich oder südlich auf, ist man im Laufe des Jahres mit unterschiedlich langen Phasen von Helligkeit und Dunkelheit konfroniert.
Wenn im Sommer der Nordhalbkugel die nördliche Hemisphäre der Erde in Richtung der Sonne geneigt ist, dann ist der helle Tag auch deutlich länger als die dunkle Nacht. Im Winter ist es genau umgekehrt und es ist sehr viel länger dunkel als hell. Nur an zwei Tagen im Jahr - den Tag-und-Nacht-Gleichen im Herbst und Frühling haben wir genau so lange Tag wie Nacht.
Prinzipiell ist das alles kein Problem. Zumindest war das früher so. Da ist man halt dann aufgestanden, wenn es hell geworden ist, hat die Arbeit erledigt und wenn es dunkel war, ging's wieder ins Bett. Beziehungsweise war das ganz so einfach auch wieder nicht, aber wenn doch mal Arbeit nach Sonnenuntergang erledigt werden musste, gab es ja Kerzen, Feuer und so weiter. Außerdem war die Welt noch sehr viel landwirtschaftlicher und bäuerlicher geprägt und da hat es sich gut getroffen, dass da die arbeitsintensive Zeit von Frühjahr bis Frühherbst war und im Winter auf den Feldern eh nicht viel zu tun war, da konnte man auch zuhause bleiben. Aber so läuft die Welt ja schon lange nicht mehr. Wir haben aufgehört, uns bei der Arbeit am Stand der Sonne zu orientieren. Wir arbeiten dann, wann es uns die Zeit auf der Uhr sagt und wir organisieren auch unser Privatleben danach. Wenn wir um 8 Uhr morgens im Büro sein müssen, dann sind wir um 8 Uhr morgens im Büro, egal wo die Sonne da gerade steht.
Das alles führt dazu, dass wir im Winter meistens in kompletter Dunkelheit aus dem Bett müssen und unseren Tag beginnen, wenn es draußen noch Nacht ist und die neue Nacht schon wieder anfängt, bevor wir den Arbeitstag beendet haben. Im Sommer dagegen steht die Sonne meist schon lange am Himmel, bevor wir aus dem Bett kommen. Und das haben viele Menschen im Laufe der Zeit ein wenig unpraktisch gefunden. Und sich überlegt, ob man das nicht irgendwie anders organisieren kann, damit wir mehr vom Tag haben.
Wir können natürlich nichts daran ändern, wie die Erdachse ausgerichtet ist. Aber zumindest an der Uhrzeit könnte man doch was machen? Die könnte man doch einfach an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen - und genau das ist die Idee hinter der Zeitumstellung von Normalzeit auf Sommerzeit. Es wird oft behauptet, dass der amerikanische Universalgelehrte Benjamin Franklin der erste war, der die Idee für eine Sommerzeit gehabt hat. Das ist aber nicht ganz richtig. Franklin war Ende des 18. Jahrhunderts als Botschafter in Paris und hat dort 1784 einen nicht ganz ernst gemeinten Artikel in einer Zeitschrift geschrieben. Er erzählt, wie er um 6 Uhr morgens von einem lauten Geräusch geweckt wurde und dabei feststellen musste, dass die Sonne um diese Zeit schon am Himmel steht. Er schreibt: "Die Leser, die so wie ich nie die Sonne vor mittags gesehen haben, werden so wie ich höchst erstaunt sein zu hören, dass sie so früh aufgeht, insbesondere, da ich versichern kann, dass die Sonne scheint, sobald sie am Himmel steht! Das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen!"
Wie gesagt - das war alles nicht ernst gemeint und Franklin wird mit Sicherheit nicht jeden Tag bis mittags geschlafen und an diesem Tag das erste Mal den Sonnenaufgang gesehen haben. Aber er nutzt die Gelegenheit für den Vorschlag, die Bevölkerung von Paris zu einem früheren Aufstehen zu überreden. Damit könne man jede Menge Geld sparen, weil man dann abends keine Kerzen mehr bräuchte und stattdessen morgens das kostenlose Sonnenlicht nutzen könne. Man müsste eben Strafen einführen, für alle, die Vorhänge oder ähnliches benutzen und bei Sonnenaufgang alle Kirchenglocken läuten und zur Sicherheit noch ein paar Kanonen abfeuern, damit wirklich alle rechtzeitig aufwachen. Und wer nach Sonnenuntergang noch unterwegs ist, sollte ebenfalls bestraft werden.
Mit einem ersthaften Vorschlag zur Einführung einer Sommerzeit hat das nichts zu tun. Der kam stattdessen vom neuseeländischen Insektenforscher George Hudson. 1867 geboren interessierte sich Hudson schon als Kind für Insekten, begann aber dann in einem Postamt zu arbeiten. Die abendlichen Stunden nach der Arbeit nutzte er dann gerne um in der Natur herumzustreifen und Insekten zu sammeln. Und das ging natürlich umso besser, je länger die Sonne noch schien. Vielleicht hat ihn das inspiriert, 1895 einen Artikel über die Sommerzeit zu schreiben. Damit man die langen Sommertage besser nutzen kann, schlägt er vor, die Uhren im Frühling zwei Stunden vorzustellen und im Herbst zwei Stunden zurück. Im Sommer würden dann alle Aktivitäten zwei Stunden früher stattfinden als sonst, womit man einerseits den früheren Sonnenaufgang und das morgendliche Licht besser nutzen könnte und andererseits am Abend mehr Zeit zur Verfügung hat, um im Tageslicht diverse Dinge zu tun - Cricket spielen, im Garten arbeiten oder Fahrradfahren sind die Vorschläge von Hudson. Er merkt auch an, dass man das Prinzip auch einfach so machen könnte, ohne die Uhrzeit zu ändern. Wir könnten ja auch einfach im Sommer früher aufstehen als im Winter. Aber das wäre zu kompliziert; denn dann müsste man ja auch die Öffnungszeiten der Geschäfte entsprechend ändern, die Abfahrtszeiten der Züge, und so weiter. Eine einfache Umstellung der Uhrzeit wäre viel weniger Aufwand.
Unabhängig von Hudson hat auch der britische Architekt William Willett im Jahr 1907 einen Vorschlag zur Einführung einer Sommerzeit gemacht. Angeblich ritt er eines Sommermorgens durch die Landschaft und stellte dabei fest, dass viele Fensterläden an den Häusern noch geschlossen und die Menschen im Bett waren. Das ist doch schade, hat er sich gedacht, wenn alle noch schlafen, kann niemand die schöne Natur im morgendlichen Licht genießen. Außerdem war er Golfer und hat sich daran gestört, wenn es abends früh dunkel wurde und er seine Runde abbrechen musste. So wie Hudson war auch er der Meinung, es wäre einfacher, wenn man die Uhrzeit umstellt, als die Menschen dazu zu bringen, morgens früher aufzustehen.
Aber weder Hudson noch Willett waren mit ihren Ideen erfolgreich. Vorerst zumindest. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Welt auch schon zusammengewachsen; zwar noch nicht so eng wie heute, aber es gab doch jede Menge Verbindungen zwischen den Nationen und vor allem der grenzübergreifende Eisenbahnverkehr war ein großes Hindernis für eine Zeitumstellung. Denn wenn man das nicht einheitlich macht, in allen Länder, gibt es großes Chaos. Und deswegen war es überraschenderweise der 1. Weltkrieg, der der Sommerzeit zum Durchbruch verholfen hat. Nach Kriegsausbruch gab es quasi keinen länderübergreifenden Eisenbahnverkehr mehr; das Problem fiel also weg. Außerdem ist so ein Krieg teuer und wenn man sich die künstliche Beleuchtung am Abend sparen kann, spart man auch Energie. Also wurde am 30. April 1916 im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn erstmals eine Sommerzeit per Gesetz für ein ganzes Land eingeführt. Andere Länder folgten, nach Ende des Krieges ging man aber wieder zur Normalzeit zurück. In den meisten zumindest; aber jetzt, wo man das mit der Zeitumstellung schon mal ausprobiert hatte, experimentierten immer wieder Länder mit verschiedenen Arten von Sommer- und Winterzeit. Im Zweiten Weltkrieg gab es wieder Sommerzeit in vielen Ländern, auch Deutschland führte sie wieder ein. Und schaffte sie nach dem Krieg wieder ab.
In Europa gibt es erst seit den späten 1970er bzw. den 1980er Jahren längere Phasen der Zeitumstellung und mittlerweile ist das ganze durch EU-Gesetze geregelt, denen sich auch viele Nicht-EU-Länder angeschlossen haben, weil es eben wirklich unpraktisch ist, wenn die Uhrzeit der umliegenden Länder anders ist. Auch im Rest der Welt gibt es viele Länder mit Sommerzeit - und immer wieder, meistens dann, wenn die Uhr mal wieder umgestellt werden muss, auch jede Menge Kritik daran. Darauf will ich hier gar nicht eingehen; das würde zu weit und auch zu weit von der Astronomie weg führen. Dass man durch die Zeitumstellung heutzutage keine Energie mehr sparen kann, hat man mittlerweile festgestellt. Aber abgesehen von den Weltkriegen war das Energie-Argument auch nie der eigentliche Grund aus dem man die Sommerzeit eingeführt hat, sondern im wesentlichen die Argumente, die schon Willett und Hudson vorgebracht haben. Man will dafür sorgen, dass die Menschen mehr Zeit bei Sonnenlicht verbringen können und vor allem im Sommer nicht so viel vom hellen Tag verschlafen. Man hat Abends mehr Zeit, um Aktivitäten im Freien durchzuführen - und wenn man einen Job hat, der draußen stattfindet, dann ist es auch ganz praktisch, wenn man schon früh anfangen kann, wo es im Sommer draußen noch nicht so extrem heiß ist.
Die Kritik wird sich aber vermutlich nicht auflösen lassen. Denn die Astronomie kann man nicht ändern. In Mitteleuropa geht die Sonne eben im Winter später auf und früher unter als im Sommer. Und egal, wie wir es machen, wird es Phasen geben, wo es nicht optimal ist. Wenn man dauerhafte Sommerzeit einführt, dann gäbe es Tage im Winter, wo die Sonne erst gegen halb 10 Uhr aufgeht und wir den halben Vormittag in Dunkelheit verbringen müssen. Bei ständiger Normalzeit dagegen würde die Sonne im Sommer an manchen Tagen schon vor 4 Uhr früh am Himmel stehen. Die Zeitumstellung ist der Versuch, die Situation auszugleichen, mit der wir dank der geneigten Erdachse konfrontiert sind und an der wir nichts ändern können.
Sternengeschichten Folge 571: Astronomische Verbrechen
In dieser Folge der Sternengeschichten wird es um Verbrechen gehen. Um Diebstahl, Erpessung, um Mord und Totschlag. Ok, um Mord und Totschlag nicht, obwohl es das in der Astronomie natürlich auch gegeben hat. Astronomie wird von Menschen betrieben und Menschen verhalten sich menschlich. Und dazu gehört leider auch Gewalt und Kriminalität. Aber wie gesagt: Wir werden uns auf Diebstahl und Erpressung konzentrieren; die Geschichten von Mord und Totschlag erzähle ich vielleicht ein anderes Mal.
Einer der berühmtesten Diebstähle in der Astronomie fand im 19. Jahrhundert statt und zwar an der Allegheny Sternwarte in Pittsburgh. Sie wurde 1859 gegründet, zuerst als private Einrichtung, die aber ein paar Jahre später der Universität von Pennsylvania angeschlossen wurde. Ihr erster Direktor war Samuel Pierpont Langley, der nicht nur das Bolometer erfunden hat, also ein Gerät, das die gesamte elektromagnetische Strahlung messen kann, die von einem Objekt ausgeht - was enorm wichtig für die Helligkeitsmessung von Sternen ist - sondern auch ein Pioneer der Luftfahrt war. Damals war die Sternwarte mit dem Fitz-Clark-Refraktor ausgestattet, ein Teleskop mit einer Linse die einen Durchmesser von 33 Zentimetern hatte. Das klingt nach wenig, ist aber gar nicht so schlecht für ein Linsenteleskop und damals war es das drittgrößte Teleskop der Welt.
Am 8. Juli 1872 ist Langley gerade von einer Konferenz zurück zur Sternwarte gekommen und musste feststellen, dass irgendjemand die Linse des Teleskop geklaut hatte. Ein ziemlich kurioser Diebstahl, denn erstens ist es gar nicht so einfach, so eine Linse unbemerkt aus einem Teleksop raus zu bekommen. Und zweitens: Was fängt man damit an? Es handelt sich ja nur um ein Stück Glas. Zugegeben, ein Stück Glas, das sehr aufwendig herzustellen ist und dessen Herstellung viel Geld kostet. Aber wenn man nicht zufällig eine Sternwarte zuhause hat, kann man damit nicht viel anfangen. Aber dem Dieb ging es nicht um astronomische Beobachtung. Sondern um die Erpressung von Lösegeld. Für die Sternwarte war es natürlich wichtig, ein funktionierendes Teleskop zu haben und der Gedanke, dass man sich die Rückgabe der Linse einiges an Geld kosten lassen würde, war nicht ganz abwegig.
Ab jetzt wird die Geschichte aus historischer Sicht ein wenig unklar und man findet verschiedene Versionen wie es weiter ging. Angeblich soll Langley einen Brief erhalten haben, mit der Botschaft "Triff mich im Wald hinter der Sternwarte, um Mitternacht, oder du siehst die Linse nie wieder". Anderswo wird einfach nur berichtet, dass Langley auf die eine oder andere Weise heraus fand, wer der Dieb war und sich mit ihm traf. Oder der Dieb auf andere Weise Kontakt aufgenommen hat. Auf jeden Fall kam es zum Treffen zwischen Sternwarte-Direktor und Linsenkidnapper und Langley wurde mit der Lösegeld-Forderung konfrontiert.
Nun sind sich alle Quellen wieder einig: Langley hatte keine Lust, für seine Linse zu bezahlen. Denn ansonsten würde das vielleicht nur weitere Linsendiebe motivieren. Was danach passiert ist, ist wieder unklar. Manche sagen, dass Langley den Dieb überreden konnte, die Linse zurück zu geben, mit dem Versprechen, dass er niemanden verraten würde, wer er ist und er somit straffrei bleiben würde. Andere sagen, dass der Dieb selbst die Lösegeldforderung zurück zog, als er merkte, dass Langley nicht zahlen will und aus Angst, er könnte identifiziert werden, wenn die Sache erstmal in den Medien berichtet wird, die Linse zurück gegeben hat. Oder zumindest verraten hat, wo die Linse zu finden ist. Oder nicht einmal das getan hat, sondern einfach verschwunden ist. Auf jeden Fall aber ist die Linse wieder aufgetaucht, im Mülleimer eines Hotels in Pennsylvania. Leider hat der Dieb sie nicht sonderlich pfleglich behandelt; sie war zerkratzt und unbrauchbar. Also wurde sie zu Alvan Clark geschickt, einem der besten Teleskopbauer der damaligen Zeit. Der hat sie wieder restauriert und das so gut, dass sie danach besser war als vorher. Weswegen das Teleskop heute eben nicht nur nach dem ursprünglichen Erbauer - Fitz - sondern auch nach Clark benannt ist und Fitz-Clark-Refraktor heißt.
Das Linsennapping hatte also ein gutes Ende für die Astronomie. Knapp 100 Jahre später wäre ein ähnlicher Fall aber fast schief gegangen. Großbritannien plante, ein neues Radioteleskop zu bauen und auf dem Mauna Kea in Hawaii zu errichten. Das James-Clerk-Maxwell-Teleskop sollte einen Spiegel von 15 Meter Durchmesser haben und das zur damaligen Zeit weltgrößte Teleskop für die Beobachtung im Submillimeter- und Millimeter-Wellenlängenbereich sein. Als Partner kamen noch die Niederlande dazu und 1983 fing man in Großbritannien mit dem Bau an. So ein Teleskop besteht aber nicht nur aus einem Spiegel, es braucht auch ein Gerüst drum herum. In diesem Fall ein ziemlich großes für das jede Menge Stahl benötigt wurde und auch der musste auf die richtige Weise verarbeitet werden, denn so ein Teleskop kann man nicht einfach auf irgendwelchen x-beliebigen Stahlträgern aufhängen. Als das ganze komplizierte Gerüst für das Teleskop endlich fertig gebaut war, wollte man die Teile von Großbritannien nach Hawaii bringen. Mit dem Schiff, denn für ein Flugzeug wäre das zu viel gewesen. Aber das Schiff, das eigentlich dafür vorgesehen war, hatte eine Panne und man musste auf die Schnelle ein neues Schiff engagieren. Das war viel kleiner, fast zu klein - aber das Gerüst passte gerade so drauf. Und dann für es los. Eigentlich sollte der Kapitän das Gerüst direkt nach Hawaii bringen. Hat er aber nicht; er fuhr zuerst noch mal kurz nach Holland, um noch eine weitere Ladung aufzunehmen. Jede Menge Sprengstoff, was eigentlich so nicht vorgesehen war. Aber der Kapitän dachte sich wohl, er könne noch ein wenig nebenbei verdienen, wenn er schon so weit durch die Gegend schippert. Die Astronom:innen jedenfalls waren beunruhigt, denn sie wussten nichts davon. Nach der Abfahrt mit dem Gerüst war wochenlang nichts vom Kapitän zu hören; vom Abstecher nach Holland erfuhren sie erst später.
Die zusätzliche Ladung war auch aus einem weiteren Grund ein Problem: Das Schiff musste auf dem Weg nach Hawaii durch den Panamakanal und da gibt es spezielle Sicherheitsvorkehrungen, wenn jemand mit Sprengstoff an Bord durch will. Das hieß: Weitere Verzögerungen. Endlich im Pazifik angekommen verschwand das Schiff wieder von der Bildfläche; höchstwahrscheinlich um den Sprengstoff irgendwo zu verkaufen. Mittlerweile war es so sehr verspätet, dass eine enorm hohe Strafzahlung fällig gewesen wäre. So hoch, dass sie fast die gleiche Summe ausgemacht hat, die der Kapitän für den Transport des Teleskops bekommen hätte. Er hätte also nichts bekommen und das hat ihm nicht gepasst. Also warf er kurz vor Hawaii, noch in internationalen Gewässern den Anker und drohte den Astronom:innen, das ganze Gerüst einfach ins Meer zu werfen, wenn er sein Geld nicht kriegen würde.
Vermutlich hat er gedacht, in internationalen Gewässern könne ihm nichts passieren. Was aber nicht stimmt, denn gegen Piraterie gibt es auch hier Gesetze. Und als Piraterie wurde dieser Fall dann auch offiziell von der amerikanischen Küstenwache eingestuft. Die dann auch gleich ausfuhr, sich das Boot mitsamt Kapitän schnappte und das Gerüst für das James-Clerk-Maxwell-Teleskop endlich nach Hawaii brachte. Dort nahm es 1987 dann auch den Betrieb auf und hat seitdem jede Menge wunderbare astronomische Forschung geleistet. Unter anderem war es Teil des "Event Horizon Telescope", als dem Netzwerk aus Radioteleskopen auf der ganzen Welt, das 2019 das erste Bild eines schwarzen Lochs aufgenommen hat.
Es mag ein wenig seltsam erscheinen, dass sich Piraten für Teleskope interessieren. Man kann sie nicht heimlich verkaufen; es gibt nirgendwo einen Markt dafür. Aber wenn man daran denkt, wie viel Geld in den Bau dieser wissenschaftlichen Instrumente gesteckt wird; Instrumente die einzigartig sind, an denen sehr viele Menschen oft Jahrzehnte lang geplant und gebaut haben: Dann ist es nicht ganz so überraschend. Denn wenn man vor die Wahl gestellt wird, so ein ganzes Teleskop noch mal von vorne zu bauen oder ein Lösegeld dafür zu zahlen, damit man es wieder bekommt, dann stehen die Chancen nicht schlecht für die Piraten.
Was auch der Grund war, warum sich die NASA im Jahr 2021 strikt geweigert hatte, öffentlich bekannt zu geben, wann das James-Webb-Weltraumteleskop von den USA per Schiff nach Französisch-Guayana gebracht wird, von wo aus es in den Weltraum geschossen werden sollte. Der Bau des Teleskops hatte knapp 10 Milliarden Doller gekostet und man brauchte "nur" ein Schiff kapern um das Ding in seine Gewalt zu bringen. Würde sich die NASA wirklich weigern, noch ein paar Millionen zu zahlen, für ein Teleskop, das mittlerweile sowieso schon dreimal so teuer war wie ursprünglich geplant? Wissen wir nicht, aber die NASA hat es auch gar nicht darauf ankommen lassen. Und so hat das Teleskop am 25. Dezember 2021 sicher den Weltraum erreicht und muss dort keine Angst mehr vor Weltraum-Piraten haben.
Sternengeschichten Folge 516: Das Sternbild Zentaur
In der heutigen Folge der Sternengeschichten schauen wir auf das Sternbild des Zentauren. In echt können wir das allerdings von Mitteleuropa aus nur sehr bedingt tun. Hier sehen wir am Himmel nur einen kleinen Teil der Sterne dieses Sternbilds auch nur für kurze Zeit im Frühjahr, tief am Horizont. Will man es vollständig sehen, dann muss man über den 25 Breitengrad hinaus nach Süden reisen. Ins südliche Algerien oder Ägypten; nach Varanasi in Indien, nach Taiwan, Kuba oder Mexiko-City. Trotzdem lohnt es sich, mit diesem Sternbild zu beschäftigen. Denn was dort alles zu finden ist, würde vermutlich für ein ganzes Dutzend Folgen reichen.
Aber fangen wir mal in der Vergangenheit an. Der Zentaur - oder Centaurus auf Latein - gehört zu den klassischen Sternbildern der Antike. Also den Sternbildern, die schon in der griechischen Antike beschrieben worden sind. Und da könnte man jetzt stutzig werden. Ich habe doch gerade eben erklärt, dass man das Sternbild nur vom Süden aus sehen kann; Griechenland liegt deutlich nördlicher als der 25. Breitengrad. Wieso konnten die damals vom Sternbild Zentaur wissen? Nun, abgesehen davon, dass die Menschen damals natürlich auch schon in der Lage waren, nach Süden zu reisen und das durchaus auch getan haben, war das nicht mal nötig. Der Anblick des Himmels ändert sich im Laufe der Zeit, weil die Erdachse nicht immer in die gleiche Richtung zeigt. Momentan zeigt das nördliche Ende der Rotationsachse der Erde mehr oder weniger direkt auf den Polarstern. Aber die Erdachse kreiselt (das liegt unter anderem an der Anziehungskraft des Mondes); wäre sie ein Bleistift und der Himmel ein Blatt Papier, dann würde sie dort einen kleinen Kreis zeichnen und gut 26.000 Jahre dafür brauchen. Vor gut 2000 Jahren hat sie nicht zum Polarstern gezeigt, sondern auf ein Stück Himmel, das weiter südlich lag; dort wo heute die Grenze zwischen den Sternbildern kleiner Bär und Drache ist. Dadurch hat sich auch ganz allgemein der Blickwinkel verschoben und man konnte die Sterne des Zentauren vom ganzen Mittelmeerraum aus gut sehen.
Und wenn man sich ansieht, was das für Sterne sind, ist es kein Wunder, dass sie den Menschen aufgefallen sind. Der hellste Stern des Sternbilds ist gleichzeitig auch der dritthellste Stern am ganzen Nachthimmel. Direkt daneben findet man den elfhellsten Stern des Nachthimmels und es finden sich dort noch jede Menge weitere überdurchschnittlich helle Sterne. Aber bevor wir zur Astronomie kommen, schauen wir noch einmal kurz auf die Mythologie. Ein Zentaur ist ein Mischwesen aus Pferd und Mensch; ein menschlicher Oberkörper mit Armen wächst aus einem Pferderumpf mit vier Beinen. Diese Wesen waren in der Mythologie der Griechen eher wild; gefährlich und gewaltätig. Mit Ausnahme von Cheiron, der war schlau, nett und der Erzieher von quasi allem, was in den griechischen Mythen Rang und Namen hat. Cheiron hat Achilles ausgebildet, Odysseus, Jason; hat Asklepios zum Arzt ausgebildet - nur mit Herkules hatte er Pech. Aus Versehen wird er von einem vergifteten Pfeil getroffen, den Herkules abgeschossen hat. Cheiron war zwar unsterblich, aber das Gift hat ihm solche Schmerzen verursacht, dass er sein ewiges Leben aufgegeben hat. Und wie es so oft passiert in der griechischen Mythologie, wird Cheiron danach von Zeus als Sternbild an den Himmel versetzt. Und jetzt leuchtet er dort vor sich hin und wir schauen, was es da aus astronomischer Sicht zu sehen gibt.
Zuallerst natürlich einmal Alpha Centauri. Wie der Name schon andeutet, ist das der hellste Stern des Zentauren und der vorhin erwähnte dritthellste Stern des Himmels. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um einen Stern sondern um ein Dreifachsternsystem. Da sind zuerst einmal Alpha Centauri A und Alpha Centauri B. Beide haben ungefähr so viel Masse wie die Sonne; A ein bisschen mehr und B ein bisschen weniger. B ist aber deutlich kleiner und leuchtet auch viel schwächer als die Sonne. Sie sind beide mit 6,5 Milliarden Jahren ein bisschen älter als unser Stern und der mittlere Abstand zwischen A und B variiert zwischen 11 und 36 Astronomischen Einheiten; also ungefähr so viel wie der Abstand zwischen Sonne und Saturn und der Sonne und Pluto. Alpha Centauri A und B umrunden sich alle 80 Jahre und dass es sich um zwei Sterne handelt, kann man nur mit einem Teleskop erkennen. Und dann ist da noch Proxima Centauri. Diesem Stern habe ich eine komplette Folge gewidmet (nämlich Folge 114). Bei ihm handelt es sich um einen roten Zwergstern, der ohne Teleskop überhaupt nicht sichtbar ist - und sich in deutlichem Abstand zu Alpha Centauri A und B befindet. Er ist 13.000 Astronomische Einheiten entfernt oder 0,2 Lichtjahre. Das ist enorm weit weg und lange Zeit war unklar, ob Proxima Centauri überhaupt wirklich zu Alpha Centauri gehört oder nur zufällig gerade in der Gegend ist. Erst seit 2016 weiß man sicher, dass sich Proxima Centauri tatsächlich um Alpha Centauri A und B herum bewegt; dass die drei Sterne also alle durch ihre Gravitationskraft aneinander gebunden sind. Was wir schon deutlich länger wissen: Proxima Centauri ist der unserer Sonne nächstgelegene Stern. Bis dorthin sind es nur 4,25 Lichtjahre. Es ist also auch kein Wunder, dass Alpha Centauri A und B an unserem Nachthimmel so hell sind. Es sind zwar keine riesengroße Sterne - aber weil sie ja auch nicht viel weiter weg sind als Proxima, sehen wir sie eben enorm hell.
Ob es bei Alpha Centauri A und B Planeten gibt, wissen wir noch nicht. Es wäre zwar cool, wenn wir bei zwei sonnenähnlichen Sternen die uns noch dazu so nahe sind, auch Planeten finden könnten. Weil die beiden sich so nahe sind, ist es zwar nicht unmöglich, aber doch ein bisschen schwierig, dass sich dort überhaupt Planeten bilden können. Sicher keine große Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn; kleinere Planeten wie Mars oder Erde sollten aber dort entstehen können. Aber die sind halt schwer zu finden. Wo es definitiv Planeten gibt, ist Proxima Centauri. Dort sind mindestens zwei, vielleicht auch mehr Planeten. Einer davon hat ungefähr die Masse der Erde; ob es dort aber auch Bedingungen wie auf der Erde gibt, wissen wir nicht. Proxima Centauri ist ja auch kein sonnenähnlicher Stern sondern ein roter Zwerg der viel kühler und dunkler ist.
Aber lassen wir die "Promi-Sterne" des Sternbilds mal beiseite und schauen auf Beta Centauri. Der, wie schon gesagt, immerhin noch der elfthellste Stern des Nachthimmels ist und ebenfalls ein Dreifachsternsystem. Zwei davon sind sich extrem nahe; der Abstand zwischen ihnen entspricht ungefähr dem Abstand zwischen Sonne und Mars; vielleicht auch ein bisschen mehr, das lässt sich schwer messen. Die beiden Sterne sind noch dazu extrem groß und heiß; sie leuchten ein paar tausend Mal heller als die Sonne. Um die beiden herum kreist ein dritter Stern, auch heißer und heller als die Sonne, aber nicht ganz so groß wie das Paar in der Mitte. Wäre dieses Sternensystem uns so nahe wie das von Alpha Centauri, dann wäre Beta Centauri ein enorm helles Objekt am Nachthimmel - es ist aber 530 Lichtjahre von uns entfernt und erscheint damit dunkler. 130 Lichtjahre entfernt ist Gamma Centauri, diesmal nur ein Doopelsternsystem und ich höre jetzt auf, die Sterne dort aufzulisten, denn es gibt dort noch viel mehr zu sehen.
Zum Beispiel Omega Centauri. Das ist kein Stern, sondern ein Kugelsternhaufen. Also eine kugelförmige Ansammlung von Sternen, für die in diesem Fall die Bezeichnung "Haufen" fast schon untertrieben ist. Omega Centauri besteht aus gut 10 Millionen Sternen und es gibt in der ganzen Milchstraße keinen Kugelsternhaufen der mehr Masse hat als Omega Centauri. Er ist gut 17.000 Lichtjahre entfernt und im seinem Zentrum befindet sich eventuell sogar ein schwarzes Loch, dass die 40.000fache Masse der Sonne hat. Das klingt alles so, als wäre Omega Centauri kein Sternhaufen, sondern fast schon eine eigene Galaxie. Und tatsächlich vermutet man, dass es sich dabei um den Kernbereich einer ehemaligen Galaxie handelt, die irgendwann in der Vergangenheit mit der Milchstraße kollidiert ist und auseinander gerissen wurde.
Ohne jede Zweifel eine eigene Galaxie ist Centaurus A. Den Kugelsternhaufen Omega Centauri kann man unter guten Bedingungen gerade noch mit freiem Auge sehen; bei Centaurus A braucht man schon andere optische Hilfsmittel. Das Ding ist immerhin mehr als 10 Millionen Lichtjahre weit weg. Es handelt sich um eine Galaxie, die sich hinter der Milchstraße nicht verstecken muss. Ganz im Gegenteil: Dort gibt es mehr Sterne als bei uns und im Zentrum von Centaurus A sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch mit der 55 millionenfachen Masse der Sonne. Noch dazu ein aktives schwarzes Loch, also eines, das von einer großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist. Ständig fällt Material in das Loch und die Gravitationskräfte heizen das Material dort stark auf. Dabei entstehen große Mengen an Röntgen- und Radiostrahlung; tatsächlich ist die Galaxie das dritthellste Objekt am Himmel, wenn man nach der Helligkeit im Licht bei Radiowellenlängen geht. Schaut man sich die Galaxie im Radio- und Röntgenlicht an, dann sieht man auch sofort, dass hier besondere Dinge passieren; aus ihrem Zentrum fließen gewaltige Gasströme, mehrere Lichtjahre lang. Das ist genau das Material aus der Umgebung des schwarzen Lochs, das dort enorm beschleunigt und ausgestoßen wird. In Centaurus A beträgt die Sternentstehungsrate teilweise das zehnfache des Werts in der Milchstraße und man vermutet, dass die Galaxie vor ein paar Dutzend Millionen Jahren mit einer anderen Galaxie kollidiert sein muss. Dadurch ist dort alles ein wenig durchgewirbelt worden und hat die ganze Aktivität dort ausgelöst, die heute noch andauert.
Wenn wir auf die noch größeren Objekte schauen, dann werden wir im Sternbild Zentaur auch fündig: Dort befindet sich der Centaurus Cluster, eine Gruppe von hunderten von Galaxien, circa 170 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Und wenn wir wieder einen Blick zurück auf die im Vergleich fast schon normalen Maßstäbe von Planeten werfen, dann können wir im Zentauren auch den 370 Lichtjahre entfernten jungen Stern PDS 70 beobachten. Mit nur gut 5 Millionen Jahren ist er quasi noch ein stellares Kleinkind; was dort aber richtig spannend ist, sind die Planeten die dort gerade entstehen. Tatsächlich ist es 2006 gelungen, die Scheibe aus Gas und Staub um den Stern herum zu beobachten, die man bei solchen jungen Sternen so gut wie immer findet und die genau die Scheibe ist, aus der Planeten entstehen können. Und ein paar Jahre später konnte man dann in dieser Scheibe große Klumpen finden. Oder, astronomisch korrekt ausgedrückt: Planeten, die wirklich gerade erst entstanden sind beziehungsweise noch in Entstehung begriffen sind. Zwei Stück mindestens, Gasriesen wie Jupiter, hat man dort schon gesehen.
Die Geburt von Planeten, der letzte Rest von ehemaligen Galaxien, gewaltige schwarze Löcher, der uns nächstgelegene Stern am Himmel: Das Sternbild Zentaur ist quasi ein Best-of der gesamten astronomischen Forschung! Wenn es sonst nichts anders am Himmel gäbe, als das, wäre das vermutlich immer noch genug um die Astronomie jahrzehntelang zu beschäftigen. Vermutlich viel länger. Aber zum Glück gibt es ja noch viel mehr da draußen. Das Sternbild Zentaur ist zwar enorm faszinierend. Aber das heißt nicht, dass der Rest des Universums nicht auch noch was zu bieten hat.
Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter
Steht die Menschheit vor einer großen Krise; einer gewaltigen Bedrohung; einer enormen Gefahr die uns am Ende sogar auslöschen könnte? Wartet in der Zukunft eine große Prüfung auf uns, die wir bestehen müssen, um weiter existieren zu können? In gewissen Sinne: Ja. Angesichts der Klimakrise und den anderen Problemen die wir unserem eigenen Handeln verdanken, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass wir in 100, 1000 oder 10.000 Jahren auch noch fröhlich auf der Erde leben. Selbstverständlich müssen wir uns immer wieder anstrengen, dass wir als menschliche Zivilisation weiter bestehen können. Aber das ist nur ein Aspekt von dem, um das es in dieser Folge gehen soll. Sie handelt vom "Großen Filter", den ich in Folge 410 schon einmal kurz erwähnt habe. Es lohnt sich aber, noch mal einen genaueren Blick darauf zu werden.
Die Geschichte beginnt mit dem sogenannten "Fermi-Paradoxon". Also der Beobachtung, die der italienische Physiker Enrico Fermi im Jahr 1950 angestellt hat. Kurz gesagt hat sich Fermi damals überlegt, wo denn die ganzen Anderen sind. Und mit "die Anderen" sind außerirdische Lebewesen gemeint. Wenn das Universum seit fast 14 Milliarden Jahren existiert; wenn es überall Sterne mit Planeten gibt und wenn zumindest auf einigen dieser Planeten Leben existiert, dann sollte eigentlich mehr als genug Zeit gewesen sein, dass wir davon etwas mitkriegen. Selbst mit Raumschiffen die sich an die Gesetze der Physik halten und keinen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb haben, hätte die Zeit locker gereicht, um zum Beispiel die gesamte Milchstraße zu kolonialisieren. Zumindest irgendwelche außerirdischen Raumsonden; irgendwelche Roboterraumschiffe oder etwas in der Art hätten doch schon längst mal im Sonnensystem zu Besuch kommen sollen.
Es gibt aber absolut keinen seriösen Beleg dafür, dass so etwas passiert ist. Wir haben keinen Besuch bekommen; wir haben bis jetzt auch nirgendwo im Universum auch nur eine Spur von außerirdischem Leben entdeckt. Warum ist das so? Es gibt natürlich jede Menge Möglichkeiten, das zu erklären und einige davon habe ich in Folge 410 ausführlicher vorgestellt. Eine dieser Erklärungen stammt aus dem Jahr 1996 und ist heute unter der Bezeichnung "Der große Filter" bekannt. Damals hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robin Hansen einen Aufsatz mit dem Titel "Der große Filter - Haben wir ihn schon fast hinter uns?" geschrieben. Hansen ist ein bisschen eine kontroverse Figur; viele seine Aussagen zu Wirtschaft und Gesellschaft sind umstritten, aber das wollen wir jetzt der Einfachheit mal ignorieren und konzentrieren uns auf das, was er damals geschrieben hat.
Auch er stellt fest, dass wir bis jetzt keine Anzeichen intelligenter außerirdischer Lebewesen gefunden haben. Und dass das intelligente Leben hier auf der Erde im Laufe der Geschichte alle ökologischen Nischen gefüllt hat, die es gibt. Wir haben den ganzen Planeten besiedelt; wir haben alle Kontinente erforscht; sind überall dorthin gegangen, wohin wir mit den jeweils vorhandenen technischen Mitteln gehen konnten. Und auch eine Besiedelung des Weltalls ist technisch zumindest prinzipiell möglich. Hansen schreibt, es sei damit zu rechnen, dass wir in der Zukunft dank neuer Technologie die gesamte Milchstraße besiedeln werden. Und fragt sich dann, so wie Fermi, warum das sonst noch niemand gemacht hat. Er schreibt: "Unser Planet, unser Sonnensystem sehen allerdings nicht so aus, als wären sie von einer fortgeschrittenen Lebensform aus dem All kolonialisiert worden und auch anderswo sehen wir nichts davon. Im Gegenteil: Wir sind sehr erfolgreich darin, das Verhalten unseres Planeten, des Sonnensystems, der nahen Sterne, der Milchstraße und sogar von anderen Galaxien durch einfache "tote" physikalische Prozesse zu erklären anstatt durch das komplexe, zielgerichtete Verhalten fortgeschrittenen Lebens. Angesichts der Tatsache, dass unsere Milchstraße den Nachbargalaxien so ähnlich ist, ist es auch zweifelhaft davon auszugehen, dass unsere gesamte Milchstraße eine Art "Naturschutzgebiet" unter lauter besiedelten Galaxien ist."
Irgendwas läuft da schief. Nochmal Hansen: "Die Menschheit scheint eine strahlende Zukunft vor sich zu haben, das heißt eine reale Chance das Universum mit Leben zu erfüllen. Aber die Tatsache, dass das All in unserer Umgebung tot zu sein scheint, legt nahe, dass jedes Stück toter Materie nur eine winzige Chance hat, so eine Zukunft zu erleben. Es muss also einen großen Filter geben, der zwischen dem Tod und dem sich ausdehnenden dauerhaften Leben steht und die Menschheit muss sich der unheilvollen Frage stellen: Wie weit stecken wir schon in diesem Filter drin?".
Hansen meint damit folgendes: Am Anfang steht zwangsläufig tote Materie. Atome, Moleküle, eine Gaswolke, ein Stern. Und am Schluss kommt die "Explosion der Kolonisation", also eine lebendige Zivilisation die in der Lage ist, eine komplette Galaxie zu kolonialisieren. Dazwischen passieren jede Menge Dinge und irgendwo dort muss der "große Filter" stecken, also das, was es offensichtlich so unwahrscheinlich macht, dass eine Zivilisation diesen letzten Punkt erreicht. Denn wenn es nicht so wäre, dann würden wir die Anzeichen der galaktischen Kolonialisation ja irgendwo sehen müssen.
Hansen selbst listet in seinem Text neun Schritte auf. Es fängt an mit dem richtigen Sternensystemen. Dort müssen sich auf einem Planeten Moleküle bilden, die sich selbst reproduzieren können, also zum Beispiel das, was bei uns die RNA und DNA machen. Danach entwickelt sich daraus simples, einzelliges Leben und daraus dann komplexes einzelliges Leben. Dieses Leben lernt, sich sexuell fortzupflanzen und es entsteht mehrzelliges Leben. Danach kommen irgendwann frühe Formen des intelligenten Lebens und schließlich eine fortgeschrittene Zivilisation die das Potenzial der Besiedelung des Weltraums hat. Da stehen wir zur Zeit und jetzt müssten wir noch die "Explosion der Kolonisation" schaffen. Sofern nicht irgendwo der Filter auf uns wartet…
Natürlich ist Hansens Liste nicht vollständig; es gibt noch jede Menge mehr Schritte auf dem Weg vom toten Molekül hin zur galaktischen Förderation. Aber natürlich kann man sich die Frage stellen, die Hansen sich gestellt hat: Wartet der Filter noch auf uns oder haben wir ihn schon hinter uns gelassen? Was wäre zum Beispiel, wenn wir auf dem Mars irgendwelche Mikroorganismen entdeckt; oder in den unterirdischen Ozeanen der Eismonde von Jupiter und Saturn? Dann hätten wir ein zweites Beispiel für die Entwicklung von mehrzelligen Leben; könnten also davon ausgehen, dass alle Schritte bis zu diesem Punkt nicht so enorm schwer sind; denn sonst wären sie ja nicht gleich zweimal in einem einzigen Sonnensystem durchlaufen worden. Dass heißt aber dann auch, dass der große Filter irgendwo hinter diesem Punkt liegen muss und eventuell noch vor uns. Vielleicht war der unwahrscheinliche, schwierige Schritt aber eben auch die Entstehung von komplexen Einzellern? Das haben wir schon erledigt und dann können wir gefahrlos in die Zukunft aufbrechen.
Es ist verständlicherweise spannend, darüber nachzudenken, ob in unserer Zukunft irgendeine unbekannte Gefahr wartet; etwas, was alle intelligenten Zivilisation durchlaufen müssen, wenn sie nachhaltig existieren wollen; etwas, was aber offensichtlich so gut wie niemand schafft, denn wo sind die dann alle? Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dieses Gedankenexperiment zwar reizvoll ist, aber nur dann Sinn macht, wenn man zuvor sehr viele Annahmen trifft.
Hansen spekuliert viel in seinem Text. Zum Beispiel darüber, ob fortgeschrittenes Leben vielleicht hauptsächlich auf dunkler Materie basiert. Was angesichts dessen, was wir über dunkle Materie wissen und vor allem dem, was wir nicht darüber wissen, deutlich mehr Science Fiction ist als Wissenschaft. Dunkle Materie, so wie wir sie bis heute verstehen, ist keine Materie im "normalen" Sinn. Sondern besteht aus Teilchen, die zum Beispiel gerade nicht miteinander oder mit normaler Materie wechselwirken. Dunkle Materie bildet keine Moleküle; keine größeren Strukturen; keine Planeten, keine Lebewesen. Aber da wir eben auch immer noch nicht genau wissen, aus was dunkle Materie besteht, kann es auch ganz anders sein und niemand kann seriöserweise irgendwas über Dunkle-Materie-Leben sagen. Hansen spekuliert über Kriege, soziale Herausforderungen, sich selbst vernichtenden Zivilisationen, und so weiter. Aber über eines spekuliert er nicht…
Hansen schreibt am Ende seines Texts: "Keine Alien-Zivilisation hat bis jetzt unser Sonnensystem kolonialisiert oder unsere Nachbarsysteme. Unter den Milliarden Billiarden Sterne die es in der Vergangenheit des Universums gab, wurde nirgendwo ein Stand der Technik erreicht, den wir in Kürze erreichen können. Daraus folgt, dass irgendwo ein "Großer Filter" zwischen gewöhnlicher, toter Materie und dem fortgeschrittenen, sich ausbreitenden Leben steht."
Und genau das ist der Punkt, der so kritisch an der ganzen Angelegenheit ist. Ist es denn wirklich sicher, dass das daraus folgt? Ja, wir sehen tatsächlich keine sich über das gesamte Universum ausbreitende Mega-Zivilisation. Aber warum sollten wir die denn sehen? Hansen macht - meiner Meinung nach - den Fehler, den viele Menschen machen, wenn sie über außerirdisches, intelligentes Leben nachdenken: Sie stellen sich diese Aliens so vor, wie wir das aus der Science Fiction gewohnt sind. Halt im Prinzip so wie wir Menschen, nur vielleicht ein wenig anders. Aber auch nicht zu viel anders. Auf jeden Fall als Wesen, die leben, sterben, forschen, nachdenken, Wünsche haben, Sachen erfinden, Raumschiffe bauen, andere Planeten erkunden, und so weiter. Aber warum sollte das so sein? Warum sollten Aliens andere Himmelskörper besiedeln? Warum sollten sie irgendwelche technischen Zivilisation errichten; Alien-Städte mit Alien-Raumschiffen bauen, und so weiter? Ja, WIR haben so etwas gemacht. Aber das ist auch schon alles. Wir haben absolut überhaupt keine Ahnung, ob unsere Form der Intelligenz die einzig mögliche ist. Nicht mal, ob unsere Form von Leben die einzig mögliche ist. Müssen Aliens irgendwelche Individuen sein? Was ist mit irgendwelchen Schwarmwesen? Selbst auf der Erde kennen wir Kollektive aus Mikroorganismen, aus Insekten, usw, die erstaunliche Dinge tun, ohne im eigentlichen Sinne "intelligent" zu sein. Der wichtigste Punkt aber ist: Was ist mit den Aliens, die so sind, wie wir es uns absolut nicht vorstellen können? Es ist schwer, darüber nachzudenken. Es ist unmöglich. Aber nur weil wir nicht anders können, als uns Aliens so vorzustellen wie Menschen, nur ein bisschen anders, folgt daraus ja nicht, dass sie nicht irgendwie komplett anders sein können. Ja, für uns ist es absolut logisch davon auszugehen, dass sich eine fortgeschrittene Zivilisation irgendwann in den Weltraum ausbreitet. Aber es gibt keinen Grund, warum dieses Verhalten verallgemeinert werden können soll. Für irgendwelche Aliens könnte es ebenso vollkommen logisch sein, eben gerade NICHT ins All aufzubrechen. Vielleicht wären sie gar nicht in der Lage, solche Vorstellungen zu entwickeln, genau so wenig wie wir darüber nachdenken können - ja, und jetzt fehlt natürlich ein Beispiel, weil wir darüber eben nicht nachdenken können!
Kurz gesagt: Es ist ein bisschen wie in der Religion. Wir haben uns die Aliens nach unserem eigenen Abbild geformt; so wie wir uns unsere Götter nur als eine Art von "Supermenschen" vorstellen können und deswegen auch genau so vorgestellt haben. Der "Große Filter" ist ein faszinierender Gedanke - aber eben auch nicht mehr als die Antwort auf eine Frage, die nur deswegen existiert, weil wir uns dazu entschieden haben, uns eine Welt vorzustellen, in der diese Frage eine Bedeutung hat. Wir können und sollen selbstverständlich darüber nachdenken, welche Gefahren wir in Zukunft zu bewältigen haben. Aber dabei können wir uns durchaus an dem orientieren, was wir schon ganz konkret wissen: Über die Klimakrise, über die Kriege auf der Erde, über all die anderen Krisen die wir verursacht haben und noch verursachen werden. Aber Schlüsse aus der Nicht-Beobachtung von etwas zu ziehen, von dem es keinen zwingenden Grund gibt anzunehmen, dass es stattfinden muss: Das ist dann doch eher Science Fiction und keine Wissenschaft.
Sternengeschichten Folge 514: Axionen und die dunkle Materie
Heute geht es in den Sternengeschichten um das Axion. Nicht um ein Axiom, also einen Grundsatz einer wissenschaftlichen Theorie; auch nicht um ein Axon, den Teil einer Nervenzelle. Ich erzähle euch etwas über das Axion, ein hypothetisches Elementarteilchen, das unter Umständen eine fundamentale Rolle in unserem Universum spielen könnte.
Und wie immer wenn es um Teilchenphysik geht, ist die Sache ein wenig knifflig. Ich habe in Folge 46 schon einmal ausführlich über das Standardmodell der Teilchenphysik gesprochen und muss das heute noch einmal kurz wiederholen. Alles, was es gibt, besteht aus Elementarteilchen. Das sind vor allem Elektronen und Quarks; den Rest lasse ich vorerst mal weg. Jedes Atom hat eine Hülle; die besteht aus Elektronen. Uns interessiert jetzt aber der Atomkern, der aus elektrisch positiv geladenen Protonen aufgebaut ist und aus elektrisch neutralen Neutronen. Das sind aber keine fundamentalen Teilchen; das sind nur die Quarks. Von denen gibt es sechs grundlegende Arten und in Protonen und Neutronen finden wir die sogenannten "up" und "down"-Quarks. Im Proton sind es zwei up und ein down-Quark; im Neutron zwei down und ein up-Quark. So weit ist das noch recht einfach. Aber jetzt müssen wir uns mit Farbladungen beschäftigen.
Wir alle wissen, was eine elektrische Ladung ist. Das kennen wir aus dem Alltag, wenn wir mit Batterien oder Magneten hantieren. Da gibt es Plus- und Minuspole; es gibt positive und negative elektrische Ladungen und wir wissen auch, dass sich gleiche Ladungen abstoßen und ungleiche Ladungen anziehen. Das ist auch der Grund, wieso ein Atom zusammenhält, vereinfacht gesagt. Der Kern ist positiv geladen, weil da nur positiv geladene Protonen und ungeladene Neutronen drin sind. Und die Hülle ist wegen der elektrisch negativ geladenen Elektronen auch elektrisch negativ geladen. Außen negativ, innen positiv und das ganze Ding hält zusammen.
Quarks haben auch eine elektrische Ladung. Ein up Quark hat eine positive Ladung die 2/3 der Ladung eines Protons entspricht; ein down-Quark hat eine negative Ladung von 1/3 der Ladung eines Protons. Ein Proton besteht aus zwei ups und einem down, macht 2/3 + 2/3 - 1/3 und ergibt insgesamt +1. Bei einem Neutron haben wir zwei downs und ein up, also -1/3 + -1/3 + 2/3 und das summiert sich zu Null, also gar keiner Ladung. Passt alles. Aber! Ein Quark hat nicht nur eine elektrische Ladung, sondern auch eine Farbladung. Das darf man nicht mit der elektrischen Ladung verwechseln und mit Farbe hat das auch absolut nichts zu tun. Die Farben der Quarks sind einfach nur Beschreibungen die anzeigen, wie die Quarks miteinander wechselwirken. Es gibt dort auch nicht nur zwei Möglichkeiten, wie bei der elektrischen Ladung. Sondern viel mehr. Ein Quark kann rot, grün oder blau sein und ich sage noch einmal: Das hat nichts mit echter Farbe zu tun. Ich könnte auch sagen: "Ein Quark kann zorg, zarg oder zurg sein" - es braucht einfach irgendwelche Worte, um die Eigenschaft zu beschreiben, um die es geht. Aber in der Physik hat man sich eben entschieden, die Wörter für Farben zu nehmen. Damit muss man jetzt leben. Oder, wie der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman es ausgedrückt hat: "Diese Physiker-Idioten, unfähig sich irgendwelche wundervollen griechischen Wörter auszudenken, bezeichnen diese Art der Polarisation mit dem unglücklichen Begriff 'Farbe' der nichts mit der Farbe im üblichen Sinn zu tun hat.“
Also: Ein Quark kann rot, grün oder blau sein. Oder, wenn es sich um ein Anti-Quark handelt, antirot, antigrün und antiblau. In einem stabilen Teilchen wie einem Proton oder Neutron findet man immer Quarks mit unterschiedlichen Farben, also ein rotes, ein grünes und ein blaues. Zusammen ergibt das "weiß", also gar keine Farbe. Und bevor es zu verwirrend wird, sollten wir jetzt mal klären, was es mit dieser Farbe auf sich hat. Es geht dabei um die "starke Ladung" und die Kraft, die dafür sorgt, dass die Quarks zusammenhalten, nämlich die starke Kernkraft. Das ist, so wie die Gravitation oder die elektromagnetische Kraft, eine fundamentale Kraft im Universum. Nur das wir im Alltag nichts von ihr spüren, weil ihre Reichweite so kurz ist, dass sie nur innerhalb der Atomkerne wirkt.
Es ist schwierig, etwas anschaulich zu beschreiben, was wir nirgendwo sehen, spüren und was außerhalb unserer Wahrnehmung stattfindet. Aber zwischen den Quarks wirkt eine Kraft, eben die starke Kernkraft. Und so wie sich elektrisch positiv und negativ geladene Teilchen je nach Ladung anziehen oder abstoßen, tun das die Quarks auch, je nach Art ihrer Farbladung. Das ist wie gesagt, alles sehr vereinfacht. Aber es ist vor allem wichtig zu verstehen, dass die Quarks diese Eigenschaft haben, die wir mit Wörtern für Farbe kennzeichnen und dass es eine Kraft gibt, die zwischen ihnen wirkt.
Die Disziplin, die diese ganze Wechselwirkung der Farbladungen beschreibt, nennt sich Quantenchromodynamik; sie ist für die starke Kernkraft das, was die Elektrodynamik für den Elektromagnetismus ist. Und in der Quantenchromodynamik finden wir auch den Ursprung des Axions. Die starke Kernkraft kennt nämlich keinen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie. Das klingt seltsam und wir müssen das ein wenig erläutern. Dazu müssen wir mit der CP-Symmetrie anfangen. Das "C" steht für "charge" und das "P" für "parity". Mit charge ist die Ladung gemeint und mit parity die räumliche Ausrichtung. Ich will jetzt nicht in die Details gehen, das wird sehr schnell sehr verwirrend. Aber es gibt aus diversen Gründen Prozesse, die sich nicht ändern, wenn man die Ladungen und die räumliche Anordung aller Teilchen vertauscht. Wenn man also alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und dann alles nochmal spiegelt. Das ist bei einer CP-Symmetrie der Fall; man kann - was die physikalischen Gesetze angeht mit denen man solche Systeme beschreibt - keinen Unterschied finden, wenn man die entsprechenden Vertauschungen durchführt. Genau das ist gemeint, wenn man sagt, dass die starke Kernkraft symmetrisch ist. Es ist komplett egal, ob man Reaktionen der starken Kraft zwischen Teilchen anschaut oder Antiteilchen, ob die Teilchen räumlich oder zeitlich gespiegelt werden; ob man die Prozesse also vorwärts in der Zeit laufend oder rückwärts betrachtet. Bei einer anderen Grundkraft, der schwachen Wechselwirkung, gibt es aber Prozesse, bei denen die CP-Symmetrie verletzt wird, wo es also durchaus darauf ankommt, ob Ladung oder räumlich/zeitliche Ausrichtung vertauscht wird. Vielleicht kann man das mit einem etwas schiefen Vergleich aus dem Alltag verstehen. Wenn ich Suppe machen will, kommt es nicht darauf an, ob ich zuerst das heiße Wasser in den Topf gebe und dann den Suppenwürfel. Oder zuerst den Suppenwürfel und dann das heiße Wasser darauf. Wenn ich aber Kartoffelpüree mache, ist es durchaus wichtig, die Karoffeln zuerst zu schälen, dann zu kochen und danach zu stampfen. Würde ich sie zuerst stampfen, dann kochen und erst am Schluss probieren sie zu schälen, kriege ich eine große Sauerei, aber mit Sicherheit kein Kartoffelpüree. Die Suppe ist symmetrisch, beim Kartoffelpüree ist die Symmetrie verletzt.
Und eigentlich sollte auch bei der starken Kernkraft die CP-Symmetrie verletzt sein. Das sagt zumindest all das, was wir über die Quantenchromodynamik wissen. Aber wenn wir anschauen, wie die starke Kernkraft tatsächlich wirkt, sehen wir diese Verletzung nicht. Wenn die starke Kernkraft die CP-Symmetrie tatsächlich verletzt, müsste es Teilchen geben, die wir auch schon längst beobachten hätten müssen. Haben wir aber nicht. Man kann das Problem lösen, wenn man an der mathematischen Beschreibung der Quantenchromodynamik ein bisschen rumbastelt. Das klingt ein wenig unseriös und ist auch massiv vereinfacht dargestellt. Aber wenn sich die Quarks auf eine bestimmte Weise verhalten; wenn man einen bestimmten Parameter einführt um ihre Anordnung zu beschreiben und wenn dieser Parameter immer sehr klein ist, dann lässt sich damit erklären, warum die CP-Symmetrie nicht verletzt wird, obwohl das eigentlich der Fall sein sollte. Das neue Problem: Man muss erklären, WARUM dieser neue Parameter (es geht um einen sogenannten "Vakuumwinkel", aber das würde zu weit führen) immer so klein ist. Dafür haben der italienische Physiker Roberto Peccei und die australische Physikerin Helen Quinn im Jahr 1977 eine neue Hypothese eingeführt. Auch das kann ich nur in Ansätzen erklären: Sie haben im Wesentlichen vorgeschlagen, dass da vielleicht noch ein bisher unbekanntes Feld existiert und dieses Feld sorgt mit seiner Wirkung dafür, dass der Parameter immer klein ist und die Symmetrie nicht gebrochen wird.
Also müssen wir jetzt noch einmal schnell über Felder sprechen. Das habe ich ja schon in Folge 247 ausführlich getan. In der modernen Physik sind "Quantenfelder" ja die Grundlage von allem. Sie sind das, was fundamental ist im Universum und Teilchen sind nur das, was passiert, wenn man Energie in ein Feld steckt. Quantenfelder wie das Higgs-Feld existieren im gesamten Kosmos und wenn so ein Feld ausreichend angeregt wird, entsteht dabei ein Higgs-Teilchen. Das Photon, das Lichtteilchen, ist etwas, das aus der Anregung eines elektromagnetischen Felds entsteht, und so weiter. Jedem Teilchen entspricht ein Quantenfeld. Und jedem Quantenfeld ein Teilchen. Wenn man also zur Erklärung eines Phänomens ein neues Quantenfeld erfindet, dann behauptet man gleichzeitig, dass es auch ein noch unbekanntes Teilchen geben. Das hat damals Peter Higgs gemacht, als er seinen Higgs-Mechanismus postuliert hat und tatsächlich hat man dann ein paar Jahrzehnte später auch das dazugehörige Higgs-Teilchen entdeckt.
Und jetzt sind wir endlich beim Axion. So heißt das Teilchen, dass zum Quantenfeld gehört, das Peccei und Quinn erfunden haben, um das Problem der CP-Symmetrie in der Quantenchromodynamik zu lösen. Der Name stammt übrigens vom amerikanischen Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek und bezieht sich auf die Waschmittelmarke, die ebenfalls Axion heißt. Laut Wilczek ist das ein passender Name, da das neue Teilchen ein Problem entfernt und die Theorie quasi säubert.
Jetzt werden in der theoretischen Physik immer wieder Teilchen postuliert. Das geht einfach. Viel schwieriger ist es, sie auch nachzuweisen. Vor allem so ein Ding wie das Axion. Wenn es das leisten soll, was es tut, dann kann man berechnen, dass es eine sehr geringe Masse haben muss. Enorm gering und damit ist es auch schwer aufzuspüren. Aber nicht unmöglich. Denn ein Axion hat zwar selbst keine elektrische Ladung; ist aber in der Lage mit elektromagnetischen Feldern wechselzuwirken. Zumindest wenn es sich um wirklich, wirklich, wirklich starke Felder handelt. Dann können sich Axionen in Photonen, also in Lichtteilchen umwandeln. Umgekehrt geht es auch; in einem sehr starken Magnetfeld kann ein Photon sich in Axionen umwandeln. Das bietet interessante Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel einen Laserstrahl durch ein solches Magnetfeld laufen lassen. Und ihn dann blockieren. Wenn die Theorie stimmt, sollten sich ein paar Photonen in Axionen umwandeln. Die können - im Gegensatz zum Licht - durch die Barriere hindurch und würden sich danach wieder in elektromagnetische Strahlung umwandeln. Man könnte so also quasi durch eine Mauer durchleuchten.
Solche Experimente sind aber schwer durchzuführen; es ist ein großer Aufwand und die Messungen sind komplex. Aber wenn es Axionen gibt, dann werden sie auch auf natürlichem Weg produziert; zum Beispiel im Inneren der Sonne. Da gibt es jede Menge Photonen und da gibt es auch sehr starke Magnetfelder. Dadurch könnten Axionen im Kern der Sonne entstehen und dann von dort hinaus ins All sausen. Man kann Detektoren bauen um danach zu suchen; im Wesentlichen sind das sehr starke Magneten, die eventuell vorbei kommende Axionen dazu bringen, sich in Lichtteilchen umzuwandeln. Wie gesagt: Im Detail ist das alles sehr viel komplexer und die Geräte sind extrem aufwendig zu konstruieren; man muss sie tief unter der Erde betreiben um Störstrahlung auszuschließen, und so weiter. Aber rein theoretisch wäre es damit möglich, Axionen aus der Sonne nachzuweisen.
Das ist natürlich ein statistischer Prozess. Man misst die Axionen ja nicht direkt, sondern nur die Lichtteilchen die bei ihrer Umwandlung durch Magnetfelder entstehen. Es gibt aber auch andere Prozesse, die Lichtteilchen hervorbringen. Man muss sich vorher ganz genau überlegen, was im Detektor alles dafür sorgen kann, dass Photonen entstehen. Und nur wenn man danach signifikant MEHR Photonen misst und es auch noch Photonen sind die die richtigen Eigenschaft haben, kann man die Entdeckung von Axionen verkünden.
Vielleicht passiert das irgendwann. Vielleicht ist es schon passiert, wenn ihr diesen Podcast irgendwann lange nach seiner Veröffentlichung hört. So oder so: Es wäre eine große Nachricht. Denn wenn es Axionen wirklich gibt, dann entstehen sie nicht nur im Inneren der Sonne. Dann sind sie auch in enorm großer Anzahl direkt nach dem Urknall entstanden. Und auch wenn sie eine sehr geringe Masse haben: Wenn es ausreichend viele sind, dann können sie das Rätsel der dunklen Materie lösen. Wir wissen ja, dass sich die Objekte im Universum so bewegen, als würden sie mehr Gravitationskraft spüren, als die von uns direkt beobachtbare Masse der Sterne und Galaxien ausüben können. Deswegen gehen die meisten Wissenschaftler:innen davon aus, dass es neben der normalen Materie noch eine weitere, von uns noch nicht entdeckte Form von Materie gibt, die für diese Gravitionskraft verantwortlich ist. Es muss Materie sein, die im ganzen Universum verteilt ist; die nicht zu so etwas wie Sternen oder Planeten zusammenklumpt, sondern quasi beständig in gigantischen Wolken durch den Kosmos wabert. Sie muss beim Urknall entstanden sein; sie muss Gravitationskraft ausüben und darf nicht zu stark mit normaler Materie wechselwirken. Und es muss fast sechsmal so viel davon geben wie von der normalen Materie die wir sehen können.
Das Axion würde all diese Bedingungen erfüllen. Es muss halt nur noch existieren. Denn eine Theorie kann noch so schön und vielversprechend sein - wenn sie nicht mit den Beobachtungen übereinstimmt, dann muss man sie verwerfen. Da kennt das Universum kein Erbarmen. Egal was wir uns ausdenken und wünschen; es ist nicht verpflichtet unsere Wünsche zu erfüllen. Aber wer weiß: Vielleicht haben wir mit dem Axion ja doch recht.
Sternengeschichten Folge 513: Störende Satelliten und die Helligkeit des Nachthimmels
Jedes Jahr, immer an dem Freitag der dem Neumond im September am nächsten liegt, findet die "Earth Night" statt. Gut, die Nacht gibt es täglich. Bzw. nächtlich. Die Earth Night, also die "Nacht der Erde" ist aber eine besondere Aktion - das Motto lautet "Licht aus! Für eine ganze Nacht" und ist relativ selbsterklärend. Ab 22 Uhr sollen so viele künstliche Lichter wie möglich abgeschaltet werden um die natürlichen Lichter am Himmel besser sehen zu können.
Ich habe in Folge 32 der Sternengeschichten ja schon mal über das Phänomen der sogenannten "Lichtverschmutzung" gesprochen. Obwohl dieser Begriff eigentlich missverständlich ist; dabei geht es nicht um schmutziges Licht, sondern um Licht, dass quasi die Dunkelheit verschmutzt. Oder genauer gesagt: Um Licht, dass die natürliche Dunkelheit der Nacht künstlich aufhellt. Die "natürliche Dunkelheit der Nacht": Das ist etwas, was die meisten von uns gar nicht mehr kennen. In Mitteleuropa und den anderen stark besiedelten Regionen der Welt wird es nicht mehr dunkel. Die Sonne geht zwar jede Nacht unter, die Nacht bleibt aber immer heller als sie es eigentlich wäre. All die Lichter die wir anknipsen, machen den Himmel hell; so hell, dass man bei weitem nicht alle Sterne sehen kann, die für unsere Augen eigentlich sichtbar wären. Um einen echten Nachthimmel in all seiner Pracht sehen zu können, muss man in die Wüste, auf hohe Berge abseits von Städten, auf den Ozean oder sonst irgendwo hin, wo niemand lebt und wo man deswegen auch nur sehr schwer hin kommt. Nur dann kann man das sehen, was Jahrhundertausende lang und bis noch vor wenige hundert Jahre alle Menschen immer sehen konnten, wenn sie nachts zum Himmel geblickt haben.
Ich habe früher schon erklärt, dass der Verlust der Dunkelheit nicht nur ein enormer kultureller Verlust ist, sondern auch ein ökologischer und finanzieller. Wir schalten die Lichter ja nicht ein, weil sie den Himmel beleuchten sollen. Das tun sie nur, weil sie ineffektiv sind; schlecht geplant und schlecht organisiert. All dieses Licht ist verschwendet und damit auch die Energie, die für den Betrieb gebraucht wird und das Geld, dass dieser Betrieb kostet. Man könnte viel Geld und Energie sparen, wenn man ein wenig besser auf die Beleuchtung achtet und es wirklich nur dann hell macht, wenn es nötig ist. Das wäre auch für die Umwelt besser; viele Tiere und Pflanzen und auch wir Menschen kriegen Stress und gesundheitliche Probleme, wenn es nie wirklich dunkel wird. Über all das habe ich schon früher gesprochen; auch darüber, dass es durch weniger künstliche Beleuchtung auch keinen Anstieg in der Kriminalität gibt und die Straßen nicht weniger sicher werden.
Der Anblick des Himmels und die wissenschaftliche Erforschung des Alls wird aber auch durch ein anderes Phänomen gestört, dass nicht ganz so offensichtlich ist wie die hellen Lichter der menschlichen Städte. 1957 flog der erste künstliche Satellit ins All und die Menschheit war zu recht sehr aufgeregt über den Lichtpunkt, der sich da über den Himmel bewegt und der von Menschen dorthin gebracht wurde. Der kleine Sputnik war keine 100 Tage im All, aber ihm sind im Laufe der Zeit sehr viele weitere Satelliten gefolgt. Durchaus auch zum Nutzen der Menschheit und der Wissenschaft. Die Astronomie wäre längst nicht so weit, wenn wir nicht auch unsere Messinstrumente im Weltall hätten. Unser Alltag würde völlig anders aussehen, wenn wir keine Satelliten zur Navigation, Kommunikation oder zur Wettervorhersage hätten. Der Weg in den Weltraum war ein wichtiger technologischer Schritt für uns. Aber das gilt auch für die industrielle Revolution, die Erfindung der Dampfmaschine oder der des Autos - und trotzdem sind wir deswegen nun in einer Situation angelangt, in der wir uns mit der Katastrophe der Klimakrise auseinandersetzen müssen.
Die Lage bei den Satelliten ist noch nicht so dramatisch und hat auch nicht das katastrophale Potenzial der Klimakrise. Aber es würde trotzdem nichts schaden, wenn wir uns hier zur Abwechslung mal vorher überlegen, was für negative Folgen das alles haben könnte und es dann gar nicht erst dazu kommen lassen. In Folge 228 der Sternengeschichten habe ich schon vom Kessler-Syndrom erzählt, also einem potenziellen Zustand in dem zu viele Satelliten in der Erdumlaufbahn so viel Weltraumschrott erzeugt haben, dass ein Flug ins All und durch diese Müllzone hindurch sehr schwierig oder fast unmöglich wird. So weit ist es noch lange nicht, aber zu viele Satelliten haben Auswirkungen auf die Art und Weise wie wir den Nachthimmel beobachten können.
Wir beschränken uns mittlerweile nicht mehr, einzelne Satelliten ins All zu schicken, sondern konstruieren ganze "Satellitenkonstellationen". Dabei geht es darum, möglichst viel der Erdoberfläche gleichzeitig mit Satelliten abdecken zu können. Das ist zum Beispiel bei der Navigation wichtig, da reicht nicht ein Satellit; man braucht ein paar Dutzend. Ähnliches gilt für Kommunikationsnetzwerke wie das Iridium-Netz, das aus 66 Satelliten besteht um auf der ganze Erde Telefonempfang zu liefern (zumindest wenn man ein entsprechendes und teures Gerät dafür hat). Die Iridium-Satelliten sind auch ein gutes Beispiel für das Phänomen um das geht. Die meisten werden vermutlich schon mal einen Satelliten gesehen haben. Wenn man lang genug zum Nachthimmel schaut, wird man ziemlich bald den einen oder anderen Lichtpunkt sehen, der sich vergleichsweise schnell durch das Sternenfeld bewegt. Manchmal leuchtet so ein Punkt aber auch plötzlich enorm hell auf; heller als die Sterne. Dann stehen die Chancen gut, dass man einen "Iridium-Flare" beobachtet hat; dann steht der Satellit gerade so, dass Sonnenlicht von seinen großen Antennen genau zur Erde reflektiert werden kann. Das sieht beeindruckend aus und man kann sich im Internet auch die Zeiten heraussuchen, zu denen man so etwas beobachten kann.
Aber wenn man es nicht mit 66 Satelliten zu tun hat, sondern mit 66.000, dann wäre die Lage vermutlich anders. Genau das ist aber das Problem: 2018 schickte die Firma Space X die ersten Testsatelliten ihres "Starlink"-Netzwerkes ins All und da geht es nicht mehr um ein paar Dutzend künstlicher Himmelskörper, die am Ende die Erde umkreisen sollen, sondern um ein paar tausend bis zehntausend. Andere Firmen, wie Amazon, planen ähnliche Satellitennetzwerke um weltweit Internet anbieten zu können. Es ist also nicht unmöglich, dass in Zukunft hunderttausende künstliche Himmelskörper die Erde umkreisen.
Das ist durchaus nicht ohne Probleme. Zuerst einmal für die Forschung: In der Astronomie nutzt man Teleskope, um Aufnahmen des Himmels zu machen. Dabei wird oft minuten- oder stundenlang belichtet um noch möglichst leuchtschwache Objekte abbilden zu können. Wenn da nun aber ein ganzes Netz an Satelliten die Erde umspannt, werden die selbstverständlich immer wieder durch das Bild fliegen und dort Spuren hinterlassen. Diese Spuren kann man zwar leicht erkennen und später aus den Daten entfernen. Aber das ist erstens zusätzliche Arbeit. Und zweitens fehlen am Ende trotzdem Daten. Da, wo die Kamera eine Satellitenspur abgebildet hat, kann sie nichts anderes mehr abbilden. Die Auswirkungen der großen Satellitennetzwerke werden nicht überall auf der Erde gleich stark sein und sie werden am Abend und am Morgen stärker sein als mitten in der Nacht. Aber es wird sie geben und die Forschung wird mehr Zeit und Arbeit aufwenden müssen und trotzdem noch Daten und Beobachtungsmöglichkeiten verlieren.
Dass die äußerst sensiblen Instrumente der Wissenschaft von den Satelliten beeinflusst werden, ist klar. Aber was ist mit den Augen der Menschen? Was kriegen wir davon mit? Das ist ein bisschen schwieriger zu beantworten. Nicht alle Satelliten leuchten so hell wie ein Iridium-Flare. Manche sind kaum zu sehen; manche sind für unsere Augen gar nicht zu sehen. Unser Auflösungsvermögen ist zu schlecht dafür; was aber nicht heißt, dass das Licht das die Satelliten von der Sonne in Richtung Erde reflektieren, nicht vorhanden ist! Es kann ja nicht einfach verschwinden. Jedes Objekt in der Umlaufbahn der Erde - künstliche ebenso wie natürliche, zum Beispiel Staubteilchen oder ähnliches - reflektiert Sonnenlicht. Und dieses Licht wird in der Atmosphäre der Erde gestreut und macht sie ein wenig heller. Satelliten die unsere Augen nicht auflösen können, sehen wir zwar nicht direkt. Aber wir nehmen ihr Licht als diffuse Aufhellung der Nacht wahr. Wenn das nur ein paar Satelliten sind, merken wir das natürlich nicht. Aber mittlerweile haben wir eben mehr als nur ein paar Satelliten am Himmel. Und daneben noch viel mehr Weltraumschrott, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat und weiter ansammeln wird. Im Juni 2021 haben Forscherinnen und Forscher eine entsprechende Analyse des Streulichts durchgeführt, das von den aktuellen vorhandenen künstlichen Objekt ausgeht. Das Ergebnis: 20 Mikrokandela pro Quaratmeter. Darunter kann man sich wenig vorstellen, aber das entspricht einer 10prozentigen Erhöhung der Nachthimmelhelligkeit, ausgehend von dem Niveau das vorhanden wäre, wenn es keine künstlichen Lichter auf der Erde gäbe.
Diese 10 Prozent sind jetzt nicht wahnsinnig viel, aber sie liegen gerade an der Grenze des Limits, dass die Astronomie eigentlich für optimale Beobachtungsbedingungen festgelegt hat. Und im Gegensatz zu der Lichtverschmutzung die von den Lichtern der Städte stammt, kann man diesem Licht auch nicht entkommen, wenn man sich auf hohe Berge in fernen Wüsten zurück zieht.
Es ist absolut wichtig, sich darum zu kümmern, dass wir die Nacht nicht mehr unnötig heller machen. Aus wissenschaftlichen Gründen, aus kulturellen, aus biologischen, aus medizinischen und aus wirtschaftlichen Gründen. Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir mit all den Satelliten im All nicht irgendwann einen Schaden anrichten, der schwer korrigiert werden kann. Der Weltraum gehört niemandem. Oder anders gesagt: Der Weltraum gehört uns allen. Auf der Erde sind wir - zum Glück - irgendwann drauf gekommen, dass wir nicht einfach machen können, was wir wollen. Wir können nicht überall Häuser, Städte, Fabriken hinbauen; nicht überall nach Bodenschätzen graben; nicht überall Straßen durchziehen. Wir haben Naturschutzgebiete eingerichtet, weil wir erkannt haben, dass es auch für uns Menschen wichtig ist, dass es Teile der Erde gibt, aus denen wir uns raushalten. Genau das gilt auch fürs All. Der Weltraum ist eine Ressource; für unsere Wirtschaft, für unsere Technik und für die wissenschaftliche Erkenntnis. Aber auch eine kulturelle Ressource für unsere Fantasie, Inspiration, unsere Gedanken und unsere Träume. Wir brauchen den Blick zum dunklen Nachthimmel; dieser Blick hat uns Jahrtausende lang als Menschen geprägt und zu dem gemacht, was wir heute sind. Wie müssen uns uns die Dunkelheit erhalten, wenn wir uns selbst nicht verlieren wollen.
Sternengeschichten 512: Berge und Pyramiden - Der Astronom Charles Piazzi Smyth
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das Universum und die Erde, um Wolken und klare Nächte, um Berge und Pyramiden und um einen Astronomen, der einerseits sehr umstrittene Sachen erzählt hat, ohne den die Astronomie aber andererseits nicht so funktionieren würde, wie sie es heute tut. Ich erzähle euch heute etwas über den schottischen Wissenschaftler Charles Piazzi Smyth.
Und wer jetzt denkt: "Piazzi! Das war doch der Italiener, der 1801 den ersten Asteroiden entdeckt hat", hat völlig recht. Denn der Vater von Charles war William Henry Smyth, ein Admiral in der britischen Royal Navy. Und ein Astronom. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war er im Mittelmeerraum stationiert, traf dort Eliza Anne Warington, die Tochter des britischen Vizekonsuls von Neapel. Dort, in Neapel, wurde am 3. Januar 1819 auch ihr Sohn Charles geboren und weil William Henry gut mit dem italienischen Astronom Giuseppe Piazzi befreundet war, wurde der zum Taufpaten des Kindes, das dann auch offiziell "Charles Piazzi Smyth" genannt wurde.
Die Familie blieb nicht mehr lange in Italien sondern übersiedelte nach England. Charles war ein schlaues Kind und lernte schon früh die Astronomie kennen; in der privaten Sternwarte, die sich sein Vater eingerichtet hatte. Sein Vater verschaffte Charles auch den ersten Job: Mit 16 Jahren wurde er Assistent von Sir Thomas Maclear, der damals gerade in Südafrika am Kap der Guten Hoffnung astronomische Beobachtungen durchführte. Charles katalogisierte die Sterne des Südhimmels, beobachtete Kometen und half auch dabei, die Größe der Erde zu vermessen.
1846 tauschte Piazzi Smyth dann aber die klaren Nächte der Südhalbkugel gegen den regnerischen Himmel der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Er wurde zum Astronomer Royal von Schottland berufen und richtete sich an der Carlton Hill Sternwarte ein. Abgesehen vom eher schlechten Wetter litt Piazzi Smyth vor allem unter der mangelhaften Finanzierung der Sternwarte.
Es ist also kein Wunder, dass Charles wieder in den Süden wollte. Und da kam ein Vorschlag von Isaac Newton gerade recht. Der war zwar schon lange tot, aber das hat nicht gestört. Newton, der ja unter anderem die Optik auf ein völlig neues, naturwissenschaftlich-mathematisches Niveau gehoben und auch das erste wirklich brauchbare Spiegelteleskop gebaut hat, hat schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts vermutet, dass man weiter oben in der Atmosphäre der Erde viel bessere Beobachtungen anstellen könnte als unten. Auf hohen Bergen, die über die meisten Wolken hinaus ragen müsse die Luft viel ruhiger und der Blick zu den Sternen viel klarer und schärfer sein, hat er damals geschrieben. Die Astronomie fand aber trotzdem weiterhin unten am Boden und in den Städten statt, dort wo in der Vergangenheit die ganzen Sternwarten gebaut wurden.
Charles Piazzi Smyth wollte aber endlich praktisch testen, was Newton behauptet hat. Er konnte die britische Admiralität überzeugen, eine entsprechende Expedition zu finanzieren. Warum gerade die Admiralität? Weil die natürlich damals ein großes Interesse an astronomischen Beobachtungen hatte; das war wichtig zur Positionsbestimmung und Navigation auf den Meeren. Der Ingenieur Robert Stephenson - Sohn von George Stephenson, der die erste brauchbare Lokomotive baute und selbst ein wichtiger Konstrukteur von Eisenbahnen - lieh Piazzi Smyth seine Jacht; vom Chemiker Hugh Lee Pattinson bekam Smyth ein Teleskop und von der Armee ein paar alte Zelte. Mit dem ganzen Zeug machte sich Smyth mit seiner Frau Jessica - einer Geologin - auf nach Teneriffa. Auf der größten der kanarischen Inseln liegt der Pico del Teide, ein 3715 m hoher Vulkankegel. Dort oben wollte Smyth ein Observatorium errichten und die Theorie von Isaac Newton testen.
Das war nicht einfach; das ganze Material musste von Menschen und Maultieren die Berge hinauf transportiert werden. Zuerst richteten sich Charles und Jessica auf dem Alto de Guajara ein, einem 2715 m hohen Berg südlich des Teide. Die Beobachtungen waren vielversprechend, aber es gab immer wieder jede Menge Staub in der Atmosphäre der die Betrachtung des Himmels störte. Also musste sie höher hinauf und verlegten den Beobachtungsposten auf die östliche Flanke des Teide; auf eine Höhe von 3300 Metern. Die "Alta Vista Sternwarte", die sie dort einrichteten war eine eher provisorische Angelegenheit aber die Ergebnisse waren grandios. Wo man von Edinburgh und selbst von den tieferen Lagen auf Teneriffa einen Doppelstern nur als verwaschenen Blob erkennen konnte, waren auf dem Teide klar und deutlich zwei Lichtpunkte zu sehen. Die Expedition auf die kanarischen Inseln war ein voller Erfolg und Smyth konnte eindeutig demonstrieren, dass es sich mehr als nur lohnt, astronomische Beobachtungen auf hohen Bergen durchzuführen.
Das Buch, dass er darüber schrieb, wäre aber fast nicht veröffentlicht worden. Es sollte von der Royal Society veröffentlicht werden, aber die fand es nicht gut, dass Smyth auch so viel über Geologie und Botanik geschrieben hatte anstatt sich auf die Astronomie zu konzentrieren. Außerdem wollte sie die ganzen Fotos nicht drucken, die Smyth gemacht hatte. Die Fotografie war damals noch recht jung und Smyth experimentierte mit den verschiedenen Verfahren. 1858 erschien das Buch dann trotzdem; Charles und Jessica produzierten es einfach selbst und es war das erste Buch, das mit stereoskopischen Fotografien illustriert war. Das sind Aufnahmen die das selbe Motiv aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Auf die richtige Weise betrachtet, geben sie einem einen räumlichen Eindruck der Szene. Das war aber nicht der hauptsächlich Grund warum sich Smyth dafür entschieden hatte; er hat das auch aus Gründen der wissenschaftlichen Exaktheit getan. Die Fotografie war damals nicht so exakt wie heute; es gab Bildfehler und andere Phänomene die die Aufnahme verfälschen können. Aber wenn man zwei Bilder des selben Motivs hat, kann man sofort sehen, was tatsächlich echt ist und was nur ein Bildfehler, denn die findet man im Allgemeinen nicht auf beiden Aufnahmen an der gleichen Stelle.
Der Streit zwischen Smyth und dem Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die Publikation seines Buchs war quasi eine Vorschau auf das, was noch kommen würde. Aber dazu später mehr; schauen wir zuerst, mit was sich Smyth noch beschäftigt hat: Vor allem dem Sonnenspektrum. Dass man Sonnenlicht durch ein passend geformtes Stück Glas fallen lassen kann, so dass es in die Farben des Regenbogen aufgespalten wird, wusste man schon lange und schon Newton hatte gezeigt, dass Licht tatsächlich aus verschiedenen Farben zusammengesetzt ist. Im 19. Jahrhundert hatte man dann auch dunkle Linien im Regenbogen des Sonnenlichts entdeckt, wusste aber nicht, woher die stammen. Erst später wurde klar, dass sie von den Atomen erzeugt werden aus dem das Material besteht, das das Licht durchquert. Jedes chemische Element erzeugt sein eigenes charakteristisches Muster aus dunklen Linien im Regenbogen. Nur: Licht von der Sonne durchquert ja nicht nur die Gasschichten unseres Sterns und das leere Weltall, sondern auf dem Weg in die Teleskope auch die Atmosphäre der Erde. Welche Linien im Spektrum stammen jetzt von der Sonne und welche von der Erdatmosphäre? Das wollte Smyth herausfinden und nutzte dafür wieder die Beobachtungen die er auf hohen Bergen durchführen konnte. Schaut man Mittags zur Sonne, dann steht sie direkt über einem und das Licht muss weniger Atmosphäre durchqueren als wenn man die Sonne am Horizont betrachtet und quasi einmal quer durch die ganzen Luftschichten beobachten muss. Das gilt um so mehr, wenn man auf einem hohen Berggipfel steht: Dann läuft der Blick nach oben durch noch weniger Atmosphäre und der zum Horizont dafür durch mehr. Smyth wollte nun schauen, welche Linien stärker und schwächer werden, je nach dem wann und wo er das Spektrum beobachtete. Linien, die vor allem beim Blick zum Horizont stark zu sehen sind, beim Blick nach oben aber nicht, müssen ziemlich sicher von der Erdatmosphäre stammen.
Bei all diesen Beobachtungen ging es Smyth sowohl darum, den Nachthimmel und die Sterne besser zu verstehen, als auch die Lufthülle unseres Planeten. Er fand zum Beispiel etwas, das er das "Regenband" nannte: Bei der Arbeit mit einem kleinen "Taschenspektroskop" stellte er fest, dass er immer wieder eine ganz bestimmte dunkle Linie im Spektrum sah, kurz bevor es zu regnen begann. "Die muss vom Wasser in der Atmosphäre stammen, dass sich dort ansammelt, bevor es dann zu regnen beginnt. Das wäre eine tolle Methode, um Wettervorhersagen zu machen", hat Smyth sich gedacht. Und das wäre auch so gewesen; die Meteorologie war damals ja auch erst in ihren Anfängen und Wetterprognosen wie heute komplett unmöglich. Aber leider war die Sache dann doch nicht so einfach. Erstens war die Messung deutlich schwieriger als gedacht. Smyth war es gewohnt, mit einem Blick durch das Spektroskop das Regenband auch zu sehen. Es braucht viel Übung, wenn man mit diesen Instrumenten arbeiten will. Und dann war es auch nicht so klar, dass dieses "Regenband" wirklich ein eindeutiges Vorzeichen für nahenden Niederschlag ist.
Später verlegte Smyth sich auf die Beobachtung, Fotografie und wissenschaftliche Beschreibung von Wolken; was damals auch ein ziemlich neues Forschungegebiet war. Aber heute kennt man ihn - neben seiner astronomischen Arbeit auf den Bergen der kanarischen Inseln - vor allem für das, was er in Ägypten getrieben hat. Smyth war, so wie viele andere vor und nach ihm - sehr beeindruckt von den großen Pyramiden. Er reiste dorthin, um alles genau zu messen und zu dokumentieren. Aus all diesen Messungen leitete er eine Längeneinheit ab, die seiner Meinung nach die Grundlage für den Bau der Pyramiden gewesen sein muss. Und überraschenderweise war dieser "Pyramidenzoll" genau so lang wie 1001 britische Zoll. Laut Smyth - der ein sehr religiöser Mensch war - wurde die Maßeinheit des Pyramidenzoll direkt von Gott an Noah gegeben und nach der biblischen Sintflut errichteten die Nachfahren von Noah die großen Pyramiden, ebenfalls mit göttlicher Hilfe und göttlichen Maßeinheiten. Mehr noch; Smyth war ein Anhänger des sogenannten "Anglo-Israelismus", also der Auffassung, dass die Briten die Nachfahren der Israeliten sind. Von den in der Bibel erwähnten 12 Stämmen des Volkes Israel zehn von den Assyrer umgesiedelt worden und seitdem verschollen. Aus historischer Sicht ist die biblische Geschichte sowieso immer kritisch zu betrachten, aber damals sah man das noch anders und Smyth war fest davon überzeugt, dass ein paar Stämme ihren Weg auf die britischen Inseln gefunden haben. Und es deswegen auch kein Wunder sein, dass man dort eben auch die selben göttlichen Maßeinheiten verwendet, die schon beim Bau der Pyramiden benutzt worden sind. Und das neumodische metrische System aus Frankreich muss unter anderem deswegen strikt abgelehnt werden. Na ja, Smyth war außerdem fix davon überzeugt, dass die Pyramiden voller geheimer Botschaften und Prophezeiungen Gottes stecken, die entschlüsselt werden können, wenn man sie nur genau genug vermisst und die Zahlen entsprechend interpretiert.
Charles Piazzi Smyth war nicht der erste, der sich mit dieser "Pyramidologie" beschäftigt hat, aber er war derjenige, der sie mit seinen Büchern dazu extrem populär gemacht hat und ist damit quasi der Vorläufer von modernen Pseudowissenschaftlern wie Erich von Däniken, die dann allerdings eher Außerirdische anstatt Gott als Konstrukteure der Pyramide ansehen.
Wie man sich denken kann, war der Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch damals schon nicht sonderlich begeistert von solchen Hypothesen. Man hat seine archäologische Arbeit und die wichtige Sammlung von Daten über die Pyramiden zwar durchaus anerkannt; die Schlussfolgerungen daraus aber nicht unbedingt.
Charles Piazzi Smyth ist eine kontroverse Gestalt. Die kanarischen Inseln sind heute eines der astronomischen Zentren der Welt; auf dem Teide gibt es jede Menge Observatorien an denen Spitzenforschung durchgeführt wird; so wie auf anderen Berggipfeln in Chile, Hawaii oder Südafrika. Ohne die Pionierarbeit von Symth hätte es vermutlich länger gedauert, bis die Astronomie sich dort eingerichtet hätte. Smyth hat die Erforschung der Erdatmosphäre vorangetrieben, die Wolkenforschung, die Fotografie; sich dabei aber immer wieder und weiter vom Rest der wissenschaftlichen Community entfernt und mit seiner Arbeit zum Ursprung der Pyramiden dann ganz isoliert. Die wissenschaftlichen Ehrungen die ihm im Laufe seines Lebens verliehen worden sind, trägt er aber absolut zu Recht; ebenso wie die nach seinem Tod. Charles Piazzi Smyth starb am 21. Februar 1900. 1935 wurde ein Mondkrater nach ihm benannt und seit 2022 gibt es auch einen Asteroiden der seinen Namen trägt.
Sternengeschichten Folge 511: Die Rotation der Erde
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Rotation der Erde. Das wird eine kurze Folge, könnte man meinen: Die Erde dreht sich um ihre Achse und braucht dafür 24 Stunden. Fertig, was mehr gibt es da zu sagen? Nun, jede Menge - ansonsten wäre das ja kein Thema für diesen Podcast!
Ich überspringe sogar den großen Teil der Geschichte, als noch nicht klar war, ob die Erde sich überhaupt dreht. Bis in die frühe Neuzeit hinein war man ja noch mehrheitlich der Meinung, dass die Erde unbewegt im Zentrum des Universums steht und sich alles um sie herum bewegt. Genau so sieht es ja auch aus, wenn man nachts zum Himmel schaut: Die ganzen Sterne drehen sich um uns herum. Heute wissen wir natürlich, dass das eben tatsächlich nur so aussieht. Die Sterne am Himmel bewegen sich - zumindest in erster Näherung - nicht, sie stehen fix an ihren Positionen. Aber die große Kugel der Erde dreht sich um ihre Achse und darum schaut es so aus, als würden sich die Sterne bewegen.
Also: Die Erde rotiert und sie tut das um eine Achse, die durch den Nordpol und den Südpol verläuft. Per Definition zeigt diese Achse nach Norden und dadurch bewegen sich alle Punkte der Erdoberfläche von Westen nach Osten. So richtig spannend wird es aber, wenn man wissen will, wie lange die Erde für eine Drehung braucht. Im Alltag dauert eine komplette Rotation, also das, was wir einen Tag nennen, bekanntlich 24 Stunden. Aber die Wissenschaft schaut sich die Sache natürlich genauer an. Und da muss man sich zuerst einmal überlegen, in Bezug auf was man die Rotation überhaupt misst.
Wäre die Erde der einzige Himmelskörper im Universum, dann gäbe es keinen Bezugspunkt, anhand dessen man feststellen könnte, wie lange so eine Rotation dauert. Aber das ist ja nicht der Fall. Wir haben zum Beispiel jede Menge Sterne. Wir könnten jetzt zum Beispiel warten, bis ein bestimmter Stern exakt über unserem Kopf steht. Und dann warten, bis sich die Erde so weit gedreht hat, dass dieser Stern wieder genau an diesem Punkt angekommen ist. Das ist prinzipiell eine durchaus plausible Methode, denn die Sterne bewegen sich ja nicht. Allerdings nur, wenn man nicht allzu genau schaut. In der Zeit, die die Erde für eine Umdrehung braucht, ist die Bewegung der Sterne tatsächlich kaum zu messen. Aber sie bewegen sich eben doch; alle Sterne umrunden das Zentrum der Milchstraße und ihre Positionen am Himmel verändern sich daher im Laufe der Zeit. Um das zu merken muss man ihre Positionen sehr genau messen, aber das können wir mittlerweile und das macht sie eben nur bedingt als Bezugspunkt für die Erdrotation geeignet. Wir brauchen etwas, das sich nicht bewegt und so etwas gibt es im Universum leider nicht. Alles bewegt sich - aber je weiter etwas von uns entfernt ist, desto geringer fällt die von der Erde sichtbare scheinbare Bewegung aus. Daher verwendet man heute die Zentren weit entfernter anderer Galaxien. Auch die bewegen sich natürlich, aber weil sie viele Millionen Lichtjahre entfernt sind, erscheint uns diese Bewegung so gering, dass man für alle praktischen Zwecke als unbewegt annehmen kann.
Bestimmt man nun also die Zeit die die Erde für eine Drehung um ihre Achse in Bezug auf diese enorm weit entfernten Himmelskörper braucht, dann kommt man auf einen Wert von 23 Stunden, 56 Minuten und 4,0989 Sekunden. Dieser Zeitraum wird auch der "mittlere siderische Tag" genannt. Und das Wort "mittlere" sagt uns schon, dass auch das kein für alle Zeiten fixer Wert ist.
Bevor wir uns damit beschäftigen schauen wir nochmal kurz in Richtung Sonne. Denn wir können natürlich auch messen, wie lange es dauert, bis die Erde sich so weit gedreht hat, dass die Sonne wieder am gleichen Punkt des Himmels steht. Das sind im Mittel 24 Stunden und dieser "Sonnentag" ist das, was wir im Alltag für die Zeitmessung verwenden. Der Unterschied von knapp 4 Minuten entsteht, weil sich die Erde während ihrer Drehung um die eigene Achse ja auch um die Sonne herum bewegt. Während einer Rotation verändert also die Erde ihre Position in Bezug auf die Sonne und um das auszugleichen muss sie sich noch ein paar Minuten länger drehen, bis die Sonne wieder am gleichen Punkt zu sehen ist.
Aber zurück zum siderischen Tag. Dem "mittleren" siderischen Tag, denn die Erde braucht nicht immer exakt gleich lange für eine Drehung. Es gibt Schwankungen und die können viele Ursachen haben. Über eine davon habe ich schon in Folge 161 gesprochen, als es um die Gezeiten ging. Durch die Gezeitenkraft, die der Mond auf die Erde ausübt, wird die Erde ein klein wenig gebremst. Nur ein paar Millisekunden pro Jahr, aber im Laufe der Zeit läppert sich das zusammen. Als vor 70 Millionen Jahren noch Dinosaurier über die Erde gewandet sind, hat die Erde nur 23 Stunden und 30 Minuten für eine Drehung um ihre Achse gebraucht, vor 1,4 Milliarden Jahren hat ein Tag nur 18 Stunden und 41 Minuten gedauert. Diese Bremsung wird weitergehen; die Dauer eines Tages wird jedes Jahr um circa 17 Mikrosekunden länger werden. Das wird erst in ferner Zukunft enden; dann wird die Erde für eine Rotation gut 40 Tage brauchen; erst dann sind Erde und Mond in ihrer Bewegung so aufeinander abgestimmt, dass keine Gezeitenreibung mehr stattfindet. Aber darauf brauchen wir nicht warten; das ist nur ein theoretisches Ergebnis - zu diesem Zeitpunkt wird die Sonne schon längst zu einem roten Riesenstern geworden sein.
Es gibt aber auch kurzfristige Schwankungen der Tageslänge. Ausreichend exakte Messungen werden seit 1962 durchgeführt. Damals hat die Erde für eine Rotation gut eine Millisekunde länger gebraucht als die Referenztageslänge von 86.400 Sekunden (also 24 Stunden). Bis zu den 1970er Jahren ist die Abweichung sogar auf mehr als 3 Millisekunden angestiegen. Danach wurden die Tage wieder kürzer und die Abweichungen schwankten zwischen einer und zwei Millisekunden. Zu Beginn der 2020er Jahre fiel die Rotationsdauer sogar unter den Referenzwert und die Tage waren so kurz wie seit Beginn der Messungen nicht mehr.
Was ist der Grund für diese Schwankungen? Es liegt nicht an der Messgenauigkeit; wir sind durchaus in der Lage die Dauer einer Rotation ausreichend genau zu messen, um Abweichungen im Millisekundenbereich zu bestimmen. Die tatsächlichen Gründe für die kurzfristigen Veränderungen sind vielfältig. Das, was die Rotation der Erde beschreibt, nennt sich Drehimpuls; das ist quasi die Energie, die in der Drehbewegung steckt. Der Drehimpuls ist eine fundamentale Erhaltungsgröße, wie die Energie und kann sich nicht ändern. Die Rotationsgeschwindigkeit ist aber nicht identisch mit dem Drehimpuls; physikalisch gesehen ist der Drehimpuls das Produkt aus Drehgeschwindigkeit und dem sogenannten Trägheitsmoment. Da der Drehimpuls konstant sein muss, kann sich die Geschwindigkeit der Erdrotation also nur dann ändern, wenn sich auch das Trägheitsmoment ändert und zwar genau so, dass am Ende wieder in Summe alles gleich bleibt.
Das Trägheitsmoment ist eine komplexe Sachen, aber simpel gesagt hängt es davon ab, wie die Masse der Erde verteilt ist und welche Form die Erde hat. Und unser Planet ist ja weder eine exakt Kugel, noch ist die Masse der Erde überall und immer gleich verteilt. Das klassische Beispiel in solchen Situationen ist der Piroutteneffekt: Wenn ein Eiskunstläufer die Arme und Beine dicht an den Körper zieht und sich klein und kompakt macht, kann er sich schnell drehen. Streckt er dann aber Arme und Beine aus, verändert er seine Massenverteilung und die Drehbewegung wird schlagartig langsamer. Die Erde hat jetzt zwar keine Arme und Beine. Aber sie hat zum Beispiel Gletscher. Wenn so ein Gletscher schmilzt, was sie ja dank der Klimakrise immer schneller tun, dann fließt Wasser, das zuerst als Eis hoch oben am Berg war, in flüssiger Form hinab ins Tal und durch die Flüsse in die Meere. Es verlagert sich also Masse von oben nach unten und das mag nach einem vernachlässigbaren Effekt klingen. Ist aber tatsächlich etwas, was die Erdrotation messbar verändern kann. Gleiches gilt für das, was passiert, wenn die Gletscher geschmolzen sind. In der letzten Eiszeit war etwa Nordeuropa komplett von Eis bedeckt. Das ist geschmolzen und jetzt fehlt das ganze Gewicht dieses Eises, dass die Landschaft nach unten gedrückt hat. Wir können heute noch messen, wie sich zum Beispiel ganz Skandinavien leicht hebt; die "Delle", die das Eis durch sein Gewicht in der Erdkruste hinterlassen ist, ist also immer noch dabei, sich zu schließen. Und auch diese Veränderungen in der Form der Erde haben Auswirkungen auf die Rotation.
Auch im Inneren der Erde gibt es immer wieder Massenverlagerungen. Im äußeren Erdkern fließen gewaltige Ströme aus geschmolzenen Metall und Gestein. Das führt immer wieder zu Änderungen im Trägheitsmoment und damit zu Änderungen der Rotationsgeschwindigkeit. Selbst der Wind spielt eine Rolle: Die Atmosphäre der Erde ist ständig in Bewegung und die Luft strömt manchmal schneller um die Erde herum als die sich drehen kann und mal langsamer. Und natürlich ist die Atmosphäre nicht völlig von der Erdkruste abgekoppelt; da sind ja zum Beispiel Gebirge, gegen die der Wind pustet. Auch das beeinflusst die Erdrotation. Manche dieser Effekte hängen mit den Jahreszeiten zusammen; viele großräumige Windströmungen ändern sich im Laufe des Jahres, genau so wie der Niederschlag. Denn auch das ist eine Änderung in der Massenverteilung: Wasser aus Flüssen und Meeren verdampft, steigt auf und regnet dann wieder aus den Wolken runter. Die durch schmelzende Gletscher, Eiszeiten oder die Vorgänge im Erdinneren ablaufenden Prozesse führen zu Änderungen der Erdrotation im Laufen von Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Und all das überlagert sich, was es schwer macht, exakt zu beschreiben oder gar vorherzusagen wie schnell sich die Erde dreht.
Dazu kommen Einzelereignisse: Erdbeben sind ja auch nichts anderes als Verlagerungen der Masse in der Erdkruste. Als 2004 ein enormes Beben im indischen Ozean stattgefunden hat, gab es nicht nur einen Tsunami der eine katastrophale Anzahl an Todesopfern gefordert hat. Auch die Rotation der Erde wurde dadurch um 8 Mikrosekunden kürzer. Wir können die Erdrotation sogar künstlich verändern: Als China Anfang des 21. Jahrhunderts die gewaltigen Drei-Schluchten-Talsperre gebaut hat, entstand ein Staubecken, dass knapp 30 Millionen Kubikkilometer Wasser halten kann. Wasser, das vorher ganz woanders lang geflossen ist und so eine Massenumlagerung bremst die Erde um ein paar Hundertstel Mikrosekunden.
All diese Schwankungen der Erdrotation sind vor allem aus wissenschaftlicher Sicht interessant; wir können daraus viel darüber lernen, wie die Erde als Planet funktioniert. Für den Alltag spielt es keine Rolle, ob der Tag jetzt ein paar Mikrosekunden kürzer oder länger ist. Bescheid wissen müssen wir aber trotzdem. Mittlerweile haben wir ja überall Computer, die nur mit sehr exakten Zeitangaben arbeiten können; Satelliten die auf exakte Atomuhren angewiesen sind, und so weiter. Damit da nicht alles durcheinander kommt, müssen wir uns auf eine Zeit einigen und die sollte nicht allzu sehr von der Alltagszeit abweichen. Deswegen wird sehr genau geschaut, wie sich die Erdrotation verändert und wie groß die Abweichung von der Referenzzeit ist. Wenn die Tageslänge zum Beispiel 2 Millisekunden über dem Referenzwert liegt und das 500 Tage lang so bleibt, würde eine Atomuhr im Vergleich zur Erdrotation schon um eine Sekunden falsch gehen. Soll heißen: Die Atomuhr würde Mitternacht um eine Sekunde zu früh oder spät anzeigen, verglichen mit der tatsächlichen Position der Erde in Bezug auf die fernen Galaxien. Und für eine Atomuhr ist eine Sekunde Abweichung ein wenig viel - deswegen fügt man immer wieder mal Schaltsekunden ein, um das auszugleichen. Im Gegensatz zu den Schalttagen, die ja nach gewissen Regeln in den Kalender gepackt werden kann man aber nicht vorhersagen, wann wieder eine Schaltsekunde nötig wird. 1992, 1993, 1994 und 1995 hat man Schaltsekunden eingefügt; 1997 und 1998 auch. Aber dann war wieder Ruhe bis 2005.
Wie gesagt: Es lässt sich nicht exakt vorhersagen, wie sich die Erdrotation von Jahr zu Jahr verändert. An unserem Alltag ändert das nichts. Die Tage werden zwar kürzer und länger. Aber eben nur für Millisekunden und das reicht leider nicht, um sich mal ordentlich ausschlafen oder einen Kurzurlaub einplanen zu können…
Sternengeschichten Folge 510: Die wunderbare Nebelkammer
Wissenschaft funktioniert deswegen, weil wir die Welt beobachten. Früher, als wir noch quasi gar nichts gewusst haben, konnte man tatsächlich einfach "nur" beobachten. Also schauen, wie Äpfel von Bäumen fallen. Oder wie Wellen an den Strand klatschen. Oder Vögel fliegen. Und so weiter. Aber damit kommt man nicht beliebig weit. Genau deswegen haben wir Mikroskope erfunden. Und Teleskope. Und all die anderen Beobachtungs- und Messinstrumente mit denen die moderne Wissenschaft heute arbeitet.
Ein ganz besonderes Instrument ist die Nebelkammer. Damit kann man das eigentlich Unsichtbare beobachten und zwar, in dem man auf Nebel starrt. Das klingt absurd, denn Nebel ist ja eigentlich etwas, das die Beobachtung erschwert. In dem Fall macht er sie aber erst möglich; mit einer Nebelkammer konnte die Welt der Elementarteilchen das erste Mal quasi direkt erforscht werden. Der undurchsichtige Nebel hat uns die Augen für die unsichtbaren Bausteine der Atome geöffnet.
Die Nebelkammer wurde vom Schotten Charles Thomas Rees Wilson erfunden. Er wurde am 14. Februar 1869 in Glencorse geboren, als Sohn eines Bauerns in der Nähe von Edinburgh. Der Vater starb aber, als Wilson erst vier Jahre alt war und seine Mutter zog mit ihm und seinen sechs Geschwistern nach Manchester. Wilson war schlau und studierte zuerst am Owen's College in Manchester und dann an der Universität Cambridge. Eigentlich hatte er vor, Arzt zu werden - stellte aber bald fest, dass er sich viel mehr für Chemie und Physik interessierte. Und neben der Forschung hatte er eine weitere große Leidenschaft: Das Wandern. Das tat Wilson vor allem in seiner Heimat Schottland und eines seiner Lieblingsziele war der Ben Nevis. Der höchste Berg Schottlands und Großbritannien ist zwar nur 1345 Meter hoch, das reicht aber, dass man von oben auf die Wolken herab blicken kann, wenn das Wetter passt. Und dass man beim Anstieg mitten durch die Wolken und den Nebel wandert. Und Wilson fand Wolken und Nebel großartig. Er konnte sich die Wolken ewig anschauen und darüber nachdenken, wie sie funktioniern und wie sie entstehen.
In Folge 105 der Sternengeschichten habe ich ja schon ausführlich über die Wolkenforschung gesprochen, die im 19. Jahrhundert gerade so richtig wissenschaftlich Fahrt aufnahm. Und auch von Wilsons Kollegen in Großbritannien durchgeführt wurde. Zum Beispiel von John Aitken, der als erster herausfand, dass man sogenannte Kondensationskerne braucht, wenn Wolken entstehen sollen. Also irgendwas, an dem sich die Feuchtigkeit die in der Luft ist auch anlagern kann, so dass die großen Wassertropfen entstehen, die eine Wolke bilden und sichtbar machen. Um das zu erforschen hat Aitken einen Apparat gebaut, der auch im Labor Wolken erzeugen kann. Im Prinzip war das nur eine Glaskugel, in der jede Menge Wasser- beziehungsweise Alkoholdampf war. Wenn dann noch Staub dazu gegeben wurde, konnte sich die Tröpfchen dort anlagern. Aitken hat das vor allem deswegen getan, weil er rausfinden wollte, wie viel Staub so in der Atmosphäre rumfliegt und wie groß die Staubteilchen sind. Da er die aber nicht so gut zählen konnte, hat er sie auf dem Umweg seiner Apparatur in Nebeltropfen umgewandelt, die mit Licht beleuchtet und weil es um so mehr Nebeltropfen gab, je mehr Staub in der Atmosphäre war, konnte er aus der Menge des reflektierten Lichts die Staubmenge abschätzen.
Aitken hat übrigens auch als einer der Ersten mit der Luftverschmutzung in den Städten, mit dem Smog beschäftigt und gezeigt, dass der vor allem aus den Rußpartikeln entsteht, die bei der Verbrennung von Kohle in die Luft gelangen. Aber zurück zu Wilson. Der war weiterhin fasziniert von der Vielfalt und Ästhetik der Wolken und des Nebels, die er bei seinen Wanderungen durch Schottland beobachten konnte. Aber er war auch Wissenschaftler und wollte den Nebel verstehen. Also hat er sich eine Maschine wie die von Aitken gebaut und in seinem Labor den künstlichen Nebel betrachtet. Im Prinzip würde das als Zusammenfassung seiner Forschungsarbeit schon reichen: Wenn Wilson nicht gerade Vorlesungen an der Uni halten musste, stand er im Labor, bastelte an der Nebelmaschine herum und betrachtete das Ergebnis. In jahrelanger Arbeit hat er die Maschine immer weiter verbessert. Anfangs wollte er nur die Arbeit von Aitken nachvollziehen. Er gab also ebenfalls Wasser- bzw. Alkohol in seine Kammer die so konstruiert war, dass man durch das schnelle Herausziehen eines Kolbens das Volumen schlagartig vergrößern konnte. Die sich schnell ausdehnende Luft kühlt dabei ebenso schnell ab und das bringt die Wasser- bzw. Alkoholtropfen dazu, zu kondensieren, wenn entsprechende kleine Partikel in der Kammer vorhanden sind.
Aber Wilson stellte fest, dass sich auch dann Nebel bilden kann, wenn die Luft in der Kammer absolut rein ist. Wilson wollte wissen, warum das so ist und experimentierte weiter. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannte Röntgenstrahlung und die hat Wilson gleich in sein Experiment eingebaut. Wenn er Röntgenstrahlung in seine Nebelkammer fallen ließ, dann entstanden dort Wolken! Wilson hatte nachgewiesen, dass auch Strahlung in der Lage ist, Wolkenbildung anzuregen. Zur gleichen Zeit waren Marie Curie und ihr Mann Pierre dabei, die Radioaktivität zu erforschen und auch hier konnte Wilson zeigen: Gibt man radioaktives Material in die Nebelkammer, gibt es Wolken. Das waren durchaus relevante Ergebnisse. Denn in der Atmosphäre der Erde sind der Staub und die anderen Partikel die zur Wolkenbildung führen vor allem in den unteren Schichten zu finden. Aber Wolken entstehen auch - wenn auch nicht so dicht und häufig - sehr viel weiter oben. Und - das hatte Wilson jetzt gezeigt - dafür kann die Strahlung verantwortlich sein, die aus dem Weltall kommt. Diese "kosmische Strahlung" wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Victor Hess entdeckt, der zeigen konnte, dass diese Strahlung umso stärker wird, je weiter man sich vom Erdboden entfernt.
Wilson schaute weiter in den Nebel. Sein Gerät war mittlerweile enorm sensibel. Er hatte die Luft gerade so mit Alkohol gesättigt, dass sie unmittelbar an der Grenze zur Kondensation war. Die kleinste Störung konnte reichen, dass sich Nebeltröpfchen bilden. Und Wilson war auch sehr, sehr gut darin geworden, diese Nebeltröpfchen zu erkennen. 1911 sah er dann das erste Mal etwas, was er "Knoten" nannte. Er vermutete, dass es sich um die Punkte handelte, wo sich Strahlung die aus unterschiedlichen Richtungen kommt, kreuzt. Aber so richtig klar war ihm das alles noch nicht. Am 29. März 1911 kam dann - nach weiteren Verbesserungen am Gerät - der Durchbruch. Wilson schrieb in seinen Aufzeichnungen, dass er "äußerst feinen Linien" sah, die vor allem von dort kommen, wo seine Strahlungsquelle auf die Kammer gerichtet war.
Wilson fasste alles was er entdeckt und herausgefunden zusammen und veröffentlichte im Juni 1911 die Arbeit "On a method of making visible the paths of ionising particles through a gas". Das klingt nicht so spektakulär wie das, was es wirklich war. "Ionisierende Partikel" sind subatomare Teilchen; die Teile aus denen ein Atom besteht, die Bausteine des Atomkerns und die Elektronen aus seiner Hülle. Dass es die geben musste, hatte man schon Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt. Indirekt natürlich, weil direkt sehen konnte man sowas nicht. Direkt gesehen hat sie auch Wilson nicht. Aber er hat sie quasi sichtbar gemacht. Wenn zum Beispiel ein Elektron mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft saust, stößt es gegen die Moleküle und Atome der Luft und erzeugt dabei Ionen, also geladene Atome. Die sind besonders super als Kondensationskerne für Nebeltropfen, sofern die Bedingungen dafür herrschen. Diese Bedingungen hatte Wilson in seiner Kammer geschaffen und konnte dadurch den Flug eines Elektrons durch die Luft als feine Nebelspur sichtbar machen. Nach ein, zwei Sekunden war die dünne Nebellinie die die Existenz des Elektrons hervor ruft schon wieder verschwunden. Aber so lange sie da ist, ist sie gut zu sehen. Und man kann sie auch fotografieren, was Wilson getan hat, aber auch in seiner Arbeit anmerkt: "Die Fotografie vermittelt nur einen schwachen Abglanz der Schönheit jener Wolken".
Wilsons Nebelkammer war das erste Instrument, dass die Flugbahnen der subatomaren Teilchen sichtbar machen konnte. Diese Entdeckung kann man kaum überschätzen. In den kommenden Jahrzehnten wurde die Nebelkammer zum wichtigsten Instrument der Teilchenphysik. Man kann sie nicht nur zum einfachen "Zuschauen" benutzen. Legt man zum Beispiel elektrische oder magnetische Felder an die Nebelkammer an, dann wird dadurch die Flugbahn der Teilchen beeinflusst, je nachdem ob sie elektrisch positiv geladen sind oder negativ. Oder, wenn sie ungeladen sind, dann fliegen sie halt grad durch, aber auch das ist ja ne Information. Man kann gezielt bekannte Teilchen in die Kammer leiten und dann schauen, was passiert, wenn sie kollidieren. Oder radioaktiv zerfallen. Dann entstehen neue Teilchen, die man anhand ihre Nebelspur identifizieren kann. Oder vielleicht sieht man eine Spur, die zu keinem bekannten Teilchen passt. Dann hat man ein neues entdeckt und genau das ist mit der Nebelkammer und ihren Nachfolgern durchaus passiert.
Aus dem kleinen Gerät in Wilsons Labor wurden immer größere, ausgeklügeltere Anlagen. Man hat damit das Positron entdeckt, also das Antiteilchen des Elektrons und das erste Mal Antimaterie nachgewiesen. Man hat das Myon in der Nebelkammer gefunden, ein weiteres Elementarteilchen. Man hat andere Teilchen gefunden, wie zum Beispiel das Kaon. Jede Menge Leute haben dank Wilsons Nebelkammer einen Nobelpreis gewonnen und ohne sie wäre die Physik heute nicht da, wo sie ist. Und Wilson? Der hat für seine Erfindung 1927 auch einen Physik-Nobelpreis bekommen, alles andere wäre auch absolut ungerecht gewesen. Ernest Rutherford, der fundamentale Arbeit zum Verständnis der subatomaren Teilchenwelt geleistet und unter anderem gezeigt hat, wie man durch radioaktiven Zerfall Atome in andere Atome umwandeln kann, hat die Nebelkammer als das "originellste und wunderbarste Instrument in der Naturwissenschaft" bezeichnet. Heutzutage verwendet man andere Methoden um Teilchen nachzuweisen. Aber für Jahrzehnte war die Nebelkammer das wichtigste Instrument das die Teilchenphysik hatte. Heute kann man sie immer noch sehen, in vielen Museen stehen solche Instrumente und zeigen die unsichtbare Welt der Atome. Man kann sich auch selbst eine bauen. Dazu braucht man nicht viel; ein Glas, ein bisschen Trockeneis, ein wenig starken Alkohol, schwarze Plastikfolie und eine Taschenlampe. Das Trockeneis - das man leicht im Internet bestellen kann - wird zu Schnee zerstoßen. Das gefrorene CO2 hat eine Temperatur von -80 Grad und wird mit der Plastikfolie bedeckt. Dann nimmt man das Glas, spült es mit dem Alkohol aus und stellt es auf die Plastikfolie. Die Luft mit den Alkoholtröpfchen kühlt ab und es bilden sich die Bedingungen unter denen Wolken entstehen können. Wenn man mit der Lampe waagrecht auf das Glas leuchtet und lange genug wartet, dann kann man irgendwann die feinen Nebelspuren sehen, die auch Wilson gesehen hat und die die Existenz der aus dem All kommenden kosmischen Strahlung anzeigen. Entsprechende Bauanleitungen kann man überall im Internet finden und es ist wirklich absolut faszinierend, den aus dem Nichts auftauchenden Spuren zuzusehen.
Wilson selbst hat bis an sein Lebensende weiter geforscht. Am Nebel - aber auch an Gewittern. Die haben ihn genau so fasziniert wie der Nebel. Er wollte Blitze verstehen und hat unter anderem die Existenz von "Sprites" vorhergesagt. Das sind Blitze, die über den Wolken nach oben ausschlagen, bis in eine Höhe von 100 Kilometern. Tatsächlich nachgewiesen konnte diese Art der Blitze aber erst nach Wilsons Tod. Er starb am 15. November 1959 und zum Abschluss hören wir uns noch an, was er in der Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreis gesagt hat:
"Im Herbst 1894 verbrachte ich ein paar Wochen auf dem Gipfel eines wolkigen schottischen Bergs, dem Gipfel des Ben Nevis. Morgen um Morgen sah ich dort die Sonne über einem Meer von Wolken aufgehen und den Schatten des Bergs auf den unter mir liegenden Wolken, umgeben von prachtvollen farbigen Ringen. Durch die Schönheit dessen, was ich sah, verliebte ich mich in die Wolken und entschloss, zu experimentieren um sie besser zu verstehen."
Das ist Wissenschaft im besten Sinne: Der Wunsch, die Schönheit die man in der Welt sieht, zu verstehen.
Sternengeschichten Folge 509: Osiris - ein verdampfender Planet
In dieser Folge der Sternengeschichten reisen wir zu Osiris, einem Planeten der sich knapp 160 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Obwohl, "Osiris" ist gar nicht der offizielle Name. Der lautet "HD 209458b". Das klingt jetzt aber nicht so super und deswegen bleiben wir bei dem inoffiziellen Spitznamen, den die Forscherinnen und Forscher diesem Himmelskörper verliehen haben. Osiris ist ein extrasolarer Planet, als ein Planet, der nicht unsere Sonne umkreist sondern einen anderen Stern. In diesem Fall ist das der Stern mit der Bezeichnung HD 209458. Man findet ihn, wenn man am Himmel in das Sternbild Pegasus schaut. Allerdings nur mit einem Teleskop, mit bloßem Auge ist dieser Stern nicht zu sehen. HD 209458 ist ein kleines bisschen schwerer, größer und heißer als die Sonne und mehr oder weniger gleich alt wie unser Stern. Im großen und ganzen kann man ihn als sonnenähnlichen Stern bezeichnen, der die meiste Zeit über nicht weiter aufgefallen ist.
Das hat sich am 9. September 1999 schlagartig geändert. Schon im August hat man erste Hinweise gefunden, dass dieser Stern von einem Planeten umkreist wird. Heute ist das keine große Sache mehr; wir kennen mehr als 5000 extrasolare Planeten und wissen, dass da draußen mindestens so viele Planeten wie Sterne sind. Aber 1999 hatte die Erforschung der extrasolaren Planeten gerade erst angefangen. Der erste davon wurde überhaupt erst Ende 1995 entdeckt. 1999 kannte man gerade mal gut zwei Dutzend davon. Jeder neu entdeckte Planet war eine große Sache. HD 209458 war aber extra aufregend und das hat mit der Art und Weise seiner Entdeckung zu tun.
Die ersten extrasolaren Planeten sind alle mit der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt worden. Davon habe ich ja früher schon mal erzählt; kurz gesagt nutzt man dabei die Tatsache aus, dass die Gravitationskraft eines Planeten den Stern, den er umkreist, ein klein wenig zum Wackeln bringt. Nicht viel; immerhin hat so ein Planet ja deutlich weniger Masse als ein Stern. Trotzdem, ein Stern der von Planeten umkreist wird, wackelt immer ein bisschen hin und her. Das kann man zwar nicht direkt beobachten (zumindest in so gut wie allen Fällen nicht). Aber wenn sich der Stern bei seiner Wackelei mal ein winziges Stück auf uns zu bewegt und dann wieder von uns fort, führt das dazu, dass sich auch das Licht verändert. Es wird - vereinfacht gesagt - mal ein wenig röter und mal ein wenig blauer. Genau aus dem gleichen Grund, aus dem sich auch die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert wenn es zuerst auf uns zu kommt und dann von uns weg fährt. Nur dass es hier eben eine Lichtwelle ist, die die Farbe verändert und keine Schallwelle bei der sich die Tonhöhe ändert.
Die Radialgeschwindigkeitsmethode war sehr erfolgreich bei der Suche nach extrasolaren Planeten. Ist sie immer noch; sie wird ja immer noch verwendet. Vor allem deswegen, weil man daraus die Masse des Planeten recht gut abschätzen kann. Je mehr Masse der Planet hat, desto stärker bringt er den Stern zum Wackeln. Und die Masse eines Planeten ist eine fundamentale Größe, wenn man die nicht kennt hat man kaum eine Chance zu verstehen, um was für einen Planeten es sich handelt. Was man darüber hinaus auch noch gerne kennen würde, ist die Größe des Planeten. Die sagt einem die Radialgeschwindigkeitsmethode aber leider nicht.
Deswegen hat man auch schon früh probiert, Planeten mit einer anderen Methode zu finden und zwar der Transitmethode. Auch von der hab ich schon oft erzählt; da geht es darum, dass man das Licht eines Sterns beobachtet und schaut, ob es in periodischen Abständen weniger wird. Denn wenn von uns aus gesehen ein Planet genau vor dem Stern vorbei zieht, verdeckt er dabei ein kleines bisschen Licht. Nicht viel, aber Helligkeiten können wir relativ genau messen. Und natürlich gilt hier: Je größer der Planet, desto mehr Licht kann er verdecken. Die Transitmethode sagt uns also direkt, wie groß der Planet ist. Dafür kann sie wiederum nichts über die Masse sagen. Und vor allem: Sie funktioniert nur dann, wenn wir zufällig von der Erde aus genau in die Ebene schauen, in der sich der Planet um den Stern bewegt. Man muss also sehr viele Sterne beobachten damit man eine Chance hat, einen zu finden der erstens von einem Planeten umkreist wird und bei dem wir zweitens im richtigen Winkel hinschauen um einen Transit zu sehen.
1999 hatte man mit der Transitmethode noch keinen Erfolg gehabt. Aber natürlich hat man bei allen damals bekannten Exoplaneten versucht, einen Transit zu beobachten. Die Chancen, dass von der Handvoll damals bekannter Planeten gerade einer dabei ist, der direkt vor seinem Stern vorüber zieht, war zwar gering. Aber zumindest hat man schon mal gewusst, DASS da überhaupt ein Planet ist. Genau das hat man aus Radialgeschwindigkeitsmessungen bei HD 209458 gewusst. Und am 9. September 1999 hat man dort dann auch einen Transit beobachtet. Die Helligkeit des Sterns wurde um 1,7 Prozent geringer und diese Mini-Sternenfinsternisse wiederholten sich periodisch, genau wie es für einen den Stern umkreisenden Planeten zu erwarten war.
Der Planet, der die offizielle Bezeichnung HD 209458b bekommen hat, war der erste, der mit der Transitmethode nachgewiesen werden konnte. Mit der Transitmethode UND der Radialgeschwindigkeitsmethode, was ganz besonders praktisch ist. Denn wenn ich weiß, wie groß der Planet ist und gleichzeitig auch seine Masse kennen, kann ich auch die Dichte berechnen und Rückschlüsse über seine Zusammensetzung ziehen. In diesem Fall war der Planet 1,35 mal so groß wie Jupiter, hatte aber nur gut 70% der Jupitermasse. Es muss also auf jeden Fall mal ein riesiger Gasplanet sein; ohne feste Oberfläche. Dass er gleichzeitig größer ist als Jupiter und weniger Masse hat, kann man durch seine Umlaufbahn erklären. Er befindet sich nur 7 Millionen Kilometer von seinem Stern entfernt. Zum Vergleich: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer; der sonnennächste Planet Merkur ist immer noch 58 Millionen Kilometer weit weg. HD 209458 b braucht deswegen auch nur 3,5 Tage für eine Runde um den Stern. Und durch diese Nähe wird er natürlich auch enorm aufgeheizt. Er ist mehr als 1000 Grad Celsius heiß und die Wärme führt dazu, dass sich das Gas aus dem er besteht ausdehnt.
Osiris ist aber nicht nur deswegen außergewöhnlich, weil er als erster Planet mit der Transitmethode entdeckt wurde. Seine zweite Besonderheit hat mit seinem Spitznamen zu tun. 2003 und 2004 hat das Hubble-Weltraumteleskop den Planet beobachtet und dabei in seiner Umgebung jede Menge Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff gefunden. Der Planet war quasi von einer Wolke aus diesen Atomen umgeben, die fast dreimal so groß war wie der Planet selbst. Der Grund dafür ist wieder einmal die enorme Nähe zwischen Stern und Planet. Die Energie des Sterns heizt die äußeren Schichten der planetaren Atmosphäre auf; die Gasteilchen bewegen sich immer schneller und schneller. Einige so schnell, dass sie nicht mehr von der Gravitationskraft des Planeten festgehalten werden können. Sie entkommen ins All und bilden dort eine Wolke. Durch die Bewegung des Planeten um den Stern entsteht so eine Art "Schweif", den der Planet hinter sich her zieht. Oder anders gesagt: HD 209458 b verliert ständig einen Teil seiner Masse, er verdampft quasi und pro Sekunde sausen 100.000 bis 500.000 Tonnen Wasserstoff aus seiner Atmosphäre ins All. Er hat vermutlich so schon gut 7 Prozent seiner ursprünglichen Masse verloren. Und hier kommt jetzt Osiris ins Spiel: Das ist ja der ägyptische Totengott, der von seinem Bruder Seth zerstückelt und überall im Land verteilt worden war. Aber keine Sorge, Osiris war ja ein Gott und man hat die Stücke wieder ausgegraben und zusammengesetzt und alles war wieder gut. Nur ein Stück haben sie nicht mehr gefunden, aber das hat offensichtlich nicht gestört. Jedenfalls haben sich die Forscherinnen und Forscher dadurch irgendwie inspiriert gefühlt und weil der Planet ja auch quasi Stücke von sich selbst verliert, haben sie das Ding inoffiziell "Osiris" genannt.
Wir wissen heute, dass ein verdampfender Planet wie Osiris kein Einzelfall ist. So etwas passiert immer, wenn ein Gasplanet seinem Stern zu nahe ist. Aber ein Planet, der so schön groß ist und seinem Stern so nahe ist eine super Glücksfall für die Beobachtung. Normalerweise kann man die Atmosphäre eines extrasolaren Planeten schwer bis gar nicht untersuchen. Aber bei Osiris hat es immer wieder geklappt und man dort zum Beispiel schon Kohlendioxid und Methan nachgewiesen. Wir wissen, dass es dort Wolken gibt, so wie auch in der Atmosphäre des Jupiters. Und Stürme! 2010 konnte man messen, dass sich Teile des Gases in der Atmosphäre von Osiris mit gut 7000 km/h bewegen. Das ist ein ordentlicher Wind und er wird durch die Temperaturunterschiede zwischen der hellen, heißen und der dunklen, kühlen Seite des Planeten verursacht.
2021 konnte man in der Atmosphäre von Osiris auch komplexere Moleküle nachweisen, nämlich Wasser, Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Methan, Ammoniak und Acetylen. Daraus kann man ableiten, dass es in der Atmosphäre neben jeder Menge Wasserstoff auch Kohlenstoff und Sauerstoff geben muss und - das war eine neue Erkenntnis - mehr Kohlenstoff als Sauerstoff. Und das ist insofern interessant, weil das bedeuten muss, dass der Planet in einer kühleren Ecke entstanden ist als jetzt. Die Details würden jetzt zu weit führen - aber die diversen Moleküle und Atome sind bei der Entstehung eines Planetensystems nicht gleichmäßig um den Stern herum verteilt. Vor allem in unmittelbarer Nähe des jungen und heißen Sterns gibt es weniger Zeug, weil die Strahlung das in der Gegend verteilt. Wenn Osiris also jetzt so viele Verbindungen mit Kohlenstoff in der Atmosphäre hat, dann muss er weiter entfernt entstanden und erst später so nah an den Stern gerückt sein.
Osiris ist kein Planet, auf dem Leben existieren kann. Aber die Erforschung der Exoplaneten ist ja weit mehr als nur die Suche nach einer "zweiten Erde" oder außerirdischem Leben. Es geht darum zu verstehen, was dort draußen alles existieren kann. Und Osiris ist ein absolut faszinierendes Forschungsobjekt. So etwas wie diesen verdampfenden Riesenplaneten gibt es in unserem Sonnensystem nicht. Wir haben viel aus der Erforschung von Planeten wie Osiris gelernt; wir haben gelernt wie Planeten funktionieren und wie man ihre Atmosphären erforschen kann. Vor allem aber haben wir gelernt: Das Universum da draußen ist voller wunderbarer Überraschungen und wenn wir nur aufmerksam genug hinschauen, dann finden wir dort jede Menge Dinge, die es bei uns nicht gibt und von denen wir nicht mal dachten, dass es sie geben kann, bevor wir sie gefunden haben. So wie Osiris, der Planet, der einen Schweif aus seiner eigenen Atmosphäre hinter sich durchs All zieht.
Sternengeschichten Folge 508: Die Arecibo-Sternwarte
Das große Radioteleskop der Arecibo-Sternwarte kennt man aus dem Hollywoodfilm "Contact" mit Jodie Foster. Oder aus dem James-Bond-Film "GoldenEye". Oder aus einer Folge der Serie "Akte X". Die Sternwarte ist aber nicht nur ein beeindruckender Hintergrund für Action- und Science-Fiction-Filme. Sondern ein Ort, an dem über Jahrzehnte hinweg beeindruckende Astronomie betrieben worden ist. Obwohl es ursprünglich für ganz und gar nicht wissenschaftliche Zwecke konstruiert worden ist.
Nach dem zweiten Weltkrieg haben die USA und die Sowjetunion ihre atomaren Raketen aufgerüstet. Und natürlich auch überlegt, wie sie einen Raktenangriff des jeweils anderen Landes abwehren können. Dazu muss man zuerst einmal wissen, dass eine Rakete im Anflug ist. Die Forschungseinrichtung des amerikanischen Verteidigungsministeriums hat sich überlegt, dass so eine Rakete, die durch die Atmosphäre saust, dort entsprechende Effekte auslösen muss. Die Moleküle der Luft müssten dadurch ionisiert werden, soll heißen: Die Atome verlieren Elektronen aus ihren Atomhüllen. Das müsste man eigentlich mit einem Radioteleskop nachweisen können; mit so einem Teleskop sollte man auch die entsprechende Schicht der Erdatmosphäre besser erforschen können, denn darüber wusste man in den 1950er Jahren auch noch nicht viel. Vor allem für letzteres, also die Erforschung der sogenannten "Ionosphäre" der Erde hat man deswegen eine entsprechende Einrichtung gebaut.
Und zwar auf der Insel Puerto Rico in der Karibik, die ein sogenanntes "US-amerikanisches Außengebiet" ist, also vereinfacht gesagt zwar zu den USA gehört, aber kein eigener Bundestaat ist und auch nicht bei den Wahlen zur Präsidentschaft mitwählen darf. 15 Kilometer südlich der Hafenstadt Arecibo jedenfalls wurde 1963 das Arecibo Ionospheric Observatory eröffnet. Man hat sich dafür eine sogenannte "Doline" ausgesucht, eine Sinkhöhle - also eine Art Krater im Boden, der entsteht, wenn Wasser unterirdische Gesteinsschichten im Laufe der Zeit auflöst und das Gestein darüber dann einstürzt. In Arecibo fand man ein besonders schönes und großes dieser natürlichen Löcher; ideal um dort eine große Radioschüssel reinzustellen. Allerdings nicht so ein Teil, wie man es sich auf den Balkon stellt, wenn man Satellitenfernsehen empfangen will. Beziehungsweise schon so ein Teil, zumindest im Prinzip so ein Teil. Nur eben sehr viel größer: Die Schüssel in Arecibo hatte einen Durchmesser von 305 Metern. Sie bestand aus 38.778 Aluminiumteilen, jeweils circa 1 mal 2 Meter groß und alle individuell ausrichtbar um die optimale Form der Schüssel zu erreichen. Dieses riesige Ding lag also in der Doline; unbeweglich. Andere Radioteleskope können bewegt und auf bestimmte Positionen am Himmel ausgerichtet werden. Beim Arecibo-Teleskop war das nicht möglich. Aber so wie man mit einem simplen Spiegel noch keine Astronomie betreiben kann, reicht eine simple Schüssel auch nicht für ein Radioteleskop. Man braucht ja auch irgendwas, dass die in der Schüssel gesammelte und fokussierte Radiostrahlung auffängt, auswertet und weiterleitet. Dieser Empfänger war ein knapp 820 Tonnen schweres Ding, das über der Schüssel an Seilen aufgehängt war und bewegt werden konnte. Je nachdem wo genau der Empfänger über der Schüssel hing, konnte er einen anderen Teil der Strahlung auffangen und das hat es möglich gemacht, zumindest ein bisschen Einfluss darauf zu nehmen, welche Region am Himmel beobachtet wird.
Das ist natürlich ein bisschen vereinfacht dargestellt; aber die Details würden jetzt zu weit führen. Mit dem Teleskop in Arecibo hat das Verteidigungsministerium also seine Forschung durchgeführt - und irgendwann wieder damit aufgehört. Man übergab das Ding der National Science Foundation, die es dann von der Universität Cornell betreuen ließ. In den 1970er Jahren wurde es ein wenig umgebaut, damit man damit auch sinnvolle astronomische Forschung betreiben konnte und seitdem hat man dort genau das gemacht.
Genau so wie es in einer einzige Podcastfolge nicht möglich ist, alle technischen Details der Arecibo-Sternwarte zu erklären, kann ich natürlich auch unmöglich alle Forschungsergebnisse aufzählen. Das, was jetzt kommt, ist also nur ein kurzes "Best of Arecibo".
Eines der frühesten Ergebnisse war die Bestimmung der Rotationsperiode von Merkur im Jahr 1964. Bis dahin dachte man, dass Merkur genau so lange für eine Drehung um seine eigene Achse braucht wie für eine Runde um die Sonne. Messungen in Arecibo haben aber gezeigt, dass Merkur nur 59 Tage für eine Drehung braucht. Was immer noch sehr lange ist, aber doch ein wenig kürzer. 1974 entdeckte die beiden Astronomen Russel Hulse und Joseph Taylor mit dem Arecibo-Teleskop den Doppelpulsar PSR B1913+16. Das war eine wirklich spektakuläre Sache! Ein Pulsar ist ja ein schnell rotierender Neutronenstern. Und ein Neutronenstern ist das, was von einem großen Stern übrig bleibt, wenn der sein Leben bei einer Supernova-Explosion beendet. Ein Neutronenstern ist nur ein paar Dutzend Kilometer groß, hat aber immer noch so viel Masse wie die Sonne. Es sind extrem kompakte, dichte Objekte und das wusste man auch vorher schon. Aber jetzt hat man zwei von diesen Dingern gefunden, die einander umkreisen. Und Albert Einstein hatte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorhergesagt, dass es so etwas wie Gravitationswellen geben muss. Wenn zwei sehr dichte Objekte einander umkreisen, dann rütteln sie quasi so stark an Raumzeit, dass sich diese Wellen im Raum selbst ausbreiten. Was dabei auch passiert: Die Objekte, die die Gravitationswellen verursachen, müssen dabei Bewegungsenergie verlieren. Oder anders gesagt: Wenn zwei einander umkreisende Neutronensterne WIRKLICH Gravitationswellen aussenden, dann müssen sie dabei einander immer näher kommen. Tun sie das, dann umkreisen sie sich in immer engeren Abstand und immer schneller. Man kann so einen Doppelpulsar zwar nicht direkt beobachten und dabei zuschauen, wie er das tut. Da diese Objekte aber in eigentlich sehr regelmäßigen Abständen Radiostrahlung aussenden - und warum sie das tun habe ich in den Folgen 355 und 401 erklärt - kann man es zumindest indirekt sehen. Aus der Beobachtung dieser Radiopulse kann man bestimmen, wie groß der Abstand zwischen den beiden ist. Und weil man diese Radiopulse auch noch sehr genau messen kann, kann man auch kleine Änderungen bestimmen. Genau das haben Hulse und Taylor getan und ihre Messungen haben exakt den Vorhersagen von Albert Einstein entsprochen. Das war zwar kein direkter Nachweis von Gravitationswellen - der kam erst im Jahr 2016 - aber es war ein sehr, sehr deutlicher indirekter Nachweis, das Einstein recht gehabt hat und die beiden haben für diese Entdeckung im Jahr 1993 den Physik-Nobelpreis bekommen.
Mit dem Arecibo-Teleskop konnte man in den 1980er Jahren die Oberfläche der Venus zumindest zum Teil kartografieren. Das ist gar nicht so einfach, denn der Planet ist immer von einer dicken Wolkendecke umgeben. Normale Teleskope können da nicht durchschauen. Und die Venus sendet natürlich auch keine Radiostrahlung aus. Das Arecibo-Teleskop hat aber nicht nur einen Empfänger für Radiowellen - es kann auch welche aussenden. Und die Venus ist nahe genug, um das astronomische sinnvoll einsetzen zu können. Man schickt - sehr vereinfacht gesagt - Radiostrahlung von der Erde zur Venus, wartet bis sie dort reflektiert werden und misst dann mit dem Teleskop den Zeitpunkt an dem sie wieder auf der Erde zurück sind. Aus der Zeit kann man den Abstand berechnen und wenn man das sehr genau macht, kann man nicht nur den Abstand zwischen Venus und Erde berechnen sondern auch Höhenunterschiede auf der Venusoberfläche messen. Unterschiedliche Gesteinsarten sind auch unterschiedlich gut darin, Radiostrahlung zu reflektieren und damit kann man nicht nur sehen, ob da ein Berg steht oder nicht, sondern zum Beispiel auch feststellen, ob das Gestein alt oder jung ist. Und wenn man sehr junges Gestein findet, ist das ein Anzeichen dafür, dass da irgendwo mal in der jüngeren Vergangenheit Vulkanismus stattgefunden hat… - genau das hat man auf der Venus gefunden.
Mit den Messungen des Arecibo-Teleskops hat man Eis in den Kratern auf dem Merkur gefunden; eine erstaunliche Entdeckung angesichts der Tatsache, dass es sich um den sonnennächsten Planeten handelt, der überall enorm heiß ist. Aber es gibt eben manche Krater, in die das Sonnenlicht nie fällt. Eine weitere große Entdeckung habe ich schon in Folge 355 ausführlich erklärt: Auch dabei ging es um die Untersuchung von Pulsaren und dabei hat man entdeckt, dass einer davon von Planeten umkreist wird. Auch wenn das keine "echten" Planeten sind, die einen "echten" Stern umkreisen, sondern das, was von einem Stern nach seinem Tod übrig bleibt, war das eine beeindruckende Entdeckung die Anfang der 1990er Jahren gemacht wurde.
Das Arecibo-Teleskop hat in den 1980er Jahren das erste Mal die Form eines Asteroiden bestimmt; auch hier ist das wieder durch das Aussenden und wieder Empfangen von Radiostrahlung gelungen. Man hat die Magnetfelder von Sternen gemessen, Moleküle in der Staubhülle von Kometen untersucht, ferne Galaxien erforscht und jede Menge mehr. So wie im Film "Contact" hat man mit dem Teleskop auch tatsächlich nach Radiobotschaften von Außerirdischen gesucht und 1974 sogar eine Botschaft hinaus ins All geschickt, die deswegen auch den Namen "Arecibo-Botschaft" trägt - aber das ist eine andere Geschichte für eine andere Folge.
Ich habe vom Arecibo-Teleskop immer in der Vergangenheitsform gesprochen. Das hat einen Grund - denn das Teleskop gibt es nicht mehr. Beziehungsweise steht es schon noch rum. Zumindest das, was noch übrig ist… Schon 2017 ist es durch den Hurrikan Maria stark beschädigt worden und es war schwer, die Finanzierung für die Reparatur und den Weiterbetrieb aufzutreiben. Zusätzlich bekam das Teleskop Konkurrenz durch FAST, das "Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope". Es wurde 2016 in China in Betrieb genommen und hat - wie der Name ja auch schon sagt - einen Durchmesser von 500 Metern. In Südafrika wurde 2021 das Square Kilometre Array Observatory gegründet, ein Verbund aus Radioteleskopen die zusammen einen Spiegel mit einer Fläche von einem Quadratkilometer bilden. Das einstmals größte Einzelteleskop der Welt war nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik - aber immer noch ein super Instrument und man hatte definitiv vor, es weiter zu betreiben.
Aber am 10. August 2020 war Schluss. Die Astronomin Sravani Vaddi war in dieser Nacht gerade dabei dabei, die Galaxie NGC 7469 zu beobachten um dort die Kollision zweier supermassereicher schwarzer Löcher zu erforschen. Sie war nicht vor Ort; die Beobachtung lief automatisch ab und wurde per Computer überwacht. Der meldete auf einmal, dass das Teleskop nicht mehr richtig ausgerichtet war. Der Fehler ließ sich aus der Ferne nicht beheben. Und auch später vor Ort nicht mehr. Denn eines der Stahlseile, die den schweren Empfänger sichern sollten war plötzlich gerissen. Die Empfangseinheit wurde beschädigt, die Schüssel bekam ein Loch. Der Betrieb wurde vorerst mal eingestellt um zu überlegen, wie man das ganze wieder reparieren kann. Am 6. November 2020 riss dann aber noch ein Seil. Jetzt beschloss man, dass man so nicht weiter machen kann; es war davon auszugehen, dass die Seile zu schwach sind, um eine Reparatur noch möglich zu machen und dass das Observatorium nicht mehr betreten werden kann. Es wäre zu gefährlich; man würde es abreißen müssen. Das hat es aber dann am 1. Dezember 2020 von selbst erledigt. Fast gleichzeitig sind am frühen Morgen gleich zwei Seile gerissen und die ganze über 800 Tonnen schwere Empfangseinheit ist auf die Schüssel gefallen. Jetzt war das Arecibo-Teleskop endgültig und total zerstört. Fast 60 Jahre nach seiner Inbetriebnahme war es vorbei.
Es gibt Pläne, ein neues, besseres Teleskop an der gleichen Stelle wieder aufzubauen. Aber selbst wenn das geschieht, wird es noch dauern. Die Astronomie wird auch ohne das Arecibo-Teleskop ihrer Arbeit nachgehen können. Aber das Instrument auf der Karibikinsel war eben nicht nur ein wichtiges Teleskop in der Geschichte der astronomischen Forschung. Sondern auch ein einzigartiges kulturelles Phänomen, das nicht umsonst in so vielen Filmen und Büchern aufgetaucht ist. Die Astronomie wird es nicht vergessen.
Sternengeschichten Folge 507: Mit dem Sonnensegel durch den Weltraum
In den Sternengeschichten habe ich immer wieder über Raumfahrt gesprochen. Die absolut überwiegend gewaltige extreme Mehrheit der Objekte im Universum können wir natürlich niemals erreichen. Das geht nur bei denen in unserem eigenen Sonnensystem und auch da ist es schwer genug. Es ist ja nicht damit getan, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und in den Weltraum zu kommen. Das klappt mit Raketen ja ganz gut, auch wenn es immer noch teuer, kompliziert und fehleranfällig ist. Aber wenn man dann mal im Weltraum ist, will man ja auch irgendwo hin und andere Himmelskörper erforschen. Den Mond, den Mars, einen Asteroid oder sonst irgendwas von dem, was dort draußen ist. Und dazu braucht man irgendeinen Antrieb. Zumindest in der Praxis, in der Theorie würde es ja auch - fast - ohne gehen. Denn zum Glück gibt es ja die Newtonschen Axiome. Diese fundamentalen Gesetze der Bewegung lernt man schon in der Schule und die erste dieser drei Regeln lautet: "Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird". Oder, ein bisschen weniger kompliziert: Wenn sich etwas bewegt, dann hört es erst dann auf sich zu bewegen, wenn eine Kraft dafür sorgt.
Das klingt auf den ersten Blick ein wenig seltsam. Hier auf der Erde sehen wir ja, dass jede Bewegung irgendwann aufhört. Ein Fahrrad rollt nicht für immer weiter wenn es mal in Bewegung ist, so schön das auch wäre. Aber das es nicht weiterrollt, liegt eben an einer Kraft die auf das Rad wirkt. In dem speziellen Fall ist das unter anderem die Reibung zwischen den Reifen und der Straße und die Reibung zwischen dem kompletten Rad und der Luft. Im Weltall aber gibt es keine Luft und keine Straße. Und damit auch - erstmal - keine Kraft, die der Bewegung eines Fahrrads etwas entgegen setzen könnte. Eine Raumsonde, die mit einer gewissen Geschwindigkeit im leeren Raum des Weltalls angeschubst wird, bewegt sich für alle Zeit mit dieser Geschwindigkeit weiter. Ok, das stimmt nicht ganz. Es gibt ja trotzdem noch Kräfte. Zum Beispiel die Gravitationskraft der Planeten und Sterne und die kann auch eine Raumsonde abbremsen. Aber im Prinzip könnte man eine Sonde einfach zu einem anderen Planeten "werfen". Man muss vorher nur ganz genau ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung die Sonde die Erde verlassen muss um im richtigen Moment an der Stelle im Sonnensystem anzukommen, wo sie hin soll. Und dann würde sie auch dort hin gelangen. In der Praxis kann man ein Raumfahrzeug aber nicht so enorm exakt starten; es gibt neben der Gravitation noch andere Kräfte die die Bewegung stören können (dazu später gleich mehr) und deswegen muss man die Bewegung einer Sonde immer wieder mal korrigieren damit sie am Ende dort landet, wo sie soll. Und dazu braucht man einen Antrieb.
Klassischerweise wird dafür ein Raketenantrieb verwendet, der die anderen beiden Newtonschen Axiome ausnützt. Nämlich: Will man die Bewegung eines Objekts verändern, braucht es dafür eine Kraft. Und: Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus, so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A. Wir wollen jetzt aber die Newtonschen Axiome nicht im Detail betrachten; das habe ich ja schon in Folge 285 der Sternengeschichten gemacht. Aber sie erklären, wie Raketen funktionieren: Wenn wir etwas - zum Beispiel ein Gas - am einen Ende eines Triebwerks mit einer gewissen Geschwindigkeit ausstoßen, dann bewegt sich das Triebwerk mit allem was daran befestigt ist, in die andere Richtung. Und genau das macht man in der Raumfahrt. Man macht es bei den großen Raketen, mit denen die Raumsonden ins All gebracht werden und man macht es mit den kleineren Steuerdüsen, die die Bahn der Sonde später korrigieren. Gas wird ausgestoßen und je nachdem wie genau man das macht, ändert man die Bahn.
Das Prinzip funktioniert gut; das Problem dabei ist aber offensichtlich: Wenn der Tank leer ist, geht nichts mehr. Man muss das Gas, das man ausstoßen will, mit ins All nehmen und da es dort keine Tankstellen gibt, kann man nicht mehr steuern, wenn es aufgebraucht ist. Es gibt natürlich auch andere Methoden um Raumsonden zu steuern und wenn man es richtig anstellt, dann muss man die Bahn auch nicht allzu oft korrigieren. Aber je weniger Treibstoff man ins All mitnehmen muss, desto besser. Denn desto leichter ist das Raumfahrzeug und desto einfacher und vor allem billiger kann man es ins All befördern. Andererseits gilt aber auch: Je weniger man die Bahn korrigieren kann, desto weniger flexibel ist man. Dann kann es unter Umständen auch sehr lange dauern, bis man das Ziel erreicht. Und die Zeit, in der man die Mission durchführen kann, ist begrenzt.
Ideal wäre es also, wenn man eine Raumsonde mit einem Antrieb steuern könnte, der keinen Treibstoff braucht. Und bevor jetzt jemand meint, sowas könnte es nicht geben: Natürlich geht das! Auf der Erde nutzen wir solche Antriebe schon seit langer Zeit. Segelboote brauchen keinen Treibstoff, sie brauchen nur Segel und Wind und kommen damit überall hin. Schön und gut, aber was hilft uns das im Weltall - da gibt es ja, wie ich vorhin ja auch gesagt habe, keinen Wind. Das stimmt - aber auch dort kann man "segeln" und zwar nicht mit der Kraft des Windes, sondern mit der des Lichts.
Und damit wir verstehen, wie so ein "Lichtsegel" funktioniert, müssen wir kurz auf die elektromagnetische Strahlung schauen. Denn genau das ist Licht ja. Und elektromagentische Strahlung kann eine Kraft ausüben. Licht kann "drücken" und auch das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Denn Licht hat ja keine Masse und kein Gewicht, oder? Wie soll das einen Druck ausüben?
Es stimmt schon, dass Licht im alltäglichen Sinn keine Masse hat. Aber Licht hat auf jeden Fall Energie! Und seit Albert Einstein wissen wir, dass Masse und Energie nur zwei unterschiedliche Dinge sind, das selbe Phänomen zu betrachten. Was Masse hat, hat Energie und was Energie hat, hat auch Masse, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem wir das gewohnt sind. Licht mag masselos sein, aber Licht bewegt sich und in dieser Bewegung steckt jede Menge Energie und damit auch Masse. Vor allem hat Licht einen Impuls; so bezeichnet man die physikalische Größe mit der man den Bewegungszustand eines Objekts beschreiben kann. Je mehr Masse und je schneller, desto größer der Impuls. Der Impuls hängt also auch von der Geschwindigkeit ab. Und die Geschwindigkeit ist eine physikalische Größe, die eine Richtung hat. Etwas bewegt sich nicht einfach nur, es bewegt sich auch immer in eine bestimmte Richtung. Und weil der Impuls von der Geschwindigkeit abhängt, hat auch der Impuls eine Richtung.
Ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil das wichtig ist. Dazu müssen wir nochmal zurück zu den Newtonschen Axiomen. Das zweite davon kann auch so formulieren: Eine Kraft ist eine Veränderung des Impulses. So. Und jetzt schauen wir uns mal Licht an, dass sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Dieses Licht hat dann natürlich einen Impuls und dieser Impuls natürlich auch eine Richtung. Jetzt trifft dieses Licht auf eine reflektierende Fläche und wird - was auch sonst - reflektiert. Das Licht ändern also seine Richtung und damit ändert sich auch der Impuls. Und wenn sich der Impuls ändert, wird eine Kraft ausgeübt. Das ist Newtons zweites Axiom und genau das ist der Grund, warum es so etwas wie einen Strahlungsdruck gibt. Oder etwas anderes gesagt: Wenn man einen Spiegel ins All hängt und dann Licht darauf fallen lässt, wird dieses Licht einen Druck darauf ausüben und den Spiegel bewegen. Genau so wie der Wind auf das Segel eines Bootes drückt und es dadurch übers Wasser fahren lässt.
Jetzt müssen wir nur noch schauen, wie groß die Kraft ist um die es hier geht und ob man in der Raumfahrt damit überhaupt etwas anfangen kann. Wir wissen recht gut, wie viel Sonnenstrahlung auf die Erde trifft, das können wir ja direkt messen. Im erdnahen Weltraum sind das circa 1370 Watt pro Quadratmeter was, wenn man die entsprechende Rechnung anstellt, einer Kraft von 4 Mikronewton auf eine entsprechend reflektierende Oberfläche entspricht. Das klingt nach wenig. Das ist auch wenig. Das ist eine Beschleunigung von 0,4 Millimeter pro Sekunde pro Sekunde. Hätten wir also ein Sonnensegel im All das einen Quadratmeter groß ist, dann würde es mit einer Geschwindigkeit beschleunigen, die ungefähr der Geschwindigkeit entspricht, mit der ein Gletscher fließt. Und das auch nur, wenn das Segel keine Masse hat und kein Raumfahrzeug daran hängt.
Aber! Erstens kann man ja auch Segel bauen, die größer als ein Quadratmeter sind. Und zweitens dürfen wir nicht das erste Newtonsche Gesetz vergessen: Da oben ist nichts, was bremst! Auch eine kleine Beschleunigung kann groß werden, wenn man nur ein bisschen warten. Das 1-Quadratmetersegel aus dem Beispiel wird in der ersten Sekunde um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunden nochmal um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunde wieder. Und so weiter. Klar, die Stärke der Sonnenstrahlung wird schwächer, je weiter sich das Ding von der Sonne entfernt. Aber die einmal erreichte Geschwindigkeit bleibt; sie wächst immer weiter, je länger die Sonne auf das Segel leuchtet.
Ein Sonnensegel ist eine tolle Sache. Im Gegensatz zum Wind auf der Erde, der mal weht und mal nicht, scheint unser Stern immer. Im Weltall gibt es keine Flaute. In der Theorie ist es also absolut möglich, ein Sonnensegel zu bauen, ins All zu bringen und damit Raumsonden von A nach B zu fliegen. Das wusste man schon im späten 19. Jahrhundert; das hat schon Konstantin Tsiolkovsky vorgeschlagen, also der Mann, der die Grundlagen der konventionellen Raketentechnik entwickelt hat. Und dass Licht tatsächlich einen Druck ausüben kann, der Dinge bewegt, hat man ebenfalls schon im 19. Jahrhundert experimentell nachgewiesen. Bis man das Konzept aber auch in der Praxis erfolgreich ausprobieren konnte, hat es dann noch ein wenig gedauert. Es gab diverse Tests dazu auf der Erde; erste Experimente im Weltall haben nicht funktioniert - aber das hauptsächlich aufgrund Problemen mit der Rakete.
Erfolgreich war man dann im Jahr 2010. Die japanische Raumfahrtagentur hat IKAROS ins All geschickt, eine Raumsonde die mit vollen Namen "Interplanetary Kite-craft Accelerated by Radiation Of the Sun" heißt. Diese Sonde bestand im Wesentlichen nur aus einem Sonnensegel, das aber immerhin 173 Quadratmeter groß war. Das Segel ist ein Quadrat mit einer Kantenlänge von gut 14 Metern und natürlich hat man dieses riesige Teil nicht am Stück in eine Rakete gebracht. Das Segel besteht aus einer Kunsstofffolie die nur 7,5 Mikrometer dick ist. Das gesamte Ding wiegt nur 2 Kilogramm und wurde zusammengefaltet in die Rakete gebracht. Im All wurde es in Rotation versetzt und durch die Fliehkräfte hat sich das Segel dann entfaltet. Natürlich war da nicht einfach nur eine Plastikfolie, die dann unkontrolliert durchs All wabert. Es gab im Segel auch LCD-Panels, deren Reflexionsvermögen man verändern konnte, was wiederum das Verhalten des gesamten Segels beeinflusst und damit eine Steuerung möglich macht. Und zusätzlich waren auch noch ein paar kleine Detektoren inkludiert, die interplanetaren Staub messen; ein bisschen Wissenschaft muss ja auch sein.
Im Mai 2010 flog IKAROS ins All, im Juni war das Segel entfaltet und betriebsbereit und im Dezember hatte man es erfolgreich bis zur Venus gesteuert. Dort ist sie aber nur vorbeigeflogen; richtige Forschung hätte man sowieso nicht machen können, weil keine Instrumente mit dabei waren. Aber die Mission hat auf jeden Fall gezeigt, dass Sonnensegel durchaus in der Lage sind, Raumsonden von Planet zu Planet zu fliegen!
Nach IKAROS gab es noch diverse andere erfolgreiche und gescheiterte Missionen zur Erprobung von Sonnensegeln. Bis sie standardmäßig in der Raumfahrt eingesetzt werden, wird es noch ein wenig dauern. Aber es wäre überraschend, wenn diese Technik irgendwann NICHT in großem Maßstab genutzt wird. Ein Sonnensegel ist leicht und wenn es nicht unbedingt besonders schnell gehen muss, ist es ein idealer Antrieb für Reisen im Sonnensystem. Und WENN es schnell gehen muss, kann man auch hier ein wenig nachhelfen. Man könnte zum Beispiel starke Laser auf der Erde installieren und sie von dort auf das Sonnensegel richten. Denn was die Sonne kann, kann ein Laser natürlich auch und wir könnten das Segel damit ein wenig stärker beschleunigen.
Und wenn wir irgendwann zu einem anderen Stern reisen wollen, dann bleibt uns vielleicht keine andere Möglichkeit. Denn diese Reisen dauern so lange, dass wir gar nicht genug Treibstoff mitnehmen könnten. Wenn wir aber ein Sonnensegel ausreichend stark anschieben, dann hat es beim Verlassen des Sonnensystems vielleicht eine ausreichend hohe Geschwindigkeit, um es in ein paar Jahrzehnten bis zu einem anderen Stern zu schaffen. Zumindest theoretisch wäre das möglich; ob es aber auch tatsächlich passiert ist eine ganz andere Frage. Aber es ist schon irgendwie eine schöne Vorstellung, dass wir das Universum irgendwann einmal so erforschen, wie auch die Erforschung der Erde begonnen hat: Mit Weltraum-Segelbooten, die das dunkle Meer des Kosmos durchkreuzen und von einer Sternenlichtinsel zur nächsten segeln.
Sternengeschichten Folge 506: Cosmic Latte - die Farbe des Universums
Welche Farbe hat das Universum? Blöde Frage, könnte man meinen: Schwarz natürlich! Braucht man ja nur nachts zum Himmel schauen. Ok, da sind ein paar helle Punkte, aber im großen und ganzen ist es schwarz. Das kann man so sehen. Aber dann ignoriert man all das, was man nicht sehen kann. Und es hat ja niemand den Raum zwischen den Sternen oder den Raum zwischen den Galaxien schwarz angemalt. Das, was wir als "schwarz" sehen, ist ja einfach nur nichts; die Abwesenheit von Licht und damit auch die Abwesenheit von Farbe. Wenn wir ein bisschen bessere Augen hätten, dann würden wir auch mehr sehen. Mehr Sterne am Himmel; mehr Galaxien. Und die leuchten. Also könnten wir uns fragen: Wenn man das Licht der Galaxien quasi auf das Maximum aufdreht und das Universum von außen anschaut: Welche Farbe würden wir dann sehen?
Diese Frage haben sich im Jahr 2002 auch ein paar Astronominnen und Astronomen gestellt. Oder besser gesagt: Diese Frage haben sie sich nicht gestellt. Sie wollten das "kosmische Spektrum" bestimmen. Von ganz normalen Spektren habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft erzählt. Das Licht, das zum Beispiel ein Stern ausstrahlt, ist ja immer eine Mischung von jeder Menge Farben. Die Sonne schickt rotes Licht hinaus ins All, gelbes Licht, grünes Licht, blaues Licht, und so weiter. Sie schickt auch Licht aus, das unsere Augen nicht sehen können; infrarotes Licht, ultraviolettes Licht, Radiolicht, Röntgenlicht, und so weiter - aber das soll uns vorerst mal nicht interessieren. Bei uns kommt auf jeden Fall die ganze Mischung an und diese Mischung erscheint bei der Sonne eben gelb-weißlich. Aber wir können jetzt mit speziellen Geräten - den Spektrographen - das Sonnenlicht wieder in seine Bestandteile aufspalten. Und genau nachschauen: Wie viel rotes Licht ist da in der Mischung, wie viel blaues Licht, und so weiter. Das ist aus diversen Gründen sehr interessant; die genaue Zusammensetzung der Mischung sagt uns zum Beispiel, wie heiß ein Stern ist und daraus können wir ableiten, wie alt er ist, wie viel Masse er hat, und so weiter.
Und beim "kosmischen Spektrum" ist es genau so. Nur dass man hier nicht nur das Licht eines einzelnen Sterns nimmt, sondern das Licht aller Sterne im Universum. Das geht in der Praxis natürlich nicht, aber man kann zumindest das Licht sehr, sehr vieler Sterne nehmen. Zum Beispiel das "Two-degree-Field Galaxy Redshift Survey". Das ist eine großer Katalog, der zwischen 1997 und 2002 mit dem Anglo-Australian-Telescope in Australien erstellt worden ist und die Daten von 382.323 Objekten enthält. Mehr als 200.000 davon waren Galaxien und von denen hatte man auch Spektren. Ein Galaxienspektrum funktioniert genau so wie im Beispiel von der Sonne, nur das man hier eben die Mischung des Lichts untersucht, dass aus der Mischung des Lichts aller Sterne in der Galaxie entsteht. Das Licht der Galaxien im Katalog war teilweise mehr als 2 Milliarden Jahre zu uns unterwegs; der Katalog stellt also schon einen ordentlichen Querschnitt durch das Universum dar und war zum Zeitpunkt seiner Erstellung der umfangreichste seiner Art.
Aus diesem Katalog haben sich die Astronomen Ivan K. Baldry, Karl Glazebrook und ihre diversen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun knapp 173.000 Galaxien rausgesucht und aus dem kombinierten Licht all dieser Galaxien mit ihren jeweils hunderten Milliarden von Sternen ein kosmisches Spektrum erstellt. Sie haben sich gesagt: Diese Galaxien stellen einen wirklich großen Ausschnitt des gesamten Universums dar. Und es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das Universum an einer anderen Stelle fundamental anders aussehen sollte. Wenn wir anderswo einen anderen, ebenso großen Ausschnitt einer anderen Region des Universum gewählt hätten, dann würden wir das selbe Ergebnis kriegen. Wir können unseren Ausschnitt also als repräsentativ für das gesamte Universum ansehen. Also haben sie das Licht all dieser vielen Galaxien zusammengemischt und dann diese Mega-Mischung in die einzelnen Farben zerlegt. Um zu sehen, wie groß die Menge an rotem Licht im Universum ist, die Menge an blauem Licht, und so weiter.
Warum? Weil es geht! Und weil man daraus einiges lernen kann. Was man in so einem Spektrum ja auch immer findet, sind Spektrallinien. Wenn etwa das Licht der Sonne durch ihre äußere Schichten strahlt, dann absorbieren die Atome des Gases aus dem diese Schichten bestehen, einen Teil davon. Und zwar einen ganz bestimmten Teil, je nachdem um welche Sorte von Atom es sich handelt. An diesen Stellen finden wir im Spektrum dann überhaupt keine Farbe sondern nur eine dunkle Linie. Und wenn wir das Muster dieser Linien analysieren, können wir so bestimmen, welche Atome in der Atmosphäre der Sonne vorhanden sind. Oder anders gesagt: Woraus die Sonne besteht.
Wie stark diese Linien sind, hängt von vielen Faktoren ab, aber unter anderem und vor allem auch von der Temperatur. Sterne die älter sind haben zum Beispiel kühlere äußere Schichten und produzieren andere Linien als junge, heiße Sterne. Und im kosmischen Spektrum finden wir nun dunkle Linie, die aus der Mischung des Lichts aller Sterne entstehen. Mit ein bisschen - ok, mit sehr viel - Rechnerei kann man daraus bestimmen, wie viele alte Sterne es im Universum gibt, wie viele junge und wie sich die Rate der Sternentstehung im Laufe der Zeit der verändert hat. Das rauszufinden war das eigentliche Ziel der Arbeit von Baldry, Glazebrook und Co. Ihrem kosmischen Spektrum konnte man entnehmen, dass das Universum jung und blau angefangen und dann immer röter geworden ist. Ok, das ist noch nicht überraschend, denn natürlich waren am Anfang vor allem junge Sterne da und die sind heiß und leuchten blau während die alten Sterne später eher rötlich strahlen. Aber es kommen ja auch neue junge Sterne nach und alte rote verschwinden irgendwann. Wie sich die Farbmischung im Laufe der Zeit verändert hängt davon ab, wie viele Sterne im Laufe der Zeit genau entstanden sind. Und wenn man sich das kosmische Spektrum anschaut, dann sieht man, dass die Mehrheit der heute vorhandenen Sterne vor ungefähr sechs Milliarden Jahre entstanden ist. Das heißt nicht, dass davor gar keine Sterne entstanden sind oder danach keine neuen mehr dazu gekommen sind. Aber vor sechs Milliarden Jahren ging es offensichtlich richtig rund mit der Sternentstehung; unsere Sonne war also eher eine Mitläuferin, die erst 1,5 Milliarden Jahren nach diesem Höhepunkt, vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden ist.
Wir wollten aber ja eigentlich wissen, wie die Farbe des Universums ist. Das haben sich Baldry, Glazebrook und Co offensichtlich auch irgendwann im Laufe ihrer Arbeit und gedacht und zum Glück hatten sie ja ihr kosmisches Spektrum. Denn wenn man weiß, wie viel Licht einer bestimmten Farbe da im Universum ist, kann man das natürlich auch wieder alles zusammenmischen und schauen, was für eine Farbe da raus kommt. Obwohl es dann doch nicht so einfach ist. Das kosmische Spektrum ist etwas, das direkt aus den Beobachtungsdaten kommt, da gibt es wenig Interpretationsspielraum. Aber wie wir Menschen Farben wahrnehmen: Das ist eine ganz andere Sache. Unsere Augen nehmen nicht alle Farben gleich gut wahr; es kommt auch darauf an, ob wir gerade aus einem hellem Raum kommen oder die Augen an die Dunkelheit gewöhnt sind, und so weiter. Das heißt, auch wenn das kosmische Spektrum selbst eindeutig ist, gibt es mehrere Wege, daraus die Farbe zu berechnen, die unser Auge wahrnehmen würde, wenn es eine Lichtmischung mit diesem Spektrum wahrnimmt.
Die Astronominnen und Astronomen haben sich für eine dieser Möglichkeiten entschieden - das CIE-Normvalenzsystem, falls es jemand genau wissen will - und daraus einen entsprechenden Farbton errechnet. Und dann die Farbwerte maximiert, so dass auch tatsächlich eine für unsere Augen sichtbare Farbe rauskommt; dabei aber den Farbton konstant gehalten. Das Resultat ist… beige. Zugegeben, eine sehr unspektakuläre Farbe. Es ist ein sehr weißliches beige, was die Farbe nicht aufregender macht (wenn es jemand genau wissen will: im RGB-Farbraum ist der Hexadezimalcode für die Farbe #FFF8E7). Vermutlich hat sich Karl Glazebrook deswegen entschlossen, an seiner Universität einen Wettbewerb auszurufen, um dieser Farbe einen Namen zu geben. Alle Einreichungen seien willkommen, hat er gesagt, solange niemand "beige" vorschlägt. Es gab diverse Vorschläge: "Big Bang Beige" zum Beispiel oder "Cosmic Khaki". Aber auch "Skyvory" war dabei. Glazebrook war aber ein großer Fan von diversen Kaffeegetränken und hat sich deswegen für den Vorschlag "Cosmic Latte" entschieden. Einerseits, weil es eben wie etwas klingt, das an Kaffee erinnert. Und andererseits weil "Latte" ja "Milch" auf italienisch heißt; genau so wie das "Milch" in "Milchstraße". Und weil auch unsere Milchstraße Teil des Universums ist, trägt auch sie etwas zur Cosmic-Latte-Färbung des Kosmos bei.
Man kann das mit der Farbe des Universums und dem "Cosmic Latte" für ein bisschen lächerlich halten. Oder für gute wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit, denn immerhin kann man die Menschen so dazu bringen, sich mit dem Universum zu beschäftigen. Aber egal was man davon hält, dass das Universum milchkaffeefarben sein soll: Die Wissenschaft dahinter ist faszinierend genug, dass man keinen Kaffee braucht um aufzupassen.
Sternengeschichten Folge 505: Die himmlische Elektrisiermaschine
Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von den Sternbildern erzählt. Für die moderne astronomische Forschung haben sie keine Bedeutung mehr, aber sehr wohl, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen uns Menschen und dem Himmel zu verstehen. Es ist absolut logisch, dass man versucht, die vielen hellen Punkte am Himmel irgendwie zu ordnen. Einerseits, weil unser Gehirn eben so funktioniert; wir sind darauf ausgelegt überall nach Mustern zu suchen, selbst wenn es gar keine gibt. Und andererseits auch, weil es eine sehr natürlich Art ist, die Sterne einzuteilen, wenn man ansonsten nichts über sie weiß.
Wir sehen ja nicht direkt, wie weit die Sterne entfernt sind. Das muss man messen; sehr mühsam, und deswegen ist uns das auch erst sehr spät gelungen, im 19. Jahrhundert. Und mittlerweile wissen wir daher auch, dass die Sterne nicht nur alle sehr weit entfernt sind, sondern vor allem auch alle unterschiedlich weit von uns weg. Die Sterne, die wir zu einem Sternbild zusammengefasst haben, haben in Wahrheit nichts mit einander zu tun. Aber lange Zeit haben wir davon eben keine Ahnung gehabt. Wir haben zum Himmel geschaut und dort Bilder gesehen. Manche - wie zum Beispiel Corona Borealis, die nördliche Krone, oder Orion, der Jäger - schauen auch genau so aus wie das was sie darstellen. Die Sterne in Corona Borealis bilden wirklich eine Form, die wie eine kleine Krone aussieht. Und die markante Figur des Orion mit seiner erhobenen Hand in der er die Keule trägt oder den Bogen, um auf die Jagd zu gehen, kann man kaum übersehen. Bei anderen Sternbildern braucht man sehr viel mehr Fantasie, um zu erkennen, was sie darstellen sollen. Aber auch das gehört dazu: Wir Menschen sind voll mit Fantasie und unsere Kreativität haben wir am Himmel genau so ausgelebt wie hier unten auf der Erde. Wir haben all das an den Himmel projiziert, was wir hier unten auf der Erde nicht gehabt haben. All unsere Götter, Helden und Mythen. Aber auch unsere Monster und Dämonen; all das was wir uns gewünscht und vor dem wir uns gefürchtet haben.
Diesem Zauber konnten sich auch die Menschen in der Neuzeit nicht entziehen. Sie haben - trotz aller astronomischen Erkenntnisse - an vielen der alten Sternbilder aus der Vergangenheit festgehalten. Und sich selbst neue ausgedacht, die auf eine ganz eigene Art und Weise kreativ waren. Diese "neuen" Sternbilder findet man vor allem am Himmel der Südhalbkugel. Nicht, weil es dort noch keine Bilder gegeben hätte. Die Menschen die dort gelebt haben, haben natürlich das gemacht, was alle Menschen gemacht haben und ihre eigenen Geschichten über die Sterne erfunden, mitsamt eigener Sternbilder. Aber aus diversen historischen Gründen waren es eben die Menschen aus Europa, die sich angemaßt haben, die ganze Welt einzuteilen und zu klassifizieren. Die europäischen Nationen haben sich die restlichen Länder der Welt aufgeteilt und kolonialisiert. Sie haben die Flüsse, Berge und Inseln mit ihren eigenen Namen benannt und die alten, einheimischen Bezeichnungen ignoriert. Und am Himmel ist es genau so gelaufen. Als man sich aufgemacht hat, "neue" Länder zu entdecken (die aber nur für die Menschen in Europa neu waren), hat man natürlich auch neue Sternkarten gezeichnet, neue Beobachtungen angestellt und neue Sternbilder erfunden.
Diese Folge soll aber jetzt keine Kritik des Kolonialismus werden. Nicht, weil es daran nichts zu kritisieren geben würde, ganz im Gegenteil. Aber das wäre ein völlig anderes Thema und ich will von den Sternen erzählen. Wenn man sich die Liste der offiziellen Sternbilder anschaut, findet man am nördlichen Himmel vor allem die traditionellen Bilder der griechisch-römischen Antike. Im Süden aber jede Menge Sternbilder die aus der Reihe fallen. Da ist zum Beispiel das Sternbild Teleskop. Oder die Pendeluhr. Man findet dort auch einen Zirkel, eine Luftpumpe und ein Mikroskop (davon habe ich ja schon in Folge 199 ausführlich erzählt). Was machen diese ganzen technischen Gerätschaften am sonst so mythologischen Himmel?
Dafür ist der Franzose Nicolas-Louis de Lacaille verantwortlich. Von 1750 bis 1754 arbeitete der Astronom am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika und hat dort - neben vielen anderen Dingen - auch einen Katalog von circa 10.000 Sternen des Südhimmels erstellt. Und die natürlich auch in Sternbilder eingeteilt. Lacaille wollte dabei die Erungenschaften der modernen Wissenschaft würdigen; was man ihm auch nicht vorwerfen kann. Im 18. Jahrhundert war die Naturwissenschaft gerade dabei, sich zu dem zu wandeln, was sie heute ist. Im vorherigen Jahrhundert hatten Forscher wie Isaac Newton, Galileo Galilei oder Johannes Kepler das Fundament geschaffen, auf dem sich eine objekte, mathematische Betrachtung der Natur entwickeln konnte; hatten den Startpunkt gesetzt, durch den sich die Wissenschaft von Religion und Philosophie loslösen konnte. Und zu Lacailles Zeit war man mittendrin in diesem neuen Abenteuer; beim Verstehen der Welt. Und so wie die Menschen in der Antike versucht haben, Sinn in den Sternen zu finden, in dem sie dort Götter und Helden auftreten haben lassen, wollte Lacaille die neuen Protagonisten der Sinnsuche verewigen: Die wissenschaftlichen Instrumente.
Für die - und nach dieser langen Vorrede sind wir jetzt endlich bei ihr angelangt - Elektrisiermaschine ist er aber nicht verantwortlich. Die stammt von Johann Elert Bode, einem deutschen Astronom der noch ein Kleinkind war, als Lacaille in Südafrika die Sterne beobachtet hat. Bode hat jede Menge wichtige astronomische Arbeiten gemacht, zu seinen nachhaltigsten gehört aber sicherlich auch die "Uranographia" aus dem Jahr 1801. Dieser Himmelsatlas scheint noch aus einer anderen Zeit zu stammen. Er enthält zwar die neuesten astronomischen Daten und Sternpositionen. Die aber gleichzeitig in prächtigen und künstlerischen Bildern dargestellt sind. Die Uranographia enthält keine nüchternen Punkte und Linie, sondern auch Zeichnungen all der Götter, Helden, Tiere, Monster und sonstigen Dinge, die Menschen in den Sternen gesehen haben. So wie in der Uranographia wurde der Himmel früher immer dargestellt und danach immer seltener. Und in diesem Werk des Übergangs von Fantasie zu reiner Kartografie findet man die Elektrisiermaschine. Bode schrieb dazu: "Da der wichtigen Erfindung der Electrizität bisher noch kein Sternen-Monument geweihet war, so habe ich deshalb dieses neue Sternbild ostwärts bey der Bildhauerwerkstadt an den Himmel gebracht, und zur Formirung desselben mit letzterm einige Veränderungen getroffen".
Oder anders gesagt: Bode wollte - ganz im Sinne von Lacaille - auch die Elektriztät am Himmel verewigt sehen. Zu Lacailles Zeit war das Phänomen vielleicht noch nicht so relevant aber mittlerweile war klar, dass das etwas ist, mit dem sich die Naturwissenschaft auf jeden Fall sehr intensiv auseinander setzen muss. Es wurden immer größere und bessere Maschinen gebaut, um die Elektrizität zu verstehen. Die "elektrische Maschine" oder "Machina electrica", wie Bode das Sternbild offiziell genannt hat, war eine davon. Im wesentlichen war das ein elektrostatischer Generator, bei dem eine große Scheibe rotiert und dabei an einem anderem Material reibt. Genau so wie man auch einen Luftballon elektrostatisch aufladen kann, wenn man ihn zum Beispiel an einem Wollpullover reibt, nur in größerem Maßstab. Mit den elektrischen Maschinen konnte man Funken über überraschend große Strecken springen lassen und jede Menge andere spektakuläre Experimente und wichtige Forschung machen.
Und wenn am Himmel schon eine Luftpumpe und eine Pendeluhr zu finden sind, warum dann nicht auch eine elektrische Maschine? Bei der Erstellung seines Himmelsatlas hat Bode also einen kleinen Teil des Sternbilds Fornax abgeknapst; das ist übrigens das Sternbild, das auf deutsch "Chemischer Ofen" heißt; auch eines von Lacaille. Und hat das mit einem weiteren kleinen Stückchen vom Sternbild Sculptor, auf deutsch "die Bildhauerwerkstatt" zum Sternbild "Elektrische Maschine" zusammengefasst.
In seinem Atlas ist auch ein schönes Bild dieser Maschine zu sehen und weil Bode durchaus ein bekannter Astronom war und die Uranographia ein sehr einflussreiches Buch, sind viele andere seinem Beispiel gefolgt und haben die Maschine in ihre eigenen Karten übernommen. Damals gab es ja noch keine Standardisierung am Himmel. Alle haben sich Sternbilder nach Gutdünken ausgedacht, auch wenn man schon den einflussreichen Sternkatalogen und ihren Sternbildern gefolgt ist. Aber wenn man sich gedacht hat: Hmm, ne elektrische Maschine würde da noch gut hinpassen - dann hat man eben einfach eine definiert, und fertig.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts findet man die elektrische Maschine immer wieder in Sternkarten und Himmelsgloben. Und wenn man sich die bildlichen Darstellungen ansieht, kann man auch schön verfolgen, wie sich die Technik weiterentwickelt hat. Es wurden immer neue Maschinen gebaut; immer besser, mit immer mehr Extras. Und die hat man dann natürlich auch auf den Himmelskarten eingezeichnet. Aber nicht auf allen; viele haben Bodes Maschine auch einfach ignoriert. Was vermutlich auch daran lag, dass er sich eine ziemlich unaufregende Stelle dafür ausgesucht hat. Die vier hellsten Stern in der elektrischen Maschine sind mit freiem Auge kaum zu sehen und auch sonst war aus damaliger Sicht dort nichts sonderlich dramatischen zu finden. Aus dem Fornax hat sich Bode die Sterne Nu Fornacis und Mu Fornacis genommen; ca 370 und 320 Lichtjahre entfernt. Beide sind noch recht jung und Mu Fornacis könnte von einer Scheibe aus Staub und Asteroiden umgeben sein, was auch ein Zeichen dafür ist, dass es dort vielleicht Planeten gibt. Aber ansonsten hat auch die moderen Forschung dort noch nicht viel ausmachen können. Von Sculptor sind Pi Sculptoris und Tau Sculptoris zur Maschine gewandert; zwei Doppelsterne die ansonsten aber auch nicht weiter aufgefallen sind.
Im Laufe der Zeit hat die Elektrische Maschine immer mehr Fans verloren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts taucht sie kaum noch irgendwo auf und als dann 1930 die heutigen, offiziellen Sternbilder für die ganze Astronomie vereinheitlicht und verbindlich festgelegt worden sind, ist die Elektrisiermaschine nicht berücksichtigt worden. Fornax und Sculptor haben ihre ursprünglichen Grenzen zurück bekommen und der Himmel muss weiterhin ohne Elektrogenerator auskommen.
Sternengeschichten Folge 504: Die 21-Zentimeter-Linie des Wasserstoffs
1.420.405.751,768 Hertz. Diese Frequenz entspricht bei elektromagnetischer Strahlung einer Wellenlänge von exakt 21,106114054160 Zentimetern. Und genau darum geht es heute. Die Nachkommastellen lasse ich im Folgenden aber weg und werde mich darauf beschränken, von der 21-Zentimeter-Linie zu sprechen. Und bevor ihr euch jetzt fragt, wieso ich auf die komische Idee komme, eine ganze Folge der Sternengeschichten einer einzigen Wellenlänge zu widmen: Abwarten!
Fangen wir mal mit der Vergangenheit an. Nicht mit dem Urknall, obwohl wir zu dem auch noch kommen werden. Wir gehen zurück in die 1940er Jahre, in die Niederlande. Die waren damals zwar von Deutschland besetzt, aber die holländischen Astronomen kamen trotzdem dazu, sich immer wieder mal zu treffen und über die Forschung zu diskutieren. Einer dieser Astronomen war Jan Hendrik Oort - den ihr vielleicht noch von Folge 321 kennt, als es um die Oortsche Wolke ging, also den Bereich voller Kometen, der unsere Sonne in großer Ferne umgibt. Damals hat Oort aber angefangen, sich für die Radioastronomie zu interessieren. Die war zu der Zeit noch recht neu; die Pioniere der Radioastronomie wie Karl Jansky oder Grote Reber hatten ihre ersten Experimente und grundlegenden Ergebnisse über Radiowellen aus dem Universum gerade erst publiziert. Oort war schnell klar, was für ein Potenzial in der Beobachtung von Radiowellen liegen könnte. Wenn man zum Beispiel die Struktur und den Aufbau der Milchstraße verstehen will, dann muss man möglichst viele Sterne dort beobachten und natürlich auch Sterne, die in allen Bereichen der Milchstraße liegen. Aber wenn wir von der Erde in Richtung der galaktischen Ebene schauen; also der Scheibe in der sich die Spiralarme befinden, dann sehen wir da nicht nur Sterne, sondern auch sehr viele sehr große Wolken aus kosmischen Staub. Was an sich auch interessant ist, aber noch interessanter hätte Oort es gefunden, wenn er auch sehen hätte können, was sich hinter den Staubwolken befindet. Das ging aber nicht, weil das normale Licht da nicht durch kommt. Das heißt: Nach ein paar tausend Lichtjahren war Schluß; weiter konnte er nicht schauen und das reichte nicht, um die Struktur der Milchstraße wirklich gut zu verstehen. Aber die Radiowellen, mit ihrer viel größeren Wellenlänge als das normale Licht, sollten da eigentlich durch kommen.
Insbesondere war Oort daran interessiert, welche Spektrallinien man im Radiobereich sehen kann. Drüber habe ich ja auch schon öfter gesprochen, fasse es aber noch mal sehr vereinfacht zusammen: Atome und Moleküle können ganz bestimmte Wellenlängen der elektromagnetischen Strahlung absorbieren oder aussenden. Jedes Atome macht das bei einer ganz charakteristischen Wellenlänge und das ist schon mal super, weil man sie so identifizieren kann. Wenn ich zum Beispiel feststelle, dass im Licht eines Sterns ganz bestimmte Wellenlängen fehlen, wenn ich also dort bestimmte Spektrallinien finde, dann kann ich die den jeweiligen Atomen zuordnen und so bestimmen, woraus der Stern besteht. Umgekehrt geht es aber auch: Die Atome der interstellaren Gaswolken können elektromagnetische Strahlung bei ganz konkreten Wellenlängen aussenden und wenn ich die finde, weiß ich nicht nur, dass da eine Wolke ist und woraus sie besteht. Ich kann auch probieren, die Doppler-Verschiebung zu messen. Wenn das, was die Strahlung aussendet, sich auf uns zu oder von uns weg bewegt, dann verändert sich die Frequenz der Strahlung und aus dem Ausmaß der Verschiebung kann man die Geschwindigkeit der Bewegung berechnen. Das ist der gleiche Effekt, der die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert, wenn es an uns vorbei fährt. Oort hat sich also gedacht: Wenn da irgendwo fern im All Gaswolken sind, die Spektrallinien erzeugen, und ich deren Dopplerverschiebung messen kann, dann weiß ich, wie sich das Zeug dort bewegt. Und kann bestimmen, wie die Milchstraße sich bewegt, wo die großen Gaswolken sind, wie die Materie verteilt ist, und so weiter. Und wenn es sich um Spektrallinien im Radiobereich handelt, dann kommen die auch durch die nervigen Staubwolken durch!
Aber bevor man solche Messungen anstellen kann, muss man erst mal wissen, wo genau im Radiobereich Spektrallinien sind beziehungsweise ob da überhaupt welche sind. Also hat Oort einem Studenten die Aufgabe gegeben, das mal auszurechnen. Dieser Student war Hendrik Christoffel van de Hulst und der hat sich gedacht, er fängt am besten mal mit der Untersuchung von Wasserstoff an. Dieses chemische Element ist ja mit Abstand am häufigsten im Universum; es ist direkt beim Urknall entstanden; so gut wie alles am Anfang war Wasserstoff und auch die großen Gaswolken in den Galaxien bestehen fast komplett aus Wasserstoff.
Und um zu verstehen, was van de Hulst am Ende rausgekriegt hat, müssen wir uns ein wenig mit einem kniffligen Thema beschäftigen. Es geht um etwas, das sich "Spin-Flip" nennt. Oder "Hyperfeinstrukturübergang". Auf jeden Fall aber geht es um ein simples Wasserstoffatom in seinem Grundzustand. So ein Ding besteht aus einem Proton, das von einem Elektron umkreist wird. Obwohl das nicht ganz richtig ist; wir wissen ja mittlerweile, dass Atome nicht wie Mini-Planetensysteme funktionieren; da sind keine kleinen Kugeln die einander umkreisen sondern nur quantenmechanische Wellenfunktionen. Aber wir bleiben vorerst mal bei dem einfachen Bild. Das tun wir auch, wenn es um den Spin geht. Der ist echt hinterhältig… Der Spin ist eine Eigenschaften, die ein Teilchen haben kann. "Spin" heißt so viel wie "Drehung" und meistens stellt man sich das auch genau so vor. Also als die Drehung, die ein Proton oder ein Elektron durchführt. Nur das - wie ich grade schon gesagt habe - ein Proton keine Kugel ist und ein Elektron auch nicht und sich beide daher auch nicht um ihre Achse drehen können. Es gibt tatsächlich keine anschauliche, alltägliche Entsprechung mit der man erklären könnte, was der Spin eines Elementarteilchens ist. Wenn man nicht tief in die Mathematik der Quantenmechanik eintauchen will, dann bleibt einem nix anderes übrig als zu sagen: Man kann Teilchen in der Quantenmechanik eine bestimmte Eigenschaft zuschreiben und die wird eben "Spin" genannt. Und wenn wir jetzt ein Wasserstoff-Atom anschauen, das aus einem Proton und einem Elektron besteht, dann können deren Spins entweder parallel sein oder antiparallel. Ich weiß, das ist nicht sehr befriedigend. Also tun wir vielleicht doch einmal so, als wären die beiden Teilchen kleine Kugeln (behalten aber im Hinterkopf, dass sie das nicht sind!). Dann kann man sich vorstellen, wie diese Kugeln sich um ihre Achsen drehen. Wenn sie das beide in die gleiche Richtung tun, dann sind ihre Spins parallel. Wenn sie sich in unterschiedliche Richtungen drehen, sind die Spins antiparallel. Aus weiteren quantenmechanischen Gründen, auf die ich jetzt wirklich nicht mehr eingehen will - es hat etwas mit magnetischen Dipolmomenten zu tun und so weiter - hat das Wasserstoff-Atom unterschiedlich viel Energie, je nachdem ob es in einem parallelen oder antiparallelen Zustand ist. Im antiparallelen Zustand steckt im Wasserstoff-Atom ein kleines bisschen weniger Energie als wenn es in einem parallelen Zustand ist. Was heißt: Wenn es von einem parallen in einen antiparallen Zustand wechselt, muss es ein bisschen Energie loswerden, was es tut, in dem es ein klein wenig elektromagnetische Strahlung abgibt. Und wenn man die beiden Energiewerte ausrechnet, den Unterschied dazwischen bestimmt , kann man daraus direkt die Wellenlänge dieser Strahlung berechnen. Genau das hat van de Hulst getan und das Ergebnis war eine Wellenlänge von 21 Zentimetern, also Strahlung im Radiobereich.
Wer ein wenig Ahnung von der Quantenmechanik der Atome hat könnte sich jetzt denken: Ja und? Das ist doch normal. Machen Atome doch dauernd - sie kriegen von irgendwo her Energie, wechseln in einen höherenergetischen Zustand und dann aber sofort wieder zurück in den Grundzustand mit niedriger Energie. Und die aufgenommene Energie strahlen sie dabei halt ab. Was ist da jetzt so außergewöhnlich an der Spin-Flip-Sache und den 21 Zentimetern?
Ok - es stimmt, dass Atome immer gerne in ihrem Grundzustand sind und schnell dahin wechseln, wenn sie mal in einem höher-energetischen Zustand geraten. Aber eben nicht immer. Es gibt etwas, das in der Astronomie sehr dramatisch als "verbotener Übergang" bezeichnet wird. Damit meint man nichts, was durch Naturgesetze tatsächlich verboten, also unmöglich ist. Sondern nur sehr, sehr unwahrscheinlich. Damit ein Wasserstoffatom per Spin-Flip 21-Zentimeter-Strahlung aussenden kann, muss es erst mal aus seinem antiparallelen Zustand in den parallelen Zustand geschubst werden. Dazu braucht es die richtige Menge an Energie und die darf nicht sehr groß sein; der Unterschied zwischen parallel und antiparallel ist winzig (deswegen heißt das ganze auch "Hyperfeinstrukturübergang). Und wenn ein Wasserstoffatom mal in einem parallelen Spin-Zustand gelangt ist, dann braucht es im Schnitt 10 Millionen Jahre, bis der Spin des Elektrons spontan wieder zurück klappt und dabei Energie ausgesandt wird. Bei irgendwelchen Experimenten im Labor braucht man also gar nicht darauf warten, dass so etwas passiert.
Und auch Hendrik van de Hulst war skeptisch, ob man jemals eine 21-Zentimeter-Linie beobachten können würde und hat das in seiner Veröffentlichung zum Thema im Jahr 1945 auch angemerkt. Aber andere Wissenschaftler waren ein wenig optimistischer. Immerhin gibt es im Universum ja wirklich sehr, sehr viel Wasserstoff. Und angesichts des Alters des Kosmos sind 10 Millionen Jahre jetzt auch nicht so wahnsinnig viel. Eigentlich sollte sich da draußen trotz allem immer eine ausreichend große Anzahl an Wasserstoff-Atomen finden, die gerade in einem parallen Spinzustand sind und per Spin-Flip entsprechende Strahlung aussenden. Der Meinung war auch der amerikanische Astrophysiker Harold Irving Ewen, der gemeinsam mit seinem Doktorvater Edward Mills Purcell eine entsprechende Antenne gebaut hat und im Jahr 1950 die 21-Zentimeter-Strahlung aus dem All tatsächlich nachweisen konnte.
Und seitdem ist die Beobachtung dieser Strahlung ein enorm wichtiges Instrument der Astronomie geworden. Man hat damit die Milchstraße vermessen, so wie Oort sich das gedacht hat. Man kann damit herausfinden, wo im Universum die großen Wolken aus Wasserstoff sind, aus denen Sterne entstehen. Oder die Strahlung des Wasserstoffs benutzen, um die Masse ferner Galaxien abzuschätzen. Was man damit auch machen kann: Dorthin schauen, wo noch gar keine Sterne sind. Womit wir jetzt am Ende doch noch am Anfang angekommen sind, nämlich beim Urknall. Im jungen Universum gab es keine Sterne. Es gab nur gigantische Wolken aus Wasserstoff, mit ein bisschen Helium darin. Da hat noch kein Stern geleuchtet; die mussten erst aus genau diesen Wolken entstehen. Und als sie das getan haben, ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, hat das Licht dieser allerersten Sterne im Universum den Wasserstoff in den übrig gebliebenen Wolken ionisiert. Der Wasserstoff, von dem ich vorhin die ganze Zeit erzählt habe, war nicht ionisiert. Das Proton, das den Atomkern des Wasserstoffs darstellt, hatte noch ein zugehöriges Elektron in seiner Hülle. Wenn man aber genug Energie auf ein Atom loslässt, zum Beispiel das helle Licht junger Sterne, dann kann die das Elektron aus der Hülle quasi rauskicken. Und ein Atom, das weniger Elektronen besitzt als es sollte, nennt man ionisiert. Das ist wichtig, denn die 21-Zentimeter-Strahlung gibt es ja nur, wenn Proton und Elektron zusammenarbeiten. Ein einsames Proton ohne Elektron strahlt nicht.
Also: Im frühen Universum gab es jede Menge Wasserstoff, nicht ionisiert. Der dementsprechend auch 21-Zentimeter-Strahlung aussendet. Dann aber haben die ersten Sterne angefangen zu leuchten. Sie haben den Wasserstoff ionisiert, der hat aufgehört 21-Zentimeter-zu-strahlen und erst später wieder damit angefangen, als sich die Protonen wieder ein paar herumfliegende Elektronen geschnappt haben. Oder anders gesagt: Wenn man 21-Zentimeter-Strahlung aus weiter Ferne beobachtet; also Strahlung die sehr, sehr lange zu uns unterwegs war und damit sehr früh im Universum entstanden sein muss, dann sollte da irgendwo plötzlich eine Lücke sein.
Wir sollten viel Strahlung von ganz früher sehen, dann irgendwann weniger und dann wieder mehr von der Strahlung die jünger ist. Und wenn wir genau bestimmen, aus welcher Zeit diese Lücke stammt (was wir über die Doppler-Verschiebung tun können, denn die sagt uns ja, wie schnell sich das Zeug bewegt und weil sich dank der Expansion des Universums alles umso schneller von uns fort bewegt, je weiter es weg ist, folgt daraus die Entfernung), wenn wir also wissen, wann der Wasserstoff kurz mal aufgehört hat zu strahlen, dann wissen wir auch, wann die ersten Sterne angegangen sind. Und was soll man sagen: 2018 hat man genau das gemessen! Einen Abfall der 21-Zentimeter-Strahlung circa 180 Millionen Jahre nach dem Urknall.
Es ist natürlich immer noch ziemlich schwierig, diese Strahlung exakt zu messen. Und die Ergebnisse sind ebenfalls nicht absolut exakt. Aber mit der 21-Zentimeter-Strahlung des Wasserstoffs können wir dorthin schauen, wo es keine Sterne gibt. Hinein in die dunkle Epoche des Universums, fast bis ganz zurück an den Anfang. Und spätestens jetzt sollte allen klar sein, wieso ich eine ganze Folge lang über eine einzelne Wellenlänge gesprochen habe.
Sternengeschichten Folge 502: Der Weg der Erde durch das Universum
Ich weiß nicht, was ihr gerade so treibt. Vielleicht geht ihr in diesem Moment gerade spazieren. Oder joggt vielleicht auch durch die Gegend. Oder sitzt auf dem Fahrrad, im Zug oder im Auto. Vielleicht bewegt ihr euch auch gar nicht, sondern liegt im Bett? Aber egal was ihr im Moment gerade tut: ihr könnt euch sicher sein, dass ihr euch trotzdem sehr schnell und über gigantische Distanzen hinweg bewegt, auch wenn euch das gerade gar nicht so vorkommen mag.
Dass die Erde ein Planet ist und sich um die Sonne herum bewegt, ist keine neue Erkenntnis. Allerdings auch keine wirklich alte. Es hat bis ins 16. Jahrhundert gedauert, bevor allgemein akzeptiert worden ist, dass die Erde sich tatsächlich bewegt. Und man kann es den Menschen auch nicht verdenken, dass sie so lange davon überzeugt waren, dass die Erde still im Mittelpunkt des Universums steht und sich alles um uns herum bewegt. Denn genau so sieht es ja auch aus! Wir sehen, wie die Sonne auf- und untergeht. Wir sehen, wie sie sich über den Himmel bewegt, wie die Sterne sich um die Erde drehen, und so weiter. Außerdem fühlt es sich definitiv nicht so an, als würde sich die Erde bewegen; wir spüren nix. Dass das, was wir sehen, immer nur eine scheinbare Bewegung ist, weil sich in Wahrheit die Erde eben doch bewegt: Das ist nicht offensichtlich und es hat diverse Geistesblitze und konkrete astronomische Beobachtungen gebraucht, bis wir es verstanden haben.
Und wenn man ein wenig genauer darüber nachdenkt, dann findet man jede Menge Arten von Bewegung, von denen wir eigentlich gar nichts mitbekommen. Ignorieren wir mal die Sonne, die Sterne und den ganzen Rest da draußen und schauen nur auf die Erde. Selbst wenn wir sehr faul sind und uns konsequent nicht bewegen, kommen wir dennoch voran. Sehr langsam zwar, aber trotzdem und zwar dank der Plattentektonik. Die großen Bruchstücke aus denen die Erdkruste besteht, bewegen sich. Unterschiedlich schnell und in unterschiedliche Richtungen; sie tauchen an bestimmten Stellen hinab in den Erdmantel wo sie aufgeschmolzen werden. An anderen Stellen tritt geschmolzenes Material aus dem Erdinneren an die Oberfläche und schiebt die Platten weiter. Manche Platten kollidieren und an diesen Stellen falten sich gewaltige Gebirge auf. Ab und zu löst sich spontan ein bisschen was von der ganzen Spannung die bei dem Hin und Her der Platten entsteht und das können wir dann durchaus auch sehr intensiv spüren und zwar als Erdbeben. Aber selbst wenn man sowas ignoriert bleibt immer noch die langsame Bewegung der Kontinentaldrift. Ein paar Millimeter bis Zentimeter pro Jahr, ungefähr so schnell wie menschliche Fingernägel wachsen.
Wer sich auf der Eurasischen Platte befindet, also dem Teil der Erdkruste, der ganz Europa und fast ganz Asien umfasst, wird von ihr zwischen 7 und 14 Millimeter pro Jahr Richtung Südosten transportiert. Das ist noch nicht so viel, aber wir haben ja erst angefangen. Nicht nur die Erdoberfläche ist in Bewegung; die ganze Erde rotiert um ihre Achse. Das tut sie bekanntlich einmal in 24 Stunden und wenn man das weiß, kann man leicht ausrechnen, wie schnell man sich aufgrund dieser Tatsache bewegt. Auch hier kommt es aber darauf an, wo auf der Erde man sich befindet. Stellt euch vor, ihr sitzt gerade am Äquator. In 24 Stunden hat euch die Erde einmal komplett herum gedreht und ihr habt eine Strecke von 40.075 Kilometer zurück gelegt, denn genau so lang ist der Äquator der Erde. 40.075 Kilometer in 24 Stunden, das sind 1670 Kilometer pro Stunde! Aber höchstwahrscheinlich befindet ihr euch gerade nicht am Äquator und dann seid ihr langsamer unterwegs. Solltet ihr überraschenderweise gerade exakt am Nord- oder Südpol sein, dann nutzt euch die Erdrotation bei eurer Bewegung gar nichts. Ihr dreht euch dann in 24 Stunden nur einmal um eure Achse, legt aber keine zusätzliche Strecke zurück, weil ihr ja genau dort steht, wo sich auch die Rotationsachse der Erde befindet. Gut, die meisten werden sich gerade vermutlich irgendwo zwischen Äquator und Pol aufhalten und da kriegt man durch die Rotation unseres Planeten eine Geschwindigkeit mit, die irgendwo zwischen 0 und 1670 Kilometer pro Stunde liegt. Kann man auch leicht ausrechnen; einfach den Cosinus der geografischen Breite berechnen an der man sich gerade befindet und das mit der Maximalgeschwindigkeit von 1670 Kilometer pro Stunde multiplizieren. Bei einer geografischen Breite von 52 Grad etwa, also auf der Höhe von Berlin, sind es gut 1028 km/h mit denen man von der Erde herumgedreht wird. Weiter südlich, auf 48 Grad, also dort wo sich Wien befindet, ist man mit 1117 km/h schon ein wenig schneller unterwegs.
Plattentektonik und Erdrotation: Damit kommt man schon ein Stückchen weit. Aber die Erde selbst steht ja auch nicht still, sie bewegt sich um die Sonne herum. Pro Jahr legt sie einen näherungsweisen Kreis mit einem Umfang von 942 Millionen Kilometer zurück. Oder, wenn man das eine durch das andere teilt: Sie ist mit einer Geschwindigkeit von gut 107.500 km/h unterwegs. Das sind immerhin 30 Kilometer pro Sekunde mit denen jeder von uns durch den Weltraum saust, ohne das man sich dafür anstrengen muss. Das ist natürlich ein Näherungswert; die Bahn der Erde um die Sonne ist kein exakter Kreis (darüber habe ich in Folge 500 ausführlicher gesprochen); sie bewegt sich entlang einer Ellipse und ist der Sonne mal ein wenig näher und mal ein wenig weiter weg. Ist sie der Sonne nahe, ist die Erde schneller; weiter weg ist sie langsamer. Der Unterschied ist aber gering; die Geschwindigkeit schwankt zwischen 29,3 und 30,2 Kilometer pro Sekunde.
Damit sind wir aber noch lange nicht durch. Denn auch die Sonne bewegt sich; durch die Milchstraße hindurch. Aber nicht so wie ein Planet um einen Stern herum. In erster Näherung kann man sich das durchaus so vorstellen; wenn man genauer hinschaut ist das Bild aber komplizierter. Denn in einem Planetensystem ist der absolut überwiegende Teil der Masse im zentralen Stern konzentriert; die Planeten sind alle viel, viel leichter und der Stern dominiert quasi die Bewegung alleine. Im Zentrum einer Galaxie wie unserer Milchstraße sitzt zwar auch immer ein sehr massereiches schwarzes Loch. Aber das ist bei weitem nicht so dominant. Die Milchstraße hat zum Beispiel ein schwarzes Loch mit einer Masse von circa 4 Millionen Sonnenmassen. Das ist viel - aber da sind ja noch circa 200 Milliarden Sterne, die zusammen, sehr vereinfacht gerechnet, dann auch 200 Milliarden Sonnenmassen haben. Und dann sind da noch die ganzen Gaswolken, der ganze Staub, die dunkle Materie, und so weiter. Und weil in einer Galaxie die Masse eben nicht im Zentrum konzentriert ist, folgen die Sterne auch keinen simplen Bahnen um das Zentrum herum. Die Sonne zum Beispiel bewegt sich zwar schon mehr oder weniger um das galaktische Zentrum herum. Ihre Bahn ist aber ein wenig wackelig, sie bewegt sich auch auf und ab, soll heißen, dass sie sich ein paar Millionen Jahre lang über der mittleren galaktischen Ebene bewegt, also der Ebene, in der sich die Spiralarme befinden und dann wieder ein paar Millionen Jahre lang darunter. Sie braucht ungefähr 240 Millionen Jahre für eine Runde und bewegt sich aktuell mit einer Geschwindigkeit von 792.000 km/h beziehungsweise mit 220 Kilometer pro Sekunde.
Die Ebene in der sich die Planeten um die Sonne bewegen ist übrigens um gut 60 Grad gegenüber der Ebene geneigt, in der sich die Sonne durch die Milchstraße bewegt. Was keinen besonderen physikalischen Grund hat, sondern reiner Zufall ist; die Ebene in der sich Planeten um einen Stern herum bewegen, bildet sich zufällig aus den chaotischen Vorgängen heraus, die bei der Entstehung von Planeten ablaufen.
Jetzt können wir natürlich auch noch schauen, wie sich die Milchstraße selbst bewegt. Was sie natürlich tut! Wir sind Teil einer großen Gruppe von Galaxien, der Lokalen Gruppe, von der ich in Folge 371 mehr erzählt habe. Und die Lokale Gruppe gehört zum Virgosuperhaufen, zu dem noch ganz viele andere Galaxiengruppen gehören. Und der Virgosuperhaufen selbst ist wieder Teil von größeren Strukturen. Und alles bewegt sich - und jetzt wird es ein wenig schwierig mit der Angabe von Geschwindigkeiten. Denn das macht ja nur Sinn, wenn man sie in Bezug auf etwas anderes angibt. Und auf den ganz großen Skalen gehen einem irgendwann die Bezugspunkte aus. Aber wenn man die fernsten Strukturen nimmt, dann bewegt sich die Milchstraße in Bezug auf sie mit circa 2,3 Millionen km/h beziehungsweise mit 630 Kilometer pro Sekunde.
Man kommt also ganz schön rum; selbst wann man nur faul auf dem Sofa sitzt oder im Bett liegt. Wenn diese Folge der Sternengeschichten zu Ende sein wird, dann wird euch die Plattentekonik ganze 200 Nanometer weit transportiert haben, gemessen vom Start des Intros. Die Erdrotation hat euch 207 Kilometer weit gebracht (zumindest wenn ihr euch auf einer geografischen Breite von 45 Grad befindet). Mit der Erde werdet ihr 18.900 Kilometer weit um die Sonne gereist sein und mit der Sonne 139.000 Kilometer durch die Milchstraße. Und die ganze Galaxis ist mit euch während dieser Folge 396.000 Kilometer weit durch den Kosmos geflogen.
Natürlich kann man diese Zahlen nicht einfach alle addieren; die einzelnen Bewegungen verlaufen nicht alle in die selbe Richtung. Aber wenn man sie zusammenzählt, dann kommt man auch weit über eine halbe Million Kilometer. Gar nicht so schlecht für eine Folge Sternengeschichten!
Sternengeschichten Folge 503: Die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842
Wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt und den hellen Tag in plötzliche Dunkelheit taucht, ist das immer ein ganz besonderes Ereignis. Seit es Menschen gibt, werden sie solche Ereignisse mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet haben. Früher, als man noch nicht wusste, was da passiert und diese Finsternisse nicht vorhersagen konnte, natürlich ganz besonders. Aber auch später, als man schon verstanden hat, was da passiert und berechnen konnte, wann mit einer Finsternis zu rechnen ist, war es immer ein ganz besonderes Phänomen.
Jede Sonnenfinsternis ist besonders - aber heute soll es um eine ganz spezielle Finsternis gehen. Nämlich die vom 8. Juli 1842. Als erste Großstadt konnte Madrid früh am Morgen die komplette Verfinsterung der Sonne beobachten. Der Pfad der Totalität zog sich weiter nach Frankreich, wo man in Marseille ein paar Minuten später die dunkle Sonne sehen konnte. Drei Minuten nach Marseille war Venedig an der Reihe, nochmal vier Minuten später wurde es auch in Wien finster. Der Schatten des Mondes wanderte über Osteuropa nach Russland, wo man im Osten von Kasachstan mit einer Dauer von 4 Minuten und 5 Sekunden die längster Verfinsterung sehen konnte. Als letztes kamen die Menschen in China dazu, die Sonnenfinsternis zu beobachten und dann war das Ereignis wieder vorbei.
Eine Sonnenfinsternis an sich ist kein enorm seltenes Ereignis. Jedes Jahr finden mindestens zwei und maximal fünf Sonnenfinsternisse statt; im Durchschnitt sind es 2,4 Finsternisse. Aber das gilt für die Erde insgesamt und für jede Art von Finsternis. Also auch partielle Finsternisse, bei denen die Sonne nur zum Teil vom Mond bedeckt wird. Solche Ereignisse sind längst nicht so spektakulär; ohne optische Hilfmittel merkt man auch so gut wie gar nichts davon. Wenn man sich einen konkreten Ort auf der Erde aussucht und dort eine totale Sonnenfinsternis sehen will, dann muss man im Schnitt 375 Jahre warten, bis es so weit ist. Und wenn so eine Finsternis dann auch noch mitten über Europa stattfindet und jede Menge große Städte mit vielen Bewohnerinnen und Bewohnern das Ereignis sehen können, dann ist das definitiv außergewöhnlich. Genau das war 1842 der Fall.
Unzählige Menschen haben diese Finsternis beobachtet. Darunter waren natürlich auch jede Menge, die das aus wissenschaftlichen Gründen getan haben. Aber in Wien hat Adalbert Stifter die Finsternis beobachtet. Der kein Astronom war, sondern ein österreichischer Dichter und ganz besonders berühmt für seine Naturdarstellungen. Und wenn da schon so ein großer Schriftsteller diese Sonnenfinsternis beschrieben hat, dann werde ich gar nicht erst versuchen, dem etwas hinzuzufügen, sondern lese einfach das vor, was Stifter angesichts der sich verfinsternden Sonne zu Papier gebracht hat:
"Es gibt Dinge, die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes. So ist es mir mit der totalen Sonnenfinsternis ergangen, welche wir in Wien am 8. Juli 1842 in den frühesten Morgenstunden bei dem günstigsten Himmel erlebten. Da ich die Sache recht schön auf dem Papiere durch eine Zeichnung und Rechnung darstellen kann, und da ich wußte, um soundso viel Uhr trete der Mond unter der Sonne weg und die Erde schneide ein Stück seines kegelförmigen Schattens ab, welches dann wegen des Fortschreitens des Mondes in seiner Bahn und wegen der Achsendrehung der Erde einen schwarzen Streifen über ihre Kugel ziehe, was man dann an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten in der Art sieht, daß eine schwarze Scheibe in die Sonne zu rücken scheint, von ihr immer mehr und mehr wegnimmt, bis nur eine schmale Sichel übrigbleibt, und endlich auch die verschwindet - auf Erden wird es da immer finsterer und finsterer, bis wieder am andern Ende die Sonnensichel erscheint und wächst, und das Licht auf Erden nach und nach wieder zum vollen Tag anschwillt - dies alles wußte ich voraus, und zwar so gut, daß ich eine totale Sonnenfinsternis im voraus so treu beschreiben zu können vermeinte, als hätte ich sie bereits gesehen.
Aber, da sie nun wirklich eintraf, da ich auf einer Warte hoch über der ganzen Stadt stand und die Erscheinung mit eigenen Augen anblickte, da geschahen freilich ganz andere Dinge, an die ich weder wachend noch träumend gedacht hatte, an die keiner denkt, der das Wunder nicht gesehen.
Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so erschüttert, von Schauer und Erhabenheit so erschüttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hätte es verstanden. Ich stieg von der Warte herab, wie vor tausend und tausend Jahren etwa Moses von dem brennenden Berge herabgestiegen sein mochte, verwirrten und betäubten Herzens.
Es war ein so einfach Ding. Ein Körper leuchtet einen andern an, und dieser wirft seinen Schatten auf einen dritten: aber die Körper stehen in solchen Abständen, daß wir in unserer Vorstellung kein Maß mehr dafür haben, sie sind so riesengroß, daß sie über alles, was wir groß heißen, hinausschwellen - ein solcher Komplex von Erscheinungen ist mit diesem einfachen Dinge verbunden, eine solche moralische Gewalt ist in diesen physischen Hergang gelegt, daß er sich unserem Herzen zum unbegreiflichen Wunder auftürmt."
Stifter erzählt nun, wie er sich frühmorgens zu einem guten Beobachtungspunkt begeben hat, so wie viele anderen Menschen in Wien; sogar am Turm des Stephansdom standen sie und schauten zum Himmel. Und dann begann die Sonne sich zu verdunkeln.
"Endlich zur vorausgesagten Minute - gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel - empfing sie den sanften Todeskuß, ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort - "es kommt", riefen nun auch die, welche bloß mit dämpfenden Gläsern, aber sonst mit freien Augen hinaufschauten - "es kommt", und mit Spannung blickte nun alles auf den Fortgang.
Die erste, seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen, es war die, daß draußen in der Entfernung von Tausenden und Millionen Meilen, wohin nie ein Mensch gedrungen, an Körpern, deren Wesen nie ein Mensch erkannte, nun auf einmal etwas zur selben Sekunde geschehe, auf die es schon längst der Mensch auf Erden festgesetzt."
"Indes nun alle schauten und man bald dieses, bald jenes Rohr rückte und stellte und sich auf dies und jenes aufmerksam machte, wuchs das unsichtbare Dunkel immer mehr und mehr in das schöne Licht der Sonne ein - alle harrten, die Spannung stieg; aber so gewaltig ist die Fülle dieses Lichtmeeres, das von dem Sonnenkörper niederregnet, daß man auf Erden keinen Mangel fühlte, die Wolken glänzten fort, das Band des Wassers schimmerte, die Vögel flogen und kreuzten lustig über den Dächern, die Stephanstürme warfen ruhig ihre Schatten gegen das funkelnde Dach, über die Brücke wimmelte das Fahren und Reiten wie sonst, sie ahneten nicht, daß indessen oben der Balsam des Lebens, Licht, heimlich versiege, dennoch draußen an dem Kahlengebirge und jenseits des Schlosses Belvedere war es schon, als schliche eine Finsternis oder vielmehr ein bleigraues Licht, wie ein wildes Tier heran - aber es konnte auch Täuschung sein, auf unserer Warte war es lieb und hell"
"Seltsam war es, daß dies unheimliche, klumpenhafte, tief schwarze, vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß, unser Mond sein sollte, der schöne sanfte Mond, der sonst die Nächte so florig silbern beglänzte; aber doch war er es, und im Sternenrohr erschienen auch seine Ränder mit Zacken und Wulsten besetzt, den furchtbaren Bergen, die sich auf dem uns so freundlich lächelnden Runde türmen."
"Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar und immer mehr, je schmäler die am Himmel glühende Sichel wurde; der Fluß schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schöne sanfte Glanz des Himmels erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein kühles Lüftchen hob sich und stieß gegen uns, über die Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleischweres Licht, über den Wäldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden, und Ruhe lag auf ihnen, aber nicht die des Schlummers, sondern die der Ohnmacht - und immer fahler goß sich's über die Landschaft, und diese wurde immer starrer - die Schatten unserer Gestalten legten sich leer und inhaltslos gegen das Gemäuer, die Gesichter wurden aschgrau - - erschütternd war dieses allmähliche Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens."
Wir hatten uns das Eindämmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendröte; wie geisterhaft ein Abendwerden ohne Abendröte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch außerdem war dies Dämmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur; gegen Südost lag eine fremde, gelbrote Finsternis, und die Berge und selbst das Belvedere wurden von ihr eingetrunken - die Stadt sank zu unsern Füßen immer tiefer, wie ein wesenloses Schattenspiel hinab, das Fahren und Gehen und Reiten über die Brücke geschah, als sähe man es in einem schwarzen Spiegel - die Spannung stieg aufs höchste - einen Blick tat ich noch in das Sternrohr, er war der letzte; so schmal wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen, und wie ich das freie Auge hob, sah ich auch, daß bereits alle andern die Sonnengläser weggetan und bloßen Auges hinaufschauten - sie hatten auch keines mehr nötig; denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zurück - es war ein überaus trauriger Augenblick - deckend stand nun Scheibe auf Scheibe - und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte - das hatte keiner geahnet - ein einstimmiges "Ah" aus aller Munde, und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten.
Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die obenstehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daß es rings auseinanderspritzte - das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah!
Nie, nie werde ich jene zwei Minuten vergessen - es war die Ohnmacht eines Riesenkörpers, unserer Erde.
Auch wurde die Wirkung auf alle Menschenherzen sichtbar. Nach dem ersten Verstummen des Schrecks geschahen unartikulierte Laute der Bewunderung und des Staunens: der eine hob die Hände empor, der andere rang sie leise vor Bewegung, andere ergriffen sich bei denselben und drückten sich - eine Frau begann heftig zu weinen, eine andere in dem Hause neben uns fiel in Ohnmacht, und ein Mann, ein ernster fester Mann, hat mir später gesagt, daß ihm die Tränen herabgeronnen.
Ich habe immer die alten Beschreibungen von Sonnenfinsternissen für übertrieben gehalten, so wie vielleicht in späterer Zeit diese für übertrieben wird gehalten werden; aber alle, so wie diese, sind weit hinter der Wahrheit zurück."
Ihr aber, die es im höchsten Maße nachempfunden, habet Nachsicht mit diesen armen Worten, die es nachzumalen versuchten, und so weit zurückgeblieben. Wäre ich Beethoven, so würde ich es in Musik sagen; ich glaube, da könnte ich es besser."
Stifter hat noch viel mehr geschrieben; das hier war nur ein kurzer Auszug aus seinem Aufsatz und ich kann allen nur empfehlen, ihn komplett zu lesen.
Und so wie Stifter am Ende seines Textes um Nachsicht gebeten hat, bitte auch ich um Nachsicht, weil ich ausnahmsweise mal jemand anderes fast den kompletten Text einer Folge der Sternengeschichten schreiben habe lassen. Aber angesichts der Worte von Stifter wäre es vermessen, diese Beschreibung besser machen zu wollen als er sie gemacht hat. Und ich überlasse Stifter auch das Schlusswort. Er bezieht sich dabei auf den möglichen Vorwurf, dass das ja nur ein natürliches Phänomen ist, das man auch ganz leicht berechnen kann. Und antwortet, dass die "wunderbare Magie des Schönen" nichts mit Rechnungen zu tun hat: "Sie ist da, weil sie da ist, ja sie ist trotz der Rechnungen da, und selig das Herz, welches sie empfinden kann; denn nur dies ist Reichtum, und einen andern gibt es nicht - schon in dem ungeheuern Raume des Himmels wohnt das Erhabene, das unsere Seele überwältigt, und doch ist dieser Raum in der Mathematik sonst nichts als groß."
Sternengeschichten Folge 501: Die lila Erde
Wenn wir heute die Erde vom Weltall aus betrachten, dann sehen wir einen blauen Planeten. Oder einen grünen, je nachdem ob wir auf das Wasser oder aufs Land schauen. Aber wenn wir vor ein paar Milliarden Jahren auf die Erde geblickt hätten, dann wäre sie vielleicht ein violetter oder rosa Planet gewesen.
Um zu verstehen, wieso das so war, müssen wir uns kurz überlegen, warum die Erde heute blau bzw. grün erscheint. Blau ist sie natürlich wegen des vielen Wassers, dass aber selbst - so wie das Land - immer wieder mal auch grün aussehen kann. Und das liegt an den Lebewesen, die dort leben. Den Pflanzen auf dem Land und den Algen im Meer, die zwar nicht ausschließlich aber doch sehr grün sind. Und das wiederum liegt an der Art und Weise, wie diese Lebewesen ihr Leben leben. Sie tun das, in dem sie Fotosynthese betreiben, also in dem sie die Energie die im Licht der Sonne steckt direkt in chemische Energie für ihren Stoffwechsel umwandeln. Sie können das, weil sie den natürlichen Farbstoff Chlorophyll besitzen. Das Chlorophyll - oder besser gesagt die Chlorophylle, denn es gibt unterschiedliche Arten dieses Farbstoffs - kann Licht aufnehmen. Die in diesem Licht steckende Energie wird dann genutzt, um diverse chemische Reaktionen ablaufen zu lassen, damit am Ende die organischen Verbindungen entstehen, die die Pflanze oder die Alge zum Leben braucht.
Das hat jetzt noch nichts mit der Farbe zu tun. Die kriegen wir erst, wenn wir uns anschauen, welche Teile des Lichts das Chlorophyll nutzen kann. Das Licht der Sonne ist ja eine Mischung aus allen Farben; aus rot, grün, gelb, blau, und so weiter. Das Chlorophyll nutzt den roten Teil des Lichts, des blauen genau so. Aber nicht den grünen Anteil; der wird reflektiert. Das ist einerseits der Grund dafür, warum die Pflanzen grün erscheinen. Und andererseits seltsam, weil genau in diesem Bereich steckt die meiste Energie im Sonnenlicht. Warum sollten die Pflanzen gerade darauf verzichten?
Dazu kommen wir später noch. Zuerst schauen wir uns einmal ein paar Flamingos an. Die sind ja bekanntlich sehr rosa. Was nicht an den Flamingos selbst liegt, sondern an Halobacterium salinarum. Das ist ein Mikroorganismus und auch wenn er Halobacterium heißt, ist es keine Bakterie. Das hat man früher nur gedacht, bis man in den 1970er Jahren drauf gekommen ist, dass es jede Menge Mikroorganismen gibt, die zwar auf den ersten Blick so aussehen wie Bakterien, sich aber tatsächlich sehr grundlegend von ihnen unterscheiden; so grundlegend, dass man sie zu einer völlig eigenen Klasse von Lebewesen erklären muss: Die Archaeen. Heute teilt man die Lebewesen tatsächlich in drei große Gruppen. Da sind einmal die Eukaryoten, also alle Lebewesen, die aus Zellen mit einem Zellkern bestehen. Dazu gehören die Pflanzen, die Tiere, die Pilze, diverse Mikroben und natürlich auch wir Menschen. Dann gibt es die Bakterien. Und dann die Archaeen. Vermutlich stammen wir Menschen (zusammen mit allen anderen Tieren und Pflanzen) sogar von den Archaeen ab. Diese Mikroorganismen sind auf jeden Fall schon sehr lange auf der Erde, sehr viel länger als wir und sie besiedeln sehr extreme Lebensräume. Heiße Quellen, lichtlose unterirdische Gesteinsschichten, Regionen ohne Sauerstoff und andere eigentlich sehr lebensfeindliche Räume. Und so gern ich noch weiter über die Archaeen erzählen würde, wir müssen wieder zurück zu den Flamingos.
Halobacterium salinarum und ähnliche Archaeen leben zum Beispiel gerne in sehr salzhaltigen Gewässern. Dort werden sie gefressen, zum Beispiel von winzigen Krebsen. Die wiederum sehr gerne von Flamingos gefressen werden. Die Archaeen landen also am Ende in den Flamingos. Oder besser gesagt, das Bakteriorhodopsin aus den Archaeen sammelt sich im Laufe der Zeit in den Flamingos an. Und das wiederum ist ein Protein, dass die Archeen nutzen, um Energie aus Licht zu gewinnen. Nicht genau so wie das die Pflanzen mit dem Chlorophyll tun, aber diese Details sparen wir uns jetzt. Bacteriorhodopsin ist ein Protein, das Licht absorbieren kann. Wir haben so etwas ähnliches in unseren Augen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir es irgendwann im Laufe der Evolution von den Archaeen geerbt haben. Was Bacteriorhodopsin außerdem noch ist, ist lila (deswegen nennt man das Rhodopsin in unseren Augen auch manchmal "Sehpurpur"). So wie die Pflanzen heute das grüne Chlorophyll für ihre Fotosynthese benutzen, verwenden die Archaeen das lila Bacteriorhodopsin für ihren Stoffwechsel. Und im Vergleich zum Chlorophyll ist dieses lila Protein sehr viel einfacher aufgebaut. Es ist also absolut plausibel, dass es sich im Laufe der Evolution zuerst entwickelt hat. Vor Milliarden von Jahren, als das Leben auf der Erde ausschließlich aus Mikroorganismen bestanden hat, könnten frühe Bakterien und Archaeen dieses Protein verwendet haben, um Licht zu absorbieren.
Diese Mikroorganismen sind heute in der Lage, Gewässer rosa zu färben, wenn sie in großen Mengen auftauchen. Und könnten durchaus auch die frühe Erde pink-violett eingefärbt haben. Das ist die sogenannte "Purple Earth Hypothesis", also die "Lila-Erde-Hypothese". Das muss irgendwann vor 2,5 bis 3,5 Milliarden Jahren gewesen sein. Denn, wie ich in Folge 171 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe: Dann kam die "Große Sauerstoffkatastrophe". Die ersten Mikroorganismen sind auf den Trick mit der Fotosynthese durch Chlorophyll gekommen, bei der als Abfallprodukt Sauerstoff entsteht. Dieses sehr reaktive Gas war für so gut wie alle damaligen Lebewesen enorm giftig und der absolut überwiegende Teil des Lebens starb damals aus. Nur die paar, die mit dem Sauerstoff klar kommen konnten haben überlebt und aus ihnen haben sich all die Lebewesen entwickelt, die Sauerstoff zum Leben brauchen (so wie wir Menschen). Übrig geblieben sind auch noch ein paar Mikroorganismen wie die Archaeen, die sich sauerstoffarme oder sauerstofffreie Nischen gesucht haben. Aber wenn die Erde früher wirklich lila war, ist sie spätestens mit der großen Sauerstoffkatastrophe grün geworden.
Das kann auch erklären, wieso das Chlorophyll gerade das mit dem grünen Licht nicht so gerne mag. Wenn die frühen, lila Mikroorganismen mit ihrem simpleren Farbstoff das grün-gelbliche Licht der Sonne mit der meisten Energie genutzt haben, dann musste sich die Fotosynthese mit dem Chlorophyll unter diesen Bedingungen entwickeln. Und wenn das grün-gelbe Licht schon weg ist, dann bleibt halt nur noch der blaue und der rote Anteil übrig. Erst als die Mikroorganismen mit der effektiveren Fotosynthese die Oberhand gewonnen hatten, sind die lila Lichtdiebe verschwunden. Aber grün ist das Chlorophyll halt immer noch. Ob das damals wirklich so war, wissen wir natürlich nicht.
Aber es ist durchaus plausibel, dass es so war. Und das ist auch für die Astronomie interessant, nämlich dann, wenn wir auf den Planeten anderer Sterne nach außerirdischem Leben suchen. Da suchen wir ja nicht nach irgendwelchen Alienstädten oder so. Sondern nach Mikroorganismen oder ähnlich einfachen Lebensformen. Würden wir zum Beispiel aus weiter Ferne das Licht betrachten, das die Erde von der Sonne reflektiert, dann würde wir merken, dass da was fehlt. Wir würden feststellen, das weniger rotes Licht und weniger blaues Licht ankommt, als eigentlich ankommen sollte. Und der Grund dafür sind die Pflanzen und Algen mit ihrer Fotosynthese, die sich genau diesen Teil des Lichts schnappen. Wenn das Leben aber nicht grün startet, sondern lila, dann müssen wir auch nach anderen Spuren im Licht suchen. Vielleicht werden wir irgendwann in Zukunft da draußen keine zweite Erde finden, sondern eine lila Erde!
500 Folgen Sternengeschichten
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
Sternengeschichten Folge 500: Astronomia Nova - eine neue Astronomie
Astronomie ist eine der ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Wir haben immer schon zum Nachthimmel geschaut und versucht uns vorzustellen, was da wohl passieren mag mit all den Lichtpunkten. Die moderne, wissenschaftliche Astronomie ist aber jünger. Man kann sie zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen lassen; im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, als wir angefangen haben zu verstehen, wie Atome funktionieren und was es mit der Raumzeit auf sich hat. Und damit endlich die Sterne nicht nur beobachten konnten, sondern auch herausfinden, aus was sie bestehen und wie sie funktionieren. Oder wir lassen die moderne Astronomie ein wenig früher anfangen, im 18. oder 19. Jahrhundert, als man erste Versuche mit astronomischer Fotografie gemacht hat. Aber ein wirklicher Wendepunkt hat im frühen 17. Jahrhundert stattgefunden. Im Jahr 1609 hat Galileo Galilei als erster Forscher ein Teleskop zum Himmel gerichtet und dort Dinge entdeckt, die noch nie jemand zuvor gesehen hat. Mit seinen Beobachtungen konnte er zeigen, dass es tatsächlich die Erde ist, die sich um die Sonne bewegt, so wie Kopernikus das ein paar Jahrzehnte zuvor behauptet hat. Im gleichen Jahr 1609 wurde aber auch ein Buch veröffentlicht, dass man ohne viel Übertreibung als absolut weltbewegend bezeichnen kann und auf dem die gesamte moderne Astronomie seitdem ruht. Geschrieben hat es Johannes Kepler und sein Titel ist "Astronomia Nova".
Das Leben und das Werk von Kepler ist definitiv eine oder mehrere Folgen der Sternengeschichten wert; aber heute soll es allein um sein Buch gehen. Und "Astronomia Nova" ist nur der kurze Titel. Damals waren die Titel der Bücher noch etwas länger und der volle Titel lautet: "Astronomia Nova: Neue, ursächlich begründete Astronomie oder Physik des Himmels. Dargestellt in Untersuchungen über die Bewegungen des Sternes Mars. Aufgrund der Beobachtungen des Edelmannes Tycho Brahe. Auf Geheiß und Kosten Rudolphs II. Römischer Kaiser usw. In mehrjährigem, beharrlichem Studium ausgearbeitet zu Prag von Sr. Heil. Kais. Maj. Mathematiker Johannes Kepler."
Der Titel "Astronomia Nova", die "Neue Astronomie" ist dabei definitiv nicht zu tief gestapelt. Das, was Kepler da in 70 langen Kapiteln auf sehr vielen Seiten über Jahre hinweg aufgeschrieben hat, ist tatsächlich eine neue Astronomie. Es war der Durchbruch im Verständnis, mit dem die Astronomie ihren antiken Wurzeln entwachsen und zu einer modernen Naturwissenschaft werden konnte. Die Astronomia Nova ist ohne Zweifel eines der wichtigsten Bücher der Wissenschaftsgeschichte; eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Aber wenn man es heute, über 400 Jahre später liest, dann kommt es einem ein wenig komisch vor. Es enthält durchaus revolutionäres Wissen. Aber die äußere Form unterscheidet sich massiv von dem, was wir heute von wissenschaftlichen Veröffentlichungen gewohnt sind.
Das fängt schon mit dem Anfang an, nämlich so: "Erhabenster Herrscher! Dem durchlauchtigstem Namen Ew. Heil. Kais. Majestät, sowie des ganzen Hauses Österreich Heil und Segen! Auf Geheiß Ew. Majestät führe ich endlich einmal den hochedlen Gefangenen zur öffentlichen Schaustellung vor, dessen ich mich schon vor einiger Zeit unter dem Oberbefehl Ew. Majestät in einem beschwerlichen und mühevollen Krieg bemächtigt habe.”
Ok, auch heute bedankt man sich noch bei den Organisationen die das Geld für die Forschung zur Verfügung gestellt haben. Aber eher in einer Fußnote und nicht mit so einem extremem Lob, wie bei Kepler. Aber wie gesagt, damals waren die Zeiten noch anders und Kepler war ja der Hofmathematiker von Kaiser Rudolf II. in Prag. Und mit einem Kaiser muss man vermutlich ein wenig anders umgehen. Ebenfalls außergewöhnlich ist die sehr blumige Zusammenfassung der Arbeit. Der "hochedle Gefangene" den Kepler in "mühevollen Krieg" besiegt hat und nun dem Kaiser vorführt ist nämlich der Planet Mars. Es ging darum, die Bewegung unseres Nachbarplaneten zu beschreiben und das hat Kepler in seiner Arbeit geschafft. Aber so nüchtern wie man das heute in einer wissenschaftlichen Arbeit schreiben würde, hat man das damals halt nicht gemacht. Deswegen entwirft Kepler ein paar Seiten lang eine dramatische Erzählung vom mächtigen Mars, der sich immer und immer wieder dem Verständnis entzogen hat. Beziehungsweise der "aller Machenschaften der Astronomen spottete, ihre Werkzeuge zertrümmerte, die feindlichen Truppen niederschlug", wie Kepler schreibt. In dem Tonfall geht es weiter; Kepler erzählt von Astronomen, die angeblich Dämonen beschwört hätten, um den Mars zu verstehen. Aber Kepler hat es geschafft, Kepler hat den Mars bezwungen, dank der Hilfe des edlen Kaisers und dem wird der Gefangene nun vorgeführt. Oder, ohne das ganze Gerede vom Krieg: Kepler, der Hofmathematiker von Rudolf II hat nun endlich seine jahrelange Rechenarbeit beendet, die Regeln der Bewegung der Himmelskörper formuliert und legt das fertige Werk nun seinem Chef und Förderer zur Begutachtung vor. Allein über diese Einleitung könnte man noch sehr lange reden, sie ist voll mit seltsamen Geschichten und Formulierungen. Aber wir wollen ja zur Wissenschaft und deswegen beschränke ich mich auf den Abschluss. Kepler braucht, wie alle Forscherinnen und Forscher immer schon, mehr Geld für seine Arbeit. Aber einfach zu sagen "Hey Kaiser, wie wärs mit ein bisschen Gold?" wäre vermutlich keine gute Idee. Kepler will auch gerne die anderen Planeten erforschen. Und bittet den Kaiser daher, auch noch Geld für den Krieg gegen die Familie des Mars bereit zu stellen: "Ew. Majestät: Er besitzt in den Ätherregionen viele Verwandte (Jupiter ist sein Vater, Saturn sein Großvater, Venus seine Schwester und zugleich seine Freundin, sowie schon früher sein besonderer Trost, als er in Fesseln lag, Merkur sein Bruder und treuer Unterhändler). Wegen der Übereinstimmung in der Lebensart trägt er nach ihnen und sie nach ihm großes Verlangen. Darum möchte er wünschen, daß sie wie er in Verkehr mit den Menschen treten und gleichfalls der Ehre, die im angetan wird, teilhaftig werden. Darum wolle Ew. Majestät ihm so bald als möglich seine Gefährten wiedergeben, indem der Feldzug, der nach seiner Unterwerfung weiter keine Gefahr mehr birgt, vollends entschlossen zu Ende geführt wird. Hierzu biete ich (wohlgeübt im Kampf mit dem Streitbarsten und des Geländes kundig) meine nicht unnützen und ebenso wie treuen Dienste bereitwillig an, wobei ich Ew. Kais. Majestät einzig bitte und beschwöre (…) den Schatzmeistern zu befehlen, sie mögen an den Lebensnerv des Krieges denken und mir von neuem Geld zur Werbung von Soldaten zur Verfügung stellen."
Vielleicht sollte man mal probieren, auf diese Weise auch heute Förderanträge zu stellen…
Aber schauen wir jetzt mal auf das, was Kepler im Rest des Buches geschrieben hat. Wenn man durch die Astronomia Nova blättert, dann findet man sehr viele geometrische Diagramme. Das ist nicht verwunderlich, immerhin geht es ja um die Frage der Bewegung der Himmelskörper und da kann man jede Menge Diagramme zeichnen. Was man in dem Buch aber nicht findet, sind mathematische Gleichungen. Was daran liegt, dass Naturwissenschaft damals eben noch völlig anders funktioniert hat. Natürlich gab es auch damals schon Mathematik. Aber die moderne mathematische Notation, mit den ganzen x, y, = und so weiter ist noch recht jung. Das Gleichheitszeichen zum Beispiel wurde überhaupt erst 1557 das erste Mal im heutigen mathematischen Sinn in einem Buch benutzt und es hat lange gedauert, bis es sich überall durchgesetzt hat. Kepler jedenfalls hat sein Buch so geschrieben, wie man damals über Astronomie geschrieben hat: Vor allem geometrisch, mit Diagrammen und mit Beschreibungen dieser Diagramme. Das macht die Lektüre aus heutige Sicht SEHR mühsam. Hier ist ein Beispiel: "Um diese Untersuchung durchzuführen, addiere man die bekannten Winkel GAD und DAE, um GAE zu bekommen. Im Dreieck GAE bestimme man aus diesem Winkel und den Seiten GA und AE die Seite GE. Im Dreieck GFE nun ist der Winkel GFE Peripheriewinkel; also ist der Zentriwinkel GBE doppelt so groß wie jener. Der Winkel GFE aber wurde vorher schon durch seine beiden Teile GFA und AFE ermittelt". Und so weiter, das geht so seitenweise… und im Original natürlich auf Latein und nicht auf Deutsch. Dass das auch damals nicht leicht zu lesen war, wusste Kepler selbst auch. In der Einleitung zur Astronomia Nova schreibt er: "Es ist heutzutage ein hartes Los, mathematische Bücher zu schreiben. Wahrt man nicht die gehörige Feinheit in den Sätzen, Erläuterungen, Beweisen und Schlüssen, so ist das Buch kein mathematisches. Wahrt man sie aber, so wird die Lektüre sehr beschwerlich, besonders in der lateinischen Sprache (…). Daher gibt es heute nur sehr wenig tüchtige Leser; die übrigen lehnen die Lektüre überhaupt ab. (…) Ich selber, der ich als Mathematiker gelte, ermüde beim Wiederlesen meines Werkes mit den Kräften meines Gehirns".
Und wenn schon Kepler selbst müde wird, wenn er sein eigenes Buch liest, dann kann man sich vorstellen, wie anstrengend es für die anderen sein muss und wie anstrengend es sein muss, wenn man probiert, dieses Buch heute zu lesen. Man sollte aber zumindest eine Ahnung davon, was drin steht. Denn das ist, wie gesagt, revolutionär.
Um zu verstehen warum das so ist, müssen wir zuvor noch einmal kurz schauen, wie man vor Kepler auf den Himmel geschaut und sich die Dinge vorgestellt hat. Und zwar wirklich sehr kurz, denn wir müssen in der griechischen Antike anfangen. Damals war man fest davon überzeugt, dass sich die Planeten nicht anders bewegen KÖNNEN als entlang von Kreisbahnen. Der Kreis ist die perfekte Form und die himmlischen Objekte müssen sich bei ihrer Bewegung an dieser perfekten Form orientieren. Dass das nicht ganz zu dem passt, was man beobachtet, war den Leuten damals auch schon klar. Denn wenn die Planeten sich auf perfekten Kreisen um die Erde herum bewegen, dann müssten sie sich auch immer gleich schnell bewegen und das haben sie nicht getan. Aber man hat das einfach ein wenig modifiziert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man betrachtet die Bewegung der Planeten als Kombination von kreisförmigen Bewegungen. Das sind die berühmten Epizykeln, also Kreise, deren Mittelpunkt sich selbst wieder entlang eines Kreises bewegt, um die Erde herum. Man kann das aber auch anders lösen und zwar, in dem man den Planeten sich entlang eines Kreises bewegen lässt, dessen Mittelpunkt aber nicht exakt dort ist wo sich die Erde befindet sondern ein bisschen daneben. So oder so kriegt man, von der Erde aus betrachtet, einen Planeten, der sich mal ein wenig schneller und mal ein wenig langsamer bewegt.
Nikolaus Kopernikus hat dieses geozentrische Weltbild bekanntlich dramatisch auf den Kopf gestellt und anstatt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt gesetzt. Was aber nicht ganz stimmt, denn auch er hatte Probleme, die Bewegung der Planeten, jetzt um die Sonne herum, passend zu den Beobachtungen zu beschreiben. Also schob auch er den Mittelpunkt seiner Kreise ein wenig von dem Ort fort an dem sich die Sonne befindet und ließ sie eine sogenannte "mittlere Sonne" umkreisen und nicht die reale Sonne. Epizykel brauchte er darüber hinaus auch noch, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Kepler fand das nicht gut. Wieso sollen die Planeten einen fiktiven Punkt im All umkreisen, einen Punkt, der nur mathematisch definiert ist, an dem sich aber nichts befindet? Das erschien ihm nicht richtig. Ausgestattet mit den Beobachtungsdaten seines Lehrers, dem Astronom Tycho Brahe, hat er sich also im Jahr 1600 daran gemacht, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hat sich dabei insbesondere auf die Beobachtungsdaten zum Mars konzentriert. Und war dabei ziemlich kreativ. Damals wusste man ja nicht, wie groß die Planeten sind. Welche Masse sie haben. Wie weit sie entfernt sind. Und so weiter. Aber Kepler wusste, wie Mars und Erde im Verhältnis zueinander und zur Sonne am Himmel standen. Und hat sich zuerst einmal nur die Tage ausgesucht, an denen Mars, in Bezug auf die Sonne, am gleichen Punkt des Himmels war. Die Erde stand an diesen Tagen aber in Bezug auf Mars und Sonne mal hier und mal dort. Die konkrete Mathematik dahinter war natürlich sehr knifflig, aber damit hat er es geschafft, eine gute Idee davon zu kriegen, wie sich die Erde um die Sonne bewegt. Damit konnte er jetzt die ganzen Beobachtungdaten zum Mars neu und genauer auswerten und jetzt endlich auch die Marsbahn viel besser bestimmen. Und was ich jetzt in ein paar Sätzen beschrieben habe, war in Wahrheit die Arbeit vieler Jahre, von der man in der Astronomie Nova lesen kann.
Manchmal klingt dieses Werk eher wie ein Tagebuch, in dem Kepler seine Fortschritte und Fehlschläge aufgezeichnet hat (was es ein weiteres Mal nicht leicht zu lesen macht). Aber man kann auf jeden Fall mal zwei grundlegende Ideen festhalten, an denen Kepler sich orientiert hat: Erstens ging er, wie gesagt, davon aus, dass alle Himmelskörper sich um die reale Sonne bewegen und nicht um einen fiktiven, leeren Punkt im All. Und zweitens sollten sich alle Planeten auf die gleiche Weise um die Sonne bewegen. Aber es war immer noch langer Weg bis zum Ziel.
Kapitel 39 der Astronomia Nova trägt den Titel "Auf welchem Weg und mit welchen Mitteln die Eigenkräfte der Planeten die Bewegung erzeugen müssen, damit die Bahn des Planeten im Ätherraum, wie allgemein angenommen, kreisförmig wird". Darin legt Kepler dar, dass es irgendwie nie so richtig hinhaut, wenn man probiert die Bahn der Planeten mit Epizyklen, verschobenen Kreismittelpunkten und so weiter zu erklären. Stattdessen passt es besser, wenn man den Kreis ganz sein lässt, wie er dann später in Kapitel 44 ausführt. Dort schreibt Kepler: "Die Sache liegt daher einfach so: Die Planetenbahn ist kein Kreis; sie geht auf beiden Seiten allmählich herein und dann wieder bis zum Umfang des Kreises im Perigäum heraus. Eine solche Bahnform nennt man ein Oval".
Kein Kreis! Das ist wichtig und richtig. Nicht richtig ist Keplers Idee einer ovalen Bahn. Kepler rechnet in den nächsten Kapitel lange herum und kommt immer noch nicht zu einem richtig zufriedenstellenden Ergebnis. Er vermutet schon, dass die Bahn vielleicht eine Ellipse sein könnte, verwirft den Gedanken aber dann wieder. In Kapitel 56 aber stellt er dann fest, dass er auf der falschen Fährte war. Und braucht bis Kapitel 58 für die Erkenntnis: "Wozu soll ich viele Worte machen? Die Wahrheit der Natur, die verstoßen und verjagt worden war, kam heimlich zur Hintertür wieder herein und wurde unter fremden Gewand von mir aufgenommen." Diese "Wahrheit der Natur" war die Ellipse und Kepler ärgert sich ordentlich, das nicht früher bemerkt zu haben: "Oh ich närrischer Kauz! Wie wenn die Schwankungen auf dem Durchmesser uns nicht gerade auf die Ellipse hinühren konnte! So hat mich die Einsicht nicht wenig gekostet, dass die Ellipse neben der Schwankung bestehen kann, wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird. Daselbst wird auch der Beweis geführt werden, daß für den Planet keine andere Bahnfigur übrig bleibt als eine vollkommene Ellipse."
Und das tut Kepler dann auch. Womit er nach sehr vielen Kapiteln und sehr vielen Seiten die ersten beiden seiner berühmten drei Keplerschen Gesetze formuliert hat: 1) Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne herum. Und 2) Eine von der Sonne zum Planeten gezogene Linie überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. An der Formulierung des zweiten Gesetzes merkt man übrigens noch sehr gut die stark geometrische Ausrichtung von Keplers Arbeit. Auf die Sache mit der Ellipse ist er ja gekommen, weil er nicht verstanden hat, wie er das, was diese Verbindungslinie zwischen Planet und Sonne im Laufe der Zeit treibt erklären kann, wenn man von einer kreisförmigen oder ovalen Umlaufbahn ausgeht. Erst als er die Bewegung dieser Linie vernünftig beschreiben konnte, konnte er auch auf die Ellipse kommen. Woraus folgt, dass Kepler sein zweites Gesetz vor dem ersten gefunden hat. Und das dritte über das Verhältnis der Umlaufzeiten von Planeten und ihrem Abstand zur Sonne kam überhaupt erst Jahre später in einem ganz anderen Buch.
Was Kepler in seinem revolutionären Werk nicht geschafft hat, war die Ursache für die Bewegung der Planeten zu verstehen. Er spekuliert in vielen Kapiteln darüber, was dafür sorgt, dass die Himmelskörper sich bewegen. Er ist auch schon so weit, um diese Kraft in der Sonne zu verorten: "Da also die Sonne in dem Mittelpunkt des Systems liegt, befindet sich nach dem, was bereits bewiesen wurde, die Quelle der bewegenden Kraft in der Sonne." schreibt er in Kapitel 33 und führt weiter aus: "[W]ie das Licht, das alles auf Erden erleuchtet, eine immaterielle Spezies jenes Feuers ist, das sich im Sonnenkörper befindet, so [ist] diese Kraft, die die Planetenkörper erfaßt und fortträgt, eine Spezies jener Kraft, die in der Sonne selber ihren Sitz hat und von unermeßlicher Stärke ist und so den ersten Anstoß zu jeder Bewegung in der Welt gibt". Er stellt noch weitere Vermutungen zu dieser Kraft an, kommt aber zu keinem endgültigen Ergebnis. Dabei würde in seinen Gesetzen der Planetenbewegung eigentlich schon alles stecken was man braucht, um das Gravitationsgesetz daraus abzuleiten. Das ist aber erst gut 60 Jahre später Isaac Newton gelungen. Man stelle sich vor, Johannes Kepler hätte auch das noch geschafft - dann wäre er vermutlich endgültig zum größten Wissenschaftler aller Zeiten geworden.
Aber das, was Kepler geschafft hat, war ja auch nicht Nichts. Ganz im Gegenteil. Er hat tatsächlich eine neue Astronomie geschaffen. Er konnte die Bewegung der Planeten erklären; hat das antike Dogma der Kreisbahnen gestürzt. Die Griechen gingen davon aus, es wäre klar, wie sich die Planeten bewegen müssen, und man müsse nur noch den richtigen Weg finden, die passende Mathematik zu finden, die das auch so beschreibt, wie sie es sich vorstellen. Kepler hat gezeigt, dass man sich an der Natur orientieren muss. Und dann mit Mathematik aus den Beobachtungen die passende Gesetze ableiten kann. Er hat die Grundlage gelegt, damit die Astronomie die Wissenschaft werden konnte, die sie heute ist. Und war sich durchaus bewusst, dass es nicht immer leicht ist, das Universum zu verstehen. Am Ende seines Kapitels 59 schreibt er: "Wenn jemand meint, die vorstehende Untersuchung sei deshalb schwer verständlich, weil meine Denkweise verworren ist, so gestehe ich eine Schuld meinerseits insofern ein, als ich diese Dinge nicht unberührt lassen wollte, ob gleich sie sehr schwer verständlich […] sind. Im übrigen möchte ich den Betreffenden, was den Stoff anlangt, bitten, er möge die Kegelschnitte des Apollonius lesen. Da wird er sehen, daß es Stoffe gibt, die durch keine noch so glückliche Denkweise so dargeboten werden, daß man sie beim flüchtigen Lesen versteht. Man muß viel nachdenken und das Gesagt immer und immer wiederholen".
Genau. Und wenn einer wirklich viel nachgedacht hat, dann Johannes Kepler. Das Resultat war eine Neue Astronomie.
Am 24. Juni 2022 erscheint Folge 500 der Sternengeschichten. Zu diesem Anlass gibt es eine kleine Spezialfolge in der ich mit Holger Klein über die Astronomie und den Podcast geplaudert habe.
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten außerdem und zwar in Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
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500 Folgen Sternengeschichten
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Sternengeschichten Folge 499: Das astronomische Wissen der Tiere
Am Himmel gibt es jede Menge Tiere. Ich habe schon oft von den Sternbildern erzählt und viele davon sind nach Tieren benannt. Löwe, Wasserschlange, Eidechse, Adler - dort oben findet man alles. In Folge 336 der Sternengeschichten habe ich auch von den vielen Tieren erzählt, die wir Menschen ins All geschickt haben und das, ohne das wir gefragt haben, ob sie das auch wollen. Aber heute soll es nicht um raumfahrende Tiere gehen und auch nicht um mythologische Kreaturen in unseren Himmelssagen. Sondern um echte Tiere und das, was sie über den Himmel wissen.
Tiere, so wie so gut wie alle anderen Lebewesen, sind natürlich in der Lage, grundlegende astrononomische Phänomene wahrzunehmen. Sie kennen die Rhythmen von Licht und Dunkelheit, von Tag und Nacht. Manche orientieren sich an den Mondphasen und wenn eine Sonnenfinsternis stattfindet, kann man durchaus beobachten, wie viele Tiere sich auf einmal so verhalten, wie sie es sonst nur tun, wenn es Nacht wird. Aber auch wenn der Wechsel von Tag zu Nacht oder der Wechsel zwischen Neu- und Vollmond durchaus astronomische Phänomene sind, würden wir das wahrscheinlich nicht als "astronomisches Wissen" bezeichnen. Dass Tiere die wechselnde Helligkeit ihrer Umgebung wahrnehmen können, muss nicht zwingend etwas damit zu tun haben, dass sie Sonne, Mond und andere Himmelskörper erkennen.
Was sehen Tiere, wenn sie zum Himmel schauen? Mit Sicherheit nicht das, was wir sehen. Beziehungsweise sehen sie, wenn sie etwas sehen, vermutlich etwas, das sehr ähnlich aussieht wie das, was wir sehen. Jede Menge helle Punkte an einem dunklen Himmel. Aber für uns ist dieser Anblick so gut wie immer mit dem Wissen verbunden, dass es sich um Sterne handelt; weit entfernte leuchtende Kugeln aus heißem Gas die in einem unvorstellbar großen und leeren All existieren. Dieses Wissen haben die Tiere mit Sicherheit nicht. Aber das muss ja nicht heißen, dass die vielen hellen Punkte für sie keine Rolle spielen. Und tatsächlich gibt es einige Tiere, die durchaus in der Lage sind, den Himmel auf eine Art wahrzunehmen, die überraschend ist.
Nehmen wir zum Beispiel den Afrikanischen Mistkäfer. Der macht das, was Mistkäfer halt so machen: Er sammelt den Kot anderer Tiere und rollt daraus große Kugeln. Davon ernähren sie sich und diese aus ihrer Sicht riesigen Kugeln müssen sie in ihre unterirdischen Brutkammern rollen. Das macht man idealerweise auf direktem Weg, denn wer weiß, von was man selbst gefressen wird, wenn man als kleiner Käfer zu lange durch die Gegend marschiert. Die Mistkäfer sind nachtaktiv und da ist es dunkel. Wie also finden die Tiere den direkten und geraden Weg nach Hause? Denn das tun sie, egal ob zum Beispiel gerade ein Vollmond alles hell erleuchtet oder nicht. Aber was kann so ein Käfer in dunkler Nacht sonst noch zur Orientierung benutzen? Die Sterne? Aber wie soll ein Käfer das Licht einzelner Sterne wahrnehmen?
Man hat das in Experimenten untersucht: Man hat Käfer in eine Art Arena gesetzt und geschaut, wie schnell sie es von der Mitte bis zum Rand geschafft haben. Je gerader ihr Weg, desto schneller sind sie natürlich. War der Himmel bedeckt, dann sind sie mehr oder weniger ziellos durch die Gegend marschiert. War der Himmel sternenklar, waren sie schnurstracks am Ziel. Hat man den Käfern aber kleine Kappen aufgesetzt, die sie daran gehindert haben die Sterne zu sehen, war die Orientierung wieder weg. Um zu prüfen, was die Käfer genau sehen, wenn sie zum Sternenhimmel schauen, hat man das Experiment in einem Planetarium wiederholt. Wurden da nur Sterne an den künstlichen Himmel projiziert, fanden sie keinen geraden Weg. Aber wenn man auf die Sterne verzichtet hat und ihnen stattdessen das Band der Milchstraße an der Kuppel zeigte, konnten sie die korrekte Richtung finden. Die Mistkäfer sind also tatsächlich in der Lage, die Milchstraße zu erkennen und sich daran zu orientieren!
Es sind aber nicht nur Käfer, die sich am Himmel orientieren. Schon 1970 hat der Biologe Stephen Emlen ein paar Indigofinken in ein Planetarium gebracht. Er wollte wissen, wie diese Zugvögel ihren Weg finden. Dazu hat er sie in drei Gruppen geteilt. Die erste Gruppe musste im Labor bleiben wo sie den Himmel gar nicht sehen konnte. Gruppe zwei kam nachts ins Planetarium wo sie eine Simulation des realen Nachthimmels sehen konnte. Gruppe drei durfte auch ins Planetarium, bekam aber einen Himmel zu sehen, bei dem der Himmelsnordpol nicht dort liegt, wo er sich tatsächlich befindet, nämlich beim Polarstern, sondern beim hellen Stern Beteigeuze. Gruppe zwei der Vögel sah also einen Himmel, bei dem sich im Laufe der Nacht alle Sterne um den Polarstern herum bewegen, so wie das auch in echt passiert. Für Gruppe drei hat sich der Himmel aber um Beteigeuze herum gedreht.
Jetzt hat Stephen Emlen nur noch warten müssen, bis die Vögel sich auf den Weg gemacht haben. Er hat sie natürlich nicht tatsächlich losfliegen lassen, immerhin wollte er ja noch weiterforschen. Aber mit speziellen Instrumenten konnte er aufzeichnen, in welche Richtung sie losstarten wollten. Die Vögel der ersten Gruppe - die aus dem Labor - hat keine Ahnung gehabt wo es hingehen soll. Die sind einfach zufällig in irgendeine Richtung gestartet. Gruppe zwei, die, die den echten Nachthimmel gesehen hatte, haben sich dagegen zielstrebig in Richtung Süden aufgemacht. Und Gruppe drei, die mit dem falschen Himmel? Die sind exakt dahin geflogen, wo Süden wäre, wenn Beteigeuze genau im Norden ist!
Die Indigofinken können also tatsächlich die Sterne nicht nur sehen, sondern auch erkennen, dass sie sich im Laufe der Nacht um einen Punkt herum bewegen und nutzen dann diesen Punkt - der am echten Himmel der Polarstern ist - für ihre Orientierung. Die Indigofinken machen das freiwillig und haben es quasi selbst gelernt. Aber kann man Tieren so ein astronomisches Wissen auch beibringen? Das hat man 2008 probiert und zwar mit zwei Seehunden. Man hat sie in ein schwimmendes Planetarium gesteckt und ihnen dort zuerst einmal beigebracht, auf einen hellen Punkt zuzuschwimmen. Dann hat man ihnen einen realen Sternenhimmel gezeigt und ihnen beigebracht, sich an hellen Sternen zu orientieren. Beide Seehunden haben das dann auch tatsächlich gelernt. Sie können sich also an den Sternen orientieren. Ob sie es aber auch wirklich tun, ist noch unklar.
Wie viele Tiere insgesamt in der Lage sind, die Sterne nicht nur zu sehen, sondern auch so weit zu erkennen um sich daran zu orientieren, wissen wir nicht. Aber vermutlich mehr, als wir denken. Und wenn es darum geht, die Tiere besser zu verstehen, kann übrigens auch die Astronomie etwas beitragen. Zumindest war das der Vorschlag, den die beiden Astronomen Joel Stebbins und Edward Fath im Jahr 1906 gemacht haben. In einem aus heutigen Sicht etwas obskuren Fachartikel beschreiben sie, wie man mit Hilfe von astronomischen Teleskopen herausfinden kann, wie schnell Zugvögel unterwegs sind. Zuerst erzählen sie von früheren Arbeiten, bei denen die Flughöhe der Vögel bestimmt wurde. Dazu haben zwei Menschen an unterschiedlichen Orten mit dem Teleskop den Vollmond beobachtet. Da sie dadurch natürlich auch aus einem leicht unterschiedlich Winkel auf den Mond blicken, sehen sie auch Vögel, die direkt vor der Mondscheibe vorbeifliegen unterschiedlich. Von den unterschiedlichen Positionen aus betrachtet, fliegen die Vögel in unterschiedlichen Winkel am Mond vorbei. Und weiß man, wie weit die Teleskope voneinander entfernt sind, kann man aus diesem Unterschied mit ein bisschen simpler Rechnerei die Flughöhe der Vögel bestimmen. Die übrigens deutlich weniger hoch war, als damals vermutet. Jetzt wollten Fath und Stebbins aber auch wissen, wie schnell die Vögel sind. Und haben dazu das gemacht, was man auch macht, wenn man zum Beispiel eine Sonnenfinsternis wissenschaftlich beobachtet. Da ist es ja besonders interessant, exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sich der Mond vor die Sonne schiebt bzw. wann er das Licht der Sonne wieder freigibt. Wenn man das aus unterschiedlichen Positionen beobachtet, wird das - wieder wegen der unterschiedlichen Beobachtungswinkel - zu unterschiedlichen Zeitpunkten passieren. Und wenn man diese Zeitpunkte aufzeichnet, kann man jede Menge interessante Sachen berechnen - den Abstand zwischen Sonne und Erde zum Beispiel oder eben natürlich auch die Geschwindigkeit mit der sich der Mond bewegt. Die beiden Astronomen haben nun quasi eine durch Vögel verursachte Mini-Mondfinsternis beobachtet. Sie haben also aufgezeichnet, wann die Vögel vor der hellen Mondscheibe auftauchen und wann sie wieder verschwinden. Aus der Zeit, die sie gebraucht haben, um die Mondscheibe zu überqueren und den Unterschieden bei der gleichzeitigen Messung dieser Zeit von unterschiedlichen Beobachtungspositionen aus konnten sie die Fluggeschwindigkeit berechnen.
"Hat man eine klare Nacht, einen vollen Mond, viele Vögel in der Luft und jede Menge Teleskop, dann sind das die perfekten Bedingungen um eine einfache Lösung für das Problem der Bestimmung von Flughöhe und Geschwindigkeit von Zugvögeln zu finden.", schreiben die beiden am Ende ihres Artikels. Und setzen fort: "Aber leider wird es kaum vorkommen, dass all diese Bedingungen zur gleichen Zeit erfüllt sind". Tja.
500 Folgen Sternengeschichten
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
Sternengeschichten Folge 498: Die Monde des Pluto
Heute geht es nicht um Pluto. Und schon gar nicht um die leidige Frage, ob Pluto jetzt ein Planet ist oder nicht oder sein soll oder wieder sein soll. Ist er nicht, war er auch nie, wir haben das nur sehr spät gemerkt und noch später korrigiert. Irgendwann mache ich da mal eine eigene Folge dazu; heute geht es aber um die Monde von Pluto. Denn die sind außergewöhnlich und definitiv eine Folge wert.
Pluto an sich ist schon ein sehr außergewöhnlicher Himmelskörper. Er ist das größte Objekt im Kuiper-Asteroidengürtel der sich hinter der Bahn des Neptun befindet, in den äußeren Regionen des Sonnensystems und dort befinden sich sehr viel mehr Asteroiden als im bekannteren Asteroidengürtel der sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befindet. Im Kuiper-Gürtel gibt es auch sehr viel mehr große Asteroiden und Pluto ist mit seinem Durchmesser von 2374 Kilometer der größte. Pluto selbst wurde 1930 entdeckt. Sein Mond Charon musste bis 1978 auf seine Entdeckung warten. Der amerikanische Astronom James Christy hatte 1978 ein paar Bilder von Pluto gemacht. Der ferne und kleine Himmelskörper war darauf nur als schwarzer Fleck auf weißem Hintergrund zu erkennen (in der Astronomie werden die Bilder oft invertiert damit man die Sterne als schwarze Punkte auf weißem Hintergrund besser sehen kann). Man muss schon sehr genau hinzusehen, um auf der Aufnahme von Christy zu erkennen, dass da irgendwas ungewöhnlich ist. Pluto scheint eine kleine Beule zu haben - aber eine, die nicht immer vorhanden ist. Mal kann man die Ausbuchtung gerade so sehen, mal erscheint Pluto wieder erwartungsgemäß kreisförmig. Christys Interpretation: Da ist ein Mond, der Pluto umkreist. Wenn er von uns aus gesehen gerade neben Pluto steht, sehen wir die Beule. Und wenn er gerade direkt vor oder hinter Pluto steht, dann sehen wir die Beule nicht.
Diese Interpretation stellte sich als korrekt heraus und es war klar, dass Pluto einen Mond hat. Christy wollte ihm den Namen "Charon" geben. Vor allem, weil er damit seiner Frau Charlene eine Freude machen wollte, der Spitzname ein wenig so klang wie die amerikanische Aussprache von Charon. Dass Charon auch noch eine Figur aus der griechischen Mythologie ist, der Fährmann, der die Verstorbenen über den Fluß der Toten in die Unterwelt des Hades bringt und "Hades" der griechische Name des römischen Gottes der Unterwelt ist, der dort "Pluto" heißt, war ihm nicht bewusst (sagt er zumindest) - aber es hat gut gepasst.
Charon braucht für eine Umkreisung des Pluto 6,4 Tage. Was aber nicht richtig ist. Denn genaugenommen umkreist Charon den Pluto nicht. Der Mond hat einen Durchmesser von 1212 Kilometern, was zwar weniger ist als der Durchmesser von Pluto. Aber nicht viel. Charon ist circa halb so groß wie Pluto und hat 12 Prozent der Plutomasse. Das Verhältnis ist größer als das zwischen der Erde und ihrem Mond und das ist schon außergewöhnlich groß. Der Erdmond ist noch gerade klein genug, um tatsächlich die Erde zu umkreisen. Aber bei Pluto und Charon ist das Verhältnis so groß, dass nicht der eine Himmelskörper um den anderen kreist. Sondern beide um einen Punkt, der zwischen Pluto und Charon im Weltraum liegt. Pluto und Charon zeigen auch eine wechselseitige gebundene Rotation. Das kennen wir auch von Erde und Mond: Von der Erde aus sehen wir immer die selbe Seite des Mondes. Der Grund dafür ist die Gezeitenkraft, die die Erde auf den Mond ausübt und dazu geführt hat, dass der Mond für eine Umdrehung UM die Erde exakt so lange braucht wie für eine Drehung um seine eigene Achse (was ich in Folge 319 genauer erklärt habe). Vom Mond aus betrachtet sehen wir aber im Laufe der Zeit unterschiedliche Seiten der Erde. Weil die Masse von Charon aber im Vergleich zu Pluto sehr viel größer ist als die Masse des Erdmonds im Vergleich zu Erde, hat hier die wechselseitige Gezeitenkraft dafür gesorgt, dass beide einander immer die selbe Hälfte zeigen. Von Pluto aus sieht man immer die selbe Seite von Charon und von Charon immer die selbe Seite von Pluto.
So wie Pluto ist auch Charon ein eisiger Himmelskörper. Nicht nur, weil es so fern der Sonne so kalt ist - was es ist, die Temperatur liegt auf Charon bei -220 Grad Celsius - sondern auch, weil Charon vor allem aus Wassereis mit einem vermutlich felsigem Inneren besteht. Obwohl das noch nicht sicher ist, es kann auch sein, dass Charon einfach eine homogene Mischung aus Gestein und Eis ist.
Dank der Raumsonde New Horizons, die 2015 an Pluto vorbei geflogen ist, haben wir nicht nur detaillierte Aufnahmen von Pluto, sondern auch von Charon. Und wissen auch, dass er eine sehr interessante Oberfläche hat. Um die Nordpolregion herum sieht man eine ausgedehnte dunkle Region die den Namen "Mordor" bekommen hat; inoffiziell zumindest. Wie sie entstanden ist, wissen wir noch nicht. Es kann sein, dass Stickstoff und Methan von Pluto irgendwie auf Charon gelangt sind und dort von der UV-Strahlung der Sonne in rötlich-dunkle Chemikalien transformiert worden sind. Was man dort auch gesehen hat, sind Flecken die darauf hindeuten, dass es auf Charon Kryovulkanismus gibt, als das ab und zu Eis aus dem Inneren ein wenig flüssig beziehungsweise eismatschig wird und an die Oberfläche gelangt. Ein solcher Eisvulkan könnte "Kubrick Mons" sein, ein 40 Kilometer großer und 3-4 Kilometer hoher Berg, der aber in einem circa 2 Kilometer tiefen Loch sitzt. Warum das so ist, wissen wir nicht. Aber es könnte sein, dass er durch den Kryovulkanismus immer tiefer in die Eiskruste des Charon eingesunken ist.
Charon ist aber nicht der einzige Mond des Pluto. Als man 2005 die Mission der Raumsonde New Horizons vorbereitet hat, hat man den Pluto mit dem Hubble-Weltraumteleskop genau beobachtet. Man hatte damals schon vermutet, dass da vielleicht noch mehr Monde sein könnten und wollte noch Bescheid wissen, ob das wirklich so ist, bevor man eine teure Raumsonde in die Gegend schickt. Nicht dass die dann vielleicht unerwartet einen Mond entdeckt, in dem sie dagegen fliegt… Tatsächlich konnte man auf den Bildern von Hubble dann zwei kleine Punkte entdeckten, die "Nix" und "Hydra" genannt wurden. Nix ist die griechische Göttin der Dunkelheit und die Mutter von Charon und Hydra die neunköpfige Monsterschlange, mit der Herkules kämpfen musste. Mit dem mythologischen Charon oder Pluto hat Hydra nix zu tun, aber die Anfangsbuchstaben von Nix und Hydra - N und H - waren ja auch die Anfangsbuchstaben von New Horizons und deswegen hat man sich dafür entschieden.
Im Gegensatz zu Charon sind Nix und Hydra winzige Monde. Nix ist ein wenig unförmig und circa 50 mal 30 Kilometer groß, Hydra ist nur minimal größer. Beide kreisen außerhalb von Charon um Pluto. Beziehungsweise um den gemeinsam Schwerpunkt von Pluto und Charon. Recht viel wissen wir nicht über die beiden Monde. Sie sind nicht in einer gebundenen Rotation; ganz im Gegenteil. Nix rotiert chaotisch, das heißt seine Rotationsachse schwankt unvorhersehbar hin und her; er kann ab und zu sogar komplett "umkippen". Seine Bewegung um Pluto und Charon ist ein wenig regelmäßiger, aber dazu später mehr. Auch Hydra rotiert chaotisch um seine Achse.
Wir sind aber noch nicht fertig mit den Monden. 2011 wollte man - wieder mit dem Hubble Weltraumteleskop - nachschauen, ob Pluto vielleicht Ringe hat. Weiß man ja nicht genau und bevor man die Raumsonde bei ihrem nahen Vorbeiflug aus Versehen durch ein Ringsystem schickt wollte man es lieber genauer wissen. Ringe waren nicht zu finden - dafür aber ein weiterer Mond. Noch kleiner als Nix und Hydra, nur knapp 20 Kilometer groß. Er bekam den Namen "Kerberos", benannt nach dem mythologischen dreiköpfigen Hund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Auch Kerberos rotiert chaotisch und befindet sich genau zwischen den Umlaufbahnen von Nix und Hydra.
Als man 2011 Kerberos entdeckt hat, sind die NASA-Leute dann doch wieder ein bisschen nervös geworden. Wenn sich da so lange ein kleiner Mond versteckt hat, vielleicht ist da ja noch etwas? Noch war ja ein paar Jahre Zeit, bevor New Horizons ankommen würde, also noch genug Zeit, die Flugbahn zu ändern, falls da noch irgendwo ein Mond rumhängt. Also hat man nochmal und noch genauer hingeschaut und was soll man sagen: Da war noch ein Mond. Noch kleiner als Kerberos, und diesmal wurde er Styx getauft, so wie der Totenfluss den Charon der Fährmann mit seinem Boot überquert.
Sortieren wir mal durch: Wir haben Pluto, der mit Charon um ihren gemeinsam Schwerpunkt kreist. Zwischen Charon und Pluto sind 17500 Kilometer; dann folgt schon Styx mit einem Abstand von 43000 Kilometer zum Schwerpunkt von Pluto/Charon. Als nächstes kommt Nix, mit einem Abstand von 48700 Kilometer, es folgt Kerberos mit einem Abstand von 58.000 Kilometer und ganz außen ist Hydra in 64750 Kilometer Entfernung (wir kennen die Abstände noch viel genauer, aber ich wollte nicht so unrunde Zahlen verwenden). Schaut man sich an, wie lange die ganzen Monde für ihre Runden brauchen, wird man überrascht. In der Zeit, in der Hydra zwei Runden schafft, bewegt sich Nix genau dreimal rundrum. Während Nix 9 Runden gemacht hat, hat Styx ganze 11 Runden geschafft. Oder, wenn man es ein wenig umrechnet: 11 Umläufe von Styx dauern genau so lange wie 9 Runde von Nix und 6 von Hydra.
Man kann auch noch die anderen Monde mit dazu nehmen und landet bei einem Verhältnis der Umlaufzeiten von 1:3:4:5:6, das allerdings nicht so exakt ist, wie das 11:9:6 von Styx, Nix und Hydra. Man nennt sowas eine Resonanz und ich hab schon öfter darüber gesprochen. Wie es zu dieser Ordnung der Umlaufzeiten gekommen ist, ist noch nicht ganz klar. Vermutlich hat es mit der Entstehung der Monde zu tun. Man geht heute davon aus, dass Charon und Pluto unabhängig voneinander entstanden, aber dann miteinander kollidiert sind. Oder besser gesagt: Das zwei Himmelskörper miteinander kollidiert sind und zwar so heftig, dass bestimmte gefrorene Gase aufgetaut und im All verschwunden sind, aber nicht so heftig, dass beide Himmelskörper komplett zerstört wurden. Die kleinere Monde sind vermutlich Bruchstücke dieser Kollision, die später eingefangen worden sind und deren Umlaufbahnen sich dann durch die gravitativen Störungen von Charon so verändert haben, bis sie irgendwann in der speziellen resonanten Konfiguration quasi stecken geblieben sind. Mit dieser Hypothese kann man aber nicht alle Eigenschaft erklären; wenn zum Beispiel Nix ein Bruchstuck einer Kollision ist, dann sollte seine Oberfläche nicht so hell und gut reflektierend sein, wie sie es ist.
Wir wissen halt noch nicht so viel über Pluto und seine Monde. 2015 ist die Raumsonde New Horizons einmal kurz und sehr schnell durch das System gerauscht und aus dieser einmaligen Begegnung haben wir alle Detailinformationen die wir eben haben. Natürlich können wir auch von der Erde aus mit Teleskopen hin schauen. Aber wenn wir wirklich verstehen wollen, was mit Pluto und seinen faszinierenden Monden passiert, werden wir nicht umhin kommen, uns diese Himmelskörper wieder aus der Nähe anzusehen…
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Sternengeschichten Folge 497: Wie die schwarzen Löcher zu ihren Namen gekommen sind
Schwarze Löcher sind heute ein fixer Bestandteil der astronomischen und physikalischen Forschung. Und natürlich auch der Science Fiction und Popkultur. Aber warum heißen die eigentlich so, wie sie heißen? "Schwarzes Loch" ist ja schon ein komischer Name… Wir wissen, dass es diese seltsamen Objekte da draußen im Weltall gibt. Wir verstehen sie noch nicht vollständig, aber wir verstehen genug um sie finden und erforschen zu können. Wir haben sogar Bilder von ihnen gemacht, obwohl es natürlich keine echten Bilder waren, zumindest nicht so wie das was man sich vorstellt, wenn man an ein Bild denkt. Ich hab das in Folge 334 der Sternengeschichten schon genauer erzählt und in jeder Menge anderer Folgen über die Astronomie der schwarzen Löcher gesprochen. Aber sicherheitshalber fasse ich trotzdem noch mal sehr kurz zusammen, was ein schwarzes Loch ist, bevor wir zum eigentlichen Thema dieser Folge kommen.
Ein schwarzes Loch bekommt man, wenn man ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert. Das bedeutet folgendes: Jede Masse übt eine bestimmte Gravitationskraft aus. Die Stärke dieser Kraft hängt davon ab, wie groß die Masse ist und wie nahe man dieser Masse kommt. Je mehr Masse und je näher, desto stärker ist die Kraft die man spürt. Beim schwarzen Loch kommt es vor allem auf den Abstand an. Unsere Sonne beispielsweise hat eine bestimmte Masse und eine daraus resultierende Gravitationskraft. Je näher ich der Sonne komme, desto stärker wird diese Kraft. Jetzt kann ich der Sonne aber nicht beliebig nahe kommen. Spätestens wenn ich an ihre äußeren Schichten stoße, ist es vorbei. Nicht weil ich dann verbrenne (das würde außerdem schon viel früher passieren), sondern weil ich ihr dann schlicht und einfach nicht mehr näher kommen kann. In diesem Moment spüre ich also die maximale Anziehungskraft. Aber nicht die maximal mögliche, denn der eine Teil der Sonne ist mir zwar unmittelbar nahe, sehr viel von der Sonne ist aber immer noch weit weg - die Sonne hat ja einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer und so weit ist die mir gegenüberliegende Seite entfernt. Und die weiter entfernten Teile der Sonne üben natürlich eine entsprechend geringere Anziehungskraft auf mich aus. Wenn man die Sonne aber jetzt zusammenquetscht, kann ich der GESAMTEN Masse viel näher kommen. Wenn ich die komplette Masse der Sonne in einer Kugel mit 6 Kilometer Durchmesser konzentriere, dann ist selbst der fernste Teil der Sonne logischerweise höchstens 6 Kilometer von mir entfernt. Ich spüre jetzt also eine sehr viel stärker Anziehungskraft und in diesem Beispiel ist sie so groß, dass ich mich schneller als das Licht bewegen müsste, um mich dauerhaft von der gequetschten Sonne zu entfernen. Das geht nicht und deswegen kann ich nicht fort. In diesem Beispiel IST ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert. Um die komprimierte Sonne herum bildet sich ein Ereignishorizont, also der Bereich, aus dem nichts mehr - auch kein Licht - entkommen kann. Was hinter dem Ereignishorizont passiert ist unklar, aber von außen betrachtet können wir den Ereignishorizont einfach mal als schwarzes Loch definieren.
Die Sonne ist kein schwarzes Loch; sie wird auch nie so stark komprimiert werden um sich in eines zu verwandeln. Aber größere Sterne können am Ende ihres Lebens unter ihrer eigenen Gravitationskraft so weit in sich zusammenfallen, um als schwarzes Loch zu enden. So. Wer sich ein bisschen mit Astronomie beschäftigt hat, weiß das alles vermutlich schon. Eine ganz andere Frage ist aber die nach dem Namen. Ursprünglich hat man diese Dinger nämlich ganz anders genannt.
"Schwarzschild Singularität" war ein früher Name. Der deutsche Astronom Karl Schwarzschild war einer der ersten, der die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein lösen könnte. Und mit seiner Lösung konnte er berechnen, was passiert, wenn eine Masse immer weiter in sich zusammenfällt. Dann ist sie irgendwann in einem einzigen Punkt komprimiert - sowas nennt man eine "Singularität" - und außen rum um diesen Punkt gibt es einen kugelförmigen Bereich aus dem das Licht nicht mehr entkommen kann; der Schwarzschild-Radius bzw. das, was ich vorhin "Ereignishorizont" genannt habe.
Dieser Name ist aber ein wenig unpraktisch, weil beim Schwarzschild-Radius selbst ja eigentlich keine Singularität ist; das ist einfach nur ein Abstand. Und eine Singularität ist auch nichts, was physikalisch sinnvoll ist. Eine Masse kann nicht punktförmig sein; dass sie das in den Gleichungen von Einstein ist zeigt nur, dass sie in diesem Extremfall nicht mehr richtig funktionieren.
Sowjetische Physiker, insbesondere Jakow Seldowitsch und Igor Novikov haben in ihrem Buch "Sterne und Relativität" aus dem Jahr 1967 einen besonders poetischen Namen für solche Objekte verwendet: Gefrorene Sterne. Damit wollten sie ein spezielles Phänomen beschreiben, dass mit den Effekten der allgemeinen Relativitätstheorie zu tun hat. Für eine Person, die den Kollaps eines Sterns beobachtet, scheint der in dem Moment einzufrieren, in dem er über seinen Ereignishorizont hinaus in sich zusammenfällt. Das ist quasi das letzte Bild, das man bekommt, danach erreicht uns kein Licht mehr von dort. Westliche Physiker wie John Wheeler oder Roger Penrose dagegen waren wesentlich pragmatischer und nannten die Dinger in ihrer Arbeit "kollabierte Sterne".
Aber ein schwarzes Loch ist mehr als nur ein kollabierter Stern oder ein eingefrorenes Bild. John Wheeler ging daher dazu über, den Begriff "gravitationally completely collapsed object" zu verwenden. Also "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt". Und nachdem der Name jetzt schon zweimal gefallen ist und noch öfter fallen wird, müssen wir uns kurz einmal mit John Wheeler beschäftigen. John Wheeler wurde 1911 geboren und war ein theoretischer Physiker aus den USA. Er hat beim Manhattan-Projekt mitgearbeitet, also dem Bau der amerikanischen Atombombe im zweiten Weltkrieg und war später maßgeblich daran beteiligt, die Allgemeine Relativitätstheorie zu erforschen. Insbesondere mit den schwarzen Löcher hat er sich beschäftigt; von ihm stammt auch das Konzept der "Wurmlöcher" durch die Raumzeit (aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte). Er hat auch noch jede Menge andere wichtige Sachen in der Physik gemacht; für uns aber relevant ist: Wheeler gilt als derjenige, der den Begriff "schwarzes Loch" erfunden bzw. zumindest populär gemacht hat.
Die Geschichte geht so: Im Herbst 1967 war Wheeler bei eine Konferenz der NASA in New York. Es ging um die erst ein paar Monate zuvor entdeckten Pulsare (also das, was von großen Sternen übrig bleibt die unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen, aber nicht zu einem schwarzen Loch werden sondern "nur" zu einer circa 10 bis 20 Kilometer großen Kugel von der Masse der Sonne kollabieren). Wheeler war der Ansicht, dass sich im Inneren eines solchen Pulsars vielleicht ein schwarzes Loch befinden könnte. Oder ein "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt" wie er es damals ja nannte. Aber man merkt schon, dass das ein unhandlicher Begriff ist und Wheeler stellte fest, dass er das nicht dauernd sagen konnte. Zum Glück rief da jemand aus dem Publikum: "Wie wäre es mit 'Schwarzem Loch'?" - und Wheeler war davon sofort begeistert. Schon bei seinem nächsten Vortrag ein paar Wochen später benutzte er den Begriff, im Frühjahr 1968 wurde er dann auch in der gedruckten Version des Vortrags veröffentlicht und war damit in der wissenschaftlichen Fachliteratur angekommen.
Eine schöne Geschichte - aber eine mit zwei Problemen: 1) Wir wissen nicht, wer da aus dem Publikum gerufen hat. Und 2) Sie ist in der Form vermutlich nicht richtig oder zumindest nicht exakt richtig, auch wenn sie aus der Autobiografie von Wheeler selbst stammt.
Wir wissen, dass die Konferenz über die Pulsare nicht 1967 stattgefunden hat, sondern erst im Mai 1968. Es gab zwar auch 1967 eine Konferenz bei der NASA, aber ob Wheeler da dabei war oder nicht, wissen wir nicht. Aber der Begriff "Black Hole" taucht definitiv in einem Artikel auf, der sich auf einen Vortrags Wheelers im Dezember 1967 bezieht und der 1968 unter dem Titel "Our Universe: The Known and the Unknown" erschienen ist. Darin findet man unter der Überschrift "The Black Hole" folgenden Text: "Wenn der gravitative Kollaps unausweichlich ist, wie würde der kollabierte Kern aussehen, wenn man ihn aus der Ferne betrachten könnte. Der heiße Kern leuchtet hell und sein Licht strahlt stark in das Teleskop des Beobachters. Wegen seines immer schneller und schneller ablaufenden Kollaps bewegt sich die leuchtende Materie aber auch immer schneller vom Beobachter fort. Das Licht wird zum Roten hin verschoben. Millisekunde für Millisekunde wird es schwächer und in weniger als einer Sekunde zu dunkel um es zu beobachten. Was einmal der Kern eines Sterns war ist jetzt nicht mehr sichtbar. Der Kern verschwindet wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland aus dem Blickfeld. So wie die eine nur ihr Grinsen hinterlässt, bleibt vom anderen nur die gravitative Anziehungskraft. Gravitative Anziehungskraft ja, Licht nein. Kein Licht und keine Teilchen werden abgestrahlt. Noch mehr: Licht und Teilchen von außerhalb gehen runter ins schwarze Loch um seine Masse und gravitative Anziehungskraft zu erhöhen. Hat das schwarze Loch eine Größe? Auf eine Art ja, auf eine andere Nein. Da ist nichts was man ansehen kann."
Das beschreibt schon sehr gut warum es gerechtfertigt ist, ein schwarzes Loch auch so zu nennen. Und es war definitiv Wheeler, der mit seiner Arbeit den Begriff "Schwarzes Loch" verbreitet hat. Aber erfunden hat ihn jemand anderes. In der Ausgabe des Life-Magazins vom 24. Januar 1964 findet man einen Artikel von Albert Rosenfeld. Unter dem Titel "Die neuen Rätsel des Himmels" berichtet er über eine Konferenz auf der die ebenfalls noch recht neuen "Quasare" diskutiert wurde, die damals noch mysteriösen Objekte von denen ich in Folge 455 mehr erzählt habe. Heute wissen wir, dass es sich um die aktiven Zentren ferner Galaxien handelt. Damals wusste man nicht, mit was man es da zu tun hat. Aber einige Astronomen waren der Meinung, es könnte was mit dem vollständigen gravitativen Kollaps von Materie zu tun haben. Rosenfeld schreibt, dass der "gravitative Kollaps in einem unsichtbaren 'schwarzen Loch' im Universum" resultieren würde. Offensichtlich wurde dieser Begriff bei einer Konferenz im Jahr 1963 verwendet, von der auch ein Artikel der Journalistin Ann Ewing berichtet und zwar unter dem Titel "'Schwarze Löcher' im Raum". Dieser Artikel, der am 18. Januar 1964 in der Zeitschrift "Science News Letter" veröffentlicht worden ist, stellt die erste bekannte schriftliche Verwendung des Begriffs "schwarzes Loch" dar. "Der Weltraum ist vielleicht durchsetzt mit 'schwarzen Löchern'. Das wurde auf der Tagung der American Association for the Advancement for Science in Cleveland von Astronomen und Physikern vorgeschlagen, die Experten für das sind, was man degenerierte Sterne nennt". So fängt der Artikel an - aber wir wissen immer noch nicht, wo der Name nun ursprünglich her kommt.
Wir wissen, wer für den Satz "Der Weltraum ist durchsetzt mit schwarzen Löchern" verantwortlich ist. Das war der amerikanische Astrophysiker Hong-Yee Chiu, der das bestätigt (und übrigens auch das Wort "Quasar" erfunden hat), gleichzeitig aber auch festhält, dass der Begriff "schwarzes Loch" nicht von ihm stammt. Er habe das Wort irgendwann 1960 oder 1961 gehört, in einer Konferenz und zwar von Robert Dicke. Dort hat Dicke einen gravitativ vollständig kollabierten Stern mit dem "schwarzen Loch von Kalkutta" verglichen.
So. Was hat jetzt die indische Stadt Kalkutta damit zu tun und wer ist Robert Dicke? Dicke war auch nicht niemand in der Astronomie. Er war eine derjenigen, die vorausgesagt haben, dass es eine kosmische Hintergrundstrahlung vom Urknall geben muss und war gerade dabei, sich daran zu machen, sie auch tatsächlich nachzuweisen, als Arno Penzias und Robert Wilson das 1965 quasi aus Versehen getan haben, wie ich in Folge 316 erzählt habe. Das schwarze Loch von Kalkutta dagegen hat eine ziemlich düstere Geschichte. Es handelt sich um eine winzige Zelle, die im 18. Jahrhundert von den Briten in Kalkutta im Fort William eingerichtet wurde. Beziehungsweise dort genutzt wurde, um Gefangene einzusperren. Sie war nur 4,3 mal 5,4 Meter groß und trotzdem wurden dort am 20. Juni 1756 Dutzende Gefangene hineingequetscht. 123, sagt die Geschichte; 64 sagt die moderne Geschichtswissenschaft. Auf jeden Fall aber viel zu viele und die allermeisten der Gefangenen starben. Diese tragische Geschichte von an die hundert Menschen, die auf engstem Raum zu Tode gequetscht wurde, hat Dicke dazu inspiriert, den Namen "Black Hole" auch für den Zustand zu verwenden, den ein vollständig gravitativ kollabierter Stern einnimmt. Das Robert Dicke diesen Begriff verwendet hat, bestätigen auch seine Kinder und nach allem was wir wissen, können wir also festhalten: Der astronomische Begriff "Schwarzes Loch" stammt von Robert Dicke.
Und Wheeler, der ein Kollege von Dicke war, muss ihn sicherlich irgendwo gehört haben. Wenn er schon seit spätestens 1961 von Dicke und seinem Umfeld verwendet worden ist, dann ist es eigentlich unmöglich, dass er nie davon gehört hat. Wheeler war auch bei der Konferenz dabei, bei der Hong-Yee Chiu das Wort "Black Hole" von Dicke gehört hat. Und irgendwann muss Wheeler beschlossen haben, dass das der richtige Begriff für ein gravitativ vollständig kollabiertes Objekt ist.
Tatsächlich gibt es ein Gespräch dass der brasilianische Physiker José Acácio de Barros 1996 mit Wheeler geführt hat. Darin erklärt Wheeler explizit, dass er den Begriff in seinen Gesprächen mit Dicke verwendet hat. Und dass die Person, die bei Wheelers Vortrag "Wie wäre es mit 'Schwarzem Loch'?" gerufen hat, niemand anderer als Robert Dicke war. Wahrscheinlich wollte Dicke seinem Kollegen einfach mitteilen, er solle doch endlich aufhören, den sperrigen Begriff "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt" zu verwenden und stattdessen das Wort benutzen, dass sie auch privat schon seit Jahren benutzen.
Es war also Robert Dicke, der den Begriff "schwarzes Loch" erfunden hat. Und es war John Wheeler, der es in seiner Arbeit in die wissenschaftliche Literatur eingeführt hat. Und ob man diesen Begriff nun gut findet oder doch lieber beim poetischen "Gefrorener Stern" geblieben wäre spielt längst keine Rolle mehr. Das schwarze Loch ist Teil der Astronomie und wird es auch in Zukunft bleiben.
Und die komplette Geschichte der Entstehung des Namens kann man in "The black hole fifty years after: Genesis of the name" nachlesen.
Sternengeschichten Folge 496: Antares - Das rote Herz des Skorpions
Ende Mai kann man nach Sonnenuntergang einen hell rot leuchtenden Stern aufgehen sehen. Das ist Antares und zu dieser Zeit ist er besonders gut am Himmel zu sehen; er geht erst zum Sonnenaufgang am Morgen wieder unter. Aber auch zu anderen Zeiten im Jahr ist Antares ein schöner Anblick. Sein Name erinnert nicht umsonst an "Ares", den griechischen Gott des Krieges und Gegenstück zum römischen "Mars". Ant-Ares bedeutet so viel Gegenspieler des Mars oder "Gegenmars". Eben weil der rote Stern dem Mars am Himmel so ähnlich sieht, hat man diese Beziehung auch im Namen verewigt. Antares ist auch in der Nähe der Ekliptik zu sehen; also dem Bereich des Himmels über den sich auch die Planeten bewegen. Ares und Antares, Mars und Stern kommen sich also immer wieder mal scheinbar nahe und das sieht dann ganz besonders beeindruckend aus.
Antares ist der 16. hellste Stern des Himmels und der hellste Stern im Sternbild des Skorpions. Auf arabisch wurde er deswegen auch "Herz des Skorpions" genannt - es handelt sich aber um ein ziemlich großes Herz. Antares befindet sich ungefähr 600 Lichtjahre entfernt und dass er trotzdem noch so hell am Himmel erscheint liegt daran, dass es sich um einen wirklich großen Stern handelt. Sein Radius beträgt circa das 700fache des Sonnenradius. Was bedeutet: Würde man die Sonne durch Antares ersetzen, dann würde sich die Erde tief im Stern befinden; selbst der Mars würde von Antares noch verschluckt werden. Die Masse von Antares beträgt das 12fache der Sonnenmasse und der Stern leuchtet gut 65.000 mal heller als unsere Sonne. Er ist allerdings nicht sehr heiß, an seiner Oberfläche hat es nur kühle 3200 Grad Celsius, wenig mehr als die Hälfte bei der Sonne. Genau deswegen leuchtet er auch rot und nicht gelb-weißlich, wie die heißeren Sterne.
Dass Antares kein ruhiger Stern ist, stellte man schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fest. Seine Helligkeit ändert sich was daran liegt, dass der Stern selbst pulsiert. Er kann seine Größe um bis zu 20 Prozent verändern, so wie es üblich für alte rote Überriesensterne ist, wie Antares einer ist. Solche Sterne sind schon am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Sie haben schon einen großen Teil ihres Wasserstoffs zu Helium fusioniert und auch schon das Helium weitestgehend verbrannt. Die alten Sterne brodeln und blubbern unregelmäßig vor sich hin; die Temperatur in ihrem Inneren ist nicht überall gleich; immer wieder gibt es heißere Bereiche; große Gasblasen steigen aus dem Inneren auf und wenn sie den Stern verlassen und abkühlen, kann sich daraus Staub bilden, der ebenfalls zu Helligkeitsänderungen führt.
Dass Antares ein Stern ist, der seine Helligkeit verändert, haben Menschen schon vor langer Zeit festgestellt. Zumindest die Menschen in Australien. Die Ngarrindjeri die im Südosten von Australien leben, haben sich immer schon die Geschichte von Waiyungari, dem "roten Mann" erzählt. Die jungen Männer der Ngarrindjeri durchlaufen ein Ritual an der Schwelle zum Erwachsenwerden, bei dem sie sich mit roter Erde bemalen und einige Zeit allein und isoliert verbringen, ohne Essen, Kleidung, Nahrung und Kontakt zu Frauen. In der Geschichte ist Waiyungari so ein junger Mann, der während seiner Isolation die Aufmerksamkeit zweier Frauen erregt. Blöderweise waren das die Frauen seines Bruders. Der war gar nicht so begeistert; erstens davon, dass seine Frauen so an Waiyungari interessiert waren und zweitens, dass er sich nicht an die Regeln gehalten und Kontakt mit Frauen hatte. Also hat er sie verfolgt und die Hütte angezündet, in der die drei geschlafen haben. Waiyungari warf einen Speer zum Himmel, der in der Milchstraße stecken blieb und an dem die drei hinauf klettern konnten. Waiyungari wurde ein heller roter Stern, die beiden Frauen schwächer leuchtende Sterne links und rechts von ihm. Sie sitzen direkt in der Milchstraße und gleich dort, wo auch der himmlische Emu zu finden ist, den die australischen Menschen damals in den dunklen Bereichen zwischen den hellen Sternen der Milchstraße zu sehen glaubten.
Als Forscherinnen und Forscher aus Europa diese Geschichten untersucht haben, dachten sie, der helle rote Stern könne nur der Mars sein. Aber der passt eigentlich gar nicht zur schönen Legende. Denn der Mars ist mal hier am Himmel und mal dort - aber nicht immer in der Milchstraße und beim Emu, wie Waiyungari es sein soll. Noch wichtiger: Die Ngarrindjeri erzählen, dass der rote Stern den Beginn des Frühlings symbolisiert und ab und zu ein wenig heller wird. Das sind besonders kritische Zeiten; in dieser Zeit müssen die jungen Männer und Frauen keinen Kontakt zueinander haben, denn sonst ergeht es ihnen wie Waiyungari.
Geschichten über mystische Figuren, die die Regeln der eigenen Gruppe vermitteln sollen - in dem Fall die Regel, dass man sich während des Initiationsritus vom anderen Geschlecht fern halten soll - sind nicht unüblich. Dass aber ein veränderlicher Stern darin eine Rolle spielt ist es durchaus. Und man ist sich heute durchaus sicher, dass Waiyungari der Stern Antares ist. Denn der befindet sich tatsächlich genau beim himmlischen Emu, in der Milchstraße und flankiert von Sigma Scorpii und Tau Scorpii, zwei schwächer leuchtenden Sternen. Und im Gegensatz zum Mars, der seine Helligkeit je nach Position immer wieder ändert, ändert Antares seine Helligkeit halbwegs regelmäßig und wird alle 4,5 Jahre heller. Nicht viel, aber doch so viel, dass man es mit freiem Auge sehen kann, wenn man den Himmel aufmerksam beobachtet. Was die Ngarrindjeri getan haben, die europäischen Forscherinnen und Forscher aber eher nicht, denn sonst hätten sie früher gemerkt, dass der Mars nicht zur Geschichte passt, Antares aber sehr wohl.
Die Wissenschaft interessiert sich auch für den Stern. 2017 konnte an der Europäischen Südsternwarte ein Bild des Sterns gemacht werden, dass tatsächlich auch mehr zeigt als nur einen Punkt. So detailliert wie Antares hatte man bis dahin keinen einzigen Stern gesehen, ausgenommen die Sonne natürlich. Dazu musste man die vier großen Teleskope der Europäischen Südsternwarte so zusammenschalten, dass sie wie ein einziges Teleskop funktionieren. Und konnte dann nicht nur den Stern als kleine Scheibe sehen, sondern tatsächlich auch Strukturen auf seiner Oberfläche. Nicht viel, aber eindeutig hellere und dunklere Bereiche. Man konnte auch untersuchen, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich das heiße Gas an Antares' Oberfläche bewegt. Der Stern war noch turbulenter als gedacht, sein Gas ist viel weiter hinaus ins All geströmt als man bisher angenommen hatte.
Und irgendwann in ein paar zehntausend Jahre wird das rote Herz des Skorpions ganz aufhören zu brodeln und bei einer Supernova in Form einer gewaltigen Explosion seine Existenz beenden. Sein letztes Aufleuchten wird dann auch hier auf der Erde zu sehen sein. Der Stern wird noch viel heller werden als er jetzt ist; er wird das hellste Objekt am Nachthimmel werden; noch heller als der Mond und auch am Tag als heller Lichtpunkt zu sehen sein. Nach ein paar Monaten ist aber auch das vorbei und dann hat der Gegenspieler des Ares endgültig verloren. Dann wird der Mars wieder alleine sein rotes Licht über den Nachthimmel leuchten können.
Sternengeschichten Folge 495: Lebendige Planeten - Die Gaia-Hypothese
Gibt es lebendige Planeten? Bevor irgendwelche Missverständnisse aufkommen bin ich gleich mal der Spielverderber und sage: Nein. Wir wissen, dass Lebewesen sehr, sehr klein werden können. Wenn sie ganz winzig werden, dann verschwimmt aber die Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben. Viren sind ein gutes Beispiel dafür. In gewisser Sicht sind diese Mikroorganismen lebendig; in anderer Hinsicht aber nicht. Die Biologie stimmt momentan noch überein, dass man Viren nicht mehr zum Leben zählt, ist sich aber auch nicht wirklich einig, wie man "Leben" überhaupt exakt definieren soll. Wir wollen aber heute ja eigentlich was über riesiges Leben wissen. Kann es ein Lebewesen geben, das so groß wie ein ganzer Planet ist? In der Science-Fiction gibt es so etwas immer wieder. Aber das ist eben Science Fiction. Was ist mit der Science? Keine Ahnung - wie gesagt, wir wissen nicht, wie wir "Leben" exakt definieren sollen. Aber vermutlich kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass es KEINE planetengroßen Lebewesen gibt.
Aber vielleicht kann es sich lohnen, einen Planeten in seiner Gesamtheit wie ein Lebewesen zu betrachten. Das jedenfalls hat sich der Chemiker, Mediziner und Physiker James Lovelock gedacht. 1965 war er gerade dabei für die NASA nach Methoden zu suchen, wie man Leben auf dem Mars nachweisen könnte. Die Grundidee war damals - wie heute - nach Auffälligkeiten in der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre zu suchen. Die damals schon vorhandenen Daten zeigten, dass die Atmosphäre des Mars in einem chemischen Gleichgewicht war. Das heißt, sehr vereinfacht gesagt, man schmeißt jede Menge Gase beziehungsweise chemische Stoffe in ein abgeschlossenes System und lässt sie miteinandern reagieren. Und dann passiert was oder nicht. Wenn nichts passiert, kann das daran liegen, dass halt nichts passiert, weil die Chemikalien nicht miteinander reagieren. Das ist es aber nicht, was hier gemeint ist. Sondern dass bestimmte Reaktionen ablaufen und gleichzeitig auch bestimmte Gegenreaktionen und zwar in beide Richtungen gleich schnell. Während eine chemische Reaktion einen bestimmten Stoff verbraucht wird er von einer anderen Reaktion im gleichen Maße produziert. Von außen betrachtet scheint sich nichts zu ändern; das System ist im Gleichgewicht - im Detail passiert aber jede Menge.
Beim Mars sah das damals so aus; die Gase in seiner Atmosphäre waren in so einem Gleichgewicht. Auf der Erde aber nicht. Hier war Leben und dieses Leben hat in das chemische Gleichgewicht eingegriffen. Ausgehend von diesen Gedanken hat Lovelock in den 1970er Jahren, gemeinsam mit der Biologin Lynn Margulis, seine "Gaia-Hypothese" formuliert. Ursprünglich nannte er sie "Erd-Feedback-Hypothese" und vermutlich wäre es besser gewesen, er hätte diesen Namen behalten. Aber dazu später mehr. Kurz gesagt geht es bei der Gaia-Hypothese um folgendes: Schaut man sich die Erde an und betrachtet dabei nicht nur die ganze nicht-lebendige Materie aus der sie besteht sondern auch alles was lebendig ist, dann kann man sie als eine Art von "Superorganismus" interpretieren. Durch diverse Feedback-Mechanismus beeinflussen sich Lebewesen und ihre Umwelt so, dass die Bedingungen für das Leben optimal bleiben.
Mit einem Beispiel wird es vielleicht klarer: Seit das Leben auf der Erde vor mehr als 3 Milliarden Jahren entstanden ist, ist die Leuchtkraft der Sonne um circa 25 bis 30 Prozent gestiegen. Für einen Stern ist sowas normal, das liegt an den Kernfusionsvorgängen in seinem Inneren. Aber wenn die Sonne immer mehr Energie abstrahlt, dann müsste eigentlich auch die Erde immer wärmer werden. Ist sie aber nicht. Ok, die Temperaturen haben sich natürlich im Laufe der Zeit verändert; es gab Eiszeiten und es gab Phasen in der Vergangenheit wo es sehr viel wärmer war als heute. Aber prinzipiell ist die Temperatur innerhalb gewisser Grenzen konstant geblieben und nicht analog zur Leuchtkraft der Sonne angestiegen. Eine Möglichkeit das zu erklären ist die sogenannte "CLAW-Hypothese". Die nichts mit dem englischen Wort für "Klaue" zu tun hat; das CLAW steht für die Namen der Leute die sie entwickelt haben: Robert Charlson, James Lovelock, Meinrat Andrae und Stephen Warren. Und funktionieren tut das ganze so: Algen im Meer produzieren unter anderem eine bestimmte Schwefelverbindung. Durch Bakterien und durch diverse chemische Prozesse im Meerwasser wird diese Verbindung verändert und ein Teil dampft langsam in die Atmosphäre ab. Dort sorgen diese Aerosole dafür, dass die Sonneneinstrahlung vermindert wird. Also: Mehr Sonnenenergie heißt mehr Algen heißt mehr Aerosole in der Atmosphäre wodurch die Sonneneinstrahlung sinkt, die Algen weniger werden, weniger Aerosole freigesetzt werden und die Sonneneinstrahlung wieder stärker wird. So hat man quasi einen Thermostaten, der die Temperatur der Erde regelt und er funktioniert nur, weil es Lebewesen - Algen und Bakterien - gibt. Das Leben sorgt also dafür, dass es weiterhin lebensfreundliche Bedingungen gibt und die Erde nicht zu heiß wird (ok, das, was wir Menschen gerade mit der Erde anstellen ist eine ganz andere Sache, aber auch dazu später mehr).
Und wenn das in diesem Bereich funktioniert, warum dann auch nicht anderswo. Zum Beispiel beim Salzgehalt der Ozeane. Auch der ist ist im wesentlichen konstant, bei etwas über 3 Prozent. Aber es werden ja eigentlich durch die Flüsse ständig Mineralien in die Meere gespült die den Salzgehalt erhöhen. Im Laufe der Jahrmillionen sollten unsere Meere eigentlich komplett versalzen und lebensfeindlich geworden sein. Sind sie aber nicht. Weil sich zum Beispiel seichte Lagunen bilden können, wo sich Meerwasser sammelt, verdunstet und Salzablagerungen zurück bleiben. Das entsalzene Wasser geht in die Atmosphäre und kommt als frischer Regen wieder zurück und ohne Salz ins Meer. Und wie entstehen Lagunen? Durch Riffe und die werden von diversen Lebewesen gebaut. Auch Algen können dafür sorgen, dass der Salzgehalt der Meere sinkt.
Beim Sauerstoff in der Atmosphäre ist es ähnlich. Das ist ein extrem reaktives Gas; immerhin können wir es verbrennen und sogar explodieren lassen. Sich selbst überlassen reagiert es sehr schnell mit allem - aber trotzdem ist der Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre vergleichsweise konstant - weil Lebewesen ständig neuen Sauerstoff produzieren. Auch bei der Menge an CO2 sorgt das Leben für eine Regulierung. Jede Menge Mikroorganismen haben Skelette aus Kalk, wozu sie Kohlenstoff benötigen, den sie sich u.a. aus den Meeren und der Atmosphäre holen. Und wenn sie dann sterben, lagert sich der Kohlenstoff in den Gesteinsschichten ein und kommt nicht mehr zurück in die Atmosphäre. Andere Organismen - Flechten zum Beispiel - sorgen dafür, dass Gestein verwittert und Kohlenstoff freisetzt. Sieht man wieder mal von uns Menschen ab, dann sorgt das Leben also auch hier für ein Gleichgewicht.
Ist die Erde also wirklich ein sich selbst regulierender Superorganismus der dafür sorgt, dass es dem Leben gut geht? Na ja. So einfach ist die Sache leider nicht. Es gibt jede Menge Kritik an der Gaia-Hypothese. Zum Beispiel, dass sie ein zielgerichtetes Konzept der Evolution voraussetzt, dass es so nicht gibt. Evolution ist Zufall und sie richtet sich nicht daran aus, was für das große Ganze am besten ist. Sie funktioniert auf der Ebene individueller Gene; was für den Rest des Planeten gut ist oder nicht interessiert die Evolution nicht. Man kann auch darüber diskutieren, ob die Regulation wirklich so super funktioniert wie es scheint. Die Erde war früher ein paar mal komplett gefroren; wie ich in den Folgen über den "Schneeball Erde" ja schon erzählt habe. Und auch ansonsten passen nicht alle geologischen und paläontologischen Details so super. Es hat Lovelock auch nicht geholfen, dass er seine Hypothese nach der griechischen Erdgöttin Gaia benannt hat; vor allem nicht in den doch eher esoterik-dominierten 1970er Jahren. Auch wenn er das überhaupt nicht beabsichtigt hatte, haben viele in der Wissenschaft das für eine Art von komischer Naturreligion gehalten und außerhalb der Wissenschaft haben entsprechende Leute dieses Missverständnis dankend aufgegriffen um tatsächlich irgendwelche esoterisch-religiösen Konzepte über "Mutter Erde" mit Lovelocks Wissenschaft zu belegen.
Mittlerweile gibt es sogar das Gegenstück der Gaia-Hypothese; nämlich die "Medea-Hypothese", die der Paläontologe Peter Ward 2009 vorgestellt hat. Die besagt, dass Leben enorm schlecht für einen Planeten sein kann. Als zum Beispiel die ersten Mikroorganismen auf den Trick mit der Sauerstoffproduktion kamen, war das eine gewaltige Katastrophe. Eben weil Sauerstoff so ein reaktives Gas ist, war es für so gut wie alle Lebewesen extrem giftig. Zuvor waren sie wunderbar ohne Sauerstoff ausgekommen; jetzt war die Welt auf einmal voll mit Gift. Es gab das größte Massensterben der Geschichte und nur die paar, die mit Sauerstoff klar kommen konnten haben überlebt und deswegen leben wir halt jetzt in einer Sauerstoffatmosphäre. Es gibt ähnliche Ereignisse in der Erdgeschichte und man kann durchaus auch die menschlichen Aktivitäten die zur Klimakrise geführt haben in diese Reihe stellen.
Es ist unbestritten dass es auf der Erde Feedbackmechanismen gibt, wie zum Beispiel die CLAW-Hypothese. Aber daraus auf die Existenz eines "Superorganismus" zu schließen, der dafür sorgt, dass es dem Leben gut geht, ist ein wenig zuviel. Die Gaia-Hypothese wird weiterhin in der Biologie diskutiert; eben weil vieles daran interessant und relevant ist. Aber die Erde ist nur insofern ein lebendiger Planet als sie ein Planet ist, auf dem Leben existiert. Und wenn wir die ganzen Feedback-Mechanismen besser verstehen; wenn wir wissen, wie Leben mit seinem Planeten wechselwirkt, dann steigt auch unsere Chance, irgendwo im All eine "zweite Erde" identifizieren zu können.
Sternengeschichten Folge 494: Die höchsten Berge des Sonnensystems
Ich dachte, wir machen heute einen kleinen Ausflug. Ein bisschen wandern, hinauf auf die Berge. Und dabei beschränken wir uns nicht nur auf die, die hier bei uns auf der Erde rumstehen. Sondern schauen auch, was anderswo im Sonnensystem an Erhebungen zu finden ist. Das ist aber leichter gesagt als getan. Selbst auf der Erde hat es ja eine Zeit lang gedauert bis wir rausgefunden haben, wie hoch die ganzen Berge sind. Dass etwa der Mount Everest nicht einfach nur ein hoher Berg ist sondern tatsächlich der höchste Berg der Erde hat man erst 1852 entdeckt. Und wenn man ganz genau ist, kann man auch darüber streiten, ob der Everest wirklich der höchste Berg der Erde ist. Wir haben uns darauf geeinigt, die Höhe von Bergen in Metern über dem Meeresspiegel zu messen. Und der Gipfel des Everest liegt 8848 Meter über dem Meer, was weiter oben ist als alle anderen Berggipfel. Aber eigentlich ist das unfair gegenüber all den Bergen, die nicht mitten am Land stehen sondern am Meeresboden. Da gibt es auch jede Menge und einige davon sind so hoch, dass sie über das Wasser hinaus ragen. Der Mauna Kea auf Hawaii zum Beispiel. Von seinem Gipfel bis zum Meer sind es nur 4205 Meter. Aber der Berg geht unter Wasser weiter; sehr viel weiter. Wenn man den kompletten Berg, von seiner Basis bis zur Spitze misst, dann kommt der Mauna Kea auf 10.203 Meter und ist damit deutlich höher als der Everest. Und was ist mit dem Chimborazo in Ecuador? Sein Gipfel liegt 6263 Meter über dem Meeresspiegel. Das ist auch seine komplette Höhe; er ragt nicht aus dem Meer heraus. Aber er befindet sich ganz in der Nähe des Äquators. Und die Erde ist am Äquator ein wenig dicker; wenn man also den Abstand vom Berggipfel bis zum Erdmittelpunkt misst, dann gibt es keinen Punkt auf der Erdoberfläche auf dem man weiter vom Mittelpunkt der Erde weg ist als am Gipfel des Chimborazo.
Es ist also schwer genug den Überblick über die hohen Berge der Erde zu behalten. Auf anderen Himmelskörpern wird es nicht leichter. Viele davon haben wir noch nicht so gut erforscht um wirklich wissen zu können, wie hoch sie genau sind. Viele außerirdische Berge haben wir noch nicht einmal entdeckt. Und bei denen, die wir gefunden haben, haben wir ähnliche Probleme ihre Höhe zu definieren wie auf der Erde. Das fängt schon mit dem fehlenden Wasser an. Einen Meeresspiegel, den wir als Referenz für Höhenangaben heranziehen können, gibt es nur auf der Erde. Auf anderen Himmelskörpern kann man die Höhe von Bergen entweder so messen wie ich es gerade beim Mauna Kea erklärt habe, also von der Basis des Bergs bis zu seiner Spitze. Oder man definiert einfach eine fiktive Referenzfläche um sich quasi einen künstlichen Meeresspiegel zu schaffen.
Es ist also nicht möglich, eine verlässliche Top-10-Liste der höchsten Berge des Sonnensystems zu präsentieren. Dafür gibt es zu viel Interpretationsspielraum bei dem, was man als "Höhe" eines Berges definieren will. Deswegen werde ich das auch gar nicht erst versuchen sondern jetzt einfach ein wenig über Berge sprechen, die definitiv sehr, sehr hoch sind. Und beeindruckend genug, auch wenn sie nicht in einem Ranking kategorisiert werden.
Aber wenn es so ein Ranking für das Sonnensystem geben würde, dann wäre der Olympus Mons auf dem Mars mit ziemlicher Sicherheit sehr, sehr weit oben in dieser Liste. Man kann sich kaum vorstellen, was das für ein gewaltiger Berg ist. Wenn man sich Satellitenaufnahmen ansieht, dann erscheint der Olympus Mons eigentlich gar nicht so gewaltig. Aber das täuscht. Der Olympus Mons ist nicht einfach nur hoch, er ist vor allem auch gewaltig groß. Würde man ihn hier auf die Erde stellen, dann könnte man fast ganz Frankreich darunter verschwinden lassen. Die Basis des Bergs ist ziemlich genau so groß wie Polen. Wenn man an einem Ende hinauf geht und am anderen Ende wieder runter, wäre man danach gut 600 Kilometer vom Ausgangspunkt entfernt! Und hätte dazwischen einen ziemlich gewaltigen Aufstieg absolviert. Startet man von der westlich des Olympus Mons liegenden Ebene Amazonis Planitia, dann hat man bis zum Gipfel 26.000 Höhenmeter vor sich; bezogen auf die künstliche Referenzebene des Mars hat der Berg eine Höhe von 21 Kilometern. Und ist nicht nur ein Berg, sondern ein Vulkan. Entstanden ist er vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren, ob er heute noch aktiv ist, ist unbekannt. Lavaströme die man in seiner Umgebung beobachtet hat, sind aber nur 2 Millionen Jahre alt, was aus geologischer Sicht nicht viel ist. Der Krater am Gipfel des Olympus Mons hat einen Durchmesser von 90 Kilometern und ist 3 Kilometer tief. Zum Vergleich: Darin könnte man die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschlands so verstecken, dass ihr Gipfel nicht herausschaut.
Angesichts der gewaltigen Ausmaße des Olympus Mons ist es schwer vorstellbar, dass es irgendwo anders noch einen Berg geben könnte, der ihm den Titel "Höchster Berg des Sonnensystems" streitig macht. Ist aber so. Und zwar der Zentralberg des Rheasilvia-Kraters. Dass es diesen Krater überhaupt gibt wissen wir erst seit 1997; seinen Namen hat er aber erst 2011 bekommen und auch erst seit damals wissen wir, dass er ziemlich hoch ist. Der Rheasilvia-Berg liegt nämlich nicht auf dem Mars sondern befindet sich auf dem Asteroid Vesta. Bis zur Ankunft der Raumsonde Dawn dort im Juli 2011 hatten wir nur sehr unscharfe Bilder dieses Asteroiden die kaum Details der Oberfläche gezeigt haben. Aber dank Dawn wissen wir mittlerweile sehr gut, was dort alles zu finden ist. Unter anderem eben der Rheasilvia-Krater mit einem Durchmesser von 505 Kilometer. Was vielleicht nicht so beeindruckend klingt, aber sehr beeindruckend ist, vor allem wenn man bedenkt dass der Asteroid Vesta selbst nur einen Durchmesser von 569 Kilometer hat. Wahrscheinlich ist vor ungefähr einer Milliarde Jahre ein ziemlich großes Trumm mit Vesta kollidiert und hat dabei den Krater geschaffen. Einen Krater, dessen Wand bis zu 12 Kilometer über die umliegenden Regionen hinaus ragt - hoch genug, um den Mount Everest UND den Mauna Kea dahinter zu verstecken - und wie alle großen Krater hat er auch einen Zentralberg in der Mitte. Beim Einschlag eines großen Objekts verhält sich das Gestein ja kurzfristig so wie eine Flüssigkeit. Und wenn man zum Beispiel einen Stein ins Wasser wirft, dann spritzt danach ja auch aus der Mitte des Einschlagspunkts ein wenig Wasser nach oben. Nur dass im Falle eines Kraters dieser "Spritzer" dann eben wieder fest wird und einen Berg bildet (ich hab das in Folge 220 der Sternengeschichten genauer erklärt). Der Zentralberg im Rheasilvia-Krater hat einen Basis mit einem Durchmesser von 200 Kilometer und eine Höhe von 20 bis 25 Kilometer. Je nachdem auf welche Weise man das mit dem Olympus Mons vergleicht ist Rheasilvia also höher oder niedriger.
Ob das, was man auf dem Saturnmond Iapetus finden kann, ein Berg ist, ist unklar. Eher handelt es sich um eine ganze Gebirgskette, der exakte Begriff dafür ist "Äquatorialkamm". So bezeichnet man eine Erhebung die dem Verlauf des Äquators eines Himmelskörpers folgt. Oder anders gesagt: Ein Gebirge, das einmal um den Himmelskörper herum läuft. Wir haben sowas bis jetzt nur bei Monden des Saturns gefunden und wissen noch nicht wirklich, wie sie entstehen. Vielleicht hatten diese Monde eigene Ringe, die irgendwann instabil geworden sind und als das ganze Material auf den Planeten gestürzt ist, haben sie Gebirgskette gebildet? Vielleicht handelt es sich um Eis, dass aus dem Inneren des Planeten an die Oberfläche gesteigen ist. Vielleicht hat es mit der Entstehung der Monde zu tun? Wir wissen es nicht, aber wir wissen, dass der Äquatorialkamm von Iapetus bis zu einer Höhe von 20 Kilometer reicht, ganz ordentlich für einen Mond mit einem Durchmesser von knapp 1500 Kilometer.
Auch andere Monde haben hohe Berge. Der Jupitermond Io etwa kann mit den Boösaule Montes aufweisen, die gut 18 Kilometer hoch sind. Der Uranusmond Oberon hat eine 11 Kilometer hohe Erhebung. Über den 7 Kilometer hohen Berg auf dem Saturnmond Mimas habe ich ja erst in Folge 489 erzählt. Selbst auf dem Mond gibt es Erhebungen die mehr als 10 Kilometer über die Mondoberfläche hinauf reichen. Die meisten hohen Berge findet man aber definitiv auf dem Mars. Olympus Mons ist der größte, aber nicht der einzige gigantische Vulkan der dort rumsteht. In seiner Nachbarschaft kann man auch noch Ascraeus Mons (18 Kilometer hoch), Arsia Mons (14 Kilometer) und Pavonis Mons (12 Kilometer) besteigen. Abseits dieser vulkanreichen Tharsis-Region gibt es noch Elysium Mons mit 12,5 Kilometern und das waren jetzt nur die, die über 10 Kilometer Höhe erreichen… Aber wie kommt eigentlich gerade der kleine Mars zu solch großen Bergen? Warum gibt es auf Asteroiden und Monden solche gigantischen Berge und auf der Erde nicht?
Das hat vor allem zwei Gründe. Zuerst einmal hat die Erde eine Atmosphäre mit jeder Menge Wind und Wetter. Was durchaus gut ist, denn ansonsten könnten wir hier nicht leben. Sie sorgt aber auch für Erosion, das heißt im Laufe der Jahrmillionen werden Berge langsam aber sicher abgeschliffen und abgetragen, bröckeln auseinander, und so weiter. Viel wichtiger ist aber die Masse der Erde. Ein Berg ist ja kein Turm. Je höher ein Berg ist, desto größer muss seine Basis sein. Und je größer die Basis, desto größer ist auch das Gesamtgewicht des Berges. Die Masse der Erde zieht den Berg an, so wie alles andere. Und wenn der Berg zu schwer ist, dann ist der Druck auf die Basis zu stark, das Gestein dort wird flüssig und der Berg sackt in die Erde ein. Man kann berechnen wie groß ein Berg unter Bedingungen werden kann, die auf der Erde herrschen und kommt dann auf eine Höhe von knapp 10 Kilometern. Was der Höhe von Everest oder Mauna Kea entspricht; wir haben also schon so hohe Berge wie wir hier kriegen können. Auf Himmelskörpern die kleiner sind als die Erde und weniger Masse haben, wie eben auf dem Mars, da können Berge viel höher wachsen. Auf sie wirkt eine geringere Gravitationskraft und deswegen können sie größer werden.
Wem die Berge auf der Erde also nicht hoch genug sind, wird wohl oder übel auf einen anderen Himmelskörper auswandern müssen…
Sternengeschichten Folge 493: Siriometer und Andromede
Heute geht es in den Sternengeschichten um Siriometer und Andromede. Und auch noch um Macron, Astron und ein paar andere komische Wörter. Die heben wir uns aber für später auf und fangen mit dem Siriometer an. Was soll das sein? Klingen tut es wie ein Gerät, mit dem man irgendwas misst. Aber was? Den Sirius? Siriuse? Sirius ist ein Stern, ein ziemlich interessanter, ok - aber wieso kriegt er ein eigenes Messgerät und die anderen Sterne nicht?
Um das zu klären müssen wir ein Thema betrachten, von dem ich in den Sternengeschichten schon öfter erzählt habe. Es geht um die Entfernung zu den Sternen. Lange Zeit war die völlig unbekannt. Ich hab schon einige Male erklärt, wie kompliziert es ist, das Universum von der Erde aus in all seiner dreidimensionalen Pracht zu sehen. Weil sehen tun wir den Himmel eigentlich nur zweidimensional. Es sieht so aus, als wäre da eine Kuppel über der Erde aufgespannt an der jede Menge kleine Lampen hängen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich dass die Menschen genau das lange Zeit auch gedacht haben. Dass da eine Kuppel über der Erde ist beziehungsweise dass die Erde im Zentrum einer enormen Kugelschale sitzt, an der die Sterne befestigt sind. Vor ein paar hundert Jahren ist uns klar geworden, dass das nicht stimmen kann. Aber wir haben immer noch nicht gewusst, wie weit die Sterne weg sind. Weil wir sehen ja nur unterschiedlich helle Lichter. Es hat lange gedauert, bis wir das mit der Entfernungsbestimmung geschafft haben. Davon habe ich in Folge 19 erzählt; 1838 war es, als es Friedrich Wilhelm Bessel gelungen ist, die Parallaxe eines Sterns zu bestimmen.
Und zur Sicherheit wiederhole ich das mit der Parallaxe nochmal. Die Erde bewegt sich um die Sonne, so viel war auch 1838 schon einigermaßen klar. Das bedeutet aber, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr an unterschiedlichen Orten im Sonnensystem steht. Und wir daher aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die fernen Sterne schauen. Und wenn das so ist, dann müssten wir eigentlich sehen können, wie sich die etwas näher gelegenen Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne scheinbar bewegen. Das muss so sein; das kann man auch leicht selbst bei etwas alltäglicheren Situationen ausprobieren. Wenn man mit dem Fahrrad eine Straße entlang radelt, dann sieht man wie die nahen Bäume sich scheinbar in Bezug auf die fernen Berge im Hintergrund bewegen. Oder die nahen Häuser in Bezug auf die fernen Häuser, falls man gerade durch eine Stadt radelt. Weil man eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln schaut und die nahen Objekte mal vor dem einem Hintergrund sieht und mal vor einem anderen, je nachdem wo man sich selbst gerade befindet.
So ist es auch bei den Sternen, nur sind die halt sehr, sehr, sehr weit entfernt. Die scheinbare Positionsänderung ist winzig und deswegen hat es so lange gedauert, bis man das endlich mal auch messen konnte. Bessel hat das als erster getan und heute tun wir das bei Milliarden von Sternen. Und jetzt, wo wir die Entfernungen kennen, müssen wir die auch irgendwie angeben. Auf der Erde geben wir Entfernungen in Kilometern an. Oder Metern, manchmal auch Zentimeter oder Millimeter. Aber im Weltall wird es schwierig. Ok, wenn es um Abstände in unserer Nachbarschaft geht, dann ist das noch halbwegs praktikabel. Der Mond ist gut 400.000 Kilometer weit weg. Die Sonne schon 150 Millionen Kilometer. Das kann man sich zwar nicht mehr anschaulich vorstellen - aber immerhin sind die Zahlen noch halbwegs fassbar. Aber Sirius zum Beispiel ist 86 Billionen Kilometer weit weg. Das ist eine große Zahl und mit der kann man wirklich nichts mehr anfangen. Und Sirius ist noch ein vergleichsweise naher Stern. Wenn wir vernünftig arbeiten wollen und auch halbwegs verstehen möchten, wie weit die Sterne weg sind, braucht es andere Einheiten.
Womit wir jetzt beim Siriometer sind. Das ist nämlich kein Gerät, sondern eine Entfernungseinheit. Ausgedacht hat sie sich der berühmte Astronom Friedrich Wilhelm Herschel, der im 18. Jahrhundert auch den Planeten Uranus entdeckt hat. Er wollte auch die Entfernungen zu den Sternen messen, was aber technisch damals nicht möglich war. Aber zumindest so halbwegs rauskriegen wollte er es doch. Also hat er sich gesagt: Wir gehen einfach mal davon aus, dass alle Sterne mehr oder weniger gleich viel Licht ausstrahlen. Dann müssen Sterne, die wir hell am Himmel wahrnehmen näher sein als die, die weniger hell erscheinen. Und Sirius ist der hellste Stern am Nachthimmel, den nehmen wir mal als Referenzstern, mit dem wir alle anderen vergleichen. Sirius ist ein "Siriometer" weit weg. Und ein Stern, der ein Viertel so hell erscheint wie Sirius muss zwei Siriometer weit weg sein. Weil die Helligkeit mit dem Quadrat des Abstands sinkt: Doppelt so weit weg, viermal weniger hell.
Das war eigentlich keine schlechte Idee. Wenn denn die Sterne wirklich alle gleich viel Licht ausstrahlen, was sie aber nicht tun. Deswegen waren Herschels Ergebnisse auch nicht sonderlich gut. Die Idee des Siriometer blieb aber. Denn man brauchte ja immer noch irgendeine Einheit für die Sterndistanzen. Basierend auf dem Siriometer schlug der deutsche Astronom Hugo von Seeliger die "Siriusweite" vor. Damit ist die Entfernung eines Stern gemeint, der gerade so weit weg ist, dass seine Parallaxe 0,2 Bogensekunden beträgt. Was heißt das? Die Parallaxe ist die scheinbare Positionsänderung die sich ergibt, wenn man ihn von der Erde aus zu zwei Zeitpunkten betrachtet, die 6 Monate auseinander liegen. Oder, ein bisschen weniger verwirrend: Wir schauen einmal zum Stern hin und messen seine Position. Dann warten wir, bis die Erde genau auf der anderen Seite ihrer Umlaufbahn angelangt ist. Dann befinden wir uns knapp 300 Millionen Kilometer von der ersten Beobachtungsposition weg (so groß ist der Durchmesser der Erdbahn) und schauen nochmal. Jetzt wird der Stern eine andere Position haben und den Unterschied misst man in Grad. Bogensekunden sind ein bisschen knifflig zum Vorstellen (dazu kommen wir später noch), darum erkläre ich es nochmal. Wenn wir uns einmal im Kreis drehen, dann haben wir insgesamt einen Bereich von 360 Grad beobachtet; das ist noch simpel. Ein Grad können wir jetzt in 60 Stücke unterteilen, die nennt man Bogenminuten. Und jede Bogenminute hat nochmal 60 Bogensekunden. Und bei unserer Messung ist der Stern nicht mal eine volle Bogensekunde scheinbar am Himmel entlang gehüpft, sonder nur 0,2 Bogensekunden. Das ist wirklich wenig. Der Vollmond überdeckt einen Bereich am Himmel der 0,5 Grad entspricht, beziehunsgweise 30 Bogenminuten oder 1800 Bogensekunden. 0,2 Bogensekunden sind knapp ein 10.000stel der scheinbaren Größe des Vollmonds am Himmel. Eine Parallaxe von 0,2 Bogensekunden entspricht zwar nicht der Entfernung von Sirius, aber einer Entfernung von 1,03 Millionen Erdbahnradien. Was Seeliger ziemlich super fand und auch der schwedische Astronom Carl Charlier, der vorschlug, das ein wenig zu runden und ein Siriometer auf 1 Million Erdbahnradien festzulegen. Sirius wäre dann laut Charlier einen halben Siriometer weit weg, die helle Wega 2,2 Siriometer, Beteigeuze wäre 6,9 Siriometer entfernt, und so weiter. Eigentlich ganz nett, alles schön handliche Zahlen.
Andere Astronomen fanden es schöner, wenn man die Entfernungseinheit mit einer Parallaxe von 0,1 Bogensekunden definiert und haben das auch getan. Aber warum sollte man alles am Sirius festmachen? Warum nicht den Andromedanebel nehmen. Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als all diese Diskussionen geführt wurden, dachten ja viele noch, dass das ein nebelartiges Gebilde und gar nicht so weit weg ist. Und hübsch ist das Ding auch, als definieren wir einfach den Abstand zum Andromedanebel als ein "Andromede" und nehmen das als Entfernungseinheit für Sterne. Blöd nur, dass niemand so genau gewusst hat, wie weit die Andromeda weg ist. Damals zumindest und das hat auch Heber Curtis beschäftigt. Der amerikanische Astronom gehörte zu denen, die davon ausgingen, dass es noch jede Menge andere, enorm weit entfernte Galaxien im All gibt und das die Andromeda eine davon ist. Und wenn das so ist, dann macht es kaum Sinn diesen Abstand als Maßstab für die viel näheren Sterne zu benutzen. In einer Arbeit aus dem Jahr 1913 fasste er die Debatte der Entfernungseinheiten zusammen und stellte fest, dass so eine Einheit mindestens drei Vorgaben erfüllen muss. Man soll sie möglichst exakt messen können und sie soll von fundamentalen Größen abhängen. Sie soll leicht zu verstehen sein, auch wenn man kein oder nur wenig astronomisches Wissen hat. Und sie soll so beschaffen sein, dass die Entfernungen zu den Sternen sich in halbwegs handlichen Zahlen ausdrücken lassen. Die Andromede als Einheit verwarf er sofort; es war nicht möglich, diese Entfernung vernünftig zu messen. Die Einheiten die auf Parallaxen basieren fand er auch nicht so super. Darunter können sich Laien nix vorstellen, meinte er und hatte damit nicht Unrecht. Ihr habt ja vorhin gehört, dass man sich ein wenig anstrengen muss, wenn man das mit der Parallaxe und der Entfernung anschaulich erklären will.
Curtis lehnte die Entfernungsangaben in Bogensekunden der Parallaxe ab, aber genau so diverse Umrechnungen. Den Siriometer von Charlier fand er doof, genauso andere die einen Stern, der eine Parallaxe von einer Bogensekunde zeigt (statt den 0,2 von Seeliger und Charlier) und die daraus berechnete Entfernung dann Macron, Astron oder Astrometer nannten. Curtis fand, dass es nur eine Einheit gab, die alle seine Bedingungen erfüllte: Das Lichtjahr. Diese Entfernung basiert auf einer fundamentalen Größe, nämlich der Lichtgeschwindigkeit die sich damals auch halbwegs gut messen lies. Es ist leicht einzusehen, dass Licht Zeit braucht um von A nach B zu kommen und dass ein Lichtjahr eben genau die Strecke ist, die das Licht in einem Jahr zurück legt. Und die Entfernungen zu den Sternen lassen sich in Lichtjahren genau so handlich ausdrücken wie in Siriometern. Sirius zum Beispiel ist 8,6 Lichtjahre weit weg, Wega ist 25 Lichtjahre entfernt und Beteigeuze 643 Lichtjahre. Es spricht also nichts dagegen, einfach das eh schon in Gebrauch befindliche Lichtjahr zum Standard zu machen, meinte Curtis. Und sollten wir mal noch größere Einheiten brauchen, kann man ja einfach Lichtjahrhunderte oder Lichtjahrtausende nehmen.
Man kann Curtis kaum widersprechen; ein Lichtjahr ist wirklich eine praktisch und leicht zu veranschaulichende Einheit. Trotzdem ist das Lichtjahr nicht die "offizielle" Einheit. Beziehungsweise gibt es keine offizielle Einheit, außer dem Meter. Aber in der Astronomie wird in Fachpublikationen meistens eine Einheit verwendet, die "Parsec" heißt. Das steht für "Parallaxensekunde" und entspricht einer Entfernung, in der ein Stern eine scheinbare Positionsänderung von einer Bogensekunde zeigt, wenn man ihn von der Erde aus zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet. Also genau das Ding, das früher mal Astron, Astrometer, Macron, etc genannt wurde. Nur dass man sich halt für den Namen Parsec entschieden hat. Beziehungsweise nicht "man" sonder der britische Astronom Herbert Hall Turner, der den Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts vorschlug.
Tja. Auf Curtis wollte keiner hören. Und deswegen haben wir in der Astronomie heute die Einheit Parsec. Ein Parsec entspricht knapp 31 Billionen Kilometer. Oder 3,26 Lichtjahre. Es gibt durchaus ein paar gute Gründe, warum man in der Forschung auf das Parsec setzt; es basiert auf einer direkten Beobachtungsgröße, nämlich dem Winkel der Parallaxe. Aber so richtig anschaulich ist es trotzdem nicht. Weswegen die Lichtjahre natürlich trotzdem noch verwendet werden, vor allem immer dann, wenn nicht innerhalb der Astronomie miteinander gesprochen wird, sondern mit der Öffentlichkeit.
Sternengeschichten Folge 492: Kometenwein
"Als der Gehilfe mit dem Bericht über seine merkwürdigen Erlebnisse zu Ende war, entstand eine Pause. Holmes lehnte sich in die Kissen zurück und sah mich mit wohlgefälligem und doch prüfendem Blicke an, wie ein Kenner, der den ersten Becher eines Kometen-Jahrgangs kostet." Das schreibt Dr. Watson, beziehungsweise eigentlich Arthur Conan Doyle in seiner Sherlock-Holmes-Kurzgeschichte "Eine sonderbare Anstellung". Um was es da genau geht soll uns heute nicht interessieren. Am Ende wird der Verbrecher überführt, so wie immer bei Sherlock Holmes. Wir interessieren uns in der heutigen Folge für die seltsame Art, in der Holmes über Wein redet. Was soll ein "Kometen-Jahrgang" sein, im englischen Original ein "comet vintage"? Was haben Kometen mit Wein zu tun?
Dazu müssen wir zurück ins Jahr 1811 gehen, zum 25. März, als der französische Astronom Honoré Flaugergues im südfranzösischen Viviers den Himmel beobachtet hat. Wie man das halt so macht. Dabei ist ihm ein Komet aufgefallen, tief am Horizont. Der Komet war auch am nächsten Tag zu sehen und am übernächsten Tag, bis zum 1. April; danach konnte Flaugergues ihn nicht mehr finden. Aber schon 10 Tage später konnte ihn sein Kollege Jean-Louis Pons erneut finden. Beziehungsweise aus seiner Sicht: Das erste Mal entdecken, denn Pons wusste nichts von den Beobachtungen die Flaugergues zuvor angestellt hatte. Danach war er immer wieder sichtbar, Flaugergues sah ihn bis Ende Mai; Alexander von Humboldt konnte ihn im Juni beobachten, Wilhelm Bessel fand ihn im August, Wilhelm Herschel im September, ebenso im Dezember. Im Januar 1812 konnte er immer noch beobachtet werden, der kubanische Astronom José Joaquin de Ferrer beobachtete ihn im Juli 1812 und die letzte Beobachtung ist von 17. August 1812 aus Russland überliefert. Damit war der Komet fast 17 Monate lang am Himmel sichtbar; so lange wie kein anderer damals bekannter Komet - und erst der Komet Hale-Bopp im Jahr 1997 war länger sichtbar als der Komet von 1811 der heute offiziell C/1811 F1 oder auch einfach nur Flaugergues 1811 heißt.
Die Menschen die ich vorhin aufgezählt habe waren alle Astronomen, aber bei weitem nicht die einzigen, die ihn beobachtet haben. Der Komet Flaugergues war nicht nur lange zu sehen, sondern auch sehr gut. Er wird heute zu den sogenannten "Großen Kometen" gezählt; eine Gruppe die zwar nicht offiziell definiert ist, aber Kometen beschreibt, die so richtig beeindruckend hell und spektakulär am Himmel aussehen. Und das war bei Flaugergues' Komet auf jeden Fall so. Im Oktober 1811 war er enorm hell; so hell wie hellsten Sterne am Himmel und mit einem langen und beeindruckenden Schweif, der auch bei Vollmond gut zu sehen war. Am Nachthimmel sah der Komet so groß wie der Vollmond aus, was er in Wahrheit natürlich nicht war. Er wird, wie die meisten Kometen, um die 10 Kilometer groß gewesen sein. Aber das was wir sehen, wenn wir einen Kometen sehen, ist nicht der Komet selbst, sondern seine "Koma", eine große Staubwolke in der Komet sich hüllt, wenn er sich der Sonne nähert. Dann wird er warm, die ganzen gefrorenen Gase und das Eis tauen auf und wehen hinaus ins All. Dabei reißen sie Staub von der Oberfläche des Kometen mit sich und die so entstehende Staubhülle kann viel besser und viel mehr Licht reflektieren als es der kleine Kometenkern tun könnte.
Und die Koma von Flaugergues muss WIRKLICH groß gewesen sein. Denn er war ja einerseits sehr hell. Andererseits aber gar nicht so nah an der Erde dran. Als er unserem Planeten am nächste war, im Oktober 1811, betrug der Abstand immer noch 183 Millionen Kilometer. Das ist weiter als die Distanz zwischen Sonne und Erde. Seine Umlaufbahn ist überhaupt außergewöhnlich. Sie ist extrem langgestreckt, am sonnenfernsten Punkt seiner Bahn ist Flaugergues gut 425 mal weiter von der Sonne entfernt als am sonnennächsten Punkt. Das ist aber noch normal für solche Kometen, die kommen ja aus den weit entfernten äußeren Regionen des Sonnensystems. Seine Bahn ist aber auch um 107 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt, das heißt, sie steht fast senkrecht auf die Ebene, in der sich die Erde und die anderen Planeten bewegen. Für eine Runde um die Sonne braucht der Komet knapp 3000 Jahre. Das heißt er könnte vielleicht auch irgendwann in der Antike am Himmel zu sehen gewesen sein - und wir müssen bis ins Jahr 4800 warten, bis wir ihn wieder sehen.
So - jetzt haben wir viel über diesen Kometen erfahren. Aber wenig über den Wein. Ich bin kein großer Weinexperte, aber der Wein aus dem Jahr 1811 gilt als einer der besten Jahrgänge überhaupt. Der Winter war nicht so kalt, schon im Februar war es warm und trocken, ab Mai war es sommerlich und der Herbst war auch länger und wärmer als üblich. Zumindest dort, wo man Wein angebaut hat und offensichtlich ganz besonders dort, wo die Weinreben des Château Lafite bei Bordeaux stehen. Der dort 1811 hergestellte Wein gilt unter den Kennerinnen und Kennern immer noch als der beste Wein aller Zeiten. Aber auch in anderen Weinregionen war die Ausbeute außergewöhnlich, in Frankreich, in Deutschland und anderswo. Man war enorm froh endlich mal wieder einen tollen Wein zu haben; zu Beginn des Jahrzehnts gab es einige eher schlechte Weinjahre. In der Champagner-Kellerei Veuve Cliquot hat man 1811 auch einen beeindruckenden Champagner produziert; mit einer neuen Technik die die Grundlage für die moderne Champagner-Herstellung gilt. Der beste Wein aller Zeiten, der erste wirklich gute Champagner - und das alles, während ein höchst beeindruckender Komet am Himmel steht. Kann das Zufall sein?
Ja, was soll es denn sonst sein? Natürlich war es Zufall. Aber der Komet war damals enorm präsent; alle konnten ihn sehen; in den Zeitungen wurde drüber geschrieben und natürlich gab es Menschen, die da Verbindungen hergestellt haben. Das wird bei Kometen ja schon seit Jahrtausenden so gemacht. Mal wird der Komet als guten Omen angesehen - Napoleon zum Beispiel war 1812 gerade auf dem Weg um Russland zu erobern und hielt den Kometen für ein Zeichen, dass er mit seinem Eroberungsfeldzug erfolgreich sein wird. Was dann ja nicht so war. Sehr viel öfter werden Kometen als schlechte Vorzeichen betrachtet, in unserem Fall zum Beispiel als Ankündigung des schweren Erdbebens das im Juni 1811 in Südafrika stattgefunden hat. Aber so ist halt die Welt. Es gibt Erdbeben. Schlachten gehen verloren oder werden gewonnen. Der Wein wird gut oder schlecht. Und manchmal fliegt oben über allem ein Komet herum und manchmal nicht. Wir Menschen mögen aber keine Zufälle und suchen immer nach Verbindungen. Was ja auch gut ist, wenn wir das nicht tun würden, dann hätten wir das mit der Wissenschaft auch nie auf die Reihe gekriegt. Aber manchmal gibt es eben keine Verbindung. Und im Fall des Kometenweins ist das eben so. Es gibt keinen irgendwie gearteten Mechanismus durch den ein dutzende Millionen Kilometer entfernter Felsbrocken im All die Qualität von Weintrauben beeinflussen könnte.
Aber natürlich ist so ein Komet ein gutes Mittel um Werbung zu machen. Weswegen damals einige Weine in Flaschen mit Abbildungen von Kometen auf dem Ettiket gefüllt und "Kometenwein" genannt wurde. Und auch danach wurde immer wieder gerne "Kometenwein" produziert, wenn gerade ein passender Himmelskörper zu sehen war. Mit solchen Kometenweinen kann man heute ein Vermögen machen - wenn man irgendwo an so eine Flasche kommen sollte, kann man sie für sehr viel Geld an Sammlerinnen und Sammler verkaufen. Ob man sie auch trinken sollte ist eine andere Frage; manche Weine altern gut, andere eher schlecht. Beim Kometenwein aus dem Jahr 1811 könnte es sich aber lohnen; der berühmte Weinkritiker Robert Parker hat 1996 eine Flasche Château d'Yquem aus dem Jahr 1811 verkostet und ihm 100 von 100 Punkten gegeben (was nicht so oft vorkommt).
So oder so - mit dem Kometen hat der Wein aber nichts zu tun. Und am Ende kommt es beim Weingenuß ja auch auf andere Sachen an, wie schon Johann Wolfgang Goethe gewusst hat: "„Setze mir nicht, du Grobian, den Krug so derb vor die Nase! Wer Wein bringt, sehe mich freundlich an, sonst trübt sich der Elfer im Glase.“
Sternengeschichten Folge 491: Das Steady-State-Universum
Vor 13,8 Milliarden Jahren gab es den Urknall. Was in diesem Moment genau abgelaufen ist und vor allem warum: Das wissen wir nicht. Dafür aber ziemlich gut, was alles nach dem Urknall passiert ist, wie ich ja schon in Folge 99 erklärt habe. Das Universum dehnt sich seitdem aus; es expandiert. Wie das alles im Detail abläuft wird durch das sogenannte "Lambda-CDM-Modell" beschrieben, das kosmologische Modell mit wir heute erklären, wie sich unser Universum entwickelt hat und entwickeln wird. Dieses Modell passt sehr gut zu dem, was wir auch tatsächlich beobachten. Aber darum soll es heute nicht gehen, sondern um ein anderes kosmologisches Modell und zwar die "Steady-State-Theorie".
Dazu gehen wir zurück in die 1940er Jahre. Die Kosmologie als exakte Naturwissenschaft gab es damals noch nicht; zumindest nicht in heutiger Form. Damals hatte man noch kaum konkrete Beobachtungsdaten mit denen man arbeiten konnte und auch keine Möglichkeit sie zu kriegen. Über Satelliten, Weltraumteleskope und so hatte man zwar schon nachgedacht, aber die einzigen Raketen die damals in die Luft geflogen sind waren Waffen im zweiten Weltkrieg. Der erste Satellit sollte erst 1957 ins All fliegen und auch dann war es noch ein weiter Weg bis zu brauchbaren kosmologischen Daten. Aber dazu kommen wir noch; bleiben wir vorerst in den 1940er Jahren.
Was man damals hatte waren vor allem zwei Dinge: Die Relativitätstheorie von Albert Einstein und die Beobachtungen von Edwin Hubble und seinen Kollegen. Hubble beobachtete ab den 1920er Jahren andere Galaxien und hat dabei festgestellt, dass sie sich alle von uns entfernen. Und Einstein hat in seiner allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben, wie sich das Universum als ganzes verhält und dabei entdeckt, dass es sich ausdehnen muss. Aus beiden Phänomenen kann man eine Schlussfolgerung ziehen: Wenn die Galaxien sich alle von uns entfernen, dann müssen sie früher näher bei uns gewesen sein. Und noch früher noch näher. Und irgendwann müssen alle Galaxien quasi am gleichen Ort gewesen sein. Und wenn die Relativitätstheorie ebenfalls vorhersagt, dass sich das Universum ausdehnt, dann kann daraus eigentlich nur folgen, dass es in der Vergangenheit einen Zeitpunkt gegegen hat, in dem unser gesamter Kosmos in einem einzigen Punkt konzentriert war, von dem aus es dann begonnen hat zu expandieren. Oder anders gesagt: Unser Universum hat einen Anfang in der Zeit. Es hat NICHT immer schon existiert, ohne Anfang, wie man vor Hubble und Einstein gedacht hat.
Als diese Theorie eines expandierenden Universums mit Anfang das erste Mal geäußert wurde, waren viele nicht sonderlich glücklich damit. Den meisten Forscherinnen und Forschern erschien ein statisches Universum ohne Anfang und ohne Ende irgendwie eleganter. Und vor allem: Wenn das Universum einen Anfang hat, quasi einen "Schöpfungsmoment", dann rückt die Wissenschaft irgendwie ja auch wieder in die Nähe der Religion. Aber in dieser Folge soll es auch nicht um Wissenschaft gegen Religion gehen. Die Sache ist viel komplexer und diejenigen, die das Urknallmodell abgelehnt haben, haben das durchaus auch aus wissenschaftlichen Gründen getan und nicht nur wegen religiöser Assoziationen.
Womit wir jetzt bei Fred Hoyle sind. Von diesem britischen Astronom habe ich ja in Folge 22 schon ein bisschen mehr erzählt. Er war einer der bedeutensten Astronomen des 20. Jahrhunderts, wenn nicht sogar DER bedeutendste Astronom. Er hat jede Menge wichtige Dinge herausgefunden, unter anderem wie im Inneren der Sterne durch kernphysikalische Prozesse die chemischen Elemente entstehen. Er hat aber auch jede Menge kontroverse Theorien aufgestellt und einige, die man kaum anders als kompletten Quatsch bezeichnen kann. Wir bleiben aber bei denen die kontrovers sind, aber immerhin noch wissenschaftlich.
1948 sind in der Fachzeitschrift "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" zwei Artikel erschienen. Einer von Fred Hoyle und einer von Hermann Bondi und Thomas Gold. Alle drei waren Kollegen und haben gemeinsam an dem gearbeitet, was sie da vorgestellt haben. Der Titel von Hoyles Aufsatz war "A new model of the expanding univers" und der von Bondi und Gold hieß "The Steady-State Theory of the Expanding Universe". Es ging also um eine neue Theorie mit der man ein expandierendes Universum beschreiben kann und zwar die "Steady State"-Theorie. Das wird oft mal verwechselt: Hoyle, Bondi und Gold ging es nicht darum, das alte statische Modell des Universums wiederzubeleben in dem es keine Expansion gibt. Dafür waren auch in den 1940er Jahren die Beobachtungsdaten schon gut genug. Das Universum expandiert; die Galaxien bewegen sich voneinander fort; daran konnte man vernünftigerweise nicht mehr zweifeln. Die drei Astronomen wollten ein Universum beschreiben, dass expandiert, sich dabei aber - vereinfacht gesagt - trotzdem nicht verändert. Das klingt ein wenig komisch; noch komischer ist es, wenn man berücksichtigt, dass sie die Idee davon aus dem Horrorfilm "Dead of Night" aus dem Jahr 1945 hatten. Darin geht es um einen Architekten, der zu einem gruseligen Haus auf dem Land fährt, dort jede Menge grusliges Zeug erlebt das er zuvor schon in seinem Alpträumen erlebt hat und alles endet damit, dass er aufwacht, weils doch nur ein Traum war und seine Frau ihm vorschlägt, zur Erholung ein Wochenende auf dem Land zu verbringen und am Ende des Films fährt der Architekt dann zu einem Haus auf dem Land, womit man gleichzeitig auch wieder am Anfang angelangt ist. "Dead of Night" gilt als Horrorfilm-Klassiker, mit Kosmologie hat er aber nix zu tun. Aber die zirkuläre Handlung, ohne Anfang und Ende hat Thomas Gold, und mit ihm Bondi und Hoyle dazu inspiriert über ein Universum nachzudenken, dass zwar expandiert, aber trotzdem keinen Anfang und kein Ende hat.
Das Resultat war die Steady-State-Theorie. In ihr wird das Universum im Laufe der Zeit immer größer und größer. Aber egal zu welchem Zeitpunkt man es betrachtet, es schaut trotzdem immer gleich aus. Galaxien bewegen sich zwar voneinander fort. Aber ZWISCHEN den Galaxien entsteht ständig neue Materie aus der dann neue Sterne und neue Galaxien entstehen. Das heißt die Abstände zwischen Galaxien bleiben mehr oder weniger immer gleich. Das Universum erscheint immer gleich. Es expandiert, aber es hatte keinen Anfang und kein Ende und zu jedem Zeitpunkt erscheint es so wie zu jedem anderen Zeitpunkt.
Der Hauptunterschied zum Urknall-Modell ist die Art und Weise wie die Materie entsteht. Beim Urknall-Modell ist sämtliche Materie des Kosmos direkt zu beginn entstanden und seitdem dehnt sich das Universum aus und die Materie verdünnt sich quasi immer weiter. Wenn man lange genug wartet, dann erscheint es unterschiedlich; in fernster Zukunft würden wir hier von der Erde (die es dann schon längst nicht mehr gibt) keine anderen Galaxien mehr am Himmel sehen, weil sie sich alle so weit von uns entfernt haben. Im Steady-State-Modell entsteht Materie ständig und überall im Universum. Und auch in ferner Zukunft würden wir einen Himmel voll Galaxien beobachten, weil neue entstanden sind und den Platz derjenigen eingenommen haben die sich entfernt haben.
Aus damaliger Sicht war das jetzt keine völlig blöde Idee. Wenn man behaupten kann, dass Materie beim Urknall aus dem Nichts entstehen kann, dann kann man auch behaupten, dass sie nach dem Urknall aus dem Nichts entstehen kann. Gut, es wäre vielleicht eleganter, wenn man nur EIN Ereignis braucht, bei dem die ganze Materie entsteht und nicht viele "Mini-Urknälle" die ständig überall stattfinden. Aber das ist Ansichtssache. Aus damaliger Sicht war das Steady-State-Modell eine durchaus seriöse Alternative zum Urknallmodell. Das hat sich dann aber sehr bald geändert.
In den 1950er und 1960er Jahren hat die Radioastronomie so richtig Fahrt aufgenommen und man hat die "Quasare" entdeckt. Das sind die aktiven Zentren weit entfernter Galaxien und eben WEIT ENTFERNTER Galaxien. Wir wissen heute, warum das so ist; das hat mit der Entwicklungsgeschichte von Galaxien zu tun und aus deren Zentralregion kommt nur dann enorm viel Radiostrahlung, wenn sie noch sehr jung sind. Alte Galaxien wie unsere Milchstraße tun das nicht mehr. Und in der Astronomie schaut man ja immer in die Vergangenheit, wenn man in die Ferne schaut. Das Licht der fernen Galaxien braucht Milliarden Jahre bis zu uns und wir sehen sie so, wie sie waren, als sie noch jung waren. Es ist also nicht überraschend, dass wir Quasare nur weit entfernt sehen aber nicht in unserer Nähe. Es ist aber SEHR überraschend, wenn man von einem Steady-State-Universum ausgeht. Denn das sagt ja, dass das Universum früher genau so ausgesehen haben muss wie heute. Und dass man Quasare auch in unserer Nähe sehen sollte. Dann kam das Jahr 1964 und der Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung. Die kann man eigentlich nur mit dem Urknallmodell erklären. Als das Universum jung und klein war, war es auch sehr heiß und dicht; so dicht, dass das Licht sich nicht ausbreiten konnte. Erst als das Universum sich ausreichend weit ausgedehnt hat und kühl geworden ist war, vereinfacht gesagt, Platz für das Licht um sich in alle Richtungen ausbreiten zu können. Dass man auch heute noch diese Strahlung beobachten können sollte war eine Vorhersage der Urknalltheorie die 1964 bestätigt worden ist. Und von dem Zeitpunkt an war sich die Wissenschaft im Wesentlich einig, dass man die Steady-State-Theorie verwerfen kann.
Sie ist nicht geeignet, die Beobachtungsdaten zu beschreiben und mittlerweile sind jede Menge andere Daten dazu gekommen die alle das Urknallmodell bestätigen aber nicht zum Steady-State-Modell passen. Hoyle und seine Kollegen haben zwar immer wieder probiert ihr Modell anzupassen, aber jedesmal wenn es neue kosmologischen Daten gab, hat es wieder nicht gepasst. Trotzdem hat Hoyle bis zu seinem Tod nicht aufgehört daran zu arbeiten und war davon überzeugt, dass er recht hat. Tja. Aber immerhin kann er sich damit trösten, dass er verantwortlich für das Wort "Urknall" ist. In einer BBC-Radiosendung hat er von seiner Theorie erzählt und um die Konkurrenztheorie des Universums mit Anfang lächerlich zu machen, hat er sie als "Big Bang" bezeichnet. Und deswegen gibt es die "Big Bang Theory", das Urknallmodell der Kosmologie.
**Sternengeschichten Folge 490: Technosignaturen: Auf der Suche nach intelligenten Aliens ** Heute geht es um Technosignaturen. Und damit ist keine laute elektronische Musik gemeint. Wir beschäftigen uns mit außerirdischem Leben. Und zwar zur Abwechslung mal tatsächlich mit dem, was man sich so denkt, wenn man "Aliens" hört. Intelligente außerirdische Wesen, so wie in den Science-Fiction-Filmen. Wenn ich sonst über außerirdisches Leben und die Suche danach spreche, dann meine ich ja so gut wie immer "Leben" in einem viel allgemeineren Sinn. Dann geht es um Mikroorganismen, um Bakterien, um Algen oder ähnlich "simples" Leben. Denn danach können wir wissenschaftlich seriös tatsächlich suchen. Wir kennen die Vielfalt des mikrobiologischen Lebens auf der Erde. Wir wissen, dass diese Lebewesen enorm zäh sind und unter Bedingungen existieren können, die für uns Menschen lebensfeindlich wären; Bedingungen wie sie auf einem anderem Himmelskörper herrschen können. Auf dem Mars zum Beispiel oder den Eismonden von Jupiter und Saturn. Wir wissen, dass die Mikroorganismen schon lange vor uns Menschen da waren; mehr oder weniger gleich nachdem die Erde halbwegs lebensfreundliche Bedingungen bot. Das ist kein Beleg, aber zumindest ein Hinweis darauf, dass sich diese Art von Leben überall dort entwickelt, wo es kann. Und wenn das so sein sollte, dann wissen wir auch, auf welche Weise wir so eine Art von Leben auf anderen Himmelskörpern nachweisen können; mit der Technik, die uns jetzt schon zur Verfügung steht. Damit können wir nach "Biosignaturen" suchen; nach Spuren, die Lebewesen in der Atmosphäre ihres Planeten hinterlassen wodurch das von diesem Planeten reflektierte Licht charakteristisch verändert wird, wie ich in Folge 464 im Detail erklärt habe.
Intelligentes außerirdisches Leben ist eine ganz andere Sache. Wir wissen ja noch nicht einmal wirklich, warum wir Menschen intelligent geworden sind. Seit mehr als 3 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Und erst in den letzten paar hunderttausend Jahren hat die Evolution dazu geführt, dass eine Spezies dieses Lebens das entwickelt hat, was wir heute Intelligenz nennen. Und sieht man davon ab, dass wir uns auch nichtmal sicher sind, wie wir "Intelligenz" überhaupt definieren sollen, wissen wir nicht, warum das passiert ist. Passiert so etwas zwangsläufig mit Leben? Warum aber dann erst so spät? Oder muss das so lange dauern? Wenn ja, warum? Oder entwickelt sich Intelligenz nur selten? Wenn ja, wie selten? Und über all dem steht das große Problem, dass wir Menschen uns zwangsläufig intelligentes Leben nur so vorstellen können, wie wir sind. Ok, mit Variationen: Dann haben die Aliens eben spitze Ohren, wie Mr. Spock. Oder ein dichtes Fell, wie Chewbacca. Aber wir sind nicht in der Lage, uns WIRKLICH fremdes Leben vorzustellen; wie denn auch? Wir können nur so denken, wie wir denken können und können per Definition nicht so denken, wie wir nicht denken können, wie aber vielleicht eine fremde Intelligenz denken würde.
So. Das ist alles ein wenig unerfreulich, weil es natürlich sehr spannend wäre, intelligente Aliens zu finden. Aber es ist auch sehr viel schwieriger wissenschaftlich seriös zu bewerkstelligen. Weil wir eben keine Ahnung haben, wonach wir wirklich suchen müssen. Wir können nach Intelligenz suchen, die so ähnlich ist wie wir. Wissen aber nicht im geringsten, was wir mit dieser Einschränkung alles verpassen. Und selbst wenn wir das akzeptieren, bleibt es schwierig. Mit Sicherheit würden wir nur dann Bescheid wissen, wenn irgendwelche Aliens mit ihrem Raumschiff auf der Erde landen und "Hallo" sagen. Oder was auch immer sie sagen würden. Wenn sie überhaupt was sagen. Aber angesichts der unvorstellbaren Distanzen zwischen den Sternen und der Einschränkungen in der Reisegeschwindigkeit durch die Naturgesetze ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass so ein Besuch von Aliens in naher Zukunft stattfinden wird.
Bleibt die indirekte Suche, die aber auch durch die enormen Entfernungen behindert wird. Wir können ja die allermeisten Planeten der anderen Sterne nicht einmal direkt sehen sondern haben sie nur indirekt entdeckt. Und selbst wenn sich das durch die Großteleskope der nächsten Generation bald ändern wird, werden die Planeten immer nur Lichtpunkte im Teleskop bleiben. Das reicht um nach den Biosignaturen zu suchen, die mikrobiologische Lebewesen hinterlassen, wie ich in Folge 464 erklärt habe. Aber wir können auf absehbare Zeit auch mit noch so großen Teleskopen keine Alien-Städte auf anderen Planeten sehen. Wie also könnte man - halbwegs wissenschaftlich seriös - nach intelligenten außerirdischen Lebewesen suchen?
Und jetzt sind wir bei den "Technosignaturen" angelangt. So wie die Biosignaturen Hinweise auf Leben sind, sind Technosignaturen Hinweise auf Technik. Und wenn wir einmal außerirdische Technik gefunden haben, dann muss es da auch irgendwo Intelligenz geben, die diese Technik gebaut hat. Aber von was für einer Technik reden wir hier eigentlich genau? Da haben wir wieder das gleiche Problem wie vorhin: Es geht um Technik, von der WIR MENSCHEN uns vorstellen, dass Aliens sie bauen könnten. Aber ob "sie" - wenn es sie denn gibt - das auch wirklich tun ist eine Frage, auf die wir keine Antwort haben. Aber egal: Was steht da für Alien-Technik zur Auswahl?
Mangels anderer Orientierungspunkte müssen wir uns das halten, was wir über uns selbst wissen. Was also haben wir Menschen an Technik produziert, die irgendwie vom Weltall aus entdeckt werden kann? Nun, wir haben zum Beispiel Raumsonden ins All geschickt. Auf dem Mond liegt diverser Krempel von uns rum; auch auf dem Mars und ein paar anderen Himmelskörpern, wie ich in Folge 261 erzählt habe. Und ein paar Raumsonden wie Pioneer 11 oder Voyager 1 und 2 fliegen immer noch durchs All und werden das vermutlich auch noch in ein paar Millionen Jahren tun. Selbst wenn wir Menschen irgendwann verschwinden, wird ein Teil unserer Technik also noch irgendwo zu finden sein. Wenn sie denn wer findet! Das Weltall ist groß und es ist äußerst unwahrscheinlich darin so etwas winziges wie eine Raumsonde zufällig zu finden. Und das gilt natürlich umgekehrt genau so: Klar kann es sein, dass da draußen irgendwo eine Alien-Raumsonde rumfliegt. Aber es wäre schon ein absurder Zufall das sie gerade von uns und gerade jetzt gefunden wird.
Ähnliches gilt für eine ganz klassische Technosignatur: Außerirdische Radiosignale. Schon vor Jahrzehnten haben wir Menschen angefangen, einerseits nach Radiosignalen zu suchen, die Aliens zur Erde geschickt haben könnten und andererseits sogar selbst welche hinaus ins All gesendet. Darunter waren absichtlich verschickte Botschaften und sehr viel unabsichtliche Sendungen. Unser Radio- und Fernsehprogramm breitet sich ja nicht nur auf der Erde aus sondern auch im All. Zumindest war das früher so, als man da tatsächlich Radiosignale durch die Luft geschickt und mit Antennen empfangen hat. Heute geht das allermeiste schon durch irgendwelche Glasfaserkabel und im Weltall kriegt man nix davon mit. Die Zeit, in der von der Erde aus Radiosignale verschickt worden sind, war also nur sehr kurz und es muss wieder ein großer Zufall sein, wenn irgendwelche Aliens was davon empfangen sollten. Und genau so ist die irdische Suche nach außerirdischen Signale - das SETI-Programm - eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ja, solche Signale könnte es geben. Aber das All ist groß und wenn man nicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit der richtigen Frequenz lauscht, dann findet man nix.
Ebenso unbefriedigend ist die Angelegenheit, wenn wir uns an der Science-Fiction orientieren. In Folge 159 habe ich darüber gesprochen, welche unvorstellbaren Projekte irgendwelche massiv weiter entwickelten Aliens durchführen könnten. Sie könnten zum Beispiel eine Dyson-Sphäre bauen; ihren Stern also mit einer Kugelschale umgeben, um seine gesamte Energie nutzen zu können. Wir können uns vorstellen, so etwas zu bauen. Wir können sogar überlegen, wie man das machen müsste. Wir können ausrechnen, wie viel Material man dafür braucht - man müsste komplette Planeten auseinandernehmen!! - und so weiter. Aber natürlich haben wir nicht einmal ansatzweise eine Ahnung, wie man so etwas tatsächlich macht. Und selbst wenn: Würden wir es auch machen, nur weil wir es könnten? Warum sollen wir davon ausgehen, dass irgendwelche Aliens das erstens können, zweitens wollen und drittens auch tun? Wissen wir nicht - aber wir können ja mal davon ausgehen. Strukturen wie Dyson-Sphären können wir prinzipiell beobachten; sie würden zwar aussehen wie Sterne, aber nicht ganz und wir könnten das herausfinden. Und entsprechende Suchen gab es sogar schon; keine davon war aber erfolgreich.
Aber wir müssen vielleicht gar nicht mit irgendwelchen Science-Fiction-Megaprojekten arbeiten. Ein paar Möglichkeiten für Technosignaturen gibt es noch die ein wenig vielversprechender sind. Schauen wir wieder auf die Erde: Woran erkennt man, dass die Erde von intelligenten Wesen bewohnt ist, wenn man sie vom All aus betrachtet? Vor allem an den vielen hellen Lichtern auf ihrer Nachthälfte. Gut, ich habe vorhin gesagt, dass wir nicht in der Lage sind, die Oberfläche von extrasolaren Planeten so genau zu beobachten um irgendwelche leuchtenden Alienstädte zu sehen. Aber das ist vielleicht nicht unbedingt notwendig. Wir sind sehr gut darin, das Licht zu analysieren, das vom Weltall zu uns kommt. Planeten leuchten zwar nicht von selbst, aber sie reflektieren das Licht ihrer Sterne. Mit den Teleskopen der nächsten Generation werden wir in der Lage sein, genau dieses von Planeten reflektierte Licht zu untersuchen; zumindest von denen in unserer näheren galaktischen Umgebung. Und wenn da jetzt sehr, sehr viele künstliche Lichter leuchten sollten, dann können wir das mit unseren Instrumenten vielleicht herausfinden. Wir würden dann immer noch nicht sehen, WAS das Licht erzeugt. Aber wir würden sehen, dass von diesem Planeten mehr und anderes Licht kommt als das, was vom Licht des Sterns stammt.
Das setzt aber voraus, dass dort intelligente Wesen leben, die ausreichend entwickelt sind, um jede Menge künstliches Licht zu erzeugen. So weit sind wir Menschen erst seit wenig mehr als 100 Jahren. Und es setzt voraus, dass diese Wesen überhaupt einen Bedarf an künstlichem Licht haben. Vielleicht können sie auch wunderbar im Dunkeln sehen. Oder haben überhaupt keine Augen. Wieder mal gilt: Wir haben keine Ahnung.
Ich hab die ganze Zeit von intelligentem Leben gesprochen. Und damit Lebewesen gemeint, die zumindest weiter entwickelt sind als Tiere. Aber abgesehen davon, dass es eben verdammt schwer ist zu definieren, was jetzt mit "Intelligenz" gemeint ist, haben wir intelligenten Menschen ja durchaus auch Sachen gemacht, die man definitiv nicht klug nennen kann. Wir haben zum Beispiel in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts jede Menge Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe produziert. FCKWs, und das war eine super und intelligente Erfindung. Man hat das Zeug wunderbar überall einsetzen können, als Treibgas, als Kühlmittel und in der Industrie. Es war zweifelsfrei eine Erfindung die nur wir intelligenten Menschen machen konnten; in der Natur kommen diese FCKWs nicht vor. Aber wie sich gezeigt hat, haben diese Gase die Ozonschicht der Erde geschädigt und den Treibhauseffekt angefeuert. Das ist weniger schlau und zum Glück haben wir gelernt, darauf zu verzichten; weitestgehend zumindest.
Wir stellen uns Aliens ja immer als schlauer, besser und ganz allgemein viel weiter entwickelt als wir es sind vor. Aber das ist vermutlich vor allem Wunschdenken; es kann genau so gut sein, dass die auf ihre Art genau so doof sind wie wir. Oder vielleicht auch auf unsere Art doof. Warum sollten Aliens nicht auch FCKWs erfunden haben? Warum sollten die ihre Atmosphäre nicht auch kaputt machen? Und wenn sie das tun, dann könnten wir - zumindest theoretisch - die Existenz dieser Gase nachweisen. Sie hinterlassen ihre Spuren im reflektierten Licht des Sterns; die Moleküle blockieren, so wie alle anderen Moleküle, einen ganz bestimmten Teil davon und wenn wir sehen, dass dieser Teil im Licht eines Planeten fehlt, dann wissen wir, dass dort FCKWs in der Atmosphäre sind. Das in der Praxis nachzuweisen wird aber schwer, denn dafür reichen nicht einmal die Teleskope der nächsten Generation. Aber wir können uns einigermaßen sicher sein, dass wir mittelfristig Instrumente haben werden, die dazu in der Lage sind. Damit können wir uns dann auf die Suche nach nicht ganz so intelligenten Aliens machen.
Aber egal ob klug oder schlau: Am Ende bleibt das Problem vom Anfang. Wir wissen zu wenig darüber, was "Intelligenz" eigentlich ist um mit Aussicht auf Erfolg danach anderswo im All suchen zu können.
**Sternengeschichten Folge 489: Der Saturnmond Mimas ** Ein 300 Kilometer hoher Berg. Inmitten eines Lochs, das einen Durchmesser von 4000 Kilometern und eine Tiefe von 200 Kilometer hat. So etwas kann man sich kaum vorstellen. Das wäre ein Krater von der Größe Nordamerikas, der bis weit in den Erdmantel hinein reicht und einem Berg in der Mitte, dessen Gipfel außerhalb der Atmosphäre im Weltraum liegt. So etwas kann es - schon aus rein physikalischen Gründen - auf der Erde nicht geben. So eine Struktur würde unter ihrem Gewicht sofort kollabieren und jedes Ereignis das in der Lage wäre, so einen Krater zu schaffen würde dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Erde komplett zerstören.
Einen 300 Kilometer hohen Berg finden wir auch anderswo im Sonnensystem nicht, auch keinen 200 Kilometer tiefen Krater. Auch nicht auf dem kleinen Saturnmond Mimas, der ja überhaupt nur einen Durchmesser von knapp 400 Kilometer hat. Aber zumindest in Relation gibt es dort eine Struktur die so gigantisch ist wie der unvorstellbare und unmögliche Krater auf der Erde.
Aber gehen wir zuerst mal zurück zum 17. September 1789. Gut acht Jahre nachdem der englische Astronom William Herschel mit seinem selbstgebauten Teleskop als erster Mensch überhaupt mit Uranus einen noch unbekannten Planeten entdeckt hat, fügte er an diesem Tag dem Inventar des Sonnensystems ein weiteres Objekt hinzu. Er fand einen Mond des Saturn. Sechs Stück kannte man davor schon; der größte Saturnmond - Titan - wurde schon 1655 gefunden, von Christiaan Huygens. Es folgten Iapetus und Rhea, die 1671 und 1672 von Giovanni Domenico Cassini entdeckt wurden. Der fand 1684 auch Tethys und Dione. Für Mond Nummer Sechs war dann schon William Herschel verantwortlich: Er entdeckte Enceladus im August 1789, nur ein paar Wochen bevor er dann am 17. September 1789 den siebten Mond beobachten konnte: Mimas - nur das er damals noch nicht so hieß. Damals bekam er einfach die römische Nummer "I", weil er von allen bekannten Saturnmonden dem Saturn am nächsten war und man die Monde von innen nach außen durchnummeriert hat. Den Namen "Mimas" erhielt der Mond erst 1847, als John Herschel, der Sohn von William und auch ein berühmter Astronom, vorschlug, sie nach den Riesen der griechischen Mythologie zu benennen.
Der Mond Mimas jedenfalls umkreist den Saturn auf einer fast kreisförmigen Bahn, nur circa 125.000 Kilometer von dessen äußerer Atmosphäre entfernt. Das ist ziemlich nahe (der Erdmond ist immerhin 400.000 Kilometer von der Erde weg), aber mittlerweile haben wir mindestens neun Monde gefunden, die noch näher am Saturn kreisen - aber alle viel kleiner sind als Mimas. Der hat einen Durchmesser von 397 Kilometer und kommt einer Kugel sehr nahe, was durchaus außergewöhnlich ist. Große Himmelskörper fallen unter ihrem eigenen Gewicht zwangsläufig zu einer annähernd runden Form zusammen; bei Himmelskörpern die kleiner als 1000 Kilometer sind, ist das aber nicht selbstverständlich. Mimas ist keine perfekte Kugel; in der einen Richtung ist sein Durchmesser circa 390 Kilometer; in der anderen Richtung sind es 415 Kilometer und das ist genau die Richtung, die auch zum Saturn zeigt. Die Anziehungskraft des riesigen Planeten zieht ihn also ein bisschen in die Länge.
Mimas sieht von außen betrachtet aus wie eine große, graue Kugel aus Stein. Seine mittlere Dichte beträgt aber nur wenig mehr als 1 Gramm pro Kubikzentimeter und das bedeutet, dass er zu einem überwiegenden Teil aus Wassereis bestehen muss, mit einer geringen Menge an Gestein dazwischen gemischt. Vielleicht ist unter all dem Wassereis irgendwo ein kleiner Kern aus Fels. Dieser Kern ist dann aber vermutlich keine Kugel sondern hat eher die Form eines Footballs. Das wissen wir, weil ab dem Jahr 2004 die Raumsonde Cassini Mimas aus der Nähe untersucht. Natürlich hat die Sonde nicht ins Innere des Monds schauen können. Aber das musste sie auch gar nicht. Man kann mit einer Raumsonde ganz in der Nähe eines Himmelskörpers vorbei fliegen beziehungsweise um ihn herum. Wie sich die Sonde dann bewegt, hängt natürlich von der Anziehungskraft und damit von der Masse des Objekts ab. Aber eben auch davon, wie diese Masse verteilt ist! Wenn da zum Beispiel irgendwo im Eis von Mimas eine fette gigantische Eisenkugel stecken würde, würde die Raumsonde jedesmal eine stärkere Anziehungskraft spüren, wenn sie genau über diese Stelle des Mondes fliegt, wo die Kugel drunter ist. Gut, wenn die Kugel jetzt genau im Zentrum wäre, würde man nix merken, weil Cassini dann ja quasi immer genau über der Kugel wäre. Und in Mimas steckt ja auch keine Eisenkugel sondern eine Gesteinskugel, vermutlich. Aber wenn die eben ein bisschen unförmig ist, dann merkt die Raumsonde das beim vorbeifliegen. Und genau das hat man gemerkt. Warum der Kern Mimas unförmig sein sollte, weiß man aber nicht. Es könnte auch sein, dass der Kern ganz normal ist, dafür aber unter dem Eis von Mimas ein unterirdischer Ozean aus flüssigem Wasser ist. Das würde einen ähnlichen Effekt auf die Bewegung von Cassini haben wie ein unförmiger Kern.
Aber eigentlich hat ein kleiner Mond wie Mimas zu wenig Wärme in seinem Inneren gespeichert, um Eis schmelzen zu können. Andere Monde lösen dieses Problem mit einer elliptischen Umlaufbahn; das sorgt für sehr starke Gezeitenkräfte die den Mond quasi durchkneten und warmhalten. Aber Mimas Bahn um Saturn ist annähernd kreisförmig, das funktioniert also auch nicht. Aber vielleicht hatte der Mond früher eine andere Bahn? Früher müssen sowieso ein paar sehr dramatische Dinge mit Mimas passiert sein.
Ich habe vorhin gesagt, dass der Mond aussieht wie eine große Kugel aus Stein. Das stimmt auch. Er ist vergleichsweise hell und reflektiert ungefähr 60 Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Auf der gelblich-grauen Kugel von Mimas findet man - wenig überraschend - sehr viele Einschlagskrater. Auf den ersten Blick könnte man Mimas mit dem Mond der Erde verwechseln. Aber wirklich nur auf den ersten Blick. Denn einen ganz bestimmten Krater kann man nicht übersehen. Er trägt - nach dem Entdecker des Mondes - den Namen Herschel. Er hat einen Durchmesser von knapp 140 Kilometer, was vielleicht wenig beeindruckend klingt. Solange, bis man sich daran erinnert, dass der ganze Mond nur einen Durchmesser von 400 Kilometer hat! Der Krater macht also fast ein Drittel des Monddurchmessers aus! Die Wände des Kraters sind 5 Kilometer hoch, teilweise liegt der Boden des Kraters sogar bis zu 10 Kilometer unter dem Rand. In der Mitte des Kraters erhebt sich ein Zentralberg von 6 bis 8 Kilometer Höhe; vielleicht sogar über 10 Kilometer (so genau lässt sich das aus der Entfernung nicht messen). Gäbe es einen Krater mit genau dieser Größe auf der Erde, wäre das ein beeindruckendes Ding; der Zentralberg würde zu den höchsten Bergen des Planeten gehören. Und wenn man den Krater entsprechend des Größenverhältnis von Mimas und Erde skaliert, dann landet man bei dem 4000 Kilometer großen Krater, den wir uns zu Beginn vorgestellt haben.
Der Herschel-Krater auf Mimas ist ein gewaltiges Ding! Wenn man ihn betrachtet, dann kann man kaum anders als sich zu fragen, wie er entstanden ist und warum um Himmels Willen dabei nicht der ganze Mond zerstört worden ist. Was auch immer so ein enormes Loch in einen Himmelskörper schlagen kann, muss ihn dabei doch eigentlich komplett kaputt machen! Nun, diese Frage stellt sich natürlich auch die Astronomie. Aber eine verbindliche Antwort haben wir leider auch nicht. Wir gehen davon aus, dass der Krater schon alt ist; mehr als 4 Milliarden Jahre. Er muss daher in der Frühzeit des Sonnensystems entstanden sein, als sich die Planeten gerade erst gebildet hatten. Damals schwirrten vermutlich noch sehr viel mehr größere Objekte durch die Gegend als heute und eines davon muss den Mond getroffen haben; genau so, dass es für den gigantischen Krater gereicht, der Mond den Einschlag aber überlebt hat.
Es gäbe noch viel mehr über Mimas herauszufinden. Vier Raumsoden haben den Mond bisher besucht. 1979 flog Pioneer 11 in mehr als 100.000 Kilometer Abstand an ihm vorbei; Voyager 1 folgte im August 1980 mit einer Distanz zum Mond von knapp 90.000 Kilometer. Voyager 2 flog 1981 in über 300.000 Kilometer vorbei und mit den paar Bildern aus großer Entfernung musste man auskommen, bis 2004 dann die Raumsonde Cassini beim Saturn eintraf. Sie war bis 2017 dort unterwegs und hat den Planeten und jede Menge seiner Monde im Detail beobachtet. Immer wieder ist sie auch nahe an Mimas vorbeigeflogen, am nächsten war sie dem Mond am 13. Februar 2010 mit einem Abstand von nur 9500 Kilometer. Deswegen wissen wir zum Beispiel auch, dass irgendwas mit den Temperaturen dort komisch ist. Ok, ganz allgemein ist es dort sehr kalt. Die Temperatur liegt bei ca -190 Grad Celsius. Im Durchsnitt: Auf der Seite des Mondes, die dem Saturn abgewandt ist, ist es wärmer, auf der dem Planeten zugewandten Seite ist es kälter. Der Unterschied beträgt bis zu 20 Grad und wir wissen nicht so genau, warum das so ist. Vielleicht, weil auf der abgewandten Seite die Oberfläche aus einer Art Pulverschnee besteht, der Wärme besser speichern kann? Oder das Material auf der zugewandten Seite kann Wärme besser leiten und ist deswegen kälter? Vielleicht hat auch der Einschlag was mit der Sache zu tun, der den Herschel-Krater erzeugt hat. Der wird den Mond ja ziemlich durcheinander gebracht haben und wer weiß, wie sich das Material da verformt und umsortiert hat.
Mimas ist nur einer von fast 100 Monden des Saturn und von mehreren hundert Monden im ganzen Sonnensystem. Aber wie jeder andere Himmelskörper ist auch er eine ganz eigene Welt über die wir bis jetzt nur einen Bruchteil von dem wissen, was es dort zu entdecken gibt.
Sternengeschichten Folge 488: Gouldscher Gürtel und Radcliffe-Welle
Benjamin Gould war ein amerikanischer Astronom. Und sein Gürtel liegt nicht in irgendeinem Kleiderschrank, sondern weit draußen im Universum. Beziehungsweise ist er mittlerweile nicht mal mehr dort, sondern ganz weg. Aber fangen wir am Anfang an. Der ist in diesem Fall die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der berühmte Astronom John Herschel, Sohn des noch berühmteren Astronoms William Herschel, Entdecker des Planeten Uranus - John Herschel jedenfalls hat Sterne beobachtet. Nicht so außergewöhnlich als Astronom, damals wie heute. Herschel fiel aber etwas auf: Wenn man sich die besonders hellen Sterne am Himmel ansieht, dann findet man viele davon nicht in der Ebene der Milchstraße sondern eher entlang einer Linie, die ein bisschen geneigt dazu ist.
Stellen wir uns vor unserem geistigen Auge mal kurz die Milchstraße vor. Wir sehen eine große Scheibe, voller Sterne. Die Sonne befindet sich in der Randregion dieser Scheibe. Wenn wir von dort aus nach "oben" und nach "unten" schauen, also über und unter die Scheibe, dann sehen wir da natürlich wenig Sterne. Die Scheibe der Milchstraße ist ja im Vergleich zu ihrer Ausdehnung nicht sehr dick. Wir können auch in Richtung des intergalaktischen Raums schauen, also in die Richtung, in der die Scheibe der Milchstraße bald zu Ende ist. Auch da sind wenige Sterne. Nur wenn wir in Richtung Zentrum der Milchstraße schauen, sehen wir jede Menge Sterne. Es ist ein bisschen so, als wenn man am Waldrand stehen würde. Der Blick in die eine Richtung zeigt uns ein paar Bäume hinter denen wir schon die Felder und Wiesen sehen können. Und wenn wir in die andere Richtung schauen, dann sehen wir so viele Bäume, dass man - wie im Sprichwort - den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können.
Das ist auch der Grund, warum wir am Himmel die "Milchstraße" sehen können. Das klingt ja ein wenig seltsam, die Milchstraße ist ja die Galaxie, deren Teil auch unser Sonnensystem ist. Jeder Stern den wir am Himmel sehen können - es sei denn wir benutzen sehr, sehr große Teleskop - ist Teil der Milchstraße. Aber diese Sterne sind eben auch alle in unserer näheren Umgebung; es sind die Sterne, die sich über uns, unter uns und vor und hinter uns befinden. In drei dieser Richtungen kommt hinter diesen Sternen nicht mehr viel, nur der leere intergalaktische Raum. Die vierte Richtung zeigt uns aber den Blick auf das Zentrum der Milchstraße und in dieser Richtung sehen wir SO VIELE Sterne, dass wir ohne optische Hilfsmittel gar nicht erkennen können, dass es sich um Sterne handelt. Wir sehen nur ein milchiges Band, das sich über den Himmel zieht und haben es deswegen "Milchstraße" genannt. Erst als im 17. Jahrhundert die ersten Teleskope zum Himmel gerichtet wurden, konnte man sehen, dass das alles Sterne sind.
Das Band der Milchstraße markiert an unserem Himmel also die Ebene der Milchstraße. Dort befinden sich die allermeisten Sterne unserer Galaxis und rein statistisch gesehen sollten in dieser Ebene natürlich auch die meisten helle Sterne sein. Und jetzt zurück zu John Herschel, der fest gestellt hat, dass sehr viele helle Sterne eben gerade NICHT in der Ebene der Milchstraße liegen. Was ist da los? Ein paar Jahre später, in den 1870er Jahren, hat der amerikanische Astronom Benjamin Gould die Sache genauer untersucht. Er kam zu dem Schluss, dass die hellen Sterne in einer Art Ring um das Zentrum der Milchstraße angeordnet sein müssen, der ein wenig gegenüber der Ebene der Milchstraße geneigt ist. Diese Struktur hat den Namen "Gould Belt" bekommen.
Im Laufe der Zeit hat man dort noch mehr entdeckt. Und herausgefunden, dass der Gould Belt nicht nur aus hellen Sternen besteht. Sondern auch aus jeder Menge interstellarer Gaswolken. Und dass der Ring kein kompletter Ring ist. Sondern eine circa 3000 Lichtjahre lange Struktur, um circa 15 bis 20 Grad gegenüber der Ebene der Milchstraße geneigt, die nur knapp ein Zehntel um das Zentrum der Milchstraße herum reicht. Die Sterne des Gouldschen Gürtels sind vergleichsweise jung, nur circa 60 Millionen Jahre alt, was deutlich jünger ist als das typische Alter der anderen Sterne in der Milchstraße. Aber auch kein Wunder, denn bei den interstellaren Gaswolken des Gürtels handelt es sich ja um ebenso typische Sternentstehungsgebiete. Und da ist es auch nicht überraschend, dass dort jede Menge helle Sterne zu finden sind. Wir sehen die jungen, heißen Sterne die in diesen Regionen erst vor ein paar Millionen Jahren entstanden sind. Beziehungsweise die massereichen, alten, aber immer noch hellen Sterne, die schon wieder dabei sind ihr kurzes Leben als rote Riesen zu beenden nachdem sie vor ein paar Millionen Jahren entstanden sind. Antares gehört zum Beispiel dazu, hellster Stern im Sternbild Skorpion. Unsere Sonne ist übrigens kein Teil des Rings, wir liegen innerhalb davon und es sind circa 300 Lichtjahre bis dorthin.
Aber wieso gibt es da diesen komischen, geneigten Ring aus Sternentstehungsgebieten und hellen Sternen? Gute Frage, auf die wir leider keine definitive Antwort haben. Vielleicht ist da mal ne große Wolke aus Gas und Staub sehr schnell vorbei gekommen. In der Milchstraße ist ja alles in Bewegung und diese Bewegung ist nicht unbedingt immer ordentlich. Im Gegenteil - die Sterne bewegen sich zwar in erster Näherung um das Zentrum der Milchstraße herum, so wie die Planeten um die Sonne. Aber die Sonne hat sehr, sehr viel mehr Masse als alle Planeten zusammengenommen und dominiert daher mit ihrer Schwerkraft die Bewegung des Sonnensystems. Im Zentrum der Milchstraße sitzt zwar ein großes schwarzes Loch mit der circa viermillionenfachen Masse der Sonne. Im Vergleich zu den hunderten Milliarden von Sternen unserer Galaxis ist das aber NICHT dominant. Das heißt, die Bewegung der Sterne um das Zentrum der Milchstraße ist beeinflusst von der Gravitation der ganzen anderen Sterne. Das macht die Bewegung tendenziell chaotisch und da kann es gut sein, dass so eine große interstellare Wolke halt auch mal quasi kreuz und quer durch die Gegend fliegt. Wenn sie dann die Ebene der Milchstraße durchquert kann der dort etwas stärker wirkende Gravitationseinfluss der anderen Sterne dazu führen, dass sich das Gas der Wolke zu Sternen zusammenballt. Beziehungsweise dass das Gas in den Wolken in der Umgebung, die sowieso schon dort waren, kollabiert und Sterne entstehen. Wenn die dann am Ende ihres Lebens als Supernovae explodieren, verdichten sie das Gas in der Umbegung noch weiter und das Resultat wären jede Menge neue, dichtere Wolken aus denen neue Sterne entstehen, so wie beim Gouldschen Gürtel. Aber ob das wirklich so war, wissen wir nicht. Es gibt auch jede Menge andere Hypothesen, zum Beispiel dass eine größere Wolke aus dunkler Materie die Milchstraßenebene durchquert und die Entstehung des Gouldschen Gürtels ausgelöst hat.
Wir brauchen mehr Forschung, wie immer. Und die hat in diesem Fall auch stattgefunden. Mit einem recht überraschenden Ergebnis: Es scheint so, als würde es den Gouldschen Gürtel in der Form gar nicht geben. Stattdessen ist dort die "Radcliffe-Welle". Das Problem, das man immer hat, wenn man Strukturen im Kosmos verstehen will, ist die Entfernung. Die sehen wir nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick. Wir können vergleichsweise leicht feststellen, ob da am Himmel etwas ist, zum Beispiel ein Stern oder eine Gaswolke. Und natürlich auch wo am Himmel, also in welcher Richtung, sich das Ding befindet. Was wir ohne weiteres nicht sehen: Wie weit ist es bis dorthin? Das muss man messen und das ist mühselig, ganz besonders, wenn es um Objekte wie Gaswolken oä geht.
Zum Glück wurde im Jahr 2013 das Weltraumteleskop Gaia ins All geschickt. Sein Job war genau das: Die Entfernungsbestimmung für extrem viele Himmelskörper durchzuführen; so exakt wie nie zuvor. Am Ende waren es fast 2 Milliarden Objekte, die Gaia vermessen konnte. Mit den so gewonnenen Daten konnte man sich auch den Gouldschen Gürtel genauer anschauen und seine räumliche Struktur sehr genau bestimmen. Und hat dabei festgestellt: Der Gürtel ist viel mehr eine Welle. Ungefähr 9000 Lichtjahre lang und 400 Lichtjahre breit. Sie erstreckt sich dabei 500 Lichtjahre über die Ebene der Milchstraße beziehungsweise 500 Lichtjahre darunter, wie eine Welle eben. Dass wir bisher gedacht haben, einen Gürtel zu sehen, lag nur an einem Projektionseffekt. Die großen Sternentstehungsgebiete des Gouldschen Gürtels - der Orion-Molekularwolkenkomplex mit dem Orionnebel, die Perseus Molekularwolke, usw - sind alle Teil dieser Radcliffe-Welle, benannt übrigens nach dem Radcliffe Institute for Advanced Study in Cambridge, wo ein Großteil der Leute gearbeitet hat, die diese Entdeckung gemacht haben.
Die Radcliffe-Welle ist eine enorme Struktur, sie nimmt circa 20 Prozent der Breite und 40 Prozent der Länge des Orion-Arms ein, also des Spiralarms unserer Galaxie, in dem sich auch die Sonne befindet. Im Laufe von Jahrmillionen schwingt sie sogar hin und her, um die Ebene der Milchstraße. Immer wieder kommt die Welle dabei auch in unsere kosmische Nachbarschaft, alle 13 Millionen Jahre circa.
Das Rätsel der Entstehung ist aber durch diese Entdeckung eher größer geworden als kleiner. Im Gegensatz zum Gouldschen Gürtel kann die viel größere Radcliffe-Welle eher nicht durch Supernova-Explosionen früherer Sterne entstanden sein. Wenn, dann muss irgendein Prozess dafür verantwortlich sein, der sich auf galaktischer Ebene abspielt. Gravitative Veränderung, Schockfronten quasi, die einen ganzen Spiralarm durchqueren und dabei so enorme Strukturen erzeugen. Aber was dafür sorgt, dass sich die Gravitationskräfte über so einen großen Bereich so ändern, ist unbekannt. Es wird mit der Bewegung der Objekte in der Milchstraße zu tun haben, aber wie genau das passiert: Das wissen wir noch nicht. Aber immerhin wissen wir, dass wir quasi auf einer galaktischen Welle reiten und das ist ja auch ganz nett.
**Sternengeschichten Folge 487: Fast Radio Bursts ** Im Jahr 2007 war David Narkevic ein Student an der West Virgina Universität in den USA. Von seinem Betreuer, dem Astronomen Duncan Lorimer bekam Narkevic die Aufgabe zugeteilt, die Daten im Archiv des Parkes-Radioobservatoriums zu untersuchen. Solche Aufgaben werden gerne mal an junge Studentinnen und Studenten vergeben. Archivdaten gibt es genug; man muss nicht extra Beobachtungsanträge schreiben um sie nutzen zu können und wenn die Studierenden nichts finden, dann hat man die wichtigen Instrumente nicht unnötig benutzt. Ok, die Studierenden haben ihre Zeit verloren und ärgern sich vermutlich, dass sie nur mit Archivdaten abgespeist worden sind anstatt an mit neuen Daten arbeiten zu können. Aber erstens ist das halt leider so im Studium. Und zweitens kann man auch in Archivdaten neue Entdeckungen machen. Denn nicht immer weiß man zum Zeitpunkt einer Beobachtung schon genau, was man eigentlich alles entdecken kann. Man macht Beobachtungen mit einem ganz bestimmten Ziel und wertet die Daten unter diesem Gesichtspunkt aus. Und oft zeigt sich erst später, dass in den Daten auch noch ganz andere Informationen stecken die man zuvor übersehen hat.
In dem Fall sollte Narkevic nach Pulsaren suchen. Also nach schnell rotierenden Neutronensternen. Die sind spannend und sehr interessant für die Forschung. Aber auch damals nichts Neues, die hat man schon vor Jahrzehnten entdeckt, wie ich in Folge 142 erklärt habe. Aber wir kommen später noch auf die Pulsare zurück.
Nun, ob David Narkevic erfreut oder verärgert war, als er den Job bekam die alten Daten des Parkes-Radioteleskops nach übersehenen Pulsar-Signalen durchzusehen, wissen wir nicht. Aber man darf davon ausgehen, dass er danach durchaus froh darüber war. Denn was er dort gefunden hat, kannte davor noch niemand. Am 24. Juli 2001 empfing das Teleskop, das im südlichen Australien steht, ein fünf Millisekunden dauerndes Radiosignal. Ein vergleichsweise starkes Radiosignal und eines, das sich nicht wiederholt hat. Es ist absolut nicht ungewöhnlich, wenn Himmelskörper Radiowellen abgeben. Das ist ja auch nur elektromagnetische Strahlung, so wie das normale Licht, nur eben bei einer größeren Wellenlänge. Die Sonne leuchtet im Radiolicht, die anderen Sterne tun das und jede Menge andere astronomische Phänomene ebenfalls. Ungewöhnlich ist es aber, wenn irgendwas nur einmal sehr kurz aufleuchtet und dann nicht wieder. Auch solche Ereignisse kennen wir; Supernova-Explosionen zum Beispiel. Wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebens explodiert, dann leuchtet er für kurze Zeit extrem hell auf. Wenn zwei Neutronensterne kollidieren, dann gibt es ebenfalls kurze, extrem helle Blitze in allen möglichen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums; wenn zwei schwarze Löcher kollidieren können wir für kurze Zeit Gravitationswellen registrieren. Aber einen so schnellen und sich nicht wiederholenden Ausbruch an starker Radiostrahlung hatte man bisher in der Form noch nicht gesehen. Das Phänomen, das David Narkevic in den alten Daten gefunden hatte, bekam die Bezeichung "Fast Radio Bursts", auf deutsch "schnelle Radiostrahlungsausbrüche" und das Ereignis vom 24. Juli 2001 wird seitdem auch "Lorimer-Burst" genannt, nach dem Professor übrigens, der die Idee für die Archiv-Suche hatte und nicht nach dem Studenten, der das Ereignis auch gefunden hat.
Wo eins ist, sind vermutlich auch mehrere. Das gilt ganz allgemein und natürlich auch für astronomische Phänomene. Ereignisse die nur einmal und nie wieder vorkommen sind angesichts eines quasi unendlich großen Universums eher unwahrscheinlich und es ist erst recht unwahrscheinlich dass dieses Einzelereignis in der gesamten gewaltigen Geschichte des Kosmos gerade dann stattfindet wenn wir bereit sind, dabei mit unseren Teleskopen zuzusehen. Man konnte also davon ausgehen, dass es noch sehr viel mehr solcher Fast Radio Bursts gibt und wir sie bisher einfach nur übersehen haben. Also machte man sich auf die Suche und wurde schnell fündig. Aber nicht so wie erwartet. Am Parkes-Radioteleskop fand man im Jahr 2010 gleich 16 Radiopulse die sich bei genauerer Untersuchung aber als höchst irdisches Phänomen herausgestellt haben. Sie stammten von der Mikrowelle im Gebäude: So ein Gerät schaltet sich zwar automatisch ab, wenn man die Tür öffnet. Aber mit einer winzigen Verzögerung und deswegen gab es jedes Mal einen Radioimpuls der Sekundebruchteile dauerte immer dann, wenn jemand auf der Sternwarte die Mikrowelle aufgemacht hatte. Tja. Das heißt aber nicht, dass der Lorimer-Burst ebenfalls aus der Küche der Sternwarte kam. Der fand wirklich weit draußen im All statt und da stellt sich nun vermutlich die Frage: Woher weiß man das? Man weiß ja nicht einmal um was es sich dabei handelt; woher will man dann wissen, wie weit das Wasauchimmer entfernt ist?
Das lässt sich aus der sogenannten Dispersion bestimmen. Überall im Weltall befinden sich freie Elektronen. Also nicht überall, aber der leere Raum zwischen den Sternen ist eben nicht komplett leer. Hier und da findet sich ein Atom, ein Molekül oder eben auch ein Elektron. An diesen Elektronen kann elektromagnetische Strahlung gestreut werden und je niedriger die Frequenz ist, desto stärker ist die Streuung. Der Radioimpuls wird ja nicht nur bei einer einzelnen Frequenz empfangen sondern über einen bestimmten Frequenzbereich. Und die höheren Frequenzen kommen dabei ein paar Sekundenbruchteilen vor den niedrigeren Frequenzen an. Das ist die Dispersion und ihr Ausmaß hängt natürlich vor allem von der Menge an freien Elektronen ab, die sich zwischen Teleskop und Radioquelle befinden. Die kennen wir nicht, weil wir nicht wissen, wo das Signal herkommt. Wir können aber aus anderen Daten zumindest ungefähr abschätzen, wie viele freie Elektronen ein Signal typischerweise treffen würde, wenn es irgendwo aus unserer eigenen Galaxie stammt. Die bei den Fast Radio Bursts beobachtete Dispersion ist aber viel größer; sie müssen also unterwegs sehr viel mehr Elektronen getroffen haben und daher auch von viel weiter her kommen; irgendwo aus anderen, weit entfernten Galaxien.
Nach dem ersten Lorimer-Burst (und der Mikrowellen-Episode) fand man in Archivdaten noch weitere Beispiel für Fast Radio Bursts. Und am 20. November 2012 wurde vom Arecibo-Radioteleskop dann auch so ein ein Radioausbruch "live" gemessen. In den folgenden Jahren fand man jede Menge weitere. In Archivdaten und bei gezielten Beobachtungen. Man fand einige Radiosignale die sich wiederholten, aber viele, die einfach nur einmal auftauchten und dann nicht mehr zu registrieren waren. Ab zu ist es auch gelungen, die Galaxie zu finden, aus der die Radiosignale gekommen sind. Am 19. Juni 2019 etwa registrierte das CHIME-Teleskop in Kanada einen Fast Radio Burst der genau aus der Richtung des Himmels kam wo sich eine Spiralgalaxie befindet, 457 Millionen Lichtjahre weit weg. Zum damaligen Zeitpunkt war das der uns nächstgelegen Radio Burst, aber man hat bald weitere gefunden die aus Galaxien kommen, die uns noch näher sind. Am 28. April 2020 fand man - ebenfalls mit dem kanadischen CHIME-Teleskop - einen Fast Radio Burst der aus nur 30.000 Lichtjahren Entfernung und damit aus unserer eigenen Galaxie kommt. Und zwar aus genau der Richtung in der man am Himmel SGR 1935+2154 sehen kann. Das ist ein Magnetar und damit sind wir jetzt mittendrin bei der Frage nach der Natur der Fast Radio Bursts.
Natürlich gab es im Laufe der Zeit jede Menge Hypothese darüber, was da so viel Radiostrahlung ins Universum abgibt. Kollisionen sind in solchen Fällen immer ein guter Ausgangspunkt. Dinge stoßen ja meistens nur einmal zusammen und WENN im Universum Himmelskörper kollidieren, dann sind das im Allgemeinen auch entsprechend extreme Ereignisse die jede Menge Strahlung freisetzen. Wir wissen, dass Neutronensterne die miteinander zusammenstoßen gigantische Mengen an Gammastrahlung freisetzen können. Warum sollten sie nicht auch für die Radioblitze verantwortlich sein? Neutronensterne sind die Reste von sehr massereichen Sternen; das was übrig bleibt, wenn diese Sterne keine Kernfusion mehr machen können. Dann schleudern sie ihre äußeren Schichten bei einer enormen Explosion hinaus ins All und übrig bleibt ein extrem kompakter Kern; ein paar Dutzend Kilometer groß aber so schwer wie die Sonne. Der Neutronenstern rotiert extrem schnell und hat auch ein extrem starkes Magnetfeld. Wenn zwei davon kollidieren, dann kollabieren auch ihre Magnetfelder und Radiostrahlung könnte freigesetzt werden.
Gleiches gilt für Supernova-Explosionen: Auch das sind Einzelereignisse mit jeder Menge Strahlung. Wir können uns zum Beispiel zwei weiße Zwerge denken, die einander umkreisen. Ein weißer Zwerg ist das, was von Sternen wie unserer Sonne übrig bleibt, nachdem sie ihren Treibstoff für die Kernfusion aufgebraucht haben. Wenn die sich umkreisen und dabei zu nahe kommen, können sie verschmelzen. Dabei könnte Radiostrahlung entlang der magnetischen Pole des neu entstandenen, größeren weißen Zwergs entkommen.
Es gibt noch jede Menge weitere Hypothesen, bis hin natürlich zu Aliens, die Fast Radio Bursts absichtlich erzeugen um damit Raumschiffe anzutreiben. Aber Aliens sind in der Wissenschaft selten eine gute Erklärung; vor allem, weil man ja keine Ahnung hat, was diese potenziellen Aliens alles können und wissen und es andererseits meistens sehr viel bessere Erklärungen gibt, die ohne Aliens auskommen.
Also lassen wir die spekulativen Aliens und konzentrieren wir uns auf die Tatsache der Beobachtung vom April 2020, als man einen Fast Radio Burst innerhalb unserer Milchstraße zu einem Magnetar zurück verfolgen konnte. Was Magnetare sind habe ich in Folge 401 der Sternengeschichten ausführlich erklärt. Kurz gesagt: Ein schnell rotierender Neutronenstern mit einem besonders starken Magnetfeld, circa 1000 Mal stärker als üblich. In der magnetischen Hülle so eines Magnetars können elektrisch geladene Teilchen eingefangen und beschleunigt werden. Dabei entsteht Radiostrahlung, die sich dann in Form eines Fast Radio Bursts quasi entlädt.
Aber so einfach ist es leider auch wieder nicht. Man hat zum Beispiel Fast Radio Bursts auch zu den Außenbereichen ferner Galaxien zurückverfolgen können; dorthin, wo eine Galaxie von Kugelsternhaufen umgeben ist. Solche Kugelsternhaufen in der Peripherie sind alt. Magnetare aber sollten eigentlich junge Objekte sein bzw. insofern jung, als ein Magnetar der Überrest eines großen, hellen Sterns mit entsprechend kurzer Lebensdauer ist. Und nach seiner Entstehung als Magnetar sein extremes Magnetfeld auch nicht ewig behält. In einem alten Kugelsternhaufen erwartet man also eher keine Magnetare. Aber in Kugelsternhaufen stehen die Sterne sehr dicht beieinander und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dort ein weißer Zwerg - und von solchen Sternüberresten sollte es da auch jede Menge geben - einem anderen Stern nahe kommt, von ihm ein bisschen Masse anzieht und dadurch zu einem Neutronenstern kollabiert. Auch dabei wird Radiostrahlung frei.
Es ist ein bisschen unbefriedigend. Wir wissen, dass es die Fast Radio Bursts gibt und dass sie sowohl in unserer eigenen Galaxie stattfinden als auch in weit entfernten. Wir wissen, dass es mehrere mögliche Ursachen für ihren Ursprung gibt. Wir sind aber nicht in der Lage, eindeutige Indizien zu finden, die eine Ursache stärken oder andere zweifelsfrei ausschließen. Sicher ist: Fast Radio Bursts haben etwas mit der Art zu tun, wie manche Sterne ihr Leben beenden. Ebenfalls sicher ist aber auch: Wir werden nicht aufhören, das Phänomen zu untersuchen. Noch wissen wir nicht Bescheid darüber. Aber je nachdem wann ihr diesen Podcast hört, haben wir die Lösung vielleicht ja schon gefunden…
Sternengeschichten Folge 486: Das Sternbild Schlange
Am Himmel gibt es erstaunlich viele Schlangen. Es gibt das Sternbild der Wasserschlange, das der kleinen Wasserschlange und eine simple Schlange gibt es auch noch. Vielleicht liegt das daran, dass man die Sterne am Himmel relativ einfach zu einer Schlange verbinden kann. Oder weil wir Menschen Schlangen immer schon gefährlich und faszinierend gefunden und sie deswegen auch mit unseren Mythen am Himmel verewigt haben. So oder so - heute geht es in den Sternengeschichten um das Sternbild Schlange.
Dass Sternbilder keinen wissenschaftlichen Wert haben, habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft erklärt. Aber der Himmel ist ja nicht nur für die Wissenschaft da. Und deswegen haben wir Menschen immer schon unsere Mythen und Ängste, unsere Helden und Götter, unsere Wünsche und Hoffnungen an den Himmel projiziert und die leuchtenden Punkte dort zu Bildern angeordnet, die all unsere Geschichten erzählen. Jedes Volk hat im Laufe der Zeit seine eigenen Geschichten und Sternbilder erzählt; Anfang der 1920er Jahre hat die Internationale Astronomische Union aber 88 "offizielle" Sternbilder festgelegt und sich dabei im Wesentlichen am Himmel der griechisch-römischen Antike und den Ergänzungen der europäischen Entdecker der frühen Neuzeit orientiert. Der Himmel wurde also in 88 Bereiche unterteilt und jeder dieser Bereiche ist ein Sternbild. Bis auf die Schlange - sie ist das einzige Sternbild des Himmels, das aus zwei voneinander getrennten Bereichen besteht.
Aber fangen wir mal mit den Äußerlichkeiten an. Das Sternbild Schlange gehört zu den größeren des Himmels; nur 22 andere Sternbilder sind noch größer. Von Mitteleuropa aus kann man es am besten im Sommer beobachten, obwohl es dort eigentlich nicht viele helle Sterne gibt, die man beobachten könnte - aber dazu später mehr. Südlich der Schlange findet man die Sternbild Waage und Schütze, im Westen die Jungfrau und den Bärenhüter. Im Osten sind das Sternbild und der Adler. Aber ich habe vorhin erwähnt, dass die Schlange aus zwei getrennten Bereichen am Himmel besteht. Die heißen "Serpens Caput" und "Serpens Cauda", also Kopf und Schwanz der Schlange, wobei sich der Kopf im Westen befindet und der Schwanz im Osten. Und was ist zwischen Kopf und Schwanz? Der Körper natürlich, der aber nicht zum Sternbild Schlange gehört sondern Teil des Sternbilds Ophiuchus ist, auf deutsch der "Schlangenträger".
Das klingt ein wenig verwirrend, also schauen wir mal kurz auf die Mythologie die dem ganzen zugrunde liegt. Schlange und Schlangenträger stammen aus der antiken, griechisch-römischen Mythenwelt. Die Menschen damals haben sich dort also einen Mann vorgestellt, der eine große Schlange in Händen trägt. Für die Griechen war dieser Mann Asklepios (bei den Römern "Äskulap" genannt), der Gott der Heilkunst. Aber wozu braucht ein Arzt eine Schlange? Vermutlich um ihr das Gift zu entnehmen, das in geringer Dosierung auch als Heilmittel eingesetzt werden kann. Das zumindest wäre eine in der Realität verhaftete Erklärung, der eigentliche Mythos geht so: Asklepios war der Sohn des Gottes Apollo. Seine Mutter war eine Prinzessin oder Königin, da ist sich die Mythologie nicht ganz einig. Auf jeden Fall war Asklepios ein Halbgott und wurden vom Kentauren Chiron - eines dieser Wesen die halb Mensch und halb Pferd sind - in allen Dingen unterrichtet. Vor allem aber in der Heilkunst, die Asklepios so gut beherrschte, dass er sogar Tote zum Leben erwecken konnte. Das merkte er, als Hippolytos, der Sohn von König Theseus bei einem Unfall starb. Die Göttin Artemis, die ein bisschen auf Hippolytos stand, hat Asklepios gebeten, ihn wieder zum Leben zu erwecken, was der auch tat. Beziehungsweise nicht tat, weil er ja noch nicht wusste, wie das geht. Aber als er da so stand und auf den toten Hippolytos schaute, kam ne Schlange vorbei. Das nervte Asklepios offensichtlich und er erschlug sie mit seinem Stab. Woraufhin eine zweite Schlange angeschlängelt gekommen ist, mit einem komischen Zauberkraut im Maul mit dem sie die erste Schlange wieder zum Leben erweckt hat. "Schau an!", dürfte sich Asklepios gedacht haben, und hat das Kraut fix selbst genutzt, um Hippolytos wiederzubeleben.
Das hat aber die anderen Götter geärgert, weil die Toten zum Leben erwecken war ihr Job, da durfte sich so ein Mensch nicht einfach einmischen, selbst wenn er ein Halbgott ist. Zeus wollte Asklepios also umbringen, Artemis und Apollo konnten ihn aber zumindest so weit beruhigen, dass er von seinen Mordplänen absah und Asklepios stattdessen nur an den Himmel versetzt hat, wo er ab jetzt als Sternbild unsterblich war, mitsamt der Schlange. Den Stab des Asklepios mit der Schlange die sich darum windet kann man übrigens heute immer noch überall sehen. Der sogenannte "Äskulapstab" ist zum Symbol der Heilkunst geworden das man heute überall in Apotheken und Krankenhäusern finden kann.
Aber wie gesagt: Das ist nur eine Geschichte, von vielen Geschichten die die Menschen sich ausgedacht haben. Die Babylonier haben in dieser Gegend des Himmels den Kriegsgott Zababa gesehen, ohne Schlange, aber dafür mit Pfeil und Bogen. Und gleich daneben hatten die Babylonier übrigens das Sternbild "Leichnam" platziert; wahrscheinlich ein Opfer des Kriegsgottes. Eigentlich passend, dass die Griechen dann noch nen Arzt dazu geschickt haben…
Wir lassen die Mythologie aber jetzt mal beiseite und schauen auf die Sterne, die sich in der Schlange befinden. Jede Menge natürlich, und viele davon kann man auch mit freiem Auge sehen. Dazu muss der Himmel aber richtig dunkel sein und selbst dann sind die Sterne der Schlange eher unscheinbar. Nur einer davon ist halbwegs hell und das ist Alpha Serpentis beziehungsweise "Unukalhai". Das kommt aus dem arabischen und heißt so viel wie "Hals der Schlange"; der lateinische Name dieses Sterns ist "Cor Serpentis" und bedeutet "Herz der Schlange". Aber egal ob Hals oder Herz - so wahnsinnig viel gibt es darüber nicht zu erzählen. Alpha Serpentis ist knapp 74 Lichtjahre von der Sonne entfernt und ein Riesenstern mit der 70fachen Leuchtkraft der Sonne. Er ist aber auch knapp Tausend Grad kühler und befindet sich schon am Ende seines Lebens.
Wesentlich spannender wird es, wenn wir ein wenig weiter hinaus schauen und auf die Objekte der Schlange, die keine Sterne sind. Da ist zum Beispiel "Hoags Objekt". Entdeckt hat es der amerikanische Astronom Arthur Hoag im Jahr 1950. Es handelt sich um eine Galaxie die ungefähr 500 Millionen Lichtjahre weit entfernt ist. Weit entfernte Galaxien gibt es natürlich haufenweise im Universum. Aber ein Blick auf Hoags Objekt zeigt, dass es sich um etwas besonders handelt. Es ist eine sogenannte "Ringgalaxie": Man sieht einen nahezu perfekten Ring aus hellen, blauen Sternen, der einen Durchmesser von etwa 100.000 Lichtjahren hat. Und im Zentrum dieses Rings ist ein kugelförmiger Kern mit einem Durchmesser von etwa 17.000 Lichtjahren der aus gelb leuchtenden Sternen besteht. Und dazwischen ist nichts. Zumindest nichts, das sich so einfach beobachten lässt aus der Entfernung; der eine oder andere Sternhaufen wird da schon noch sein.
Wie Hoags Objekt entstanden ist, wissen wir noch nicht. Normalerweise entstehen Ringgalaxien wenn eine kleine Galaxie mit einer größeren kollidiert. Wenn das auf die richtige Weise passiert, dann ist der Effekt ähnlich wie wenn man mit einer Pistole schießt. Die Details sind natürlich ein wenig komplizierter, aber durch die Wechselwirkung einer kleinen und dichten Galaxie und einer größeren, weniger dichten kann die Sternentstehung in einem ringförmigen Bereich um das Zentrum angeregt werden. Die jungen Sterne leuchten hell und blau, so wie bei Hoags Objekt. Nur dass da trotz intensiver Suche keine zweite Galaxie zu finden ist und keine Spuren irgendeiner Kollision. Tja. Irgendwann werden wir sicher noch rauskriegen, wie Hoags Objekt entstanden ist. Und bis dahin können wir die seltsame Galaxie anschauen und einfach nur schön finden.
Und wer an schöne Dinge im Weltraum denkt, sieht vor dem inneren Auge vermutlich ein Bild, das dem Adlernebel recht ähnlich sieht. Das Sternbild Adler grenzt zwar tatsächlich an die Schlange, der Adlernebel befindet sich aber trotzdem nicht dort. Sondern eben in der Schlange. Oder genauer gesagt: Ungefähr 7000 Lichtjahre weit weg und seinen Namen hat er, weil er einem Adler ähnlich sehen soll. Der Adlernebel ist ein sogenannter Emissionsnebel, eine große Wolke aus vor allem Wasserstoff in der Sterne entstehen. Diese jungen Sterne bringen mit ihrer heißen Strahlung das restliche Gas des Nebels in wunderbaren Farben zum Leuchten. Entdeckt hat den Adlernebel der Schweizer Astronom Jean-Philippe de Chéseaux im Jahr 1745. So richtig berühmt ist er - also der Nebel - aber 1995 geworden, als das Hubble-Weltraumteleskop die Region beobachtet hat. DIESE Bilder habt ihr vermutlich alle schon mal gesehen. Eines davon hat sogar einen eigenen Namen bekommen: "Die Säulen der Schöpfung". Vor einem Hintergrund aus blau-grün leuchtendem Gas, das durchsetzt mit hellen rötlichen Sternen ist, ragen schwarz-bräunliche Wolken empor, die aussehen wie massive Säulen. Die "Säulen" sind vier Lichtjahre groß, dort entstehen neue Sterne die mit ihrer Strahlung die Säulenwolken langsam auflösen und so die komplexen und faszinierenden Strukturen geschaffen haben die man dort sehen kann.
Der Adlernebel und die Säulen der Schöpfung haben noch viel mehr zu bieten, aber das schauen wir uns in einer anderen Folge mal genauer an. Und sagen bis dahin der himmlischen Schlange auf Wiedersehen.
Sternengeschichten Folge 485: Mondstillstand, Klimawandel und lästige Überschwemmungen
Der Mond beeinflusst die Erde. Wir Menschen aber auch. Und wenn beides zusammenkommt, kann das unangenehme Folgen haben. Aber fangen wir zuerst mit dem Mond an. Wenn er die Erde beeinflusst, dann geht es nicht um den "richtigen Zeitpunkt" zum Haareschneiden, die Gartenarbeit oder ähnlichen esoterischen Unsinn. Darüber habe ich ja schon in Folge 254 der Sternengeschichten gesprochen. Es geht um die Gezeiten, die im Detail durchaus sehr kompliziert sind, was man in Folge 161 nochmal nachhören kann. Aber im Prinzip geht es um die Anziehungskraft des Mondes, die an unterschiedlichen Stellen der Erdoberfläche unterschiedlich stark ist weil ja diese unterschiedlichen Orte auch unterschiedlich weit vom Mond weg sind. Dieser Unterschied in der Anziehungskraft des Mondes führt am Ende zu dem, was wir Gezeiten nennen, also Ebbe und Flut: unterschiedliche Wasserstände an den Küsten der Meere.
Wie stark Ebbe und Flut ausfallen, hängt von diversen Faktoren ab. Unter anderem von der Geografie, also der genauen Form der Küstenlinie, dem Ausmaß des Gewässers um das es geht, und so weiter. Es kommt aber auch an, wie Mond und Sonne gerade in Bezug aufeinander stehen. Denn es gibt ja nicht nur Gezeiten, die der Mond auslöst, sondern auch Gezeiten die durch die Anziehungskraft der Sonne verursacht werden. Wir auf der Erde spüren immer nur die jeweilige Summe der Gezeitenkräfte, die Sonne spielt aber durchaus eine wichtige Rolle und macht im Schnitt mehr als ein Drittel der Gezeitenkraft aus, die auf die Erde wirkt. Wenn jetzt Sonne und Mond von der Erde aus gesehen auf einer Linie stehen, dann summieren sich ihre Kräfte und die Gezeiten fallen stärker aus. Das nennt man "Springtide" und sowas kommt logischer bei Vollmond und Neumond vor. Bei Halbmond stehen Sonne und Mond rechtwinkelig zueinander und ihre Beiträge schwächen sich ab. Diese schwächeren Gezeiten heißen Nipptiden.
Aber das war noch längst nicht alles. Die Bahn der Erde um die Sonne und die Bahn des Mondes um die Erde sind ja keine exakten Kreise. Die Bahnen sind Ellipsen, sie sind zueinander geneigt, sie wackeln aufgrund diverser Störungen ständig durch die Gegend, und so weiter. Das alles beeinflusst, wie Sonne, Mond und Erde zueinander stehen und verändert die Stärke der Gezeiten. Das will ich jetzt nicht alles im Detail erklären, sondern mich auf ein bestimmtes Detail konzentrieren. Dabei geht es um die "Knotenlinie" und den sogenannten "Mondstillstand".
Fangen wir mit den Knoten an. Die Ebene der Mondbahn ist gegenüber der Ekliptik, also der Ebene der Erdbahn geneigt. Und zwar um circa 5 Grad. Das bedeutet, es gibt eine Linie entlang der sich die beiden Ebenen schneiden und das ist die Knotenlinie. Und entlang der Mondbahn gibt es zwei Punkte, die genau auf dieser Linie liegen, nämlich die "Mondknoten" oder "Knotenpunkte". Befindet sich der Mond in einem Knotenpunkt, dann befindet er sich auch genau im Schnittpunkt von Mond- und Erdbahn. Nur dann stehen Erde, Mond und Sonne WIRKLICH in einer Linie, also genau hintereinander und können einander verdecken. Wenn also zufällig Neumond ist wenn der Mond im Knotenpunkt steht, gibt es eine Sonnenfinsternis; ist gerade Vollmond wenn der Mond den Knotenpunkt passiert, dann kriegen wir eine Mondfinsternis. Aber heute soll es ja nicht um Finsternisse gehen, sondern um die Gezeiten.
Deswegen ist es auch noch wichtig zu wissen, dass die Knotenlinie nicht fix im Raum steht. Denn da sind ja immer noch die diversen gravitativen Störungen der anderen Himmelskörper. Die Knotenlinie dreht sich im Kreis und braucht 18,61 Jahre um eine komplette Drehung zu vollführen. Was heißt das jetzt alles? Schauen wir zuerst mal, wie hoch der Mond überhaupt so am Himmel stehen kann. Das hängt natürlich auch vom jeweiligen Zeitpunkt ab und auch von wo auf der Erde man zum Himmel schaut. Aber erinnern wir uns: Die Mondbahn ist um 5 Grad gegenüber der Ekliptik geneigt. Die Ekliptik ist die Ebene, in der sich die Erde um die Sonne bewegt oder, umgekehrt betrachtet, die Ebene, in der sich die Sonne scheinbar bewegt, wenn wir von der Erde aus zum Himmel schauen. In den Folgen 135 und 474 habe ich über die Sommer- und die Wintersonnenwende gesprochen. Das sind die Zeitpunkte im Jahr, an denen die Sonne ihren höchsten bzw. tiefsten Stand am Himmel erreicht. Wir wissen ja, dass die Sonne im Winter tief am Himmel steht und im Laufe des Frühlings Tag für Tag ihren Höchststand zu Mittag immer weiter oben erreicht. Bis sie zur Sommersonnenwende schließlich mittags so hoch steht, wie es nur geht und dann - Tag für Tag - ihren Höchststand wieder tiefer am Himmel hat. Den tiefsten Höchstand erreicht sie zur Wintersonnende und dann geht das Spiel wieder von vorne los.
Das war die Sonne, die sich in der Ekliptikebene bewegt. Und weil die Mondbahn um 5 Grad gegenüber der Ekliptik geneigt ist, kann der Mond noch 5 Grad höher am Himmel aufsteigen als die Sonne bzw. seinen Tiefstpunkt 5 Grad tiefer erreichen. Es ist allerdings ein bisschen komplizierter, denn der Mond braucht ja nur knapp 4 Wochen für einen Umlauf die Erde. Wie hoch ein Himmelskörper - Sonne, Mond oder irgendwas anderes - am Himmel steht, wird mit der sogenannten "Deklination" gemessen. Das ist eine Koordinate, wie die geografische Breite. Nur dass sie nicht vom Äquator der Erde aus gemessen wird, sondern vom Himmelsäquator aus, der aber dem an den Himmel projizierten Äquator der Erde entspricht. Der Polarstern, der ja fast exakt im Himmelsnordpol steht, hat deswegen eine Deklination von 90 Grad Nord. Bei der Sonne beträgt die maximale Deklination zur Sommersonnenwende +23,5 Grad und -23,5 Grad zur Wintersonnenwende. Soll heißen: Im ersten Fall steht sie 23,5 Grad über dem Himmelsäquator und im zweiten 23,5 Grad darunter. Wie hoch der Himmelsäquator selbst am Himmel zu sehen ist, hängt von der geografischen Breite ab. Steht man direkt am Äquator der Erde, dann verläuft der Himmelsäquator logischerweise auch direkt über den eigenen Kopf, hat also eine Höhe von 90 Grad über dem Horizont. An den Polen sieht man den Himmelsäquator direkt am Horizont und dazwischen entspricht die Höhe des Himmelsäquators 90 Grad minus der jeweiligen geografischen Breite. Will man also wissen, wie hoch die Sonne maximal am Himmel stehen kann, muss man 90 Grad - minus geografische Breite rechnen und dann plus 23,5 Grad. Und beim Mond kommen noch mal 5 Grad dazu.
Das war jetzt alles ein wenig kompliziert, soll aber vor allem zeigen, dass der Mond sowohl höher am Himmel stehen kann als die Sonne. Er kann maximal eine Deklination von +28,6 Grad erreichen und minimal eine von 18,4 Grad. Egal welche Deklination der Mond aber gerade hat: Im Gegensatz zur Sonne erreicht er seinen Höchst/Tiefststand am Himmel aber eben im Verlauf von 4 Wochen - einem Monat - und nicht während eines Jahres. Oder anders gesagt: Im Laufe von 18.6 Jahren gibt es zwei extreme Zustände, die "Großer Mondstillstand" und "Kleiner Mondstillstand" genannt werden. Beim großen Mondstillstand wird der Mond seinen höchsten Punkt am Himmel mit einer Deklination von +28,6 Grad erreichen und zwei Wochen später bei einer Deklination von -28,6 Grad seinen tiefsten. Dannach werden die Deklinationswerte im Laufe der 18,6 Jahre weniger extrem, bis nach der Hälfte, also nach 9,3 Jahren, der Mond seinen höchsten Punkt am Himmel mit einer Deklination von +18,4 Grad erreicht und 2 Wochen später seinen tiefsten bei -18,4 Grad. Und dann geht alles wieder zurück.
Der Begriff "Stillstand" hat also nichts damit zu tun, dass der Mond irgendwie aufhört sich zu bewegen. Sondern bezieht sich darauf, dass die Schwankungsbreite der Monddeklination im Laufe von 18,6 Jahren größer und kleiner wird. Aber sich eben zu den Zeitpunkten von großem und kleinen Mondstillstand umkehrt, also kurzfristig nicht größer oder kleiner wird, sondern eben still zu stehen scheint. Gut, aber was hat das jetzt alles mit den Gezeiten zu tun? Ich habe zu Beginn erzählt, dass die Gezeiten ganz besonders stark sind, wenn Mond, Sonne und Erde exakt in einer Linie stehen, sich also alle in der gleichen Ebene befinden. Anders herum gesagt heißt das: Wenn der Mond gerade besonders hoch über die Sonnenposition am Himmel klettern kann, stehen die drei Himmelskörper tendenziell alles andere als in einer Ebene und die Gezeiten fallen schwächer aus. Oder nochmal anders gesagt: Während eines kleinen Mondstillstands sind Sonne, Mond und Erde eher so ausgerichtet, dass die Gezeiten stärker werden als während eines großen Mondstillstands. Und ein letztes Mal anders gesagt: Diese 18,6-Jahres-Periode in der Bewegung der Mondknotenlinie führt dazu, dass in der einen Hälfte des Zeitraums die Gezeiten tendenziell etwas schwächer ausfallen als sie eigentlich sollten und in der anderen stärker, als es ansonsten der Fall wäre.
An den Extrempunkten ist der Effekt besonders ausgeprägt; man nennt das auch die "Nodaltide". Das ist also ein Gezeiteneffekt, der mit einer Periode von 18,6 Jahren stärker und schwächer wird und dessen Einfluss durchaus ein paar Prozent der gesamten Gezeitenkraft ausmachen kann. Was - je nach Küstenlinie usw. - ein paar Zentimeter mehr oder weniger Wasserstand bei Ebbe oder Flut bedeuten kann. Das alles ist nicht neu; darüber weiß man schon seit dem 18. Jahrhundert Bescheid. Neu ist, dass auch wir Menschen angefangen haben die Erde zu beeinflussen und zwar mit dem menschengemachten Klimawandel. Die Erwärmung der Erde lässt den Meeresspiegel steigen. Einerseits, weil wärmeres Wasser sich ausdehnt und andererseits, weil natürlich auch das Eis der Gletscher schmilzt und ins Meer läuft. Womit wir jetzt beim Phänomen der "lästigen Überschwemmung" angekommen sind. Der Fachbegriff dafür ist "tidal flooding" oder eben "nuisance flooding" und beschreibt eine Überschwemmung, ganz ohne schlechtes Wetter, Sturm, und so weiter. Sondern eine Überschwemmung, die nur dadurch auftritt, dass die Gezeiten eben ein paar Zentimeter höher sind als normal und die Flut dann ein bisschen in Gegenden rumplantscht, wo sie normalerweise nicht hinkommt. Das ist im Allgemeinen nicht gefährlich, aber eben lästig. Kritisch wird es dann, wenn so eine "lästige Überschwemmung" häufiger wird. Wenn etwa eine Brücke oder eine Straße einmal kurz überschwemmt wird, ist das kein Drama. Wenn es aber immer wieder passiert, dann sorgt das Salzwasser irgendwann für Schäden. Gleiches gilt zum Beispiel auch für Felder in Küstennähe: Wenn sie zu oft mit Salzwasser überschwemmt werden, kann man da irgendwann nichts mehr anbauen. Und ständige Überschwemmungen, selbst wenn sie nur gering sind, erhöhen auch die Erosion an den Küsten selbst.
Der menschengemachte Klimawandel hat mittlerweile für einen Anstieg des Meeresspiegels um circa 3,5 Millimeter pro Jahr gesorgt. Das klingt nach wenig. Aber es sind eben ein paar Millimeter pro Jahr. Und die können, zusammen mit den durch die Schwankungen der Knotenlinie ausgelösten Nodaltiden genau dafür sorgen, dass es eine "lästige Überschwemmung" gibt, die es ansonsten nicht gegeben hätte. Der Klimawandel macht diese Art von Hochwasser häufiger und damit eben nicht mehr nur lästig, sondern kritisch. Im Jahr 2015 gab es einen kleinen Mondstillstand. 18,6 Jahre später ist 2033, nochmal 18,6 Jahre später dann 2050. Der Meeresspiegel wird zwischen 2015 und 2050 auf jeden Fall steigen; egal was in Sachen Klimaschutz noch passiert. Der Anstieg des Meeresspiegels gehört zu den Phänomenen, bei denen wir es schon verpasst haben, sie aufzuhalten. Selbst wenn die CO2-Menge in der Atmosphäre nicht mehr weiter steigt wird es sehr, sehr lange dauern, bis das Wasser wieder zurück auf die Gletscher gelangt und dort dauerhaft gefroren ist. Die Klimakrise sorgt also nicht nur durch die häufigeren extremen Wetterereignise für mehr und heftigere Überschwemmungen. Wir müssen deswegen auch zu den Zeitpunkten des kleinen Mondstillstands in Zukunft mit sehr viel mehr "lästigen Überschwemmungen" rechnen. Mit all den Konsequenzen, die sie dann weit mehr als nur lästig machen.
Sternengeschichten Folge 484: Das Carrington-Ereignis
"Während der Beobachtung einer Gruppe von Sonnenflecken am 1. September wurde ich pötzlich vom Auftauchen eines sehr hellen Lichtsterns überrascht, sehr viel heller als die Oberfläche der Sonne und blendend für das ungeschützte Auge. Er erhellte die nahen Flecken und Strukturen, ungefähr so wie die Wolkenränder bei Sonnenuntergang aussehen. Die Strahlen erstreckten sich in alle Richtungen und das Zentrum kann man mit der blendenden Helligkeit des Sterns alpha Lyrae vergleichen, wenn man ihn in einem Teleskop mit geringer Vergrößerung betrachtet. Es dauerte circa fünf Minuten und verschwand plötzlich um 11:25."
Diese Beobachtung berichtete der englische Hobby-Astronom Robert Hodgson im Jahr 1859. Und wäre das, was er da gesehen hatte nicht im 19. Jahrhundert passiert sondern heute, dann würden wir definitiv darüber Bescheid wissen. Hodgson hat eine gewaltige Sonneneruption beobachten die den bisher größten bekannten "geomagnetischen Sturm" auf der Erde verursachte.
Eigentlich war Hodgson ja Verleger, der sich früh zur Ruhe setzte um sich mit der gerade erst entstandenen Fotografie zu beschäftigen und der Astronomie. Er baute sich seine eigene Sternwarte in der er sich vor allem der Sonnenbeobachtung widmete. Und am 1. September 1859, kurz vor Mittags machte er die Beobachtung, die ich zu Beginn beschrieben haben.
Hodgson war allerdings nicht der einzige, der dieses Phänomen gesehen hatte. Zur gleichen Zeit und nicht zu weit entfernt von Hodgson blickte auch der Astronom Richard Carrington durch sein Teleskop. Im Gegensatz zu Hodgson war Carrington kein Hobby-Astronom, aber auch er fand seinen Weg zur Wissenschaft nicht gleich.
Der Vater von Carrington war Bierbrauer, mit eigener Brauerei. Für Richard, seinen Sohn, hatte er eigentlich das Leben eines Priesters vorgesehen. Beim Studium in Cambridge entdeckte Richard Carrington aber dann seine Interesse für die Naturwissenschaft, insbesondere die Astronomie. Er arbeitete dann auch tatsächlich ein paar Jahre an der Sternwarte im nordenglischen Durham. Allerdings nur als Assistent, was ihm nicht so gefallen hat. Zum Glück war sein Vater ein wohlhabender Brauereibesitzer von dem er sich Geld leihen konnte um eine eigene Sternwarte zu bauen. Die stand in Redhill, ein Stückchen südlich von London. Dort beschäftigte er sich zuerst mit den zirkumpolaren Sternen, also Sterne, die man die ganze Nacht über am Himmel sehen kann. Die waren damals vor allem interessant für die Navigation und der Katalog ihrer Positionen, den Carrington erstellte wurde daher auch mit Geld der britischen Marine publiziert. Einen Preis von der Royal Astronomical Society gab es dafür ebenfalls. Daneben hat sich Carrington aber auch für die Sonne interessiert. Dass es auf der Sonnenoberfläche dunkle Flecken gibt, hatte man schon im 17. Jahrhundert, kurz nach der Erfindung der ersten Teleskope entdeckt. Eine überraschende neue Erkenntnis über diese Flecken wurde aber erst zu Carringtons Zeit bekannt. Der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe fand durch jahrzehntelange Beobachtungen heraus, dass die Anzahl der Flecken mit einer Periode von circa 10 Jahren schwankt und veröffentlichte diese Erkenntnis 1844. Der große Universalgelehrte Alexander von Humboldt verbreitete diese Entdeckung 1851 in seinem Monumentalwerk "Kosmos" und als Carrington 1852 seine eigene Sternwarte baute, nutze er sie auch um diese faszinierende Eigenschaft der Sonne genauer zu untersuchen.
Seine sehr genauen und sehr regelmäßigen Beobachtungen der Sonne waren eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer ernsthaften Sonnenforschung. Carrington war ein bedeutsamer Forscher seiner Zeit und hätte noch viel bedeutsamer werden können. Aber eine große und lange Karriere hat er leider nicht gehabt. 1858 starb Carringtons Vater und Richard musste die Brauerei übernehmen. Das machte ihm aber nicht nur keinen Spaß, sondern nahm im auch die Zeit für die Forschung. Carrington wollte sich um eine Stelle an einer Universität bewerben. Er wurde aber überall abgelehnt; unter anderem weil der einflussreiche Hofastronom George Bidell Airy dafür sorgte, der Carrington nicht mochte und mit seiner Art der Arbeit nicht klar kam. 1861 verkaufte Carrington seine Sternwarte, später auch die Brauerei und richtete sich eine neue Sternwarte ein. Aber er war frustriert, er war mittlerweile auch schwer krank (wahrscheinlich ein Schlaganfall, das weiß man nicht so genau) und es gelang ihm keine wirklich relevante Forschung mehr. Am 27. November 1875 starb Richard Carrington im Alter von nur 49 Jahren.
Sein Name ist aber bis heute mit der Beobachtung verbunden, die er gleichzeitig und unabhängig von Hodgson am 1. September 1859 machte. Das "Carrington-Ereignis" dient heute noch als dramatisches Beispiel dafür, was die Sonne mit der Erde anstellen kann und hat uns gezeigt, wie umfassend die Auswirkungen einer Sonneneruption sein können.
Was ist da also passiert, am 1. September 1859? Carrington hat das in seinem eigenen Protokoll der Beobachtung ein wenig genauer beschrieben als Hodgson. Zuerst sah er eine große Gruppe von Sonnenflecken; die war schon länger an der Sonnenoberfläche sichtbar und Carrington konnte auch eine sehr schöne Zeichnung davon anfertigen. In diesen Sonnenflecken sah er dann plötzlich ein extrem helles Licht, so hell, dass er zuerst daran dachte, dass vielleicht ein Loch in seinem Sonnenfilter war. Dann aber merkte er, dass er tatsächlich ein Phänomen auf der Sonnenoberfläche sah und lief schnell los, um Zeugen für diese Beobachtung zu holen. Fotos machen konnte man damals ja nur bedingt bzw. etwas aufwendig. Aber auch wenn er nur 60 Sekunden weg war: Als er wieder durchs Teleskop schaute, war die Lichterscheinung schon fast vorbei. Carrington harrte noch eine weitere Stunde vor dem Teleskop aus, aber es gab kein weiteres Licht mehr.
Eine Lichterscheinung auf der Sonne… das war zwar neu und spannend. Aber das, was danach kam, war WIRKLICH außergewöhnlich. In den kommenden Nächten konnte man Polarlichter beobachten und zwar nicht so wie sonst nur in den nördlichen und südlichen Regionen der Erde; in der Arktis und der Antarktis. Die bunten Lichter am Himmel waren bis in die Karabik zu sehen und teilweise so hell, das Menschen dadurch aufwachten weil sie dachten, der Morgen wäre schon angebrochen. Und die Telegraphenleitungen fielen an vielen Orten in Europa und den USA aus. Die Leitungen sprühten Funken; die Menschen die die Telegraphen bedienten, bekamen elektrische Schocks und in einigen Fällen konnten sogar weiter elektrische Signale über die Leitungen geschickt werden, obwohl die Stromquellen schon längst abgeschaltet gewesen waren. Dort wo magnetische Messungen angestellt wurde, gab es verwirrende Ergebnisse und extreme Ausschläge. Kurz gesagt: ein paar Tage lang herrschte ein elektromagnetisches Chaos auf der Erde; es fand das statt, was man einen "geomagnetischen Sturm" nennt.
Heute wissen wir besser Bescheid, was bei solchen Ereignissen passiert. Ich hab davon ja schon vor längerer Zeit in Folge 10 der Sternengeschichten mehr erzählt. Die Sonne besteht aus einem enormen Gewusel aus elektrisch geladenen Gas, das Magnetfelder erzeugt und dessen Bewegung von diesen Magnetfeldern beeinflusst wird. Wenn es ganz wild wird, kann es zu so etwas wie einem Kurzschluss kommen und dann wird jede Menge Energie frei. Bei so einer Sonneneruption können große Mengen an Material der Sonnenatmosphäre schnell und weit hinaus ins All geschleudert werden. Das ist ein "koronaler Massenauswurf" und diese Teilchen treffen dann ein paar Stunden bis Tage später auf die Erde. Zumindest dann, wenn der Auswurf zufällig gerade auf die Position der Erde gerichtet war, was natürlich nicht immer der Fall ist. Aber wenn es der Fall ist, dann prallt das Material auf das Magnetfeld unseres Planeten und auf die Atmosphäre. Dadurch entstehen die Polarlichter, was ich in Folge 206 ja ausführlich erklärt habe. Und sie entstehen deswegen in den Polarregionen, weil das geladene Zeug von der Sonne am Magnetfeld der Erde in Richtung der Pole gelenkt wird. Wenn aber so richtig viel Material ankommt, dann kann es auch weit abseits der Pole zu Polarlichtern kommen.
Wenn das Material der Sonne mit enormer Geschwindigkeit auf das irdische Magnetfeld trifft, kann es dort zu kurzfristigen starken Schwankungen der Magnetfeldstärke kommen. Das wiederum kann in langen elektrischen Leitern - eben zum Beispiel den Telegraphenkabeln die damals überall durch die Gegend gespannt waren - einen Strom induzieren. Das hat 1859 die Schäden in den Telegraphen verursacht. Heute haben wir keine Telegraphen mehr - aber dafür überall Stromleitungen und hier könnte ein Sonnensturm zum Ausfall der Transformatorstationen führen. Auch Satelliten wären von Sonnenstürmen betroffen, ebenso Menschen, die sich gerade im Weltraum aufhalten. Funkübertragen wären gestört; Handys, Radio und Fernsehen könnten zweitweilig ausfallen. Ein Phänomen wie das Carrington-Ereignis hätte in unserer modernen technischen Welt sehr viel größere Auswirkungen als damals im 19. Jahrhundert.
Aber man kann sich einigermaßen darauf vorbereiten. Im Gegensatz zu damals steht die Sonne heute unter ständiger Beobachtung. Satelliten im All haben sie rund um die Uhr im Blick und wir wissen, wie sich so ein koronaler Massenauswurf ankündigt. Und da das Material ja mindestens ein paar Stunden zu uns unterwegs ist, haben wir entsprechend viel Vorwarnzeit. Astronautinnen und Astronauten können sich in abgeschirmte Räume von Raumstationen und Raumschiffen begeben. Satelliten können in einen geschützten Ruhemodus versetzt werden. Transformatorstationen können entsprechend ausgerüstet werden, um Schäden und Ausfälle zu vermeiden. Trotzdem sind sehr starke Sonnenstürme eine durchaus reale Gefahr, nicht weniger als Erdbeben, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche. Sie passieren nicht so oft, aber sie finden statt. Im Schnitt alle 500 Jahre, zumindest so große wie das Carrington-Ereignis. Kleinere Sonnenstürme gibt es öfter und deren Auswirkungen finden vor allem im Weltall statt. Anfang 2022 sorgte zum Beispiel ein kleinerer Sonnensturm für den Ausfall von 40 Starlink-Satelliten. Aber so ist die Welt hat. Sie ist kein gottgegebenes Paradies das extra für uns eingerichtet worden ist. Wir können froh darüber sein, dass die Erde halbwegs lebensfreundliche Bedingungen bietet, trotz Vulkanen und Erdbeben. Und wir können froh darüber sein, dass die Sonne zu den eher wenig aktiven Sterne gehört. Andere schleudern so viel Zeug und Strahlung ins All, dass in ihrer Nähe überhaupt kein Leben möglich ist. Sonnenstürme gehören dazu zu einem Stern; es gibt sie, weil Sterne eben nun mal so funktionieren wie sie funktionieren. Ohne Sonnensturm gibt es auch keine Sonne.
Aber wir wissen heute ausreichend darüber Bescheid; die Wissenschaft hat uns erklärt, wie und warum sie passieren und wie man sich davor schützen kann. Wir müssen es halt auch tun, ansonsten sind wir selber schuld.
Sternengeschichten Folge 483: Kosmische Magnetfelder
Die Gravitation ist definitiv die dominierende Kraft im Universum. Sie bestimmt, wie Planeten, Sterne und Galaxien entstehen, sich bewegen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Gravitation bestimmt die Entwicklung des Universums selbst. Wenn man das Universum verstehen will, dann geht nichts ohne die Gravitation. Aber die Schwerkraft ist nicht die einzige Kraft. Wenn wir mal von den Kräften absehen, die innerhalb der Atome wirken, dann gibt es da auf jeden Fall noch den Elektromagnetismus. Und auch der ist wichtig. Nicht so, wie es die Anhänger der Pseudowissenschaft vom "Elektrischen Universum" denken; davon habe ich ja schon in Folge 453 der Sternengeschichten erzählt. Aber natürlich spielen Elektrizität und Magnetismus eine wichtige Rolle im Universum. Das Licht, das Sterne abstrahlen ist elektromagnetische Strahlung. Genau so wie die Radiostrahlung, die Röntgenstrahlung, die Infrarotstrahlung und der ganze Rest den die diversen Himmelskörper abgeben. Die Sonne und jeder andere Stern ist ein chaotisches Gewirbel aus elektrisch geladenen Gasteilchen deren Bewegung durch die von ihnen selbst verursachten Magnetfelder beeinflusst und vorgegeben wird.
Wir wissen, dass ein Magnetfeld einen ganz besonderen Einfluss auf die Bedingungen auf einem Planeten haben kann. Die Erde hat ein relativ starkes Magnetfeld und das sorgt unter anderem dafür, dass diverse elektrisch geladene kosmische Strahlung uns nicht oder nur abgeschwächt erreichen kann - was gut ist, denn für Lebewesen ist diese Strahlung nicht unbedingt förderlich. Wir wissen, dass die Sonne ein Magnetfeld hat, in dem immer wieder gewaltige elektromagnetische Entladungen, Kurzschlüsse quasi, stattfinden und diese Sonneneruptionen können durchaus Auswirkungen auf unsere Satelliten und unsere Technik haben. Und wir wissen auch, dass Magnetfelder anderswo im Kosmos eine wichtige Rolle spielen.
Nur: Wie untersucht man diesen kosmischen Magnetismus? Wie misst man das Magnetfeld einer weit entfernten Galaxie? Gravitation kann man zwar auch nicht sehen, aber zumindest kann man aus der Bewegung der Objekte berechnen, wie stark die Gravitationskraft ist, die auf sie wirken muss. Wie macht man das aber bei Magnetfeldern? Wie entsteht das Magnetfeld einer Galaxie überhaupt und welche Auswirkungen hat es?
Das alles sind Fragen, die von der Astronomie noch nicht letztgültig beantwortet werden können. Aber wir können sie zumindest zum Teil beantworten. Fangen wir mit der Rolle von Magnetfeldern an. Und zwar nicht mit den Magnetfeldern von Planeten oder Sternen; darüber muss man mal in einer eigenen Folge reden. Sondern mit den Magnetfeldern von Galaxien, von Galaxienhaufen, also den wirklich großen Dingern. Diese Magnetfelder sind enorm schwach - das Magnetfeld der Milchstraße etwa ist 100.000 mal schwächer als das der Erde. Aber es ist da und es hat Auswirkungen. So ein Magnetfeld kann zum Beispiel verhindern das Sterne entstehen. Das passiert ja in großen Wolken aus Gas und Staub, die kollabieren und dann immer weiter in sich zusammenfallen bis sie so dicht geworden sind, dass ein Stern entstanden ist. Die Teilchen in so einer Wolke können elektrisch geladen sein und dann kann ein Magnetfeld die Wolke quasi stabilisieren und verhindern, dass sie in sich zusammenfällt. Was gar nicht mal so schlecht ist, denn das sorgt dafür, dass die Sternentstehung verhältnismäßig langsam abläuft - weswegen auch heute, fast 14 Milliarden Jahre nach dem Urknall immer noch neue Sterne entstehen.
Andererseits kann so ein Magnetfeld den Kollaps einer Wolke auch beschleunigen. Wenn so eine Wolke rotiert, dann sorgt die Zentrifugalkraft der Rotation ja gerade dafür, dass sie nicht beliebig weit kollabieren kann. Wenn das Magnetfeld diese Rotation bremst, dann sorgt das erst dafür, dass ein Stern draus werden kann. Ob ein Magnetfeld die Sternentstehung behindert oder beschleunigt hängt vom Detail ab. Denn das Magnetfeld einer Galaxie kann man nicht mit dem vergleichen, das wir zum Beispiel von der Erde kennen. Da kann man sich ja vorstellen, dass im Inneren der Erde ein riesiger Magnet steckt, mit einem Nord- und einem Südpol und einem entsprechenden Magnetfeld. In Wahrheit ist da natürlich kein Stabmagnet im Erdinneren, sondern eine flüssiger Kern aus Eisen und Nickel und die rotierenden Metallströme sorgen für das Magnetfeld. In einer Galaxie sieht es aber ganz anders aus. Da gibt es kein dominierendes zentrales Objekt das ein Magnetfeld für die ganze Galaxie erzeugt. Gut, es gibt im Zentrum einer Galaxie zwar ein supermassereiches schwarzes Loch und das hat durchaus was mit dem Magnetfeld zu tun. Aber darüber reden wir später. Das supermassereiche schwarze Loch ist zwar supermassereich - aber seine Masse ist im Vergleich zur gesamten restlichen Masse der Galaxie eben nicht dominant. Und das gilt auch für das Magnetfeld. Das Magnetfeld einer Galaxie entsteht aus der Überlagerung von jeder Menge kleiner Magnetfelder. Überall gibt es elektrisch geladene Teilchen die durch die Gegend strömen. Die werden zum Beispiel von den Sternen aus ihren Atmosphären geschleudert und bewegen sich durch die Milchstraße, zusammen mit jeder Menge anderem Gas, das sich zwischen den Sternen befindet. Dabei erzeugen sie kleine Magnetfelder, die sich dann zu einem großen überlagern. Das zumindest ist die Vermutung, wie das galaktische Magnetfeld entsteht wissen wir im Detail immer noch nicht.
Aber immerhin können wir es messen. Es gibt mehrere Methode, wie sich ein Magnetfeld auch aus der Ferne untersuchen lässt. Einer davon ist der sogenannte "Zeeman-Effekt". Im Detail geht es da um sehr komplizierte Quantenphysik. Der Effekt selbst ist aber recht simpel. Wenn man zum Beispiel Licht eines Sterns beobachtet, dann kann man darin ja die Spektrallinien finden. Also bestimmte Wellenlängen, bei denen weniger Licht ankommt als erwartet. Die Sonne strahlt Licht in allen Farben ins All, aber bestimmte Farben werden von den Atomen aus denen sie besteht blockiert. Jedes chemische Element blockiert eine ganz bestimmte Farbe und wenn die fehlt weiß man, dass dieses Element in der Sonne zu finden ist. Das ist normale Spektroskopie - wenn jetzt aber ein starkes Magnetfeld vorhanden ist, dann sieht man statt der zu erwartenden einzelnen Spektrallinie mehrere. Ein Magnetfeld sorgt dafür, dass sich Spektrallinien aufspalten. Zu erklären, warum und wie es das tut würde jetzt zu weit führen - aber der Zeeman-Effekt existiert und damit konnte der amerikanische Astronom George Ellery Hale schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachweisen, dass die Sonnenflecken der Sonne Bereiche sind, wo sehr starke Magnetfelder herrschen.
Der Zeeman-Effekt hilft uns vor allem, wenn es um die Magnetfelder von Sternen geht. Es gibt aber auch andere Methoden, zum Beispiel die Untersuchung der Polarisation des Lichts. Polarisation kann man sich als die Richtung vorstellen, in die eine Lichtwelle schwingt. Die kann bei ihrer Ausbreitung - vereinfacht gesagt - einfach von oben nach unten nach oben und so weiter schwingen. Oder links-rechts-links-rechts. Oder im Kreis herum. Anschaulich kann man sich das mit einem Seil vorstellen: Man bindet ein langes Seil irgendwo fest und nimmt das andere Ende in die Hand. Bewegt man die Hand jetzt auf und ab wird das Seil so schwingen wie eine vertikal polarisierte Lichtwelle, nämlich ebenfalls auf und ab. Bewegt man die Hand horizontal von links nach rechts, dann schwingt das Seil wie eine horizontal polarisierte Lichtquelle. Und bewegt man die Hand im Kreis, demonstriert das Seil wie eine zirkular polarisierte Welle aussieht. In der Realität ist das alles ein wenig komplizierter, aber für uns reicht es zu wissen, dass ein Magnetfeld die Art und Weise verändern kann, wie eine Lichtwelle polarisiert ist.
Die ganze Sache beobachtet man am besten mit Radioteleskopen. Denn es gibt eine bestimmte Art von Radiostrahlung - die Synchotronstrahlung genannt wird und immer dann entsteht, wenn geladene Teilchen von einer geraden Bahn abgelenkt werden. Zum Beispiel durch ein Magnetfeld und genau das passiert in der Umgebung von supermassereichen schwarzen Löchern. Da wirbelt jede Menge Gas und Staub um das Loch herum, bevor es hinein fällt. Die Bewegung der elektrisch geladenen Teilchen wird dabei auch von den Magnetfeldern beeinflusst und deswegen leuchtet die Umgebung so eines schwarzen Lochs im Radiolicht ziemlich hell. Die von Magnetfeldern beeinflusste Bewegung sorgt übrigens auch dafür, dass viele supermassereiche schwarze Löcher sogenannte "Jets" haben, also oft viele tausende Lichtjahre lange Ströme aus Gas, die entlang der Magnetfeldlinien hinaus in den intergalaktischen Raum geschleudert werden. Was wiederum jede Menge Auswirkungen auf die Entstehung neuer Sterne hat, auf die Eigenschaften der Galaxie, und so weiter.
Wichtig aber ist: Aus der Stärke der Synchrotronstrahlung kann man die Stärke des Magnetfeldes abschätzen. Die Polarisation der Strahlung ist prinzipiell irgendwie, aber je stärker ausgerichtet das Magnetfeld ist, desto größer ist auch der Anteil der Strahlung, der in die gleiche Richtung schwingt. Intensität der Strahlung und Ausmaß des Polarisationsgrads sagen uns also wie stark das Magnetfeld ist und wie gleichmäßig oder chaotisch es ausgerichtet ist.
Mit der Polarisation kann man aber noch mehr rausfinden und zwar dank des Faraday-Effekts. Schickt man polarisiertes Licht durch ein Magnetfeld, dann dreht das Magnetfeld die Ebene, in der das Licht schwingt. Eine Welle, die zuvor etwa exakt vertikal schwingt, wird nach dem Durchgang durch ein Magnetfeld in einer Ebene schwingen, die ein bisschen aus der Vertikalen gedreht ist. Aus dieser Drehung kann man dann die Eigenschaften des Magnetfeldes berechnen. Wenn man jetzt also Licht beobachtet, das von einer sehr fernen Galaxie zu uns kommt und unterwegs zum Beispiel einen anderen Galaxienhaufen durchquert, dann sorgt das Magnetfeld dort für eine Drehung der Polarisationsebene. Aber, fragt sich jetzt wohl der eine oder die andere, wie kriegt man das raus? Man weiß ja nicht, in welcher Ebene das Licht geschwungen hat, BEVOR es vom Magnetfeld des Galaxienhaufens gedreht worden ist? Nein, aber man kann es rauskriegen! Wie stark die Polarisationsebene gedreht wird hängt nämlich von der Wellenlänge ab (genauer gesagt vom Quadrat der Wellenlänge). Wenn man also das Licht beobachtet und dann die Polarisationsebene bei unterschiedlichen Wellenlängen misst, wird man unterschiedliche Ergebnisse kriegen. Und je nachdem wie sich diese Ergebnisse im Detail unterscheiden, kann man am Ende das Ausmaß der Faraday-Drehung bestimmen und die Eigenschaften des Magentfelds berechnen.
Wir sind noch weit davon entfernt zu verstehen, wie die kosmischen Magnetfelder im Detail funktionieren. Aber sie sind da und früher oder später werden wir gelernt haben, sie so gut zu beobachten wie wir das beim Licht schon können.
Sternengeschichten Folge 482: Thorne-Żytkow-Objekte - Ein Stern im Inneren eines Sterns
Sterne gibt es jede Menge. Buchstäblich so viele wie Sterne am Himmel. Es gibt Sterne, die einander umkreisen. Es gibt sich umkreisende Sterne die andere sich umkreisende Sterne umkreisen. Es gibt sogar ab und zu, sehr sehr selten mal Sterne, die mit anderen Sternen kollidieren. Es gibt Sterne die geboren werden und Sterne die explodieren. Aber heute geht es um etwas, was es geben könnte, von dem wir aber noch nicht wissen, ob es das auch wirklich gibt: Sterne, in deren Inneren sich ein anderer Stern befindet.
Die Idee klingt höchst absurd. Sie stammt aus dem Jahr 1975 und wurde damals vom amerikanischen Physiker Kip Thorne und der polnischen Astronomin Anna Żytkow veröffentlicht. Kip Thorne ist spätestens seit dem Jahr 2017 weit über sein Fachgebiet hinaus bekannt, denn damals hat er, zusammen mit Rainer Weiss und Barry Barish den Nobelpreis für Physik bekommen und zwar für seine Arbeit zum Nachweis von Gravitationswellen. Anna Żytkow ist nicht ganz so berühmt, hat aber ihren Namen auf jeden Fall durch die Thorne-Żytkow-Objekte verewigt um die es in dieser Folge gehen soll.
Es war vielleicht ein wenig irreführend, als ich zu Beginn gesagt habe, dass es dabei um einen Stern geht, in dessen Inneren sich ein anderer Stern befindet. Genauer gesagt geht es um einen Stern, in dessen Kern sich ein Neutronenstern befindet. Und ein Neutronenstern ist kein "echter" Stern mehr sondern das, was von einem mittelgroßen Stern am Ende seines Lebens übrig bleibt. Ich hab das ja schon sehr oft erzählt: Wenn ein Stern keinen Brennstoff mehr für die Kernfusion in seinem Inneren hat, fällt er unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Ist es ein kleiner Stern, so wie unsere Sonne, dann bleibt am Ende ein Weißer Zwerg übrig, so groß wie die Erde. Ist es ein sehr großer Stern, dann kollabiert er komplett und wird zu einem schwarzen Loch. Die mittelgroßen Sterne werden zu Neutronensterne; Objekte die nur noch ein paar Kilometer groß und dennoch so massereich wie unsere Sonne sind. Über diese Dinger habe ich in den Folgen 142 und 401 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen, deswegen fasse ich das nur noch kurz zusammen: Es sind insofern keine "echten" Sterne mehr, als dort keine Kernfusion passiert. Ganz vereinfacht gesagt sind es große Kugeln, mit einem Radius von typischerweise 10 bis 12 Kilometern und einer Masse die zwischen dem 1,2 und 2fachen der Sonnenmasse liegt. Sie sind absurd dicht; ein zuckerwürfelgroßes Stück eines Neutronensterns wiegt ungefähr eine Milliarden Tonnen!
Wir wissen, dass es Neutronensterne gibt und haben schon jede Menge von ihnen entdeckt. Aber die befinden sich alle ganz normal im Weltraum, da wo solche Objekte eben sind. Wieso sollten die auf einmal im Inneren eines Sterns sein und wenn sie dort sind: Wie kommen sie dahin? Genau das haben sich Kip Thorne und Anna Żytkow damals überlegt und sind auf vier hauptsächliche Prozesse gekommen.
Da könnte zum Beispiel ein Roter Riesenstern sein. Also das, was mit Sternen wie unserer Sonne am Ende ihres Lebens passiert, bevor sie zu weißen Zwergen werden. Solche Sterne werden sehr heiß, wenn der Wasserstoff als Brennmaterial für die Fusion zu Ende geht und stattdessen andere Elemente fusioniert werden. Dadurch blähen sie sich zu enormer Größe auf. Unsere Sonne ist ein Einzelstern; die meisten anderen Sterne in der Milchstraße sind aber Teil von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen. Jetzt können wir uns zwei Sterne vorstellen, die einander umkreisen. Einen massereicheren und einen kleineren, wie unsere Sonne. Der mit der größeren Masse wird sein Leben zuerst beenden und zu einem Neutronenstern werden. Der kleinere wird später zu einem Roten Riesen. Und wenn die beiden sich vorher sehr nahe waren, kann es passieren, dass sich der rote Riese soweit ausdehnt, dass der Neutronenstern sich auf einmal durch die äußeren Schichten des roten Riesen bewegen muss. Die Reibung mit diesem Gas führt dazu, dass er quasi an Schwung verliert und immer weiter in den Kern sinkt, bis er schließlich mitten im roten Riesen sitzt. Das kann passieren, ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Denn durch seine enorme Dichte und die entsprechend starke Gravitationskraft zieht der Neutronenstern natürlich Material des roten Riesen an. Und weil Neutronensterne auch sehr starke Magnetfelder haben, können sie einen Teil des Materials entlang dieser Magnetfelder mit hoher Geschwindigkeit wieder von sich schleudern. So ein Neutronenstern der sich durch einen roten Riesen bewegt, wirkt also quasi wie ein Sandstrahler, der den Riesenstern auflöst, noch bevor die Verschmelzung vollzogen ist.
Aber vielleicht klappt es, wenn die Verschmelzung schneller passiert. Das ist Methode Nummer Zwei: Normalerweise kollidieren Sterne ja nicht miteinander; dafür ist viel zu viel Platz zwischen ihnen. Aber es gibt Gegenden, wo die Sterne viel dichter beieinander stehen als sonst, zum Beispiel im Inneren von sehr dichten Sternhaufen. Wenn da ein Neutronenstern genau auf die richtige Weise mit einem großen, normalen Stern kollidiert, dann könnte am Ende auch ein Thorne-Żytkow-Objekt entstehen.
Sehr ähnlich ist Methode Nummer Drei, die direkt bei der Geburt des Neutronensterns abläuft. So ein Neutronenstern entsteht ja im Zuge einer Supernova-Explosion und der Neutronenstern ist der Rest der nach der Explosion übrig bleibt. Normalerweise findet diese Explosion in alle Richtungen statt, weswegen dabei nur Material vom Neutronenstern hinaus ins All geschleudert wird, der Neutronenstern selbst aber mehr oder weniger dort bleibt, wo er ist. Unter bestimmten Umständen kann so eine Supernova-Explosion aber auch asymmetrisch ablaufen. Dann fliegt der Hauptteil des Zeugs in eine Richtung was den Neutronenstern in die andere Richtung katapultiert. Und wenn dort gerade ein anderer Stern ist, zum Beispiel weil der Neutronenstern Teil eines Doppelsternsystems war, gibt es auch hier ein Thorne-Żytkow-Objekt.
Die vierte Methode ist so ähnlich wie die erste, nur dass man hier einen Neutronenstern hat, der in sehr engen Abstand von einem sehr massereichen, sehr heißem Stern umkreist wird. Und der Abstand ist hier so eng, dass Material vom großen Stern zum Neutronenstern fließt, wodurch die beiden immer enger aneinander rücken, bis sie schließlich verschmelzen.
Kip Thorne und Anna Żytkow konnten in ihrer Arbeit zeigen, dass solche Objekte, die aus einem Stern mit einem Neutronenstern im Inneren bestehen, zumindest theoretisch existieren können. Ob es sie aber auch in der Realität gibt, ist eine ganz andere Frage. Da kommt es nicht nur darauf an, OB es die gibt, sondern vor allem auch ob wir sie finden können. Wie kann man, nur durch Beobachtung von der Erde aus, herausfinden, ob im Inneren eines Sterns ein anderer steckt?
Vor allem durch die Untersuchung seiner chemischen Zusammensetzung. Das kriegen wir ja mittlerweile recht gut hin; wir können das Licht eines Sterns im Detail untersuchen und dabei heraufinden, welches Material es durchquert hat. Jedes chemische Element blockiert ganz bestimmte Wellenlängen und wenn die fehlen, wissen wir, was dem Licht passiert ist. Wir wissen auch, wie chemische Elemente durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstehen und vor allem, welche Elemente in bestimmten Sternen entstehen können und welche nicht. Das hängt vor allem von der Dichte und Temperatur ab, die im Kern eines Sterns herrscht. Wenn da aber nun ein Neutronenstern sitzt, der da eigentlich nicht hingehört, können dort Kernreaktionen ablaufen bei denen Elemente entstehen, die man von so einem Stern gar nicht erwarten würde. Ein Neutronenstern im Inneren eines Sterns kann auch starke Helligkeitsschwankungen auslösen, nicht nur im normalen Licht sondern auch im Röntgenlicht.
Bis jetzt hat man noch kein Objekt gefunden bei dem man zweifelsfrei sagen könnte, dass es sich um Thorne-Żytkow-Objekt handelt. Aber zumindest ein paar Kandidaten hat man entdeckt. Zum Beispiel HV 2112: Das ist ein Stern in der Kleinen Magellanschen Wolke, der Begleitgalaxie der Milchstraße in 200.000 Lichtjahren Entfernung. Kennen tun wir diesen Stern seit 1908 und wissen auch, dass seine Helligkeit schwankt. Wir wissen auch, dass er sehr viel heller ist, als er eigentlich sein sollte. Seine Leuchtkraft beträgt das 100.000fache der Sonnenleuchtkraft und das ist eigentlich zu viel für einen Stern dieser Art. Zumindest dann, wenn die Messungen stimmen. Beziehungsweise richtig interpretiert werden, was bei so weit entfernten Objekten nicht einfach ist. Es gibt auch Beobachtungen, laut denen der Stern sehr viel weniger Leuchtkraft hat (das hängt unter anderem von einer exakten Entfernungsbestimmung ab) und die chemische Analyse ist auch nicht wirklich eindeutig. Ebenso wenig eindeutig sind die Befunde der Handvoll anderen Kandidaten, die man bisher ausgemacht hat.
Wenn wir tatsächlich mal ein Thorne-Żytkow-Objekt entdecken, dann vermutlich mit ganz anderen Methoden. Nämlich den Gravitationswellen, für die Thorne passenderweise den Nobelpreis bekommen hat. Wenn zwei Sterne verschmelzen entstehen Gravitationswellen einer ganz speziellen Frequenz die prinzipiell schon mit den vorhandenen Detektoren nachgewiesen werden könnten. Allerdings nur, wenn so ein Thorne-Żytkow-Objekt in unserer kosmischen Nachbarschaft entsteht und wenn man das statistisch auswertet, kann man mit höchstens einer Verschmelzung alle 500 Jahre rechnen. Wir müssten also Glück haben, gerade jetzt die Geburt eines Thorne-Żytkow-Objekts zu entdecken. Aber vielleicht klappt es mit dem Ende! Denn auch wenn sie existieren können, bleiben sie nicht ewig stabil. Irgendwann hat der Neutronenstern im Inneren des anderen Sterns dessen ganzes Gas angezogen beziehungsweise seine Masse durch das Anziehen des Gases so weit erhöht, dass aus dem Neutronenstern ein schwarzes Loch wird. Dann gibt es eine Explosion die ähnlich wie eine Supernova-Explosion ist und der Zweifachstern ist verschwunden. Weil der Neutronenstern davor aber so viel Material des anderen Sterns aufnehmen muss, das ihn zuvor mit hoher Geschwindigkeit umkreist und dabei Strahlung abgibt, leuchtet er gegen Ende ziemlich hell. Wenn wir also etwas sehen, dass wie eine Supernova aussieht, aber sehr viel länger dauert - ein paar Jahre - und danach komplett verschwindet: Dann könnte das ein Thorne-Żytkow-Objekt gewesen sein. Und wenn wir dann noch die passenden Gravitationswellen nachweisen, könnten wir uns einigermaßen sicher sein.
Ein Thorne-Żytkow-Objekt lebt 100.000 bis eine Million Jahre lang, höchstens. Wenn es sie gibt und wenn sie durch die vorhin beschriebenen Prozesse entstehen, dann kann man abschätzen, dass es aktuell 20 bis 200 davon in unserer Milchstraße gibt. Nicht viel, angesichts der gut 200 Milliarden anderen Sterne. Aber wer weiß: Wenn wir hartnäckig suchen, finden wir ja vielleicht doch einmal einen Stern, in dessen Inneren sich ein anderer Stern versteckt hat…
Sternengeschichten Folge 481: Der Meteor von Tscheljabinsk
Morgens gegen 9 Uhr 20 Ortszeit am 15. Februar 2013 waren viele Menschen in der russischen Stadt Tscheljabinsk sehr überrascht. Ein sehr heller Lichtblitz blendete die Leute und alle konnten live ein Ereignis mitverfolgen, dass man hier auf der Erde nicht allzu oft sieht: Den Einschlag eines größeren Himmelskörpers auf unserem Planeten.
Natürlich kollidiert die Erde andauernd mit Zeug aus dem Weltall, aber das meiste davon ist interplanetarer Staub und die Lichterscheinung die man dabei sehen kann, nennen wir "Sternschnuppe" und so etwas ist zwar sehr schön, aber nicht unbedingt selten und definitiv nicht gefährlich. Aber ab und zu fallen auch sehr viel größere Brocken auf die Erde; das kennen wir alle aus diversen Science-Fiction-Weltuntergangsfilmen beziehungsweise vom Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Aber da haben erstens noch keine Menschen auf der Erde gelebt und selbst wenn, hätten die zweitens zwar dort dabei zuschauen können. Aber nur sehr kurz und danach niemanden davon erzählen können, weil sie nämlich tot gewesen wären.
In Tscheljabinsk konnte man nun aber live bei einem Einschlag dabei sein, der gerade groß genug war um äußerst spektakulär zu sein aber zum Glück auch nicht so groß, um eine gewaltige Katastrophe anzurichten. Aus Sicht der Menschen am Boden sah das Ereignis so aus: Zuerst gab es einen hellen Lichtblitz. Und ein bisschen später eine gewaltige Druckwelle die überall in der Stadt Fensterscheiben zerbrechen hat lassen und sogar das Dach einer Fabrik stürzte teilweise ein. Gestorben ist dabei niemand, 1491 Menschen wurden, hauptsächlich durch die Splitter der Fensterscheiben, verletzt und 112 davon mussten im Krankenhaus behandelt werden. 7200 Gebäude wurden mehr oder weniger stark beschädigt. Aber uns interessiert die Astronomie! Was ist da genau passiert? Warum ist es so passiert, wie es passiert ist? Und: Wird so etwas auch in Zukunft passieren und könnte es dann vielleicht schlimmer sein?
Es hat natürlich ein bisschen gedauert bis man all das herausgefunden hat, was ich jetzt im folgenden erzählen werde. Aber es ging dennoch vergleichsweise schnell; man hatte in diesem Fall jede Menge Daten mit denen man arbeiten konnte. Tscheljabinsk ist kein Kaff irgendwo in der russischen Einöde. Sondern die siebtgrößte Stadt Russlands mit knapp 1,2 Millionen Einwohnern. Es gab aber nicht nur genug Augenzeugen sondern vor allem auch jede Menge Filmaufnahmen. Die meisten davon stammen von sogenannten "Dashcams", also kleinen Kameras die in Autos montiert sind und das filmen, was sich auf der Straße abspielt. Was man in Russland nicht nur macht, um lustige YouTube-Videos zu produzieren, sondern weil man bei Verkehrsunfällen gerne objektive Daten haben möchte. Die Bilder der Kameras werden dort vor Gericht als Beweismittel zugelassen und man kann sich damit sehr gut gegen vorgetäuschte Unfälle oder eine korrupte Polizei wehren. In dem Fall war es vor allem für die Astronomie praktisch, denn aus den ganzen Bildern des Meteors die von den Kameras in den Autos aufgezeichnet worden sind, konnte man später seine Flugbahn rekonstruieren.
Wobei wir vielleicht kurz noch einmal die Sache mit den Bezeichnungen klären müssen. "Meteor" beschreibt nämlich eigentlich nur die Leuchterscheinung, die von dem durch die Atmosphäre sausenden Objekt erzeugt wird. Das, was durch die Atmosphäre fliegt, wird "Asteroid" genannt wenn es groß ist und "Meteoroid", wenn es klein ist (wie etwa im Fall einer Sternschnuppe). Und wenn etwas unten am Erdboden ankommt das man aufsammeln kann, heißen diese Steine dann "Meteorite". Ja, das ist verwirrend - aber so ist es halt, da kann man nix machen.
So oder so wissen wir heute, dass am 15. Februar 2013 ein Asteroid mit einer Geschwindigkeit von gut 19 Kilometer pro Sekunde auf die Atmosphäre der Erde getroffen ist, unter einem Winkel von 18 Grad. Das Objekt hatte einen Durchmesser von circa 20 Metern - aber nicht lange. Denn wegen der enormen Geschwindigkeit war die Reibung zwischen Asteroid und den Molekülen der Luft sehr stark. Das Ding hat sich dadurch sehr schnell sehr stark aufgeheizt und ist circa 30 Kilometer über dem Erdboden auseinandergebrochen. Wenn das mit so einem Asteroid auf seinem Flug durch die Atmosphäre passiert, dann ist das Resultat mehr als nur ein paar kosmische Brösel. Wir müssen hier kurz theoretisch werden und über Oberfläche und Reibung sprechen. Wie stark die Reibung und damit die Hitze ist, hängt von Oberfläche des Asteroiden ab. Eine Kugel mit einem Durchmesser von 20 Metern hat zum Beispiel eine Oberfläche von knapp 1260 Quadratmetern. So weit, so klar, die entsprechende Formel - Oberfläche ist Durchmesser zum Quadrat mal Pi - kennen wir noch aus der Schule. Wenn diese Kugel jetzt auseinander bricht, dann kriegen wir nicht einfach zwei Kugel mit je 10 Metern Durchmesser. Aus dem Volumen einer 20-Meter-Kugel kriegen wir mindestens acht 10-Meter-Kugeln raus. In der Realität wird ein Asteroid natürlich nicht in exakt gleiche große Kugel zerfallen; in der Realität wird ein Asteroid nicht mal kugelförmig sein. Aber darum geht es nicht, sondern darum, dass eine 10-Meter-Kugel eine Oberfläche von 314 Quadratmetern hat. Und acht davon haben zusammen 2512 Quadratmeter, was deutlich mehr ist als die 1260 Quadratmeter der 20-Meter-Kugel. Oder noch mal anders und ganz simpel gesagt: Die zusammengenommene Oberfläche der Bruchstücke eines Objekts ist immer größer als die Oberfläche des ursprünglichen, intakten Objekts. Sobald ein Asteroid beim Flug durch die Atmosphäre zerbricht, ist also plötzlich sehr viel mehr Oberfläche da als vorher und damit sehr viel mehr, an dem sich die Luft reiben kann. Dadurch erwärmen sich die Bruchstücke sehr viel stärker und schneller und zwar so stark, dass der Asteroid nicht einfach nur zerbröselt, sondern regelrecht explodiert.
Genau das ist 30 Kilometer über Tscheljabinsk passiert; genau das war die Ursache des enorm hellen Lichtblitzes und die Druckwelle der Explosion hat danach die Fensterscheiben der Stadt zum Zerbrechen gebracht. In der Astronomie heißt so ein Ereignis "Airburst" und das passiert immer, wenn ein Objekt mit der Erde kollidiert, das nicht groß oder massiv genug ist. Ab einer Größe von circa 100 Metern ist ein Asteroid groß genug, um halbwegs unbeschadet bis zum Erdboden durchzukommen; beziehungsweise geht das auch wenn er kleiner ist, aber nicht aus losem Gestein besteht, sondern aus Metall. Solche Metallasteroide sind aber sehr selten, das heißt alles was ein paar Dutzend Meter groß ist, wird irgendwo auf dem Weg nach unten in Form eines Airbursts explodieren.
Der Meteor von Tscheljabinsk hat einen Lichtblitz produziert, der 30 mal heller als die Sonne war und noch in 100 Kilometer Entfernung gesehen werden konnte. Das Licht war aber nicht nur normales Sonnenlicht, da wurde unter anderem auch ultraviolette Strahlung frei und tatsächlich haben sich gut zwei Dutzend Menschen gemeldet, die nach dem Lichtblitz des Meteors einen Sonnenbrand bekommen hatten - was unter anderem auch daran liegen kann, dass der Boden in ihrer Nähe mit Schnee bedeckt war, der das Licht noch einmal reflektiert und den Effekt verstärkt hat.
Aus den Beobachtungen der Auswirkungen des Airbursts schätzt man die Stärke der Explosion auf ein Äquivalent von 500 Kilotonnen TNT. Das ist eine übliche Maßeinheit für Explosionen und zum Vergleich kann man sich klarmachen, dass die Atombombe, die im 2. Weltkrieg über Hiroshima explodiert ist, eine Explosion von 13 Kilotonnen TNT Äquivalent verursacht hat. Der Asteroid der in der Luft über Tscheljabinsk explodiert ist war also so heftig wie 38 Hiroshima-Bomben. Wenn er ein bisschen größer gewesen wäre, dann wäre die Explosion entsprechend stärker gewesen und er wäre auch näher am Erdboden explodiert. Dann wären vermutlich nicht nur Fensterscheiben zerbrochen, sondern Häuser eingestürzt. So wie 1908, als - ebenfalls über Russland - ein circa 60 Meter großer Asteroid in maximal 14 Kilometer Höhe über Tunguska explodiert ist, wie ich in Folge 380 der Sternengeschichten ausführlich erzählt habe. Damals wurde keine Stadt beeinträchtigt aber ungefähr 60 Millionen Bäume auf einer Fläche von 2000 Quadratkilometern gefällt.
In Tscheljabinsk ging die Sache zum Glück mit weniger Schäden aus. Aber trotzdem wäre es schön gewesen, wenn man vorher Bescheid gewusst hätte. Dann hätte man zwar auf die Schnelle nichts gegen den Einschlag tun können. Aber zumindest die Menschen warnen, dass sie sich von den Fenstern fern halten. Warum hat man also den Asteroid nicht schon vor dem Einschlag entdeckt? Weil er erstens klein ist. 20 Meter sind nicht viel, wenn sie hunderttausende Kilometer entfernt durchs Weltall fliegen. Da muss man schon mit einem ziemlich großen Teleskop hinschauen und das auch zur richtigen Zeit in die richtige Richtung. Und das ist das zweite Problem: Der Asteroid kam genau aus Richtung der Sonne auf die Erde zugeflogen und das ist genau der Bereich am Himmel, den man von der Erde aus nicht abdecken kann. Und da es noch keine auf Asteroidenentdeckung spezialisierten Weltraumteleskope gibt, haben wir das Ding nicht gesehen.
Und natürlich ist der Asteroid nicht von der Sonne ausgespuckt worden. Wo er seinen Ursprung hat, wissen wir aber nicht genau. Aus dem bisschen was man aus den Daten über die Umlaufbahn rekonstruieren konnte, die er vor dem Einschlag gehabt hat, wissen wir, dass es sich um ein Objekt aus der Gruppe der "Apollo"-Asteroiden handeln muss. Wer sich erinnert: Von denen habe ich in Folge 217 mehr erzählt. Das ist ein Teil der sogenannten "Erdnahen Asteroiden" also Asteroiden, die sich - wenig überraschend - in der Nähe der Erde aufhalten und man unterscheid grob drei Gruppen, je nach Art der Umlaufbahn. Eine davon sind die Apollo-Asteroiden und die befinden sich im Mittel zwar immer weiter von der Sonne entfernt als von der Erde; der sonnennächste Punkt ihrer Bahn liegt aber innerhalb der Erdbahn und das heißt: Sie können die Bahn der Erde kreuzen. Und wenn sie das gerade dann tun, wenn die Erde im Kreuzungspunkt steht, gibt es eine Kollision. Man hat zwei Asteroiden identifiziert, die der Ursprung des Tscheljabinsk-Objekts sein könnten. Der Asteroid 2011 EO40, der sich auf einer ähnlichen Bahn befindet wie sich das Tscheljabinsk-Ding vor dem Einschlag befunden hat. Vielleicht war es aber auch der Asteroid 1999 NC43. Beide sind auf jeden Fall Apollo-Asteroiden und beide größer als das Objekt, das mit der Erde kollidiert ist. 2011 EO40 ist um die 200 Meter groß; 1999 NC43 sogar 1,4 Kilometer. Es ist also nicht unplausibel, dass da was abgebrochen ist und sich auf den Weg zur Erde gemacht hat. Asteroiden sind ja im seltensten Fall massive Objekte sondern eher fliegende Geröllhaufen von denen sich im Laufe der Zeit durchaus Teile ablösen können.
Der ganz ursprüngliche Ursprung des Asteroids muss aber noch einmal woanders liegen. Denn die erdnahen Asteroiden, inklusive der Apollos, sind ja keine stabile Population. Soll heißen: Da wo sie jetzt rumfliegen, können sie nur ein paar 10.000 bis 100.000 Jahre rumfliegen. Sie treiben sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars, Erde und Venus rum und werden von ihnen ständig gestört. Irgendwann kollidieren sie dann halt oder werden auf eine Bahn abgelenkt, die sie in die Sonne oder ganz raus aus dem Sonnensystem führt. Dass immer noch welche da sind liegt nur daran, dass immer wieder neue nachgeliefert werden und zwar aus dem Hauptgürtel der Asteroiden der sich zwischen den Umlaufbahnen von Jupiter und Mars befindet. Wenn dort Asteroiden miteinander kollidieren oder durch gravitative Störungen von Jupiter abgelenkt werden, können sie langsam in Richtung des inneren Sonnensystems driften und zu erdnahen Asteroiden werden. Dort gibt es die Gruppe der "Flora-Asteroiden", mehr als 10.000 Felsbrocken, die vermutlich alle bei einer sehr großen Kollision in der Frühzeit des Sonnensystems entstanden sind. Das größte Objekt davon ist der 140 Kilometer durchmessende Asteroid Flora, die restlichen sind alle viel kleiner. Und sehr viele Bruchstücke sind vermutlich auch schon längst anderswo im Sonnensystem gelandet. Es gibt ein paar vage Hinweise, dass der Asteroid von Tscheljabinsk ebenfalls aus dieser Flora-Familie stammt. Aber so genau werden wir das vermutlich nicht wissen.
Alles was vom Meteor von Tscheljabinsk bleibt, sind die Bilder auf den Videos. Und ein paar hundert Kilogramm an Meteoriten, die man später in der Region aufgesammelt hat. Das größte Bruchstück wiegt knapp 600 Kilogramm und wurde vom Grund eines Sees geborgen. Dazu kam noch diverser Kleinkram von circa 400 Kilogramm. Ihre Analyse hat uns gezeigt, dass der Asteroid im Laufe der Zeit diverse Kollisionen mit anderen Asteroiden im Weltall erlebt haben muss, die letzte davon vor 27 Millionen Jahren. Aber wo er wirklich herkommt wird sich dadurch nie zweifelsfrei bestimmen lassen.
Ohne Zweifel wissen wir aber, dass auch in Zukunft Asteroiden mit der Erde kollidieren werden. Da draußen fliegt noch genug rum und vor allem kleine Objekte. Große Asteroiden, die ein Massensterben wie bei den Dinos verursachen können, schlagen selten ein; alle paar Dutzend bis 100 Millionen Jahre; zum Glück. Ein Ereignis wie in Tscheljabinsk passiert statistisch gesehen alle 60 Jahre. Aber natürlich muss es nicht immer so ausgehen wie 2013. Der Großteil der Erdoberfläche ist unbewohnt und vom Ozean bedeckt. Wenn dort ein Airburst stattfindet und wenn es vielleicht noch ein paar Kilometer weiter oben passiert als in Tscheljabinsk, dann kriegen wir unten auf der Erde nichts mit; dann wissen nur die Messinstrumente der Wissenschaft, dass da wieder was passiert ist.
Sternengeschichten Folge 480: Galaxien-Wurst im Inneren der Milchstraße
Im Inneren der Milchstraße steckt eine gigantische Wurst. Ok, nicht wirklich natürlich. Aber die Geschichte der "Gaia Sausage" also auf deutsch der "Gaia Wurst" ist tastsächlich spannend. Sie handelt von dem, was vor ungefähr 9 Milliarden Jahren passiert ist und unsere Galaxie erst zu dem gemacht hat, was sie heute ist.
Die Milchstraße ist die Galaxie, in der sich die Sonne befindet. Zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne. Die Milchstraße ist eine recht typische Spiralgalaxie, aber natürlich nicht allein im Universum. Da sind noch unzählige andere Galaxien. Zum Beispiel die Zwerggalaxien, die jede große Galaxie in ihrer Umgebung hat. Bei uns sind das die Zwerggalaxien der sogenannten "Milchstraßen-Untergruppe" und am bekanntesten davon sind die Große und die Kleine Magellansche Wolke, die man am Südhimmel der Erde wunderbar sehen kann. Die uns am nächsten gelegene Zwerggalaxie ist die Canis-Major-Zwerggalaxie, in knapp 40.000 Lichtjahren Entfernung vom Zentrum der Milchstraße. Im Gegensatz zu den hunderten Milliarden von Sternen in der Milchstraße besteht so eine Zwerggalaxie aus hunderten Millionen beziehungsweise nur wenigen Milliarden Sternen. Die nahe gelegene Canis-Major-Zwerggalaxie wurde erst 2003 entdeckt; sie liegt so ungünstig am Himmel dass uns die vielen Sterne der Milchstraße den Blick darauf verstellt haben. Noch ein wenig genauer hinschauen muss man, wenn man Zwerggalaxien entdecken will, die gar nicht mehr existieren.
Denn auch wenn zwischen den Galaxien sehr, sehr viel Platz ist: Ab und zu kommen sie sich doch in die Quere. Ich habe in Folge 177 der Sternengeschichten ja schon mehr über Zwerggalaxien und sogenannte "Sternströme" erzählt. Zwerggalaxien stehen unter dem Einfluss der viel stärkeren Schwerkraft der großen Galaxien in deren Nähe sie sich befinden. Sie bewegen sich um die großen Galaxien herum und sie können auch mit ihnen kollidieren. Nur dass bei solchen galaktischen Kollisionen so gut wie nichts tatsächlich miteinandern zusammenstößt. Wenn zwei Galaxien aufeinander treffen, werden sie zuerst durch die wechselseitige Gravitationskraft verformt. Dann durchdringen sie einander langsam; zu Kollisionen zwischen Sternen kommt es dabei aber so gut wie gar nicht. Ist eine Galaxie sehr viel größer als die andere, dann wird aus dem Durchdringen allerdings oft ein Verschlucken. Die Sterne der kleinen Galaxie verteilen sich in der großen und am Ende hat die Zwerggalaxie aufgehört zu existieren.
Aber sie hinterlässt Spuren! Die Sterne die früher Teil der Zwerggalaxie waren sind immer noch durch ihre Bewegung als Außenseiter zu erkennen. Sie bewegen sich nicht so wie die Sterne der großen Galaxien, sondern folgen Bahnen, die zum Beispiel weit über die Ebene der anderen Sterne hinaus führen. Solche "Sternströme" sind die letzten Reste der ehemaligen Zwerggalaxie und in unserer Milchstraße haben wir schon einige davon gefunden. Jeder davon zeigt uns, dass die Milchstraße irgendwann eine Zwerggalaxie verschluckt hat. Und ein ganz besonderes Ereignis dieser Art muss vor 8 bis 10 Milliarden Jahren stattgefunden haben.
Wir haben davon erst im Jahr 2018 erfahren als Daten des Weltraumteleskops Gaia ausgewertet wurden. Dieses Teleskop hat Position und Geschwindigkeit von so vielen Sternen vermessen wie kein anderes zuvor. Mehr als 1,6 Milliarden Sterne, was zwar immer noch nur ein Bruchteil aller Sterne der Milchstraße ist, aber doch dramatisch viel mehr Sterne, als wir zuvor in unseren Katalogen hatten. Wir können zwar nicht in echt sehen, wie die Sterne sich bewegen. Beziehungsweise schon, aber angesichts der enormen Distanzen im Universum sind die Distanzen die die Sterne in den paar Jahren zurücklegen in denen wir sie beobachten kaum der Rede wert. Aber wenn wir - dank Messungen wie von Gaia - wissen, wo ein Stern sich befindet und wie schnell er sich in eine bestimmte Richtung bewegt, dann können wir berechnen wo sie früher waren und wo sie in Zukunft sein werden. Und als man das mit den Gaia-Daten getan hat, ist plötzlich die Wurst aufgetaucht.
Um zu verstehen, was es damit auf sich hat, müssen wir ein wenig abstrakter werden. Wir zeichnen aus den Daten jetzt keine Karte der Milchstraße, also kein Diagram, in dem man die Positionen einträgt. Sondern erstellen ein Bild der Geschwindigkeiten. Ein Stern hat ja gewissermaßen drei verschiedene Geschwindigkeiten; eine für jede Richtung im Raum. Das kann man sich leicht vorstellen, wenn man zum Beispiel Autos statt Sternen betrachtet. Wenn ich am Bürgersteig neben der Straße stehe, dann fahren die Autos - hoffentlich - an mir vorbei. In die eine Richtung, die Fahrtrichtung der Autos, ist ihre Geschwindigkeit sehr hoch. Aber keines der Autos kommt - nochmal hoffentlich - direkt auf mich zu; in dieser Richtung ist ihre Geschwindigkeit also gleich Null. Bei den Sternen ist es genau so. Sie bewegen sie durch die Milchstraße und je nachdem wie sie das tun haben sie unterschiedliche Geschwindigkeiten in den drei Raumrichtungen.
Die "Gaia-Wurst" ist nun etwas, was man als "ausgeprägte Anisotropie in der Geschwindigkeitsverteilung der Sterne" bezeichnen kann, wenn man wissenschaftlich formuliert. Oder, wenn man ein wenig verständlicher sein will: Zeichnet man die Geschwindigkeiten aller Sterne der Milchstraße entlang der drei Raumrichtungen auf, dann findet man eine Gruppe an Sternen, die sich alle sehr stark "radial" bewegen. Das heißt, sehr vereinfacht, anstatt sich schön gleichmäßig rundherum zu bewegen, haben sie langgestreckte Bahnen auf denen sie die meiste Zeit auf - wieder sehr vereinfacht - fast gerader Bahn durch die Galaxie sausen und dann in einer 180-Grad-Kurve die Richtung ändern und wieder zurück fliegen. Gut, das war vermutlich ein wenig zu sehr vereinfacht, aber wenn wir nicht in die Details der Kugelkoordinaten einsteigen, dann sollte das reichen. Wichtig ist: Man hat eine Gruppe von Sternen entdeckt, die sich ganz anders bewegen als der Rest der Sterne in der Milchstraße. Sie tun das auf sehr langgestreckten Bahnen, was bedeutet, dass eine ihrer Geschwindigkeitskomponenten sehr viel größer ist als die andere und wenn man das in einem entsprechenden Diagramm einzeichnet, dann sieht diese Gruppe von Sternen aus wie eine langgestreckte "Wurst", die quer in der Milchstraße liegt.
Auf solchen Bahnen bewegen sich Sterne aber nicht so einfach und schon gar nicht so viele auf einmal. Es muss also etwas besonderes vorgefallen sein, wenn wir da so viele Sterne auf so komischen Bahnen haben. Und das, was vorgefallen ist, war eine galaktische Kollision! Die Milchstraße ist vor 8 bis 10 Milliarden Jahren mit einer Zwerggalaxie kollidiert, die wahlweise als die "Wurst-Galaxie" oder "Gaia-Enceladus-Sausage" bezeichnet wird. Die muss quasi frontal mit der Milchstraße kollidiert sein; wenn sie sich eher "seitlich" in die Milchstraße gedrängt hätte, dann hätten die Sterne heute nicht so extreme Bahnen. Es muss auch eine vergleichsweise große Zwerggalaxie gewesen sein, denn die Gaia-Wurst ist gewaltig. Man schätzt, das die Milchstraße durch die Kollision insgesamt 50 Milliarden Sonnenmassen dazugewonnen hat. Nicht alles davon waren Sterne, es war auch eine gute Menge Gas und dunkle Materie mit dabei. Aber dennoch sind 50 Milliarden Sonnenmassen eine ordentliche Mahlzeit und es ist nicht verwunderlich, dass das Spuren hinterlassen hat. Nach der Kollision mit der Wurst-Galaxie war die Milchstraße nicht mehr die alte. Die Scheibe der Milchstraße, in der sich die Spiralarme befinden, wurde vermutlich zum Teil auseinander gerissen und musste sich danach erst wieder neu bilden. Überreste der Wurst-Galaxie haben sich im Zentrum der Milchstraße angesammelt und dort den "Bulge" gebildet, also die kugelförmige Ausbuchtung die sich im zentralen Bereich der galaktischen Scheibe erhebt.
Wir wissen auch, dass die Wurst-Galaxie mindestens acht Kugelsternhaufen mitgebracht hat. Das ist ein weiteres Anzeichen für ihre Größe. Kleine Zwerggalaxien haben keine eigene Sammlung dieser Sternhaufen; große wie unsere Milchstraße schon. Wir kennen circa 150 Kugelsternhaufen, die sich rund um die Milchstraße herum befinden; sie gehören zur Ausstattung jeder ordentlichen Galaxie. Die Wurst-Galaxie war zwar deutlich kleiner als die Milchstraße, aber trotzdem groß genug um zumindest ein paar eigene Kugelsternhaufen gehabt zu haben. Wir wissen nämlich dank Position- und Geschwindigkeitsmessungen, dass sich auch ein paar der galaktischen Kugelsternhaufen auf die gleiche seltsame Art bewegen wie die Sterne der Gaia-Wurst. Wer es genau wissen will: Es sind die Kugelsternhaufen mit der Bezeichnung Messier 2, Messier 56, Messier 75, Messier 79, NGC 1851, NGC 2298 und NGC 5286. Beim Kugelsternhaufen NGC 2808 ist man sich noch nicht ganz sicher. Dieses Objekt ist knapp 31.000 Lichtjahre entfernt, besteht aus mehr als einer Million Sterne und gehört zu den massereichsten Kugelsternhaufen unserer Milchstraße. Man findet dort junge Sterne, aber auch sehr alte Sterne, was ungewöhnlich ist für Kugelsternhaufen. Dort sind normalerweise nur alte Sterne zu finden. Im Gegensatz zu den zentraleren Bereichen von Galaxien, die immer Sterne aller Generationen enthalten. Deswegen wird vermutet, dass es sich bei NGC 2808 um die Zentralregion der ehemaligen Wurst-Galaxie handeln könnte. Es wäre dann der letzte Rest dieser Galaxie; der Teil, der sich bei der Kollision nicht aufgelöst hat.
Die Milchstraße ist im Laufe der Zeit mit vielen Zwerggalaxien kollidiert und hat sie sich dabei einverleibt. Die Wurst-Galaxie aber war mit Abstand der größte Brocken. Dieser Zusammenstoß hat unsere Milchstraße zu dem gemacht, was sie heute ist. Aber nicht unbedingt bleiben wird. Es wird weitere Kollisionen geben. Es GIBT weitere Kollisionen; gerade jetzt ist die Milchstraße etwa dabei, die Sagittarius-Zwerggalaxie zu verschlucken. Aber galaktische Kollisionen laufen langsam ab und sie wird noch die eine oder andere Milliarde Jahre daran zu knabbern haben.
Sternengeschichten Folge 479: Der Erdähnlichkeitsindex
"Erdähnlich" ist ein schwieriges Wort in der Astronomie. Ok, eigentlich ist "erdähnlich" gar kein schwieriges Wort. Lässt sich ganz leicht sagen: "Erdähnlich". Aber es geht auch nicht um die Aussprache, sondern darum, was das Wort bedeuten soll. Wenn man hört, dass ein Himmelskörper "erdähnlich" ist, dann ist es nur verständlich, wenn man sich dann vorstellt, dass dieser Himmelskörper so wie die Erde ist. In der Astronomie meint man mit "erdähnlich" aber was anderes. Oder eigentlich meint man schon auch, dass ein Himmelskörper so wie die Erde ist. Aber man kann einen Planeten eben auf viele Arten mit der Erde vergleichen.
Der Mars zum Beispiel ist im astronomischen Sinne ein erdähnlicher Planet. Die Venus genau so. Man könnte sogar den Merkur als "erdähnlich" bezeichnen; vielleicht sogar auch den Mond. Aber bleiben wir bei Mars und Venus. Sie sind erdähnlich, weil es sich bei beiden Planeten um Himmelskörper mit einer festen Oberfläche handelt, so wie die Erde. Mars und Venus bestehen aus Gestein und haben einen Kern aus Metall - so wie die Erde. Sie haben zumindest näherungsweise die gleiche Masse und Größe wie die Erde. Ok, der Mars ist schon ein Stück kleiner - aber im Vergleich zu etwa dem Jupiter und Saturn kann man durchaus sagen, dass Mars und Erde in erster Näherung gleich groß sind.
Mars und Venus sind also erdähnliche Planeten, weil sie ähnlich wie die Erde in Größe, Masse und Aufbau sind und sich etwa deutlich von Planeten wie Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun unterscheiden: Sehr viel größere Himmelskörper, die keine feste Oberfläche haben und vor allem aus Wasserstoff und Helium bestehen und nicht aus Metall und Gestein. Venus und Mars sind aber definitiv NICHT erdähnlich, wenn es um die Bedingungen auf der Oberfläche geht. Wer auf Venus oder Mars ohne Raumanzug aus einem Raumschiff tritt, wird sehr schnell sehr tot sein. Auf der Venus vermutlich auch mit Raumanzug; dort hat es mehr als 400 Grad… Mars und Venus sind lebensfeindliche Planeten; es gibt dort kein flüssiges Wasser auf der Oberfläche, keine Atmosphäre die man atmen kann und auch sonst nichts, was uns an die Erde erinnern würde.
Genau darum ist es schwierig, wenn man den astronomischen Fachbegriff "erdähnlich" in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verwendet. Wenn irgendwo in den Medien verkündet wird, man hätte einen "erdähnlichen Planeten" bei einem anderen Stern entdeckt, dann kann man es den Menschen nicht verübeln, wenn sie sofort an die Möglichkeit von außerirdischem Leben denken. Aus astronomischer Sicht heißt das aber nur, dass man einen Planeten gefunden hat, der ungefähr so groß und so schwer wie die Erde ist und kein Gasriese wie Jupiter.
Die Wissenschaft hat es aber sowieso lieber mathematisch und exakt. Deswegen haben sich im Jahr 2011 der Astronom Dirk Schulze-Makuch und Schwung Kolleginnen und Kollegen Gedanken darüber gemacht, wie man die "Erdähnlichkeit" eines Himmelskörpers besser beschreiben kann. Das Resultat ist der sogenannte "Earth Similarity Index", also der "Erdähnlichkeitsindex". Das ist eine Zahl und um die zu berechnen braucht man zuerst ein paar andere Zahlen. Zum Beispiel die Dichte eines Himmelskörpers. Die mittlere Dichte der Erde beträgt 5,5 Gramm pro Kubikzentimeter. Die vergleicht man jetzt mit der mittleren Dichte eines anderen Himmelskörpers; sagen wir der Venus. Da lautet die Zahl 5,2 Gramm pro Kubikzentimeter. Ok, wir sehen sofort, dass die Dichte der Erde größer ist als die der Venus. Aber darum geht es nicht, wir wollen das alles vernünftig quantifzieren. Beziehungsweise Schulze-Makuch und seine Kolleg_innen wollten das und haben sich dabei bei bei einer Formel inspirieren lassen, die eigentlich aus der Ökologie stammt und die Biodiversität zweier Orte vergleicht. Die Details sind jetzt egal, aber am Ende kann man aus den beiden Dichten eine Zahl berechnen, die zwischen 0 und 1 liegt. 0 heißt, dass sie sich maximal unähnlich sind, bei 1 wären sie identisch. Im Fall der Dichte von Erde und Venus kommt man damit auf circa 0,97. Was den offensichtlichen Befund bestätigt: Die Dichten von Erde und Venus sind sich sehr ähnlich.
Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Was man für die mittlere Dichte tun kann, kann man auch für den Radius machen. Oder für die Masse. Oder für die Temperatur auf der Oberfläche. Das alles kann man dann mitteln und am Ende bekommt man einen gesammelten Earth Similarity Index, der die Ähnlichkeit und Unterschiede all der Parameter berücksichtigt, die man betrachtet hat.
Schulze-Makuch und Co haben das ganze in zwei Untergruppen aufgeteilt. Wenn man etwa die Earth Similarity Indizes für den Radius und die Dichte eines Planeten kombiniert, bekommt man ein Maß, dass dem "erdähnlich" entspricht, das ich ganz zu Beginn erklärt habe: Wie ähnlich ist ein Planet der Erde hinsichtlich des Inneren. Handelt es sich um zwei Gesteinsplaneten mit fester Oberfläche, dann wird dieser "Innere Erdähnlichkeitsindex" nahe bei 1 liegen; vergleicht man die Erde mit einem Gasplaneten, wird es eher in Richtung Null gehen. Dann wurde aber auch noch ein "äußere Erdähnlichkeitsindex" definiert. Hier vergleicht man die Fluchtgeschwindigkeit und die Oberflächentemperatur. Das klingt seltsam. Ok, die Oberflächentemperatur macht Sinn; es ist ja durchaus relevant zu wissen, ob es auf einem anderen Planeten sehr viel heißer oder kälter ist als auf der Erde. Aber die Fluchtgeschwindigkeit? Die hängt von der Masse des Planeten ab und ist die Geschwindigkeit, die etwas haben muss, um von der Oberfläche des Planeten ins All zu entkommen. Wir denken dabei an Raumfahrt und daran, wie schnell unsere Raketen fliegen müssen. Aber die Fluchtgeschwindigkeit gilt für alles, auch und vor allem für die Atome und Moleküle einer planetaren Atmosphäre. Die Fluchtgeschwindigkeit bestimmt direkt, welche Atmosphäre ein Planet haben kann.
Bei Erde und Venus kriegt man einen inneren Erdähnlichkeitsindex von 0,979. Wenig überraschend, denn wir haben ja schon festgestellt, dass die beiden Planeten sich sehr ähnlich sind, was die Größe, Dichte und den inneren Aufbau angeht. Der äußere Erdähnlichkeitsindex liegt aber bei nur 0,2. Weil es auf der Venus eben sehr viel heißer ist und ihre Atmosphäre ganz anders aussieht. In der Hinsicht ist sie der Erde alles andere als ähnlich. Wenn man jetzt beide Erdähnlichkeitsindizes kombiniert kommt man auf eine Gesamtzahl von 0,44. Die Venus ist also eher wenig erdähnlich, was diesen Earth Similarity Index angeht. Stellt man die gleiche Rechnung für den Mars an, erhält man einen Wert von 0,7. Der Mars ist also deutlich erdähnlicher als die Venus. Deswegen können dort ja auch - zumindest theoretisch - Menschen hinfliegen und in Raumanzügen auf der Oberfläche rumlaufen und auf der Venus eher nicht.
Wie schaut es jetzt mit den Planeten anderer Sterne aus? Kommt drauf an. Schauen wir mal zum Stern mit dem schönen Namen "Teegardens Stern". Der übrigens nach dem amerikanischen Astronom Bonnard Teegarden benannt ist und nix mit nem Teegarten zu tun hat. Es handelt sich um einen roten Zwergstern in nur 12 Lichtjahren Entfernung von der Erde. 2019 hat man dort zwei Planeten entdeckt. Beide sind nur minimal schwerer als die Erde. Die Planeten befinden sich sehr dicht an ihrem Stern, was aber nicht zu extremen Temperaturen führt, da es sich ja um einen vergleichsweise kühlen roten Zwerg handelt. Im Prinzip könnte die Temperatur auf der Oberfläche der Planeten gerade passen, so dass es dort erdähnliche und lebensfreundliche Werte hat. Wenn man jetzt den Erdähnlichkeitsindex der beiden Planeten berechnet, so erhält man für den einen eine Zahl die bei 0,68 liegt. Beim anderen sind es aber 0,95. Das ist SEHR erdähnlich. Können wir also damit rechnen, dass dort Leben existiert oder zumindest lebensfreundliche Bedingungen? Können wir den Raumanzug im Raumschiff lassen, wenn wir dort hin fliegen?
Nun, da sind wir jetzt wieder beim Problem vom Anfang. Das was sein kann, ist das eine. Das was tatsächlich ist, das andere. Der Erdähnlichkeitsindex zeigt uns, dass Teegarden b - wie der Planet offiziell heißt - das Potenzial hat, ein echter, lebensfreundlicher Himmelskörper zu sein. Ob er es aber auch ist, wissen wir nicht. Zum einen, weil die Berechnung des Index nur so gut funktioniert wie die Qualität der Daten ist, die man da rein steckt. So etwas wie Masse oder die Größe können wir - im Prinzip - sehr gut und halbwegs genau messen. Die Oberflächentemperatur aber nur indirekt bestimmen. Ich habe das vorhin ein wenig umgangen, also ich über die Berechnung der Indizes gesprochen haben. Dass es auf der Venus so sehr viel heißer ist als auf der Erde wissen wir, weil wir dort gelandet sind. Weil wir Raumsonden in ihrer Umlaufbahn haben. Weil wir mit Teleskopen auf der Erde unseren Nachbarplaneten recht gut beobachten können. Wir haben die Temperatur dort direkt gemessen und wir wissen, dass es dort so heiß ist, weil die Atmosphäre der Venus so extrem dicht ist. Wüssten wir das nicht; würden wir nur Größe, Masse und Abstand der Venus von der Sonne kennen, dann würden wir denken und mangels weiterer Information denken müssen, dass die Temperatur dort bei circa 50 Grad liegt. Das ist die Temperatur, die die Venus dank ihres Abstands von der Sonne haben müsste. Dass es tatsächlich knapp 470 Grad sind, liegt am Treibhauseffekt der durch ihre dichte Atmosphäre ausgelöst wird.
Wir haben aber keine Ahnung, wie die Atmosphäre der Planeten von Teegardens Stern aussieht. Oder die Atmosphäre von irgendeinem anderen extrasolaren Planeten. Trotz des hohen Erdähnlichkeitsindex könnte es sich um extrem lebensfeindliche Welten handeln. Der Erdähnlichkeitsindex ist ein durchaus nützliches Instrument für die Wissenschaft. Bei all den Daten die wir sammeln braucht es sinnvolle mathematische Konzepte um diese Daten zu organisieren und zu vergleichen. Man darf sich aber nicht von der Mathematik täuschen lassen! Ein Erdähnlichkeitsindex von 0,95 ist erstmal nur eine Zahl die in ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden muss. Aus dem darf sie auch nicht gerissen werden; insbesondere darf man daraus nicht ohne weiteres Pressemitteilungen oder Medienberichte machen, die behaupten, dass es sich um einen lebensfreundlichen Planeten handelt; eine "zweite Erde" und was man sonst immer wieder lesen kann, wenn es um die Entdeckung von anderen Planeten geht.
Die Instrumente der Astronomie werden immer besser. Irgendwann werden wir die nötigen Daten haben, um nach echter Erdähnlichkeit zu suchen und sie auch zu finden, wenn sie da ist! Bis dahin sollten wir in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit die Spekulationen auch deutlich als solche bezeichnen und nicht hinter komplexen mathematischen Formeln verstecken.
Sternengeschichten Folge 478: Die solare Gravitationslinse
Wenn man etwas über das Universum sagen kann, dann: Es ist sehr, sehr groß und alles ist sehr, sehr weit weg. Das wissen wir natürlich schon länger, aber es macht die Astronomie auch zu einer sehr schwierigen Wissenschaft. Wir wollen ja beobachten, was da draußen abgeht. Aber weil alles so weit weg ist, müssen wir uns auch richtig anstrengen, dort draußen was zu sehen. Sterne beobachten ist vergleichsweise leicht. Dazu muss man nur in einer klaren Nacht nach draußen gehen und zum Himmel schauen. Voilá: Sterne! Wer aber gerne mehr als jede Menge Lichtpunkte sehen will, hat ein Problem.
Natürlich: Sterne sind gigantisch große Objekte. Das nützt uns aber nichts, weil sie eben so verdammt weit weg sind. Bis auf ganz wenige Ausnahme können wir Sterne immer nur als Punkte sehen, nie als ausgedehnte Objekte. Wir können auch - wieder bis auf ganz wenige Ausnahmen - keinerlei Strukturen dort erkennen. Gut, wir haben gelernt aus diesen Lichtpunkten jede Menge Informationen zu holen. Wir können bestimmen, wie groß, wie alt, wie schwer der Stern ist, selbst wenn wir ihn nur als Lichtpunkt sehen. Wir können rausfinden, wie weit er weg ist und woraus er besteht. Wir können sogar untersuchen, ob er von Planeten umkreist wird oder nicht. Die Astronomie ist super! Aber was für Sterne gilt, gilt für Planeten noch viel mehr.
Sieht man mal von den acht Stück ab, die sich in unserem Sonnensystem befinden, haben wir derzeit keine Chance, irgendwelche Details auf Planeten zu beobachten, die andere Sterne umkreisen. Wir können in den allermeisten Fällen ja nicht einmal den Planeten selbst sehen! Von der Existenz dieser extrasolaren Planeten wissen wir nur indirekt; weil wir zum Beispiel sehen, wie die Gravitationskraft des Planeten den Stern ein klein wenig zum Wackeln bringt. Oder der Planet ab und zu vor dem Stern vorüber zieht und dabei ein klein wenig seines Lichts verdunkelt. Planeten sind kleiner als Sterne, sie leuchten nicht selbst und sind genau so absurd weit weg die Sterne. Sie direkt zu beobachten ist derzeit fast unmöglich. Und in den ganz wenigen Spezialfällen, wo wir den Planeten eines anderen Sterns direkt gesehen haben, haben wir natürlich auch nicht mehr gesehen als einen Lichtpunkt.
Es wäre natürlich schon cool, wenn wir mal einen echten Blick auf einen extrasolaren Planeten werfen könnten. Und schauen, ob da vielleicht der eine oder andere Ozean zu sehen ist. Mit ein paar Kontinenten darin? Die vielleicht schön grün sind, weil dort irgendeine Art von pflanzlichen Leben existiert? Und wer weiß, vielleicht sieht man ja auch ne Alien-Stadt oder so! Aber das ist Science-Fiction, oder?
Na ja, das mit den Alien-Städten vermutlich schon. Aber es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass wir irgendwann mal den Planeten eines anderen Sterns "richtig" sehen, mit Details der Oberfläche. Und zwar, ohne dorthin zu fliegen, wozu wir ja erst wieder irgendwelche Science-Fiction-Raumschiffe bräuchten. Was wir brauchen sind Teleskope! Gut, die braucht man in der Astronomie immer und je größer, desto besser. Aber es kommt nicht immer nur auf die Größe an, sondern auch auf die Technik und vor allem darauf, wo man das Teleskop hinstellt.
Ein Teleskop auf der Erde ist praktisch, weil man da leicht hin kommt, aber man muss eben immer durch die Atmosphäre hinauf zu den Sternen schauen und das stört die Beobachtung. Teleskope im Weltall haben dieses Problem nicht, aber dafür muss man das Ding mühsam mit Raketen dorthin schaffen und kann es danach nicht mehr reparieren oder updaten. Aber für das Teleskop, um das es in dieser Folge gehen soll, haben wir keine andere Wahl. Wir müssen ins All und zwar nicht irgendwo hin, sondern an einen ganz bestimmten Ort.
Denn die Natur hat uns quasi das perfekte Fundament für eine astronomische Beobachtungsstation gelegt. Obwohl "Fundament" vermutlich das falsche Wort ist. Es geht nicht darum, ein Teleskop auf einem anderen Himmelskörper zu stationieren. Der Ort, zu dem wir müssen, liegt weit entfernt von der Sonne, mitten im leeren All. Mindestens 550 mal weiter von der Sonne weg als die Erde. Dort ist nichts - aber wenn wir DORT ein Teleskop hätten, wäre das leistungsfähiger als alles, was wir anderswo bauen könnten.
Um zu verstehen warum das so ist, müssen wir kurz auf das schauen, was Albert Einstein so getrieben hat. Zum Beispiel - und wie ja alle wissen werden - hat er die Allgemeine Relativitätstheorie aufgestellt. Die unter anderem besagt, dass Masse den Raum krümmt und alles, inklusive Licht, folgt bei seiner Bewegung der Krümmung des Raums. Was unter anderem bedeutet: Fliegt Licht in der Nähe einer großen Masse vorbei, dann kann es dabei abgelenkt werden. Genau so wie eine Linse aus Glas oder ein Spiegel den Weg eines Lichtstrahls verändern kann, kann das auch eine große Masse im Weltraum. Das nennt man "Gravitationslinseneffekt" und ich habe in früheren Folgen schon oft darüber gesprochen, wie das genau funktioniert und wie die Astronomie diesen Effekt nutzt. Aber WENN wir ihn nutzen, müssen wir auf den Zufall hoffen. Wenn zum Beispiel - zufällig - ein Stern von uns aus gesehen genau vor einem anderen Stern vorüber zieht, dann kann der eine Stern als Gravitationslinse wirken und das Licht des anderen Sterns ablenken oder verstärken.
Unsere Sonne ist auch ein Stern. Und krümmt mit ihrer Masse ebenfalls den Raum. Licht, das in der Nähe der Sonne vorbeifliegt, wird abgelenkt (das haben wir auch schon beobachtet; unter anderem konnte durch solche Beobachtungen die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie nachgewiesen werden). Das Problem: Um die Sonne gezielt als Gravitationslinse zu nutzen, sind wir auf der Erde zu nah dran. Der amerikanische Astronom Von Russell Eshleman hat das in einer Arbeit aus dem Jahr 1979 alles genau durchgerechnet. Entfernt man sich circa 550 Astronomische Einheiten von der Sonne, das entspricht der 550fachen Entfernung zwischen Sonne und Erde, dann befindet sich man quasi genau im Fokus der "Solaren Gravitationslinse". Also genau dort, wo die Sonne Lichtstrahlen anderer Objekte dank ihrer Masse "hinbiegt". Ansonsten schwach leuchtende Himmelskörper würde man dort sehr viel heller sehen können als normal; je nach Wellenlänge des Lichts das man beobachtet kann die Verstärkung das 100millionenfache des ursprünglichen Signals betragen. Und auch die Auflösung wäre dort viel besser; man könnte also Himmelskörper nicht nur als Lichtpunkte sehen, sondern durchaus auch als ausgedehnte Objekte mit Details.
Apropos Details: Im Detail ist das natürlich alles sehr viel komplizierter. Man kann nicht einfach 550 Astronomische Einheiten durchs Sonnensystem fliegen, dann das Raumschiff parken, aus dem Fenster schauen und die wunderbare Pracht des Universums beobachten. Man braucht dort zuerst einmal ein Teleskop. Das aber gar nicht gigantisch groß sein muss, ein Spiegeldurchmesser von nem Meter würde schon reichen. So. Und jetzt haben wir schon das erste Problem: Wir kriegen wir das Teleskop an den passenden Punkt? 550 Astronomische Einheiten ist VIEL. Der sonnenfernste Planet - Neptun - ist gerade mal 30 Astronomische Einheiten weit weg. Der Pluto entfernt sich maximal 50 Astronomische Einheiten von der Sonne. Der Zwergplanet Eris schafft es auf knapp 100 Astronomische Einheiten. Die im Jahr 1977 gestarteten Voyager-Raumsonden haben in folgenden 45 Jahren gerade mal knapp 160 beziehungsweise 135 Astronomische Einheiten geschafft. Der Weg bis zum Fokus der Gravitationslinse fängt da gerade erst so richtig an.
Es gibt theoretische Überlegungen, dass man mit sehr großen Sonnensegeln ein Raumfahrzeug vielleicht schnell genug machen kann, so dass es die Strecke in gut 20 Jahren schafft. Aber so etwas haben wir noch nie probiert; und wir waren auch noch nie so weit draußen. Im All ists gefährlich, da gibt es kosmische Strahlung, da gibt es Mikrometeorite, da ist es eiskalt und da kann jede Menge schiefgehen, vor allem je länger man dort unterwegs ist. Eine kompakte kleine Raumsonde ist das eine. Ein großes Weltraumteleskop das andere. Es ist zweifelhaft, ob wir derzeit in der Lage wäre, ein Teleskop in halbwegs brauchbarer Zeit 550 Astronomische Einheiten weit zu schicken.
Aber tun wir mal so als ob. Dann stellt sich gleich noch eine Frage: Wohin denn eigentlich genau. "550 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt" ist ja keine exakte Ortsangabe. Man kann an sehr vielen Orten 550 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt sein. Und zwar überall auf einer um die Sonne zentrierten Kugelschale mit einem Radius von 550 Astronomischen Einheiten! Wohin man da steuern muss hängt davon ab, was man beobachten will. Denn das was man beobachten will, muss ja vom Teleskop aus gesehen in Richtung Sonne am Himmel stehen. Man muss das Teleskop auch SEHR genau ausrichten. Hier wird die starke Vergrößerung jetzt auf einmal zum Problem. Wenn wir zum Beispiel einen extrasolaren Planeten beobachten wollen, werden wir nur einen Ausschnitt seiner Oberfläche sehen können, je nach Konfiguration nur ein paar Kilometer im Durchmesser. Das Teleskop muss also EXTREMST genau ausgerichtet sein, sonst trifft man den Planeten nicht. Wenn es auch nur um einen Winkel von einem Milliardstel Grad in die falsche Richtung schaut, sieht es nix. Und dann bewegt sich ja auch noch alles. Das Teleskop um die Sonne; der extrasolare Planet um seinen Stern; die Sonne und der andere Stern durch die Milchstraße. Nach ein paar Millisekunden ist der Planet also sowieso aus dem Bildfeld geflutscht. Man muss das Teleskop ständig und sehr schnell und sehr exakt neu ausrichten und das möglichst oft, um ein Bild der gesamten Planetenoberfläche abzurastern. Dazu kommt: Man sieht kein "echtes" Bild; das was man sieht ist durch die von der Sonne verursachte Raumkrümmung verzerrtes Licht. Der Planet erscheint uns wie in einem extremen Zerrspiegel; sein Bild kann sogar scheinbar um die Sonne herumgebogen sein. Man muss daraus irgendwie ein normales Bild zurückrechnen. Was zwar geht, aber auch nicht unbedingt einfach ist. Und dann ist da noch die Sonne: In dem Beispiel dient sie zwar als Gravitationslinse, ist aber natürlich keine echte Linse, sondern ein Stern. Die Sonne ist keine simple Kugel, sondern ein brodelnder Haufen Plasma, mit einer chaotischen Atmosphäre rundherum und das macht die Beobachtung nochmal schwieriger.
Und wenn man dann doch irgendwie ein Bild hat - dann muss man das Teleskop für die nächste Aufnahme irgendwo anders hinfliegen, weil wer weiß, wo das nächste interessante Ziel liegt. Wenn es blöd kommt, dann genau auf der anderen Seite der Kugelfläche, also 1100 Astronomische Einheiten weit weg.
Es gibt Vorschläge, wie so eine Mission aussehen kann. Die NASA hat eine Machbarkeitsstudie beauftragt die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass man mit bestehender Technik eine Mission ausrichten kann, mit der sich Bilder von extrasolaren Planeten machen lassen, die Details von bis zu 25 Kilometer auf deren Oberfläche zeigen könnten. Aber wie gesagt: Die Theorie ist das eine, die Praxis etwas ganz anderes. Würde man so etwas real durchführen, wäre es wohl eine der kompliziertesten und teuersten Weltraummissionen aller Zeiten. Bei der bis zum Schluss nicht sicher gestellt ist, ob sie überhaupt erfolgreich ist. Es ist zweifelhaft, ob wir jemals die solare Gravitationslinse zur Beobachtung andere Himmelskörper benutzen werden. Aber wer weiß: Wenn es da draußen etwas zu sehen gibt, dann hat die Astronomie meistens so lange nicht locker gelassen, bis wir es auch gesehen haben.
Sternengeschichten Folge 477: Parkplätze im All: Lissajous- und Halo-Umlaufbahnen
In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich von den Lagrange-Punkten erzählt. Sehr ausführlich und das will ich deswegen nicht wiederholen. Angefangen hat alles mit der Frage, wo man Raumfahrzeuge, Satelliten oder Weltraumteleskope am besten "parken" kann, wenn sie nicht in einer Umlaufbahn um einen Planeten sind oder sein können. Dann kann man sie entweder direkt um die Sonne kreisen lassen. Oder - und das ist in vielen Fällen nötig - in die Nähe eines Lagrange-Punktes bringen. Warum das nötig ist, werden wir später in der Folge noch besprechen. Bleiben wir zuerst noch kurz bei den Lagrange-Punkten. Das sind Punkte im All, an denen sich alle auf ein Objekt wirkenden Kräfte genau aufheben. Das zumindest ist die übliche Ein-Satz-Erklärung; die ausführliche Version gab es ja schon in der letzten Folge.
Ich fasse aber trotzdem noch einmal das Resultat zusammen: Wenn wir zwei Himmelskörper betrachten, also zum Beispiel die Erde und die Sonne, dann gibt es in Bezug auf die in diesem Fall wirkenden Kräfte fünf Lagrange-Punkte, die mit L1 bis L5 bezeichnet werden. L1 bis L3 finden wir entlang einer Linie, die durch Erde und Sonne gezogen wird. L1 befindet sich dann auf dieser Linie zwischen Erde und Sonne, bei L2 liegt die Erde zwischen Sonne und L2 und bei L3 die Sonne zwischen L3 und der Erde. Oder, nochmal anders, wenn wir die Linie entlang gehen, dann lautet die Reihenfolge: L3, Sonne, L1, Erde und L2. L4 und L5 sind nicht auf dieser Linie zu finden; sie liegen entlang der Erdbahn und zwar exakt 60 Grad vor der Erde und 60 Grad dahinter, so dass L4 bzw L5, Sonne und Erde ein gleichseitiges Dreieck bilden.
Und jetzt nehmen wir ein Raumfahrzeug, fliegen das in einen der Punkte, stellen dort den Motor aus und alles ist gut? Nicht ganz. Es ist ein bisschen komplizierter - aber auch nicht so kompliziert, dass man es nicht verstehen könnte. Schauen wir zuerst aber einmal, warum man ein Raumfahrzeug überhaupt in einem Lagrange-Punkt "parken" wollen würde.
Wenn man kann, dann wird man einen Satellit oder ein Teleskop immer in einer Umlaufbahn um die Erde belassen. Es dort hin zu kriegen kostet vergleichsweise wenig Treibstoff. Und es ist zumindest prinzipiell in der Nähe und erreichbar für weitere Raumfahrzeuge, die zum Beispiel Reparaturen durchführen können. So war es ja beim Hubble-Weltraumteleskop der Fall; wenn das nicht in einer Erdumlaufbahn gewesen wäre, dann hätte es nicht gewartet werden können und hätte nicht so lange so gut funktioniert (bzw. gar nicht funktioniert, weil es ja schon beim Start nicht völlig funktionstüchtig war). Aber es geht halt nicht immer alles in der Nähe der Erde. Das ist offensichtlich, wenn man zum Beispiel den Mars erforschen will oder den Jupiter. Dann muss man dorthin - aber viele Raumsonden haben auch ganz andere Ziele. Sie wollen die Sonne beobachten oder fernste Galaxien. Sie wollen das Weltraumwetter studieren oder so viele Sterne wie nur möglich kartografieren. Wieso kann man das nicht aus einer Erdumlaufbahn heraus machen?
Kann man in manchen Fällen ja auch. Aber in manchen nicht. Nehmen wir zum Beispiel das James-Webb-Weltraumteleskop. Das ist ein Infrarotteleskop und damit ganz anders als etwa das Hubble-Teleskop, das normales Licht beobachtet hat. Wenn man etwas beobachtet, dann darf es keine Störungen geben. In einer Sternwarte schaltet man das Licht in der Teleskopkuppel ja auch aus, bevor man beobachtet. Wenn man also ferne und schwache Himmelsobjekte sehen will, wäre es doof, wenn gleich daneben die helle Sonne im Blickfeld steht. Für sowas gibt es entsprechende Abschirmungen. Aber trotzdem fliegt etwa das Hubble-Weltraumteleskop alle paar Stunden durchs pralle Sonnenlicht und dann wieder durch eiskalte Dunkelheit. Das belastet das Material; außerdem ist ständig ein Teil des Himmels nicht zu sehen, weil die Erde im Weg steht oder die Sonne oder der Mond. Diese Nachteile muss man gegenüber den Vorteilen eines erdnahen Orbits abwägen; bei einem Infrarot-Teleskop kommt aber dazu, dass man hier nicht nur mit störendem Licht von der Sonne zu kämpfen hat. Auch die Erde gibt Infrarot- also Wärmestrahlung ab. Das sensible James-Webb-Teleskop wäre also in einer Erdumlaufbahn völlig falsch aufgehoben und könnte dort nicht vernünftig beobachten. Man muss es weit weg von der Erde bringen. Das kann theoretisch irgendwo in einer Umlaufbahn um die Sonne sein. Aber wenn man sich den Lagrange-Punkt L2 aussucht, hat das ein paar extra Vorteile.
Erinnern wir uns: Von L2 aus gesehen steht die Erde immer genau vor der Sonne. Das Teleskop kann also einerseits die Erde als Sonnenschild zweckentfremden, andererseits aber auch seinen eigenen Sonnenschild optimal einsetzen und immer Erde und Sonne gleichzeitig damit abdecken. Von der Erde aus betrachtet findet man L2 immer zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle des Himmels was die Kommunikation und die Datenübertragung einfacher macht. Also parkt man das Webb-Teleskop direkt in L2? Nein - das wäre zu einfach. Erstens möchte man das gar nicht, denn wenn etwa die Erde immer die Sonne verdeckt, dann hat das auch negative Folgen für die Energieversorgung. Irgendwo müssen die Solarzellen ja Licht herkriegen. Und andererseits würde das auch gar nicht gehen. Die Lagrange-Punkte L1 bis L3 sind sogenannte instabile Gleichgewichtspunkte. L4 und L5 nicht, aber darum kümmern wir uns ein anderes Mal.
Ich habe das ja in der letzten Folge sehr genau erklärt: In diesen drei Lagrangepunkten wirken die Anziehungskräfte von Sonne und Erde genau so zusammen, dass sich ein Objekt in dieser Position genau so schnell um die Sonne herum bewegt wie die Erde, obwohl es der Sonne näher - oder ferner - ist als die Erde. Das gilt aber wirklich nur exakt für diese drei Positionen von L1 bis L3. Würde sich ein Objekt auch nur ein kleines Stückchen aus diesem Punkt entfernen, ein bisschen zur Sonne hin oder von der Sonne weg, dann wäre das Gleichgewicht gestört; eine der beiden Anziehungskräfte würde die Überhand gewinnen und das Raumfahrzeug würde sich zwangsläufig immer weiter entfernen. Es ist so wie mit einem Ball, den man am Gipfel eines Hügels platziert. Wenn er exakt an der höchsten Stelle liegt, dann bleibt er auch dort. Aber wenn er nur ein Stückchen nach unten rollt, dann wird er zwangsläufig auch den ganzen Hügel runterrollen. In der Realität könnte man ein Raumfahrzeug auch nicht exakt in einem Lagrangepunkt platzieren. Die existieren so nur in einem abstrakten mathematischen Modell. Ein Raumfahrzeug, selbst ein kleines, ist immer größer als ein Punkt; es gibt nicht nur Erde und Sonne, sondern auch andere Himmelskörper die mit ihrer Gravitationskraft Störungen ausüben, und so weiter. Das Gleichgewicht ist in der Praxis also immer gestört.
Alles was ich gerade gesagt habe gilt aber nur, wenn man sich in Richtung der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne bewegt. Also in der Ebene bleibt, in der sich die Umlaufbahn der Erde befindet. Wenn ich mich senkrecht dazu entferne, also ein bisschen "über" oder "unter" dem Lagrange-Punkt bin, dann zieht mich die Gravitationskraft wieder zurück.
Am Ende bleibt es aber dabei: Wenn ich mich nicht exakt und ungestört in L1, L2 oder L3 befinde - und das ist in der Praxis unmöglich - dann werde ich aus dem Lagrange-Punkt wieder rausdriften. Was aber nicht heißt, dass es keinen Sinn machen würde, diese Lagrange-Punkte anzusteuern! Aus all den vorher genannten Gründen - Abschirmung, Kommunikation, etc - sind sie gut für diverse Weltraummissionen geeignet. Man muss sich halt ein bisschen anstrengen, wenn man dort bleiben will und jetzt sind wir endlich bei den Lissajous- und Halo-Umlaufbahnen aus dem Titel angelangt.
Fangen wir mit Lissajous an. Das ist der Nachname von Jules Antoine Lissajous; ein französischer Physiker aus dem 19. Jahrhundert. Er hat festgestellt, dass zwei sich überlagernde Schwingungen sehr schöne Figuren ergeben. Das kann man sich sehr einfach so vorstellen: Wir nehmen ein großes Pendel, binden einen Eimer Farbe daran, machen ein Loch in den Eimer und lassen das Pendel schwingen. Und zwar nicht einfach nur stur in einer Linie hin und her. Wir geben dem Pendel quasi einen Drall, so dass es nicht nur vor und zurück sondern auch gleichzeitig nach links und rechts schwingt. Dann wird die Farbspur am Boden auch kein simpler Strich sein, sondern eine komplexe Figur, deren Aussehen vom Verhältnis der beiden Schwingungsfrequenzen abhängt. Probiert das gerne mal aus - aber legt vorher was unter, sonst wird es eine große Sauerei. Man diese Lissajous-Figuren und mit der richtigen Mathematik kann man aus ihrem Aussehen rekonstruieren, welche Schwingungen involviert sind. Das ist aus vielen Gründen wichtig, wir wollen ja aber wissen, was eine Lissajous-Umlaufbahn ist.
Vereinfacht gesagt: Die Umlaufbahn eines Objekts, wenn es sich um einen Lagrange-Punkt bewegt und sich dabei NICHT in der gleichen Ebene befindet wie Erde und Sonne. Bevor ich das erkläre, muss ich aber noch mal kurz sagen was es eigentlich heißt, wenn man sich "um" einen Lagrange-Punkt bewegt. Das ist ein wenig missverständlich, denn in so einem Lagrange-Punkt ist ja nichts. Das ist einfach nur ein Punkt im Weltall; da ist nichts, was irgendeine Gravitationskraft ausüben könnte. Das mit dem Umkreisen des Lagrange-Punkts bezieht sich auf ein mitrotierendes Koordinatensystem. Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Stellen wir uns zuerst einfach mal vor, wir betrachten Sonne und Erde von irgendeinem Bezugspunkt weit außerhalb des Sonnensystems. Wir sehen die Sonne und wir sehen, wie die Erde fröhlich ihre Runden um die Sonne zieht. Was wir nicht sehen, uns aber im Geist dazu denken können, ist der Lagrange-Punkt L2 (wir könnten auch L1 oder L3 nehmen, aber bleiben wir mal bei L2). Der wird sich immer circa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt befinden und zwar immer genau gegenüber der sonnenabgewandten Seite der Erde. L2 bewegt sich also auch um die Sonne herum, genau so schnell wie die Erde. Und jetzt stellen wir uns noch das Webb-Teleskop vor, das diesen L2-Punkt umkreist. Wenn wir von unserem fernen Beobachtungspunkt schauen, sehen wir aber etwas ganz anderes. Wir sehen das Webb-Teleskop, und das bewegt sich einfach um die Sonne herum. So wie die Erde; und wir sehen nicht, wie Webb um einen leeren Punkt im All kreist. Wir sehen das Teleskop ein wenig "wackeln", es befindet sich mal ein bisschen oberhalb der Erdbahn, mal darunter, mal ist es ein bisschen schneller und mal langsamer. Aber es bewegt sich eindeutig um die Sonne herum. Wo ist da die "Umlaufbahn" um L2?
Die sehen wir erst, wenn wir uns mit der Erde mitbewegen. Oder mit L2, was aber auf gleiche rauskommt. Wir schauen uns die Sache jetzt nicht mehr von ganz fern an. Sondern von der Erde aus. Wir selbst scheinen uns also nicht zu bewegen; die Bewegung der Erde um die Sonne herum ist also jetzt aus unserer Betrachtung verschwunden. Wir sehen L2 immer 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt; immer an der gleichen Stelle - denn der bewegt sich ja genau so schnell um die Sonne wie wir und scheint deshalb aus unserer Sicht stillzustehen. Und das Webb-Teleskop? Seine komische wackelnde Bewegung sieht jetzt ganz anders aus. Wir sehen, wie es einen leeren Punkt im All umkreist; wir sehen, wie es sich um L2 herumbewegt! Es hat nicht exakt die gleiche Geschwindigkeit wie L2 und die Erde sondern ist mal ein bisschen schneller und mal langsamer. Und ist nicht immer in der gleichen Ebene. Aus der fernen Sicht sah das wie Gewackel aus. Aus der mitbewegten Sicht ist es mal ein Stück vor L2, mal ein Stück dahinter, mal ein Stück drüber und mal ein Stück drunter. Oder anders gesagt: Es umkreist L2.
Das ist aber wie gesagt keine "echte" Umlaufbahn. Sie hat deswegen auch nicht die klassische Form einer Ellipse oder eines Kreises. Die Bahn um L2 entsteht aus der kombinierten Anziehungskraft von Sonne und Erde. Man muss die Anteile der Anziehungskraft berücksichtigen die entlang der Verbindungslinie Sonne-Erde wirken und die, die senkrecht dazu wirken. Zusammen ergibt das eine Überlagerung von Schwingungen wie bei den Lissajous-Figuren und genau so eine komplexe Form hat auch die Umlaufbahn "um" einen Lagrange-Punkt. Weswegen sie "Lissajous-Umlaufbahn" genannt wird. Damit aber so eine Bahn auch ausreichend lange aufrecht erhalten werden kann, muss man immer wieder mal aktiv kleine Kurskorrekturen setzen. Denn die Bahnen um die Lagrange-Punkte L1 bis L3 sind ja instabil. Eine Lissajous-Umlaufbahn ist nicht geschlossen, dass heißt - wieder aus der mitbewegten Sicht, wo es so aussieht als ob ein Objekt um den Lagragrange-Punkt kreist - das Raumfahrzeug landet nach einer Runde nicht dort, wo es davor war. Es gibt aber Spezialfälle, wo die Schwingungen genau so zusammenspielen, dass die Bahn am Ende fast wie eine Ellipse aussieht. Wie gesagt, es ist keine echte elliptische Umlaufbahn um den Punkt herum; aus der fernen Sicht sehen wir das Objekt immer noch wackelnd um die Sonne kreisen. Aber wenn man diese Wackeln genau richtig timed, dann kriegt man eine annähernd periodische Umlaufbahn um einen Lagrange-Punkt und so etwas nennt man dann "Halo-Orbit".
Wir haben schon jede Menge Zeug in den Lagrange-Punkten geparkt. In L1 zum Beispiel die NASA-Sonde "Genesis", die dort zwischen 2001 und 2004 Partikel des Sonnenwinds gesammelt hat. Oder SOHO, das "Solar and Heliospheric Observatory", ein Teleskop zur Sonnenbeobachtung. In L2 haben wir jede Menge Infrarotteleskope gestellt, aus den schon genannten Gründen. Dort waren zum Beispiel das Herschel-Teleskop der ESA oder die Satelliten WMAP und Planck, die die kosmische Hintergrundstrahlung beobachten. Auch die Raumsonde GAIA hat von dort aus 1,6 Milliarden Sterne der Milchstraße vermessen. Für L3 haben wir bis jetzt noch keine Anwendung gefunden, in L4 und L5 haben wir aber dafür zum Beispiel die beiden STEREO-Sonden platziert, die gleichzeitig aber aus verschiedenen Richtungen die Sonne beobachtet haben um dreidimensionale Informationen zu sammeln.
Und das waren jetzt nur die Lagrange-Punkte im Sonne-Erde-System. Es gibt aber immer dann, wenn zwei Himmelskörper mit entsprechenden Massen einander umkreisen auch entsprechende Lagrange-Punkte. In den Lagrange-Punkten des Erde-Mond-Systems haben wir etwa ein paar Satelliten zur Erforschung des Mondes stationiert. Und wer weiß, wenn wir in Zukunft die anderen Planeten genauer erforschen, dann werden wir vielleicht auch deren Lagrange-Punkte nutzen. Freie Parkplätze kann man immer brauchen!
Sternengeschichten Folge 476: Parkplätze im All: Wo sind die Lagrange-Punkte?
Wir haben im Laufe der Zeit jede Menge Sachen ins All geschickt. Satelliten, Raumschiffe, Sonden, Weltraumteleskope, und so weiter. Das Problem an der Sache - oder besser gesagt eines der vielen, vielen Probleme die man bei der Raumfahrt hat: Im Weltall steht nichts still. Wir wollen einen Satelliten zum Beispiel ja nicht einfach nur mit einer Rakete ins All schicken. Der soll dann dort ja auch ganz konkrete Aufgaben erledigen. Da hilft es nicht, wenn er auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Kosmos verschwindet. Oder gleich wieder runter auf die Erde fällt. Wir schicken Objekte ins All damit sie dort ganz bestimmte Dinge an ganz bestimmten Orten erledigen. Nur kann man eben im Weltraum nicht einfach irgendwo hin fliegen und dort dann einfach stehen bleiben. Das geht nicht. Oder besser gesagt: Es geht nicht auf die Art und Weise wie wir das vom Erdboden kennen.
Was man auf jeden Fall tun kann: Irgendwas umkreisen. Satelliten die die Erde beobachten, umkreisen die Erde. Satelliten, die den Mars erforschen sollen, umkreisen den Mars. Die Umlaufbahn um einen Himmelskörper herum ist quasi ein "stehen bleiben". Was aber, wenn man nicht an der Erforschung eines Planeten oder Mondes interessiert ist? Sondern zum Beispiel ein Weltraumteleskop hat, das überall am Himmel Beobachtungen anstellen soll? Auch das muss ja irgendwo sein und man kann es zum Beispiel einfach auch in eine Umlaufbahn um die Erde parken. Das ist praktisch, weil es dann vergleichsweise nahe ist. Man braucht nicht so viel Treibstoff, um in eine nahe Erdumlaufbahn zu gelangen. Es kann aber auch sein, dass dann die Erde gerade im Weg steht, wenn man was beobachten will. Oder dass Streulicht von der Erde die Beobachtungen stört. Viele Satelliten und Teleskope müssen daher weit weg von der Erde sein. Kein Problem, kann man sich dann ja denken. Dann soll das Ding eben einfach direkt die Sonne umkreisen; machen die ganzen Planeten ja auch.
Und das ist natürlich möglich. Man braucht zwar ein bisschen mehr Energie und Treibstoff, um ein Objekt in einer heliozentrischen Bahn, also einer Umlaufbahn um die Sonne zu platzieren. Aber wenn es einmal dort ist, braucht man nicht mehr viel tun. Dann bewegt sich das Ding um die Sonne herum und fertig. Es gibt aber ein paar Punkte im Weltall, die besonders gut für Beobachtungen geeignet sind. Das sind die sogenannten "Lagrange-Punkte", von denen ich in Folge 31 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen habe. Das ist aber schon eine Zeit lang her, also fasse ich das noch einmal kurz zusammen.
Betrachten wir zwei Himmelskörper, zum Beispiel die Sonne und die Erde. Die Sonne übt eine Gravitationskraft aus und die Erde ebenso. Wir ignorieren jetzt fürs erste mal die restlichen Planeten und Monde im Sonnensystem und stellen uns vor, dass wir nur Sonne und Erde haben. Und ein drittes Objekt, eine sogenannte "Testmasse". Die ist vernachlässigbar klein im Vergleich zur Masse von Erde und Sonne. Und dient uns einfach nur dazu, um zu "testen", wie stark die gesamt wirkenden Gravitationskräfte sind. Wir stellen diese Testmasse also gedanklich einfach irgendwo im Sonnensystem ab und schauen, wie die Gravitationskräfte von Sonne und Erde auf sie wirken und welche Bewegung der Testmasse daraus entsteht.
In der Praxis macht man so eine Untersuchung natürlich mathematisch und es ist auch ein wenig komplizierter als ich das beschreibe. Aber schon im 18. Jahrhundert hat man genau solche Berechnungen angestellt und dabei fünf ganz besondere Punkte gefunden. Man könnte ja denken, dass es nur zwei prinzipielle Möglichkeiten gibt: Entweder unsere Testmasse umkreist direkt die Sonne. Oder sie umkreist die Erde (und mit der Erde gemeinsam um die Sonne). Gut, sie könnte auch mit Erde oder Sonne zusammenstoßen oder in den interstellaren Raum hinaus fliegen. Aber das ignorieren wir jetzt mal und bleiben bei den stabilen Umlaufbahnen. Und tatsächlich wird die Testmasse die Erde umkreisen, wenn wir sie ausreichend nahe an der Erde platzieren. Ist sie zu weit weg, dann ist die Anziehungskraft der Sonne zu stark und sie wird sich auf einer heliozentrischen Umlaufbahn wiederfinden. Aber theoretisch muss es irgendwo dazwischen ja einen Punkt geben, an dem die Sonne mit ihrer Gravitationskraft genau so stark an der Testmasse zieht wie die Erde? Was würde dort passieren?
Bei der Antwort auf diese Frage landen wir exakt bei den Lagrange-Punkten, die nach dem Mathematiker Joseph Louis Lagrange benannt sind, der dieses Problem im 18. Jahrhundert untersucht hat. Es ist ein bisschen knifflig; denn wenn man sich die Sache überlegt, dann merkt man, dass es nicht einen solchen Punkt gibt, sondern gleich fünf davon.
Stellen wir uns vor, wir befinden uns mit unserer Testmasse irgendwo auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne, zwischen den beiden Himmelskörpern. Je näher an der Sonne, desto stärker ist deren Anziehungskraft und desto schneller umkreist die Testmasse die Sonne auch. Die Erde zieht aber eben auch immer ein bisschen und aus Sicht der Testmasse wirkt das so, als wäre die Anziehungskraft der Sonne ein klein wenig schwächer als sie es tatsächlich ist. Normalerweise wäre ein Objekt das sich innerhalb der Erdbahn bewegt immer schneller als die Erde. Aber wegen der Anziehungskraft der Erde gibt es einen Punkt, an dem sich die Testmesse innerhalb der Erdbahn befindet und trotzdem genau so schnell wie die Erde um die Sonne läuft. Das ist ein Lagrange-Punkt und zwar der Lagrange-Punkt mit der Bezeichnung L1. Und die Bezeichnung "Punkt" kann ein wenig irreführend sein. Denn wie gesagt: Im All bewegt sich alles. Die Erde bewegt sich um die Sonne; man kann sich die Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne wie den Zeiger einer Uhr vorstellen der eine Runde pro Jahr absolviert. Und da der Punkt L1 immer exakt auf diesem Zeiger, auf der Verbindungslinie liegen muss, bewegt sich auch der Punkt um die Sonne herum. Gemeinsam mit der Erde und genau so schnell wie sie. Der Lagrange-Punkt L1 ist also ständig in Bewegung, genau so wie der Rest im Weltall.
Warum es einen Gleichgewichtspunkt zwischen Erde und Sonne geben muss, ist vergleichsweise klar. Aber wenn wir nun die Verbindungslinie über die Erdbahn hinaus verlängern, finden wir noch zwei weitere Gleichgewichtspunkte. Wenn sich die Testmasse außerhalb der Erdumlaufbahn befindet, dann sollte sie sich eigentlich immer langsamer um die Sonne bewegen als die Erde. Da ist die Anziehungskraft der Sonne auf die Testmasse ja schwächer als die Anziehungskraft der Sonne auf die Erde. Aber nicht vergessen: Wir betrachten ja die Positionen entlang der Verbindungslinie Erde-Sonne. Das heißt dort ziehen Sonne und Erde gleichzeitig in die gleiche Richtung. Aus Sicht der Testmasse ist die Anziehungskraft also immer ein klein wenig stärker als sie eigentlich sein sollte und deswegen gibt es auch hier einen Punkt, an dem sie sich nicht langsamer, sondern genau so schnell wie die Erde um die Sonne bewegt. Das ist der Lagrange-Punkt L2 und den dritten Punkt finden wir, wenn wir in die andere Richtung schauen. Wir setzen die Testmasse jetzt nicht hinter die Erde, sondern gegenüber der Erde auf die andere Seite der Sonne. Ohne Bilder ist das ein wenig schwierig vorzustellen. Aber es ist eigentlich ganz simpel. Bei L1 lautet die Reihenfolge der Objekte entlang der Linie: Sonne - L1 - Erde. Bei L2 ist es: Sonne - Erde - L2. Und jetzt schauen wir uns an, wie es bei der Reihung: L3 - Sonne - Erde ausschaut. Hier passiert das gleiche wie bei L2. Sonne und Erde ziehen die Testmasse in die gleiche Richtung, weswegen wie sie ein wenig schneller unterwegs ist als normal und deswegen gibt es auch hier - eben in L3 - einen Punkt, an dem sich die Testmasse genau so schnell bewegt wie die Erde.
Bis jetzt haben wir uns nur entlang der Verbindungslinie zwischen Sonne und Erde bewegt. Es gibt aber noch zwei weitere Punkte, an denen die Testmasse ein Gleichgewicht der Kräfte spürt. Wir schieben unsere Testmasse jetzt direkt die Erdumlaufbahn entlang. Wer eine gute Vorstellungskraft hat, kann jetzt ein Dreieck vor dem inneren Auge entstehen lassen. Dessen Eckpunkte sind die Sonne, die Erde und die Testmasse. Wenn die Testmasse noch ganz in der Nähe der Erde ist, dann ist Dreick lang und flach. Der Abstand der Erde zur Sonne ist zwar immer genau so groß wie der Abstand der Testmasse zur Sonne. Die Distanz zwischen Erde und Testmasse ist aber viel kleiner. Wir haben also ein gleichschenkeliges Dreieck mit zwei langen und gleich langen Seiten und einer sehr kurzen. Je weiter wir die Testmasse aber entlang der Erdumlaufbahn schieben, desto länger wird diese dritte Seite. Bis wir irgendwann ein gleichseitiges Dreieck erhalten! Jetzt ist der Abstand zwischen Sonne und Erde genau so groß wie der zwischen Sonne und Testmasse und Erde und Testmasse. Wir können sogar zwei solcher gleichseitigen Dreiecke basteln; einmal wenn sich die Testmasse genau 60 Grad vor der Erde entlang ihrer Bahn befindet und einmal 60 Grad hinter der Erde. Das sind die beiden noch fehlenden Lagrange-Punkte L4 und L4. Und das schaut jetzt zwar schön symmetrisch aus. Aber wieso sollen L4 und L5 auch Gleichgewichtspunkte sein? Wenn der Abstand zwischen Erde und Testmasse und Sonne und Testmasse genau gleich groß ist, dann folgt daraus ja nicht, dass Sonne und Erde auch genau gleich stark an der Testmasse ziehen? Die Sonne hat viel mehr Masse und bei gleichem Abstand muss ihre Anziehungskraft auch immer sehr viel größer sein als die der Erde.
Wenn man wirklich verstehen will was hier abgeht, kommt man nicht ohne sehr viel Mathematik aus. Und muss vor allem ein weiteres Mal berücksichtigen, dass man es mit einer dynamischen Situation zu tun hat; sich also alles bewegt. Ich probiere es mal mit einer sehr vereinfachten Erklärung, die ohne Mathematik auskommt. Im Prinzip geht es ja darum, wie viel Bewegungsenergie die Testmasse braucht, damit sie sich immer genau so schnell wie die Erde um die Sonne herum bewegen kann. Nur wenn das der Fall ist, dann bleibt sie auch immer vor der Erde (bzw. hinter ihr) auf ihrer Bahn in der gleichen Position. Wir wollen eine Konfiguration von Sonne, Erde und Testmasse, in der die relative Position der drei Objekte immer exakt gleich bleibt. Alles dreht sich zwar um die Sonne, aber wenn wir uns selbst mit der Erde (oder der Testmasse) mitbewegen, dann würde es so aussehen, als würde sich gar nix bewegen. Von der Erde aus gesehen wäre die Testmasse in L4 immer genau gleich weit voraus und die in L5 gleich weit hintennach. Es sähe so aus, als würde sie sich gar nicht bewegen.
Und jetzt verlassen wir kurz den Weltraum und begeben uns auf die Erde. Die Erde dreht sich um ihre Achse, einmal in 24 Stunden. Wenn ich direkt am Äqutor stehe, dann dreht mich die Erdrotation also in 24 Stunden einmal herum. Und ich lege dabei eine Strecke zurück, die der Länge des Äquators entspricht, was circa 40.000 Kilometer sind. 40.000 Kilometer in 24 Stunden sind 1700 Kilometer pro Stunde und das ist die Geschwindigkeit mit der ich mich dank der Erdrotation bewege, auch wenn ich die ganze Zeit nur faul im Liegestuhl sitze. Wenn ich mich aber zum Beispiel in Berlin befinde, bin ich langsamer. Auch hier trägt mich die Erdrotation einmal in 24 Stunden im Kreis herum. Nur ist dieser Kreis jetzt viel kleiner. Wenn ich die Erde genau am Äquator in zwei Hälften schneiden würde, dann ist die Schnittfläche ein Kreis mit einem Umfang von den vorhin erwähnten 40.000 Kilometern. Wenn ich die Erde aber auf der Höhe von Berlin kappe, so wie morgens das Frühstücksei, dann kriege ich eine Schnittfläche die nur noch einen Umfang von 24.700 Kilometer hat. Meine Geschwindigkeit beträgt hier also 24.700 km pro 24 Stunden oder knapp 1000 km/h. Und noch weiter im Norden würde ich mich noch langsamer mit der Erde bewegen.
Keine Sorge, das hat alles mit den Lagrange-Punkten zu tun; da kommen wir gleich wieder drauf. Zuerst aber noch einmal kurz zum Wetter. Luftmassen bewegen sich ja einerseits mit der Erdrotation, genau so wie alles andere auf unserem Planeten. Andererseits können die Luftmassen aber um den Planeten herumströmen und sie tun das aufgrund von Unterschieden im Luftdruck. Stellen wir uns jetzt also mal Luft vor, die vom Äquator in Richtung Norden strömt. Am Äquator war sie mit den 1700 km/h unterwegs die sie dank der Erdrotation hat. Wenn sie jetzt aber nach Norden kommt, dann bewegt sie sich schneller nach Osten (die Erde dreht sich nach Osten) als das Land unter ihr, dass sich im Norden ja langsamer dreht. Vom Erdboden betrachtet sieht das so aus, als würde die aus Süden kommende strömende Luft nach Osten abgelenkt. In die andere Richtung geht das natürlich auch: Luft die von Richtung Norden kommt, wird nach Westen abgelenkt. Wenn nun Luft aus allen Richtungen auf ein Tiefdruckgebiet zuströmt, dann bildet sich ein Luftwirbel, der sich gegen den Uhrzeigersinn dreht (und auf der Südhalbkugel ist das alles umgekehrt). So entstehen die großen Wettermuster, so entstehen Hurrikane und so weiter. Die Kraft, die die Luft zum Wirbeln bringt, heißt "Corioliskraft" und sie ist nur eine Scheinkraft. Soll heißen: Da ist nicht wirklich irgendwas, was von außen an der Luft drückt und eine reale Kraft ausübt. Die Corioliskraft gibt es, weil Objekte - wie eben Luft - träge sind und weil wir uns in einem rotierenden Bezugssystem befinden. Wir drehen uns mit der Erde mit und nehmen die Rotation nicht direkt wahr. Wir sehen aber, wie sich die Rotation auf die trägen Luftmassen auswirkt und es sieht für uns so aus wie eine Kraft, die dort wirkt.
Und damit sind wir wieder zurück im Weltall und bei den Lagrange-Punkten. Auch hier haben wir es mit einem rotierenden Bezugssystem zu tun. Wir betrachten die Dinge ja aus einer Position, in der wir uns mit der Erde um die Sonne bewegen (oder mit der Testmasse, das ist egal). Und auch hier spielt die Corioliskraft eine Rolle. In einem gewissen Abstand von der Sonne spürt man eine gewissen Anziehungskraft und die sorgt für eine gewisse Geschwindigkeit, genau so, dass das man am Ende die Sonne umkreist. Weiter weg von der Sonne ist diese Geschwindigkeit geringer als näher dran; genau das ist übrigens das, was das dritte Keplersche Gesetz besagt. So wie die Luftmassen auf der Erde unterschiedlich schnell sind, je nachdem ob sie nah oder weit weg vom Äquator sind, ist das auch bei der Bewegung von Objekten um die Sonne. Ich könnte jetzt sagen: Und so wie die Luftmassen dank der Corioliskraft um das Tiefdruckgebiet wirbeln, bewegen sich Objekte dank der Corioliskraft um die Lagrange-Punkte L4 und L5 herum. Aber dann hätte ich die Analogie zu weit geführt; so simpel ist es nicht, leider. Aber wenn man sich vorstellt, dass ein Objekt ein klein wenig aus L4 oder L5 herausgeschubst wird, näher an die Sonne heran oder weiter von ihr weg, dann ist klar, dass es dann - vorerst - zu schnell oder zu langsam ist für den Abstand den es zur Sonne hat. Das wird dazu führen, dass es sich näher an die Sonne bewegt oder weiter weg, quasi als Korrektur. Dann wird es aber nicht mehr exakt in L4 oder L5 landen sondern wieder ein bisschen zu nah oder zu fern sein; diesmal eben andersherum. Was wieder zu einer Korrektur führt, und so weiter. Am Ende kriegt man eine Bewegung UM den Lagrange-Punkt herum.
Man kann die ganzen Kräfte - die Gravitationskräfte von Sonne und Erde nehmen, die Corioliskraft und die Zentrifugalkräfte muss man eigentlich auch noch mitnehmen - und dann jede Menge Mathematik draufwerfen. Und am Ende wird man sehen, dass die Gleichgewichtspunkte sich eben genau dort befinden, wo Sonne, Erde und Testmasse ein gleichseitiges Dreieck bilden. Noch genauer kann man es ohne Formeln vermutlich nicht erklären. Es gibt noch diverse Einschränkungen; eine der beiden Massen muss zum Beispiel immer sehr viel größer sein als die andere, sonst können L4 und L5 keine stabilen Gleichgewichtspunkte sein, und so weiter. Aber wir sind eh schon zu tief in die mathematischen Details eingetaucht für eine Podcastfolge.
Jetzt wissen wir also genau, wo die Lagrange-Punkte sind und auch so ungefähr, warum sie dort sind, wo sie sind. Jetzt müssen wir noch wissen, wie man dort ein Raumfahrzeug parkt. Aber das schauen wir uns dann in der nächsten Folge an.
Sternengeschichten 2022: 500 Folgen und 10 Jahre
Herzlich Willkommen im Jahr 2022. Ich bin zwar auf keinste Weise offiziell befugt, für das Jahr 2022 zu sprechen; wünsche aber trotzdem allen Hörerinnen und Hörern der Sternengeschichten, dass dieses Jahr besser wird als das letzt oder zumindest nicht schlechter. Bevor es demnächst wieder mit den üblichen Folgen weiter geht, wollte ich mich noch kurz einmal außertourlich bei euch melden. Denn das Jahr 2022 ist ein ganz besonderes Jahr für die Sternengeschichten.
Am 24. Juni 2022 wird Folge Nummer 500 der Sternengeschichten erscheinen. Und am 30. November 2022 wird der Podcast seinen 10. Geburtstag feiern. 10 Jahre ist jetzt keine besonders lange Zeit. Wäre mein Podcast ein Mensch, dann wäre er gerade mal aus der Grundschule draußen. Aber im Internet und für einen Podcast ist das schon nicht Nichts. Als ich angefangen habe zu podcasten, hatten noch längst nicht alle ein Smartphone. Spotify kannte kaum wer und Instagram war ganz neu. Podcasts waren ein extremes Nischenmedium. Heute ist das anders, jedes große Medium betreibt jede Menge Podcasts, es gibt Podcasts zu allen möglichen Themen von allen möglichen Leuten und auch wenn sie noch kein Massenmedium sind, sind Podcasts definitiv aus der Nische raus.
Dass es die Sternengeschichten die ganze Zeit über gab und das sie heute erfolgreicher sind als jemals, finde ich großartig. Ich mache das alles ja, weil ich möchte, dass möglichst viele Menschen meine Faszination für die Astronomie teilen. Und dass das offensichtlich der Fall ist, finde ich super.
Das 10jährige Jubiläum und die 500te Folge möchte ich auch entsprechend feiern. Ich habe schon ein paar Ideen, aber habe noch nicht konkret geplant, wie und wo und was und wann stattfinden wird. Aber vielleicht habt ihr ja ein paar gute Vorschläge? Wie würdet ihr gerne die Jubiläen des Podcasts feiern? Welche Aktionen wünscht ihr euch? Schreibt mir eine Email an [email protected] oder schreibt eure Vorschläge in die Kommentare. Ich würde ja gerne das eine oder andere Treffen veranstalten; vielleicht mit irgendeiner Art der öffentlichen Vorführung der Sternengeschichten. Aber das muss ja auch alles erst organisiert werden; es muss stattfinden können - wer weiß was die Pandemie noch alles bringt - und dann muss ja auch noch Publikum da sein. Oder vielleicht können auch ein paar gemeinsame Sachen mit anderen Podcasts veranstaltet werden. Mal schauen.
Bis dahin freue ich mich einfach weiterhin, dass die Sternengeschichten so viele tolle Hörerinnen und Hörer gefunden haben. Die Podcasts - mittlerweile mache ich ja nicht nur die Sternengeschichten, sondern auch den längeren Astronomie-Podcast "Das Universum" gemeinsam mit meiner Kollegin Ruth und den Podcast "Das Klima", gemeinsam mit Claudia zur Klimakrise - die Podcast jedenfalls machen mittlerweile einen großen Teil meiner Arbeit aus und ich bin froh, dass das alles so gut funktioniert.
Es klingt ja fast schon ein wenig kitschig, aber es stimmt: Ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Ok, natürlich hätte ich auch einfach 10 Jahre lang jede Woche ne Geschichte ins Mikro sprechen und ins Internet stellen können. Aber wenn es dort dann niemanden interessiert, hätte ich vermutlich irgendwann die Lust verloren. Ihr habt aber nicht nur zugehört, sondern mich auch aktiv unterstützt. Durch spannende Kommentare, interessante Fragen, durch gutes Feedback und Bewertungen bei den diversen Podcastplattformen und natürlich auch durch eure Spenden. All das könnt ihr gerne weiterhin machen - Infos zu den Spendenmöglichkeiten bei Paypal, Patreon und Steady findet ihr in den Shownotes. Am wichtigsten ist für mich aber, dass ihr die Sternengeschichten weiterhin so gerne hört wie bisher. Denn genau darum geht es ja: Das Universum ist wahnsinnig faszinierend und voller Geschichten, die nicht nur erzählt werden müssen, sondern auch gehört werden wollen!
Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal: https://www.paypal.me/florianfreistetter, Patreon: https://www.patreon.com/sternengeschichten oder Steady: https://steadyhq.com/sternengeschichten
Sternengeschichten Folge 475: Aldebaran, das Auge des Stiers
In klaren Winternächten kann man in Mitteleuropa das Sternbild Stier sehr gut am Himmel sehen. Man erkennt dort die beiden Sternhaufen der Hyaden und Plejaden. Die Hyaden bilden mit ein wenig Fantasie den spitzen Kopf eines Stiers, von dem sich zwei große Hörner in den Himmel strecken. Und dort wo man das Auge des Tiers erwarten würde, leuchtet hell ein roter Stern. Das ist Aldebaran.
Der Name kommt aus dem arabischen und bedeutet so viel wie "der Nachfolgende". Denn beobachtet man die scheinbare Bewegung des Sterns im Laufe einer Nacht, dann sieht man ihn immer hinter dem markanten Sternhaufen der Plejaden nachlaufen. Wer möchte, kann Aldebaran als auch Wächter vor dem "Goldenen Tor der Ekliptik" sehen. Diese poetische Bezeichnung beschreibt ein interessantes Phänomen. Die Ekliptik, also die auf den Himmel projizerte Umlaufbahn der Erde um die Sonne, läuft genau in der Mitte durch den Raum, der zwischen den Hyaden und den Plejaden liegt. Das ist durchaus relevant, denn die Eklitpik ist ja nichts anderes als die Ebene, in der sich die Erde um die Sonne bewegt. Auch die restlichen Planeten des Sonnensystems bewegen sich alle annähernd in dieser Ebene; ebenso der Mond und - zumindest scheinbar von der Erde aus gesehen - auch die Sonne. Wenn wir den Mond und die Planeten am Himmel beobachten, dann befinden sie sich also nie weit entfernt von der Ekliptik. Und tatsächlich sieht man sie dann auch immer wieder durch dieses von den beiden Sternhaufen gebildete Tor wandern.
Der Mond kann dabei sogar Aldebaran bedecken. So ein Ereignis wurde zum Beispiel am 11. März des Jahres 509 von Gelehrten in Athen beobachtet. Mehr als 1000 Jahre später, im 18. Jahrhundert, untersuchte der englische Astronom Edmond Halley diese alten Beobachtungsdaten und kam zu dem Schluss, dass sich die Position von Aldebaran seit damals verändert haben muss. Wäre der helle Stern auch damals schon dort am Himmel gestanden wo Halley ihn zu seiner Zeit sehen konnte, dann hätte der Mond ihn nicht am 11. März 509 bedecken können. Ähnliche Beobachtungen bei anderen Sternen führten ihn zu der Erkenntnis, dass die Sterne tatsächlich nicht fix am Himmel stehen. Sie verändern ihre Position, was auch früher schon vermutet wurde, aber erst jetzt auch wirklich bestätigt werden konnte.
Es ist kein Wunder, dass der Aldebaran immer schon die Aufmerksamkeit der Menschen genossen hat. Mit seinem hellen, rötlichen Licht ist er kaum zu übersehen und seine Nähe zu den markanten Sternhaufen der Hyaden und Plejaden lenkt den Blick zusätzlich dorthin. Von allen Sternen des Nachthimmels ist er der 14. hellste. Er befindet sich circa 65 Lichtjahre von der Sonne entfernt und ist 45 mal größer als unser Stern. Er leuchtet gut 500 mal heller als die Sonne und das trotz seiner geringeren Oberflächentemperatur von nur 3600 Grad Celsius. Aldebaran ist ein roter Riesenstern, der sich schon dem Ende seines Lebens nähert.
Im Jahr 1993 haben Beobachtungen von Aldebaran vermuten lassen, dass er von einem Planeten umkreist wird. Er wackelte auf eine ganz charakteristische Art hin und her; genau so wie er es tun würde, wenn die Gravitationskraft eines Planeten ein wenig an ihm zerrt. Man konnte aber nicht zweifelsfrei feststellen, ob das auch wirklich so ist, denn Aldebaran ist ein leicht veränderlicher Stern; ändert also immer wieder ein wenig seine Helligkeit und so ein Effekt kann bei der Beobachtung leicht ein Wackeln vortäuschen.
2015 hatte man schon bessere Daten und war sich nun sicher: Ein Planet der fast 6 mal so viel Masse hat wie Jupiter umkreist den Riesenstern in vergleichsweise nahen Abstand; ungefähr so weit entfernt wie der Mars von der Sonne. Damit würde sich der Planet in der sogenannten habitablen Zone von Aldebaran befinden; also dem Bereich, wo die Strahlung des Sterns gerade passend ist, dass flüssiges Wasser auf der Oberfläche eines Planeten existieren kann. Kann, aber nicht muss und auf dem Planeten von Aldebaran mit Sicherheit auch nicht existiert. Er hat keine feste Oberfläche; es handelt sich um einen riesigen Gasplanet, wie Jupiter - nur sehr viel größer. Aber rein theoretisch könnte der Planet von großen Monden umkreist werden - so wie das ja auch bei den Gasplaneten des Sonnensystems der Fall ist. Auf denen könnten dann tatsächlich lebensfreundliche Bedingungen existieren.
"Aldebaraner" haben wir bis jetzt aber noch nicht getroffen; auch wenn das immer wieder mal Menschen behauptet haben. Die hatten aber keine Ahnung von Astronomie; das waren Verschwörungstheoretiker wie zum Beispiel Jan Udo Holey oder Axel Stoll. Ihren eher wirren Thesen nach sollen Aliens vom Aldebaran schon vor vielen hunderttausend Jahren auf die Erde gekommen sein. Aus der Vermischung der frühen Menschen und den Aldebaranern sollen dann wir moderne Menschen entstanden sein. Später sollen die Aldebaraner dann wieder gekommen sein und da wird der ganze Unsinn dann ein bisschen bedenklich (bzw. bedenklicher als er sowieso schon ist). Denn die Aliens wollten - aus welchen Gründen auch immer - ihre Geheimnisse und Techniken mit den Menschen teilen. Aber nicht mit allen, nur mit den "Besten". Und dafür haben sie sich gerade die Deutschen ausgesucht. Und weil sie gerade in den 1930er und 1940er Jahren zu Besuch waren, sind die Nationalsozialisten und Adolf Hitler so an Raumfahrzeuge und Wunderwaffen gelangt. Was natürlich alles völliger Quatsch ist; in der Szene der rechtsradikalen Verschwörungstheorien und Esoterik wird aber immer noch gerne davon erzählt, dass die Deutschen besser sind als alle anderen und von den Außerirdischen auserwählt.
Wie gesagt: Mit ein wenig Ahnung von Astronomie (oder einfach nur simpler Vernunft) kann man das schnell als Unsinn erkennen. Vor allem sind wir seit 2019 auch gar nicht mehr so sicher, ob es da wirklich einen Planeten bei Aldebaran gibt. Noch neuere Daten haben gezeigt, dass die Beobachtungsdaten auch ohne Planeten erklärt werden können.
Irgendwann werden wir es genau wissen; aber mit ziemlicher Sicherheit nicht, in dem wir dort hin fliegen und nachschauen. 65 Lichtjahre ist ziemlich weit weg; das dauert ne Zeit, bis wir dort wären. Die Raumsonde Pioneer 10, die im Jahr 1973 ins All gestartet wurde um Jupiter zu erforschen, ist auf einer Flugbahn, die sie aus dem Sonnensystem hinaus führen wird. Seit 2003 gibt es zwar keinen Kontakt mehr zur Raumsonde; weiterfliegen wird sie aber trotzdem. In die Richtung von Aldebaran, wo sie aber erst in gut zwei Millionen Jahre ankommen wird. Beziehungsweise nicht "ankommen" - sie wird in sehr, sehr großer Entfernung an Aldebaran vorbeifliegen. Durch die Bewegung von Aldebaran kann man nicht genau vorhersagen, wann das sein und wie groß der Abstand der Sonde zum Stern dann sein wird. Aber es wird mehr als ein Lichtjahr sein und das ist dann doch ein eher flüchtiger Besuch…
Das Sternbild Stier mit seinem hell und rot leuchtenden Auge gehört zu den ältesten Bildern am Nachthimmel. Schon vor fast 5000 Jahren haben die Menschen in den ersten Hochkulturen in Mesopotamien dort einen Stier gesehen. Aldebaran wird auch weiter die Fantasie der Menschen beschäftigen. Und natürlich den Forschungsdrang der Astronomie. Wir werden uns neue Geschichten über den Stern erzählen, die hoffentlich vernünftiger und schöner sind als die Verschwörungstheorien der Rechtsradikalen. Und wir werden ihn weiter beobachten und mehr über diesen roten Riesen mit seinen existierenden oder nicht existierenden Planeten herausfinden.
Sternengeschichten Folge 474: Weihnachten und die Wintersonnenwende
Weihnachten ist ein religiöses Fest der Christen. Weihnachten ist mittlerweile auch ein Fest, das ganz ohne Religion begannen werden kann und wird; einfach als großes Familienfest oder auch nur als ruhiger Tag an dem man sich ein wenig erholen kann. Aber egal ob Religion oder nicht - mit Astronomie scheint Weihnachten auf den ersten Blick nichts zu tun zu haben.
Hat es aber natürlich. So gut wie jedes große Fest das wir Menschen begehen, hat auf die eine oder andere Art mit Astronomie zu tun. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, dann ist das auch kein Wunder. Der Himmel war immer schon der ultimative Taktgeber für unsere Kultur. Die natürlichen Rhythmen von Tag und Nacht, der Mondphasen oder der Jahreszeiten lassen sich direkt am Himmel beobachten. Und selbstverständlich haben sich um diese Rhythmen herum alle möglichen Bräuche, Feste und Traditionen entwickelt.
Der Lauf der Jahreszeiten hat die Welt früher noch viel mehr dominiert als heute, wo zumindest in den industrialisierten Ländern nur noch wenige Menschen in der Landwirtschaft tätig sind. Aber für eine Zivilisation in der so gut wie alle ihre Nahrung selbst anbauen müssen, ist es von fundamentaler Notwendigkeit, die Jahreszeiten im Blick zu haben. Im Frühling muss man ausäen und sich darum kümmern, dass alles zu wachsen beginnt. Im Herbst muss geerntet werden, damit genug zu essen da ist, wenn der kalte und dunkle Winter kommt, in dem nichts angebaut werden kann.
Dass nach dem Winter irgendwann wieder der nächste Frühling und der nächste Sommer kommt: Das haben die Menschen natürlich immer schon gewusst. Aber sie haben nicht gewusst, was die Ursache für den regelmäßigen Lauf der Jahreszeiten ist. Und da ist es nicht verwunderlich, wenn man diese Vorgänge genau verfolgt und mit entsprechenden Ritualen ausstattet. Stellen wir uns einfach mal vor, wie es so gewesen sein könnte, vor ein paar tausend Jahren… Der Winter ist da, draußen ist es kalt. Die Sonne geht spät auf, sie geht früh wieder unter. Es ist dunkel und je länger der Winter fortschreitet, desto länger dauert die Nacht. Und die Nacht war damals natürlich auch noch eine echte Nacht. Keine hell erleuchteten Städte und Straßen, keine Lichter in den Häusern. Wenn, dann hatte man ein offenes Feuer, das ein bisschen Licht und Wärme in der langen Nacht gespendet hat.
Selbstverständlich hat man damals sehr genau zum Himmel geschaut. Und darauf gewartet, dass die Tage endlich wieder länger werden. Denn wer weiß; vielleicht hört der Winter ja irgendwann doch nicht mehr auf? Aber wenn dann die Nacht wieder kürzer wird; wenn die Sonne Tag für Tag ein kleines bisschen früher aufgeht und ein kleines bisschen länger am Himmel steht: Dann kann man sich sicher sein, dass der Frühling kommen wird.
Der Zeitpunkt an dem das passiert; an dem also die Nacht nicht mehr länger wird, wird "Wintersonnenwende" genannt und war genau deswegen immer schon von großer Bedeutung für die Menschen. Was dabei aus astronomischer Sicht abläuft, habe ich in Folge 135 schon ein bisschen genauer erklärt, als ich über das Gegenstück im Sommer gesprochen habe: Die Sommersonnenwende. Ich werde nicht alles wiederholen; sage aber noch einmal dazu, dass ich auch hier wieder die Situation auf der Nordhalbkugel bespreche; auf der südlichen Hälfte der Erde läuft die Sache umgekehrt, da dort ja Sommer ist, wenn wir hier Winter haben.
Gehen wir gedanklich noch einmal zurück in die Zeit vor ein paar tausend Jahren. Damals wusste man noch nichts über den Aufbau des Sonnensystems, kannte das Gravitationsgesetz noch nicht und hatte keine Ahnung, dass die Sonne ein Stern ist, der von der Erde, einem Planeten, umkreist wird. Aber man konnte die Sonne am Himmel sehen. Und die Menschen waren damals auch nicht dümmer als heute; sie waren durchaus in der Lage, die Himmelskörper und ihre Bewegung zu registrieren und sich ihre Gedanken dazu zu machen. Von der Erde aus sehen wir die Sonne immer in Richtung Osten aufgehen und abends immer in Richtung Westen hinter dem Horizont verschwinden. Wenn man lange genug beobachtet, dann wird man feststellen, dass die Sonne nicht immer am gleichen Punkt erscheint und verschwindet. Im Sommer zum Beispiel geht die Sonne deutlich östlicher auf als im Winter und sie geht weiter westlicher unter. Was bedeutet, dass sie im Sommer auch einen längeren Weg über den Himmel zurücklegt und es länger hell ist. Was man ebenfalls feststellen kann: Im Sommer steigt die Sonne bei ihrem Weg über den Himmel sehr viel höher am Himmel hinauf als im Winter. Wenn man an jedem Tag des Jahres beobachtet, wie weit die Sonne steigt, bis sie zu Mittag ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht, dann wird man sehr schnell ein Muster erkennen.
Im Laufe des Frühlings wandert dieser höchste Punkt immer höher hinauf, bis im Sommer ein Höchstwert erreicht ist. Dann scheint die Sonne dort kurz zu verharren; sie steigt nicht weiter und beginnt in den folgenden Tagen zu sinken. Sie kommt nicht mehr so weit nach oben wie zuvor und Tag für Tag wird sie Mittags ein wenig tiefer am Himmel stehen. Das geht bis in den Winter hinein so weiter, die Tage werden kürzer und kälter. Bis sie das zweite Mal stillzustehen scheint und dann wieder langsam damit beginnt, höher am Himmel zu stehen. Diese beiden Punkte im Jahr nennt man die "Sonnenwenden" oder auf lateinische die "Solstitien", was nichts anderes bedeutet als "Stillstand der Sonne".
Diese Beobachtungen kann man auch ohne großes technisches Gerät anstellen; man braucht nur einen fixen Beobachtungsort und ein gutes Gedächtnis. Oder stellt zum Beispiel einen großen Pfahl auf, über den man die Sonne jeden Tag zu Mittag anvisiert und dann mit einer Kerbe den jeweiligen Höchststand markiert. Über die Sonnenwenden haben die Menschen schon in der Steinzeit Bescheid gewusst, was man auch an der Konstruktion und Ausrichtung von Bauwerken wie Stonehenge oder der Kreisgrabenanlage von Goseck sehen kann.
In der modernen Astronomie markieren die Tage der Sommer- und Wintersonnenwende den Anfang von Sommer beziehungsweise Winter. Aber immer schon hat man diese Tage auch mit entsprechenden Festen und Ritualen begangen. Wenn endlich klar war, dass die dunkle und kalte Jahreszeit zwar noch nicht vorbei ist, aber bald vorbei sein wird, konnte man auch einen Teil der angelegten Vorräte auftischen und nach der Zeit der Entbehrungen ordentlich feiern. So haben sich überall große Mittwinterfeste entwickelt, bei denen man die längste Nacht des Jahres mit vielen Lichtern erhellt und es sich in Freude auf den nächsten Frühling gut gehen lässt.
Die Wintersonnenwende findet immer am 21. oder 22. Dezember statt (das kommt darauf an, ob gerade ein Schaltjahr ist oder nicht). Und das ist zwar nahe an Weihnachten - aber eben nicht ganz exakt. Weihnachten feiern wir am 24.12 - oder am 25.12, je nach Kulturkreis. Trotzdem gehört die Wintersonnenwende hier dazu. Es ist zwar historisch nicht ganz klar, welche Feste welche Völker an welchen Tagen gefeiert haben oder nicht - ob etwa das germanische "Julfest" direkt zur Wintersonnenwende begangen wurde oder irgendwann später im Winter, weiß man nicht so genau. Aber es gab andere Feste zur Wintersonnenwende, zum Beispiel die Feierlichkeiten zu Ehren des römischen Gottes "Sol Invictus", einem Sonnengott, der natürlich gerade zur Wintersonnenwende besonders verehrt wurde.
Im Christentum feiert man Weihnachten erst seit dem 4. Jahrhundert. Eine komplette historische Abhandlung über die Entstehung von Weihnachten würde den Rahmen des Podcasts sprengen - aber auch wenn die Christen an Weihnachten die Geburt von Jesus feiern ist klar, dass es hier nicht um ein historisch belegtes Ereignis geht. Niemand weiß, an welchem Tag Jesus tatsächlich geboren wurde (man kann nicht mal mit Sicherheit sagen, ob er überhaupt geboren wurde). Erst als das Christentum nach ein paar Jahrhunderten zu einer relevanten Religion herangewachsen ist, machte man sich Gedanken darüber, wie und wann man das Fest zur Geburt von Jesus begehen soll. Und hat es dann klugerweise auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt. Wenn da sowieso schon so viele Feste anderer Religionen stattfinden, kann man die dann dadurch quasi boykottieren und die Menschen waren sowieso daran gewöhnt, dass an diesem Tag gefeiert wird; also können sie auch gleich die neue Religion feiern…
Man hat das Fest also auf den 25. Dezember gelegt und damals WAR das der Tag der Wintersonnenwende. Denn damals wurde noch der alte julianische Kalender verwendet; erst im 16. Jahrhundert gab es eine Kalenderreform mit der der Kalender eingeführt wurde, den wir auch heute benutzen. Dabei verschob sich alles um ein paar Tage, weswegen die Wintersonnenwende kalendarisch heute eben auf den 21. oder 22. Dezember fällt. Das christliche Weihnachtsfest blieb aber beim alten Datum.
Egal wie man Weihnachten feiert; mit oder ohne Religion; mit vielen Freunden oder nicht: Es ist ein Fest, dass die Menschen schon von Anfang an feiern. Wir feiern den Kreislauf der Jahreszeiten und damit auch die Bewegung der Himmelskörper. Und letztendlich feiern wir das, auf das man sich unabhängig von allen Unterschieden und Streitigkeiten immer einigen kann: Dass nach der langen Dunkelheit endlich wieder hellere Tage kommen werden.
Sternengeschichten Folge 473: Ulugh Beg, der Prinz der Sterne
Wir kennen Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Tycho Brahe. Wir kennen Ptolemäus, Galileo Galilei und Isaac Newton. Aber den Namen "Ulugh Beg" haben vermutlich die wenigsten gehört. Dabei war auch er ein großer Astronom und zu seiner Zeit einer der besten auf der Welt. Er wird oft als "Prinz der Sterne" bezeichnet, den Beg war nicht nur Astronom, sondern auch ein Prinz aus der Dynastie der Timuriden, die vom 14. Jahrhundert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts das Gebiet beherrschten, in dem heute Afghanistan, Iran und Usbekistan liegen. Begründer dieses Reiches ware Timur, der in Europa auch oft Tamerlan genannt wird. Timur war verwandt mit Dschinghis Khan, dem berühmten Mongolenherrscher und einer der Enkel von Timur war Mīrzā Muhammad Tāriq ibn Schāh-Ruch Ulugh-Beg, besser bekannt als "Ulugh Beg", was nichts anderes als "Großer Herrscher" bedeutet.
Geboren wurde Ulugh Beg am 22. März 1394 in der Stadt Soltaniye, im heutigen Nordirak. Sein Vater war Shah Ruch, der vierte Sohn von Timur, der sich nach dessen Tod zum Herrscher des Timuridenreiches aufgeschwungen hatte. Er verlegte die Hauptstadt nach Herat, im heutigen Afghanistan, wollte aber die ursprüngliche Hauptstadt Samarkand nicht aufgeben. Also setzte er seinen damals 16jährigen Sohn Ulugh Beg als Fürst und Statthalter von Samarkand ein. An der Beherrschung dieser Provinz von "Transoxianien" hatte Beg aber kein allzu großes Interesse. Schon als Kind hatte er die Überreste der Sternwarte von Nasīr ad-Dīn at-Tūsī besucht, einem bedeutenden Astronomen im 13. Jahrhundert, dessen Arbeit später unter anderem Nikolaus Kopernikus zur Entwicklung seiner eigenen Theorien über das Universum verwendete. Ulugh Beg jedenfalls begann sich für Astronomie zu interessieren und wurde in dieser Disziplin unter anderem von Qadi Zada unterrichtet, ein Mathematiker und Astronom.
Als Fürst von Samarkand begann Beg auch gleich damit, eine Madrasa zu errichten, also das, was wir heute vielleicht als höhere Lehranstalt oder Universität bezeichnen würden. Dort arbeiteten bis zu 70 Forscher und die "Ulugh-Beg-Madrasa" entwickelte sich schnell zu einer der bedeutensten Forschungseinrichtungen in Zentralasien. Neben dieser Universität begann Beg in den 1420er Jahren auch mit dem Bau einer eigenen Sternwarte. Zusammen mit der Madrasa machte das "Zidsch-e Gurkani", wie die Sternwarte genannt wurde, Samarkand zu einem regelrechten Forschungszentrum. Heute ist Samarkand eine Großstadt in Usbekistan, aber auch damals war es eine wichtige Stadt an der Hauptroute der Seidenstraße.
Eine Sternwarte sah damals aber natürlich ganz anders aus als heute, immerhin gab es im 15. Jahrhundert noch keine Teleskope. Und auch die Forschungsschwerpunkte lagen selbstverständlich ganz woanders als sie heute liegen. Die beobachtende Astronomie war vor allem damit beschäftigt, die Position der Sterne am Himmel so exakt wie nur möglich zu vermessen. Dazu konnte man, wie gesagt, keine Teleskope verwenden. Was aber nicht heißt, dass man keine wissenschaftlichen Instrumente hatte. Die hatte man, und Ulugh Beg hatte die besten, die es damals gab!
Seine Sternwarte hatte drei Stockwerke, war 30 Meter hoch und 46 Meter im Durchmesser. Darin befand sich ein Sextant. Solche Instrumente gibt es auch heute noch; man verwendet sie zur Navigation anhand der Sterne und macht damit genau das, was Ulugh Beg und seine Kollegen damals gemacht haben. Ich will jetzt nicht im Detail erklären, wie so ein Gerät funktioniert. Aber es läuft darauf hinaus, dass man damit Winkel messen kann. Stellen wir uns einen hellen Stern vor, der am Nachthimmel leuchtet. Wie hoch steht dieser Stern am Himmel? Mit "hoch" ist hier natürlich nicht der reale, physische Abstand zum Erdboden gemeint. Diese gigantischen Distanzen konnte man erst im 19. Jahrhundert messen. Bei der Arbeit von Ulugh Beg ging es darum, die Höhe über dem Horizont in Form eines Winkels zu messen. Würde der Stern genau am Horizont stehen, dann hätte er eine Höhe von 0 Grad. Wenn er direkt über dem eigenen Kopf steht, dann beträgt die Höhe 90 Grad. Und dazwischen eben einen entsprechend anderen Wert. Ein moderner Sextant ist ein kleines Gerät, das man in die Hand nehmen kann. Man kann einen Stern damit über ein kleines Fernrohr genau anvisieren und an einer entsprechenden Skala ablesen, wie hoch er steht.
Ulugh Beg musste damals anders arbeiten. Er musste die Sterne mit bloßem Auge betrachten und anvisieren. Sein Sextant war fix im Observatorium verbaut und unbeweglich. Er bestand aus eine großen steinernen Bogen mit einer Gradskala. Der Bogen war exakt ausgerichtet, entlang einer Linie die exakt von Nord nach Süd verläuft. Ich habe in Folge 340 schon ein wenig genauer über solche alten astronomischen Instrumente gesprochen und will das nicht alles wiederholen. Aber diese Nord-Süd-Linie, der Meridian, ist genau die Linie, an der ein Stern im Laufe einer Nacht seinen höchsten Punkt am Himmel erreicht. Wegen der Erdrehung scheinen sich die Sterne alle in Kreisbögen von Osten nach Westen zu bewegen. Dabei kreuzen sie den Meridian und sie tun das genau in dem Moment, in dem sie ihren höchsten Punkt erreicht haben. Ein Astronom wie Ulugh Beg musste also einen Stern die ganze Nacht über beobachten, über die Skala des eingemauerten Sextants anvisieren und dann, wenn er exakt über dem Sextant steht, an der Skala den Winkel seiner Höhe über dem Horizont ablesen.
Instrumente wie die Sextanten gab es schon seit langer Zeit. Aber keines war wie das von Ulugh Beg. Sein Sextant hatte einen Durchmesser von 36 Metern! Das war damals der größte Sextant der existierte und es wurde auch niemals ein größerer gebaut. Warum so groß? Ganz einfach: Je größer ein Kreis, desto feiner kann die Skala sein, die man darauf einzeichnen kann. Ein kompletter Kreis hat 360 Grad. Ein Sextant umfasst nur ein Sechstel eines Kreis, aber auch das sind immer noch 60 Grad und man muss daher schon einmal 60 Striche in einem gleichem Abstand voneinander darauf unterbringen, wenn man ihn gradgenau ablesen möchte. Ulugh Beg wollte aber noch viel genauer sein. Ein Grad wird in 60 Bogenminuten unterteilt und jede Bogenminute wiederum in 60 Bogensekunden. Will man also die Höhe mit der Genauigkeit von einer Bogensekunde ablesen, muss man 216.000 Striche für die Skala entlang des Sextanten eintragen. Ganz so exakt war das Instrument von Ulugh Beg nicht, aber konnte immerhin eine Genauigkeit bei seinen Messungen von einigen Bogensekunden erreichen. Zum Vergleich: Das entspricht der Größe, unter der ein 10-Cent-Stück erscheint, wenn man es aus einer Entfernung von 500 Metern betrachtet.
Dieser gewaltige Steinbogen war das beste astronomische Instrument seiner Zeit und gemeinsam mit seinem Lehrer Qadi Zada und anderen Astronomen hat Ulugh Beg damit die Position von knapp 1000 Sternen bestimmt. Die Ergebnisse wurden 1437 im Zīdsch-i Sultānī veröffentlicht, einem Werk, das nicht nur diesen Sternkatalog enthalten hat, sondern auch diverse astronomische Ergebnisse und Berechnungen die dank der genauen Vermessung der Sternpositionen möglich waren. Sie konnten zum Beispiel berechnen, wie lang ein Jahr dauert. Nämlich 365 Tage, 6 Stunden, 10 Minuten und 8 Sekunden. Der exakte Wert den wir heute kennen ist um nur knapp 58 Sekunden kürzer. Ebenfalls aus den Beobachtungsdaten berechnet werden konnte die Neigung der Erdachse. Die steht ja nicht senkrecht auf die Ebene, in der sie sich um die Sonne bewegt, sondern ist geneigt. Laut Ulugh Beg um 23 Grad, 30 Bogenminuten und 17 Bogensekunden aus der Vertikalrichtung. Ein Unterschied von 32 Bogensekunden zum modernen Wert. Neben solchen fundamentalen Eigenschaften der Bewegung unseres Planeten haben die Astronomen an der Sternwarte in Samarkand auch die Positionen von Sonne und den Planeten berechnet und aufgelistet. An der Madrasa fand derweil natürlich auch wissenschaftliche Arbeit statt, vor allem in der Mathematik.
Auch hier lief die Arbeit anders als heute, wo wir einfach mit Taschenrechner und Computer rechnen können. Damals musste man per Hand rechnen und das war mühsam, zum Beispiel wenn man mit Winkelfunktionen wie Sinus oder Cosinus arbeiten musste - was man auf jeden Fall muss, wenn man astronomische Berechnungen anstellen will. Wenn wir heute wissen wollen, was zum Beispiel der Sinus von 30 Grad ist, dann tippen wir das in den Taschenrechner. Damals musste man das Ergebnis durch langwierige Rechnungen näherungsweise bestimmen. Um das nicht immer wieder aufs Neue tun zu müssen, gab es Tabellen mit den schon vorab berechneten Ergebnissen für diverse oft gebrauchte Winkel. An der Madrasa in Samarkand wurden diese Tabellen extrem genau berechnet, für alle Winkel mit einer Schrittweite von einem Grad, für alle Winkelfunktionen und mit einer Genauigkeit von acht Nachkommastellen. Die Zahl Pi konnte dort auf 16 Nachkommastellen genau berechnet werden, was erst Ende des 16. Jahrhunderts durch die 35 Nachkommastellen übertroffen wurde, für die der deutsche Mathematiker Ludolph van Ceulen 30 Jahre Rechenarbeit brauchte.
Kurz gesagt: Ulugh Beg hat in Samarkand ein großes mathematisches und astronomisches Forschungszentrum errichtet und seine Ergebnisse gehörten zum Besten, was zur damaligen Zeit zu haben war. Sein Sternkatalog war der umfangreichste und genaueste den es gab, besser als der antike "Almagest" von Claudius Ptolemäus und die diversen daraus abgeleiteten Arbeiten. Warum ist er also nicht so bekannt, wie es seine Arbeit rechtfertigen würde? Der Zīdsch-i Sultānī war schon kurz nach seiner Veröffentlichung in Abschriften in der einen oder anderen europäischen Bibliothek zu finden, wurde aber eher ignoriert. Der Wissenstransfer von der muslimschen Welt nach Europa, der im Mittelalter regelmäßig stattfand, war mittlerweile ins Stocken geraten. Erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Arbeit von Ulugh Beg dort unter den Gelehrten so richtig bekannt geworden. Da aber gab es schon die Sternkataloge von Tycho Brahe. Die wurden zwar erst mehr als 100 Jahre nach Ulugh Begs Werken veröffentlicht, waren aber besser als seine Arbeiten. Als Ulugh Beg im Westen bekannt wurde, waren seine astronomischen Forschungsergebnisse also schon ein paar Jahrzehnte lang von neueren Daten übertroffen worden und deswegen interessierte man sich nicht mehr groß für ihn. Sein Observatorium hat aber den Osten beeinflusst und zur Errichtung ähnlicher Sternwarten in Indien geführt.
Ulugh Beg konnte seine wissenschaftliche Arbeit auch nicht so lange und ausführlich fortführen, wie er gern wollte. Er war ja immer noch Herrscher in Samarkand und musste in dieser Funktion auch Regierungsaufgaben wahrnehmen, den einen oder anderen Kriegszug anleiten, und so weiter. 1447 starb Schah Ruch, sein Vater und ein Nachfolgestreit setzte ein. Ulugh Beg fand sich auf der Verlierseite wieder, die religiösen Führer konnten ihn sowieso schon länger nicht leiden, weil er sich mehr um die Wissenschaft als um den Glauben kümmerte und sogar sein ältester Sohn, Abdal-Latif Mirza, stellte sich gegen ihn. Ulugh Beg wurde von ihm gefangen genommen und hatte die Wahl zwischen Tod oder Exil und einer Pilgerreise nach Mekka. Ulugh Beg wählte letzteres und war wahrscheinlich gar nicht so unglücklich, sich nicht mehr ums Regieren kümmern zu müssen. Aber kaum hatte er Samarkand verlassen, wurde er im Auftrag seines Sohnes ermordet. Ulugh Beg starb am 27. Oktober 1449. Er wurde im Gur-Emir-Mausoleum bestattet; dort, wo auch sein Großvater Timur lag.
Samarkand steht noch und auch die Madrasa kann heute dort noch - wenn auch stark restauriert - besucht werden. Die Sternwarte hat die Zeit nicht überstanden; zumindest der oberirdische Teil. Die unter der Erde gelegenen Bereiche aber wurden 1908 von Archäologen entdeckt, ausgegraben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deswegen kann man auch heute noch einen Teil des gigantischen Sextanten besichtigen, mit dem Ulugh Beg gearbeitet hat.
Ulugh Beg wird folgendes Zitat zugeschrieben: "Die Religionen zerstreuen sich wie Nebel, die großen Reiche zerstören sich von selbst, aber die Arbeiten des Gelehrten bleiben für alle Zeiten. Das Streben nach Wissen ist die Pflicht eines jeden". Ob er das wirklich so gesagt hat, ist nicht sicher. Es ist aber auf jeden Fall ein schönes Schlusswort für seine Geschichte.
Sternengeschichten Folge 472: Somnium - Johannes Keplers Traum vom Mond
"Da geschah es eines Nachts, dass ich, nach der Betrachtung der Sterne und des Mondes für Höheres empfänglich geworden, auf meinem Bette einschlief". Der, der da eingeschlafen ist, war Johannes Kepler. Und was er während des Schlafes erlebt hat, kann man in seinem Buch "Somnium" nachlesen. Somnium oder "Der Traum vom Mond" ist ein sonderbares Buch. Kepler begann im Jahr 1609 damit es zu schreiben, schrieb bis zu seinem Tod immer weiter daran und es erschien erst 1634, vier Jahre nach seinem Tod. Man findet darin Wissenschaft, Astronomie aber auch Inhalte, die man eigentlich nur der Science-Fiction zuordnen kann. Und tatsächlich wird "Somnium" von vielen - unter anderem von Isaac Asimov - als eines der allerersten Science-Fiction-Bücher bezeichnet.
Die Geschichte beginnt damit, das Kepler davon berichtet, ein Buch über Libuše gelesen zu haben, eine mythologische Figur, die Magierin, Wahrsagerin und Stammmutter des böhmischen Herrschergeschlechts gewesen sein soll. Dabei schlief er ein und im Traum liest Kepler auf einmal ein anderes Buch, das von Duracoto handelt, einem jungen Isländer. Dessen Mutter Fiolxhilde war eine Art Hexe, macht mit ihrem Sohn Ausflüge zum Vulkan Hekla und verkauft Kräuter und Zaubersprüche. Als Duracoto ein Kräutersäckchen seiner Mutter ruiniert, ist diese so böse, dass sie ihn an einen Seemann verkauft, der ihn wiederum auf der Insel Hven aussetzt. Dort lebt - wie wir ja schon in Folge 167 der Sternengeschichten erfahren haben - der große Astronom Tycho Brahe. Er unterricht Duracoto in Astronomie und erst fünf Jahre später ergibt sich die Gelegenheit für eine Rückkehr nach Island. Dort freut sich die Mutter über das Wiedersehen, will alles über die Reisen ihres Sohnes und die Himmelskörper wissen und vertraut ihm eine Geheimnis an. Sie kann Dämonen beschwören und diese Dämonen sind in der Lage, einen Menschen an jeden beliebigen Ort der Erde und darüber hinaus zu transportieren. Dazu zählt auch der Mond und weil Duracoto jetzt selbst Experte für Astronomie und den Mond ist, möchte sie das Wissen der Dämonen gerne mit ihm teilen. Also wird der entsprechende Dämon beschworen, der Mutter und Sohn über "Levania" unterrichtet. Das ist der Name des Mondes in der Sprache der Dämonen und zuerst wird erklärt, wer überhaupt dorthin reisen kann.
Das können nämlich nicht alle; immerhin muss die entsprechende Person ja von den Dämonen dorthin getragen werden. Der Dämon erklärt: "Keinen von sitzender Lebensart, keinen Wohlbeleibten, keinen Wollüstling nehmen wir zu Begleitern, sondern wir wählen solche, die ihr Leben im eifrigen Gebrauch der Jagdpferde verbringen oder die häufig zu Schiff Indien besuchen und gewohnt sind, ihren Unterhalt mit Zwieback, Knoblauch, gedörrten Fischen und anderen von Schlemmern verabscheuten Speisen zu fristen. Besonders geeignet für uns sind ausgemergelte alte Weiber, die sich von jeher darauf verstanden, nächtlicherweile auf Böcken, Gabeln und schäbigen Mänteln reitend, unendliche Räume auf der Erde zu durcheilen. Aus Deutschland sind keine Männer geeignet, aber die dürren Leiber der Spanier weisen wir nicht zurück."
Nun. Auch heute noch müssen Astronautinnen und Astronauten auf ihr Gewicht achten, wenn sie ins All wollen. Je mehr Masse in den Weltraum transportiert werden soll, desto größer ist der Aufwand. Das hat Kepler also richtig erkannt; Deutsche waren aber mittlerweile schon ein paar Mal im All…
Der Dämon erzählt weiter: Vier Stunden dauert die Reise zum Mond und es ist kein einfacher Weg! Vor allem der Anfang, wo die Person von den Dämomen mit enormer Kraft Richtung Himmel geschleudert wird: "Diese Anfangsbewegung ist für ihn die schlimmste, denn er wird gerade so emporgeschleudert, als wenn er durch die Kraft des Pulvers gesprengt über Berge und Meere dahin flöge. Deshalb muss er zuvor durch Opiate betäubt und seine Glieder sorgfältig verwahrt werden, damit sie ihm nicht vom Leibe gerissen, vielmehr die Gewalt des Rückschlages in den einzelnen Körpertheilen vertheilt bleibt."
Natürlich hatte Kepler nicht die geringste Ahnung von Raketen und moderner Raumfahrt. Aber Menschen werden heute tatsächlich durch "die Kraft des Pulvers" ins All getrieben, zumindest im übertragenen Sinn, weil nicht immer Festbrennstoffe in der Raketen verwendet werden, sondern auch flüssiger Treibstoff. Betäubt werden müssen die Astronautinnen und Astronauten dabei nicht, ihre Glieder müssen aber immer noch "sorgfältig verwahrt" werden und die "Gewalt des Rückschlags" muss durch entsprechend angepasste Sitzgelegenheiten verteilt werden.
Kepler beziehungsweise der Dämon wusste auch um die Lebensfeindlichkeit des Alls: "Sodann treffen ihn neue Schwierigkeiten: ungeheure Kälte sowie Athemnoth; gegen jene schützt uns unsere angeborene Kraft, gegen diese ein vor Nase und Mund gehaltener feuchter Schwamm."
Aber ist man einmal im All, dann wird die Reise leichter, "dann geben wir unsere Begleiter frei und überlassen sie sich selbst", wie der Dämon erklärt. Erst bei der Annäherung an den Mond müssen sie wieder eingreifen: "Infolge der bei Annäherung an unser Ziel stets zunehmenden Anziehung würden sie durch zu hartem Anprall an den Mond Schaden leiden, deshalb eilen wir voran und behüten sie vor dieser Gefahr."
Modern interpretiert: Einmal im Weltall angekommen braucht es keine Beschleunigung durch einen Antrieb mehr, dann fliegt man von selbst. Und man muss aktiv abbremsen, wenn man sich dem Mond nähert, ansonsten besteht die Gefahr eine Kollision.
Wie gesagt: Man muss aufpassen, nicht zu viel von unserem modernen Wissen in den alten Text hinein zu lesen. Kepler hatte keine Ahnung von Raketen; hat auch die Raumfahrt nicht "vorhergesehen". Aber als Wissenschaftler hatte er Ahnung von den grundlegenden Phänomen der Physik und der Mechanik und konnte entsprechend spekulieren. Raumfahrt im modernen Sinn hatte er sicher nicht im Kopf, als er seine Geschichte schrieb; eher die antiken Vorbilder, zum Beispiel die fast 2000 Jahre alte Geschichte von Lukian von Samosata, der beschreibt wie Menschen von Vögeln gezogen zum Mond reisen.
Die Reise macht aber sowieso nur einen kleinen Teil von Keplers Traumgeschichte aus. Der Hauptteil beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Mondes und da wusste der Astronom sehr gut Bescheid. Er beschreibt im Detail, wie der Anblick des Himmels vom Mond aus aussehen würde. Die Sterne wären die gleichen, aber natürlich steht "Volva" am Himmel, wie die Erde im Somnium genannt wird. Und der Mond teilt sich in eine "subvolvane" und eine "privolvane" Hälfte. Auch das wusste Kepler: Wenn man von der Erde aus immer nur eine Hälfte des Mondes sehen kann, dann muss es auch auf dem Mond eine Hälfte geben, auf der die Erde ständig zu sehen ist und eine, auf der man sie nie sehen kann. Kepler - beziehungsweise der Dämon - beschreibt nun wie sich die Sterne scheinbar über den Himmel bewegen, wie oft die Sonne auf und untergeht, gibt Umlauf- und Rotationszeiten an, und so weiter. Man erfährt etwas über den Tag- und Nachtzyklus auf dem Mond, wobei "Tag" und "Nacht" hier jeweils gut zwei Wochen dauern. Auf der privolvanen Hälfte ist es stockfinster in der Nacht, auf der subvolvanen Hälfte kann man aber die Volva, also die Erde, hell am Himmel stehen sehen. Kepler erläutert, dass die Erde am Mondhimmel viel größer aussieht als der Mond am Himmel der Erde und stellt auch korrekt fest, dass die Position der Erde am Mondhimmel sich nicht ändert: "Für die Mondbewohner steht die Volva fest, wie mit einem Nagel an den Himmel geheftet, unbeweglich am selben Ort", erklärt der Dämon. Genau so ist es, denn der Mond zeigt der Erde immer die gleiche Seite. Was es aber gibt sind Erdphasen und Kepler erklärt genau, wie und wann man "Neuvolva" oder "Vollvolva" beobachten kann (und wer mehr dazu wissen will, kann sich Folge 331 noch einmal anhören).
Es folgen Beschreibungen des Anblicks von Sonnenfinsternissen und "Erdfinsternissen", vom Mond aus gesehen und jede Menge weitere astronomische Details. Auf den letzten Seiten des Buchs widmet sich Kepler dann den Lebewesen auf dem Mond. Dort gibt es keine Städte wie auf der Erde, die Mondlebewesen ziehen ständig umher, um dem Wasser zu folgen beziehunsgweise verstecken sich in Höhlen vor der sengenden Sonne oder der eiskalten Nacht. Denn auch das stellt Kepler korrekt fest: Während der tagelangen Nacht wird es auf dem Mond richtig kalt; wenn dagegen die Sonne tagelang auf die Oberfläche brennt, wird es enorm heiß. Deswegen ist das Fell der Mondtiere oder die Rinde von Mondbäumen auch extrem dick. Sollten sie es nicht schaffen, sich vor der Sonne zu schützen, dann wirkt die dicke Außenschicht wie ein Hitzeschild, das im Laufe des langen Mondtages langsam verbrennt und abfällt und in der kühleren Mondnacht wieder nachwächst. Leben ist nur möglich, so Kepler, weil immer wieder jede Menge Wolken vor der Hitze schützen, aus denen es immer wieder regnet.
Der Regen der realen Welt, der gegen das Fenster prasselt, weckt Kepler schließlich aus seinem Schlaf und von der Erzählung des Dämons und der "Somnium" ist zu Ende.
Wie gesagt: Es ist ein seltsames Buch. Man erkennt darin jede Menge Elemente aus Keplers eigenem Leben. Auch er hat bei Tycho Brahe auf der Insel Hven Astronomie studiert. Auch Keplers Mutter wurde beschuldigt, eine "Hexe" zu sein, so wie Fiolxhilde aus dem Traum. Keplers detaillierte Beschreibung der Beobachtung astronomischer Phänomene vom Mond aus hat dem Stand des damaligen Wissens entsprochen. Und aus der Sicht seiner Zeit dürfte es durchaus eine sehr originelle wissenschaftliche Übung gewesen sein, sich zu überlegen, wie denn der Anblick von Sonne, Sternenhimmel und Erde aussieht, wenn man sich gerade auf dem Mond befindet. Vor allem dürfte Kepler sich diese Gedanken gemacht und sie veröffentlicht sehen wollen, um das damals immer noch umstrittene kopernikanische Weltbild zu unterstützen. Denn von der Erde aus sehen wir ja ziemlich deutlich, wie sich der Mond um uns herum bewegt. Stünden wir aber auf dem Mond, käme uns der Mond als unbewegt vor und wir würden sehen, wie sich die anderen Himmelskörper um uns herum bewegen; genau so wie Kepler es im Somnium mit wissenschaftlichen Details beschreibt.
Als rein wissenschaftliches Werk dürfte Kepler sein Buch aber dennoch nicht gesehen haben. Auch er hat vermutlich vom All geträumt, so wie die Menschen vor und nach ihm. "Gib mir Schiffe oder richtige Segel für die Himmelsluftfahrt her und es werden auch Menschen da sein, die sich vor den entsetzlichen Weiten nicht fürchten", schreibt er 1610 an Galileo Galilei und seinem Freund Matthias Bernegger schreibt er scherzhaft: "Verjagt man uns von der Erde, so wird mein Buch als Führer den Auswanderern und Pilgern zum Monde nützlich sein". Keplers Gedanken dürften also durchaus auch um die Reise ins All und zum Mond gekreist haben. Und warum nicht darüber nachdenken, wie es dort ist, und wer oder was dort leben könnte? Wie ich in Folge 333 schon ausführlicher erklärt habe, war es lange Zeit absolut normal davon auszugehen, dass auch die restlichen Planeten und Himmelskörper des Sonnensystems selbstverständlich bewohnt sind. Kepler war aber auch hier origineller und in gewissen Sinne visionärer als alle anderen. Die meisten Philosophen und Forscher haben sich die Bewohner von Mond oder Mars so wie die Menschen vorgestellt, nur halt ein bisschen anders. Kepler aber hat anscheinend schon lange vor den Erkenntnissen eines Charles Darwin daran gedacht, dass es immer auch auf die Umweltbedingungen ankommt, wie Leben funktioniert. Und sich seine Mondgeschöpfe entsprechend vorgestellt.
Man kann gerne darüber streiten, ob "Somnium" das erste Science-Fiction-Buch war oder nicht. Ob nicht schon diverse Werke des Mittelalters oder der Antike auch als Science-Fiction gelten sollten beziehungsweise ob erst die Bücher und Romane der Neuzeit als echte Science-Fiction gelten dürfen. Was aber sehr deutlich wird ist: Auch Johannes Kepler war nicht nur Astronom, sondern auch - im wahrsten Sinne des Worstes - ein Träumer. Sein "Traum vom Mond" erzählt genau die Geschichte, die auch heute noch von den Autorinnen und Autoren der Science Fiction erzählt wird. Es geht darum, was wir wissen und das, was wir nicht wissen, aber vielleicht sein könnte. Es geht um Welten, die wir erforschen wollen, aber nicht können. Und deswegen in unserer Fantasie auf Warp-Antrieb oder Wurmlöcher zurück greifen müssen. Oder eben auf isländische Dämonen. Aber der Traum, den Kepler vor mehr als 400 Jahren geträumt hat, wird heute immer noch geträumt.
Sternengeschichten Folge 471: Primordiale Schwarze Löcher
Schwarze Löcher waren schon sehr oft Thema in den Sternengeschichten; das erste Mal und ausführlich in Folge 40 und seitdem immer wieder. Es sind ja auch äußerst faszinierende Objekte und darüber hinaus auch noch enorm wichtig, wenn man verstehen will, was da draußen im Universum passiert. Schwarze Löcher bilden die Zentren der großen Galaxien und bestimmen mit ihren Eigenschaften wie sich solche Galaxien bilden, verhalten und entwickeln. Schwarze Löcher sind das Endstadium in der Entwicklung großer Sterne; sie können die Entstehung von Sternen beschleunigen oder verhindern. Ursprünglich hat man schwarze Löcher für eine mathematische Kuriosität der allgemeinen Relativitätstheorie gehalten; etwas, was dort in den Formeln auftaucht, im echten Universum aber nicht existieren kann. Dann hat sich aber gezeigt, dass die Dinger durchaus sehr real sind; wir haben sie überall im Universum gefunden und mittlerweile ausführlich beobachtet und studiert. Aber natürlich sind wir noch weit davon entfernt, komplett zu verstehen, was es mit den schwarzen Löchern auf sich hat und wie sie funktionieren. Das zeigt sich besonders gut bei einer ganz speziellen Art von schwarzem Loch, um die es in der heutigen Folge gehen soll: Die primordialen schwarzen Löcher.
Werfen wir vorher zur Wiederholung noch einen ganz kurzen Blick auf die "normalen" schwarzen Löcher. Da unterscheidet man im Wesentlichen zwei Arten. Es gibt die "stellaren" schwarzen Löcher, die - wie der Name schon sagt - aus Sternen entstehen. Wenn ein sehr großer Stern am Ende seines Lebens die Kernfusion in seinem Inneren mangels Brennstoff einstellt, dann kollabiert die gesamte gewaltige Masse unter ihrem eigenen Gewicht. Der Stern wird immer kleiner und kleiner, die Masse bleibt aber im Wesentlichen gleich und daraus folgt: Das ganze Ding wird immer dichter. Immer mehr Masse ist auf immer weniger Raum zusammengepresst und genau das ist es, was man braucht um ein schwarzes Loch zu kriegen. Je näher man einer Masse kommt, desto stärker spürt man die Gravitationskraft, die von ihr ausgeübt wird. Und wenn diese Masse sehr stark komprimiert ist, dann kann man ihr eben auch sehr, sehr nahe kommen. Und kommt man ihr nahe genug, wird die Anziehungskraft so groß, dass man schneller als die Lichtgeschwindigkeit sein müsste, um ihr wieder zu entkommen. Was nicht geht, weswegen man in diesem Moment ein schwarzes Loch hat, dem nichts - auch kein Licht - mehr entkommen kann.
Das alles ist nicht neu; das habe ich in den Sternengeschichten schon oft erzählt und auch die Wissenschaft weiß schon lange darüber Bescheid. Schwarze Löcher die aus dem Kollaps eines großen Sterns entstehen haben wir schon draußen im Weltall beobachtet, ebenso wie die zweite Art, die "supermassereichen schwarzen Löcher". Das sind die enormen Dinger, die im Zentrum von Galaxien sitzen. Die können die millionen- bis billionenfache Masse eines Sterns haben und wir wissen noch nicht so genau, wie sie entstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass auch sie direkt aus dem Kollaps eines Objekts entstanden sind - denn was für ein gewaltiges Objekt sollte das denn sein? Vermutlich sind sie durch die Verschmelzung vieler kleinerer schwarzer Löcher entstanden, aber wie genau das abgelaufen sein könnte, wissen wir noch nicht.
Klar ist aber auf jeden Fall: Die "normalen" schwarzen Löcher entstehen aus Sternen und können deswegen auch nur Massen haben, die ungefähr der Masse von großen Sternen entsprechen. Die "primoridialen" schwarzen Löcher um die es heute gehen soll, sind dagegen ganz anders. Beziehungsweise: Sie könnten ganz anders sein, denn wir wissen noch nicht, ob es sie gibt. Aber tun wir einfach mal so als gäbe es sie. Dann bräuchte man keinen Stern, damit sie sich bilden. Und sie wären auch sehr viel leichter als die schwarzen Löcher, die wir bis jetzt kennen.
Fangen wir am Anfang an und in diesem Fall ist damit wirklich der ultimative Anfang gemeint. Wir müssen zurück bis zum Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren. Unmittelbar danach war das Universum voll mit Energie und Materie. Irgendwelche Strukturen oder Himmelskörper gab es noch nicht. Es gab nur hochenergetische Lichtteilchen und eine Suppe aus Elementarteilchen die im winzigen, neugeborenen Universum absolut gleichmäßig verteilt waren. Oder genauer gesagt: NICHT exakt gleichmäßig verteilt waren. Es gab minimalste Schwankungen in der Dichte des Materials. An manchen Orten war ein bisschen mehr Materie, an manchen ein bisschen weniger. Die Ursache für diese Dichteunterschiede liegt in der quantenmechanischen Unschärfe; man kann ja nie exakt sagen wo ein Teilchen sich befindet und gleichzeitig auch seine Bewegung exakt kennen und in der Realität ist die Sache natürlich viel komplizierter, aber weil die Quantenmechanik eben diese fundamentalen Unschärfen und Schwankungen quasi eingebaut hat und weil das junge Universum im Wesentlichen ein quantenmechanisches Objekt war - also winzig und voller Elementarteilchen - finden wir solche Schwankungen auch dort.
Was heißt das jetzt? Das heißt, dass es im frühen Universum Regionen im Raum gegeben haben kann, in der durch diese zufällig auftretenden Dichteschwankungen ausreichend viel Materie auf ausreichend kleinem Raum zusammengedrückt wurde, so dass ein schwarzes Loch entsteht. Das mag komisch erscheinen, weil man sich schwarze Löcher ja oft als "Materiemonster" vorstellt, mit gewaltigen Massen. Aber genaugenommen spielt es keine Rolle, welche Masse ein schwarzes Loch hat. Es kommt nur darauf an, wie stark man diese Masse komprimiert; es kommt auf die DICHTE an, wie ich zu Beginn ja erklärt habe. Man könnte auch eine Bowlingkugel nehmen, die nur ein paar Kilogramm wiegt und sie soweit zusammenquetschen, bis daraus ein schwarzes Loch entsteht. Man müsste in dem Fall eben sehr weit quetschen: Aus einer Bowlingkugel mit einer Masse von etwa 3 Kilogramm würde erst dann ein schwarzes Loch, wenn diese Masse in eine Kugel mit einem Radius von einem Quadrilliarstel Meter gequetscht würde. Das ist enorm wenig, das ist 100 Millionen mal kleiner als der Durchmesser eines Elektrons!
Aber rein theoretisch spricht nichts dagegen, dass im frühen Universum entsprechende Dichteschwankungen kleine Massen auf sehr kleinem Raum komprimiert und so winzige schwarze Löcher erzeugt haben. Und das "winzig" bezieht sich hier sowohl auf die Masse, als auch auf den Ereignishorizont, also den Radius der Kugel, auf die diese Masse komprimiert werden muss, damit man ein schwarzes Loch bekommt. Jetzt könnte man sich fragen, wo hier das Problem ist. Wenn die Theorie behauptet, dass es solche kleinen schwarzen Löcher gibt, dann muss man halt schauen, ob sie da sind. Wir sind ja heute in der Lage, winzigste Elementarteilchen nachzuweisen, da sollte das mit den schwarzen Löcher ja auch möglich sein.
Im Prinzip ja. Aber so einfach ist die Sache dann eben doch nicht. Da gibt es vor allem einmal die Hawking-Strahlung. Dieses Phänomen ist enorm komplex, wie ich in Folge 238 ausführlich erklärt habe. Aber es läuft darauf hinaus, dass auch ein schwarzes Loch nicht ewig existiert. Es löst sich im Laufe der Zeit auf und diese Zeit ist bei den normalen schwarzen Löchern absurd lange. So absurd lange, dass man mit den entsprechenden Zahlen kaum etwas anfangen kann; die Lebensdauer eines normalen schwarzen Lochs geht unvorstellbar weit über die bisherige Lebensdauer des gesamten Universums hinaus. Aber die Stärke der Hawking-Strahlung und damit die Lebendsdauer eines schwarzen Lochs hängt direkt mit der Masse zusammen. Je weniger Masse, desto kürzer lebt auch ein schwarzes Loch. Das Bowlingkugel-Loch von vorhin wäre mit seiner winzige Masse von 3 Kilogramm quasi sofort nach seiner Entstehung schon wieder zerstrahlt und verschwunden. Man muss sich also zuerst einmal überlegen, wie lange die hypothetischen primordialen schwarzen Löcher überhaupt überleben können.
Und das hängt davon ab, wann sie entstanden sind. Je früher, also je kürzer nach dem Urknall sich ein primordiales schwarzes Loch bildet, desto geringer seine Masse. Wir reden hier jetzt von Zeiträumen, die alle sehr, sehr viel kürzer als eine Sekunde sind! In diesen allerersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall sind aber im Universum jede Menge Dinge passiert, wie ich in Folge 99 ausführlicher erklärt habe. Vor allem gab es da - vermutlich - die sogenannte Inflationsphase. Da hat sich das Universum in einer unvorstellbar kurzen Zeit unvorstellbar stark ausgedehnt. Die Details der Inflation spare ich mir jetzt - vor der Inflationsphase jedenfalls hätten etwaige primordiale schwarze Löcher so winzige Massen gehabt, dass sie quasi unmittelbar danach noch schon wieder verschwunden wären. Nach der Inflationsphase - und wer es genau wissen will: Wir reden hier über einen Zeitraum der 10 hoch minus 32 Sekunden nach dem Urknall stattgefunden hat - könnten die primordialen schwarzen Löcher allerdings schon Massen von circa einer Milliarde Tonnen gehabt haben. Das ist so viel, wie ein typischer Berg hier auf der Erde hat. So ein Loch hätte einen Durchmesser der im Bereich der Elementarteilchen liegt und eine Lebensdauer von etwas über einer Milliarde Jahren. Heute wären sie also ebenfalls schon längst verschwunden. Aber man darf nicht vergessen, dass wir in der Astronomie immer auch in die Vergangenheit schauen können. Und eine Milliarde Jahre nach dem Urknall: Das liegt innerhalb dessen, was wir prinzipiell beobachten können. Die kosmische Hintergrundstrahlung zum Beispiel stammt aus einer Epoche, die nur 400.000 Jahre nach dem Urknall stattgefunden hat. Und die können wir wunderbar beobachten. Schwarze Löcher, die ein bisschen weniger Masse haben als die Milliarde Tonnen von vorhin und die entsprechend früher zerstrahlt sind, könnten in der Hintergrundstrahlung Spuren hinterlassen haben. So ein Loch verdampft ja explosiv und auch wenn es klein ist, kann es - sehr vereinfacht gesagt - seine Umgebung dadurch so beeinflussen, dass wir heute noch entsprechende Muster in der Verteilung der Hintergrundstrahlung beobachten können sollten. Und schwarze Löcher die ein bisschen später entstanden sind und ein bisschen mehr Masse haben als eine Milliarde Tonnen, könnten ihr Leben ein wenig später beenden. Das könnten wir dann ganz konkret beobachten, als Explosion am Himmel, so wie wir ja auch immer wieder Sterne explodieren sehen können. Tatsächlich sollte ein verdampfendes primordiales schwarzes Loch in etwa so aussehen wie ein Gammablitz, also die Explosionen die entstehen, wenn ein sehr großer Stern bei einer gewaltigen Supernova sein Leben beendet. Man hat in der Astronomie auch schon diskutiert, ob manche der Gammablitze die wir bisher beobachtet haben, genau auf solche primordialen schwarzen Löcher zurück gehen - eindeutig nachweisen hat man es bis jetzt aber noch nicht können.
Warum machen wir uns so viele Gedanken über etwas, was es vielleicht gar nicht gibt? Weil man mit primordialen schwarzen Löchern sehr viel erklären könnte! Wir wissen immer noch nicht genau, wie sich die ersten Strukturen im jungen Universum gebildet haben. Also die ersten Sterne, die ersten Galaxien, und so weiter. Wenn schon unmittelbar nach dem Urknall jede Menge vergleichsweise schwere primordiale schwarze Löcher da waren, dann könnten die als Ausgangspunkt für die Entstehung von Sternen gewirkt haben; könnten Masse an und um sich gezogen haben, aus denen sich dann erste Himmelsobjekte gebildet haben. Sie könnten miteinander verschmolzen sein und so die supermassereichen schwarzen Löcher gebildet haben, die dann wiederum das ganze Gas um sich geschart hätten, aus denen dann all die Sterne einer Galaxie entstanden sind. Primoridiale schwarze Löcher - sofern es sie gibt und sofern es sie heute noch gibt - könnten einen relevanten Teil der dunklen Materie stellen, deren wahre Natur wir ja immer noch nicht kennen. Und natürlich würde der Nachweis primordialer schwarze Löcher auch unser Wissen über das, was unmittelbar nach dem Urknall passiert ist bestätigen und erweitern.
Es muss sich übrigens niemand davor fürchten, dass da vielleicht jede Menge winzige schwarze Löcher durchs Universum fliegen. Denn erstens können die nicht überall sein; wenn sie WIRKLICH häufig wären, hätten wir schon längst davon gemerkt, weil wir dann ständig merken und sehen würden, wie sie mit Sternen kollidieren, und so weiter. Beziehungsweise hätte sich all die Sterne und Planeten in ihrer heutigen Form gar nicht erst gebildet. Und zweitens sind die schwarzen Löcher klein! Wenn der Ereignishorizont nur so groß ist wie ein Elementarteilchen, dann heißt das auch, dass man so einem Ding so nahe kommen muss, wie es nur zwei Elementarteilchen tun, damit einem was passiert. Man kann von einem primordialen schwarzen Loch nicht so einfach "verschluckt" werden; dazu ist es zu klein. Klar, seine Masse beträgt immer noch ein paar Milliarden Tonnen und wenn so ein Ding mit der Erde kollidiert würde man das definitiv merken. Aber wie gesagt: Wenn das häufig vorkommt, dann hätten wir das auch schon gemerkt.
Primordiale schwarze Löcher sind höchst faszinierend und wenn wir ihre Existenz nachweisen können, dann wäre das großartig für die Wissenschaft. Angst haben müssen wir vor ihnen aber definitiv nicht.
Sternengeschichten Folge 470: MACHOs und RAMBOs
Der Titel der heutigen Folge ist ein wenig missverständlich. Normalerweise stellt man sich unter MACHOs und RAMBOs etwas anderes vor als das, um das es gleich gehen wird und man stellt sich vermutlich nichts vor, was mit Astronomie zu tun. Wenn ich gleich von MACHOs und RAMBOs erzähle, dann wird es aber nicht um übertrieben männliche Männer gehen und auch nicht um Action-Helden. Sondern um dunkle Materie - und den seltsamen Hang der Naturwissenschaft zu leicht lächerlichen und sehr konstruierten Akronymen.
Über dunkle Materie habe ich im Podcast ja schon oft gesprochen und alles in Folge 25 ausführlich vorgestellt. Das Konzept ist alt; in den 1930er Jahren hat der Astronom Fritz Zwicky festgestellt, dass sich Galaxien in einem Galaxienhaufen schneller bewegen, als sie es tun sollten. Wie schnell sich ein Himmelskörper bewegen muss, kann man leicht berechnen, wenn man weiß, welche Gravitationskraft er spürt. Zwicky hat damals alle Galaxien eines Haufens beobachtet und aus ihrer Helligkeit auf ihre jeweiligen Massen geschlossen. Daraus kann man direkt berechnen, welche Gravitationskraft sie auf ihre Umgebung ausüben - und welche Gravitationskraft sie von den anderen Galaxien in ihrer Umgebung spüren. Und weil die Geschwindigkeit von der Gravitationskraft abhängt, kann man leicht eine maximal mögliche Geschwindigkeit berechnen. Das ist ein wenig so wie bei der "Kosmischen Geschwindigkeit", von der ich in Folge 151 erzählt habe. Will man mit einer Rakete dauerhaft aus dem Anziehungsbereich der Erde entkommen, muss man eine gewisse Geschwindigkeit erreichen. Ansonsten wird einen die Gravitationskraft der Erde wieder zurück auf den Boden fallen lassen. WIE schnell man genau sein muss, hängt von der Masse der Erde ab. Wäre sie schwerer als sie es ist, müsste man schneller sein; wäre sie leichter, käme man auch schon mit einer geringeren Geschwindigkeit weg. Umgekehrt gilt: Ist man schneller als diese Fluchtgeschwindigkeit, dann ist es nicht mehr möglich, die Erde zu umkreisen; dafür müsste man erst wieder abbremsen.
Die Galaxien des Galaxienhaufens waren alle VIEL zu schnell. Sie waren so schnell, dass sie der Anziehungskraft des Haufens auf jeden Fall schon längst entkommen wären. Der Haufen war aber noch da; die Galaxien hingen immer noch über ihre gegenseitige Gravitationskraft zusammen. Zwickys Schlussfolgerung: Da musste mehr Masse sein, als man sehen konnte. Die Masse, die er aus der Helligkeit der Galaxien abgeschätzt hatte, war viel zu gering; tatsächlich musste da circa fünfmal mehr Masse sein, als man sehen konnte. Diese nicht sichtbare Masse nannte Zwicky "dunkle Materie" und wir haben diesen Befund in den Jahrzehnten seit damals immer wieder unabhängig bestätigt. Sterne und Galaxien bewegen sich nicht so, wie sie es tun sollten, wenn die Masse, die wir sehen können, alles ist, was es im Universum gibt.
Und seit damals fragen wir uns natürlich: Was ist diese "dunkle Materie"? Die erste und simpelste Idee ist natürlich, dass es sich bei der dunklen Materie buchstäblich um dunkle Materie handelt. Sterne leuchten. Aber Planeten zum Beispiel tun das nicht. Schwarze Löcher leuchten nicht. Es gibt weiße Zwerge, die Überreste ehemaliger Sterne, die zwar noch ein bisschen leuchten, aber eben auch sehr klein und dadurch sehr schwer zu sehen sind. Es gibt braune Zwerge, also Himmelskörper die zwar deutlich mehr Masse haben als ein Planet aber immer noch zu wenig, als dass sie in ihrem Inneren eine Kernfusion wie bei einem echten Stern durchführen können - und deswegen auch sehr dunkel sind.
Vielleicht haben wir einfach sehr viel übersehen da draußen. Das wäre allerdings ein wenig komisch. Im Vergleich zu einem Stern ist die Masse eines Planeten oder eines braunen Zwergs sehr gering. Und wenn wir fünfmal mehr dunkle als normale Materie brauchen, müssten wir WIRKLICH viele dieser dunklen Himmelskörper übersehen haben. Weiße Zwerge und schwarze Löcher haben mehr Masse; die sind in der Hinsicht mit den Sternen vergleichbar. Aber die entstehen auch nicht aus dem nichts; ein weißer Zwerg oder ein schwarzes Loch haben ihr Leben ja als Stern begonnen und erst als der Stern die Kernfusion beendet hat, sind seine Reste zu einem weißen Zwerg oder - bei größeren Sternen - zu einem schwarzen Loch kollabiert. Hat es wirklich früher fünfmal mehr Sterne als heute gegeben deren Überreste jetzt die dunkle Materie ausmachen?
Das erscheint nicht sehr wahrscheinlich, aber man kann die Beobachtungsdaten ja nicht einfach ignorieren. IRGENDWAS muss dafür verantwortlich sein, dass sich die Himmelskörper nicht so bewegen wie sie es sollen. Dieses irgendwas muss sich vor allen in den Außenbereichen einer Galaxie befinden; auch das zeigen die Beobachtungsdaten. Die leuchtenden Sterne einer Galaxie sind in eine sehr viel größere Region eingebettet, die von der dunklen Materie dominiert wird. Diesen Außenbereich nennt man auch "Halo" und jetzt sind wir schon fast bei den MACHOs angekommen. Vielleicht, so hat man sich gedacht, ist dieser Halo voll mit massereichen, kompakten Himmelskörpern. Also eben Planeten, braunen Zwergen, weißen Zwergen, Neutronensternen oder schwarzen Löcher. Das wären dann also massereiche, astrophysikalische kompakte Halo-Objekte, auf englisch "Massive Astrophysical Compact Halo Objects" oder als Akronym: MACHOs.
Jetzt ist es natürlich nicht sonderlich sinnvoll, wenn man die dunkle Materie durch etwas beschreibt, von dem man nicht weiß, ob es da ist oder nicht. Zu sagen, dass MACHOs die dunkle Materie ausmachen, ist eine Hypothese und keine Erklärung. Man müsste ausreichend viele MACHOs beobachten, um diese Hypothese zu bestätigen. Aber wenn sich die dunkle Materie so leicht beobachten lassen würde, hätten wir das ganze Problem ja gar nicht erst. Bevor wir schauen, wie das mit der Beobachtung von MACHOs funktioniert, schauen wir aber kurz noch auf die Alternativen.
Es wäre natürlich prinzipiell möglich, dass die dunkle Materie gar keine Materie ist. Sondern dass wir die Gravitationskraft falsch berechnet haben - zum Beispiel weil die Gravitation doch nicht exakt so wirkt, wie Albert Einstein und Isaac Newton uns das gesagt haben. Das ist die Behauptung der "Modified Newtonian Dynamics"-Hypothese, die ich in Folge 351 ausführlich vorgestellt habe. Sehr viel spricht aber dafür, dass wir es tatsächlich mit irgendeiner Art von Materie zu tun haben, die wir bisher übersehen haben. Die muss jetzt aber nicht als dunkler Planet oder schwarzes Loch im All herumschwirren. Was wäre denn mit irgendwelchen gigantischen Wolken aus Gas oder Staub? Die leuchten ja auch nicht von selbst? Ja, und nein. So eine Wolke leuchtet schon, die Teilchen dort haben ja immer eine gewisse Temperatur und geben Wärmestrahlung ab. Das kann man beobachten und das beobachtet man auch. Nur wenn es sehr kaltes Gas wäre, könnten wir es vielleicht übersehen haben. Aber so eine Wolke würde sich auch immer ein wenig aufheizen, zum Beispiel durch die Strahlung der Sterne in der Umgebung. Das funktioniert also nicht.
Aber was, wenn es sich nicht einfach um dunkle Materie handelt, sondern um völlig andere Materie? Um irgendwelche Teilchen, denen Licht völlig egal ist? Normale Materie heizt sich auf, wenn elektromagentische Strahlung auf sie trifft; sie absorbiert diese Strahlung - oder sie reflektiert sie. Auf jeden Fall aber können wir sie dadurch prinzipiell sehen. "Sehen" ist ja nichts anderes als eine Wechselwirkung mit elektromagnetischer Strahlung. Und in der Astronomie ist es quasi auch "sehen", wenn wir von der Detektion von Infrarot-, oder Ultraviolett-, Röntgen- oder Radiostrahlung sprechen. Das ist ja alles elektromagnetische Strahlung, so wie das normale Licht. Was aber, wenn es irgendwelche Teilchen geben würde, die überhaupt nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirken? Die wären dann nicht dunkel; die wären genaugenommen unsichtbar. Wir würden sie überhaupt nur wahrnehmen können, wenn wir die Gravitationskraft spüren, die sie durch ihre Masse auf die Umgebung ausüben. Und wenn sie die dunkle Materie erklären sollen, von der wir ja recht viel erklären müssen, dann müssen diese Teilchen auch eine vergleichsweise große Masse haben. Solche Teilchen nennt man "Schwach wechselwirkende massereiche Teilchen", auf englisch "Weakly Interacting Massive Particles". Oder als Akronym: WIMPs. Vermutlich hat sich irgendwer sehr lustig gefühlt, als man sich diese Bezeichnungen ausgedacht hat. MACHOs und WIMPs, also der englische Begriff für "Schwächling", sind die beiden wichtigsten Hypothesen zur Erklärung der dunklen Materie.
Bevor wir zu den MACHOs zurück kommen, schauen wir noch kurz auf die WIMPs. Das ist ja vorerst auch nur eine Hypothese mit einem komischen Akronym. Gibt es Hinweise, dass da draußen irgendwo wirklich WIMPS sind? Ja, tatsächlich. Neutrinos sind WIMPs! Sie wechselwirken nicht über Elektromagnetismus; sind sind "unsichtbar" und wir müssen uns sehr anstrengen, sie nachzuweisen, wie ich in Folge 103 erzählt habe. Die Neutrinos SIND also dunkle Materie - aber ihre Masse ist viel zu gering. Die dunkle Materie kann nicht vollständig aus Neutrinos bestehen.
Also wieder zurück zu den MACHOs: Wie kann man die finden, wenn sie da sind? Auch hier muss man sich auf die Gravitation konzentrieren. Es sind ja vergleichsweise große, massereiche Objekte. Mit ihre Masse krümmen sie den Raum und diese Raumkrümmung kann das Licht von Sternen ablenken, abschwächen oder verstärken. Man muss also nur ausreichend viele ferne Sterne beobachten und nach solchen Effekten Ausschau halten. Daraus lässt sich ableiten, wie viele MACHOs sind rumtreiben und das Sternenlicht ablenken. Das ist natürlich leichter gesagt als getan - aber es gab immer wieder entsprechende Beobachtungskampagnen die sich teilweise über Jahre und Jahrzehnte erstreckt haben. Das Resultat: Jawoll, da draußen sind massereiche, dunkle Objekte. Da schwirren Planeten, braune Zwerge und so weiter rum, die wir bisher nicht gesehen haben. Aber auch hier haben die Daten gezeigt: Es sind viel zu wenige, als dass sie eine brauchbare Erklärung für die dunkle Materie sein könnten.
Schauen wir jetzt nochmal kurz, was es mit den RAMBOs auf sich hat. Dabei handelt es sich um "Robust associations of massive baryonic objects" beziehungsweise "Robuste Ansammlungen Massereicher Baryonischer Objekte" oder, als Akronym "RAMBOs". Auch dieses Akronym ist selbstverständlich massiv konstruiert; man hätte die Dinger auch irgendwie anders nennen können. Aber die Astronomen Ben Moore und Joseph Silk wollten auf die MACHO/WIMP-Sache offensichtlich noch eins drauf setzen, als sie sich das 1995 ausgedacht haben. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass die MACHOs vielleicht gar nicht überall im Halo der Galaxien verteilt sind. Sondern sich in Haufen zusammmenfinden. Dass da draußen also große Ansammlungen dunkler Objekte sind. So wie Sternhaufen, von denen wir ja wissen, dass man die in den Halos von Galaxien häufig findet. Nur dass es da eben nicht um jede Menge Sterne geht, die sich zu einem Haufen zusammengefunden haben, sondern um entsprechend dunkle Objekte. Dann lassen sich diese dunklen Haufen vielleicht schwerer finden als die großflächiger verteilten MACHOs gefunden werden könnten. Aber auch wenn sich die beiden Astronomen so große Mühe mit ihrem Akronym gegeben habe: Bis jetzt hat sich noch kein RAMBO am Himmel gezeigt.
Die Sache mit der dunklen Materie ist deutlich komplizierter als man Anfangs gedacht hat. Wir wissen zum Beispiel, dass sie nicht vollständig aus baryonischer Materie bestehen kann. Und "bayronische Materie" ist nur ein anderes Wort für "normale Materie", also das Zeug, aus dem die normalen Atome bestehen, aus denen auch wir aufgebaut sind. Wir wissen, dass diese Materie beim Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden ist. Damals fast ausschließlich in Form der beiden leichtesten Atome, Wasserstoff und Helium. Was sich da auch gebildet hat, ist Deuterium, ein Isotop des Wasserstoffs. Also Wasserstoff, der statt einem Proton im Kern dort ein Proton und Neutron hat. Das ist insofern interessant, als dass sich Deuterium nur unter sehr speziellen Umständen bilden kann. Nach dem Urknall sind jede Menge Protonen und Neutronen durch die Gegend gesaust. Nur wenn die Umgebungstemperatur gerade richtig ist, können sich Proton und Neutron aneinander binden und Deuterium bilden. Und das Universum ist nach dem Urknall sehr schnell abgekühlt. Zuerst war es zu heiß, danach war es zu kalt und in dem kurzen Zeitraum in dem Deuterium gebildet werden konnte, ist noch mehr passiert. Aus dem Deuterium kann durch weitere Fusionen mit anderen Teilchen Helium entstehen. Wie effektiv das passiert, hängt unter anderem stark von der Dichte ab. Also davon, wie viele Teilchen da insgesamt in einem bestimmten Stück Raum durch die Gegend schwirren. Je dichter, desto mehr Deuterium fusioniert zu Helium. Und auch hier gilt: Das Universum hat sich nach dem Urknall sehr schnell ausgedehnt, dadurch sinkt die Dichte und irgendwann hat das mit der Fusion nicht mehr geklappt.
Was hat das jetzt alles mit der dunklen Materie zu tun? Nun, wir können aus Beobachtungsdaten ableiten, wie viel Deuterium heute noch so durch das Universum schwirrt. Daraus können wir bestimmen, wie viel damals nach dem Urknall übrig geblieben ist, als die Phase vorbei war, in der Deuterium zu Helium fusionieren konnte. Je mehr Deuterium übrig war, desto geringer muss die Dichte gewesen sein. Das ist wichtig, deswegen sage ich es nochmal: Aus der Menge an Deuterium die wir beobachten, können wir ableiten, wie die Teilchendichte im frühen Universum gewesen sein muss. Wir können also quasi messen, wie viel normale Materie beim Urknall entstanden ist - oder zumindest sehr gute Grenzen dafür angeben. Und das was wir da messen, ist VIEL zu wenig. Das würde bei weitem nicht reichen, dass daraus einerseits die ganzen Sterne und Galaxien entstehen, die wir sehen und dazu noch die ganzen MACHOs, die wir nicht sehen können. Tatsächlich stimmen die Beobachtungen recht gut überein: Bei der Beobachtung der Sterne und Galaxien und ihrer Bewegung fehlt uns in etwa genau so viel Materie, wie uns bei den Berechnungen über die Teilchendichte im frühen Universum fehlt. Zwei unabhängige Nachweismethoden führen also zu der Erkenntnis: Da ist Materie, die wir nicht sehen können. Und sagen zusätzlich noch: Es muss sich um Materie handeln, die anders ist als die normale Materie.
Ein kleiner Teil der dunklen Materie besteht aus Neutrinos, also aus WIMPs. Ein weiterer kleiner Teil besteht aus MACHOs, also aus braunen Zwergen, Planeten, etc die irgendwo da draußen schwer sichtbar rumschwirren. Aber der überwiegende Teil der dunklen Materie lässt sich dadurch nicht erklären. MACHOs fallen als Erklärung raus; die dafür nötige Menge an Materie ist beim Urknall nicht entstanden. Bleiben also noch WIMPs von einer Art, die wir bisher noch nicht nachweisen konnten; irgendwelche anderen WIMPs mit sehr viel mehr Masse als die Neutrinos sie haben. Solche WIMPs haben wir aber noch nicht nachweisen können. Vielleicht ist es am Ende ja auch was ganz anderes - sicher ist nur: Was auch immer es ist; die Astronomie wird sich dafür irgendwann ein absurdes Akronym ausdenken.
Sternengeschichten Folge 469: Extrasolare Monde
Dass unsere Erde von einem Mond umkreist wird, kann man kaum übersehen. Der Mond war, neben der Sonne, in der Geschichte der Menschheit von Anfang an der wichtigste Himmelskörper. Er wurde als Gottheit vereehrt, man hat Kalender nach ihm ausgerichtet, sich Mythen über ihn erzählt und immer schon davon geträumt und darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, dorthin zu reisen. Der Mond ist auch der einzige andere Himmelskörper, den wir Menschen tatsächlich schon betreten haben. Der Mond war von Anfang an ein Begleiter der Menschen, schon lange bevor wir Menschen geworden sind.
Wir haben am nächtlichen Himmel immer auch schon die Sterne gesehen. Und andere helle Punkte, die sich anders bewegt haben als die Sterne und die wir "Planeten" genannt haben. Bis wir erkannt haben, dass sich diese Planeten, so wie die Erde, um die Sonne bewegen und dass auch die Erde ebenfalls ein solcher Planet ist, hat es ein wenig gedauert. Diese Erkenntnis hat sich erst ab dem 17. Jahrhundert durchgesetzt und im 17. Jahrhundert war es auch, dass wir die ersten anderen Monde entdeckt haben.
Galileo Galilei hat als erster ein Teleskop zum Himmel gerichtet und dabei herausgefunden, dass der Jupiter von vier kleineren Himmelskörpern umkreist wird. Diese "galileischen Monde" tragen heute die Namen Io, Europa, Ganymed und Callisto. Sie waren die ersten anderen Monde die wir gefunden haben aber bei weitem nicht die einzigen! 1655 hat man Titan entdeckt, den größten Mond des Saturn. 1787 wurde der erste Mond entdeckt, der Uranus umkreist; 1846 der erste Mond des Neptun. 1877 fand man die beiden kleinen Marsmonde Phobus und Deimos. Bei allen Planeten des Sonnensystems, mit Ausnahme von Venus und Merkur, hat man Monde entdeckt, mittlerweile sind es mehr als 200 und die meisten davon umkreisen die großen Planeten Saturn und Jupiter.
Unser Sonnensystem ist also voll mit Monden; es gibt sehr viel mehr davon als Planeten; von denen haben wir ja nur acht Stück. Seit 1995 wissen wir, dass auch andere Sterne von Planeten umkreist werden. Heute kennen wir weit mehr als 4000 solcher Exoplaneten und wissen, dass das Universum voll davon ist. Es gibt da draußen mindestens so viele Planeten wie Sterne. Und eine Frage die sich da ziemlich bald stellt lautet: Werden auch die Exoplaneten von Monden umkreist?
Das ist eine spannende Frage. Denn so ein Mond kann eine erstaunlich komplexe Welt sein. Ganymed, der größte Mond des Jupiters etwa ist größer als der Planet Merkur. Auf dem Jupitermond Europa gibt es einen unterirdischen Ozean aus flüssigem Wasser, auf dem Saturnmond Enceladus ebenfalls und beide sind heiße Kandidaten für die Suche nach außerirdischem Leben. Wären Jupiter oder Saturn nicht so weit von der Sonne entfernt wie sie es jetzt sind, sondern näher - zum Beispiel dort wo sich die Erde befindet, dann wären diese Ozeane nicht unter einer dicken Schicht aus Eis versteckt, wie jetzt. Dann gäbe es vielleicht dort flüssiges Wasser an der Oberfläche, eine Atmosphäre und angenehmen Temperaturen. Dann wären diese Monde bewohnbar. Sind sie aber nicht - aber anderswo kennen wir durchaus Planeten die dem Jupiter oder dem Saturn ähnlich sind und sich genau dort befinden, wo etwaige Monde lebensfreundliche Bedingungen haben könnten. Es ist also durchaus wichtig, wenn wir uns fragen, ob es anderswo auch Monde gibt.
Die Antwort darauf kann eigentlich nur "Ja!" lauten. Es wäre höchst seltsam, wenn einerseits Planeten die Sterne umkreisen enorm häufig sind; andererseits nur die Planeten des Sonnensystems auch Monde haben. Das, was bei uns zur Entstehung von Monden geführt hat, muss anderswo genau so passiert sein. Wir sind ja kein irgendwie außergewöhnlicher Ort. Im Einzelfall kann das natürlich anders sein. Ich habe ja früher schon im Podcast erzählt, wie der Mond der Erde entstanden ist: Nach allem was wir bis heute wissen, ist das durch eine gewaltige Kollision im frühen Sonnensystem passiert. Ein noch nicht fertiger Planet von der Größe des Mars ist mit der ebenfalls noch nicht ganz fertigen Erde zusammengestoßen und dabei völlig zerstört worden. Die Erde hat die Kollision gerade so überstanden und aus den Trümmern dieser unvorstellbaren Katastrophe hat sich der Mond gebildet. So ein Ereignis ist ein Resultat der chaotischen Vorgänge die ablaufen, wenn sich Planeten um einen Stern herum bilden und es kann gut sein, dass ein Ergebnis wie bei der Erde und unserem Mond sehr unwahrscheinlich ist. Anderswo werden vielleicht beide Planeten bei einer Kollision zerstört, oder es bildet sich ein kleinerer oder gar kein Mond aus den Trümmern.
Aber nicht alle Monde entstehen durch Kollisionen. Die Marsmonde zum Beispiel sind aller Wahrscheinlichkeit nach ehemalige Asteroiden, die vom Mars eingefangen worden sind. Viele der kleineren Monde von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun haben vermutlich den gleichen Ursprung als eingefangene Asteroiden. Die großen Monde der Gasplaneten sind dagegen auf ähnliche Weise entstanden wie die Planeten selbst. So wie die aus einer Scheibe voll Gas und Staub um die junge Sonne herum entstanden sind, haben sich Monde wie die galileischen Monde des Jupiters aus einer Gas- und Staubscheibe gebildet, die früher den jungen Jupiter umgeben hat. Solche Prozesse sind, wie das Einfangen von Asteroiden, Vorgänge, die überall stattfinden, wo Planeten entstehen. Man kann also mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass auch die extrasolaren Planeten Monde haben.
Damit könnte diese Folge auch schon wieder zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Denn es reicht uns in der Wissenschaft ja nicht, einfach nur sehr sicher zu sein, dass irgendwo irgendwas existiert. Wir wollen schon auch wissen, ob das wirklich stimmt. Egal wie plausibel eine Annahme erscheint: Am Ende zählt in der Naturwissenschaft nur die Bestätigung durch eine konkrete Beobachtung. Können wir also herausfinden, ob es da draußen irgendwo extrasolare Monde gibt?
Können wir! Wir können sie natürlich nicht direkt sehen; das geht ja schon bei den extrasolaren Planeten sehr schwer bis gar nicht. So wie die Planeten leuchten auch die Monde nicht mit ihrem eigenen Licht. Sie reflektieren nur das Licht ihres Sterns. Und weil Monde im Allgemeinen kleiner sind als die Planeten, leuchten sie noch viel schwächer. Und werden nicht nur durch das Licht des Sterns überstrahlt, sondern zusätzlich auch noch vom Licht des Planets, den sie umkreisen.
Wir können aber durchaus indirekte Nachweise führen. Viele Planeten anderer Sterne haben wir durch die sogenannte "Transitmethode" gefunden. Wir beobachten das Licht eines Sterns und messen seine Helligkeit über mehrere Tage, Wochen oder Monate hinweg. Wenn von uns aus gesehen zufällig gerade ein Planet vor dem Stern vorüber zieht, blockiert der ein ganz klein bisschen von dessen Licht. Das können wir messen und wenn der Planet den Stern umkreist, wiederholt sich diese Mini-Verdunkelung in regelmäßigen Abständen. Wenn der Planet der so einen "Transit" verursacht zusätzlich auch noch von einem Mond umkreist wird, wird die Sache interessant. Denn der Mond ist zwar kleiner als der Planet und hat weniger Masse. Aber er übt trotzdem eine Gravitationskraft auf den Planet aus. So ist es ja auch bei Erde und Mond. Der Mond umkreist die Erde. Aber wenn man es genau nimmt, stimmt das nicht. Es zieht nicht nur die Erde den Mond an, sondern auch der Mond die Erde. Beide Himmelskörper kreisen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Weil die Erde so viel schwerer ist als der Mond liegt dieser Punkt allerdings sehr nahe am Erdmittelpunkt; er liegt 1700 Kilometer unter der Erdoberfläche. Effektiv kreist also tatsächlich der Mond um die Erde und die Erde wackelt einfach nur ein bisschen hin und her.
Bei einem extrasolaren Planet mit Mond ist das genau so. Je nach Konfiguration kann das Wackeln größer oder kleiner sein. Aber ein Planet mit Mond wackelt immer - und das bedeutet, dass die Verdunkelungen die er beim Stern hervor ruft, nicht VÖLLIG regelmäßig sind. Bei seiner Hin- und Herwackelei wird mal ein kleines bisschen früher ankommen und mal ein kleines bisschen später. Das nennt man eine "Transitzeitvariation" und wenn man so etwas beobachtet, kann man daraus prinzipiell auf die Existenz des Mondes schließen.
Natürlich gibt es auch jede Menge andere Effekte, die eine Transitzeitvariation hervorrufen können. Das muss kein Mond sein, es kann auch einfach ein anderer Planet sein, der den Stern umkreist. Die beiden Planeten beeinflussen sich ja auch gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft und das führt zu unregelmäßigen Transits. In der Realität wird man es auch vermutlich mit mehreren Planeten zu tun haben, die jeweils einen oder mehrere Monde haben. Aber wenn die Beobachtungsdaten gut genug sind, kann man das ganze mit Hilfe von Computermodellen und Mathematik aufdröseln und herausfinden, wer da wen umkreist. Neben der Transitzeitvariation gibt es auch noch die "Transitdauervariation". Ein Planet mit Mond wird nicht nur immer wieder mal früher oder später als erwartet seinen Stern verdunkeln; diese Verdunkelungsphase wird auch unterschiedlich lange dauern, weil die Störungen des Mondes ihn immer wieder leicht unterschiedlich am Stern vorüber ziehen lassen. Beobachtet man beide Effekte auf einmal, dann kann man schon ziemlich gut berechnen, ob und was für ein Mond da sein könnte.
Man kann natürlich auch großes Glück haben, und einen Transit sehen, der direkt vom Mond selbst verursacht wird. Stellen wir uns vor, der Mond steht - von uns aus gesehen - direkt neben seinem Planeten. Und beide ziehen nebeneinander am Stern vorüber. Dann wird das Sternlicht zuerst ein wenig dunkler werden, weil der Planet einen Teil davon von blockiert. Und dann, wenn auch der Mond von uns aus gesehen vor dem Stern steht, wird noch ein kleines bisschen mehr Licht blockiert. Am Ende des Transits ist es umgekehrt: Zuerst wird der Stern wieder heller, weil der Planet nicht mehr in der Sichtlinie steht und dann steigt die Helligkeit noch ein kleines bisschen an, weil dann auch der Mond nichts blockiert. So eine Beobachtung wäre am allerbesten, denn dann kann man direkt aus dem Ausmaß der Verdunkelung die Größe des Mondes ablesen.
Es gibt auch Methoden, wie man einen extrasolaren Mond ohne Transit entdecken kann. Das ist praktisch, denn man kann ja nicht immer davon ausgehen, dass Planet und Mond von uns aus gesehen genau an ihrem Stern vorüber ziehen. Bei der Mehrheit der Planetensysteme ist das nicht der Fall und da helfen die vorhin beschriebenen Methoden nicht. Dann kann man aber vielleicht mit Gravitationslinsen erfolgreich sein. Davon habe ich ja in Folge 274 schon ausführlich erzählt. Die Masse eines Planeten krümmt den Raum, genau so wie die Masse eines Sterns oder genaugenommen jede Masse. Das war ja gerade das, was Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie herausgefunden hat. Licht folgt immer der Krümmung im Raum und die Masse eines Himmelskörpers ist daher in der Lage, Licht abzulenken. Wenn nun ein Stern mit einem Planet vor einem anderen Stern vorüber zieht, wirkt dieser Stern im Vordergrund wie eine Linse, die das Licht des Sterns im Hintergrund kurzfristig verstärken kann. Der Planet verändert diese Linsenwirkung ein wenig und ein Mond würde sie ein weiteres mal verändern.
Es gibt noch andere Methoden, mit denen man einem extrasolaren Mond auf die Spur kommen könnte, aber da braucht man meistens sehr viel Glück. Im Jahr 2017 hat man geglaubt, einen extrasolaren Mond entdeckt zu haben, später hat sich dann herausgestellt, das dieser Himmelskörper viel zu groß ist. Das war auch bei einer Beobachtung mit Gravitationslinseneffekt im Jahr 2014 der Fall - der potentielle Mond den man damals gefunden zu haben glaubte, ist viel eher ein großer Gasplanet. Sehr vage und indirekte Daten haben immer wieder vermuten lassen, dass da Monde sein könnten. Aber es ist eben schwer, so etwas kleines wie den Mond eines Planeten bei einem anderen Stern zweifelsfrei nachzuweisen. Am vielversprechendsten ist immer noch die Sache mit den Transits; wir haben ja Teleskop im All, die sehr viele solcher Transits beobachtet haben und in Zukunft beobachten werden. Irgendwo in diesen Daten taucht vielleicht auch mal ein Mond auf. Es ist nicht die Frage, ob wir einen Mond finden. Das werden wir. Wir können nur nicht sagen, wann es so weit sein wird. Und je nachdem, wann ihr diese Folge hört, ist es vielleicht schon passiert.
Sternengeschichten Folge 468: Halton Arp und seine seltsamen Galaxien
"40 Jahre nach der Entdeckung, dass Galaxien eigenständige Systeme aus Sternen sind, sind wir bei der Lösung ihrer großen Rätsel immer noch nicht weit voran gekommen: Wie erhalten sie sich selbst und welche physikalischen Kräfte sind für die Ausbildung ihrer Formen verantwortlich, die wir beobachten? Galaxien bilden grundlegenden Einheiten von Energie und Masse im Universum und dennoch können wir fundamentale Fragen immer noch nicht beantworten. Was verursacht die charakteristische Form der Spiralgalaxien? Wie hängen elliptische Galaxien mit Spiralgalaxien zusammen? Wie entstehen Galaxien und wie entwickeln sie sich?"
Das sind die ersten Sätze, die man im Vorwort des 1966 veröffentlichten "Atlas of Peculiar Galaxies" findet. Das heißt auf deutsch so viel wie "Atlas der seltsamen Galaxien" und zusammengestellt hat ihn der amerikanische Astronom Halton Arp. Von ihm stammen auch die Sätze aus dem Vorwort und man sollte ein wenig genauer darüber nachdenken.
Wer sich ein wenig mit Astronomie beschäftigt, wird natürlich auch schon von Galaxien gehört haben. Die Milchstraße ist eine Galaxie; eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen, zu denen auch die Sonne gehört. Die Gravitationskraft all dieser Sterne, all des Gases das sich dazwischen befindet, der dunklen Materie, in die die Milchstraße eingebettet ist und die des supermassereichen schwarzen Lochs im Zentrum - diese gesamte Gravitationskraft also sorgt dafür, dass die Sterne nicht einfach ihre eigenen Wege im Universum gehen sondern sich zu der enormen Ansammlung zusammengefunden haben, die wir Milchstraße nennen. Von der Erde aus ist es allerdings ein wenig schwer, das zu erkennen. Wir sitzen ja mitten drin. Am Himmel können wir, wenn es wirklich dunkel ist, das milchige Band der Milchstraße erkennen. Wir sehen es dort, wo wir in Richtung Zentrum der Milchstraße blicken. Von dem sind wir ja circa 26.000 Lichtjahre entfernt; wir befinden uns in den Randgebieten der Milchstraße. In erster Näherung hat sie die Form einer großen Scheibe, ungefähr 150.000 Lichtjahre im Durchmesser und ein paar tausend Lichtjahre dick. Wenn wir von unserer Position in den äußeren Bereichen also Richtung "außen", "oben" und "unten" schauen, sehen wir wesentlich weniger Sterne als wenn wir nach "innen", Richtung Zentrum schauen. Dort stehen die Sterne auch viel dichter, dort sind viel mehr Sterne und deswegen können wir sie ohne Hilfsmittel auch nicht mehr als einzelne Objekte sehen, sondern eben als das typische milchige, helle Band am Himmel.
Dass es sich dabei um unzählige einzelne Sterne handelt, wusste man schon seit Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts das erste Mal ein Teleskop darauf gerichtet hat. Die wahre Natur der Milchstraße war etwas schwerer zu entschlüssen. Als Halton Arp in den 1960er Jahren den Satz "40 Jahre nach der Entdeckung, dass Galaxien eigenständige Systeme aus Sternen sind" geschrieben hat, bezieht er sich auf die 1920er Jahre und die Arbeit von Edwin Hubble und seinen Kollegen. Davon habe ich ja schon in vergangenen Folgen immer wieder berichtet: Erst mit seinen Beobachtungen konnte man einwandfrei nachweisen, dass die Milchstraße nur ein Sternensystem, nur eine Galaxie unter unvorstellbar vielen ist.
Als Halton Arp am 21. März 1927 in New York geboren wurde, war es gerade einmal 4 Jahre her, dass Hubble diese Entdeckung gemacht hatte. Und als Arp dann in den 1940er Jahren zu studieren begann, war diese Entdeckung immer noch frisch. Arp studierte zuerst bei Harlow Shapley an der Harvard Universität und war damit gleich mittendrin in der Erforschung der Galaxien. Shapley war ja einer der beiden Teilnehmer an der "Großen Debatte", von der ich schon ausführlich in Folge 49 berichtet habe. Am 26. April 1920 diskutierte er mit Heber Curtis über die Natur der Milchstraße. Curtis war der Meinung, dass die Milchstraße recht klein ist und nur eine von vielen Galaxien im Universum. Shapley dagegen hielt die Milchstraße für enorm groß und als alles, was existiert. Das, was wie andere Galaxien aussieht, sollten in Wahrheit nur kleinere, wolkenartige Objekte innerhalb der Milchstraße. Das war falsch, wie Hubble nur ein paar Monate später zeigen konnte. Auch Heber Curtis hatte sich in den Details seines Milchstraßenmodells geirrt, aber die große Debatte hatte das Interesse an dem Thema angeheizt und Arp war mit seinem Studium immer noch mitten drin in dieser Forschung. Nach dem Grundstudium in Harvard wechselte er nach Los Angeles, wo er sein Doktorat machte, betreut von niemand geringerem als Edwin Hubble selbst.
Halton Arp wollte die Galaxien verstehen. Warum sind manche von ihnen spiralförmig, wie die Milchstraße oder die Andromedagalaxie, andere dagegen gigantische, formlose Haufen aus Sternen? Ursprünglich dachte man, dass diese "elliptischen Galaxien" der Urzustand sind, in dem eine Galaxie entsteht, und sie sich erst später zu den komplexeren Spiralgalaxien entwickelt. Das stellte sich ziemlich bald als falsch heraus, wie es wirklich abläuft wusste man aber immer noch nicht. Aber wie soll man es herausfinden? So eine Galaxie ist ein gigantisches Objekt; sie existiert für Milliarden von Jahren, die kann man nicht so einfach erforschen wie zum Beispiel eine Pflanze in der Botanik. "Wenn wir eine Galaxie im Labor untersuchen könnten, dann könnten wir sie verformen, stoßen, analysieren um ihre Eigenschaften herauszufinden", schreibt Arp ebenfalls im Vorwort des Atlas, den ich zu Beginn erwähnt habe. Aber das geht natürlich nicht. Genau deswegen hat Arp begonnen, sich mit den "Seltsamen Galaxien" zu beschäftigen. Natürlich ist jede Galaxie einzigartig und unterscheidet sich von allen anderen. Aber viele lassen sich dennoch in die groben Überkategorien von "elliptischer Galaxie" und "Spiralgalaxie" einsortieren. Viele aber auch nicht; viele sind "seltsam". Sie sind deformiert, sie zeigen Strukturen oder Auffälligkeiten die man anderswo nicht sieht. Sie sind quasi "Experimente" die das Universum mit sich selbst durchführt. Irgendwas muss dazu geführt haben, dass die Galaxien so seltsam sind und wenn wir nur genug von ihnen untersuchen, dann kriegen wir vielleicht auch raus, was das ist. Und verstehen dann vielleicht auch die allgemeinen Regeln, nach denen Galaxien sich bilden und verändern.
Das war die Idee von Halton Arp und genau deswegen fing er in den 1960er Jahren an, möglichst viele Bilder von Galaxien zu sammeln, die irgendwie "seltsam" waren. Das Resultat war der "Atlas of Peculiar Galaxies", der "Atlas der Seltsamen Galaxien" der 1966 vom California Institute von Technology veröffentlicht wurde. "Das große Ziel dieses Atlas ist es, eine Anzahl von Beispielen verschiedener Arten von seltsamen Galaxien zu präsentieren. (…) Es bleibt zu hoffen, dass ihre Untersuchung nicht nur die Eigenschaften der Galaxien selbst erklärt, sondern auch physikalischen Prozesse offen legt und zeigt, wie sie in den Galaxien wirken, was schlußendlich zu einem besseren Verständnis des Universums in seiner Gesamtheit führen soll." So endet das Vorwort und dann kommt das, worum es geht. Jede Menge Bilder und Daten seltsamer Galaxien. Arp nahm sie mit dem 5-Meter-Teleskop der Mount-Palomar-Sternwarte auf; circa 80 Kilometer von San Diego entfernt und damals das größte Teleskop der Welt.
Insgesamt hat Arp 338 Objekte aufgelistet und abgebildet. Und, wie der Titel ja auch erwarten lässt, ist es eine vielfältige Sammlung. Arp hat probiert, sie zu gruppieren. Da gibt es zum Beispiel "Galaxien mit irregulären Klumpen". Oder "Galaxien mit Ringen". Oder "Galaxien aus denen Material zu kommen scheint". Sogar "Galaxien die wie ein Integralzeichen aussehen". Es findet sich auch eine große Gruppe von "Doppelgalaxien". "Doppelgalaxien mit verbundenen Armen" zum Beispiel. Oder "Ketten von Galaxien".
Ein Blick in den Atlas lohnt sich; die seltsamen Galaxien sind nicht nur seltsam, sondern auch meistens sehr schön. Vielleicht noch nicht so sehr auf den alten Bildern von Arp. Aber all die Objekte die er damals fotografiert hat, haben andere Astronominnen und Astronomen in den Jahren danach mit besseren und größeren Teleskopen beobachtet und beeindruckende neue Bilder gemacht. Zu den berühmtesten Objekten gehört zum Beispiel die "Whirlpool-Galaxie", Nummer 85 in Arps Katalog. Dabei handelt es sich um eine höchst prächtige Spiralagalaxie mit ausprägten Armen - und am Ende eines weit nach außen reichenden Arms sieht man noch einen kleineren hellen Blob sehen kann. Nummer 152 in Arps Katalog ist die Galaxie "M87", die spätestens im Jahr 2019 berühmt wurde, als man das erste Bild eines schwarzen Lochs veröffentlicht hat: Das supermassereiche schwarze Loch im Zentrum der Galaxie. Arp wusste davon nichts, nahm die Galaxie aber in den Katalog auf, weil von dort ein enorm langer "Jet" hinaus ins All ragte, also eine lange, gerade, helle Struktur. Nummer 244 ist das, was wir heute die "Antennengalaxien" nennen. Auf Arps Aufnahme sieht die Struktur aus wie ein Herz, aus dem links und rechts ein langer Faden wächst. Moderne Bilder zeigen ein chaotisches Wirrwarr aus Sternen und Staub.
Aber abseits aller Ästhetik: Hat der Katalog denn seinen Zweck erfüllt? Wissen wir heute besser Bescheid, warum die seltsamen Galaxien so seltsam sind? Ja, tatsächlich! Er war Inspiration und Ausgangspunkt für jede Menge weiterführende Forschung an diesen Galaxien. Und deswegen wissen wir heute, dass die meisten Galaxien deswegen seltsam sind, weil sie mit anderen Galaxien wechselwirken. Die Antennengalaxien sind zwei Galaxien, die kollidiert sind und gerade dabei, zu verschmelzen. Der kleine helle Blob der am großen Spiralarm der Whirlpool-Galaxie hängt, ist ebenfalls eine Galaxie, die von der größeren Whirlpoolgalaxie angezogen wird und mit ihr über die Gezeitenkraft in enger Verbindung steht. Wir wissen heute, wie wichtig die Wechselwirkung zwischen Galaxien ist. Elliptische Galaxien zum Beispiel sind das, was übrig bleibt, wenn zwei Spiralgalaxien endgültig verschmolzen sind (und das, was auch in ferner Zukunft mit der Milchstraße und der Andromedagalaxie passieren wird). All die komischen Formen und Seltsamkeiten die Arp beobachtet hatte, sind so gut wie immer auf die Wechselwirkung zwischen Galaxien und die dabei wirkenden Gravitationskräfte zurück zu führen. Der einzige, der das nicht glauben wollte, war tragischerweise Halton Arp selbst. Er hatte ganz eigene Vorstellung davon, wie das Universum funktioniert. Er lehnte die Urknall-Theorie ab und glaubte nicht daran, dass das Universum expandiert. Er war der Meinung, dass man Gravitation nicht so beschreiben dürfe, wie Albert Einstein das getan hatte. Und war fest davon überzeugt, dass die Absonderlichkeiten seiner Galaxien durch Material zustande kommen, das aus den Galaxien ausgeworfen wird. In einigen Fällen stimmt das sogar, zum Beispiel bei M87 und ihrem Jet. Der entsteht tatsächlich aus heißem Gas, das durch die Gravitationskraft des enormen schwarzen Lochs beschleunigt und aus der Galaxie geschossen wird. Aber bei den meisten Fällen handelt es sich tatsächlich um Galaxien in den verschiedensten Phasen des Verschmelzens und Kollidierens. Arp nannte diese Idee die "Merger-Mania" und nannte sie eine "Mode", mit der man neuerdings alles erklären wolle, was mit den Galaxien passiert.
Nun. Man hat deswegen alles damit erklären wollen, weil sich tatsächlich sehr viel damit erklären lässt. Das ist mittlerweile mehr als nur eindeutig belegt. Arp war ein kreativer Kopf mit originellen Ideen. Aber manchmal eben ein klein wenig zu kreativ. Dank ihm haben wir die Bedeutung wechselwirkender Galaxien im Universum verstanden. Und ganz allgemein kann es nicht schaden, wenn es in der Wissenschaft immer wieder Menschen gibt, die mit ihren Ideen abseits der ausgetretenen Wege gehen. Da kann man sich gerne mal verirren - aber ab und zu erreicht man auch Gegenden, die man sonst nie gefunden hätte. Arp ist bei seiner Wanderung abseits des Mainstreams nicht ans Ziel gekommen. Aber er hat die Astronomie dennoch voran gebracht.
Sternengeschichten Folge 467: Hayashi-Tracks
Heute geht es um einen seltsamen Begriff: Den Hayashi-Track. Das klingt ein wenig wie eine Wanderroute in Japan. Tatsächlich geht es aber - natürlich - um Astronomie. Es geht um Linien in einem Diagramm. Das ist ein wenig abstrakt, aber so ist die Wissenschaft. Linien in Diagrammen sind wichtig, denn wir kritzeln die ja nicht aus Spaß an der Freude einfach irgendwo hin. Die Linien beschreiben etwas, sie stehen für etwas und sie können etwas erklären. Und in diesem Fall geht es um nichts weniger als das Leben und Sterben von Sternen.
Alle die, die ein wirklich gutes Gedächtnis haben, werden sich jetzt vermutlich an die Folge 6 der Sternengeschichten erinnern, die vor fast 10 Jahren erschienen ist. Die hatte genau diesen Titel - "Vom Leben und Sterben der Sterne" - und darin habe ich vom sogegannten "Hertzsprung-Russell-Diagramm" erzählt. Und gleich zu Beginn erwähnt, dass es zu den allerwichtigsten Werkzeugen in der Astronomie gehört. Und für alle die, die sich nicht mehr so ganz genau an damals erinnern können, gibt es jetzt noch mal eine kurze Zusammenfassung. Denn man muss dieses Diagramm kennen, wenn den Hayashi-Track verstehen will.
Das Hertzsprung-Russell-Diagramm wurde im Januar 1913 das erste Mal veröffentlicht und basiert auf der Arbeit des dänischen Astronoms Ejnar Hertzsprung und des Amerikaners Henry Norris Russell. Es wird auch manchmal "Farben-Helligkeits-Diagramm" genannt und das verrät ziemlich genau, was man dort finden kann. Auf der einen Achse dieses Diagramms ist die Farbe eines Sterns aufgetragen; man kann stattdessen natürlich auch die Temperatur oder die Spektralklasse nehmen - am Ende stehen diese Werte ja alle für die selbe Eigenschaft eines Sterns. Rote Sterne haben eine niedrigere Temperatur als gelbe Sterne, die wieder eine niedrigere Temperatur haben als blaue und weiße Sterne. Und Farbe bzw. Temperatur sind eine der hauptsächlichen Eigenschaften, die man zur Spektralklassifikation der Sterne verwendet. Aber damit es nicht zu verwirrend wird, bleiben wir vorerst einfach mal bei der Temperatur bzw. der Farbe der Sterne. Auf der zweiten, der y-Achse, wird nun die absolute Helligkeit der Sterne aufgetragen. Also nicht die Helligkeit, mit der wir hier von der Erde aus einen Stern leuchten sehen. Sondern die "wahre" Helligkeit - also die Helligkeit, die man sehen würde, wenn man alle Sterne aus einer normierten Entfernung aus beobachten könnte. Ansonsten wüsste man ja nicht, ob ein Stern zum Beispiel nur schwach leuchtet, weil er halt wenig Leuchtkraft hat. Oder ob er nur schwach leuchtet, weil er zwar eigentlich eh stark leuchtet, aber halt enorm weit weg von uns ist.
So - Temperatur und absolute Helligkeit. Das sind zwei grundlegende Eigenschaften eines Sterns und Ejnar Hertzsprung hat sie für viele verschiedene Sterne in ein Diagramm eingetragen. Und dabei etwas sehr interessantes entdeckt. Man könnte ja denken, dass die Sterne in so einem Diagramm irgendwie verteilt sind. Das also alle Kombinationen von Helligkeit und Temperatur möglich sind. Das aber ist nicht der Fall. Man findet die Sterne typischerweise entlang einer Linie verteilt, die von links oben im Diagramm nach rechts unten verläuft. Also von dort, wo sich heiße und helle Sterne befinden bis da, wo die kühlen, schwach leuchtenden Sterne sind. Diese Linie hat man - wenig originell - die "Hauptreihe" genannt und trotz des langweiligen Namens ist sie enorm wichtig.
Die Hauptreihe ist der Ort, an dem ein normaler Stern sein Leben verbringt. Wo genau auf der Linie man den Stern findet, hängt im Wesentlichen von seiner Masse ab. Sterne mit viel Masse sind auch enorm heiß. Die ganze Masse drückt auf das Zentrum, dort wird die Temperatur sehr hoch, der Stern wird heiß, die Fusion läuft sehr heftig ab und es wird sehr viel Energie erzeugt. Sterne mit wenig Masse kriegen nur vergleichsweise geringe Temperaturen zustande. Massereiche Sterne leuchten also hell und eher weiß/blau, massearme Sterne leuchten schwächer und sind eher rötlich. Die Sonne liegt mit ihrem gelb/weißem Licht irgendwo dazwischen.
Jetzt haben wir also die Hauptreihe - beim Hayashi-Track geht es aber um das, was mit einem Stern passiert, bevor er die Hauptreihe betritt. Und dazu müssen wir wissen, was ein hydrostatisches Gleichgewicht ist. Das kann erstaunlich komplex werden; wir belassen es aber bei der simplen Version: Wenn wir eine bestimmte Schicht aus heißem Gas in einem Stern betrachten, dann wirken dort vor allem zwei Kräfte. Von oben bzw. außen drückt das ganze restliche Material des Sterns mit seinem Gewicht. Und von innen kommt die ganze Strahlung und es wirkt der thermische Druck. Wenn der den Druck der ganze Masse von außen gerade ausgleicht, befindet sich der Stern im hydrostatischen Gleichgewicht. In der Realität ist das natürlich komplexer; der Stern rotiert zum Beispiel, was alles ein bisschen komplizierter macht. Aber fürs erste reicht das, was das hydrostatische Gleichgewicht angeht.
Was passiert jetzt, wenn ein Stern entsteht: Alles fängt mit einer großen Wolke an, die unter ihrem Gewicht in sich zusammenfällt. Dabei zerfällt sie in jede Menge Klumpen. So ein Klumpen ist dichter als die Umgebung, übt daher auch eine größere Gravitationskraft aus, zieht noch mehr Material an, wird noch schwerer, klumpiger und dichter und fällt unter seiner Masse noch weiter in sich zusammen. Wir haben hier jetzt also definitiv noch kein hydrostatisches Gleichgewicht, sonst würde der Klumpen ja nicht immer weiter schrumpfen. Es fehlt ausreichend viel Kraft von innen, um der ganzen von außen wirkenden Masse und etwas entgegen zu setzen. Der Klumpen kollabiert also weiter und das geht natürlich nicht wahnsinnig schnell; das dauert ungefähr 100.000 Jahre. Und während dieser Zeit wird dieser Noch-Nicht-Stern immer wärmer, weil beim Kollaps der Wolke Gravitationsenergie in Wärmeenergie umgewandelt wird. Dieser Prozess endet irgendwann. Irgendwann ist die Temperatur des Gases so hoch, dass die Atome aus denen es besteht sich schnell genug bewegen, um den gravitativen Kollaps zu stoppen. Das ist bei ungefähr 4000 Grad der Fall, zumindest bei Sternen die nicht extrem massereich sind. Jetzt sind wir auf dem Hayashi-Track angekommen.
Diese Bezeichnung stammt vom japanischen Astronomen Hayashi Chūshirō. Der hat sich in den 1960er Jahren mit der Frage beschäftigt, wo im Hertzsprung-Russell-Diagramm überhaupt ein hydrostatisches Gleichgewicht existieren kann. Das hängt natürlich immer von der Masse ab, die man betrachtet. Je mehr Masse ein sich gerade bildender Stern hat, desto mehr Temperatur braucht es auch, bis der Kollaps gestoppt werden kann. Die Hayashi-Linien sind jetzt quasi die Grenze zwischen dem Bereich, wo für eine bestimmte Masse ein hydrostatisches Gleichgewicht möglich ist und denen, wo das nicht mehr geht. Im Hertzsprung-Russell-Diagramm sind sie nahezu vertikale Linien. Warum das so ist, werden wir gleich sehen. Noch sind wir ja erst am Anfang des Hayashi-Tracks. Der Noch-nicht-Stern hat vorerst aufgehört, in sich zusammenzufallen; hat eine gewisse Masse und eine gewisse Temperatur, nämlich genau die Temperatur, die für diese Masse nötig ist, um das hydrostatische Gleichgewicht sicherzustellen. So bleibt es aber nicht. Denn da ist immer noch Zeug in der Wolke um den sich bildenen Stern herum. Immer wieder fällt ein wenig davon auf den Stern, dadurch erhöht sich seine Masse und er fällt ein bisschen weiter in sich zusammen. Dadurch leuchtet er weniger hell, denn er ist ja kleiner geworden und hat weniger Oberfläche, über die er Licht abstrahlen kann. Die Temperatur bleibt dabei aber annähernd konstant. Der sich bildende Stern wird nur sehr langsam schwerer und verglichen mit der Veränderung der durch die Kontraktion verringerte Leuchtkraft ist die Änderung in der für das hydrostatische Gleichgewicht nötige Temperatur sehr gering. Oder anders gesagt: Wenn man sich das ganze im Hertzsprung-Russell-Diagramm anschaut, wandert der fast fertige Stern langsam entlang einer senkrechten Linie nach unten. Die Leuchtkraft - auf der y-Achse aufgetragen - wird kleiner; die Temperatur - auf der x-Achse - aber bleibt fast gleich.
Irgendwann ist der Stern aber dann in seinem Inneren heiß genug geworden, so dass dort die echte Kernfusion einsetzt. Jetzt kommt ausreichend Strahlung von dort um ein wirklich dauerhaftes hydrostatisches Gleichgewicht sicherzustellen. Der Kollaps des Sterns endet. Und jetzt ist es wirklich ein Stern; jetzt befindet er sich auf der Hauptreihe im Diagramm und bleibt dort bis zu seinem Ende. Wenn wir das nochmal zusammenfassen - was keine schlechte Idee ist, denn es ist immer schwer, wenn man über ein Diagramm nur reden kann anstatt es anzuschauen, dann startet die Entwicklung des Sterns an einem seiner Masse entsprechenden Punkt im Diagramm, der sich aber immer überhalb der Hauptreihe befindet. Von dort wandert er entlang einer senkrechten Linie nach unten, auf die Hauptreihe zu, bis er sie irgendwann erreicht. Diese senkrechte Linie ist der Hayashi-Track und dort findet die Geburt eines Sterns statt. Je nachdem wie man es definieren möchte, kann man den Zeitpunkt, an dem die kollabierende Wolke am Anfang der Hayashi-Linie auftaucht als Geburt bezeichnen. Oder den Punkt am Ende, wo der sich bildende Stern schließlich auf der Hauptreihe landet.
Das mit der senkrechten Linie war natürlich nur eine sehr vereinfachte Darstellung. Sie gilt für Sterne mit geringer Masse. Liegt die Masse eines sich bildenden Sterns bei Eintritt in den Hayashi-Track zwischen 0,5 und 3 Sonnenmassen, sieht die Sache ein wenig anders aus. Zuerst geht es auch hier senkrecht im Diagramm nach unten. Der Noch-nicht-Stern wird kleiner, leuchtet weniger hell und die Temperatur bleibt fast gleich. Dann aber dreht sich der Prozess um. Jetzt steigt die Temperatur, während die Leuchtkraft konstant bleibt beziehungsweise nur minimal steigt. Die senkrechte Hayashi-Linie knickt also im Diagramm waagerecht ab.
Der Grund dafür ist die Art und Weise wie die Energie im Inneren eines sich bildenden Sterns transportiert wird. Zuerst ist der Klumpen aus dichtem Gas ja eher undurchsichtig. Die Energie kommt also schlecht in Form von Strahlung durch. Stattdessen erwärmen sich die inneren Schichten, das warme Material steigt auf, kühlt dort ab - gibt also erst DORT seine Wärme in Form von Strahlung ab - und sinkt wieder nach unten wo der Zyklus erneut anfängt. Das nennt man "Konvektion". Wenn ein sich bildender Stern aber viel Masse hat, dann wird sein Inneres auch sehr heiß. So heiß, dass er eine "Strahlungszone" entwickeln kann. Wenn es zu heiß wird, können Atome die Photonen schlechter absorbieren; der Stern wird also quasi ein wenig durchsichtiger als vorher. Die Energie kommt jetzt also direkt in Form von Strahlung vorwärts, so weit, bis das Material des Sterns kühl genug ist, um die Strahlung zu stoppen. Von da an geht es wieder per Konvektion weiter nach außen.
Die Hayashi-Linien gelten nur für komplett konvektive Sterne. Also für Sterne, wo die Energie nur per Konvektion transportiert wird; wo - vereinfacht gesagt, heißes Material aus dem Zentrum des Sterns bis ganz nach außen aufsteigt und von dort wieder bis ins Zentrum zurück absinkt. Das geht nur, wenn der Stern nicht zu viel Masse hat. Denn ansonsten wird sein Zentrum zwangsläufig irgendwann heiß genug, so dass sich eine Strahlungszone ausbildet. Ein ausreichend massereicher Stern erhöht in dieser Phase seine Temperatur sehr viel schneller als die Leuchtkraft und deswegen bewegt er sich nun nicht mehr auf einer senkrechten Linie auf die Hauptreihe zu, sondern auf einer annähernd waagerechten bzw. einer leicht schrägen Linie. Die wird jetzt nicht mehr Hayashi-Track genannt, sondern Henyey-Linie, nach dem amerikanischen Astronomen Louis Henyey. So oder so wird auch dieser entstehende Stern auf seinem Track irgendwann auf der Hauptreihe eintreffen. Sterne die aus einem WIRKLICH massereichen Klumpen entstehen, lassen den Hayashi-Track gleich aus und wandern direkt auf einer fast waagrechten Henyey-Linie auf die Hauptreihe und die ganz großen Brocken kollabieren so schnell, dass sie quasi direkt auf der Hauptreihe selbst entstehen und fast sofort als fertiger Stern anfangen, ohne die Entwicklungsphasen die durch Hayashi- und Henyey-Linie dargestellt werden.
Man kann noch viel mehr Linien ins Hertzsprung-Russell-Diagramm einzeichnen. Das hier war nur ein sehr kurzer und vereinfachter Blick auf die Entwicklungslinien von Sternen. Und nach ihrer Zeit auf der Hauptreihe verschwinden sie ja auch nicht einfach - sondern verlassen sie auf neuen Wegen. Wie sie sich zu den "Sternfriedhöfen" bewegen ist aber wieder ein ganz anderes Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten.
Sternengeschichten Folge 466: Die "Astronomischen Nachrichten"
Heute geht es um Astronomische Nachrichten. Gut, um die geht es hier eigentlich immer - in dem Fall sind es aber sehr spezielle Astronomische Nachrichten. Nämlich die Fachzeitschrift für Astronomie, die genau diesen Namen trägt. Und die älteste noch existierende astronomische Fachzeitschrift der Welt ist.
Die Sache mit den Fachzeitschriften ist spannender als sie klingt. Und ist vor allem fundamental für den Fortschritt der Wissenschaft. Es nützt ja nichts, wenn irgendwer irgendwo irgendetwas herausfindet. Man muss den Rest der Welt dann ja auch darüber informieren. Oder zumindest alle die, die sich mit der gleichen Art der Forschung beschäftigen. Heute ist das kein Problem; im Zweifelsfall schreibt man eben einfach ne Nachricht auf Twitter, Facebook oder Instagram. Aber früher war das anders.
In den allermeisten Fällen hat die Kommunikation zwischen Wissenschaftler*innen direkt stattgefunden. Soll heißen: Wer was rausgefunden hat, hat allen denen, die darüber Bescheid wissen sollen, einen Brief geschrieben. Und dann hat sich die Entdeckung herumgesprochen, bis alle davon gewusst haben. Früher gab es ja auch noch nicht so viele Forscherinnen und Forscher wie heute; da war das noch praktikabel. Aber man kann nicht alles einfach per Brief mitteilen, ganz besonders nicht in der Astronomie. Hier gibt es eine lange Tradition sogenannter "Astronomischer Jahrbücher". Da steht drin, was im aktuellen Jahr am Himmel so abgeht. Wann die Planeten wo zu finden sind, wann Sonne und Mond auf und untergehen, ob es Sonnen- oder Mondfinsternisse gibt, und so weiter.
Sowas war wichtig für alle, die den Himmel beobachten wollten. Und es ist viel Arbeit, so ein Tabellenwerk zu erstellen. Das kann man dann nicht einfach per Brief in der Welt verschicken. Deswegen sind solche Jahrbücher schon im Mittelalter und der frühen Neuzeit als echte Bücher veröffentlicht worden und weil man jedes Jahr ein neues Buch braucht, kann man das durchaus als eine Art periodisch erscheinende Fachzeitschrift verstehen.
Bis zu den Zeitschriften im modernen Sinn war es aber noch ein weiter Weg, den ich hier natürlich nicht in aller historischer Vollständigkeit darstellen kann. Als älteste Fachzeitschrift der Welt gilt das "Journal des sçavans", dessen erste Ausgabe am 5. Januar 1665 erschienen ist. Kurz danach, am 6. März 1665 erschien Ausgabe Nummer 1 der "Philosophical Transactions of the Royal Society". Beide erscheinen auch heute noch; die Philosophical Transactions veröffentlichen so wie damals vor allem die Ergebnisse naturwissenschaflicher Forschung, das Journal des scavans hat seinen Schwerpunkt im 19. Jahrhundert von der Naturwissenschaft in Richtung Literatur und Geisteswissenschaft verlagert.
Zu Beginn waren diese Zeitschriften aber noch ein wenig anders als wir das heute gewohnt sind. Das erkennt man auch am Namen der "Philosophical Transactions" ganz gut. Die "Royal Society" ist eine der ältesten Gemeinschaften von Forscherinnen und Forscher. Man hat sie 1660 gegründet, um sich - simpel gesagt - regelmäßig treffen, plaudern und gemeinsam zu experimentieren zu können. Wer von irgendwem einen interessanten Brief bekommen hat, hat den auf diesen Treffen vorgelesen; dann wurde gemeinsam darüber diskutiert, und so weiter. Die "Philosophical Transactions" haben quasi als Sitzungsprotokolle dieser Treffen begonnen und so kunterbunt ist auch der Inhalt der frühen Ausgabe. Ein kurzer Artikel berichtet von einem Experiment, das irgendwer gemacht hat, ein anderer erzählt, was er von irgendwem gehört hat, der gerade von einer Reise aus Afrika zurück gekommen ist; jemand hat ein Buch gelesen und berichtet davon, und so weiter. Ein wenig so, wie man sich heute vielleicht in einem Internetforum oder einer Whats-App-Gruppe austauscht.
Aber im Laufe der Zeit hat sich daraus eine echte Fachzeitschrift entwickelt, wo Forscherinnen und Forscher gezielt ihre Ergebnisse zur Veröffentlichung einreichen. Und natürlich sind jede Menge mehr Zeitschriften entstanden. Für unterschiedliche Disziplinen und auch in unterschiedlichen Länder. Heute ist ziemlich egal, wo auf der Welt irgendeine Forschungsarbeit erscheint. Im Internet findet man alles. Damals hatte man aber nur die Fachzeitschriften als Informationsquelle und auch nur die, die man in die Finger bekam. Irgendeine Publikation, die nur in den USA erscheint war für Leute in Deutschland zum Beispiel eher unpraktisch. Wenn die doch irgendwann mal den Weg über den Atlantik geschafft hat, war der Inhalt schon mehr als veraltet.
Genau deswegen hat sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch die wissenschaftliche Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum ein wenig beschwert, dass es hier keine Fachzeitschrift gab, die sich speziell und aktuell mit Astronomie und Mathematik beschäftigt. Man hat sich ein wenig abgehängt gefühlt, schlecht informiert und die Verbreitung von Nachrichten über Wissenschaft war mühsam. Zur Hilfe kam Friedrich VI. Der war damals König von Dänemark und Norwegen und Herzog von Schleswig und Holstein. Und erklärte sich bereit, eine astronomische Fachzeitschrift zu finanzieren. Herausgeber sollte der Astronom Heinrich Christian Schumacher werden. Die beiden kannten sich; Schumachers Vater war ein dänischer Beamter und Diplomat und hat dem König seinen Sohn schon vorgestellt, als er noch ein Kind war. Heinrich Christian Schumacher jedenfalls studierte zuerst Rechtswissenschaft, dann aber auch Astronomie und Mathematik. Er hat unter anderem beim berühmten Carl Friedrich Gauß gelernt und wurde 1810 Astronomie-Professor in Kopenhagen. Von der königlichen Dänischen Akademie der Wissenschaft hat er den Auftrag erhalten, Holstein ordentlich zu vermessen und zu kartografieren und eine Sternwarte in Altona hat er ebenfalls gegründet. Und wer sich jetzt wundert: Altona, heute ein Stadtteil von Hamburg war, ebenso wie Holstein, damals dänisch.
Jedenfalls hat sich Schumacher bereit erklärt, die neue Fachzeitschrift zu organisieren. 1821 schickte er einen Rundbrief in die Welt der Astronomie. Darin erklärte er, dass er plant "ein Mittel zur schnellen Verbreitung einzelner Beobachtungen und kürzerer Nachrichten", sowie ein "Depot für größere Arbeiten" zu organisieren. Sobald genug zusammen ist, wird alles zu einem Heft zusammengefasst, gedruckt und versandt. Und immer 24 Hefte sollen zu einem Buch gebunden werden. Im September 1821 konnte Schumacher das erste Heft dieser "Astronomischen Nachrichten" verschicken. Man kann sich den Inhalt auch heute noch online ansehen. Es beginnt mit dem Text "Einige Nachrichten über die Sternwarte in Jena" von Johann Friedrich Posselt, der das erst knapp 10 Jahre zuvor errichtete Observatorium vorstellt und auch gleich ein paar Beobachtungsergebnisse präsentiert. Es folgt ein Brief von Friedrich Bernhard Gottfried Nicolai, Astronom in Mannheim, der seine Daten von Mond- und Sternbeobachtungen mitteilt. Ein Herr Professor Ritter Bürg erzählt von seiner Reise nach Klagenfurt, wo er eine ringförmige Sonnenfinsternis gesehen hat und am Ende folgen ein paar Kurznachrichten aus England und dem Rest der Welt. Den spannendesten Titel in Ausgabe Nummer 1 der Astronomischen Nachrichten hat aber mit Sicherheit der Text des Astronomen Wilhelm Olbers: "Rettung eines Astronomen von einem ihm angeschuldigten schweren Verbrechen".
Es geht allerdings nicht um Mord und Totschlag und das hier wird auch kein True-Crime-Podcast. Aus heutige Sicht ist schwer verständlich, was Olbers damals wollte. Sein Artikel geht davon aus, dass sowieso alle wissen, worum es geht, was damals vermutlich auch so war. Anscheinend gab es Streit um Kometenbeobachtungen, die der niederländische Astronom Nicolaas Struyck und der Franzose Alexandre Guy Pingré gemacht haben und von denen behauptet wurde, sie seien nur erfunden beziehungsweise abgeschrieben. Olbers wollte nun klarmachen, dass der Franzose tatsächlich ein fieser Verbrecher sein; Struyck aber völlig unschuldig.
So oder so. Die zweite Ausgabe erschien schon im Oktober 1821 und danach ging es immer weiter. Schon bald gab es auch die ersten Artikel von Wissenschafts-Promis der damaligen Zeit; von Carl Friedrich Gauß oder Friedrich Wilhelm Bessel. Die Astronomischen Nachrichten wurden enorm erfolgreich, im Jahr 1823 waren die ersten 24 Hefte erschienen und zu Band 1 zusammengefasst. Schumacher konnte noch Band 31 herausgeben, dann starb er im Jahr 1850. Der nächste Herausgeber war Adolph Cornelius Peterson, ein dänischer Astronom, der diese Arbeit mit Peter Andreas Hansen bis 1854 erledigte. Die Herausgeber wechselten im Laufe der Zeit, aber die Astronomischen Nachrichten blieben bestehen. Bis 1990 erschienen dort Beiträge sowohl in Deutsch als auch in Englisch, danach orientiere man sich an der internationalen Community und veröffentlichte nur noch englischsprachige Fachartikel. Ab Band 326, der 2005 erschien, änderte man dann auch den Namen. Die Astronomischen Nachrichten wurden offiziell zu den "Astronomical Notes", die im Untertitel aber immer noch den alten Namen aus dem Jahr 1821 tragen.
Ich mag Band 330, Ausgabe 5 aus dem Jahr 2009 besonders gern. Dort habe ich selbst nämlich einen Fachartikel in den Astronomischen Nachrichten veröffentlicht. Er handelt von der Bewegung extrasolarer Planeten des Sterns TrES-2 und in zwei weiteren Artikeln dieser Ausgabe bin ich als Ko-Autor bei der Beobachtung des Kometen 17P/Holmes und zwei Sternhaufen beteiligt gewesen. Es mag heute bedeutendere Fachzeitschriften geben als die Astronomischen Nachrichten. Aber sie ist von allen die älteste die es noch gibt und es ist schön, einen kleinen Teil zu dieser mehr als 200 Jahren Tradition der astronomischen Veröffentlichung beigetragen zu haben. Irgendwann wird es diese Zeitschrift vermutlich nicht mehr geben; im Zeitalter des Internets gibt es andere und komfortablere Methoden, Facharbeiten zu veröffentlichen als in speziellen und aufwendig zu erstellenden Zeitschriften. Aber auch wenn die Astronomischen Nachrichten und die anderen Journale irgendwann verschwunden sein sollten: Es wird auf jeden Fall weiter astronomische Nachrichten geben und Menschen, die sie hören wollen!
Sternengeschichten Folge 465: Plasma (ist überall)
Plasma ist überall. Wenn wir so etwas wie die dunkle Materie mal beiseite lassen und nur von dem Zeug sprechen, das wir "normale" Materie nennen, dann besteht das Universum zu 99 Prozent aus Plasma. Was ein wenig seltsam ist, weil hier bei uns auf der Erde vergleichsweise wenig davon zu finden ist. Aber vielleicht sollte man sowieso einmal damit anfangen zu erklären, was Plasma überhaupt ist.
Plasma wird oft als der "vierte Aggregatszustand" bezeichnet. In der Schule lernen wir ja, dass Materie in drei verschiedenen Aggregatszuständen existieren kann: Fest, flüssig und als Gas. Der Unterschied zwischen den drei liegt in der Energie. Eis zum Beispiel ist festes Wasser. Führen wir dem Eis Energie zu, wärmen wir es also auf, dann wird es flüssig. Und wenn wir noch mehr Energie in das jetzt flüssige Wasser stecken, dann fängt es an zu kochen und wird zu Wasserdampf, einem Gas. So weit, so klar, aber um das Plasma zu verstehen, müssen wir noch ein bisschen genauer hinschauen, was beim Übergang von einem Aggregatszustand zum nächsten eigentlich passiert.
Materie besteht aus Atomen und die haben sich im Allgemeinen zu Molekülen verbunden. Bei Wasser sind das die Atome Wasserstoff und Sauerstoff, die sich zum Moleküle H2O, also Wasser zusammengefunden haben. Wenn Wasser einen Eisklotz bildet, dann hängen auch diese Moleküle vergleichsweise fest zusammen. Sie tun das durch die elektromagnetischen Kräfte, die zwischen ihnen wirken und sie bleiben zusammen, weil sie sich nicht zu sehr hin und her bewegen. Steckt man nun aber Energie in das Eis, dann wird die Bewegung der Moleküle immer heftiger. So weit, bis die Bindung zwischen ihnen auseinander reißt. Die Bewegung ist zu stark, als dass die elektromagnetische Kraft sie noch vernünftig zusammenhalten kann. Das feste Eis wird zu flüssigem Wasser. Auch hier sind die Wassermoleküle noch ein bisschen aneinander gebunden, aber bei weitem nicht mehr so stark wie zuvor. Flüssiges Wasser hat keine fixe Form mehr; es fließt überall hin - aber zumindest das Volumen bleibt noch gleich. Wasser kann sich zwar als große Pfütze am Boden ausbreiten oder den Raum innerhalb einer Flasche ausfüllen. Aber wenn in der Pfütze ein Liter Wasser enthalten ist, dann kriege ich diesen Liter auch wieder genau in eine Ein-Liter-Flasche rein. Das ändert sich, wenn man das Wasser erhitzt und verdampfen lässt. Jetzt ist auch die letzte Bindung zwischen den Molekülen dahin, sie breiten sich überall im Raum aus und der Wasserdampf füllt ein sehr viel größeres Volumen als zuvor das flüssige Wasser.
Plasma kriegt man nun, wenn man einem Gas noch mehr Energie zuführt. Aber was verändert sich dann? Gut, beim Wasser kann man durch ausreichend viel Energie dafür sorgen, dass sich die Wasserstoff- von den Sauerstoffatomen trennen. Aber das ist dann immer noch kein Plasma, das ist dann vorerst einfach nur eine Mischung aus Wasserstoff- und Sauerstoffgas. Damit aus einem Gas ein Plasma wird, muss man nicht nur die Bindung zwischen den Atomen beziehungsweise Molekülen schwächen oder brechen, sondern die Atome selbst verändern. So ein Atom besteht ja aus einem elektrisch positiv geladenen Kern um den herum sich eine Hülle aus negativ geladenen Elektronen befindet. Steckt man nun ausreichend viel Energie in die Elektronen, dann halten sie nicht mehr am Kern fest. Sie lösen sich ab und beginnen kernlos durch die Gegend zu flitzen.
Davon habe ich ja in den vergangenen Folgen der Sternengeschichten immer wieder mal erzählt. Atome, die alle oder einige Elektronen aus ihrer Hülle verloren haben, nennt man "ionisiert" und im Kosmos kommt das vergleichsweise häufig vor. Da gibt es ja auch jede Menge Energie - zum Beispiel die Strahlung der Sterne. Wenn man etwa zu viel Zeit in der Sonne verbracht und einen Sonnenbrand bekommen hat, dann liegt das daran, dass die energiereiche UV-Strahlung im Sonnenlicht Atome in unserem Körper ionisiert hat, wodurch Moleküle auseinanderbrechen, was dann zu entsprechenden Schäden in der Haut führen kann. Das bedeutet aber nicht, dass wir zu Plasma werden. Ein ionisiertes Atom allein macht noch kein Plasma, dafür braucht es mehr davon.
Wir haben jetzt also einen ganzen Haufen Atome, die keine vollständigen Atome mehr sind. Die Atomkerne, die wir ab jetzt "Ionen" nennen und die Elektronen sausen getrennt wild durcheinander. Dabei üben sie immer noch Kräfte aufeinander aus, wie denn auch nicht, denn die Ionen sind elektrisch positiv geladen und die Elektronen elektrisch negativ. Jedes Ion ist von einer Wolke aus Elektronen umgeben, aber das ist jetzt etwas ganz anderes als zuvor beim vollständigen Atom. Da waren die Elektronen ja fix dem Atomkern zugeordnet; sie waren fix zusammen und es waren immer die gleichen Elektronen beim Atomkern. Im Plasma gibt es einen ständigen Austausch; die Wolke aus Elektronen um das Ion ist zwar immer da, aber es sind immer andere Elektronen, die sie bilden. Schaut man von außen auf das Plasma, sieht man also quasi keine elektrische Ladung. Die positive Ladung der Ionen wird durch die Elektronenwolke abgeschirmt. Man kann sich eine Kugel vorstellen, die jedes Ion umgibt und die so groß ist, dass sich immer ausreichend viele Elektronen darin befinden, um die positive Ladung des Ions auszugleichen. Der Radius dieser Kugel wird dann als "Debye-Länge" bezeichnet. Und wenn diese Länge klein ist im Vergleich zu dem Raum, den die gesamte Mischung aus allen Ionen und Elektronen einnimmt, dann spricht von einem echten oder idealen Plasma.
Der Unterschied zwischen Gas und Plasma hängt auch davon ab, wie viele Teilchen sich ingesamt in dieser hypothetischen Kugel um ein Ion befinden. Je mehr das sind, desto besser und stärker werden die elektrischen Ladungen von Elektronen und Ionen nach außen hin abgeschirmt. Und nur wenn die Zahl der Teilchen in so einer Kugel mit dem Debye-Radius sehr groß ist, spricht man von einem Plasma und nicht von einem Gas.
Wir wissen jetzt also was ein Plasma ist: Ein Gas, in das man so viel Energie gesteckt hat, dass sich dort die Elektronen von den Atomkernen trennen. Den Namen hat sich übrigens der amerikanische Chemiker und Physiker Irving Langmuir ausgedacht. Im Jahr 1928 hat er eine Arbeit mit dem Titel "Oszillationen in ionisierten Gasen" veröffentlicht. Darin hat er genau das erforscht, was ich gerade erklärt habe; er hat geschaut, was passiert, wenn man immer mehr Elektronen von den Atomkernen eines Gases löst. Dabei hat er festgestellt, dass es Bereiche gibt, in denen freie Ionen und Elektronen in ausreichend großer Menge enthalten sind, um ihre Ladungen gegenseitig abzuschirmen: "Wir werden den Namen 'Plasma' benutzen um diese Regionen der ausgeglichenen Ladungen von Elektronen und Ionen zu beschreiben". Was er dann auch getan hat und mit ihm im Laufe der Zeit der Rest der Physik.
Und der Astronomie. Denn wie gesagt: Der Großteil der Materie im Universum ist Plasma. Sterne sind gewaltige Kugeln aus Plasma. Das Gas zwischen den Sternen ist ebenfalls zu einem guten Teil ausreichend ionisiert um sich in einem Plasmazustand befinden. Himmelskörper wie unsere Erde sind eine Ausnahme; hier ist es kalt genug, dass Materie auch fest, flüssig oder gasförmig existieren kann. Plasma finden wir hier bei uns selten. Blitze zum Beispiel leuchten deswegen, weil sich durch die enormen elektrischen Entladungen in einem Gewitter für kurze Zeit ein Plasma aus den Molekülen der Luft bildet. Auch die Flamme einer Kerze (oder jedes anderen Feuers) ist zum Teil ein Plasma.
Aber ansonsten sind die Plasmen die wir hier auf der Erde beobachten können so gut wie immer von uns künstlich hergestellt. Leuchtstofflampen oder auch Energiesparlampen beziehunsgweise allgemein alle sogenannten "Gasentladungslampen" leuchten, weil sie ein Gas enthalten, dass durch elektrischen Strom von außen in einem Plasmazustand versetzt wird und dadurch anfangen zu leuchten. Aber warum leuchtet das Plasma überhaupt? Wenn wir ein wirklich vollständiges Plasma haben, also sämtliche Elektronen von allen Atomkernen eines Gases ablösen, dann leuchtet nichts. Aber das ist meistens nicht der Fall; die Atome sind normalerweise nicht alle vollständig ionisiert. Das heißt, ein paar Elektronen bleiben noch beim Atomkern beziehungsweise die Atomkerne fangen immer wieder mal Elektronen ein, halten sie fest und lassen sie dann wieder frei. Bei diesen Vorgängen geben die Elektronen Energie ab und sie tun das in Form von Licht. Und deswegen leuchtet ein Plasma.
Deswegen kann man mit Plasma sogar Bildschirme bauen; da werden Materialien ganz gezielt mit Strahlung angeregt und ionisiert, so dass das Plasma Licht bei einer ganz bestimmten Farbe abgibt. Rot, Grün oder Blau, und wenn man ausreichend viele sehr kleine solcher bunten Plasmalichter nebeneinander setzt, kann man damit alle Farben die man möchte zusammenmischen. Heute werden solche "Plasmabildschirme" nicht mehr in großen Mengen eingesetzt, früher waren sie aber sehr populär.
Plasma findet überall in der Industrie und Technik Anwendungen; wir wüssten aber noch viel mehr. Wir würden zum Beispiel gerne ein so heißes Plasma haben, so dass dort das stattfinden kann, was auch im Plasma im Inneren der Sterne passiert. Dort saußen die Teilchen so schnell herum, dass sie bei Kollisionen miteinander fusionieren und Energie freisetzen, wie ich ja in den Folge 363, 364 und 365 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Es wäre super, wenn wir das, was in einem Stern passiert auch absichtlich hier auf der Erde machen könnten; die künstliche Kernfusion wäre eine tolle Energiequelle. Aber leider spielt das Plasma bis jetzt noch nicht mit.
In der Realität ist so ein Plasma nämlich sehr viel komplexer als das, was ich bis jetzt erzählt habe. Wenn man so einen Haufen extrem heißer Ionen und Elektronen hat, dann verhalten die sich alles andere als ordentlich. Die Ladungen schirmen sich zwar gegenseitig ab, aber nicht vollständig. Das heißt, das Plasma reagiert auf elektromagnetische Felder und das sehr sensibel. Denn es besteht ja selbst aus elektrisch geladenen Teilchen, die sich bewegen und damit ebenfalls elektromagentische Felder erzeugen. Auf die das Plasma dann auch wieder reagiert. Am Ende kriegt man ein sehr komplexes Ding das sich kaum vernünftig beschreiben lässt. Stupst man so ein Plasma - im übertragenen Sinn - an einer Stelle an, dann breiten sich die Auswirkungen überall aus und wirken auf sich selbst zurück. Vereinfacht gesagt: Ein Plasma verhält sich tendenziell chaotisch und wir haben noch keinen Weg gefunden, um sein Verhalten mathematisch einwandfrei zu beschreiben. Genau das ist aber nötig, wenn man mit den extrem heißen Plasmen hantieren will, die für die Kernfusion nötig sind. Vermutlich werden wir das irgendwann hinkriegen und Energie durch Kernfusion erzeugen können. Bis dahin wird aber noch viel Licht des chaotischen Sternenplasmas aus dem Weltall auf die Erde leuchten…
Sternengeschichten Folge 464: Biosignaturen: Auf der Suche nach außerirdischem Leben
In der heutigen Folge der Sterngeschichten geht es um die Suche nach außerirdischem Leben. Und weil das so dramatisch und nach Science Fiction klingt, fangen wir mit ein paar ernüchternden Bemerkungen an. Es geht NICHT um UFOs, es geht auch nicht um irgendwelche Alien-Städte auf anderen Planeten. Es geht um nichts von dem, was man sich meistens vorstellt, wenn man an "außerirdisches Leben" denkt. Denn da stellt man sich - geprägt durch Jahrzehnte von Science-Fiction-Filmen, Serien und Bücher - ja fast zwangsläufig irgendwelche intelligten Wesen vor.
Das tun wir aber jetzt nicht. Wir bleiben bei "Leben". Und das kann alles sein. Wir Menschen halten uns ja für ziemlich wichtig und haben oft das Gefühl, wir sind die wichtigsten Lebensformen auf der Erde. Und je nachdem wie man das betrachtet sind wir das auch manchmal. Aber wir sind nicht die einzigen Lebensformen hier und wir sind auch nicht die zahlreichsten. Vom Weltall aus sieht man uns nicht; höchstens die Lichter unserer Städte in der Nacht und auch nur, wenn man ausreichend nahe an der Erde ist. Was man sieht sind Pflanzen; die für die grüne Färbung der Kontinente verantwortlich sind. Man sieht die grünen Algen in den Ozeanen und es gibt noch unzählige andere Mikroorganismen die man weder hier unten noch vom Weltall aus sehen kann. Die aber trotzdem einen enorm großen Einfluss auf unseren Planeten haben und DIESEN Einfluss kann man tatsächlich auch nachweisen, selbst wenn sich die Mikroorganismen auf einem anderen Himmelskörper befinden sollten.
Wenn ich im folgenden also von außerirdischem Leben spreche, dann meine ich diese Art von Leben. Keine Aliens mit fliegenden Autos, Laserschwertern und komischen Ohren. Sondern Pflanzen, Bakterien, grünen Schleim in irgendeinem Ozean. Das mag nicht so aufregend klingen wie das, was wir aus der Science Fiction kennen. Aber im Gegensatz zu den Aliens dort haben wir eine echte Chance, das "langweilige" außerirdische Leben auch tatsächlich zu entdecken, wenn es da sein sollte.
Das mag überraschend klingen. Eine hell leuchtende Alienstadt auf einem anderen Planeten ist doch viel besser zu sehen als irgendwelche außerirdische Bakterien? Ja, aber nur wenn man diesem Planeten sehr, sehr nahe ist. Und das sind wir den meisten Planeten nicht. Auf den Himmelskörpern in unserem Sonnensystem ist das anders, aber da wissen wir ja mittlerweile sehr gut, dass da keine Alienstädte rumstehen, die wir bisher übersehen haben. Bei den Mikroorganismen sieht es vielleicht anders aus, aber ich will vorerst mal über die Planeten anderer Stern reden.
Von denen haben wir mittlerweile ein paar tausend entdeckt. Wir wissen, dass Planeten im Weltall so häufig sind wie Sterne; häufiger sogar. Es gibt sie überall - aber sie sind schwer zu sehen. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen haben wir all diese Planeten nur indirekt entdeckt. Wir wissen, dass sie da sind, weil sie mit ihrer Schwerkraft den Stern ein wenig zum Wackeln bringen. Oder ein klein wenig des Sternenlichts verdecken, wenn sie von uns aus gesehen gerade in der Sichtlinie stehen. Und da wir Sterne sehr gut beobachten können, können wir diese indirekten Effekte nachweisen und so auf die Existenz der Planeten schließen. Planeten, die selbst aber deutlich weniger gut sichtbar sind als die Sterne. Das liegt natürlich einerseits daran, dass ein Planet im Gegensatz zu einem Stern nicht selbst leuchtet sondern nur Licht seines Sterns reflektiert. Das liegt vor allem aber daran, dass so ein Planet SEHR viel kleiner ist als ein Stern, genau so wie der Stern enorm weit entfernt und alles Licht, dass er reflektiert noch dazu vom viel helleren Licht des Sterns überstrahlt wird.
Es ist also nicht leicht, einen Planeten eines anderen Sterns direkt zu sehen. Und dort, wo es funktioniert, sieht man auch nicht viel. Definitiv keine Alien-Städte. Man sieht gar nichts, außer einem Lichtpunkt. Daran wird sich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern. Die kleinen und fernen Planeten anderer Sterne werden Lichtpunkte bleiben. Auch mit viel größeren Teleskopen werden wir sie nicht scharf genug sehen können, um dort Details der Oberfläche erkennen zu können.
Das ist aber auch gar nicht nötig. Wir in der Astronomie sind schlau ;) Uns reicht auch ein Lichtpunkt! Denn wenn wir Licht in unsere Messinstrumente kriegen, das von einem Planeten reflektiert worden ist, können wir damit jede Menge tolle Dinge anstellen. Zum Beispiel Spektroskopie betreiben. Davon habe ich ja schon öfter mal erzählt. Wir spalten das Licht in seine Bestandteile auf; wir schauen also zum Beispiel, wie viel rotes Licht reflektiert wird, wie viel blaues Licht, wie viel grünes Licht, und so weiter. Und das geht nicht nur mit den sichtbaren Farben, sondern auch denen, die unsere Augen nicht sehen können. Infrarotlicht oder Ultraviolettlicht zum Beispiel.
Wenn wir sowas mit dem Licht machen, dass die Erde von der Sonne ins All reflektiert - und wir haben das schon gemacht - dann kann man interessante Sachen sehen. Wir sehen, dass die Erde weniger rotes und blaues Licht reflektiert, als von der Sonne gekommen ist. Dafür aber viel grünes Licht. Irgendwas muss mit dem Licht also passieren, während es von der Erde reflektiert wird und dieses etwas ist in unserem Fall das Leben! Auf der Erde leben Pflanzen. Und die betreiben Fotosynthese. Das heißt, sie nutzen die Energie des Sonnenlichts um es in ihren Zellen in chemische Energie umzuwandeln. Die Pflanzen haben aber Vorlieben; sie nutzen nicht alle Farben des Lichts gleich gerne. Bzw. ist es den Pflanzen an sich egal, sie machen halt das, was man biochemisch mit den für die Fotosynthese zuständigen Molekülen wie dem Chlorophyll gemacht werden kann. Und mit grünem Licht kann das Chlorphyll eben nicht so viel anfangen - genau deswegen nimmt die Pflanze eben das rote und das blaue Licht und absorbiert einen Teil davon für die Fotosynthese, reflektiert aber das grüne Licht relativ ungenutzt. Was eigentlich nur eine andere Art ist zu sagen, dass Pflanzen grün sind.
Wenn auf der Erde nur ein einsamer Grashalm herumstehen würde, dann hätte das natürlich keine große Auswirkung auf das, was man vom All aus sehen kann. Aber weil bei uns sehr, sehr viele Pflanzen herumstehen, sehen wir in Summe doch einen Effekt. Im von der Erde reflektierten Licht ist weniger Blau und Rot, als man erwarten würde. Und wir sehen das deswegen, weil hier Pflanzen wachsen und Fotosynthese betreiben. Was wir mit Satelliten vom All aus messen können, könnten wir aber theoretisch auch von sehr viel weiter weg sehen. Für diese Analyse des Lichts spielt es vorerst keine Rolle, ob wir nur einen Lichtpunkt sehen oder eine ausgedehnte Erdkugel. Das heißt: Den Effekt der Pflanzen auf das von der Erde reflektierten Lichts kann man auch von anderen Sternen aus sehen. Und damit dort nachweisen, dass hier Leben existiert.
Und umgekehrt heißt das: Wir können Leben auf anderen Planeten finden, wenn wir in der Lage sind, das von ihnen reflektierte Licht ausreichend genau zu analysieren. Das, was ich vorhin beschrieben habe ist ein sogenannter "Biomarker" bzw. eine "Biosignatur". Also ein Effekt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Anwesenheit von Leben zurück zu führen ist. Davon gibt es einige: Methan zum Beispiel. In der Atmosphäre der Erde finden wir jede Menge Methan. Ein großer Teil davon kommt von Lebewesen; zum Beispiel von Kühen, die es wahlweise an ihrem vorderen oder hinteren Ende in die Luft entlassen. Genau genommen wird es aber nicht von den Kühen selbst produziert sondern vom Stoffwechsel der Mikroorganismen die in ihren Därmen leben. Und diese Mikroorganismen kriegen das genau so gut ohne Kühe hin. Methan ist ein Molekül, dass nicht für lange Zeit stabil ist. Nach ein paar Jahren bis Jahrzehnten wird es von der Sonnenstrahlung in seine Bestandteile aufgespalten. Wir sehen es deswegen in den vergleichsweise großen Mengen in unserer Atmosphäre, weil hier jede Menge Mikroorganismen existieren, die immer wieder neues produzieren.
Mit der Technik der Spektroskopie können wir auch nachweisen, ob sich in der Atmosphäre eines anderen Planeten Methan befindet. Das wäre ein Hinweis auf die Existenz von Leben. Allerdings kein eindeutiger Hinweis; denn es gibt auch geologische und chemische Prozesse, die ganz ohne die Anwesenheit von Leben Methan erzeugen. Auf dem Mars etwa haben wir Methan gemessen - wissen aber immer noch nicht, ob es dort von schnöder Geologie oder doch irgendwelchen im Marsboden lebenden Mikroorganismen erzeugt wird. Dazu müssten wir genauer nachsehen, was in dem Fall heißt, dass wir dort hinfliegen und vor Ort forschen müssen.
Das geht beim Mars, nicht aber bei den Planeten anderer Sterne. Dort können Biosignaturen wie die Anwesenheit von Methan immer nur Indizen sein, aber keine Beweise. Auch Sauerstoff ist ein Biomarker: Die große Menge dieses Elements in der Erdatmosphäre wird durch die Lebewesen erzeugt. Würde das Leben verschwinden, würde auch der Sauerstoffanteil deutlich sinken, genau so wie er erst entstanden ist, als Lebewesen darauf gekommen sind, wie sie Sauerstoff als Stoffwechselprodukt erzeugen können.
Kein einzelner Biomarker kann eindeutig die Existenz von Leben nachweisen. Aber sollten wir mal einen Planeten finden, auf dem wir eine ganze Reihe unterschiedlicher Biosignaturen entdecken, wäre das schon eine ziemlich spannende und deutliche Sache. Das wird aber noch ein wenig dauern. Bis jetzt haben wir nur eine Handvoll Planeten direkt beobachtet und das waren alles Spezialfälle wo die Planeten sehr groß, sehr heiß oder sehr weit von ihrem Stern entfernt waren. Auf jeden Fall aber Planeten auf denen Leben wie wir es verstehen nicht existieren kann. "Normale" Planeten, also von der Größe der Erde, in einem vernünftigen Abstand zu ihren Stern liegen derzeit noch außerhalb der technischen Reichweite unserer Teleskope. Aber das kann und wird sich ändern. Dann können wir mehr Planeten direkt beobachten als heute und schauen, was es da zu entdecken gibt.
Natürlich basieren die Biosignaturen darauf, dass anderswo Leben existiert, dass so funktioniert wie das Leben hier auf der Erde, zumindest im Prinzip. Das muss natürlich nicht so sein, das weiß auch die Astronomie. Aber wir wissen noch nicht genau genug, wie Leben ANDERS funktionieren kann. Wir wissen ja nicht einmal, warum das Leben auf der Erde so entstanden ist, wie es entstanden ist. Daher wissen wir auch nicht, welche Biosignaturen so ein potenzielles anderes Leben erzeugen würde. Und wir können nicht nach etwas suchen, von dem wir nicht wissen, wie wir es bemerken sollen, wenn wir es gefunden haben. Also müssen wir uns zwangsläufig darauf beschränken, nach der Art von Leben zu suchen, das wir verstehen.
Aber wenn es diese Art von Leben irgendwo da draußen gibt, dann stehen die Chancen gut, dass wir es auch finden werden.
Ein Podcast Award für die Sternengeschichten
Das ist keine Sternengeschichten-Folge. Da ist ja gerade erst eine Folge über die Astronomin Waltraut Seitter erschienen und nächsten Freitag wird es wieder, wie seit fast 10 Jahren, eine neue Folge mit einer Geschichte aus dem Universum geben. Heute möchte ich wieder einmal direkt zu allen Hörerinnen und Hörern sprechen. Das habe ich ja schon seit ein paar Jahren nicht mehr gemacht. Aber es gibt wieder ein paar Sachen, um die euch bitten beziehungsweise auf die ich euch hinweisen möchte.
Keine Sorge, ich mach weiterhin keine Werbung im Podcast und Hinweisfolgen wie diese hier werden weiterhin die Ausnahme bleiben.
Was also gibt es, das ich euch sagen will. Zuerst einmal, dass die Sternengeschichten für einen Podcast-Award nominiert worden sind. Es ist der k.at-Award der österreichischen Tageszeitung "Kurier". Ich bin dort in der Kategorie "Durchblicker Podcast" nominiert und es wäre cool, wenn ich zur Abwechslung mal einen Preis gewinnen würde. Ich mache die Sternengeschichten natürlich nicht, um reich und berühmt zu werden und Preise zu gewinnen. Aber nächstes Jahr werden die Sternengeschichten ihr 10jähriges Jubiläum feiern und auch die 500te Folge wird veröffentlicht werden. Und es wäre irgendwie ganz schön, wenn der Podcast mit einem Award in das Jubiläumsjahr starten würde.
Der Award wird von einer Jury vergeben, 2/3 der Wertung kommen aber durch ein Online-Voting zustande. Darauf hoffe ich; es ist nicht leicht, mit Astronomie irgendwo was zu gewinnen, aber ich weiß, dass die Sternengeschichten von vielen Menschen gehört werden und vielleicht wollt ihr ja für mich abstimmen. Das geht unter der Internetadresse k.at, dort findet man schnell den Link zum Voting (und den kompletten Link dazu gibt es natürlich in den Shownotes - hier ist er). Das Voting ist leider ein bisschen komisch; man muss den Adblocker im Browser deaktiviert haben um es zu sehen und man muss in allen Kategorien abstimmen, damit die Wertung angenommen wird. Was ein wenig unpraktisch ist, wenn man keine Podcasts aus den anderen Kategorien kennen sollte. Aber wenn ihr abstimmen wollt, dann könnt ihr das dafür bis zu 5 mal pro Tag machen und noch bis zum 26. Oktober 2021.
Ich würde mich jedenfalls freuen.
Und wenn ich schon einmal dabei bin, dann möchte ich euch auch noch auf andere Podcast-Projekte von mir hinweisen, die in letzter Zeit dazu gekommen sind. Vom Podcast "Das Universum", den ich gemeinsam mit meiner Astronomie-Kollegin Ruth Grützbauch betreibe, habe ich euch ja schon früher mal erzählt. Der erscheint alle zwei Wochen und wir reden darin über aktuelle astronomische Forschung, berichten von dem, was bei einem Astronomiestudium so passiert und beantworten Fragen aus der Hörerschaft.
Seit August gibt es aber auch den Podcast "Das Klima". Darin rede ich mit der Meteorologin Claudi Frick über - wenig überraschend - das Klima. Das ist - auch wenig überraschend - ein sehr wichtiges Thema und relevant für uns alle. Und wird auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten relevant sein. Es lohnt sich, darüber informiert zu sein und zum Glück gibt es dazu sehr, sehr viel Information. Alle paar Jahre setzen sich hunderte Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt zusammen und sammeln alles, was an Forschung über das Klima und die Klimakrise vorhanden ist um es in einem sogenannten "Sachstandsbericht" zusammenzufassen. Das ist alles drin, was man über das Klima weiß und das ist gut, aber auch ein wenig schwierig, weil es eben ALLES ist. Diese Berichte haben mehrere tausend Seiten und sind keine leichte Lektüre. Der aktuellste Sachstandsbericht ist im Sommer erschienen und Claudia und ich arbeiten uns da Kapitel für Kapitel durch und erzählen im Podcast, was da drin steht, aber so, dass man auch dann verstehen kann, worum es geht, wenn man nicht Klimaforschung studiert hat.
Und dann möchte ich euch noch auf ein Buch hinweise, dass ich geschrieben habe. Gemeinsam mit dem Biologen Helmut Jungwirth, und es heißt "Eine Geschichte der Welt in 100 Mikroorganismen". Wer mein vorheriges Buch "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" kennt, kann sich ungefähr vorstellen, wie es aufgebaut ist. Mikroorganismen sind nicht nur fiese Bakterien und Viren, die uns krank machen. Das tun sie zwar auch, aber sie sind viel wichtiger; sie bestimmen so gut wie alles auf diesem Planeten. Ohne Mikroorganismen gäbe es keine Schokolade, kein Bier; sie haben uns den Feiertag Fronleichnam beschert; sie beeinflussen den Wintertourismus, die Kunst, Kultur und die Religion. Und natürlich gibt es auch aus astronomischer Sicht einiges dazu zu sagen: Ist das Leben auf der Erde vielleicht mit Mikroorganismen aus dem All gekommen? Können Mikroorganismen außerhalb der Erde überleben und wenn ja, wo? Wenn wir zum Mars reisen und dort leben wollen: Welche Mikroorganismen müssen wir dann mitnehmen und warum müssen wir sie überhaupt mitnehmen? Das Buch gibt es überall wo es Bücher gibt und demnächst wird es dazu auch ein Hörbuch geben.
Und das war es auch schon wieder für diesmal. Es würde mich freuen, wenn ihr beim Voting für meinen Podcast abstimmt. Am allermeisten aber freue ich mich darüber, dass ihr schon so lange den Sternengeschichten zuhört und wir im nächsten Jahr den 10. Geburtstag und die 500. Folge feiern können. Dafür werde ich mir was besonderes überlegen - und mich dann rechtzeitig bei euch melden. Bis dahin noch viel Spaß mit den kommenden Sternengeschichten!
Sternengeschichten Folge 463: Waltraut Seitter: Die erste Astronomin Deutschlands und die Expansion des Universums
Waltraut Seitter war die erste Astronomin Deutschlands. Und bevor sich jemand beschwert: Das ist natürlich falsch. Es hat immer schon Frauen gegeben, die sich mit Astronomie beschäftigt haben, schon lange bevor es so etwas wie Deutschland gab und ich habe in den vergangenen Folgen der Sternengeschichten auch immer wieder von ihrem Leben und ihrer Forschung erzählt. Es gab auch in Deutschland Astronominnen, lange bevor Waltraut Seitter am 13. Januar 1930 in Zwickau geboren wurde. Aber in einer ganz konkreten Hinsicht war Waltraut Seitter tatsächlich die erste Astronomin Deutschlands und ganz unabhängig davon lohnt es sich, auf ihr Leben in der Astronomie zu schauen.
Waltraut Carola Seitter wurde in Zwickau geboren, zur Schule ging sie aber in Köln. Dort hat sie unter anderem als Straßenbahnschaffnerin gearbeitet und als technische Zeichnerin; vermutlich inspiriert von der Arbeit ihres Vaters, der Ingenieur bei den Horch-Werken war, einem Autohersteller, der später dann als "Audi" bekannt geworden ist. Nach ihrem Abitur im Jahr 1949 begann sie ebenfalls in Köln ein Studium der Physik, Mathematik, Chemie und Astronomie. Ein paar Jahre später führte sie ihr Studium in Massachusetts fort, dass sie dort auch 1955 beendete und am Smith College in Northampton als Dozentin für Astronomie arbeitete. Dann ging es wieder zurück nach Deutschland, nämlich ans Observatorium Hoher List der Universität Bonn. Dort beendete sie auch ihre Doktorarbeit und zwar im Jahr 1962. Es folgten ein paar Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn und eine Gastprofessur an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Danach wurde sie Professorin am Smith College, wo sie schon während ihrer Studienzeit gelernt und gearbeitet hatte. 1975 kehrte sie ein weiteres Mal zurück nach Deutschland, diesmal um eine Stelle als Professorin des Astronomischen Instituts der Universität Münster anzunehmen, wo sie auch Direktorin wurde.
So weit klingt das alles nach einer normalen, erfolgreichen Karriere in der Astronomie. Was ja auch stimmt - mit einer Ausnahme. Ganz und gar nicht normal an Waltraut Seitters Lebenslauf war die Tatsache, dass es bis 1975 keine Frau in Deutschland gab, die einen Lehrstuhl für Astronomie besetzte. Seitter war die erste Professorin für Astronomie Deutschlands. Es ist ein wenig peinlich, dass es bis in die Mitte der 1970er Jahre gedauert hat, bevor man einer Frau so eine Stellung zugestanden hat. Aber immerhin HAT Seitter ihre Professur bekommen und das alles andere als unverdient.
Zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere beschäftigte sich Seitter vor allem mit den spektroskopischen Eigenschaften der Sterne, also der Analyse ihres Lichts, aus dem sich zum Beispiel herausfinden lässt, aus was so ein Stern besteht, wie weit er entfernt ist oder wie schnell er sich bewegt. Ziemlich bald verlagerte sich ihr Forschungsschwerpunkt aber auf Novae, Supernovae und andere Arten eruptiver Sterne. Das sind alle Arten von astronomischen Phänomenen, bei denen ein Stern seine Helligkeit in kurzer Zeit sehr dramatisch ändert. Der bekannteste Fall ist sicherlich die Supernova: Hier explodiert ein großer Stern am Ende seines Lebens und leuchtet für kurze Zeit dabei so hell wie all die Milliarden Sterne einer Galaxie zusammen. Eine Nova ist, wie der Name andeutet, so ähnlich, nur nicht so super. Dafür braucht man zwei Sterne, einen kleinen Stern, der sein Leben schon beendet hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Dem also das passiert ist, was unserer Sonne in ein paar Milliarden Jahren passieren wird. Wenn die Sonne den Brennstoff in ihrem Inneren verbraucht hat und die Kernfusion dort langsam zum Erliegen kommt, wird sie zuerst ihre äußeren Atmosphärenschichten ins All hinaus pusten. Zurück bleibt der innere Rest, eine Kugel aus extrem verdichteten Gas, so groß wie die Erde. Das ist ein weißer Zwerg und dort findet keine Kernfusion mehr statt. Es sei denn, es handelt sich um ein Doppelsternsystem. Dann gibt es in seiner Nähe noch einen zweiten Stern und wenn die beiden sich wirklich nahe sind, kann Material von diesem Stern auf den weißen Zwerg fallen. Das kann ausreichen, damit dort plötzlich wieder Kernfusion einsetzt. Der weiße Zwerg leuchtet ebenso plötzlich hell auf und wird zur Nova. Je nachdem wie das genau abläuft, kann dieses Aufleuchten unregelmäßig oder regelmäßig stattfinden.
Novae und Supernovae sind für sich genommen schon sehr spannende Phänomene und sie verraten uns viel darüber, wie Sterne funktionieren. Sie sind aber auch interessant, wenn man mehr über das ferne Universum wissen will. In anderen Galaxien kann man keine Einzelsterne mehr beobachten; dafür sind sie zu weit weg. Aber wenn es dort zum Beispiel eine Supernova gibt, ist die so hell, dass man sie auch noch aus großer Entfernung wahrnehmen kann. Und weil man weiß, wie eine Supernova abläuft, kann man auch vorhersagen, wie hell sie eigentlich leuchten sollte. Zumindest gilt das für bestimmte Arten von Supernova-Explosionen, die aus immer den gleichen Gründen auf immer die gleiche Art stattfinden und damit auch immer die gleiche Leuchtkraft haben. Der einzige aus der Ferne wahrnehmbare Unterschied ist die Helligkeit, die wir von der Erde aus sehen und dieser Unterschied hat seine Ursache im Abstand. Je weiter weg die Supernova und damit die Galaxie, desto schwächer können wir sie beobachten. Anders gesagt: Die Beobachtung von Supernovae kann man zur Distanzbestimmung verwenden. Nutzt man dann die Technik der Spektroskopie, analysiert also die Zusammensetzung des Lichts der Supernova, kann man daraus auch die Geschwindigkeit messen, mit der sich die Supernova und die Galaxie in Bezug auf uns bewegen.
Das ist tatsächlich fundamentaler, als es auf den ersten Blick aussieht. Wir wissen ja seit den 1920er Jahren, dass sich das Universum ausdehnt. Darüber habe ich ja schon in den Folge 249 und 250 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen. Da sich wegen dieser Expansion, auf großen Maßstäben, alles von allem entfernt, können wir beobachten, wie sich ferne Galaxien umso schneller von uns fortbewegen, je weiter sie entfernt sind. So weit, so gut - aber man muss auch noch berücksichtigen, dass die Astronomie in der einmaligen Lage ist, in die Vergangenheit zu blicken. Licht braucht Zeit, um die gigantischen Entfernungen im Kosmos zu überbrücken. Licht ferner Galaxien kann Milliarden Jahre zu uns unterwegs sein und wenn wir es dann hier im Teleskop auffangen, sehen wir die Galaxie so, wie so vor Milliarden Jahren ausgesehen hat.
Zusammengenommen heißt das: Durch die Beobachtung von Supernova-Explosionen in fernen Galaxien können wir erstens bestimmen, wie weit diese Galaxien genau von uns entfernt sind. Wir können zweitens herausfinden, wie schnell sie sich von uns entfernen. Und weil das Licht unterschiedlich weit entfernter Galaxien unterschiedlich lange zu uns unterwegs ist, können wir schließlich drittens bestimmen, wie schnell sich Galaxien zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Vergangenheit voneinander entfernt haben.
Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist das alles sehr knifflig zu beobachten. Aber man WILL es natürlich beobachten; es ist ja durchaus relevant zu wissen, wie sich das Universum in der Vergangenheit verhalten hat. Lange Zeit hat man sich das so vorgestellt: Mit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren hat das Universum angefangen, sich auszudehnen. Die Expansion des Raums treibt die Galaxien voneinander fort. Gleichzeitig wirkt aber zwischen den Galaxien auch die anziehende Gravitationskraft. Die Expansion schiebt die Galaxien auseinander, die Gravitationskraft wirkt dieser Expansion aber entgegen und bremst sie ein bisschen. Die Expansion des Kosmos sollte also seit dem Urknall immer langsamer geworden sein und je nachddem wie viel Materie insgesamt im Universum vorhanden ist und wie stark daher die Gravitationskraft ist, die sie ausüben kann, kann die Expansion vielleicht irgendwann komplett zum Stillstand kommen.
Schauen wir wieder zurück zu Waltraut Seitter. In den 1980er Jahren rief sie das "Münster Redshift Project" ins Leben. Über Jahre hinweg untersuchte ein ganzes Team von Astronominnen und Astronomen die großräumige Verteilung von Galaxien im Universum, bestimmte Abstände und Geschwindigkeiten. Aus der Arbeit an diesem Projekt entstanden Dutzende Forschungsartikel, es gab internationale Konferenzen dazu und 1998 veröffentlichte Waltraut Seitter gemeinsam mit ihrem Kollegen Peter Schuecker eine Arbeit mit dem Titel "Die Abbremsung der kosmischen Expansion". Um zu verstehen, was daran so besonders ist, müssen wir kurz noch einen Blick auf den sogenannten "Deceleration parameter" werfen, den "Abbremsungsparameter". Das ist eine in der Kosmologie verwendete Maßzahl, die vom "Skalenfaktor" abhängt. Ohne zu sehr in die mathematischen Details zu gehen, beschreibt man damit die relative Ausdehnung des Universums. Wenn man die Entfernung zwischen zwei Galaxien zu einem bestimmten Zeitpunkt misst und das mit der Entfernung zu einem fixen Referenzzeitpunkt vergleicht, ist das Verhältnis dieser beiden Entfernungen gerade der Skalenfaktor. Wenn sich die Ausdehnungsrate des Universums verändert, dann ändert sich auch der Skalenfaktor und diese Änderung wird durch den Abbremsungsparameter beschrieben.
Der Deceleration Parameter beschreibt also, mit welcher Rate die Expansion des Universums im Laufe der Zeit langsamer oder schneller wird. Obwohl der Name "Abbremsungsparameter" ja schon zeigt, dass man allgemein davon überzeugt war, dass es langsamer werden sollte. Nun. Seitter und Schuecker haben sich die Daten aus dem Münster Redshift Project sehr genau angesehen und probiert, daraus einen Wert für den - zu der Zeit - noch nicht konkret gemessenen Abbremsungsparameter zu berechnen. Man ging davon aus, dass der Wert irgendwo zwischen 0,5 und 0,1 liegen sollte; je nachdem wie viel Materie tatsächlich insgesamt im Universum vorhanden ist. Aber er sollte auf jeden Fall größer als Null sein, denn genau das wäre von einem Universum zu erwarten, dass im Laufe der Zeit immer langsamer expandiert.
Das war auch ungefähr das Ergebnis, zu dem Seitter kam. Am Ende ihres Artikels wird festgestellt: Folgt man den Annahmen über die Verteilung von Galaxien im Universum, die damalige Modelle liefern, dann kriegt man aus den Beobachtungsdaten einen Wert von 0,1. Nimmt man aber nur die reinen Beobachtungen, dann scheint der Wert kleiner als 0,1 zu sein, schreiben Seitter und Schuecker. Und je nachdem mit welchen Methoden sie ihre Daten auswerteten, gab es sogar manchmal Werte des Parameters, die kleiner als Null waren. Das schrieben Seitter und Schuecker aber formalen Aspekten ihrer mathematischen Methoden zu und betrachteten es nicht als realen Effekt. Trotzdem beenden sie ihren Artikel mit der Aussage, dass ihre Beobachtungsdaten nicht mit bestimmten Standardmodellen der Kosmologie übereinstimmen.
Nur ein paar Monate nachdem Seitter und Schuecker diese Arbeit veröffentlicht hatten, gab es eine der größten Entdeckungen, die in der Astronomie bis dahin stattgefunden hatten. Zwei internationale Forschungsteams hatten unabhängig voneinander ebenfalls Supernova-Explosionen in fernen Galaxien beobachtet. Mit Methoden, die sehr viel genauere Aussagen zuließen als die in der Arbeit von Seitter und Schuecker. Das Resultat war bei beiden Gruppen gleich und gleichermaßen unerwartet: Der Abbremsungsparameter war eindeutig negativ. Oder anders gesagt: Die Expansion des Universums wird gar nicht langsamer, sondern schneller! Es dehnt sich immer schneller aus und niemand weiß, warum das so ist. Es muss etwas im Kosmos geben, eine Kraft, eine Energie oder sonst irgendwas, die für diese beschleunigte Expansion sorgt. Wir haben diesem unbekannten Phänomen den Namen "dunkle Energie" gegeben, wissen aber immer noch nicht so genau, worum es sich dabei handelt.
Waltraut Seitter hat die dunkle Energie nicht entdeckt. Aber ihre Arbeit hat die Grundlage dafür gelegt und sie hat die ersten, zarten Hinweise auf dieses rätselhafte Phänomen der beschleunigten Expansion geliefert. Die erste Astronomin Deutschlands starb am 15. November 2007. Vier Jahre später wurden die Entdecker der dunklen Energie mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Vermutlich hätte sie sich darüber gefreut.
Sternengeschichten Folge 462: Die Wega
Dass es da draußen am Himmel mehr als genug Sterne gibt, sollte alle Hörerinnen und Hörer mittlerweile wissen. Ebenso wie die Tatsache, dass man eigentlich über jeden Stern eine spannende Geschichte erzählen kann. Es gibt aber Sterne, die für uns Menschen und auch für die Wissenschaft eine besondere Rolle einnehmen. Dazu gehört natürlich die Sonne, aber dass muss man eigentlich nicht mehr extra erwähnen.
Man kann darüber streiten, welcher Stern nach der Sonne der für uns wichtigste Stern ist. Aber auf einer entsprechenden Liste mit Kandidaten müsste man auf jeden Fall auch die Wega listen. Dieser Stern gehört zu denen, der von der Wissenschaft am intensivsten untersucht worden ist und der auch in den Mythen der Menschheit eine prominente Rolle gespielt hat.
Fangen wir also mal mit den Grundlagen an. Die Wega findet man im Sternbild Leier. Und man findet sie dort ziemlich leicht, denn sie ist dort der hellste Stern. Es sind überhaupt nur vier andere Sterne des Nachthimmels heller als die Wega und ihre Helligkeit wird uns später noch beschäftigen.
Die Wega ist uns vergleichsweise nahe, der Abstand zur Sonne beträgt nur 25 Lichtjahre. ES handelt sich um einen jungen Stern, der ein paar hundert Millionen Jahre alt ist - so genau lässt sich das nicht sagen - aber auf jeden Fall nicht älter als eine halbe Milliarde Jahre. Wega hat eine mehr als doppelt so große Masse wie die Sonne und die fast 40fache Leuchtkraft unseres Sterns. Als großer, junger Stern ist die Wega auch sehr viel heißer als die Sonne und leuchtet bläulich weiß.
So weit die nackten Fakten - aber schon lange bevor wir dieses astronomische Wissen hatten, hat der Stern die Fantasie der Menschen angeregt. Der Name kommt - wie so oft bei den Sternen - aus dem arabischen und leitet sich von "an-nasr al-wāqi" ab, was so viel wie "herabstoßender" bedeutet und das, was da herabstößt, ist ein Adler. In der heutigen Einteilung der Sternbilder hat die Wega in der Leier aber nur indirekt mit dem Adler zu tun. Die Wega bildet nämlich zusammen mit Altair, dem hellsten Stern im Sternbild Adler und Deneb, dem hellsten Stern im Schwan das sogenannte "Sommerdreieck". Altair und Deneb sind ebenfalls sehr helle und markante Sterne und bilden zusammen mit Wega, mit man am Namen ja auch erkennen kann, am Sommerhimmel ein sehr gut zu erkennendes Dreieck.
Im alten Ägypten und in Indien wurden Wega und die Sterne in der Umgebung als Raubvogel betrachtet und über die arabische Astronomie kam der Name dann auch nach Europa. Die schönste Geschichte über die Wega kommt aber aus dem asiatischen Raum. Es gibt viele Variationen, aber meine Lieblingsversion ist die vom Kuhhirten und der Weberin. Orihime war die Tochter des Himmelsgottes und hat immer ordentlich und brav ihren Job als Weberin erledigt. Damit sie vor lauter Arbeit aber auch noch was anderes tut, hat ihr Vater sie mit Hikoboshi verkuppelt, einem Rinderhirten. Wie das so ist in Mythen und Geschichten haben sich die beiden sofort massiv ineinander verliebt. So sehr, dass sie - nicht überraschend bei jungen und verliebten Menschen - ihre Arbeit vernachlässigt haben. Es wurde keine Kleidung mehr für den Himmelsgott gewebt und niemand hat sich um die Rinder gekümmert. Der Himmelsgott war nicht mehr so begeistert von seiner Entscheidung die beiden zu verkuppeln und hat sie auf unterschiedliche Seiten des großen Himmelsflusses verbannt. Hat aber nichts geholfen, denn jetzt waren beide zu traurig, um ihre Arbeit zu machen. Also dürfen sich die beiden zumindest einmal im Jahr treffen, am 7. Tag des 7. Monates eines jeden Jahres. Allerdings nur, wenn es an diesem Tag nicht regnet, da sonst der Himmelsfluss zu breit wird, um überquert zu werden.
Am Himmel wird Orihime durch den Stern Wega symbolisiert und Hikoboshi durch Altair. Wenn der Himmel klar ist, kann man auch den Himmelsfluss zwischen den beiden erkennen, der natürlich von der Milchstraße dargestellt wird. Und am 7. Tag des 7. Monats, also im Juli, kann man beide Sterne hoch am Himmel stehen sehen. Und sogar das Happy-End kann man sehen. Denn natürlich kann die Liebe nicht einfach vom Wetter abhängen! Was tun also Orihime und Hikoboshi, wenn zu viel Wasser im Himmelsfluss ist und sich nicht treffen können? Dann kommt ein Schwarm hilfreicher Elstern und bildet eine Brücke. Und wenn man sich die Milchstraße zwischen den beiden Sternen ganz genau ansieht, dann erkennt man dort eine dunklen Bereich. Das ist die Elsternbrücke des Mythos und in der Realität eine riesige Staubwolke, die das Licht der hellen Sterne in der Milchstraße verdeckt.
Die Geschichte von Orihime und Hikoboshi wird auch heute noch jedes Jahr in Japan beim Tanabata-Fest gefeiert. Man könnte noch viel mehr Mythen über Wega erzählen. Aber die Wissenschaft hat im Laufe der Zeit ihre eigenen Geschichten über Wega erzählt. Ein heller Stern wie die Wega hat die Astronomie natürlich immer schon interessiert. Und am 17. Juli 1850 wurde die Wega zum ersten Stern - nach der Sonne natürlich - der fotografiert wurden ist und zwar von den Astronomen William Bond und John Adams Whipple an der Sternwarte des Harvard College. 1872 hat Henry Draper das erste Sternspektrum mit dem Licht von Wega aufgenommen. Die Spektroskopie ist im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Instrument der Astronomie geworden: Spaltet man das Licht in seine Bestandteile auf, erhält man nicht nur den üblichen Regenbogen aus Farben, sondern sieht darin auch dunkle Bereiche. Sie entstehen, wenn das Licht auf seinem Weg aus dem Inneren des Sterns durch seine äußeren Schichten auf die dort befindlichen Atome trifft. Jedes chemische Element blockiert einen ganz charakteristischen Bereich des Lichts und dort sieht man dann eine dunkle Linie im Regenbogen. Viel wichtiger aber: Man kann damit herausfinden, woraus die Sterne bestehen und wenn man die Spektren unterschiedlicher Sterne vergleicht, kann man sie klassifizieren und in Gruppen einteilen. Für jede Einteilung braucht man aber mindestens einen Referenzpunkt und für die Spektralklassifikation wurde das die Wega.
Die Wega hat sich überhaupt als sehr praktischer Referenzsstern erwiesen. Ihre Helligkeit beträgt ziemlich genau 0 Magnituden. Das ist diese etwas gewöhnungsbedürftige Helligkeitsklassifikation in der Astronomie, über die ich ja schon früher gesprochen habe. Im antiken Griechenland hat man die hellsten Sterne am Himmel zur "0ten Größenklasse" gezählt und die, die gerade noch so zu sehen waren, zur "6ten Größenklasse". Diese Einteilung hat man später dann auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt und wir verwenden sie noch heute. Und auch da braucht man irgendwas, mit dem man die Helligkeiten vergleichen kann, und weil die Wega mit ihrer Helligkeit nahe an der 0ten Größenklasse liegt, wurde sie auch dafür zum Referenzstern. Ebenso wie bei der Einteilung der Sternfarben, wo man einen Stern als Referenz braucht, der möglichst weiß leuchtet, was bei der Wega der Fall ist.
In anderer Hinsicht hat sich die Wega aber als ganz und gar nicht normal erwiesen. Diese spannende Geschichte fängt 1983 an, als das Weltraumteleskop IRAS auf seine Mission geschickt wurde. Es sollte - erstmals - den gesamten Himmel im Infrarotlicht katalogisiert werden. Dabei hat IRAS natürlich auch Wega im Blick gehabt und dort etwas entdeckt, was man mit dem wenig spannenden Wort "Infrarotexzess" bezeichnet. Anders gesagt: Man hat bei Wega mehr Infrarotlicht gemessen, also von dort eigentlich kommen sollte. Man kann ziemlich genau sagen, wie viel Licht bei einer bestimmten Wellenlänge ein Stern mit einer bestimmten Temperatur aussendet. Und Wega hat mehr Infrarotlicht ins All geschickt, als bei einem Stern dieser Temperatur zu erwarten war. Die Ursache: Staub! Wega ist von einer Scheibe aus Staub umgeben. Dieser Staub wird vom Licht des Sterns aufgeheizt und gibt die Wärme in Form von Infrarotlicht wieder ab. Das kommt zum normalen Infrarotlicht des Sterns dazu und deswegen sieht man dort einen Infrarotexzess.
Es war das erste mal, dass man so etwas bei einem Stern beobachtet hat. Und das war durchaus eine Sensation. Denn der Staub muss irgendwo her kommen. Ein sehr, sehr junger Stern kann durchaus von sehr viel Staub umgeben sein; das ist der Staub, der noch von der Entstehung des Sterns übrig ist und aus dem später Planeten entstehen. Wega ist zwar noch jung, aber schon zu alt für diese Art von Staub. Das, was man bei Wega sieht, ist eine "Trümmerscheibe". Also Staub, der entsteht, weil dort schon größere Himmelskörper - mindestens Asteroidengroß - miteinander kollidieren und Staub produzieren.
Das klingt jetzt nicht so spektakulär. Aber 1983 hatte man noch keine Planeten anderer Sterne entdeckt. Man wusste nicht, ob anderswo überhaupt Planeten entstehen können. Es wäre zwar unwahrscheinlich, wenn die Sonne der einzige Stern mit Planeten wäre - aber solange man anderswo nichts findet, eben auch nicht unmöglich. Der Staub bei Wega war nun zwar kein Planet. Aber auf jeden Fall ein deutliches Anzeichen, dass dort genau die Prozesse ablaufen, die ablaufen müssen, damit Planeten entstehen. Denn wenn sich aus dem ursprünglichen Staub um einen Stern herum schon Asteroiden gebildet haben, die bei durch ihre Kollisionen eine Trümmerscheibe erzeugen, dann ist das genau das, was auch auch vor 4,5 Milliarden Jahren im Sonnensystem passiert ist.
Wega war also der erste ganz konkrete Hinweis darauf, dass auch anderswo im Universum Planeten entstehen und damit auch zu finden sein müssen. Was ja dann auch 1995 passiert ist - allerdings nicht bei Wega. Dort haben wir im Laufe der Zeit zwar immer mehr Hinweise auf die Existenz von Planeten gefunden. Die Staubscheibe ist klumpig und schief, irgendwas muss also dafür sorgen, dass der Staub dort ungleichmäßig verteilt ist und die Gravitationskraft eines dort rumschwirrenden Planeten könnte genau diese Ursache sein. Aber nachweisen konnten wir so einen Planeten noch nicht.
Wir haben die Wega so ausführlich untersucht wie kaum einen anderen Stern. Aber längst noch nicht alle ihre Geschichten entdeckt.
Sternengeschichten Folge 461: Antisterne
Heute gibt es eine Anti-Sternengeschichte. In der es dann logischerweise um Antisterne geht. Das sind keine Sterne, die irgendwie gegen alles sind; auch keine Sterne, die dunkles "Antilicht" ausschicken. Es sind Sterne, die nicht aus Materie bestehen, sondern aus Antimaterie. Beziehungsweise sind sie genau das, sofern es sie gibt. Das wissen wir nämlich noch nicht. Aber es wäre nicht unmöglich. Und wenn es sie tatsächlich geben sollte, könnten sie die Antwort auf eines der größten ungelösten Rätsel der Wissenschaft geben.
Die Frage lautet: Warum gibt es etwas? Und bevor jemand das falsch versteht: Damit ist nicht gemeint "Warum gibt es das Universum?". Obwohl das natürlich auch eine große, unbeantwortete Frage ist. Aber die Frage um die es geht, setzt kurz nach der Entstehung des Universums an. Beim Urknall entstand aus sehr, sehr viel Energie sehr, sehr viel Materie. WARUM der Urknall passiert ist, wie gesagt, eine andere Frage. Aber wenn wir sein Stattfinden mal voraussetzen, dann wissen wir aus den uns bekannten Naturgesetzen, dass Materie und Energie erstens ja quasi das gleiche sind; nichts anderes besagt ja die berühmte Formel von Albert Einstein: E=mc². Energie ist Masse und der Umrechnungskurs zwischen beiden ist das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Daraus folgt also, dass es kein Problem ist, aus Energie Materie zu kriegen. Zweitens wissen wir aber auch, dass die Materie auf diese Weise immer paarweise entsteht. Wir kriegen ein Teilchen und ein dazu passendes Anti-Teilchen.
Was Antimaterie ist, habe ich in Folge 311 ja schon einmal erzählt. Es klingt immer ein bisschen geheimnisvoll, mysteriös und nach Science-Fiction. Ist aber völlig real und gar nicht so dramatisch anders. Antimaterie ist einfach nur Materie mit einer anderen elektrischen Ladung. Das Elektron zum Beispiel ist ein Elementarteilchen, das elektrisch negativ geladen ist. Und ein Anti-Elektron ist dann - vereinfacht gesagt - genau das gleiche Teilchen, nur elektrisch positiv geladen. In der Realität ist es ein wenig komplizierter, da muss man auch noch ein paar schwer zu veranschaulichende Quanteneigenschaften der Teilchen berücksichtigen. Aber im Prinzip ist ein Anti-Elektron nicht viel anders als ein Elektron; nur eben elektrisch entgegengesetzt geladen.
Das gilt auch für andere Teilchen: Ein Proton, also eines der beiden Teilchen aus denen ein Atomkern aufgebaut ist, ist elektrisch positiv geladen. Ein Anti-Proton ist negativ geladen. Obwohl man hier eigentlich ein wenig genauer sein muss. Das Proton ist ja kein Elementarteilchen, es ist aus drei Quarks zusammengesetzt. Aus einem "Down-Quark" und zwei "Up-Quarks". Auch die Quarks haben eine elektrische Ladung; das up-Quark eine positive Ladung, das Down-Quark eine negative. Die sind aber nicht gleich groß, deswegen kriegt man aus den drei Quarks am Ende eine positive Ladung raus, die das Proton hat. Und natürlich gibt es auch Anti-Quarks mit entsprechend entgegengesetzten Ladungen. Nehmen wir jetzt also nicht ein Down- und zwei Up-Quarks, sondern ein Anti-Down- und zwei Anti-Up-Quarks, kriegen wir ein Anti-Proton.
Das ist deswegen wichtig, weil es im Atomkern ja auch noch die Neutronen gibt. Die heißen so, weil sie elektrisch neutral, also weder positiv, noch negativ geladen sind. Jetzt könnte man meinen, dass es deswegen keine Anti-Neutronen geben könnte. Denn wie soll die entgegengesetzte Ladung eines neutralen Teilchens aussehen? Aber auch das Neutron ist aus Quarks zusammengesetzt. Hier sind es ein Up- und zwei Down-Quarks, deren jeweilige elektrische Ladungen sich gegenseitig gerade aufheben, so dass das Neutron am Ende elektrisch neutral ist. Wenn man nun aber ein Anti-Up- und zwei Anti-Down-Quarks nimmt, heben sich deren Ladungen ebenfalls auf und man kriegt wieder ein elektrisch neutrales Teilchen raus. Das ist dann ein Anti-Neutron, mit der gleichen neutralen Ladung wie das Neutron. Aber zusammengesetzt aus Anti-Quarks und nicht aus Quarks.
Das ist ein wenig verwirrend, aber relevant, wenn zufällig mal ein Neutron auf ein Anti-Neutron treffen sollte. Dann passiert das, was Materie und Antimaterie immer gerne machen, wenn sie sich begegnen. Genau so wie aus Energie ein Teilchenpaar von Materie und Antimaterie entstehen kann, können Materie und Antimaterie gemeinsam den umgekehrten Prozess ablaufen lassen. Das heißt dann "Annihilation" und bedeutet nichts anderes, als dass die beiden Teilchen zusammen ihre Masse wieder in Energie umwandeln können. Oder anders gesagt: Trifft Materie auf Antimaterie, dann werden beide Teilchen zerstört und nur Energie bleibt übrig.
Womit wir wieder bei der Materie kurz nach dem Urknall sind. Die ist jetzt entstanden und aus Symmetriegründen sollte da eigentlich gleich viel Materie wie Antimaterie im Universum vorhanden sein. Sie entstehen ja immer paarweise… und vernichten sich auch paarweise. Was eigentlich unmittelbar danach stattgefunden haben muss. Die gesammte frisch entstandene Materie und Antimaterie muss sich gleich nach ihrer Entstehung wieder gegenseitig ausgelöscht haben. Im Universum dürfte also gar keine Materie existieren; nur Energie. Jetzt wissen wir aber, dass da sehr viel Materie ist. All die Sterne, die Planeten, wir Menschen: Wir sind Materie. Irgendwas muss also damals passiert sein und dazu geführt haben, dass ein wenig Materie übrig geblieben ist. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist eben NICHT gleich viel Materie und Antimaterie entstanden. Wenn die Mengen unterschiedlich waren, konnten sie sich auch nicht komplett auslöschen. Oder aber es gab gleich viel von beidem, Materie und Antimaterie hatten aber zumindest teilweise keine Gelegenheit sich zu treffen. Wenn sich ein Teil der Antimaterie irgendwie isoliert von der Materie befunden hat und auch isoliert geblieben ist, dann konnte auch keine Annihilation stattfinden.
Das hätte aber Konsequenzen. Denn diese Antimaterie kann ja nicht einfach so von selbst verschwinden. Sie muss heute immer noch da sein. Sie kann natürlich nicht einfach so irgendwo in der Gegend rumliegen. Man muss keine Angst haben, im Supermarkt nach einer Konservendose zu greifen, nur um festzustellen, dass es eine Anti-Konserve war, bevor man in einem Lichtblitz verschwindet. Es muss genügend leerer Raum zwischen Materie und Antimaterie sein. Deswegen können wir uns auch ziemlich sicher sein, dass zum Beispiel keine Antimaterie in unserem Sonnensystem vorhanden ist. Würde zum Beispiel der Pluto aus Antimaterie bestehen, hätten wir das schon längst gemerkt. Denn zwischen den Himmelskörpern befindet sich ja jede Menge Staub. Ok, verglichen mit dem Staub auf der Erde ist im All dann doch weniger zu finden. Aber immer noch genug. Immer wieder würde ein Staubteilchen mit dem Anti-Pluto kollidieren und einen Lichtblitz erzeugen. Die Energie würde vor allem in Form von Gammastrahlung frei werden und wir würden sehen, wie der Pluto im Gammalicht leuchtet. Tut er aber nicht; wir haben auch sonst nirgendwo im Sonnensystem seltsame Quellen von Gammastrahlung gefunden.
Aber noch weiter draußen, zwischen den Sternen, ist es vielleicht anders. Sterne sind isoliert voneinander, sie sind durch enorme Distanzen von mehreren Lichtjahren getrennt. Zwischen ihnen ist so viel Platz, dass Kollision extrem unwahrscheinlich sind. So unwahrscheinlich, dass man länger warten müsste als das Universum alt ist, um rein statistisch irgendwann mal zwei davon zusammenstoßen zu sehen. Ein Stern und ein Antistern würden sich also nie begegnen. Und ein Antistern würde aus der Entfernung nicht viel anders aussehen als ein normaler Stern. Er würde aus Antiwasserstoff und Antihelium bestehen. Denn auch das ist natürlich möglich: Wasserstoff besteht aus einem Proton, das von einem Elektron umkreist wird. Lässt man dagegen ein Anti-Proton von einem Anti-Elektron (oder Positron, wie es offiziell heißt) umkreisen, dann funktioniert das genau so. Wir haben solche Anti-Atome sogar schon in Teilchenbeschleunigern künstlich hergestellt. Nur in extrem winzigen Mengen, ein paar tausend Atome, aber immerhin. Anti-Wasserstoff kann existieren und Anti-Helium ebenso. Das hat einen Kern aus Anti-Protonen und Anti-Neutronen und wird von Positronen in der Atomhülle umkreist. Und nach allem was wir wissen, läuft der Rest ebenso ab. Genau so wie in einem Stern wie der Sonne Wasserstoff zu Helium fusionieren kann und dabei Energie frei wird, würde ein Antistern Antiwasserstoff zu Antihelium fusionieren und - keine Antienergie freisetzen, sondern natürlich ganz normale Energie (Antienergie gibt es nicht).
Ein Antistern leuchtet also theoretisch genau so wie ein normaler Stern. Aber es gibt auch zwischen den Sternen ein wenig Zeug; ein bisschen Staub, ein bisschen Gas. Ab und zu käme also auch ein Antistern in Kontakt mit normaler Materie. Das würde nicht dazu führen, dass er verschwindet. Dafür reicht ein bisschen Staub nicht aus. Aber der Zusammenstoß würde ein wenig Gammastrahlung freisetzen. Und das könnte man im Prinzip beobachten.
Natürlich beobachten wir schon lange Gammastrahlung; die wird ja auch bei jeder Menge anderer kosmischer Prozesse frei. Bei Supernova-Explosionen zum Beispiel oder in der Umgebung schwarzer Löcher. Wir haben Weltraumteleskope im All, die nur nach Gammastrahlungsquellen suchen, zum Beispiel das Fermi-Teleskop. Aber vielleicht ist diesen Teleskopen ja auch unbemerkt der eine oder andere Antistern ins Netz gegangen? Genau das haben französische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Jahr 2021 überprüft. Sie haben alle Quellen durchgeschaut, die Fermi gefunden hat, immerhin 5787. Sie haben alle aussortiert, bei denen man durch andere Beobachtungen schon wusste, worum es sich handelt. Sie haben auch alle Quellen aussortiert, deren Ursprung eine ausgedehnte Region sein muss, also Galaxien, Gaswolken, und so weiter. Übrig blieben also kleine, kompakte Quellen von Gammastrahlung bei denen man nicht weiß, worum es sich handelt. Das muss nicht heißen, dass es Anti-Sterne sind. Aber es könnten Antisterne sein. 14 Stück dieser Antistern-Kandidaten hat man entdeckt. Die Forscherinnen und Forscher sagen selbst, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass es sich um irgendwas anderes handelt; bislang noch unentdeckte Neutronensterne zum Beispiel oder die aktiven Zentren ferner Galaxien. Aber vielleicht sind es ja doch Antisterne. Und wenn das so wäre, kann man aus den Beobachtungen hochrechnen, wie viele insgesamt in der Milchstraße sein müssen: Jeder 400.000te Stern wäre demnach ein Anti-Stern! Das ist eine überraschend große Zahl, wenn man berücksichtigt, dass die Milchstraße aus insgesamt knapp 200 Milliarden Sternen besteht.
Die Suche nach unbekannten Gammastrahlungsquellen reicht natürlich noch lange nicht aus, um die Existenz von Antisternen eindeutig nachzuweisen. Da brauchen wir mehr Daten und vielleicht werden wir einen Anti-Stern nie zweifelsfrei identifizieren können. Vielleicht gibt es sie gar nicht; vielleicht ist der Grund dafür, dass es Materie gibt ja auch wirklich eine noch unbekannte Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie. Die dann dazugeführt hat, dass nach dem Urknall tatsächlich ein wenig mehr Materie da war als Antimaterie. Auch dafür gibt es Hinweise aus Experimenten in der Teilchenphysik. Irgendwas läuft da seltsam mit der Antimaterie; das ist klar. Und irgendwann werden wir rausfinden, was das ist. Dann wissen wir auch, warum es etwas gibt im Universum und nicht einfach nur nichts.
Sternengeschichten Folge 460: Antimaterie-Blitze und außerirdische Gewitter
Ein Gewitter ist ein beeindruckendes Ereignis. Zumindest dann, wenn man es wirklich unmittelbar erlebt. Wer schon einmal Blitz und Donner nicht aus der Ferne und der Sicherheit des eigenen Hauses erlebt hat, sondern in freier Natur und mittendrin; wer die Blitze in nächster Nähe einschlagen sehen und den sofort darauf folgende Donner ohrenbetäubend krachen gehört hat, kann nachvollziehen, wieso die Menschen früher davor ernsthaft Angst gehabt haben. Wieso sie sich in Blitz und Donner das Wirken von Göttern vorgestellt haben. Ein Gewitter ist auch heute noch spektakulär und furchteinflößend; daran ändert auch nichts, dass wir wissen, was da passiert.
Die Details der Entstehung eines Blitzes sind erstaunlich kompliziert. Aber alles fängt mit einer Wolke an. Mit einer Cumulonimbuswolke, auf deutsch: einer Gewitterwolke. Sie kann sich bis zu 10 Kilometer hoch auftürmen, dort oben in der kalten Atmosphäre bilden sich aus den Wassertropfen, die die Wolke bilden, Eiskristalle. Dann braucht es noch starken Wind in der Wolke; Luft muss mit 5 bis 20 Meter pro Sekunde nach oben strömen. Das kann passieren, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch genug ist, und Wasserdampf zu kleinen Wassertropfen kondensiert. Dabei wird Wärme freigesetzt und die Luft in der Wolke wird wärmer, als sie es in dieser Höhe eigentlich sein sollte. Deswegen steigt sie auf, kühlt sich dabei ab und das verstärkt die Kondensation. Dadurch wird noch mehr Wärme frei; die Luft steigt weiter und noch schneller nach oben. Hoch über dem Boden ist es kalt genug, dass die Wassertropfen gefrieren, die Eiskristalle werden immer größer, bis sie schwer genug sind, um trotz der Aufwinde nach unten zu fallen. Die schweren Hagelkörner kollidieren dabei mit den noch leichteren und nach oben strömenden Eiskristallen. Dadurch werden sie elektrisch geladen; das ist genau so, wie wenn man mit einem Stück Fell an einem Luftballon reibt, der dann statisch geladen ist. Durch die Reibung werden Elektronen aus den Atomhüllen der leichten Eiskristalle herausgelöst und an die größeren Hagelkörner abgegeben. Die einen sind nun also elektrisch negativ geladen, die anderen elektrisch positiv. Die einen sinken nach unten, die anderen steigen nach oben. Am Ende findet man oben und unten in der Wolke große Ansammlungen an Teilchen mit unterschiedlicher elektrischer Ladung. Irgendwann kommt es zu einem Ausgleich dieser Ladungen; es fließt ein elektrischer Strom: Genau das ist ein Blitz. Es kann innerhalb der Wolke blitzen, aber auch zwischen Wolke und Boden. Und ist im Detail noch viel komplizierter, als ich das jetzt dargestellt haben.
Auf jeden Fall aber wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie frei. Ein typischer Blitz dauert nur einen Sekundebruchteil; es gab aber auch schon Blitze, die über 10 Sekunden gedauert haben. Im Durchschnitt legt der elektrische Strom eine Strecke von ein paar Kilometern zurück, man hat aber auch welche gemessen, die ein paar hundert Kilometer lang waren. Aber egal wo und wie lange es blitzt: Die Luft wird dabei in unmittelbarer Nähe des Blitzes schlagartig auf bis zu 30.000 Grad Celsius erhitzt. Aufgrund der elektrischen Ladung sind Blitz und die Luft im Blitzkanal von einem Magnetfeld umgeben, dass die Ausdehnung der Luft verhindert. Sie wird also extrem erhitzt und die Luftmoleküle wollen sich dadurch sehr schnell bewegen. Sie können aber wegen des Magnetfeldes nirgendwo hin, das heißt, der Druck steigt enorm an. Wenn der Blitz dann eingeschlagen hat und das Magnetfeld verschwindet, kann sich die Luft endlich ausdehnen, was sie dann auch explosionsartig tut. Das Resultat ist der Donnerknall, der jeden Blitzeinschlag begleitet.
Donner und Blitz begleiten uns Menschen schon von Anfang an. Gewitter gab es schon lange, bevor das erste Leben auf der Erde sich entwickelt hat. Jeden Tag schlagen ein paar Millionen Blitze auf der Erde ein; ein paar 100 pro Sekunde. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt toben ein paar tausend Gewitter irgendwo auf dem Planeten. Die Wissenschaft hat sich schon immer intensiv mit den Gewittern beschäftigt - aber trotz der langen Forschungsgeschichte finden wir immer wieder etwas Neues heraus. Zum Beispiel, dass bei Gewittern Antimaterie erzeugt wird! Das wissen wir dank des Fermi-Gammastrahlenteleskops. Das Ding fliegt durchs Weltall und sucht eigentlich nach Gammablitzen im fernen Universum, zum Beispiel weil irgendwo in einer anderen Galaxie zwei Neutronensterne kollidieren. 2011 hat das Fermi-Weltraumteleskop aber auch Gammastrahlung in der Nähe von Gewitterwolken auf der Erde entdeckt. Das ist überraschend, weil Blitze zwar natürlich leuchten. Auch ein bisschen im hochenergetischen Gammalicht. Darüber hinaus hatte die von Fermi beobachtete Gammastrahlung aber eine ganz bestimmte Energie, nämlich genau die, die frei wird, wenn Elektronen mit ihren Antiteilchen, den Positronen, kollidideren, sich dabei auslöschen und so in reine Energie umwandeln. 2017 haben Forscherinnen und Forscher aus Japan die Sache dann im Detail untersucht. Und festgestellt, was passiert. Zuerst erzeugt die Blitzentladung ein kleines bisschen Gammastrahlung. Das ist normal und war zu erwarten. Die hochenergetische Strahlung kann nun aber ein Neutron aus dem Atomkern von Stickstoffatomen in der Luft herausschlagen. Dadurch entsteht ein radioaktives Isotop des Stickstoffs, das zu Kohlenstoff zerfällt. Dabei wird ein Proton im Atomkern in ein Neutron umgewandelt und bei dieser Kernreaktion wird ein Positron frei. Also das Antiteilchen des Elektrons und wenn beide aufeinandertreffen, löschen sie sich aus und erzeugen Strahlung mit der von Fermi beobachteten charakteristischen Energie.
Ein Gewitter ist also nicht nur ein beeindruckendes Naturereignis, sondern eines, das wie ein Teilchenbeschleuniger Kernreaktionen auslösen und Antimaterie produzieren kann. Und wenn schon hier bei uns auf der Erde so verrückte Sachen passieren, wie muss es dann erst auf anderen Planeten aussehen? Aber gibt es dort überhaupt Gewitter?
Damit ein Gewitter stattfinden kann, braucht es eine Atmosphäre. Damit fällt der Merkur schon mal raus, genau so wie der Mond, die ja beide keine Atmosphäre haben. Aber was ist zum Beispiel mit dem Mars? Der hat eine Atmosphäre; die ist aber extrem dünn und reicht eigentlich nicht für die Bildung von Gewitterwolken. Es gibt aber immer wieder große Staubstürme und die Staubteilchen in der Marsatmosphäre können im Prinzip eine elektrische Ladung aufbauen. Es könnte also Blitze auf dem Mars geben. 2009 glaubte man auch, konkrete Hinweise auf Blitzentladungen am Mars entdeckt zu haben. Man hat nicht die Blitze selbst beobachtet, aber Mikrowellenstrahlung die aus einem Staubsturm zu kommen schien. Weitere Beobachtungen konnten das aber nicht bestätigen. Laborexperimente mit Staubteilchen haben gezeigt, dass der niedrige Luftdruck der Marsatmosphäre verhindert, dass sich wirklich starke elektrische Ladungen aufbauen. Wenn es auf dem Mars tatsächlich blitzen sollte, dann sind die Gewitter dort auf jeden Fall sehr schwach.
Wie sieht es auf unserem anderen Nachbarplaneten aus, der Venus? Die hat ja mehr als genug Atmosphäre; sie ist extrem dicht, viel dichter als auf der Erde. Wolken gibt es dort auch. Und Blitze? Diverse Raumsonden haben immer wieder mal entsprechende Radiogeräusche beobachtet, die auf Gewitter hindeuten könnte. Die japanische Raumsonde Akatsuki hat 2020 einen Lichtblitz in der Atmosphäre der Venus gesehen, der ein Blitz gewesen sein könnte. Aber es fehlt auch hier ein eindeutiger Nachweis. Die Wolken der Venus sind auch nicht mit den Wolken der Erde zu vergleichen. Sie bestehen nicht aus Wasser und sie bewegen sich vor allem viel, viel schneller. Sie sausen um den Planeten herum, mit enormer Geschwindigkeit und das könnte die Entstehung echter, sich horizontal auftürmender Gewitterwolken verhindern.
Bei Jupiter lässt sich die Frage nach außerirdischen Blitzen dagegen mit einem definitiven Ja! beantworten. Der größte Planet des Sonnensystems ist ja quasi ausschließlich Atmosphäre, ein Gasplanet ohne feste Oberfläche. Seit wir in den 1970er Jahren die Voyager-Sonden zu den Gasplaneten des äußeren Sonnensystems geschickt haben, beobachten wir auch Gewitter in der Atmosphäre des Jupiter. Das erste Mal 1979, fotografiert von Voyager 1 und seitdem immer wieder von allen möglichen Raumsonden. Die dabei frei werdenen Radiowellen passten aber nicht zu dem, was wir von den Blitzen auf der Erde kennen. Erst die Raumsonde Juno konnte 2016 ein wenig Licht auf die Angelegenheit werfen. Juno war näher an Jupiter dran als die Raumsonden zuvor und konnte mit ihren Instrumenten die Radiostrahlung der Blitze genauer vermessen als alle anderen. Und dabei feststellen, dass sich die Blitze im Prinzip so verhalten wie Blitze auf der Erde. Sie finden nur ganz woanders statt: Bei uns gibt es die meisten Gewitter in den Tropen, in der Nähe des Äquators. An den Polen der Erde blitzt es dagegen eher selten. Auf Jupiter ist es genau umgekehrt. Der Grund dafür hat vermutlich mit der Wärmeverteilung zu tun: Die Erde kriegt ihre Wärme von außen; von der Sonne. Die Sonnenstrahlung ist am Äquator am stärksten und an den Polen am schwächsten. Dort wo die meiste Wärme in der Atmosphäre sitzt, finden auch die meisten Gewitter statt. Jupiter ist viel weiter von der Sonne weg; die Sonnenstrahlung spielt dort also keine so große Rolle. Die aus dem Inneren des Riesenplaneten kommende Wärme dafür viel mehr. Oder genauer gesagt: Die äußere und die innere Wärme wirken auf Jupiter ganz anders zusammen als auf der Erde. Die Sonnenstrahlung ist auch bei Jupiter am Äquator stärker als an den Polen. Durch die von außen zugeführte Energie sind die äquatorialen Atmosphärenschichten stabiler; die an den Polen aber nicht. Dort kann das warme Gas aus den tieferen Schichten von Jupiter deshalb leichter aufsteigen; die Atmosphäre ist dort turbulenter und Gewitterwolken können sich einfacher bilden. Die Daten von Juno zeigen, dass Gewitter insgesamt auf Jupiter so häufig sind wie auf der Erde.
Auch auf Saturn hat man Gewitter beobachtet. Die Raumsonde Cassini konnte dort Gewitterstürme sehen, die monatelang dauerten. Auch auf Uranus blitzt es. Bleibt noch Neptun: Der fernste Planet des Sonnensystems ist dem Uranus sehr ähnlich. Aber Gewitter hat man dort noch nicht gesehen. Man hat zwar ein paar Ereignisse aufgezeichnet, die auf Blitze hindeuten. Aber viel zu wenig, um sicher sein zu können. Das muss nicht heißen, dass es dort keine Gewitter gibt. Es wäre überraschend, wenn das der Fall wäre, denn - wie gesagt - Uranus und Neptun sind sich sehr ähnlich. Aber eben nicht identisch; vielleicht sorgt die leicht unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Atmosphären dafür, dass Gewitter bei Neptun ein wenig seltener sind als bei Uranus. Und dann ist Neptun ja auch viel weiter entfernt als Uranus; und dadurch auch schwerer zu beobachten. Wir müssten endlich mal wieder Raumsonden dort hinaus schicken; dann würden wir sicher auch die Blitze in der Atmosphäre von Neptun beobachten können.
Es gibt noch viele Orte, an denen wir nach Gewittern suchen können. Viele andere Sterne haben Planeten; manche davon haben Atmosphären und wo Atmosphären sind, kann es auch Blitz und Donner geben. Es ist zwar schwer, die Gewitter auf den Planeten anderer Sterne nachzuweisen. Dazu müssten wir Radiosignale von dort empfangen und dafür sind unsere Instrumente nicht gut genug. Aber irgendwann klappt es vielleicht und es wäre durchaus interessant, über die extrasolaren Gewitter Bescheid zu wissen. Aus der Häufigkeit und der Verteilung von Blitzen kann man einiges über die Vorgänge in der Atmosphäre herausfinden, in der sie stattfinden. Extrasolare Gewitter können uns also sagen, wie das Wetter auf anderen Planeten ist, wie und ob sich dort Wolken bilden, und so weiter. Wenn wir die Gewitter über längere Zeit hinweg beobachten könnten, dann könnten wir vielleicht sogar Aussagen über das Klima dort machen. Und - wie ich anfangs erzählt habe - Blitze können auch Kernreaktionen in der Atmosphäre auslösen; sie können Einfluss auf die chemische Zusammensetzung haben. Und ganz unabhängig von den besonderen Prozessen bei denen Antimaterie frei wird: Blitze sind Energie. Je mehr freie Energie verfügbar ist, desto mehr und speziellere chemische Reaktionen können stattfinden. Und wenn die chemischen Reaktionen irgendwann SEHR speziell werden, wird aus der Chemie vielleicht irgendwann Leben…
Sternengeschichten Folge 459: Ist das Universum ein schwarzes Loch?
Leben wir in einem schwarzen Loch? Doofe Frage, könnte man meinen. Aber tatsächlich ist das eine Frage, die sehr oft gestellt wird. Es ist eine Frage, mit der sich auch die Wissenschaft beschäftigt. Es ist also auch eine Frage für die Sternengeschichten! Wir müssen aber zuerst einmal klären, was wir meinen, wenn wir fragen, ob das Universum ein schwarzes Loch ist.
Nehmen wir die Sache zuerst einmal wörtlich. Und fangen wir noch einmal kurz mit den schwarzen Löchern an. Darüber habe ich in den Folge 40 und 41 in der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen. Ganz simpel und in so wenig Worten wie möglich ist ein schwarzes Loch eine Region in der Raumzeit, in der ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert ist. So ausreichend, dass die Krümmung der Raumzeit so stark wird, dass nichts mehr aus dieser Region rauskommt. Um den Einflussbereich einer Masse zu verlassen, muss man ausreichend schnell sein. Je stärker die Raumkrümmung, desto größer die Gravitationskraft, desto schneller muss man sein. Und wenn die Raumkrümmung stark genug ist, wird diese Fluchtgeschwindigkeit irgendwann größer als die Lichtgeschwindigkeit. Nichts kann schneller als das Licht sein, also kommt aus so einer Region auch nichts mehr raus. Eine wichtige Größe die man hier kennen muss, ist der "Ereignishorizont". Das ist genau das Ausmaß der Region mit ausreichend starker Raumkrümmung. Was ein schwarzes Loch "wirklich" ist, interessiert uns vorerst nicht. Masse wird konzentriert, und irgendwann ist es dadurch möglich, dieser Masse so nahe zu kommen, dass man eine Gravitationskraft spürt, die einen nicht mehr entkommen lässt. Der Abstand zur Masse, bei dem das der Fall ist, ist der Ereignishorizont.
Die Details des Ereignishorizonts sind kompliziert; in erster Näherung kann man aber sagen, dass er nur von der Masse des schwarzen Lochs abhängt. Und von der Gravitationskonstante und dem Wert der Lichtgeschwindigkeit. Als Näherungsformel kann man annehmen, dass der Ereignishorizont gleich der Masse, multipliziert mit 1,485 mal 10 hoch minus 27 Meter pro Kilogramm ist. Setzt man die Masse der Sonne - 2 mal 10 hoch 30 Kilogramm ein, kommt man auf einen Wert von 2970 Meter. Das bedeutet, dass man die Masse der Sonne in eine Kugel mit einem Radius von 2970 Meter quetschen muss, damit ein schwarzes Loch entsteht.
Jetzt machen wir mal etwas anderes. Wir nehmen die geschätzte Masse des beobachtbaren Universums. Und berechnen, wie groß der Ereignishorizont hier wäre. Tut man das, dann kommt man auf ein Ergebnis, das ungefähr dem "Hubble-Radius" entspricht. Wir wissen ja, dass sich das Universum ausdehnt. Darüber habe ich ja erst in der letzten Folge gesprochen. Alle fernen Galaxien die wir beobachten, entfernen sich von uns. Und zwar um so schneller, je weiter sie entfernt sind. Das ist keine ECHTE Bewegung der Galaxien DURCH den Raum. Sondern etwas, was wir als sich bewegende Galaxien wahrnehmen, weil der Raum ZWISCHEN den Galaxien immer größer wird. Irgendwo, weit, weit, weit entfernt wird es also Galaxien geben, die sich so schnell von uns entfernen, dass das Licht es nicht mehr schafft, uns zu erreichen. Der Raum entfernt sich genau so schnell in die eine Richtung, wie sich das Licht in die andere Richtung ausbreitet. Oder anders gesagt: Die Galaxie entfernt sich mit Lichtgeschwindigkeit von uns. Nochmal: Die Galaxie bewegt sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum. Das verbieten die Naturgesetze. Zwischen uns und dieser fernen Galaxien wird der Raum einfach so schnell so viel größer, dass wir eine Bewegung mit dieser Geschwindigkeit beobachten. Jemand an einem anderen Beobachtungsort, zum Beispiel zwischen uns und dieser fernen Galaxie, würde NICHT sehen, wie sich die Galaxie mit Lichtgeschwindigkeit entfernt. Dieser Beobachter ist ja näher dran; es ist weniger Raum dazwischen und deswegen läuft die Expansion von dieser Warte aus langsamer ab. Das ist verwirrend, man muss ein wenig darüber nachdenken bis man es verstanden hat. Aber darum geht es eigentlich auch gar nicht in dieser Folge. Es geht darum, dass wir eine Entfernung definieren können, in der sich Objekte von uns aus gesehen mit Lichtgeschwindigkeit zu entfernen scheinen. Diese Entfernung nennen wir den "Hubble-Radius" und man kann sie als den Radius des Universums betrachten. Es gibt gute Gründe, das NICHT zu tun. Wir wissen, dass das gesamte Universum viel größer ist als der Hubble-Radius. Sein muss, weil der Hubble-Radius ja vom Beobachtungsstandpunkt abhängt. Andere Beobachter anderswo im Universum würden den gleichen Wert für den Hubble-Radius berechnen, ihre "Hubble-Sphäre", also das, was innerhalb des Hubble-Radius liegt, würde aber einen ganz anderen Bereich umfassen als unsere.
Das, worauf es ankommt, ist folgendes: Die Masse des Universums, die innerhalb seines Hubble-Radius liegt, ist mehr oder weniger so groß wie die Masse, die ein schwarzes Loch mit gleichem Radius haben müsste. Folgt daraus als, dass das Universum ein schwarzes Loch ist? Nein! Das hat mehrere Gründe. Zuerst der komplizierte Grund: Der Ereignishorizont eines schwarzen Lochs ist kein fixes Ding; kein physikalisches Objekt. Da ist nicht wirklich irgendwas im All, auf das man stößt, mit dem man zusammenprallt, oder so. Würde man sich auf ein schwarzes Loch zubewegen, würde man nicht merken, dass da ein Ereignishorizont ist. Den sieht man nur von außen, wenn man sich nicht bewegt. Das ganze kann man verstehen, wenn man die mathematischen Gleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie betrachtet. Was wir jetzt aber nicht tun wollen. Es geht nur darum, dass die Lage des Ereignishorizonts eines schwarzen Lochs von der Position und Geschwindigkeit des Beobachters abhängt. Man kann also nicht einfach sagen: Aus der Menge an Masse im Universum errechnet sich ein Ereignishorizont von X und der ist so groß wie der Hubble-Radius, deswegen ist das Universum ein schwarzes Loch. So einfach ist das mit dem Ereignishorizont nicht. Vor allem, weil die Masse im Universum extrem gleichmäßig verteilt ist. Das wäre in einem schwarzen Loch NICHT der Fall. Hier muss die Masse extrem stark konzentriert sein; ohne Leerräume dazwischen. Sonst kriegt man die nötige Raumkrümmung nicht zustande, die ein schwarzes Loch ausmacht.
Also: Das Universum sieht nicht wie ein schwarzes Loch aus. Aber was ist mit der Rechnung? Es kann doch kein Zufall sein, dass der Hubble-Radius dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs mit gleicher Masse so ähnlich ist? Ist es auch nicht. Ich will auch hier nicht in die mathematischen Details gehen. Aber sowohl der Berechnung des Ereignishorizonts als auch der Berechnung der Massendichte im Universum liegen die selben Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde. In beiden Formeln muss man grundlegende Naturkonstanten wie die Gravitationskonstante oder die Lichtgeschwindigkeit miteinander verknüpfen und das kann man nicht auf beliebig viele Arten tun. Will man aus diesen Konstanten und einer Masse, eine Längenskala bestimmen, hat man eigentlich nur eine Wahl und die führt dann eben in beiden Rechnungen auf das annähernd gleiche Ergebnis.
Das Universum ist kein schwarzes Loch; was man ja auch daran merkt, dass es expandiert. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Masse in einem echten schwarzen Loch machen würde; da würde alles auf das Zentrum zu fallen. Und - wie ich in der letzten Folge sehr ausführlich erklärt habe - ein Zentrum hat das Universum ja auch nicht.
Das Universum in dem wir leben, ist großartig und faszinierend. Das gilt auch für schwarze Löcher. Dass wir IN einem schwarzen Loch leben, ist aber trotzdem enorm unwahrscheinlich. Wenn, dann sollten wir uns in dem Zusammenhang den Urknall anschauen. Vielleicht war der Urknall ein schwarzes Loch? Aber das ist eine ganz andere Geschichte, mit der wir uns ein anderes Mal beschäftigen müssen.
Sternengeschichten Folge 458: Im Mittelpunkt des Universum
Willkommen im Mittelpunkt des Universum! Wenn wir ehrlich sind, denken wir doch alle, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind, oder nicht? Geht ja auch kaum anders; wir alle betrachten das Universum quasi aus dem Inneren unseres Gehirns und von dort aus kann es nur so aussehen, als würde sich alles um uns drehen. Aber heute geht es nicht um Psychologie sondern um die durchaus aus astronomischer Sicht berechtigte Frage: Wo ist der Mittelpunkt des Universums?
Aus historischer Sicht hat man dieses Zentrum lange Zeit in das Zentrum der Erde gelegt. Das lag natürlich einerseits daran, dass man nicht gewusst hat, was da draußen noch alles ist. Mit "Universum" hat man damals - wir sind jetzt in der griechischen Antike - etwas ganz anderes gemeint als das, was wir uns heute vorstellen. Das Universum war die Erde. Um die Erde herum waren ein paar himmlische Sphären, wie die Schalen einer Zwiebel. An diesen Schalen waren die Planeten montiert und ganz außen war die Schale mit den Lichtern der Sterne. Das wars; das Universum war die Erde mit ein bisschen Beiwerk drumherum. Es gab auch philosophisch-wissenschaftliche Gründe, die Erde als Zentrum zu betrachten. Über den Aufbau der Materie wusste man damals noch nicht viel; auch nicht, wie die fundamentalen Kräfte funktionieren. Man konnte auch nicht viel wissen; es gab keine Messinstrumente, Mikroskope, Teilchenbeschleuniger oder sonst irgendwas, mit dem man das herausfinden konnte. Den Leuten ist nicht viel anderes übrig geblieben, als sich mehr oder weniger logisch klingende Hypothesen auszudenken. Eine davon geht auf Aristoteles zurück: Das ist der, der die Materie in die vier klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft eingeteilt hat. Alles sollte aus diesen grundlegen Materieformen bestehen. Und jeder dieser Arten von Materie sollte eine ganz bestimmte Art der Bewegung innewohnen; die wäre quasi von Werk an fix eingebaut. Alles wo viel vom Element Luft enthalten ist, steigt nach oben. Denn der "natürliche Ort" der Luft ist der Himmel und alles will immer zu seinem natürlichen Ort zurück. Deswegen steigt Rauch auf und bleibt nicht am Boden liegen. Der natürlich Ort des Elements Erde dagegen ist das Zentrum des Universums. Dort will sie hin und wenn wir beobachten, dass Sachen zu Boden fallen, muss das daran liegen, dass das Zentrum des Universums unter unseren Füßen ist. Im Mittelpunkt der Erde und es ist nur logisch, dass die Erde genau diesen Mittelpunkt besetzt, denn wo sonst soll sich im Universum das ganze Zeug ansammeln?
Mit dem damaligen Wissen (oder dem Mangel daran) klingt das plausibel. Aber auch in der Antike gab es schon Gelehrte, die das anders gesehen haben und sich andere Welten wie die Erde vorgestellt haben, was die Frage nach dem Mittelpunkt dann wieder kompliziert macht. Aber wie gesagt: Mehr als spekulieren konnte man damals nicht. In der frühen Neuzeit verstand man schon ein wenig mehr. Isaac Newton hat erklärt, warum Zeug wirklich zu Boden fällt und die Sache mit der Gravitationskraft herausgefunden. Johannes Kepler hat aus Beobachtungsdaten herausgefunden, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt; wir also nicht das Zentrum von allem sein können.
Aber selbst dann waren noch viele überzeugt, dass nun eben die Sonne im Zentrum des Universums sein müsste. Vor allem, weil man lange Zeit auch nicht wusste, was man mit dem ganzen Rest der Sterne anfangen soll. Man wusste nicht, wie weit sie entfernt sind; das konnte der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel erst 1838 messen. Ab da wusste man: Das Universum ist sehr, sehr viel größer als die "Erde mit Beiwerk", die sich die alten Griechen vorgestellt hatten. Und warum sollte die Sonne da genau im Mittelpunkt all dieser Sterne stehen?
Auch dafür gab es - aus damaliger Sicht - nicht unplausible Gründe. Wenn man zum Himmel schaut, dann sieht man überall Sterne. Es gibt keine Richtung, in der der Himmel grundlegend anders aussieht. Wenn zum Beispiel die eine Hälfte des Himmels voll mit Sternen wäre, die andere aber komplett leer, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass wir uns irgendwo am Rand einer Ansammlung von Sternen befinden. Wir sehen die Sterne aber überall und egal wohin wir schauen: Im Prinzip sieht alles ähnlich aus. Das haben viele als Hinweis gedeutet, dass wir uns eben doch im Zentrum befinden. Aber, wird jetzt der eine oder die andere einwenden, was ist denn mit den anderen Galaxien? Richtig - aber wir wissen ja erst seit den 1920er Jahren, dass es so etwas wie "andere Galaxien" überhaupt gibt! Bis dahin war unklar, ob die nebelartigen Gebilde am Himmel aus unvorstellbar weit entfernten Sternen bestehen oder tatsächlich einfach nur kosmische Wolken in unserer Nähe sind. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man heftig diskutiert, wo sich die Sonne in der Milchstraße befindet und ob die Milchstraße alles ist, was im Universum existiert oder nicht. Es gab Argumente für die Behauptung, dass wir im Zentrum der Milchstraße sitzen und darüber hinaus nichts existiert; wir also im Zentrum des Universums sind. Aber auch Argumente dagegen.
Die Sache hat erst die Beobachtung von Edwin Hubble und seinen Kollegen geklärt. Sie haben gezeigt, dass es jede Menge Galaxien da draußen gibt; das wir weder im Zentrum der Milchstraße sind, noch die Milchstraße alles ist, was existiert. Aber die Sache mit dem Zentrum war immer noch unklar. Hubble hat nämlich auch gezeigt, dass sich alle anderen fernen Galaxien von uns weg bewegen. Umso schneller, je weiter sie entfernt sind. Es sieht ganz so aus, als würden wir im Mittelpunkt einer großen Expansionsbewegung stehen. Egal wohin wir schauen, alles entfernt sich von uns. Daraus folgt, dass die anderen Galaxien früher viel näher bei uns waren. Und wenn wir weit genug in die Vergangenheit schauen, dann waren sie alle genau da, wo wir jetzt sind. Ist vielleicht die Milchstraße das Zentrum des Universums, von dem aus sich alles in alle Richtungen davon bewegt?
Lassen wir die Historie jetzt mal sein und schauen wir auf das, was wir heute wissen. Die Expansion des Universums ist real; es bewegt sich tatsächlich alles von uns fort. Oder besser gesagt: Alles bewegt sich von allem anderen fort. Würden wir unsere Beobachtungen von irgendeinem anderen Punkt im Universum aus anstellen, würden wir dort genau so beobachten, dass sich alle Galaxien von uns fortbewegen. Das klingt verwirrend, ist es aber eigentlich gar nicht. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Ich sitze auf einem Fahrrad und fahre mit 15 km/h einen schnurgeraden Radweg entlang. Vor mir auf dem Weg sind zwei schnellere Räder unterwegs; eines mit 20 km/h, eines sogar mit 25 km/h. Und hinter radelt jemand mit nur 10 km/h vor sich hin. Aus meiner Sicht stellt sich die Sache nun so dar: Ich sehe, wie sich das Rad hinter mir mit 5 km/h entfernt: Ich bin ja genau um diese 5 km/h schneller und radle dem Rad hinter mir davon. Das Rad vor mir entfernt sich aber auch mit 5 km/h von mir, weil es um diese 5 km/h schneller ist als ich. Und das Rad ganz an der Spitze entfernt sich sogar mit 10 km/h von mir. Aus meiner Sicht bewegen sich also alle anderen Räder von mir weg, umso schneller je weiter sie entfernt sind. Genau das gleiche würde aber auch die Person beobachten, die vor mir radelt. Sie ist um 5 km/h schneller als ich und sieht, wie ich mit mit diesen 5 km/h von ihr entferne. Das Rad hinter mir entfernt sich aus Sicht dieser Person sogar mit 10 km/h und das Rad an der Spitze saust mit 5 km/h davon. Auch hier sieht man also: Alle anderen Räder entfernen sich. In Wahrheit radeln wir aber alle hintereinander in die gleiche Richtung; nur eben unterschiedlich schnell. Niemand ist der Mittelpunkt von irgendwas.
Die Analagie mit den Rädern kann man nicht 1:1 auf das Universum umlegen. Aber sie zeigt, dass das mit dem Mittelpunkt schwierig ist. Wir müssen berücksichtigen, dass wir selbst uns auch bewegen. Aber wir müssen auch noch sehr viel mehr Dinge berücksichtigen. Halten wir zuerst einmal fest: Vor 13,8 Milliarden Jahren gab es den Urknall. Seitdem dehnt sich das Universum aus. Wegen dieser Expansion sehen wir, wie sich alles andere von uns entfernt, was aber nicht daran liegt, das wir der Mittelpunkt von irgendwas sind. Sondern nur daran, dass wir diese Bewegung mit allen anderen Galaxien mitmachen. Aber muss es dann nicht trotzdem einen Mittelpunkt geben? Den Ort, an dem der Urknall stattgefunden hat? Der Ort, wo diese ganze Bewegung angefangen hat?
Das klingt logisch, ist es aber nicht. Der Denkfehler liegt darin, sich den Urknall tatsächlich als Explosion vorzustellen. Bei einer Explosion ist es ja wirklich so, dass sie irgendwo an einem konkreten Ort stattfindet. Und sich danach alles von diesem Ort entfernt. Wir könnten - egal wo wir uns in der Trümmerwolke dieser Explosion befinden - schauen, wie sich das ganze andere Zeug bewegt. Das, das noch nahe am Zentrum ist, muss sich am schnellsten bewegen; die weit entfernten Trümmer sind schon langsamer geworden und wenn wir das alles genau messen, können wir ausrechnen, wo die Explosion stattgefunden hat.
Beim Universum hat aber keine Explosion stattgefunden. Die Galaxien bewegen sich nicht deswegen alle voneinander fort, weil sie bei einer Explosion vor 13,8 Milliarden Jahren in alle Richtungen davon geschleudert worden sind. Die Expansion des Universums ist eine Expansion des Raums. Das heißt: Wir sehen die Galaxien deswegen sich entfernen, weil der Raum zwischen ihnen und uns sich ausdehnt. Die Galaxien werden einfach "mitgezogen". Der Urknall war keine "Explosion", die im Raum an einem bestimmten Ort stattgefunden hat. Der Urknall war das Ereignis, bei dem der Raum erst entstanden ist. Beziehungsweise, um die ganzen philosophischen Probleme mal wegzulassen, die man immer kriegt wenn man vom ultimativen Anfang spricht, lassen wir die Zeit einfach mal nur bis FAST zum Urknall zurücklaufen. Der Raum wird immer kleiner und kleiner. Das Universum schrumpft. Es schrumpft nicht IM Raum; der Raum selbst wird immer kleiner und kompakter. Bis wir irgendwann an einem Zeitpunkt angelangt sind, an dem das ganze Universum so groß wie ein Fußball ist. Es ist kein Fußball, der irgendwo im Raum liegt. Der Fußball ist alles, was ist. Alle Orte, die heute über das ganze gewaltige Universum verstreut sind, befinden sich jetzt IN diesem Fußball. Würden wir noch weiter zurück gehen, würde alles noch weiter schrumpfen. Der Urknall war das Ereignis, bei dem diese enorm dichte Struktur aus Raumzeit angefangen hat, sich auszudehnen. Es war keine Explosion im Raum; es war ein Ereignis, bei dem alle Punkte im Raum angefangen haben, sich voneinander zu entfernen. Oder etwas anders gesagt: Beim Urknall waren alle Orte ein einziger Ort. Oder noch etwas anders ausgedrückt: Der Urknall hat an jedem Ort stattgefunden! Seit damals ist das Universum gewachsen und wir können durchaus sagen, dass heute jeder Punkt im Universum der Punkt ist, an dem der Urknall passiert ist. Weil jeder Punkt früher mit jedem anderen Punkt ein Punkt war: Der Punkt, an dem alles angefangen hat.
Das kann man sich nicht vorstellen; ich weiß. Das ist auch noch nicht einmal das komplette Bild. Wenn ich von Fußbällen und ähnlichem rede, dann stellt man sich zwangsläufig dreidimensionale Objekte im dreidimensionalen Raum vor. Wir haben es aber mit einer vierdimensionalen Raumzeit zu tun. Und mit der Unendlichkeit, die alles noch ein wenig komplizierter macht.
Aber belassen wir es einmal dabei: Wenn es kein Zentrum des Universums gibt; wenn jeder Punkt des Universums das Zentrum ist: Wie ist das dann mit der kosmischen Hintergrundstrahlung? Darüber habe ich ja in Folge 316 schon ausführlich gesprochen. Wenn wir mit Radioteleskopen zum Himmel schauen, dann sehen wir - egal in welche Richtung wir blicken - immer die gleiche Strahlung mit der gleichen Temperatur auf uns zukommen. Das ist die kosmische Hintergrundstrahlung und sie entstand 400.000 Jahre nach dem Urknall, als das Universum sich weit genug ausgedehnt und abgekühlt hatte, damit die in ihm vorhandene Energie in Form von Licht nicht mehr von den ganzen Teilchen aufgehalten wurde, sondern sich frei ausbreiten konnte. Wenn dieser Hintergrund aber überall im Universum gleich ist, kann man da nicht doch irgendwie einen Mittelpunkt daraus basteln? Müssen wir nicht doch in einem Mittelpunkt sein, wenn sie in jede Richtung gleich aussieht?
Wenn man so will, dann ja. Wir sind im Mittelpunkt des "Beobachtbaren Universums". Das ist jener Teil des Universums, den wir von der Erde aus prinzipiell beobachten können. Licht braucht Zeit um sich zu bewegen. Wir können nur das sehen, bei dem das Licht es geschafft hat, in den letzten 13,8 Milliarden Jahren bis zu uns zu gelangen. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist ÜBERALL im Universum entstanden, gleichzeitig. Damals hat sie sich von jedem Punkt des Universums aus auf den Weg gemacht. Wenn wir heute zum Himmel schauen, dann sehen wir genau den Teil dieser Strahlung, der JETZT von allen anderen Punkten bei uns ankommt. Wären wir irgendwo anders im Universum, dann würden wir den gleichen Hintergrund sehen - die Strahlung wäre aber Strahlung, die von anderen Punkten kommt, nämlich von denen, die für diesen Ort gerade passend liegen. Es ist wie beim Mittelpunkt: Es gibt keinen einzigen Ort, an dem die kosmische Hintergrundstrahlung entstanden ist und den wir beobachten können. Sie ist überall entstanden; auch da wo wir jetzt sind. Da ist sie halt schon längst weg und anderswo.
Es gibt keinen Mittelpunkt des Universums. Oder jeder Punkt ist der Mittelpunkt des Universums. Das kann man sehen, wie man es am liebsten hat.
Sternengeschichten Folge 457: Das Kreuz des Südens
Diejenigen, die diese Folge aus dem Osten Deutschlands anhören, werden bei "Kreuz des Südens" vielleicht an die Mischung aus Aprikosenlikör und Rum denken, die dort lange Zeit unter diesem Namen verkauft worden ist. Darum soll es aber heute nicht gehen. Es geht um Sterne; es geht - genauer gesagt - um ein Sternbild. Das "Kreuz des Südens" das Thema dieser Folge ist, finden wir nicht in einer Flasche, sondern am Himmel. Obwohl wir es auch auf der Flasche finden. Das Sternbild "Kreuz des Südens" gehört zu den beliebtesten und bekanntesten Sternbildern und ist deswegen eben nicht nur am Himmel zu sehen, sondern auch überall sonst. Auf Schnapsflaschen, Landesflaggen, Firmenlogos, und so weiter.
Aber bleiben wir erst mal beim Himmel. Das Kreuz des Südens ist - wie der Name schon andeutet - am südlichen Himmel zu sehen. Und mit Süden ist nicht Süddeutschland, Italien, oder sonst irgendwas in der Art gemeint. Wir müssen von Mitteleuropa viel weiter in den Süden; wir müssen bis zum Äquator, um eine Chance zu haben, das Sternbild zu sehen. Oder eben gleich auf die Südhalbkugel der Erde, von wo aus man die südliche Hälfte des Nachthimmels naturgemäß am besten sehen kann. Wenn man dort dann das Sternbild des Zentauren sucht, findet man in der Ecke des Himmels auch das Kreuz des Südens. Wenn man nicht weiß, wo der Zentaur ist, dann orientiert man sich am besten mit einer Himmelskarte. Oder man sucht die Milchstraße, denn das Kreuz des Südens liegt mitten in diesem hellen, milchigen Band, das sich vor allem am Südhimmel prächtig beobachten lässt. Sofern es dunkel genug ist, natürlich.
Das Kreuz des Südens ist klein; von allen 88 offiziellen Sternbildern des Himmels ist es das kleinste. Aber es ist auffällig! Man erkennt es - wenig überraschend - an der Kreuzform, die die vier hellsten Sterne dieses Sternbilds bilden. Und deswegen hat es für die Menschen auch schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In Ozeanien hat man das Kreuz des Südens immer schon in die diversen Mythologien eingebaut. Auf den Inseln zwischen Australien und Papua-Neuguinea hat man die Sterne zu einem Dreizack angeordnet; ein wichtiges Instrument in einer Kultur, die von Fischerei dominiert ist. In Brasilien hat man in der Konstellation einen Rochen erkannt. Bei den Māori in Neuseeland trägt das Kreuz des Südens den Namen "Melipal" und stellt den Anker des Schiffes des Kriegers Tama Rereti dar. Damals lebten die Menschen erst kurz auf der Erde. Es gab noch keine Sterne am Himmel und nachts war es stockfinster. In der dunklen Nacht lebten die die Taniwha, mächtige und gefährliche Naturgeister und Wächter der Welt, die alle auffraßen, die sich nachts draußen herumtreiben. Tama Rereti lebte am Ufer eines großen Sees und weil seiner Familie das Essen ausging, fuhr er hinaus um zu fischen. Nach erfolgreichem Fang wollte er wieder zurück, aber plötzlich war kein Wind mehr da. Tama Rereti wartete ab und schlief ein. Währenddessen wurde sein Boot bis ans nördliche Ende des Sees getrieben; weit entfernt von seinem Dorf. Als er aufwachte, musste er feststellen, dass er es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach Hause schaffen würde. Tama Rereti hatte keine Angst vor den Taniwha, aber er wollte trotzdem zurück nach Hause. Zuerst aber machte er sich etwas zu essen. Er briet seine Fische über dem Feuer und stellte fest, dass die Steine in seiner Feuerstelle in der Nacht zu leuchten anfingen. Das brachte ihn auf eine Idee: Anstatt über den See zurück zu ruden, auf dessen Grund die Taniwha lebten, steuerte er sein Boot hinauf in den Himmel. Dort warf er die die leuchtenden Steine links und rechts über Bord. Als er endlich zuhause ankam, war der Himmel übersäht mit leuchtenden Punkten. Am nächsten Tag bekam er Besuch von Ranginui, dem Gott des Himmels. Der war gar nicht böse darüber, was Tama Rereti mit seinem Reich angestellt hatte, sondern freute sich über die vielen neuen Lichter. Jetzt konnten die Menschen endlich auch nachts durch die Welt gehen, ohne Angst vor der Dunkelheit. Und um alle immer daran zu erinnern, wie die Sterne an den Himmel gekommen sind, bat Ranginui den Krieger, sein Kanu dauerhaft am Himmel zu belassen.
Ich habe diese sehr schöne Geschichte deswegen so ausführlich erzählt, um zu zeigen, dass es eben nicht nur die ganzen Legende aus der klassischen griechischen und römischen Mythologie gibt, die wir uns normalerweise über die Sterne erzählen. Das sind nur die Geschichten, die wir hier in Europa uns erzählen (und nicht einmal da stimmt es, denn auch hier gibt es viel mehr Kulturen als die Griechen und Römer der Antike!). Überall auf der Welt haben die Menschen zum Himmel geschaut und sich Geschichten erzählt. Wir hier im globalen Norden neigen aber gerne dazu, diese Vielfalt der Himmelsbeoachtung zu ignorieren. Aber dazu später noch mehr. Würden wir uns nur auf die griechische Antike beschränken, gäbe es über das Kreuz des Südens auf jeden Fall nicht viel zu erzählen. Man kannte dort die Sterne des Kreuz des Südens. Vor ein paar tausend Jahren war die Erdachse noch in eine andere Richtung des Himmels geneigt als heute und das Kreuz des Südens war auch von Mittel- und Nordeuropa aus sichtbar. Trotzdem ist es nicht in der Liste der 48 klassischen Sternbilder gelandet, die schon in der Antike zusammengestellt worden ist. Man hat die Sterne einfach dem Sternbild des Zentauren zugeschlagen. Und vor ungefähr 2500 Jahren war das Kreuz des Südens dann von Europa aus nicht mehr sichtbar und man hat sich vorerst nicht mehr damit beschäftigt.
Das hat sich erst im 16. Jahrhundert wieder geändert, als die Menschen aus Europa anfingen, auf ihren Entdeckungs- und Eroberungsfahrten auch die südlichen Ozeane zu bereisen. Den christlich geprägten Leuten ist das Kreuz am Himmel natürlich sofort aufgefallen und gegen Ende des 16. Jahrhunderts tauchte es dann auch auf den ersten Himmelskarten auf. Es war vor allem auch deswegen ein sehr nützliches Sternbild, weil man damit die Richtung zum Südpol bestimmen konnte. Genau so wie man auf der Nordhalbkugel der Erde die Konstellation des Großen Wagens nutzen kann, um die Nordrichtung zu bestimmen, geht das auf der Südhalbkugel mit dem Kreuz des Südens. Dazu muss man nur die längere Achse des Kreuzes ungefähr um das 4,5fache verlängern.
Die Sterne, die das Kreuz des Südens bilden, sind aus astronomischer Sicht nicht weiter aufsehenerregend. Der hellste Stern - Acrux - ist 321 Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht eigentlich aus drei Sternen. Wir sehen aber nur den hellsten der drei, der wirklich hell leuchtet und kaum übersehen werden kann. Der zweithellste Stern ist Becrux, ein blauer Riesenstern, 353 Lichtjahre weit weg. Gacrux, der dritthellste Stern ist nur 88 Lichtjahre weit weg und einer der uns nächstgelegenen roten Riesensterne. Decrux, der vierthellste Stern, ist 345 Lichtjahre weit weg und langsam fragt sich sicher der eine oder die andere, was das für komische Namen sind? Acrux, Becrux, Gacrux und Decrux? Klingt ein bisschen wie in einem Asterix-Heft - die Namen haben aber wieder mit unserer Ignoranz anderer Kulturen zu tun. Viele der hellen Sterne am nördlichen Himmel haben Eigennamen. Sirius, Polaris, Beteigeuze, Vega, und so weiter. Das sind die Namen, die Griechen, Römer und Araber im Laufe der Zeit vergeben haben und die wir heute noch benutzen. Für Sterne auf der Südhalbkugel, die wir vom Norden aus nicht sehen können, gibt es solche Namen nicht. Beziehungsweise gibt es natürlich Namen, nämlich die, die von den Menschen in Australien, Neuseeland, Südamerika, Afrika, und so weiter vergeben worden sind. Aber das hat uns nicht interessiert; wir haben uns daher an die Katalogbezeichnungen gehalten. 1603 hat der deutsche Astronom Johann Bayer ein weit verbreitetes System eingeführt: Sterne werden nach dem Sternbild benannt in dem sie sich befinden und anhand ihrer Helligkeit sortiert. Der hellste Stern bekommt den griechischen Buchstaben "Alpha", gefolgt vom lateinischen Namen des Sternbilds. "Alpha Centauri" zum Beispiel: Der hellste Stern im Sternbild Zentaur. Oder "Beta Geminorum", der zweithellste Stern im Sternbild Zwilling, den wir besser unter seinem Namen "Pollux" kennen. Das Kreuz des Südens hat den lateinischen Namen "Crux" und die Sterne dort heißen im Bayer-Katalog dann eben Alpha Crucis, Beta Crucis, Gamma Crucis, und so weiter. Was einfach zu "Acrux", "Becrux", "Gacrux" und "Decrux" verkürzt worden ist. Seit 2016 sind das sogar die von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) offiziell anerkannten Namen der Sterne. Es wäre nett gewesen, diese eher doofen Namen zu verwerfen und sich an den traditionellen Namen zu halten, die auf der Südhalbkugel immer schon verwendet worden sind. Aber zumindest bei "Epsilon Crucis" hat man genau das gemacht. Der hieß - zum Glück - noch nicht "Epcrux". Und deswegen hat die IAU ihm den Namen "Ginan" gegeben. Das ist ein Begriff, den das Wardaman-Volk aus dem nördlichen Australien verwendet. Sie beschreiben damit ein Konzept aus ihren Mythen über die Erschaffung der Welt. Ginan war eine Art Tasche, voller Lieder, aus denen die Welt entstanden ist.
In Australien hat man überhaupt einen ganz besonderen Blick auf den Himmel. Die Sternbilder dort sind nicht immer nur STERNbilder. Wenn man das Kreuz des Südens in einer klaren und dunklen Nacht beobachtet, dann erkennt man dort einen dunklen Fleck. So als würde eine dunkle Wolke vor den Sternen liegen. Genau das ist auch der Fall: Man kann dort den "Kohlensack" sehen, eine sogenannte Dunkelwolke. Die fällt vor allem deswegen auf, weil sie von uns aus gesehen direkt vor der Milchstraße mit ihren unzähligen Sternen steht. Solche Wolken aus Gas und Staub gibt es überall zwischen den Sternen; sie sind oft mehrere hundert Lichtjahre groß und die Regionen, in denen neue Sterne entstehen. Meistens können wir diese Wolken ohne optische Hilfsmittel nicht sehen, aber wenn sie am Himmel gerade vor der sternenhellen Region der Milchstraße stehen, fallen sie natürlich auf. Die Aborigines in Australien haben sie auch gesehen und daraus ihre eigenen Konstellationen gebastelt. Der Kohlensack ist - gemeinsam mit anderen Dunkelwolken - Teil des "Himmels-Emu", eine von dunklen Flecken gebildete Figur die einem Emu ähnelt.
Das Kreuz des Südens ist ein wunderbares Beispiel für den Einfluss, den Sterne immer schon auf uns gehabt haben. Die ganze Welt ist voll mit Geschichten über diese Sterne. Wir finden das Kreuz des Südens heute auf den Flaggen von Brasilien, Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea und Samoa. Jede Menge Bundesstaaten dieser Länder haben es auch auf ihren regionalen Fahnen. In der brasilianischen Hymne singt man "A imagem do Cruzeiro resplandece", was so viel heißt wie "Das Bild des Kreuzes scheint"; in Australien lautet eine Zeile der Hymne "Beneath our radiant Southern Cross we'll toil with hearts and hands". Man besingt das Kreuz in Samoa; es taucht in der Popmusik auf, in der Literatur, im Logo der Europäischen Südsternwarte, auf den australischen Münzen, dem Vereinswappen des brasilianischen Fußballvereins Cruzeiro Belo Horizonte und dem Logo von Mercosur, dem "Gemeinsamen Markt Südamerikas", eine internationale Wirtschaftsorganisation ähnlich der frühen Europäischen Union.
Und wenn wir von den staatlichen und wirtschaftlichen Symbolen weg und in die wunderbaren und vielfältigen Mythen der Völker dieser Erde schauen, dann ist das Kreuz des Südens auch dort überall zu finden. Die Sterne haben uns von Anfang an begleitet und bis heute nicht losgelassen. Seien wir also dankbar, dass Tama Rereti sie damals an den Himmel gesetzt hat.
Sternengeschichten Folge 456: Der interstellare Komet Borisov
Am 30. August 2019 beobachtete der russische Hobby-Astronom Gennadi Borissow den Himmel. Obwohl die Astronomie bei ihm mehr als nur ein Hobby ist. Borissow hatte nie Astronomie studiert, aber er kannte sich am Nachthimmel aus. Sein Job am Sternberg-Institut für Astronomie der Moskauer Lomonossow-Universität war zwar nicht die Forschung, aber die technische Betreuung der Teleskope. Das Gerät, mit der an diesem Abend den Himmel beobachtete, stand aber nicht in Moskau und gehörte auch nicht der Lomonossow-Universität. Es war ein selbstgebautes Teleskop mit einem 65 Zentimeter großen Spiegel und es stand in seiner eigenen, kleinen Sternwarte auf der Halbinsel Krim. Von dort aus sah er einen Lichtpunkt, der sich zwischen den anderen Lichtpunkten über den Himmel bewegte. Nur sehr langsam, es war kein Flugzeug oder Satellit. Außerdem wusste Borissow, nach was er suchte. Immerhin hatte er bis dahin schon neun Kometen und einen Schwung Asteroiden entdeckt. Er berechnete die Koordinaten des unbekannten Dings am Himmel, sah in den entsprechenden Datenbanken nach und stellte fest: Er war der erste, der es gesehen hatte. Die Entdeckung eines bis dahin noch unentdeckten Himmelskörpers ist immer etwas besonderes; egal ob man die Suche nur als Hobby oder als Beruf betreibt. WIE außergewöhnlich die Entdeckung von Borrisow war, sollte sich aber erst noch zeigen.
Die ersten Berechnungen der Bahn des Himmelskörpers deuteten darauf hin, dass es sich um einen erdnahen Asteroid oder Kometen handeln könnte. Ein Objekt also, dass sich in der Nähe der Erdbahn befindet; in diesem Fall sogar eines, das die Bahn der Erde kreuzt. Was natürlich das Interesse an dem Ding deutlich erhöhte. Jede Menge andere Menschen begannen es zu beobachten, um möglichst schnell möglichst gut über die Umlaufbahn Bescheid zu wissen. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, dass es vielleicht mit der Erde kollidiert. Je mehr Daten bekannt wurden, desto seltsamer wurde die Sache. Im Herbst 2019 war die Sache dann klar: Das Objekt hatte keine "Umlaufbahn". Es bewegt sich nicht um die Sonne herum. Beziehungsweise tut es das nur einmal. Es kam von außerhalb des Sonnensystems, würde im Dezember 2019 sich der Sonne maximal angenähert haben um sich dann wieder auf den Weg hinaus und zurück in den interstellaren Raum zu machen, aus dem es gekommen war.
Gennadi Borissow hatte etwas gefunden, was erst ein einziges Mal vorher jemand gefunden hatte: Einen interstellaren Himmelskörper, der auf einen kurzen Besuch in unser Sonnensystem gekommen war. Am 9. Oktober 2017 hatte der Astronom Robert Weryk von der Universität Hawaii den interstellaren Asteroid 'Oumuamua gefunden, von dem ich in Folge 349 der Sternengeschichten mehr erzählt habe. Die Entdeckung damals war eine Sensation. Man hatte zwar damit gerechnet, dass es solche Himmelskörper geben muss. Und auch damit, dass man sie früher oder später finden wird. Aber die Realität ist dann doch immer aufregender als man sie sich vorstellt. 'Oumuamua war ganz anders als die Asteroiden die wir aus unserem Sonnensystem kennen. Seine Form war ungewöhnlich, ebenso wie die Art seiner Bewegung durch das Sonnensystem. Manche ließen sich sogar dazu hinreißen, ihn zu einem außerirdischen Raumschiff oder einer Alien-Raumsonde zu erklären. Dafür gibt es natürlich keine Belege; stattdessen deuten die Daten darauf hin, dass es sich um ein Bruchstück eines dem Pluto ähnlichen Himmelskörpers handelt der einen anderen Stern umkreist. So wie unser Pluto muss sich auch dieser andere eisige Himmelskörper fern von seinem Stern befinden und so wie Pluto muss er von einer dicken Schicht aus gefrorenem Stickstoff bedeckt sein. Bei den chaotischen Prozessen in der Frühzeit eines Sonnensystems ist durch eine Kollision ein Stück dieses Eises ins All und in den interstellaren Raum geschleudert worden. Bei seiner langen Reisen durch die Galaxie haben die Verwitterungsprozesse durch die kosmische Strahlung aus dem Stickstoffeisberg das seltsam geformte Ding gemacht, das schließlich durch unser Sonnensystem geflogen ist. Und als sich 'Oumuamua dann der Sonne genähert hat, ist der Stickstoff aufgetaut, als Gas davon geströmt und hat so einen zusätzlichen Schub erzeugt, der die Bewegung des Asteroids verändert hat. Weil es sich um gefrorenen Stickstoff gehandelt hat und nicht um das Eis, das normalerweise in Asteroiden und Kometen zu finden ist, konnten wir das mit unseren darauf ausgelegten Beobachtungen nicht sehen.
'Oumuamua war ein außergewöhnlicher Besucher und leider so schnell verschwunden wie er aufgetaucht war. Wir hatten keine Chance, ihn genauer zu beobachten. Umso gespannter haben alle auf den nächsten interstellaren Asteroiden beziehungsweise Kometen gewartet. Würde der auch so seltsam sein? Oder vielleicht noch seltsamer? Nun, zuerst einmal bekam das Ding, das Gennadi Borissow gefunden hatte, seine offizielle Bezeichnung "2I/Borisov". "2I" für das zweite interstellare Objekt das entdeckt wurde und "Borisov" nach der Person, die es gefunden hat. Man hat diese Klassifizierung nach der Entdeckung von 'Oumuamua eingeführt; einerseits um die interstellaren Besucher von denen unseres eigenen Sonnensystems abzugrenzen. Und andererseits, weil es nicht so einfach ist, sie in die bisherigen Klassen der "Asteroiden" und "Kometen" einzusortieren. Das ist ja schon in unserem Sonnensystem nicht so einfach. Beide Arten von Himmelskörpern sind auf die gleiche Weise entstanden; aus dem Staub und Gas in der ursprünglichen Materialscheibe die die gerade erst geborene Sonne vor 4,6 Milliarden Jahren umgeben hat. Die Kometen haben sich ein bisschen weiter weg von ihr gebildet, dort wo es kühler war. Sie haben deswegen mehr gefrorene Gase mitbekommen als die Asteroiden, die sich näher an der Sonne gebildet haben. Wenn ein Komet der Sonne nahe kommt, dann können diese gefrorenen Gase auftauen, sich ausdehnen und Staub von der Oberfläche mit sich ins All reißen. Das erzeugt dann die hell leuchtende Kometenwolke mit dem langen Schweif. Bei Asteroiden dagegen passiert nix, wenn sie in der Nähe der Sonne vorbei fliegen. Manchmal aber eben schon, wenn so ein Asteroid zufällig auch mehr Eis enthält. Und manchmal passiert auch bei Kometen nix, wenn sie ihr Eis schon verloren haben. 'Oumuamua aber hat sich von Anfang an weder wie ein klassischer Asteroid, noch wie ein typischer Komet verhalten.
Bei Borissow dagegen war die Sache klar: Er sah genau so aus, wie wir uns einen typischen Kometen vorstellen. Zuerst einmal war er deutlich größer als 'Oumuamua. Der war knapp 200 Meter groß und vermutlich sehr lang und flach; Borisov dagegen ein annähernd rundes Objekt mit einem Durchmesser von 500 bis 1000 Metern. Genau so wie es auch die Kometen in unserem Sonnensystem üblicherweise sind. Als er sich der Sonne genähert hat, fing Eis an seiner Oberfläche an aufzutauen; man konnte beobachten wie die Umgebung von Borisov immer staubiger wurde; in unmittelbarer Nähe der Sonne ist sogar ein kleines Stück abgebrochen. Diese entkommende Gas hat die Bahn des Kometen ein wenig verändert - alles so wie bei den Kometen in unserem Sonnensystem. Ein paar Dinge waren dann aber doch sehr anders.
Natürlich zuerst einmal die Umlaufbahn: Borisov bewegte sich nicht in der Ebene, in der sich die Planeten und die meisten anderen Himmelskörper im Sonnensystem bewegen. Er kam in einem Winkel von 45 Grad zu dieser Ebene. Was aber auch noch nicht so außergewöhnlich ist; auch unsere eigenen Kometen kommen aus allen Richtungen angeflogen; sie stammen ja aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem kugelförmig begrenzt, wie ich in Folge 321 erzählt habe. Sie tun das aber wesentlich langsamer als Borisov: Der war mit einer Geschwindigkeit von 32 Kilometern pro Sekunde unterwegs! Bei dem Tempo reicht die Gravitationskraft der Sonne nicht aus, um ihn festzuhalten. Nachdem Borisov also im September 2019 die Bahn des Jupiter passiert hatte, ging sein Flug unaufhaltsam weiter. Am 26. Oktober kreuzte er die Ebene der Ekliptik, also die vorhin erwähnte Ebene in der sich die Erde und die anderen Planeten um die Sonne bewegen. Am 8. Dezember 2019 hat er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht - war dabei aber noch knapp 300 Millionen Kilometer von ihr entfernt. Am 28. Dezember 2019 erreichte er auf seiner Bahn den erdnächsten Punkt; ebenfalls bei einem Abstand von fast 300 Millionen Kilometern. Und seitdem entfernt er sich von uns. Bis er das Sonnensystem komplett verlässt, werden zwar noch ein Jahrhundert oder zwei vergehen. Aber aus dem Blickfeld unserer Teleskope ist er schon viel früher verschwunden, circa ein Jahr nach seiner Entdeckung war es auch schon wieder vorbei.
Auch hier hat die Zeit nicht gereicht, so viele Daten zu sammeln, wie man wollte. Aber die Daten, die man sammeln konnte, waren dennoch beeindruckend. Man konnte zum Beispiel nachweisen, dass Borisov sehr viel gefrorenes Kohlenstoffmonoxid enthält. Das ist ein Zeichen dafür, dass er dort, wo er entstanden ist, nie recht nahe an seinen Stern gekommen sein kann. Er muss sich in den äußersten, sehr kalten Regionen der Materialscheibe gebildet haben, die den Stern umgeben hat, von dem er kommt. Nur dort kann das Kohlenstoffmonoxid in dieser Form und Menge existieren. Und von dort ist es auch nicht schwer, durch irgendwelche gravitative Störungen in den interstellaren Raum zu gelangen. Wie viel Zeit er dort verbracht hat, wissen wir nicht. Aber es ist wahrscheinlich, dass die Sonne der erste Stern in seinem Leben ist, dem Borisov eine nahe Begegnung abgestattet hat. Das zeigen Beobachtungen die an der Europäischen Südsternwarte in Chile durchgeführt worden sind. Dort hat man sich angeschaut, wie sehr das Licht polarisiert wird, das von der Staubhülle reflektiert wird, in die Borisov sich bei der Annäherung an die Sonne gehüllt hat. Die Polarisation gibt an, in welche Richtung die Lichtwellen schwingen und wie stark sich diese Richtung ändert. Das wiederum hängt von den Eigenschaften der Staubteilchen ab und die werden unter anderem durch den Grad der Verwitterung bestimmt. Natürlich gibt es im All keinen Wind oder kein fließendes Wasser; aber es gibt Erosion, wie ich in Folge 130 schon mal erklärt habe. Die wird zum Beispiel durch die kosmische Strahlung verursacht, die in der Nähe von Sternen besonders stark ist oder durch Einschläge von Mikrometeoriten, die man auch vor allem innerhalb von Planetensystemen findet. Den Grad der Verwitterung kann man an der Polarisation ablesen und bei Borisov waren die Daten außerordentlich. Seine Oberfläche ist so gut wie gar nicht verwittert; es ist der ursprünglichste Himmelskörper den wir bis jetzt beobachtet haben. Seit er - wann auch immer - entstanden ist, ist im quasi nichts zugestoßen, dass ihn verändert hat. Auch die Asteroiden und Kometen in unserem Sonnensystem sind sehr ursprüngliches Material aus der Zeit der Planetenentstehung vor 4,5 Milliarden Jahren. Deswegen erforschen wir sie ja auch so intensiv. Aber sie sind eben nicht GANZ ursprünglich, weil sie den Bedingungen im Sonnensystem ausgesetzt waren. Borisov aber war so frisch, wie ein Komet nur sein kann.
So lange zumindest, bis ihn die Sonne kaputt gemacht hat. Auf später gefundenen alten Aufnahmen die den Kometen zeigen konnte man ableiten, dass er irgendwann Anfang Dezember 2018 angefangen haben muss, ein wenig aufzutauen. Von da an verlor er ungefähr 2 Kilogramm Staub pro Sekunde ans All und ein paar Dutzend Kilo Eis. Das ging so weiter bis dann im März 2020 - wie oben schon erwähnt - sogar ein ganzes Stück vom Kometen abgebrochen ist. Nach seinem Besuch im Sonnensystem ist Borisov also nicht mehr so ursprünglich wie zuvor. Trotzdem wäre es schön gewesen, ihn ein bisschen besser erforschen zu können. Aber ihm eine Raumsonde nachzuschicken, ist quasi unmöglich. Dafür ist er viel zu schnell. Und wir haben ihn zu spät entdeckt, um eine Mission vorzubereiten. Um Objekte wie Borisov oder 'Oumuamua aus der Nähe zu erforschen, bräuchten wir eine Raumsonde, die quasi schon im Standby-Modus im All wartet und sofort losfliegt, wenn wir einen neuen interstellaren Besucher entdecken.
Und das werden wir! Wir wissen, dass es Milliarden von ihnen zwischen den Sternen geben muss. Überall dort wo sich Planeten bilden, werden auch Asteroiden und Kometen - und Eisberge, wie bei 'Oumuamua - in den interstellaren Raum geschleudert. Der Weltraum ist zwar groß. Aber ab und zu kommen sie zu uns auf Besuch. Mit etwas Glück sind wir bei den nächsten Malen besser vorbereitet.
Sternengeschichten Folge 455: Die Geschichte der aktive Galaxienkerne
Die Geschichte der aktiven Galaxienkerne beginnt zu einer Zeit, als wir noch nicht einmal so richtig wussten, was "Galaxien" eigentlich sind. 1909 wollte der amerikanische Astronom Edward Fath herausfinden, worum es sich bei den "Spiralnebeln" handelte. Also den Dingern, die man im Teleskop am Himmel sehen konnte und die nebelförmig aussahen und spiralig. Wie ich schon in Folge 49 der Sternengeschichten zur "Großen Debatte" erzählt habe, gab es damals ja zwei Meinungen. Die einen dachten, es wären tatsächlich spiralförmige Nebel. Also große Mengen an Gas die sich zwischen den Sternen befinden. Die anderen waren der Ansicht, dass die Spiralnebel nur so aussehen wie Nebel. In Wahrheit aber aus Milliarden von Sternen bestehen, die aber so weit entfernt sind, dass sie uns wie eine diffuse Wolke erscheinen. Im ersten Fall wären die Sterne die wir am Himmel sehen alle Sterne die es gibt; die Milchstraße also die einzige Ansammlung von Sternen im Universum. Im zweiten Fall wäre die Milchstraße nur eine von vielen solcher Ansammlungen von Sternen, die durch unvorstellbar große Leerräume voneinander getrennt sind. Sie wäre nur eine Galaxie unter vielen. Wir wissen heute, dass das genau so ist. Das wissen wir aber erst seit den 1920er Jahren. Als Edward Fath an der Lick-Sternwarte durch das Telekop geschaut hat, war die Sache noch offen. Er wollte das Licht der Spiralnebel untersuchen und nach Emissions- und Absorptionslinien suchen.
Darüber habe ich ja erst in Folge 449 gesprochen, zur Sicherheit aber noch einmal eine kurze Erinnerung: Man kann Licht in seine Bestandteile aufspalten, also schauen, wie viel Licht einer bestimmten Wellenlänge in der Mischung enthalten ist. Macht man das, kann man in diesem "Lichtspektrum" unter Umständen helle und dunkle Linien sehen. Die dunklen Linien sind Absorptionslinien und sie entstehen, wenn zum Beispiel das Licht eines Sterns beim Durchgang durch seine äußeren Atmosphärenschichten ein wenig blockiert wird. Unterschiedliche chemische Elemente blockieren unterschiedliche Wellenlängen und genau dort sieht man dann im Spektrum dunkle Linien. Helle Linien, also die Emissionslinien, kriegt man, wenn zum Beispiel interstellare Gaswolken durch Strahlung von außen zum Leuchten angeregt werden. Auch hier sendet jedes Element sein eigenes Muster an Linien aus. Fath wollte also wissen: Entspricht das Licht der Spiralnebel eher dem Licht, das ein Haufen Sterne aussenden würde; also mit einem Spektrum das vor allem dunkle Linien enthält. Oder ähnelt es mehr dem Licht, das man von einer großen Gaswolke kriegt, die Emissionslinien aussendet.
Die meisten Spiralnebel, die er beobachtete, haben tatsächlich Linien gezeigt, die mehr zu einer großen Ansammlung von Sternen passen. Ein Nebel aber, der heute die Bezeichnung NGC 1068 trägt, zeigte zusätzlich auch helle Emissionslinien - und wir kommen später noch darauf zurück. Fath jedenfalls konnte die Frage nach der Natur der Nebel nicht abschließend klären, das gelang erst Edwin Hubble, der 1923 den Abstand zum Andromedanebel bestimmte und dabei nachwies, das es sich um eine "Andromedagalaxie" handeln muss. Im Zuge der Forschung die dafür nötig war, mussten auch Edwin Hubble und seine Kollegen, jede Menge Lichtspektren von Galaxien (und ich sage ab jetzt immer Galaxien, auch wenn ich von einer Zeit rede, in der man noch "Nebel" dazu gesagt hat) beobachten. Und fanden dabei immer wieder Emissionslinien. Der erste, der diese hellen Linien systematisch untersucht hat, war der amerikanische Astronom Carl Seyfert. Er hat 1943 eine Arbeit über die Beobachtung von sechs Galaxien veröffentlicht. Alle zeigten eine Lichtspektrum, das von Sternen zu stammen schien, dem aber jede Menge helle Linien überlagert waren. Seine Messungen waren genau gunug, um nachzuweisen, dass sich die von ihm beobachteten Emissionslinien von denen unterscheiden, die man in normalen Gaswolken sehen würde. Die Position der Linien im Lichtspektrum kann einem sagen, aus welchem Material das Zeug besteht, dass die Linien verursacht. Man kann aber auch die Breite der Linien messen und erhält daraus Informationen über die Bewegung dieses Materials. Das ist im Detail recht kompliziert, wird aber unter anderem durch rotierendes Zeug verursacht. Bei einer rotierenden Scheibe aus Gas etwa, kommt aus unserer Sicht immer ein Teil des Gases auf uns zu, während sich einer anderer von uns weg bewegt. Diese Bewegung verschiebt die Spektrallinien ein wenig; einmal in die eine Richtung und einmal in die andere. Die Effekte überlagen sich und wir beobachten eine Linie, die ein wenig breiter ist als sie sein sollte. Linienverbreiterungen können aber auch entstehen, wenn die Gasteilchen sich sehr schnell bewegen, weil sie sehr heiß sind, also viel Energie abbekommen haben; zum Beispiel durch Kollisionen mit anderen Gasteilchen oder durch Strahlung heißer Sterne in der Umgebung. Jedenfalls: Seyfert konnte nachweisen, dass die Linien in den Galaxien die er beobachtet hat, anders aussehen als die Linien, die man von den Gaswolken in unserer Milchstraße kennt.
Das waren sehr interessante Ergebnisse, die damals aber als nicht interessant genug angesehen wurden, um sich wirklich intensiv mit dem Phänomen zu beschäftigen. Das fing erst nach dem zweiten Weltkrieg an, in den 1950er Jahren und dank einer ganz neuen Disziplin. Über die Geschichte der Radioastronomie habe ich ja schon in Folge 223 gesprochen - ab 1945 begann man diese neue Technik auch in der Astronomie einzusetzen. Man stellte fest, dass auch Sterne langwelliges Licht in Form von Radiostrahlung abgeben. Und fand ein paar extrem starke Radioquellen am Himmel. Zuerst waren diese Objekte nur im Radiolicht sichtbar; aber schon kurze Zeit später war man auch in der Lage, mit normalen Teleskopen die Objekte zu identifizieren, aus denen diese starke Radiostrahlung kam. Es waren Galaxien und das war überraschend. Denn die - wie man da ja schon wusste - waren enorm weit weg. Und trotzdem so enorm hell im Radiolicht. Was auch immer dort diese starke Strahlung produziert musste wahnsinnig viel davon produzieren. Man wusste nicht wirklich, was die Ursache dafür sein konnte. Extrem heißer Staub, lautete ein Vorschlag - aber so heißen Staub kann es eigentlich nicht geben und das würde auch nicht so wirklich zu den Beobachtungen passen. Oder die Wechselwirkung zwischen Magnetfeldern der Galaxien und schnellen, elektrisch geladenen Teilchen, die von Sternen in der Umgebung ins All geschleudert werden. Das wäre prinzipiell möglich und hätte auch halbwegs gepasst. Und wurde deswegen eine Zeit lang als Erklärung für die Existenz dieser extragalaktischen Radioquellen akzeptiert.
Dann kam die Entdeckung der Quasare. Darüber habe ich in Folge 52 schon ausführlich gesprochen. In den 1960er Jahren began man an der Sternwarte der Universität von Cambridge mit einer umfassenden Katalogisierung der Radioquellen am Himmel. Gleichzeitig suchte man mit normalen Teleskopen nach den Gegenstücken im für unsere Augen sichtbaren Licht. Man fand jede Menge neue Radiostrahler, die aber gar nicht wie Nebel oder Galaxien aussahen. Sondern sich im normalen Licht einfach nur als Lichtpunkte zeigten. Deswegen hat man sie "Quasi Stellare Radioquellen" genannt oder kurz "Quasare". Eines dieser Objekte hat eine besondere Rolle in dieser Geschichte gespielt: 3C 273. Das "3C" steht für den "Dritten Cambridge Katalog der Radioquellen" und es geht um das 273te Objekt in diesem Katalog. Bis zu seiner Untersuchung wusste man nicht so recht, was die Quasare sind; man hielt sie für seltsame veränderliche Sterne, auch wenn das nicht so wirklich zu den Daten passte. 1963 konnten die Astronomen Maarten Schmidt und Bev Oke dann aber die Distanz zu 3C 273 messen. Das Ding war ein paar Milliarden Lichtjahre weit weg und damit definitiv kein Stern, egal wie seltsam. Es musste sich um eine Galaxie handeln, die so weit weg ist, dass wir nicht mehr als einen schwach leuchtenden Punkt sehen. Aus der aber aus irgendeinem Grund enorm viel Energie kommt. Immer mehr Quasare konnten als extragalaktische Objekte identifiziert werden. Und langsam fingen die Puzzleteile an, sich zu verbinden.
Schon 1958 dachte der armenischen Astronom Victor Ambartsumian bei einer Konferenz darüber nach, dass in den Zentralregionen ferner Galaxien gigantische Explosionen stattfinden könnten. In den galaktischen Zentren müssten sich irgendwelche Himmelsobjekte mit gigantischer Masse befinden, die dafür verantwortlich sind. Welcher Natur diese Dinger sein könnten, konnte er auch nicht sagen. Sicherlich keine Sterne. Aber seine Idee der "aktiven Galaxienzentren" war im Gespräch und verbreitete sich immer weiter. Es kristallisierte sich langsam ein Bild heraus: In den Zentren mancher Galaxien passieren außergewöhnliche Dinge. Dort wird enorm viel Energie frei. Einerseits in Form von Radiowellen, weswegen wir am Himmel jede Menge Quasare sehen können. Andererseits aber auch hochenergetische Strahlung, die Gas und anderes Zeug zum Leuchten anregt und so die hellen Emissionslinien im Spektrum erzeugt.
Weitere Beobachtungen zeigten, dass es wirklich nur die Zentralregion einer Galaxie sein konnte, die da so leuchtet und wohl auch nur ein kleiner Teil davon. Das hat man aus den Helligkeitsänderungen geschlossen: Wie schnell sich die Helligkeit eines Objekts ändern kann, hängt unter anderem von seiner Ausdehnung ab. Bei einem großen Objekt mitteln sich die Helligkeitsschwankungen über seine Oberfläche zum Teil raus; je kleiner es dagegen ist, desto schneller kann es gehen. Vielleicht hilft auch dieser etwas hinkende Vergleich: Wenn ich meine Hand vor eine Taschenlampe halte, ist das Licht sofort nicht mehr zu sehen und es ist sofort wieder zu sehen, wenn ich sie wieder wegnehme. Will ich dagegen eine hell leuchtende Videowand verdunkeln, dann dauert es ein bisschen, bis ich irgendeine Barrikade weit genug davor geschoben habe, so dass das Licht blockiert ist. Auf jeden Fall wusste man im Laufe der 1960er Jahre: Irgendwas in den Zentren mancher Galaxien setzt enorm viel Energie frei.
Es gab viele Hypothesen: Vielleicht eine Art Kettenreaktion von Supernova-Explosionen? Wenn die Sterne dort enorm dicht beieinander stehen und einer davon am Ende seines Lebens explodiert, könnte die Schockwelle die anderen Sterne ebenfalls zur Explosion bringen. Oder vielleicht sitzt da eine Art von "Mega-Stern", der ein paar Millionen mal mehr Masse hat als ein normaler Stern und entsprechend hell leuchtet? 1964 hatten der in Österreich geborene und vor den Nazis nach Amerika geflüchtete Astronom Edwin Salpeter und der sowjetische Physiker Jakow Seldowitsch die gleiche Idee: Was, wenn im Zentrum dieser Galaxien ein enorm massereiches schwarzes Loch sitzt? Und Material sich - angetrieben durch seine Gravitationskraft - enorm schnell um das schwarze Loch dreht? Es würde aufgeheizt werden und dabei jede Menge Strahlung abgeben. Die Idee wurde aber eher ignoriert; erst als der britische Astronom Donald Lynden-Bell sich die Sache 1969 nochmal genauer ansah, wurde sie populär. Er behauptete, dass supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien häufig sein sollten und zeigte, dass sich dadurch all die Phänomene erklären lassen, die man in den letzten Jahrzehnten dort beobachtet hatte.
Womit wir jetzt fast schon bei der Gegenwart angekommen sind. Den letzten Rest der Forschungsgeschichte überspringen wir am besten und schauen auf das, was wir heute über die aktiven Galaxienkerne wissen. Beziehungsweise über die AGNs, die "active galactic nuclei", wie der Fachbegriff heißt. Der typische Fall eines AGN sieht so aus: Im Zentrum einer großen Galaxien befindet sich ein schwarzes Loch mit einer Masse von etwa 100 Millionen Sonnenmassen. Das ist, wie gesagt, ein durchschnittlicher Fall. Es können auch "nur" ein paar Millionen Sonnenmassen sein, oder auch ein paar Milliarden. So ein schwarzes Loch hat einen Ereignishorizont von etwa 300 Millionen Kilometern; das entspricht dem doppelten Abstand zwischen Erde und Sonne. Damit aus dem schwarzen Loch aber auch ein aktiver Galaxienkern wird, braucht es ausreichend viel Material. Gas und Staub vor allem, und das ganze Zeug muss in die Nähe des schwarzen Lochs gelangen. Dort kann es dann eine schnell rotierende Scheibe um den Ereignishorizont bilden. Dabei wird es aufgeheizt und setzt Strahlung frei; das verursacht die Emissionslinien, die Fath das erste Mal in der Galaxie NGC 1608 beobachtet hatte und weil die Scheibe schnell rotiert, sind die Linien verbreitert, wie Seyfert es in seinen Daten gesehen hatte. Es verursacht auch die Radiostrahlung, die man bei den Quasaren sehen konnte.
Das Modell erklärt auch, wieso wir Quasare und aktive Galaxienkerne nur in so großer Entfernung sehen. Wir blicken bei diesen Distanzen ja in die Vergangenheit; wir sehen Galaxien so, wie so vor Milliarden Jahren waren, als das Universum noch jung war. Damals war in den Galaxien noch jede Menge Gas und Staub vorhanden; damals waren die Voraussetzungen vorhanden, damit die schwarzen Löcher in den Galaxienkernen aktiv werden konnten. In alten Galaxien, wie unserer Milchstraße, ist das anders. Hier ist das Material schon weitestgehend verbraucht. Es sind Sterne daraus entstanden beziehungsweise hat es die Aktivität des schwarzen Lochs aus der Galaxien hinaus geschleudert. Auch im Zentrum der Milchstraße sitzt natürlich ein schwarzes Loch. Aber es ist nicht mehr aktiv, zumindest nicht sehr. Wir beobachten schon auch Strahlung aus dem galaktischen Zentrum, aber in viel geringerem Ausmaß als bei den fernen Galaxien aus der Vergangenheit.
Mittlerweile sind Existenz und Natur der aktiven Galaxienkerne immer wieder erforscht und bestätigt worden. Wir wissen, dass sie eine zentrale Rolle spielen, wenn wir das Universum verstehen wollen. Die aktiven Galaxienkerne haben einen großen Einfluss auf den Rest der Galaxie; sie können die Entstehung neuer Sterne auslösen oder verhindern. Durch die Beobachtung der aktiven Galaxienkerne können wir die grundlegende Struktur des Universums erforschen; die Verteilung und Entwicklung der Materie oder die Gültigkeit von Quantenmechanik und Relativitätstheorie prüfen. Aber so interessant all das auch ist - es ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten.
Sternengeschichten Folge 454: Die ersten Sterne des Universums
Eigentlich hat die Astronomie kein großes Problem damit, Sterne zu finden. Das Universum ist voll damit, egal wohin man den Blick richtet - man wird Sterne sehen. Sehr oft stören sie sogar, weil ihr Licht das überstrahlt, was man eigentlich sehen will. Im Allgemeinen will man ja einen ganz bestimmten Stern beobachten; eine ganz bestimmte Galaxie oder Planet. Und wenn dann überall Sterne rumleuchten, kann das nervig sein. Eine ganz bestimmte Art von Stern hat sich den Teleskopen der astronomischen Forschung aber noch nicht gezeigt. Es geht um die allerersten Sterne des Universums.
Sterne existieren nicht ewig. Sie entstehen irgendwann und irgendwann verschwinden sie auch wieder. Unsere Sonne ist vor 4,6 Milliarden Jahre entstanden. Sie war also definitiv nicht der erste Stern im Universum, denn das ist schon 13,8 Milliarden Jahre alt. Es gibt aber natürlich auch ältere Sterne. Und irgendwann muss es die allerersten Sterne gegeben haben. In der Astronomie teilt man die Stern in "Populationen" ein. Unsere Sonne gehört zur Population I; das sind Sterne, die - so wie sie - vor ein paar Milliarden Jahren entstanden sind und zur Zeit gerade quasi in der Blüte ihres Lebens stehen. Sterne, die schon circa 10 Milliarden hinter sich haben und damit deutlich vor der Sonne entstanden sind, gehören zur Population II. Es gibt sie noch im Universum, wir haben schon jede Menge davon beobachtet. Man findet sie meistens in den Außenbereichen von Galaxien. Aber trotz ihres hohen Alters waren auch sie nicht die ersten Sterne.
Das wissen wir aufgrund ihrer Metallizität. Davon habe ich in Folge 337 der Sternengeschichten mehr erzählt. Als "Metall" gilt in der Astronomie alles, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wir wissen natürlich schon, dass das chemisch nicht korrekt ist. Aber es macht Sinn, den ganzen Rest der chemischen Elemente zusammenzufassen, selbst wenn die - aus historischen Gründen immer noch verwendete - Bezeichnung "Metalle" nicht ganz richtig ist. Denn nach dem Urknall gab es im Universum nur Wasserstoff und Helium. Sehr viel mehr Wasserstoff als Helium und sonst nichts. Aus den Elementarteilchen der beim Urknall entstandenen Materie haben sich nur diese beiden einfachsten Atome gebildet. Für mehr hat die Zeit nicht gereicht; es haben nur ein paar Minuten lang die Bedingungen geherrscht, unter denen sich Atomkerne bilden konnten. Mehr als Wasserstoff und Helium war da nicht drin. Ok, es sind noch vereinzelt Atome von Lithium und Beryllium entstanden, das dritt- und vierteinfachste Element. Aber in wirklich verschwindend geringen Mengen und für alle anderen Atomkernen muss man so viele Kernbausteine zusammenbasteln, dass das in den paar Minuten nach dem Urknall nicht geklappt hat.
Sterne wie die Sonne bestehen zwar - wie alle Sterne - so gut wie komplett aus Wasserstoff und Helium. Aber schon bei ihrer Entstehung hat sie ein paar Metalle gehabt. Die waren in der großen Gaswolke vorhanden, aus der sie sich gebildet hat. Und wo kommen die her? Von anderen Sternen, die diese Elemente im Laufe ihres Lebens durch Kernfusion in ihrem Inneren erzeugt und dann an ihrem Lebensende bei großen Explosionen durch den Kosmos geschleudert haben. Auch die älteren Sterne der Population II enthalten Metalle. Weniger als die der Population I, aber immer noch so viele, dass wir daraus schließen können, dass sie ebenfalls nicht von Anfang an da gewesen sein können. Auch sie müssen ihre Metalle von anderen Sternen bekommen haben, die vor ihnen existiert haben.
Genau darum geht es: Um Sterne, die KEINE Metalle enthalten. Um Sterne, die nur aus Wasserstoff und Helium bestehen. Sterne der Population III: Die ersten Sterne im Universum. Es muss sie gegeben haben. Denn irgendwo müssen die ganzen chemischen Elemente, die weder Wasserstoff noch Helium sind, ja hergekommen sein. Das kann nur durch die Kernfusion im Inneren von Sternen passiert sein. Und wenn nach dem Urknall nur Wasserstoff und Helium vorhanden waren, dann müssen logischerweise die allerersten Sterne ausschließlich aus Wasserstoff und Helium bestanden haben. In ihrem Inneren haben sie die ersten NEUEN chemischen Elemente produziert und den Kosmos nach ihrem Tod damit angereichert. Wir haben keinen Zweifel an der Existenz von Sternen der Population III. Aber es ist enorm schwierig, sie zu finden.
Wir gehen davon aus, dass diese allerersten Sterne enorm gewaltig waren. Je komplexer ein Atom ist, desto leichter kann es Energie loswerden. Ich erspare mir die ganzen Details der Quantenmechanik: Aber es läuft darauf hinaus, dass ein Atom nur dann Energie abstrahlen kann, wenn eines der Elektronen aus seiner Hülle seine Position ein wenig verändert. Komplexere Atome haben mehr Elektronen und mehr Möglichkeiten für solche Übergänge. Wasserstoff besteht aber nur aus einem Kernbaustein und einem Elektron drum herum. Bei Helium sind es zwei Elektronen. Das ganze Wasserstoff-Helium-Gemisch das nach dem Urknall vorhanden war, war also einerseits schon mal warm, weil es so kurz nach dem Urknall generell wärmer war als heute. Und andererseits konnte es diese Wärme nicht so gut loswerden, wie das eine interstellare Gaswolke heute tun kann, in einem kälteren Universum und durchsetzt mit allen möglichen schweren Elementen, die Wärme gut abstrahlen können. Die Temperatur einer solchen Wolke bestimmt aber, wann und wie sie unter ihrer eigenen Gravitation kollabieren kann. Was sie tun muss, damit aus einer diffusen Wolke ein echter Stern wird. Je heißer sie ist, desto schneller bewegen sich die Teilchen. Und je schneller die sich bewegen, desto länger können sie dadurch der Gravitationskraft, die die Wolke zusammenfallen lassen will, etwas entgegensetzen. Oder anders gesagt: In einer wärmeren Wollke braucht es sehr viel mehr Masse und damit eine stärkere Gravitationskraft, wenn man einen Stern kriegen will.
Heute liegt die theoretische Obergrenze für die Masse eines Sterns bei ungefähr dem 150fachen der Sonnenmasse. Das ist keine fixe Grenze; wir wissen nicht ganz genau, wie schwer ein Stern heute wirklich werden kann. Es gibt auch heute noch Bedingungen, unter denen ein Stern vielleicht mehr Masse haben kann. Aber damals, als das Universum daran ging, das erste Mal Sterne entstehen zu lassen, muss die Grenze bei ein paar hundert Sonnenmassen gelegen haben; vielleicht sogar dem 1000fachen der Sonnenmasse.
Jetzt könnte man meinen, dass das die Suche einfacher macht. Ein massereicher Stern sollte ja einfacher zu finden sein als ein winziger Zwergstern, oder? Im Prinzip schon. Aber je mehr Masse ein Stern hat, desto heißer ist es in seinem Inneren. Und desto schneller läuft dort die Kernfusion ab. Ein massereicher Stern hat seinen Brennstoff also deutlich früher aufgebraucht als ein kleiner Stern, der quasi auf Sparflamme brennt. Unsere kleine Sonne hat eine Lebensdauer von 10 bis 12 Milliarden Jahren. Ein gewaltiger Stern der Population III wäre nach 2 bis 5 Millionen Jahren schon durch. Das heißt, das mit Sicherheit keiner dieser gewaltigen Sterne vom Anfang des Universums bis heute überlebt hat. Jetzt wiederum könnte man auf die Idee kommen, dass die Suche nach ihnen dadurch komplett aussichtslos wäre. Wie sollen wir etwas finden, was seit mehr als 13 Milliarden Jahren nicht mehr existiert? Aber da kommen die großen Entfernungen in der Astronomie ins Spiel. Wenn wir Licht beobachten, dass sehr, sehr lange zu uns unterwegs war, dann blicken wir zurück in die Vergangenheit. Eine Galaxie, deren Licht 13 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat, erscheint uns so, wie sie vor 13 Milliarden Jahren ausgesehen hat, als das Universum selbst quasi noch ein Kind war.
Wir sind in der Lage, so weit zurück zu schauen. Unsere Teleskope können solche alten - oder jungen, je nachdem wie man es betrachtet - Galaxien sehen. Ihr Licht haben sie nur ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall hinaus in den Kosmos gestrahlt. Der aber dehnt sich ja aus. Während das Licht unterwegs war, ist der Raum den es durchquert, immer mehr geworden. Deswegen ist ein Teil dieses Lichts heute eben immer noch unterwegs und wir haben eine Chance, es zu detektieren. Die Suche nach dem Licht der allerersten Sterne ist also durchaus schwierig, aber nicht chancenlos. Wir haben Sterne beobachtet, die enorm alt sind und enorm wenig Metalle enthalten. Aber eben noch keinen, der wirklich fast so alt wie das Universum selbst und frei von Metallen ist.
Oder vielleicht doch: Im Jahr 2015 hat ein portugiesisch-niederländisches Team aus Lisabon und Leiden eine Galaxie entdeckt, deren Licht wirklich lange unterwegs war. 12,9 Milliarden Jahre - wir sehen sie also sie, wie sie ausgesehen hat, als das Universum selbst nur knapp 800 bis 900 Millionen Jahre alt war. Wie man sich denken kann, leuchtet eine so weit von uns entfernte Galaxie nur schwach. Diese hier war aber sehr viel heller, als man es erwartet hätte. Jetzt ist es an sich nicht ungewöhnlich, das weit entfernte Galaxien aus der Frühzeit des Universums viel Strahlung abgeben. Das liegt an den aktiven Galaxienkernen, also den Zentren ferner Galaxien, in denen Materie um ein gigantisches schwarzes Loch kreist und dabei Unmengen an Energie abgibt. In aktiven Galaxien sieht man aber vor allem Röntgen- und Radiostrahlung und die konnte man hier nicht sehen. Stattdessen war da nur helles Licht, wie man es von Sternen erwartet. Und eine genaue Analyse zeigte: In der hellen Regionen gibt es nur Anzeichen von Wasserstoff. Und Helium. Und sonst nichts.
Die Galaxie - den Namen CR7 trägt, was einerseits für die Katalognummer 7 des Beobachtungsprojekts "Cosmic Redshift" steht, andereseits aber, leider, auch für den Spitznamen des portugiesischen Fußballers Christian Ronaldo und seine Rückennummer 7 - diese Galaxie also zeigte ganz klar die Spuren des Lichts von Sternen der Population III. Aber nicht alle waren mit der Interpretation der Daten einverstanden - zwei Jahre später veröffentlichte ein britisches Forschungsteam ihre eigenen Beobachtungen von CR7 und zeigten, dass sie einerseits die früheren Daten nicht reproduzieren konnten und andererseits die restlichen Beobachtungen durchaus mit einer normalen aktiven Galaxie vereinbar sind, in der zwar alte Sterne existieren, aber keine Sterne der Population III. Es ist eben schwer, so weit entfernte Objekte mit der nötigen Genauigkeit zu beobachten, um eindeutige Aussagen machen zu können. Klarheit werden erst neue Beobachtungen bringen, die mit besseren Instrumenten durchgeführt werden.
Vielleicht lohnt es sich aber doch, auch in unserer Nähe nach den ersten Sternen zu suchen. Ein indisches Forschungsteam hat 2017 eine Arbeit veröffentlicht, in der sie argumentiert, dass nicht alle der ersten Sterne solche Massemonster gewesen sein müssen. Ihre Simulationen zeigen, dass bei manchen der Entstehungsprozess quasi unterbrochen werden kann, so dass sie am Ende nur eine Masse haben, die sogar noch kleiner als die der Sonne ist. Damit würde sich ihre Lebensdauer dramatisch erhöhen; sie könnten dann tatsächlich auch heute noch im Universum existieren. Unklar ist allerdings, wo man am besten nach ihnen suchen sollte. Manche meinen, dass sie überall zwischen den normalen, jüngeren Sternen verteilt sind. Manche sagen voraus, dass man sie eher im Zentrum der Milchstraße finden kann; andere dagegen, dass man viel mehr in den Außenbereichen der Galaxie suchen muss. Kurz: Wenn es sie überhaupt gibt, dann können sie nach dem was wir jetzt wissen, überall sein.
Womit wir wieder beim Problem vom Anfang wären: Es gibt einfach verdammt viele Sterne. Irgendwo müssen auch die allerersten Sterne sein. Entweder hier in unserer Umgebung, in unserer eigenen Milchstraße. Oder vielleicht weit entfernt in Raum UND Zeit, so dass sie uns nur der astronomische Blick in die Vergangenheit zeigen kann. Fest steht nur: Es muss sie geben. Und wenn wir in der Astronomie wissen, dass es eine bestimmte Art von Himmelskörper geben MUSS, dann geben wir keine Ruhe, bis wir die Dinger auch gefunden haben!
Sternengeschichten Folge 453: Das elektrische Universum und das mächtige Gefühl des Staunens
In den Sternengeschichten habe ich auch immer viel von der historischen Entwicklung der Astronomie erzählt. Weil es spannend ist, weil es interessant ist zu wissen, wer wann was herausgefunden hat und vor allem wie. Dadurch lernt man nämlich auch, welche Fehler wir auf dem Weg zur Erkenntnis gemacht haben. Und wir haben jede Menge davon gemacht! Es ist ein Vorurteil zu denken, die Wissenschaft würde behaupten, alles letztgültig verstanden zu haben. Ganz im Gegenteil; wenn es so wäre, dann bräuchte es ja keine Wissenschaft mehr. Allen Forscherinnen und Forschern ist mehr als deutlich bewusst, wie viel wir noch nicht wissen. Daraus folgt aber auch nicht, dass alles, was wir jetzt wissen, Gefahr läuft, irgendwann falsch zu sein. Isaac Newton und Albert Einstein sind ein gutes Beispiel dafür. Newton hat im 17. Jahrhundert ein Modell aufgestellt, mit dem er unter anderem beschreiben konnte, wie sich die Himmelskörper bewegen. Albert Einstein hat im frühen 20. Jahrhundert das gleiche getan. Newtons Gravitationstheorie war höchst erfolgreich; sie war quasi die Grundlage auf der die moderne Naturwissenschaft erst aufgebaut werden konnte. Mit Newtons Theorie konnte man die Bewegung der Himmelskörper sehr viel genauer vorhersagen als heute. Man konnte damit erklären, wie Ebbe und Flut funktionieren, warum die Erde so aussieht, wie sie aussieht, und so weiter. Newtons Beschreibung der Natur war super. Aber war sie auch "richtig"? Manche Dinge ließen sich damit nur schlecht beschreiben. Die Bewegung des Planeten Merkur, zum Beispiel. Newton konnte außerdem nicht erklären, WARUM die Gravitation eigentlich zwischen den Himmelskörpern wirkt, er konnte nur mathematisch beschreiben, wie sie es tut. Albert Einsteins Theorie der Gravitation - die allgemeine Relativitätstheorie - konnte dagegen sehr gut erklären, wie Merkur sich bewegt, wie ich in Folge 222 ausführlich erzählt habe. Sie hat die Gravitation als Auswirkung der Krümmung von Raum und Zeit beschrieben. Einsteins Theorie konnte all das, was Newtons Theorie konnte, nur deutlich besser und sie konnte darüber hinaus auch völlig neue Phänomene vorhersagen und erklären, die komplett außerhalb von Newtons Reichweite liegen.
Ist Einsteins Theorie also richtig und Newtons Theorie falsch? Das kann man so sagen, aber man sollte es eigentlich nicht. Die absoluten Kategorien "richtig" und "falsch" lassen sich hier nicht anwenden. Newtons Gravitationstheorie beschreibt das Universum schlechter als das von Einstein. Aber in vielen Fällen immer noch ausreichend genau. Wenn es zum Beispiel darum geht, die Bewegung von Planeten zu berechnen, weil man eine Raumsonde zum Mars schicken will, dann kommt man mit Newtons Theorie immer noch wunderbar aus. Wenn ich berechnen will, wie ein Flugzeug fliegt; wie schnell ein Ball zu Boden fällt oder wie stark die Stützpfeiler einer Brücke sein müssen: Dann rechnen wir das heute immer noch mit Newtons Theorie aus und nicht mit der von Albert Einstein. Wir tun das, obwohl wir wissen, dass Einsteins Theorie besser ist. Aber wir wissen auch, dass die Unterschiede zwischen den beiden Modellen in sehr, sehr vielen Fällen nur minimal sind und keine Rolle spielen. Statt uns auf "richtig" und "falsch" zu konzentrieren, sollten wir lieber von Erweiterungen sprechen. Albert Einstein hat Newtons Theorie nicht widerlegt oder ersetzt. Sondern erweitert. Oder anders gesagt: Die Gravitationstheorie von Newton war eine Annäherung an die genauere Beschreibung, die Albert Einstein gefunden hat. Die allgemeine Relativitätstheorie wird erst dann relevant, wenn sehr starke Gravitationskräfte im Spiel sind oder Geschwindigkeiten, die nahe an der Lichtgeschwindigkeit liegen. Dort wo das nicht der Fall ist, liefern beide Theorien quasi identische Ergebnisse.
Das ist es, was Wissenschaft eigentlich Tag für Tag versucht: Eine immer genauere und bessere Beschreibung der Realität zu finden. Die dabei aber immer das bestehende Wissen inkludieren muss. Denn das basiert ja auf realen Beobachtungen. Newton hat seine Theorie aufgestellt, um die tatsächlich am Himmel zu sehende Bewegung der Himmelskörper mathematisch zu beschreiben. Eine Erweiterung von Newtons Theorie kann da nicht einfach komplett andere Ergebnisse liefern, sie muss die Realität ebenso genau beschreiben und dann noch besser sein.
Die Geschichte der Wissenschaft ist voll mit "falschen" Theorien wie Newtons Gravitation. Nur dass die eben nicht wirklich "falsch" sind, sondern meistens eben einfach nur dem bestmöglichen Stand der damaligen Erkenntnis entsprochen haben. Und modifiziert beziehungsweise erweitert worden sind, als man bessere Erkenntnisse, neue und genauere Daten oder unerwartete Entdeckungen gemacht hat. Eine veraltete Theorie ist nicht zwingend falsch und war im Allgemeinen echte Wissenschaft, als sie noch nicht veraltet war. Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Im Laufe der Geschichte sind auch immer wieder Theorien aufgetaucht, die alles Bestehende komplett in Frage gestellt und ein völlig neues Bild des Universums präsentiert haben. Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie war so ein Fall; also jetzt nicht die Sache mit der Gravitation, sondern das mit "Nichts kann schneller als Licht sein" und "Bewegte Uhren gehen langsamer", und so weiter. Das war tatsächlich ein radikaler Wandel; bis dahin dachte man, dass Raum und Zeit getrennt voneinander existieren und absolut sind, also quasi einfach nur eine Bühne, auf der alles andere stattfindet. Einstein hat behauptet, dass beide Phänomene zusammenhängen und diese "Raumzeit" tatsächlich auch "etwas" ist. Er hat gezeigt, dass die Zeit unterschiedlich schnell vergeht, je nachdem wie schnell man sich bewegt. Und so weiter. Das waren dramatische Behauptungen. Aber Einstein konnte Vorhersagen machen, die immer und immer wieder bestätigt wurden. Und er konnte zeigen, dass seine Theorie auch all das was vorher da gewesen war, umfasst und erklären kann. Die Entwicklung der Quantenmechanik war ein ähnlich radikaler Wandel des Weltbildes.
Aber nicht immer, wenn jemand behauptet, das Universum sei radikal anders als man bisher geglaubt hat, hat man es auch mit echter Wissenschaft zu tun. Womit wir jetzt endlich beim "elektrischen Universum" aus dem Titel der Folge sind. Damit wird keine in sich konsistene Theorie zur Beschreibung des Kosmos bezeichnet. Es handelt sich eher um eine von verschiedensten Leuten zusammengetragene und immer wieder unterschiedlich interpretierte Sammlung an Gedanken, die alle auf einer Grundthese basieren: So gut wie alle Phänomene im Universum werden durch elektrische Kräfte verursacht. Das steht im Widerspruch zu den derzeitigen Erkenntnissen von Astronomie und Physik. Hier ist die Gravitationskraft die Kraft, die das Universum auf großen Skalen dominiert. Die Bewegung der Planeten um die Sonne; die Entstehung von Sternen, die Eigenschaften von Galaxien, die Bildung von Planeten: Und so weiter - all das können wir nur verstehen, wenn wir die Gravitation berücksichtigen. Im Kontext des "elektrischen Universum" wird das aber als falsch angesehen; hier verlässt man sich auf die Elektrizität.
Der Urspung dieser Hypothese lässt sich nicht eindeutig zurück verfolgen. Im Jahr 1883 hat ein anonymer englischer Autor, der sich selbst "Torpedo" genannt hat, ein Heftchen mit dem Titel "Das elektrische Universum: Leuchtende Gedanken zur Überlegung und Fakten aus vielen Quellen" veröffentlicht. Darin erklärt er, dass die Dinge nicht so sind, wie man sie uns glauben machen will. Und in Wahrheit alles ganz anders ist. Die Astronomie wisse zum Beispiel gar nicht, wie Licht und Wärme von der Sonne funktionieren würden. Warum etwa ist es in England im Dezember und Januar so viel kälter als im Juni, wo doch die Erde auf ihrer elliptischen Bahn näher an der Sonne sei als im Sommer? Mit der Neigung der Erdachse hätte das nichts zu tun, so Torpedo, das könne auch gar nicht sein. Denn Licht sei zwar Licht, aber er könne sich nicht vorstellen, dass auch Wärme so funktioniert wie ein Lichtstrahl. Wenn die Sonne ein heißes Objekt sei, dann müsse es wärmer sein, wenn wir näher dran sind und Ende. Und weil es im englischen Winter kalt ist, könne die Sonne nicht heiß sein. Die Wärme die wir auf der Erde spüren, käme stattdessen durch elektrische Effekte in unserer Atmosphäre zustande.
1883 ist schon ein bisschen her. Aber auch damals hätte jemand wie Torpedo eigentlich schon wissen können, dass diese Argumentation Unsinn ist. Ja, es stimmt: Die Erde kommt auf ihrer Bahn der Sonne tatsächlich Anfang Januar am nächsten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass es bei uns im Winter kalt ist. Was man - auch im 19. Jahrhundert - leicht dadurch feststellen kann, dass auf der südlichen Hälfte der Erde die Temperaturen im Januar alles andere als kalt sind. In Australien befindet man sich dann etwa mitten im Hochsommer. Die Jahreszeiten werden - wie man heute schon in der Schule lernt - tatsächlich durch die Neigung der Erdachse verursacht. Im Winter trifft das Sonnenlicht unter einem flacheren Winkel auf die Erde und die Sonne steht auch kürzer am Himmel und deswegen erreicht uns weniger Energie. Und dass Wärme tatsächlich nichts anderes als Licht ist, das wir mit unseren Augen nicht sehen können, kann man sich heute mit jeder Wärmebildkamera ansehen (oder auch jeder Handykamera, die einem zum Beispiel das ansonsten unsichtbare Infrarotlicht zeigt, das aus einer Fernbedienung kommt). Torpedo schreibt noch seitenweise weiter, bevor er dann dazu übergeht, die Leute um Geld zu bitten, um von ihm das Geheimnis des Perpetuum Mobiles zu kaufen und seltsame Gedanken über Religion äußert.
Absurde Thesen über das Universum und Pseudowissenschaft findet man in der Geschichte in großer Menge; und über irgendein komisches Flugblatt aus dem 19. Jahrhundert müsste man eigentlich gar nicht diskutieren. Die Idee des "elektrischen Universums" existiert aber auch heute noch. Nicht in der Welt der echten Wissenschaft - aber abseits davon taucht es immer wieder auf. Es ist, wie gesagt, nicht möglich, einen allgemeinen Überblick darüber zu geben, was diese Hypothese umfasst. Es gibt keine einheitliche Theorie des elektrischen Universums, nur jede Menge überall verstreute Gedanken. Die aber nicht sonderlich tiefgehender sind als die von Torpedo im 19. Jahrhundert. Ein Beispiel: Auch die modernen Anhänger des elektrischen Universums sind der Meinung, die Sonne wäre kein heißer Ball aus Gas, in dem Kernfusion stattfindet und der deswegen Licht und Energie produziert. Stattdessen sei die Sonne eine "elektrische Entladung", die über einen entsprechenden "galaktischen Stromkreis" versorgt wird. Auch die Planeten sind nicht entstanden, als sich Material in einer Scheibe aus Gas und Staub durch Gravitationskraft zusammengeballt hat, sondern verdanken ihrer Existenz elektrischen Phänomenen. Jetzt seien sie zwar in elektrische Felder gehüllt, die die elektrischen Kräfte im Sonnensystem abschirmen, weswegen es so aussieht, als spiele nur die Gravitationskraft eine Rolle. Das aber könne sich jederzeit ändern… und elektrische Entladungen überall stattfinden. Die vielen Krater, die man auf diversen Himmelskörper sehen kann, seien ein Beleg dafür. Denn die Krater sind ja alle annähernd kreisförmig; wenn sie aber durch Kollisionen mit Asteroiden entstanden sind, müssten sie ja auch oval, langgestreckt und so weiter sein, je nachdem unter welchem Winkel das Objekt auftrifft. Stattdessen würden die Krater durch gigantische Blitzentladungen entstehen.
Und so weiter. So gut wie alles, was die moderne Astronomie herausgefunden hat, wird von Anhängern des elektrischen Universums angezweifelt. Angefangen bei der Entstehung des Universums selbst bis hin zu den Zeitskalen (Die Erde sei vielleicht viel jünger als die Geologie behauptet). Nichts ist so, wie die Wissenschaft behauptet, alles ist ganz anders, nämlich elektrisch. Natürlich lässt sich jede dieser Behauptungen widerlegen. Am Ende landet man aber immer da, wo man auch schon bei Torpedo im 19. Jahrhundert war. Er hat damals argumentiert: Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Jahreszeiten entstehen. Also kann es nicht so sein, wie die Wissenschaft behauptet. Und genau so läuft es heute immer noch: Ja, es klingt auf den ersten Blick seltsam, dass alle Krater annähernd rund sind, egal unter welchem Winkel die Asteroiden einschlagen. Aber wenn man WIRKLICH darüber nachdenkt, die entsprechenden Kräfte und freiwerdenden Energien berechnet (wobei man natürlich die Gravitation berücksichtigen muss), dann sieht man leicht, dass diese Energie so gewaltig ist, dass der Krater durch eine Explosion verursacht wird, die dann eben immer einen kreisförmigen Krater erzeugt - wie ich auch in der Folge 220 im Detail erklärt habe.
Und ja, es ist auch schwer, sich die Quanteneffekte im Inneren der Sonne anschaulich vorzustellen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht da sind und man kann deswegen nicht folgern - wie die Anhänger des elektrischen Universums es tun - dass dort keine Kernfusion möglich ist. Man darf sich nicht wundern, dass die Welt seltsam wirkt, wenn man sie an den Grenzen der eigenen Vorstellungskraft misst. Aus "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktioniert" darf man eben gerade nicht folgern "Wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das funktioniert, dann KANN es auch nicht funktionieren". Isaac Newton konnte sich auch nicht vorstellen, WIE die Gravitationskraft zwischen den Planeten wirkt. Aber er wusste, wie er diese Wirkung mathematisch sehr genau beschreiben konnte. Und das hat ihm gereicht. Er hat seine Theorie deswegen nicht einfach verworfen. Und später kam dann ja eh Einstein und hat das erklärt, was Newton sich noch nicht vorstellen konnte.
Es wäre leicht, sich über die Anhänger des elektrischen Universums lustig zu machen. Genau so leicht wäre es, diejenigen zu verspotten, die denken, die Erde wäre eine Scheibe (die gibt es ja leider auch). Aber das wäre weder zielführend, noch angemessen. Ja, das elektrische Universum ist durch nichts belegt. Es ist eben gerade KEINE Theorie, die alles das erklären kann was wir schon wissen und das besser als es bisher möglich war. Es kann die Realität nur schlechter beschreiben als die Theorien, die es ersetzen will; ganz viele Phänomene kann das elektrische Universum gar nicht erklären und am wichtigsten: Die allermeisten Aussagen sind durch reale Beobachtungen und bestehendes Wissen schlicht und einfach widerlegt. Trotzdem wäre es zu einfach, die Leute, die sich das alles ausgedacht haben, "dumm" zu nennen. Das elektrische Universum ist eine schlechte, konfuse, sehr oft falsche und in sich widersprüchliche Beschreibung des Kosmos. Aber sie zeigt auch den dringenden Wunsch, dieses Universum verstehen zu wollen! Genau hier trifft die Pseudowissenschaft auf die echte Wissenschaft. Beide sind davon getrieben, zu wissen, wie alles funktioniert! Ich als Astronom kann diesen Wunsch oder besser gesagt, diesen Drang absolut verstehen! Und ich kann auch verstehen, dass es oft wahnsinnig hart und kompliziert ist, sich das nötige Wissen und die nötigen Methoden anzueignen, die man braucht, wenn man diesem Drang auf eine wissenschaftlich brauchbare Art und Weise nachkommen will. Man muss Jahre an der Universität bringen; muss lernen, muss rechnen, und scheitert unterwegs immer wieder. Das bis zum Ende durchzuziehen ist schwer und nicht unbedingt deswegen, weil man einfach zu blöd dafür wäre. Man braucht auch Glück; man braucht aber vor allem die Möglichkeiten, sich all diese Jahre dem Studium widmen zu können. Das können nicht alle. Und deswegen ist es verständlich, wenn man dann von außen auf die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft blickt und sich denkt: Das verstehe ich nicht. Das klingt seltsam. Das klingt nicht logisch. Das muss falsch sein.
Und wenn man dann trotzdem verstehen will, wie die Welt funktioniert, dann sucht man sich eben einen eigenen Weg! Der dann aber leider oft in die Irre führt und bei so etwas wie dem elektrischen Universum oder der flachen Erde landet. Der Astronom Carl Sagan hat einmal gesagt: "Die Wissenschaft vermag ein mächtiges Gefühl des Staunens zu wecken. Aber das gelingt auch der Pseudowissenschaft. Spärliche und schlechte populärwissenschaftliche Darstellungen lassen ökologische Nischen frei, welche die Pseudowissenschaft prompt ausfüllt."
Wir alle sind von diesem "mächtigen Gefühl des Staunes" angetrieben. Die Wissenschaft sollte den Menschen dabei helfen, es selbst erleben zu können und sich nicht über diejenigen lustig machen, die es dort befriedigen, wo es aus ihrer Sicht befriedigt wird. Wenn die Wissenschaft sich nicht darum kümmert, ihre Erkenntnisse so zu erklären, dass ALLE die das möchten daran teil haben können; wenn sie sich nicht darum kümmert, ihre Erkenntnisse auch verständlich für alle darzustellen - dann darf sie sich auch nicht wundern, wenn die Menschen sich abwenden. Wir treiben Wissenschaft, um das "mächtige Gefühl des Staunens" selbst erleben zu können. Mindestens ebenso wichtig wie die Forschung sollte es uns aber auch sein, dieses Gefühl an alle anderen Menschen zu vermitteln.
Sternengeschichten Folge 452: Die Keeling-Kurve
Die Keeling-Kurve ist genau das, wonach sie klingt. Eine Kurve. Eine Linie in einem Diagramm, wie man sie in wissenschaftlichen Arbeit zuhauf finden kann. Die Keeling-Kurve aber ist außergewöhnlich. Es hat lange gedauert, sie zeichnen zu können. Lange wurde überhaupt bezweifelt, dass es möglich ist sie zu zeichnen oder dass das überhaupt notwendig ist. Und jetzt, wo wir sie sehen können, zeigt sie uns nicht nur, wie komplex der Rhythmus unseres Planeten ist, sondern auch wie empfindlich das Gleichgewicht ist, dass das Leben auf der Erde ermöglicht.
Die Geschichte der Keeling-Kurve kann man im Jahr 1896 beginnen lassen. Da hat der schwedische Chemiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius zwar nicht als erster, aber als erster wissenschaftlich eindeutig und quantitativ beschrieben, dass Kohlendioxid in der Erdatmosphäre prinzipiell in der Lage ist, die globale Temperatur zu verändern. Arrhenius war auch der erste, der explizit darauf hingewiesen hat, dass die menschlichen Aktivitäten den CO2-Gehalt in der Atmosphäre erhöhen. Ende des 19. Jahrhunderts hat das natürlich noch in einem sehr geringen Ausmaß stattgefunden. Aber auch damals haben wir schon Kohle und Erdöl verbrannt und dadurch CO2 in die Atmosphäre entlassen, das zuvor für Millionen Jahre unter der Erde gespeichert war. Ausgehend vom damaligen Niveau des weltweiten CO2-Ausstoß hat Arrhenius berechnet, dass man eine Erhöhung der Temperatur durch den dadurch ausgelösten Treibhauseffekt erst in ein paar Jahrhunderten messen würde können.
Das Messen war damals überhaupt ein Problem. Man war schlicht und einfach nicht in der Lage, zu messen, wie viel CO2 sich in der Atmosphäre befindet. Oder gar herauszufinden, ob die Menge ansteigt. Natürlich hat man es versucht. Aber die Ergebnisse waren komplett unterschiedlich. Mal hat man den einen Wert gemessen; mal einen anderen. Man ging aber sowieso davon aus, dass die CO2-Konzentration von Ort zu Ort unterschiedlich ist. Und dass alles, was wir an CO2 in die Atmosphäre entlassen, vom Wasser der Ozeane aufgenommen wird. Und wenn es keinen globalen, halbwegs einheitlichen Wert der CO2-Konzentration gibt, dann kann man den auch nicht messen. Es mochte zwar durchaus interessant sein zu wissen, wie viel CO2 an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in der Atmosphäre existiert. Aber globale Messungen hielt man nicht für möglich.
Ein erster Hinweis darauf, dass man die ganze Sache mit dem CO2 doch ein wenig genauer anschauen sollte, kam in den 1950er Jahren. Die Scripps Instituition of Oceanography ist ein Zentrum zur Erforschung der Meere. Es befindet sich in Kalifornien und wurde damals von Roger Revelle geleitet. Er wollte wissen, wie das mit der Aufnahme von CO2 durch die Ozeane genau ist. Wird wirklich das gesamte CO2 aufgenommen, das wir durch Verbrennung und andere Aktivitäten freisetzen? Und wenn es vom Meerwasser aufgenommen wird, wie durchmischt es sich dann? Die wichtigste Frage aber war: Wie findet man so was raus? Kohlendioxid besteht aus einem Kohlenstoffatom und zwei Sauerstoffatomen. Das Molekül hat kein Etikett, auf dem steht, dass es aus dem Auspuff eines Autos stammt, aus dem Schlund eines Vulkans oder sonst irgendeiner anderen Quelle. Wie soll man herausfinden, wo die Moleküle herkommen?
Die Antwort lieferte Hans Eduard Suess. Der österreichische Physiker floh vor dem zweiten Weltkrieg ins Ausland und landeten schließlich an der Universität von Kalifornien, gleich in der Nähe der Scripps Institution. Damals interessierte er sich für die C-14-Methode. Denn wenn man das ganze auf atomarer Ebene betrachtet, haben die Teilchen oft doch ein Etikett. Kohlenstoffatome gibt es in unterschiedlichen Variationen. Jedes Atom hat in seinem Kern immer 6 Protonen, ansonsten wäre es kein Kohlenstoff. Die Anzahl der sich ebenfalls im Atomkern befindlichen Neutronen kann aber unterschiedlich sein. Der "normale" Kohlenstoff hat sechs davon, insgesamt sind im Kern also 12 Teilchen, weswegen er auch "C-12" genannt wird. Fast 99 Prozent des gesamten Kohlenstoffs sind C-12. Es gibt aber auch noch andere Varianten; es können auch 7 Neutronen im Kern sein. Dann kriegt man C-13, der knapp ein Prozent der Kohlenstoffmenge ausmacht. Eine winzige Menge aller Kohlenstoffatome ist C-14, hat also 8 Neutronen im Kern. Das ist fast schon ein bisschen viel; so viele Neutronen mag der Kern des Atoms nicht. Er zerfällt daher nach einer gewissen Zeit - was nichts anderes heißt, das C-14 radioaktiv ist. Die sogenannte Halbwertszeit liegt bei 5730 Jahren; hat man also eine bestimmte Menge an C-14 und wartet man 5730 Jahre, ist die Hälfte davon verschwunden. Wartet man noch einmal 5730 Jahren, ist die Hälfte dieser Hälfte weg. Und so weiter.
Ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil es für die Geschichte wichtig ist. Und damit ist nicht nur diese Sternengeschichte gemeint, sondern auch die Geschichte an sich. Denn 5730 Jahre sind keine lange Zeit, zumindest nicht wenn man das ganze physikalisch betrachtet. Die Erde etwa ist 4,5 Milliarden Jahre alt. Was auch immer an C-14 an ihrer Entstehung beteiligt war, ist seitdem schon längst radioaktiv zerfallen. Wir finden aber trotzdem überall noch C-14-Atome. Es muss also eine Quelle geben, die ständig neue C-14-Atome produziert. Diese Quelle existiert am Rand der Atmosphäre, wo Teilchen der kosmischen Strahlung mit Atomen der Lufthülle kollidieren. Die dadurch ablaufenden Kernreaktionen erzeugen unter anderem C-14. Der radioaktive Kohlenstoff wird also immer wieder nachgeliefert. Und findet sich daher überall dort, wo sich auch der normale Kohlenstoff findet. Auch und vor allem in Lebewesen, die ohne Kohlenstoff nicht existieren können. Solange ein Lebewesen - ein Baum, ein Tier, ein Mensch - lebendig ist, nimmt es durch die Nahrung immer neuen Kohlenstoff und damit auch eine winzige Menge C-14 auf. Wenn man dann aber erstmal gestorben ist, isst man normalerweise auch nichts mehr. Die zum Zeitpunkt des Todes vorhandene Menge an C-14 beginnt nun also zu verschwinden. Alle 5730 Jahre ist eine weitere Hälfte zerfallen. Hat man nun also alte Knochen gefunden, ein Stück Holz eines alten Bauwerks oder irgendein anderes Material, das früher mal lebendig war und Kohlenstoff enthält, muss man nur die noch vorhandene Menge an C-14 messen und kann daraus berechnen, wie alt der Knochen, das Holz, und so weiter ist.
In der Praxis ist es noch ein bisschen komplizierter und noch komplizierter wird die Sache durch den "Suess-Effekt" der, wenig überraschend, von Hans Suess entdeckt wurde. Der Kohlenstoff, den wir in Form von Erdöl, Kohle oder anderen fossilen Stoffen verbrennen, lag zuvor sehr, sehr lange Zeit unter der Erde. Die fossilen Brennstoffe sind aus Lebewesen entstanden, aus Pflanzen und Tieren, die vor langer Zeit auf der Erde gelebt haben. Die Details lasse ich aus, aber unter bestimmten Umständen können sich daraus nach dem Absterben die organischen Verbindungen bilden, die wir dann "Öl" oder "Kohle" nennen. Das aber braucht viel Zeit, so viel, dass die C-14-Atome in den fossilen Brennstoffen schon quasi komplett zerfallen sind.
Was Suess bei seiner Forschung 1957 nachweisen konnte, war die Tatsache, dass der Anteil von C-14 in der Atmosphäre sinkt. Da die Produktion am Rand der Atmosphäre aber konstant weiterläuft kann das nur heißen, dass es irgendwie verdünnt wird. Das also in letzter Zeit relevante Mengen an Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt sind, die kein C-14 enthalten. Und die einzige Quelle für diese Art von Kohlenstoff sind die fossilen Brennstoffe. Anders gesagt: Suess konnte, gemeinsam mit Roger Revelle, zeigen, dass sich das von Menschen freigesetzte CO2 in der Atmosphäre anreichert. Das bedeutet aber auch, dass NICHT alles von den Ozeanen aufgenommen wird. Es muss also ein Teil davon in der Atmosphäre verbleiben. Bei seiner weiteren Forschung konnte Revelle zeigen, dass sogar die Mehrheit des CO2 NICHT im Meer landet; die Menge die in der Luft bleibt war so groß, dass man eigentlichen auch global messen können sollte, wie die Menge dort immer mehr wird.
Womit wir jetzt bei Charles David Keeling angekommen sind. Der Amerikaner wurde am 20. April 1928 geboren und hatte sich in seiner Doktorarbeit mit der Messsung von CO2-Mengen beschäftigt. Nicht in der Atmosphäre, sondern in Gewässern und Steinen. Aber mit den sehr präzisen Messgeräten die er dafür konstruierte, hat er dann auch mal nachgesehen, wie viel davon in der Luft rumschwirrt. Die ersten Messungen hat er direkt in Pasadena, an seinem Wohn- und Arbeitsort durchgeführt. Sie schwankten stark und deswegen ging er ein bisschen nach außerhalb, in die Natur. Auch da sah er schwankende Wert, je nach der Tageszeit an der er die Proben genommen hatte. Nachts war mehr CO2 in der Luft als tagsüber. Aber nach einiger Zeit stellte er fest, dass der Wert vom Nachmittag immer gleich war und bei etwa 310 ppm lag. Das "ppm" steht für "parts per million" und heißt so viel, dass von einer Million Moleküle in der Luft nur 310 CO2-Moleküle waren. Die Konzentration lag also bei 0,31 Promille oder 0,031 Prozent. Nicht viel, aber immerhin ein konkreter Messwert. Keeling wollte aber wissen wo die täglichen Schwankungen herkommen und hat dafür ein weiteres Mal die verschiedenen Kohlenstoff-Varianten benutzt. C-12 ist ein wenig leichter als C-13, das ja ein Neutron mehr im Atomkern enthält. Pflanzen, die ja Kohlenstoff und CO2 aufnehmen, mögen das leichtere C-12 lieber. Das Verhältnis von C-13 zu C-12 ändert sich also je nachdem wie stark die Pflanzen gerade Fotosynthese betreiben. Die täglich wechselnden Werte passten genau zur Aktivität der Pflanzen. Die nachmittäglichen Werte blieben aber gleich und bestätigten Keeling darin, dass man auch einen "Hintergrund"-Wert für die CO2-Konzentration in der Atmosphäre messen können müsste, der global gilt.
1956 wurde Revelle auf die Arbeit von Keeling aufmerksam und die beiden taten sich zusammen, um ein entsprechendes Messprogramm zu organisieren. Keeling bekam Fördergelder und besorgte damit extrem genaue Messgeräte. Die stellte er an Orten auf, an denen möglichst keine störenden Einflüsse existierten. Keine Menschen, keine Industrie, keine Pflanzen. Das erste Gerät, mit dem auch die ersten Messungen durchgeführt wurden, kam 1958 auf den Mauna Loa auf Hawaii. Die anderen verteilte er später unter anderem in der Antarktis und in Kalifornien; eines behielt er in seinem Labor um damit überall auf der Welt und mit Flugzeugen hoch in der Atmosphäre eingesammelte Proben zu untersuchen.
Der erste Datenpunkt, der im März 1958 am Mauna Loa gemessen wurde, zeigte eine CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 313 ppm. Dann begann die Konzentration zu steigen, sank im Mai aber wieder um im Oktober ein Minimum zu erreichen von dem aus im März wieder Ausgangswert erreicht wurde. Das gleiche passierte im Jahr 1959. Keeling war anfangs ein wenig verwirrt und dachte schon, es wäre doch nicht möglich, eine vernünftige Messung der Hintergrundkonzentration durchzuführen. Vielleicht hatte er doch Störquellen übersehen? Aber er maß weiter und hatte bald die Lösung gefunden. Wieder waren es die Pflanzen. Auf der Nordhalbkugel der Erde gibt es mehr Landmassen als auf der südlichen Hälfte. Deswegen wachsen im Norden auch mehr Pflanzen. Wenn die im Nordhalbkugelfrühling zu blühen beginnen, holen sie jede Menge CO2 aus der Atmosphäre. Gleichzeitig ist auf der Südhalbkugel Herbst und dort lassen die Pflanzen die Blätter fallen. Sie verrotten und setzen CO2 frei. Weil aber im Süden weniger Pflanzen leben als im Norden, gleicht sich das nicht aus. In der zweiten Jahreshälfte ist es dann umgekehrt. Erst nach einem Jahr ist alles wieder auf gleich. Keeling war begeistert von diesem Ergebnis: "Zum ersten Mal können wir dabei zusehen, wie die Natur CO2 aus der Atmosphäre holt um im Sommer Pflanzen wachsen zu lassen und wie es im Winter wieder zurück gegeben wird." Will man etwas poetischer sein, dann kann man sagen: Die regelmäßig schwankenden Werte von Keelings Messungen zeigen, wie das Leben auf der Erde langsam im Laufe eines Jahres ein- und wieder ausatmet.
Keeling sah aber noch etwas anderes: Die Messungen schwankten zwar im Laufe eines Jahres auf und ab. Am Ende eines Zyklus erreichte die CO2-Konzentration aber nie exakt den Ausgangspunkt des Vorjahres. Sondern lag immer ein kleines bisschen darüber. Die mittlere CO2-Konzentration der Atmosphäre stieg an. Genau so wie Svante Arrhenius es 1896 vorhergesagt hatte. Genau so, wie viele Forscherinnen und Forscher es schon seit langem vermutet hatten. Jetzt konnte man es das erste Mal mit konkreten Messungen nachweisen: Die menschliche Aktivität, unser immer weiter steigender Verbrauch fossiler Brennstoffe führt dazu, dass immer mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt.
Keeling ist es gelungen, die Messungen Jahr für Jahr weiterzuführen. Es gab immer wieder mal Versuche, das Programm aus finanziellen Gründen einzustellen. Aber Keeling beharrte, lobbyierte und hörte einfach nicht auf zu messen. Heute finden CO2-Messungen nicht nur an Keelings ursprünglichen Stationen statt, sondern überall auf der Welt an vielen Orten und von vielen Institutionen. Deswegen haben wir nun auch eine seit 1958 durchgehende Messreihe der CO2-Konzentration. Das ist die "Keeling-Kurve". Sie ist das Resultat eines eindrucksvollen wissenschaftlichen Projekts. Und sie zeigt uns ebenso eindrucksvoll, was wir gerade mit der Erde anstellen. Die Kurve schwankt immer noch Jahr für Jahr; die Erde atmet immer noch langsam vor sich hin. Aber gleichzeitig steigt die Kurve auch steil nach oben. Jahr für Jahr wird die mittlere CO2-Konzentration größer. Als Keeling mit den Messungen 1958 anfing, lag sie bei 313 ppm. Im Frühjahr 2013 überschritt die Kurve das erste Mal die Marke von 400 ppm. In den 1960er Jahren stieg die Konzentration noch um etwa 0,8 ppm pro Jahr. 20 Jahre später lag das Wachstum bei 1,6 ppm, war also doppelt so schnell. In den 2010er Jahren lag die Wachstumsrate dann schon bei 2,4 ppm. Fast jedes Jahr wird ein neuer Rekordwert erreicht. Im März 2021 hat man einen Wert von 418 ppm gemessen. Das ist viel. Aus den in uralten Eisschichten gefangenen Luftblasen und mit anderen Methoden kann man mittlerweile auch die CO2-Konzentration für Zeitpunkte rekonstruieren, die vor Keelings Messkampagne liegen. Weit davor. Das letzte Mal, als die CO2-Werte vergleichbar hoch waren, war vor mehr als 3 Millionen Jahren, lange bevor es Menschen gab. Wir erhöhen die CO2-Konzentration in einem Tempo, das sehr viel schneller ist, als alle natürlichen Prozesse es tun können. Die Welt hat keine Zeit, sich an diese dramatisch verändernden Bedingungen anzupassen. Die Keeling-Kurve zeigt uns, dass es nicht so weiter gehen kann. Wir steuern mit unserem CO2-Ausstoß auf einen Zustand zu, denn kein Mensch bis jetzt je erlebt hat.
Sternengeschichten Folge 451: Der Treibhauseffekt auf anderen Himmelskörpern
Der Treibhauseffekt ist ein wichtiges Phänomen. Wir begegnehm ihm heute hauptsächlich in der Diskussion zur Klimakrise in Form des menschengemachten Treibhauseffekt der unseren Planeten immer wieder aufheizt, was ich ja in Folge 434 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Es gibt ihn aber auch als ganz natürliches Phänomen. Die Details der Physik und Chemie die dem Treibhauseffekt zugrunde liegen, habe ich in Folge 241 genauer erklärt. Die Kurzversion lautet: Moleküle können unterschiedlich durchlässig für unterschiedliche Arten von Strahlung sein. Unsere Atmosphäre zum Beispiel lässt das sichtbare Licht der Sonne problemlos passieren, weswegen es den Erdboden erwärmen kann. Wenn die Wärme in Form von Infrarotstrahlung dann aber wieder vom Boden wieder zurück ins All strahlen will, trifft sie auf Kohlendioxidmoleküle in der Luft. Oder auf Methan oder Wasserdampf. Das sind Treibhausgase, die das sichtbare Licht mit seiner kurzen Wellenlänge zuvor noch ungehindert durchgelassen haben. Die langwellige Wärmestrahlung nun aber quasi blockieren und teilweise zurück zum Boden schicken. Dadurch heizt sich der Planet weiter auf.
Das ist, wie gesagt, prinzipiell ein natürliches Phänomen und eines, das durchaus wichtig für die Existenz des Lebens ist. Ohne die Atmosphäre der Erde und die darin enthaltenen Treibhausgase wie Wasserdampf, wäre unser Planet viel kälter. Die Durchschnittstemperatur würde circa -18 Grad Celsius betragen. Dass die Erde lebensfreundlich ist, liegt also am natürlichen Treibhauseffekt. Mit dem menschengemachten Treibhauseffekt, also durch die zusätzlichen Treibhausgase die wir in die Atmosphäre entlassen, sind wir aber nun gerade dabei, die Erde lebensfeindlich heiß zu machen. Darum soll es heute aber nicht gehen, so wichtig dieses Thema auch ist. Stattdessen schauen wir auf die anderen Himmelskörper des Sonnensystems. Gibt es dort auch einen Treibhauseffekt und wenn ja, was für Konsequenzen hat das?
Damit ein Treibhauseffekt stattfinden kann, braucht es prinzipiell mal einen Himmelskörper mit einer nennenswerten Atmosphäre. Davon haben wir im Sonnensystem überraschend wenige. Wenn wir die Erde ausnehmen, dann bleiben unter den restlichen Planeten nur die Venus und der Mars. Der Merkur ist ein Planet ohne Lufthülle; der Mond hat auch keine. Die Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun bestehen nur aus dichtem Gas und das Konzept des Treibhauseffekts kann man dort in der Form nicht so anwenden wie bei uns. Die ganzen Asteroiden und die meisten Monde der anderen Planeten sind zu klein, um eine vernünftige Atmosphäre halten zu können. Die einzige Ausnahme ist Titan, der größte Mond des Saturns.
Venus, Mars und Titan: Das sind, neben der Erde, die einzigen Himmelskörper im Sonnensystem bei denen man die Frage nach einem außerirdischen Treibhauseffekt sinnvoll untersuchen kann. Beginnen wir mit dem Mars, der eigentlich ein Grenzfall ist. In Folge 236 habe ich die Atmosphäre des Mars ja schon einmal ausführlich besprochen. Und die Folge mit der Feststellung begonnen, dass er eigentlich gar keine solche hat. Der "Luftdruck" dort beträgt weniger als ein Prozent von dem, was wir hier auf der Erde haben. Es ist also kaum etwas da, was den Mars in Form eine Atmosphäre umgibt. Das was da ist, besteht zwar fast ausschließlich aus dem Treibhausgas Kohlendioxid. Aber weil eben so wenig Atmosphäre vorhanden ist, kann der Mars keine Wärme speichern, da hilft auch das CO2 nicht. Unter anderem deswegen ist der Mars auch so enorm kalt. Es gibt keinen natürlichen Treibhauseffekt, der ihn aufwärmen könnte.
Wir wissen aber, dass es früher in der Geschichte unseres Nachbarplaneten wärmer gewesen sein muss. Wir finden überall auf dem Mars die Spuren von Wasser, das über seine Oberfläche geflossen sein muss. Irgendein Mechanismus muss also den Mars irgendwann einmal wärmer gemacht haben. Wir reden hier von der Zeit kurz nach seiner Entstehung; kurz nach der Entstehung aller Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren. Planeten aus Metall und Gestein; mit einer festen Oberfläche die im inneren Bereich des Sonnensystems entstanden sind; Planeten also wie die Erde, die Venus und der Mars, haben bei ihrer Entstehung immer auch eine gewissen Menge an Wasser mitbekommen. Gespeichert im Gestein konnte es durch diverse geologische und chemische Prozesse an die Oberfläche gelangen. Und wenn die von einer passenden Atmosphäre eingehüllt wird, die für Temperaturen zwischen 0 und 100 Grad Celsius sorgt, kann es dort flüssig bleiben und Seen, Flüsse oder gar Ozeane bilden.
Was am frühen Mars für angenehme Temperaturen gesorgt hat, wissen wir noch nicht. Vielleicht war Wasserstoff verantwortlich: Aus geologischen Gründen die genau zu erklären hier jetzt zu weit führen würden, war es auf dem Mars für Wasserstoff einfacher, aus dem Gestein seiner Planetenkruste auszugasen als auf der Erde. Wasserstoff gilt jetzt an sich nicht als klassisches Treibhausgas. Aber in Kombination mit den richtigen anderen Molekülen - zum Beispiel Kohlendioxid, kann es dennoch eine entsprechende Wirkung haben. Vereinfacht gesagt: Wenn Wasserstoffmoleküle mit Kohlendioxidmolekülen kollidieren, können sie durch diese Zusammenstöße zusätzliche Energie aufnehmen. In diesem energiereicheren Zuständen können die Wasserstoffmoleküle dann als Treibhausgas wirken. Wenn der frühe Mars eine der Erde vergleichbar dichte Atmosphäre aus Wasserdampf und CO2 gehabt hat und dazu noch 5 bis 20 Prozent Wasserstoff aus der Planetenkruste ausgegast ist, könnte das für einen ausreichend starken Treibhauseffekt gesorgt haben, um die Temperaturen dort über den Gefrierpunkt zu heben. Vielleicht ist auch etwas anderes passiert; das wissen wir nicht und können es höchstens dann rausfinden, wenn wir den Mars besser als heute und vor allem nicht nur aus der Ferne sondern auch direkt vor Ort erforschen. So oder so: Die Warmzeit auf dem Mars war begrenzt. Der kleine Planet hatte zu wenig Masse um seine Atmosphäre dauerhaft zu halten. Vor allem hatte er zu wenig Masse, um sein Magnetfeld dauerhaft aufrecht zu erhalten. Ohne Magnetfeld ist eine Atmosphäre schutzlos dem Sonnenwind ausgesetzt. Die Teilchen, die die Sonne ständig aus ihrer eigenen Atmosphäre ins Weltall schleudert wirken wie ein Sandstrahler, der die Lufthülle eines Planeten wie des Mars im Laufe der Zeit abträgt.
All das, was dem Mars fehlt, hat die Venus zu viel. Unser anderer Nachbarplanet kann sich über einen Mangel an Atmosphäre wirklich nicht beschweren. Dort herrscht auf der Oberfläche ein Druck, den man bei uns erst 900 Meter tief unter dem Meeresspiegel finden kann. Diese gewaltige dichte Hülle aus Gasen besteht fast komplett aus Kohlendioxid und deswegen gibt es auf der Venus einen Mega-Treibhauseffekt, der die Oberflächentemperatur dort auf 460 Grad Celsius aufheizt. Aber auch diese heute komplett lebensfeindliche Welt war nach ihrer Entstehung wahrscheinlich ein lebensfreundlicher Planet. Die Venus ist fast so groß und schwer wie die Erde und wird bei ihrer Entstehung wahrscheinlich auch ähnlich viel Wasser mitbekommen haben wie wir. Computermodelle zeigen, dass die Bedingungen vor 4,5 Milliarden Jahren dort durchaus nicht unangenehm waren.
Die Venus liegt näher an der Sonne als die Erde, was prinzipiell problematisch ist. Ein paar Faktoren haben aber vielleicht dafür gesorgt, dass sich unser Nachbar trotz der geringeren Distanz zur Sonne nicht zu stark aufgeheizt haben könnte. Die Venus dreht sich heute sehr langsam um ihre Achse. Für eine komplette Drehung benötigt sie 117 Erdtage. Bei uns auf der Erde ist ein Punkt auf der Oberfläche maximal ein paar Stunden dem Sonnenlicht ausgesetzt. Sieht man mal von den Polarnächten in Arktis und Antarktis ab, kommt früher oder später immer die Nacht. Auf der Venus mit ihrer langsamen Drehung kann ein Bereich der Oberfläche aber wochenlang im hellen und warmen Sonnenlicht liegen. Das sollte eigentlich zu einer noch stärkeren Aufheizung führen. Was auch der Fall ist; wenn dann aber ausreichend viel Wasser vorhanden ist, kann das verdampfen und eine dicke Wolkendecken produzieren. Und die schirmt den Planeten dann vor dem Sonnenlicht ab und führt zu einer Abkühlung. Ein weiterer Faktor auf der Venus könnte die Geografie sein. Die Daten die wir heute über die Venus haben, legen nahe, dass es dort früher viel mehr Landfläche gab als auf der Erde, die ja zum größten Teil mit Wasser bedeckt ist. Mehr Land und weniger Ozean bedeutet weniger Wasser, das verdampfen kann und damit auch weniger stark als Treibhausgas in der Atmosphäre wirken kann.
Packt man all das in ein Computermodell zur Simulation der Bedingungen auf der jungen Venus, zeigt sich ein Planet, auf dem es ähnlich lebensfreundlich war wie auf der Erde. Nicht zu heiß, nicht zu kalt und mit flüssigem Wasser auf der Oberfläche. Aber so wie beim Mars hat auch die Venus diesen Zustand nicht lange durchgehalten. Für ein stabiles Klima braucht es ein halbwegs stabiles Gleichgewicht zwischen Quellen und Senken für Treibhausgase. Die Venus hat jede Menge Quellen, aber vernünftige Senken konnte man nicht identifizieren. Dort fehlt zum Beispiel die Plattentektonik die wir hier auf der Erde haben, und die immer wieder im Gestein gebundenes Kohlendioxid tief in die Erdkruste hinab transportiert und für lange Zeit dort hält. Mehr als 700 Millionen Jahre hat die Venus - zumindest im Computermodell - ihre lebensfreundlichen Bedingungen nicht halten können. Danach hat die starke Sonnenstrahlung zu viel Wasser als Wasserdampf in die Atmosphäre befördert; danach hat sich zu viel CO2 dort angesammelt; dann ging es so richtig los mit dem Treibhauseffekt. Eine extrem starke Feedback-Schleife ist entstanden: Der Treibhauseffekt hat die Temperatur erhöht, was noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre befördert hat, wodurch es noch heißer wurde, und so weiter. Am Ende ist die Venus das geworden, was sie heute ist: Eine lebensfeindliche Hitzehölle mit keinem Tropfen Wasser auf ihrer Oberfläche.
Bleibt noch der Titan. In Folge 157 habe ich ihn den "faszinierendsten Mond des Sonnensystems" genannt. Was er meiner Meinung auch ist. Der Saturnmond hat einen Durchmesser von 5150 Kilometer, womit er größer als der Merkur ist. Er ist weit von der Sonne entfernt, und man würde davon ausgehen, dass es dort ziemlich kalt ist. Ist es auch: Die Durchschnittstemperatur an seiner Oberfläche liegt bei -180 Grad Celsius. Trotzdem ist er keine Eiswüste, wie die anderen Monde im äußeren Sonnensystem. Der Titan hat eine Atmosphäre, und was für eine! Der "Luftdruck" dort ist um 50 Prozent höher als auf der Erde; nur dass es natürlich keine Luft ist, die den Mond umgibt. Sie besteht vor allem aus Stickstoff, mit geringen Anteilen von Methan und Argon. Insgesamt ist die Masse der Gase in Titans Atmosphäre aber größer als die der Erde! Und darunter passieren auch jede Menge spannende Sachen. Flüssiges Wasser gibt es nicht, dafür aber flüssiges Methan. Es bildet Flüsse und Seen, es regnet aus Wolken auf den Mond herab. So etwas findet man auf keinem anderen Himmelskörper des Sonnensystems. Was man darüber hinaus auch nur auf dem Titan findet, ist ein "Anti-Treibhauseffekt".
Bleiben wir aber zuerst beim normalen Treibhauseffekt. Eigentlich sollte es auf dem Titan circa -191 Grad Celsius kalt sein. Stickstoff, Methan und Wasserstoffmoleküle in seiner Atmosphäre sorgen aber für einen natürlichen Treibhauseffekt, der die Oberfläche um 21 Grad aufheizen würde. Wasserstoff und Stickstoff wären eigentlich gar keine Treibhausgase. Aber - so wie vorhin beim Mars - es kommt auf die Bedingungen an. In der extrem dichten Atmosphäre des Titan können die Moleküle öfter kollidieren, höherenergetische Zustände einnehmen und so als Treibhausgas wirken. -191 Grad plus ein Treibhauseffekt von 21 Grad: Macht -170 Grad Celsius. So warm ist der Titan aber nicht, was am Anti-Treibhauseffekt liegt. Der funktioniert - wenig überraschend - wie der Treibhauseffekt, nur umgekehrt. Der normale Treibhauseffekt lässt kurzwellige Sonnenstrahlung passieren, die langwellige aber nicht. Am Titan gibt es aber extrem hochliegende Nebelschichten. Sie bestehen vermutlich aus komplexeren Molekülen die aus Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff zusammengesetzt sind. In den äußeren Schichten der Titanatmosphäre können sie sich bilden, weil dort das energiereiche Sonnenlicht die Methanmoleküle in einzelne Kohlenstoff- und Wasserstoffatome aufspalten kann. Das geht nur dort draußen an der Grenze zum All; weiter nach unten kann dieser energiereiche Teil der Sonnenstrahlung durch die dichter werdende Atmosphäre nicht gelangen. Dort oben aber können sich die einzelnen Atome nun zu neuen Molekülen verbinden und die wirken als Anti-Treibhausgase. Sie reflektieren einen Teil des normalen Sonnenlichts, der nun nicht mehr zur Titanoberfläche gelangt und nichts zu ihrer Erwärmung beitragen kann. Gleichzeitig lassen sie langwellige Wärmestrahlung passieren und erleichtern so seine Abkühlung. Insgesamt für das zu einer Abkühlung von 9 Grad, was den natürlichen Treibhauseffekt von 21 Grad auf 12 Grad reduziert. Deswegen ist der Titan nur knapp 10 Grad wärmer als er es sein sollte und nicht knapp 20 Grad.
In diesem Ausmaß existiert der Anti-Treibhauseffekt nur auf dem Titan. Auf der Erde gibt es zwar Schwefelverbindungen, die durch Vulkane hoch hinaus in die Atmosphäre geschleudert werden können und dort ähnlich wie auf dem Saturnmond eine Abkühlung verursachen. Der Effekt ist aber sehr viel geringer als auf dem Titan. Der seltsame Saturnmond ist eine komplett fremde Welt - aber eine, von der wir trotzdem etwas über die Erde lernen können. Um die Klimakrise die auf unserem Planeten stattfindet, besser zu verstehen, müssen wir auch genau wissen, wie sich die Treibhausgase verhalten. Dazu gehört nicht nur das Kohlendioxid, sondern auch das Methan. Das hat einen komplizierteren Aufbau als CO2 und ist deswegen schwieriger im Labor zu untersuchen. In der dichten, starken Atmosphäre des Titan gibt es aber wirklich viel Methan und dort kann man es quasi in einem natürlich Labor studieren. Und wir haben dort ja auch schon eine Raumsonde hingeschickt - 2005 ist die Huygens-Sonde durch die Atmosphäre des Titan geflogen und auf seiner Oberfläche gelandet. Mit den Daten die dabei gesammelt wurden, konnte man besser verstehen, wie Methan auf unterschiedliche Teile der Sonnenstrahlung reagiert. Und damit auch bessere Modelle erstellen, um die Klimakrise auf der Erde zu erforschen.
Der Treibhauseffekt ist wichtig. Venus, Erde und Mars sind zur gleichen Zeit entstanden und waren sich nach ihrer Entstehung sehr ähnlich. Vermutlich gab es damals auf allen drei Himmelskörpern flüssiges Wasser und lebensfreundliche Bedingungen. Heute ist nur noch die Erde übrig; der Mars ist eine Eiswüste und die Venus eine Hitzehölle. Mit verantwortlich dafür ist der Treibhauseffekt. Er hat unsere Nachbarn lebensfeindlich gemacht; dem irdischen Leben dagegen dauerhaft das Überleben ermöglicht. Das zeigt nur um so deutlicher, dass wir alles daran setzen müssen, diesen Zustand durch den menschengemachten Treibhauseffekt nicht zu zerstören.
Sternengeschichten Folge 450: Kippelemente im Klimasystem
"Kippelemente" klingt wie etwas, das man in einem Möbelhaus kaufen kann. Es hat aber etwas mit dem Klima unseres Planeten zu tun. Und weil das Klima und seine menschengemachte Veränderung ein enorm relevantes Thema ist, handelt diese Folge der Sternengeschichten davon. Kippelemente sind wichtig, wenn wir verstehen wollen, was die Zukunft auf der Erde für uns bereit hält und welche Folgen unsere Handlungen haben können. Sie sind auch wichtig, wenn es darum geht, das komplexe System zu verstehen, dass unsere Erde ist. So ein Planet ist viel mehr als nur ein heller Punkt am Himmel; jeder Planet da draußen ist eigene, vollständige und komplizierte Welt. Die Erde allerdings ist - noch - der einzige Planet, den wir im Detail erforschen können. Wenn wir all die Welten da draußen im Sonnensystem und dem Rest des Universums verstehen wollen, müssen wir mit der Arbeit hier bei uns auf der Erde anfangen.
Genau darum war das Klima ja schon öfter mal Thema in den Sternengeschichten. Vereinfacht gesagt ist Klima das, was aus dem Wetter wird, wenn man jede Menge Statistik drauf wirft. Oder anders gesagt: Wetter ist das, was jetzt gerade in unserer Atmosphäre stattfindet. Der Regen, der irgendwo fällt; die Sonne die anderswo scheint oder der Wirbelsturm, der aufzieht. Betrachtet man all diese Wetterphänomene statistisch; berechnet man Durchschnittswerte und schaut sich lange Zeiträume von mindestens ein paar Jahrzehnten an: Dann hat man es mit dem Klima zu tun.
Das Wetter kann sich schnell ändern. Eine Nacht kann frostig sein; ein paar Stunden später scheint aber unter Umständen schon wieder die Sonne und die Temperaturen sind 10 bis 20 Grad höher. Regen und Sonne können sich innerhalb von Minuten abwechseln. Änderungen des Klimas laufen viel langsamer ab. Die durchschnittliche Temperatur, gemittelt über ein ganzes Land und eine komplette Jahreszeit wird sich von einem Jahr auf das nächste nicht dramatisch ändern. Eben weil man Durchschnittswerte verwendet, haben kurzfristige oder kleinräumige Wetteränderungen nur eine geringe Auswirkung. Aber auch das Klima ändert sich. Betrachten wir Jahrhunderttausende, dann sehen wir zum Beispiel, wie sich Eiszeiten und Warmzeiten auf dem Planeten abwechseln, wie ich etwa in Folge 55 der Sternengeschichten schon erklärt habe. Seit circa 150 Jahren findet eine Klimaveränderung statt, die - dafür dass es sich um eine Änderung im Klima handelt - dramatisch schnell abläuft. Diesen Klimawandel haben wir Menschen verursacht, in dem wir immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen haben - darüber habe ich ausführlich in Folge 434 der Sternengeschichten gesprochen. Die Veränderung im Klima läuft in diesem Fall so ungewöhnlich schnell und hat so dramatische Auswirkungen, dass man sie nicht mit dem harmlos klingenden Wort "Wandel" bezeichnen, sondern korrekter von einer "Klimakrise" sprechen sollte.
Wenn es aber um Kippelemente geht, dann wird dieser schnelle Wandel des Klimas noch einmal verschärft. Vielleicht kann man sich die Veränderung des Klimas wie einen Fahrstuhl vorstellen; so einen alten Aufzug, der gemütlich in Schrittgeschwindigkeit oder noch langsamer zwischen Stockwerken hinauf und hinunter fährt. Das würde dem natürlich Klimawandel entsprechen. Wir Menschen haben in den letzten 150 Jahren die zulässige Gewichtsgrenze in der Aufzugskabine aber deutlich überschritten. Anstatt gemächlich nach unten zu fahren, saust der Fahrstuhl nun rasant dem Boden entgehen. Aber würden wir den Aufzug ein wenig entlasten, würde er die Geschwindigkeit wieder verringern. Den Einfluss eines Kippelements könnte man in diesem Bild mit dem Reißen des Seils vergleichen, das die Kabine hält. Dann fällt der Fahrstuhl unaufhaltsam in den Keller und wir können nichts mehr dagegen unternehmen.
Das klingt dramatisch. Das ist es auch. Die Geschichte der Kippelemente wird uns zeigen, wie enorm komplex das Klimasystem der Erde ist. Und dass ein ausreichend komplexes System seinen Zustand oft erschreckend schnell verändern kann. Ein wenig wissenschaftlicher beschrieben als vorhin im Beispiel mit dem Fahrstuhl, kann man sich ein Kippelement als kritische Schwelle vorstellen, bei der schon eine kleine Änderung ausreicht um den Zustand eines Systems deutlich und nachhaltig zu verändern. Wenn ich meine Kaffeetasse morgens mitten auf den Frühstückstisch stelle, dann steht sie dort relativ sicher. Wenn ich dann die Zeitung lese, mich über die Nachrichten ärgere und wild herumgestikuliere (alles nur fiktive Beispiele natürlich!), dann kann es sein, dass ich dabei gegen die Tasse stoße. Ich werde sie dabei ein wenig verschieben und sie wird ihre Position auf dem Tisch ändern. Sie steht dann nicht mehr dort, wo sie vorher stand, aber ansonsten ist nicht viel passiert. Habe ich sie aber aus Versehen ganz an den Rand gestellt, dann befindet sie sich an einer kritischen Schwelle. Dann reicht eine winzige Berührung, um sie vom Tisch auf den Boden zu befördern und so das System "Kaffeetasse" drastisch zu verändern.
Die Idee eines "Kippelements" oder "Tipping Points", wie das englische Fachwort dazu heißt, ist nicht schwer zu verstehen. Deutlich schwerer ist es, solche Kippelemente im komplexen System des irdischen Klimas zu identifizieren. Wo stehen - bildlich gesprochen - die Klimakaffeetassen auf der Erde, die wir lieber nicht anstupsen sollten? Die Forschung zu diesem Thema ist noch jung; das Konzept der Kippelemente für das Klima hat der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber im Jahr 2000 zur Diskussion gestellt. Gemeinsam mit anderen Forschern aus Deutschland und Großbritannien hat der dann 2008 einen Fachartikel geschrieben. Darin wurde zuerst einmal exakt definiert, was ein Kippelement im Klimasystem ausmacht. Angenommen man hat eine Eigenschaft im System, die von einem bestimmten Parameter abhängt. Zum Beispiel die Eigenschaft, dass ein bestimmter Teil der Erdoberfläche von Eis bedeckt ist. Und es reicht schon eine kleine Änderung aus so dass sich diese Eigenschaft qualitativ ändert. In unserem Beispiel wäre das der Fall, wenn schon eine kleine Änderung der Durchschnittstemperatur ausreicht, um die Eigenschaft "Ein Teil der Erdoberfläche ist von Eis bedeckt" dauerhaft und deutlich zu verändern. Also keine Änderung von "Ein Teil der Erde ist von Eis bedeckt" zu "Ein kleinerer Teil der Erde ist von Eis bedeckt". Sondern eher eine Zustandsänderung zu "Die Erde ist eisfrei".
Wir werden auf das Beispiel mit dem Eis zurückkommen; in ihrer Arbeit haben Schellnhuber und seine Kollegen die Definition von Kippelementen aber noch ein wenig weiter eingeschränkt. Ihnen ging es nicht um alle möglichen Kippelemente, die prinzipiell auftreten können. Sondern um die, die durch menschliche Eingriffe in das Klimasystem verursacht werden können und die relevant für die Entscheidungen sind, die wir treffen müssen, wenn wir mit der Klimakrise umgehen wollen. Es nützt zum Beispiel nichts, wenn wir wissen, dass unsere Aktivitäten ein Kippelement in mehr als 1000 Jahren auslösen werden. Das sollte uns zwar interessieren; aber wir werden keine politischen Entscheidungen treffen, die so weit in die Zukunft reichen. Dazu sind wir gesellschaftlich nicht in der Lage; so weit voraus zu denken sind wir Menschen nicht gewöhnt.
Anhand dieser (und ein paar anderer) Kriterien, haben die Forscher nun probiert, für unsere zukünftigen Entscheidungen relevante Kippelemente im Klimasystem der Erde zu identifizieren. Das ist schwierig - weil das Klima deutlich mehr ist, als nur die statistische Betrachtung des Wetters. Über lange Zeiträume hinweg wird das Klima auch von geologischen Phänomenen beeinflusst. Von der Veränderung bei Meeresströmungen. Davon, wie viele Pflanzen wachsen; wie viele Bakterien im Meer leben, und so weiter. Aber ein paar ziemlich sichere Kandidaten für Kippelemente konnten gefunden werden. Zum Beispiel das Meereis in der Arktis. Also nicht die Gletscher, die man auf Grönland findet, sondern die Eisdecke, die den arktischen Ozean bedeckt. Dieses Eis ist hell und kann Sonnenlicht gut reflektieren. Dieser Teil des Lichts trägt dann auch deutlich weniger zu einer Erwärmung der Erde bei. Wenn wir aber zum Beispiel durch den vermehrten Ausstoß von Treibhausgasen dafür sorgen, dass die Temperaturen immer weiter steigen, wird auch das arktische Eis schmelzen. Das führt zu einer negativen Feedback-Schleife. Das Meerwasser ist deutlich dunkler als das Eis. Es kann weniger Licht reflektieren; stattdessen nimmt es die Sonnenenergie auf und erwärmt sich. Wodurch NOCH mehr Eis schmilzt, noch mehr dunkles Wasser sichtbar wird, das noch mehr Wärme aufnehmen kann. Bis das ganze kippt, das Meereis verschwunden ist und auch nicht wiederkommt, weil es dafür zu warm ist. Das Klimasystem der Erde hat dann einen neuen Zustand erreicht, einen bei den es keinen kühlenden Effekt mehr durch die Reflexion am arktischen Eis gibt.
Das Eis, dass sich auf den Landflächen von Grönland und der westlichen Antarktis befindet ist ein weiterer Kippunkt. Das Eis auf Grönland beispielsweise ist bis zu drei Kilometer dick. Anders gesagt: Die Oberfläche des Eispanzers befindet sich entsprechend weit über dem Meeresspiegel und dort ist es - wie auf allen hohen Bergen - kalt. Erwärmt sich die Erde, schmilzt der Eispanzer. Seine Oberfläche rückt nach unten, wo es wärmer wird und das Eis NOCH schneller schmilzt. Wieder setzt eine Feedbackschleife ein; wieder kippt das System in einen neuen Zustand. Und dann fehlt nicht nur die Reflexionswirkung des Eises; das ganze Schmelzwasser hat auch den Meeresspiegel um bis zu sieben Meter ansteigen lassen. Die Daten zeigen uns, dass der Kipppunkt in diesem Fall schon bei einem globalen Anstieg der Temperatur um 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreicht sein könnte. Das ist genau das "2-Grad-Ziel", auf das wir die Klimakrise einbremsen wollen und an dem wir zu scheitern drohen, weil wir die entsprechenden Maßnahmen nicht treffen.
Ein weiteres Kippelement sind die Permafrostböden in der Arktis; also in Sibirien und Kanada. So nennt man Boden, der dauerhaft gefroren ist, im Sommer wie im Winter. Was gut ist, denn in diesem Boden befindet sich jede Menge CO2 und Methan. Es stammt aus organischem Material, als von Tieren und Pflanzen, die vor langer Zeit gestorben sind und seitdem von Bakterien zersetzt werden. Der gefrorene Boden hält diese Treibhausgase fest; wird es aber wärmer, dann taut er auf und entlässt CO2 und Methan in die Atmosphäre. Wo sie den Treibhauseffekt verstärken, für noch mehr Erwärmung sorgen, was den Permafrost noch schneller abtauen lässt. Feedback - Kipppunkt - neuer Zustand des Klimasystems. Ein Zustand, der sich nicht korrigieren lässt, denn es hat Jahrtausende gedauert, bis sich das ganze Material dort eingelagert hat. Im neuen Zustand des Klimasystems wird der Boden so schnell nicht wieder frieren; als Lagerplatz für Treibhausgase ist der Permafrostboden verloren.
Kippelemente haben aber nicht nur mit dem Auftauen von Eis und Boden zu tun. Auch diverse Strömungsphänomene können kippen. Das Meer ist nicht einfach nur ein Haufen Wasser. In den Ozeanen existieren Strömungen, die um den ganzen Planeten reichen. Wenn an der Oberfläche viel Wasser verdunstet oder sich viel Eis bildet, dann steigt der Salzgehalt des verbleibenden Wassers. Salziges Wasser sinkt nach unten; dort gibt es andere Strömungen; Wassermassen werden vermischt und weniger salziges Wasser kann wieder aufsteigen. Die Realität der ozeanischen Strömungen ist noch sehr viel komplizierter; ihre Existenz ist für uns aber enorm wichtig. Der "Golfstrom" zum Beispiel transportiert gigantische Mengen an warmen Wasser aus der Karibik über den Atlantik und an Nordeuropa vorbei. Dort kühlt das Wasser in der Arktis ab und sinkt nach unten, wo es in der Tiefe wieder zurück nach Süden fließt. Dieses "Förderband" bringt aber auch Wärme nach Europa, weswegen es zum Beispiel in Großbritannien halbwegs erträgliche Temperaturen hat und nicht so kalt ist, wie etwa im nördlichen Kanada, obwohl beide Regionen ungefähr gleich weit vom Nordpol entfernt sind. Das kalte und dichte Salzwasser, das vor Grönland in die Tiefe sinkt, treibt den Golfstrom an. Wenn nun vermehrt Süßwasser von schmelzenden Eisdecken und Gletschern ins Meer strömt, wird dieses Absinken erschwert und der Golfstrom wird schwächer. Das wird jetzt schon beobachtet und wenn er ganz ausfallen sollte, wird es deutliche Auswirkungen auf das Klima in Nordeuropa haben. Ähnliche Kippelemente können den jetzt regelmäßigen Monsun in Asien oder Afrika destabilisieren, was sehr viel mehr extreme Flut- oder Dürrekatastrophen zur Folge hätte.
Auch die großen Wälder der Erde sind potentielle Kippelemente. Der Amazons etwa ist auch deswegen ein Regenwald, weil über dem Wald jede Menge Wasser verdunstet, dass dann in der ganzen Region abregnet. Je mehr der Wald schwindet; je mehr davon abgeholzt wird, je mehr Waldbrände stattfinden, desto kritischer wird die Lage. Es wird immer weniger Regen geben und der verbleibende, auf regelmäßigen Regen eingestellte Wald, wird absterben. Eine Graslandschaft wird sich entwickeln und die hat einen völlig anderen Einfluss auf das Klima als ein Wald, in dem ja auch jede Menge Kohlenstoff in Form von Bäumen langfristig gespeichert ist.
Es gibt noch weitere Kippelemente; ihnen allen gemeinsam aber ist, dass durch sie die Erde vergleichsweise schnell in einen deutlich anderen Zustand versetzt wird als vorher und sich der ursprüngliche Zustand langfristig nicht mehr wiederherstellen lässt. Die Erforschung komplexer, chaotischer Systeme ist schwierig. Exakte Vorhersagen sind noch schwieriger. Sicher aber ist: Je mehr die Erde sich erwärmt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Kippelement ausgelöst wird. Und wenn das einmal passiert ist, landen wir im schlimmsten Fall bei einer Kaskade. Der gekippte Zustand macht die Lage noch dramatischer, was neue Kippelemente auslöst, und so weiter. Noch ist es nicht so weit. Es muss nicht so weit kommen. Wir können etwas dagegen unternehmen. Und wir müssen das auch tun. Wir sollten uns nicht auf das Risiko einlassen, dass die Kippelemente darstellen. Ist es einmal so weit, bleibt uns nichts anderes übrig, als irgendwie zu versuchen, mit dem neuen Zustand des Klimasystems nach dem Umkippen klar zu kommen. Wir können aber nicht exakt vorhersagen, wie dieser Zustand aussehen wird. Da ist es doch besser, wir lassen es gar nicht so weit kommen. Denn wir wissen sehr gut, was wir tun können, um die Erwärmung der Erde zu begrenzen. Wir müssen es nur tun…
Sternengeschichten Folge 449: Die Chromosphäre der Sonne
Am 12. Mai 1706 befand sich der britische Kapitän Henry Stanyan gerade in Bern. Er beobachtete etwas, was man nicht oft beobachten kann: Eine totale Sonnenfinsternis. Mehr als vier Minuten verdunkelte sich der Himmel komplett. Und als die Sonne danach gerade wieder sichtbar wurde, sah Stanyan einen "blutroten Streifen" aus Licht, der von der linken Seite der Sonne ausgehend 6 bis 7 Sekunden lang sichtbar war. Das Licht war heller als die Venus, wie Stanyan bemerkte; er konnte sehen wie die Dinge dadurch einen Schatten warfen. Er wusste nicht, worum es sich dabei handelt - aber er schrieb sofort einen Brief an John Flamsteed, den königlichen Astronom an der Sternwarte in Greenwich um zu fragen, was das seltsame Licht gewesen sein konnte. Eine Antwort auf seine Frage erhielt er nicht; Flamsteed schrieb zwar sehr ausführlich zurück um zu erklären, wie man genau bestimmen können, welche Ortszeit in Bern zum Zeitpunkt der Finsternis geherrscht hatte. Zum roten Licht hatte er aber nichts zu sagen.
Heute geht man im Allgemeinen davon aus, dass Henry Stanyan die erste konkrete Beobachtung des Teils der Sonne gemacht hat, die wir die "Chromosphäre" nennen. Wir haben es nicht mit dem Inneren unseres Sterns zu tun; es geht um die Atmosphäre der Sonne. Was man sich aber nicht so vorstellen darf, wie die Atmosphäre hier auf der Erde. Unser Planet ist ein Objekt aus Metall und Gestein, mit einer festen Oberfläche, die von einer Hülle aus diversen Gasen umgeben ist. Die Sonne ist ein Himmelskörper, der komplett aus Gas besteht. Fast ausschließlich Wasserstoff und Helium; im Kern 15 Millionen Grad heiß. Sie hat keine feste Oberfläche im eigentlichen Sinn. Aber man kann durchaus von einer "Sonnenoberfläche" sprechen und wenn man das tut, dann meint man damit die sogenannte "Photospäre". Das bedeutet "Lichthülle" und wenn man die Sonne betrachtet - was man ohne entsprechende Vorkehrungen natürlich nicht so einfach tun sollte, wenn man keine Augenschäden riskieren will - dann ist es genau das, was man dort sieht. Die Photosphäre ist die Gasschicht der Sonne, aus der das Licht stammt, das wir beobachten können.
In den Kern der Sonne, in ihre tief liegenden Schichten können wir nicht blicken. Die Lichtteilchen, die von dort zu uns kommen, werden in alle Richtungen gestreut, weil das Gas dort extrem dicht ist. Erst dort, wo genügend Platz ist, kann sich Licht mehr oder weniger ungehindert direkt nach außen bewegen und es ist dieses Licht, dass wir auf der Erde sehen. Bei der Sonne ist die Photosphäre ungefähr 400 Kilometer dick und an ihrem Ende ist noch lange nicht Schluss. Das da noch etwas ist, wusste man schon lange. Bei einer totalen Sonnenfinsternis schiebt sich ja der Mond von der Erde aus gesehen genau vor die Sonnenscheibe. Da beide Objekt für uns zufällig annähernd gleich groß erscheinen, kann der Mond die Sonne auch komplett bedecken. Sobald er das tut, werden rund um ihn herum aber leuchtende, wabernde, strahlenförmige Lichter sichtbar. Dieser wie eine Krone aussehende Struktur wird darum auch "Korona" genannt und stellt die äußerste Schicht der Sonnenatmosphäre dar. Ich hab über sie schon ausführlich in Folge 134 der Sternengeschichten gesprochen; wir können sie deswegen normalerweise nicht sehen, weil das Gas dort zwar enorm heiß ist, aber auch extrem dünn. Das Licht, das davon ausgeht ist viel zu schwach, als das wir es sehen könnten. Es wird vom Licht aus der Photosphäre komplett überstrahlt und nur wenn diese bei einer Finsternis durch den Mond verdeckt ist, können wir das Leuchten der Korona wahrnehmen.
Die unterste Schicht der Sonnenatmosphäre ist also die Photosphäre. Ganz außen ist die Korona. Und dazwischen? Da ist das, um das es heute gehen soll: Die Chromosphäre. Sie schließt sich an die Photosphäre an und ist bei der Sonne circa 2000 Kilometer dick. Die Dichte des Gases nimmt stark ab; an der Grenze zur Photosphäre findet man noch circa 100 Billiarden Atome pro Kubikzentimeter. Das klingt viel, ist aber das, was man hier auf der Erde als "Grobvakuum" bezeichnen würde. Also das, was man in "vakuumverpackten" Lebensmitteln finden würde beispielsweise, wo die Dichte nur circa 100 mal niedriger ist als bei normalem Luftdruck in der Erdatmosphäre. An der äußeren Grenze der Chromosphäre ist die Dichte aber mehr als eine Million mal geringer geworden. Auch die Temperatur nimmt ab, von ungefähr 5500 Grad Celsius an der Grenze zur Photosphäre, auf circa 3500 Grad an der äußeren Grenze.
Die Chromosphäre besteht aus Gas, was auch sonst. Und ebenfalls wenig überraschend aus Wasserstoff und Helium, die beiden Hauptbestandteile der Sonne. Interessant wird es aber, wenn man sich die Spektrallinien anschaut. Ich hab die bis jetzt ja immer vereinfacht so erklärt: Wenn Licht durch Gas hindurch strahlt, dann können die Atome aus denen das Gas besteht, ein paar dieser Lichtteilchen absorbieren. Schaut man sich das Licht dann ganz genau an, spaltet es also in seine Bestandteile auf, was so viel heißt wie: Man misst ganz genau, wie viel Licht bei den unterschiedlichen Wellenlängen vorhanden ist, dann sieht man, dass bei bestimmten Wellenlängen sehr viel weniger Licht vorhanden ist als bei anderen Wellenlängen. Oder anders gesagt: Man sieht das ganze bunte Licht des in die Regenbogenfarben aufgespaltenen Sonnenlichts, mit ein paar dunklen Linien dazwischen. Und das ist ja auch so. Es gibt aber zwei verschiedene Arten von Spektrallinien, nämlich Absorptionslinien und Emissionslinien. Die dunklen Linien im Sonnenlicht sind Absorptionslinien. Jedes Atom hat eine ganz charakteristische Anordnung von Elektronen in seiner Hülle. Je nachdem wie diese Teilchen angeordnet sind, können sie nur Licht mit ganz bestimmten Wellenlängen aufnehmen und deswegen kann man aus dem Muster dunkler Linien herausfinden, um welche Atome es sich handelt.
Umgekehrt geht es aber auch: Wenn man von außen Energie in die Elektronen steckt - zum Beispiel durch Kollisionen der Atome oder durch die Bestrahlung mit Licht - dann geben sie diese Energie irgendwann auch wieder ab. Auch das tun sie nur bei einer ganz charakteristischen Wellenlänge. Und anstatt einer dunklen Linie kriegt man nun eine helle, farbige Linie, eine Emissionslinie. Die Details sind kompliziert; was genau man kriegt hängt - sehr vereinfacht gesagt - davon ab, ob man eine Lichtmischung hat, die von heißem Material ab- und durch kühles Material gestrahlt wird oder umgekehrt. Wir sehen normalerweise nur Absorptionslinien im Sonnenlicht, weil wir normalerweise auch nur das Licht des heißen Sonneninneren sehen, das durch die kühlere Photosphäre strahlt. Ist das aber bei einer Finsternis blockiert, können wir auch die Emissionslinien sehen, die vom kühleren, dünnen Gas der Chromosphäre ausgesandt werden. So hat man übrigens das chemische Element Helium entdeckt, von dem ich in Folge 141 mehr erzählt habe. Bei einer Sonnenfinsternis im Jahr 1868 hat man die Emissionslinien der Chromosphäre beobachtet und darin Linien gefunden, die von keinem damals bekannten chemischen Element verursacht worden sein konnten. Also hat man dieses neue Element nach dem Ort seiner Entdeckung "Helium" genannt, vom griechischen Wort "helios" für Sonne. Erst später konnte man es dann auch auf der Erde nachweisen.
Aber von Kapitän Stanyan im Jahr 1706 bis 1868 ist es ein großer Sprung; schauen wir also kurz nochmal zur Geschichte. Nach Stanyan haben auch andere Forscher immer wieder dieses seltsame rote Leuchten beobachtet, das bei einer Finsternis am Rande der Sonne kurz sichtbar wurde. Edmund Halley war zum Beispiel einer davon und 1851 hat der britische Astronom George Airy sie das erste Mal detailliert beschrieben. Er sah eine "gezackte" Struktur in der er Berge zu erkennen glaubte, die auf der Sonnenoberfläche wären. Weswegen er der Schicht auch den Namen "Sierra" gab, also eine geografische Bezeichnung für ein Gebirge. Ein schöner Name, der sich allerdings nicht durchgesetzt hat. Das Wort "Chromosphäre" stammt vom Astronom Joseph Lockyer, der gemeinsam mit und unabhängig vom Franzosen Jules Janssen die vorhin erwähnte Entdeckung des Heliums im Jahr 1868 gemacht hat. Er nahm die rötliche Farbe der Gasschicht zum Anlass, sie "Chromosphäre", also "Farbhülle" zu taufen.
Diese rote Farbe sagt uns auch, aus was sie besteht. Wasserstoff kann verschiedene Emissionslinien erzeugen, eine der hellsten liegt bei einer Wellenlänge von 656,3 Nanometern. Sie wird auch "H-Alpha-Linie" genannt und befindet sich im roten Teil des Lichtspektrums. Und da die Chromosphäre rötlich leuchtet, muss dort jede Menge Wasserstoff sein. Die H-Alpha-Linie ist auch praktisch, wenn man die Chromosphäre beobachten will, wenn gerade mal keine Finsternis stattfindet. Dann kann man einen Filter verwenden, der nur Licht mit der H-Alpha-Wellenlänge durchlässt und kriegt einen guten Blick auf die Chromosphäre. Dort kann man dann auch gleich die "Berge" bewundern, die Airy zu sehen glaubte. Heute nennen wir sie allerdings "Spikulen". Entdeckt und halbwegs vernünftig beschrieben hat diese Strukturen der italienische Astronom Angelo Secchi im Jahr 1877. Er hat sie mit Flammen verglichen, die wie bei einem Feuer ständig aus der darunter liegenden Schicht der Sonne empor zündeln. Womit er nicht ganz unrecht hatte. Erstens sieht es genau so aus und zweitens stammen die Spikulen tatsächlich aus der Photosphäre. Sie entstehend dort, wo in der Photosphäre auch Sonnenflecken auftreten, also dort, wo die Magnetfelder gerade besonders stark sind. Diese Magnetfelder sind auf der Sonne ständig in Bewegung, sie werden von dem heißen, elektrisch geladenen Material quasi mitgerissen. Und entlang solcher Magnetfelder kann sich heißes Material auch ausbreiten. Die Spikulen tun das in eine Höhe von bis zu 10.000 Kilometer und können bis zu 1000 Kilometer dick sein. Das Material schießt mit mehr als 100 Kilometer pro Sekunde in die Chromosphäre; nach höchstens fünf Minuten fällt alles wieder zurück zur Sonne. Es ist also tatsächlich ein wenig so, wie Flammen oder noch besser: Wie Spritzer aus heißem Gas die aus der brodelnen Sonnenoberfläche nach oben schießen. Wie sie genau entstehen und sich ausbreiten ist einerseits kompliziert, andererseits noch nicht völlig klar. Es kommt auf die Wechselwirkung der Magnetfelder an, aber auch auf Stoßwellen im sich bewegenden Material der Sonne selbst. Sie sind die "Gischt des wogenden Photosphären-Ozeans", wie es der deutsche Astronom Otto Kiepenheuer sehr poetisch genannt hat.
Ebenfalls in der Chromosphäre beobachten kann man Filamente und Protuberanzen. Wobei Protuberanzen eigentlich nichts anderes sind, als Filamente die man von der Seite betrachtet. Und beides ist Material von der Sonne, das mit enorm hoher Geschwindigkeit extrem hoch hinaus geschleudert werden kann. Sie entstehen - sehr vereinfacht gesagt - durch magnetische Kurzschlüsse, bei denen sehr viel Energie frei wird. Es sind quasi enorme Explosionen, die das heiße Gas wegschleudern, dass sich dann entlang der Magnetfeldlinien in Bögen weit durch die Chromosphäre hinauf und wieder zurück bewegt. Genau so eine Protuberanz hat vermutlich auch Kapitän Stanyan damals im Jahr 1706 beobachtet.
Es gibt noch diverse andere dynamische Phänomene im Gas der Chromsophäre zu sehen und wir sind immer noch dabei, alles zu verstehen. Was wir auf jeden Fall noch nicht verstehen, ist der Zusammenhang zwischen Chromosphäre und der weiter außen liegenden Korona. Eigentlich sollte man ja davon ausgehen, dass es einfach so weiter geht, wie bisher. Das Gas wird immer weniger dicht und die Temperatur sinkt immer weiter. Was die Dichte angeht, stimmt das auch. Die Temperaturen steigen aber jenseits der Chromosphäre wieder an. Und das durchaus heftig: Bis auf ungefähr eine Million Grad! Das ist viel, auch wenn man berücksichtigt, dass so weit außen kaum noch Gas vorhanden ist, das heiß werden kann. Aber das, was da ist, IST heiß. Und irgendwo muss die Energie dafür herkommen. Es kann sein, dass diese Energie aus den weiter unten liegenden Magnetfeldern kommt; es kann auch sein dass sie durch Schallwellen übertragen wird, die im heftigen Gebrodel der Sonnenoberfläche entstehen. Aber wie es genau ist, wissen wir nicht.
Die Chromosphäre markiert also quasi auch die Grenze unseres Verständnis der Sonne. Was wir sehen können - die Photosphäre - und was darunter liegt - das Sonneninnere - verstehen wir halbwegs gut. Aber je weiter wir nach außen gehen, desto unklarer werden die Dinge. Zum Glück haben wir mittlerweile Teleskope mit passenden Filtern, wir haben Weltraumteleskope die sich fast innerhalb der Korona aufhalten können - wir müssen also nicht auf eine Sonnenfinsternis warten um einen nur sekundenlangen Blick auf das rötliche Leuchten der Chromosphäre zu haben. Die Sonne ist der Stern, der die Grundlage des Lebens auf der Erde ist und der mit seinem Verhalten das ganze Sonnensystem dominiert. Wir sollten alle Teile der Sonne verstehen und ganz besonders die Chromosphäre!
Sternengeschichten Folge 448: Der Asteroid Apophis
Ein Astronom (so gut wie nie eine Astronomin) steht in der Kuppel einer Sternwarte. Er blickt durch ein Teleskop und erschrickt plötzlich. Er springt auf, läuft zu einem Computer, tippt ein bisschen darauf rum. Panisch greift er zum Telefon während wir am Bildschirm zusehen können, wie ein Asteroid mit einer großen Explosion auf der Erde einschlägt. Tja. So ungefähr sehen die Szenen zu Beginn der einschlägigen Katastrophenfilmen aus, in deren weiteren Verlauf die Menschheit den Weltuntergang durch einen Asteroideneinschlag abwehren muss.
Solche Filme mögen zwar unterhaltsam sein. Mit der Realität haben sie aber natürlich nichts zu tun. Wenn wir wirklich mal einen Asteroid finden sollten, der sich auf einem Kollisionskurs mit der Erde befindet, würde das ganz anders ablaufen. Was man sehr schön am Beispiel des Asteroids Apophis sehen kann - bei dem es tatsächlich mal so aussah, als könnte er auf der Erde einschlagen.
Roy Tucker, David Tholen und Fabrizio Bernardi, zwei amerikanische Astronomen und einer aus Italien, haben am 19. Juni 2004 bei Beobachtungen am Kitt Peak National Observatorium in Arizona einen Asteroid entdeckt. Was an sich noch nicht weiter ausgewöhnlich wäre. Asteroiden werden andauernd entdeckt; es gibt ja auch enorm viele davon im Sonnensystem. So wie alle frisch entdeckten Asteroiden hat auch dieser eine sogenannte "provisorische Bezeichnung" bekommen. Also eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen, die vom Zeitpunkt der Beobachtung abhängen. In diesem Fall war das "2004 MN4". Und haben die drei dann sofort den amerikanischen Präsidenten, die UNO, das Pentagon oder den ADAC angerufen? Nein, natürlich nicht. Wieso auch? Man wusste ja zu diesem Zeitpunkt nur: Da ist ein Asteroid. Und konnte aus den ersten Beobachtungen nur eine vorläufige Umlaufbahn berechnen. Das ist immer so; das ist auch verständlich: Je weniger Beobachtungspunkte man hat, desto ungenauer ist die daraus berechnete Bahn. Man wusste zwar, dass es sich um einen erdnahen Asteroid handelt, also die Gruppe von Asteroiden die sich zwischen den Umlaufbahnen von Venus und Mars befinden und von denen ich in Folge 271 mehr erzählt habe. Aber ansonsten wusste man noch nicht viel.
Es dauert, bis man eine Bahn WIRKLICH gut bestimmt hat. So wie man das in den Filmen oft sieht, funktioniert es jedenfalls nicht. Das fängt schon damit an, dass man nicht mit den eigenen Augen durchs Teleskop schaut. Da hängt eine Kamera dran, die Aufnahmen macht. Diese Aufnahmen schaut man sich nachher auf einem Computer an und vergleicht sie mit früheren Bilder der gleichen Himmelsregion. Man sucht nach Lichtpunkten, die auf dem neuen Bild zu sehen sind, auf dem alten aber nicht. Das kann dann aber natürlich ein schon bekannter Asteroid sein, der sich gerade durch die entsprechende Gegend am Himmel bewegt. Oder ein Satellit. Oder ne Supernova. Oder sonst irgendwas. Man muss ein paar mehr Bilder machen und schauen, ob sich der Lichtpunkt ein bisschen bewegt. Idealerweise nicht im Abstand von ein paar Minuten - in so einer kurzen Zeit bewegt sich nicht viel - sondern in ein paar Stunden oder Tagen. Wenn es sich bewegt und wenn es vorher nicht bekannt war, dann stehen die Chancen gut, dass es sich um einen Asteroid handelt. Das kurze Stück der Umlaufbahn, die man dann in den Aufnahmen direkt beobachtet hat, kann man benutzen, um auf die komplette Umlaufbahn zu schließen. Aber halt nur innerhalb von - anfangs noch sehr großen - Fehlergrenzen.
Man kann also nicht einfach durch ein Teleskop schauen und aus einer einzigen Beobachtung sofort wissen, ob und wo der Asteroid einschlagen wird. Es wird also auch niemand aufspringen um den Präsidenten anzurufen. Was man aber sehr wohl macht und das auch sehr schnell, ist die Meldung an das "Minor Planet Center". Diese Einrichtung der Internationalen Astronomischen Union ist die offizielle Sammelstelle für alle Beobachtungen von Asteroiden, Kometen und anderen kleinen Himmelskörpern. Hat man etwas unbekanntes entdeckt, dann beeilt man sich aus zwei Gründen, das MPC zu informieren: Erstens, um die eigene Priorität anzumelden. Wer die Entdeckung als erstes dem MPC meldet, gilt auch als die Person, die den Asteroid offiziell entdeckt hat. Und zweitens, um an mehr Daten zu kommen. Denn irgendwann ist die Beobachtungsnacht zu Ende. Spätestens wenn die Sonne aufgeht. Oder schon früher, wenn Wolken kommen. Anderswo auf der Erde ist es aber noch Nacht und dort kann weiter beobachtet werden. Und wenn in der folgenden Nacht schlechtes Wetter ist, müssen die Beobachtungen anderswo durchgeführt werden, wo der Himmel klar ist. Es kann auch sein, dass der Asteroid vom eigenen Standpunkt aus gar nicht mehr am Himmel zu sehen ist; anderswo aber schon. Kurz gesagt: Ist eine Entdeckung erst mal beim MPC registriert, können alle anderen die das wollen, die entsprechenden Daten sehen. Die Seite des Minor Planet Center ist öffentlich im Internet einsehbar. Und viele Beobachterinnen und Beobachter schauen dort regelmäßig nach, bei welchen Objekten noch Messungen nötig sind.
Solche Beobachtungen fanden in den Monaten nach der Entdeckung von 2004 MN4 statt und die Bahn des Asteroids konnte immer genauer berechnet werden. Am 21. Dezember 2004 flog er in der Nähe der Erde vorbei, wodurch er besonders gut beobachtet werden konnte. Mit den dabei gewonnenen Daten konnte man die Bewegung des Objekts weiter in die Zukunft berechnen. Und stellte fest: Am 13. April 2029 würde er ganz besonders nahe an der Erde vorbeifliegen. Ein klein wenig erschreckend nahe… So nahe, dass man eine Kollision nicht ausschließen konnte. Es gibt zwei wichtige Datenbanken, die sich mit der Gefahr durch erdnahe Asteroiden beschäftigen: Eine ist "Sentry", das "Earth Impact Monitoring" der NASA, die andere heißt "NEODyS" und wird von den Universitäten Pisa und Valladolid (in Italien und Spanien) betrieben. Beide verarbeiten die Daten des Minor Planet Center quasi automatisch und prüfen, ob irgendein Asteroid eine Gefahr für uns darstellen könnte. Und beide entdeckten die potenzielle Kollision für den 13. April 2029.
Am 23. Dezember 2004 berechneten diese Dienste eine Kollisionwahrscheinlichkeit von 1 zu 300, also circa 0,3 Prozent. Später am gleichen Tag hatte man schon mehr Daten zur Verfügung und konnte die Bahn genauer berechnen. Die neue Kollisionwahrscheinlichkeit lag nun bei 1 zu 62, also 1,6 Prozent Chancen auf eine Kollision. Am 25. Dezember 2004 gab es noch mehr Daten und eine Kollisionswahrscheinlichkeit von 2,2 Prozent. Das ist ein ziemlich außergewöhnlicher Vorgang, denn normalerweise läuft die Sache anders. Anfangs hat man wenig Daten und kennt die Bahn nur grob. Deswegen kann man sehr oft nicht ausschließen, dass eine Kollision stattfindet; die Chancen das sie tatsächlich passiert sind aber sehr gering. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die wahre Umlaufbahn an der Erde vorbei führt und man das ziemlich schnell erkennt, wenn mehr Beobachtungen vorhanden sind. Je mehr Daten, desto weiter sinkt die Kollisionwahrscheinlichkeit: Das ist das, was üblicherweise passiert. In diesem Fall war es aber umgekehrt: Je besser man die Bahn bestimmte, desto HÖHER war die Wahrscheinlichkeit einer Kollision.
In dieser Situation haben sich die beteiligten Forscherinnen und Forscher übrigens tatsächlich Gedanken darüber gemacht, ob und wen sie anrufen sollten. Aber auch hier lief alles deutlich anders ab als im Kino. Da waren keine Kontrollräume mit großen Bildschirmen, blinkenden Symbolen, und so weiter. Es war der 25. Dezember, es war Weihnachten. Die Forscherinnen und Forscher waren keine Angestellten der Regierung, sondern ganz normale Leute die an Unis gearbeitet haben. Beziehungsweise an diesem Feiertag eben zuhause waren. Und eigentlich mit ihren Familien feiern wollten, dann aber doch an ihren Computern gesessen sind, Daten ausgewertet haben und sich Emails geschrieben haben. Es gab damals keinen offiziellen Ablaufplan, wer zu informieren sei. Hätten die amerikanischen Leute im Team den US-Präsidenten - damals George W. Bush - anrufen sollen? Wie genau? Nur weil man Astronom ist, hat man ja nicht unbedingt die Nummer des Präsidenten? Hätten die italienischen und spanischen Astronom:innen ihre Staatsoberhäupter informieren sollen? Und was hätten die dann getan?
Übrigens: Geheimhalten hätte sich so etwas auch nicht. Das wird in den Kinofilmen ja gern mal gemacht, "damit keine Panik ausbricht". Aber wie ich schon gesagt habe: Die Beobachtungsdaten, die jeweils aktuell berechneten Umlaufbahnen und die Kollisionswahrscheinlichkeiten stehen alle vollständig und öffentlich im Internet. Das wird live und automatisch aktualisiert; das kann man nicht geheimhalten. Und selbst wenn, dann würde es den Astronom:innen erstens auffallen, dass da plötzlich alle Daten über einen bestimmten Asteroid gelöscht worden sind. Und zweitens wäre das Ding ja immer noch am Himmel zu sehen! Und man kann den Leuten nicht verbieten, zum Himmel zu schauen; man hätte den Asteroid trotzdem weiter beobachtet.
Und eben WEIL alles über den potenziell gefährlichen Asteroid öffentlich im Internet einsehbar war, haben immer mehr Astronominnen und Astronomen auf der ganzen Welt Beobachtungen angestellt und an das Minor Planet Center geschickt. Am 27. Dezember 2004 konnte man die Bahnberechnung ein weiteres verbesseren. Die Kollisionswahrscheinlichkeit stieg weiter, auf 2,7 Prozent. Am Nachmittag des 27. Dezember wurde dann ein "precovery" gemacht. Das ist wie ein "discovery", nur in der Vergangenheit. Es funktioniert so: Hat man ein Objekt entdeckt und kennt eine vorläufige Umlaufbahn, dann kann man die Bewegung nicht nur in die Zukunft berechnen, sondern natürlich auch für die Vergangenheit. Und wenn man weiß, wo ein Asteroid in der Vergangenheit war, kann man in Datenbanken nach Aufnahmen dieser Himmelsregion suchen, die aus ganz anderen Zwecken gemacht worden sind. Und wo der Asteroid vielleicht unbemerkt abgebildet worden ist. Man kann ja nicht immer ALLE Lichtpunkte auf so einem Bild im Detail untersuchen, vor allem dann, wenn man gar nicht auf Asteroidensuche ist. In diesem Fall hat man aber genau so ein Bild aus der Vergangenheit entdeckt, auf dem der Asteroid zu sehen war. So etwas ist super: Denn bei der Bahnberechnung kommt es darauf an, Daten für möglichst weit auseinander liegende Zeitpunkte zu haben. Jetzt konnte man also die ganzen Beobachtungen der Gegenwart mit dem Bild aus der Vergangenheit kombinieren. Mit einem Schlag wurde die Umlaufbahn sehr viel exakter und zwar so exakt, dass man ausschließen konnte, dass der Asteroid am 13. April 2029 mit der Erde kollidiert.
Man kannte die Bahn jetzt auch genau genug, um nicht mehr die provisorische Bezeichnung "2004 MN4" verwenden zu müssen. Immer dann, wenn die Bewegung eines Asteroiden einigermaßen sicher beschrieben werden kann, darf man ihm einen "richtigen" Namen geben. Die Entdecker entschieden sich in diesem Fall für "Apophis", nach dem altägyptischen Gott der Finsternis und des Chaos. Und wahrscheinlich auch nach dem bösen Alien in der Fernsehserie "Stargate SG-1", von der David Tholen und Ray Tucker große Fans waren.
Ganz sicher war man sich aber immer noch nicht, was Apophis und die Erde angeht. So ein erdnaher Asteroid fliegt ja nicht nur einmal an der Erde vorbei, sondern immer wieder. Für den 13. April 2029 war man jetzt zwar sicher. Aber auch 2036, 2051 und 2068 waren sehr nahe Begegnungen vorhergesagt bei denen man eine Kollision vorerst nicht ausschließen konnte. In diesem Fall haben weitere Beobachtungen auch nur bedingt geholfen. Denn es ist verdammt schwer, vorherzusagen, was NACH einer nahen Begegnung passiert. Der vorherberechnete Abstand zwischen der Erde und Apophis für den 13. April 2029 liegt bei nur 31.750 Kilometer über der Erdoberfläche. Bei diesem geringen Abstand wird die von der Erde auf den Asteroid ausgeübte Gravitationskraft besonders stark, er kriegt quasi einen ordentlichen Schubs und wird danach auf einer anderen Bahn weiterfliegen als zuvor. Wie dieser Schubs genau ausfallen wird, lässt sich allerdings nur schwer vorhersagen. Weswegen die Prognosen für die weiteren Begegnungen unklar waren.
Deswegen hat man Apophis weiter beobachtet. Er kam immer wieder in der Nähe der Erde vorbei - nie so nahe, dass es gefährlich werden würde. Aber doch so nahe, dass man ihn nicht nur mit normalen Teleskopen beobachten kann, sondern auch mit Radarteleskopen. Das heißt, man konnte Radarstrahlen von der Erde zu Apophis schicken, sie dort abprallen lassen und die Reflexion auf der Erde messen. Dadurch lässt sich der Abstand zwischen Erde und Apophis extrem genau bestimmen, was auch die Bahnbestimmung genauer macht. Im Laufe der Jahre konnte man langsam immer weiter Entwarnung geben. 2036 würde er an uns vorbeifliegen; 2051 ebenso. Als letztes noch offen war eine potenzielle Kollision am 12. April 2068, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,00026 Prozent. Nicht mehr viel und eigentlich nichts, über das man sich groß sorgen muss. Aber nach Messungen während eines Vorbeiflugs von Apophis an der Erde am 6. März 2021 konnte man die Bahnbestimmung ein weiteres Mal verbessern. Und damit war dann klar, dass er auch 2068 nicht die Erde treffen wird.
Apophis wird im 21. Jahrhundert nicht mit der Erde kollidieren. Was das 22. Jahrhundert angeht, kann man noch keine Aussagen machen. So weit lässt sich die Umlaufbahn eines erdnahen Asteroiden nicht mit der nötigen Exaktheit berechnen. Aber selbst wenn Apophis in ferner Zukunft doch mal auf Kollisionskurs sein sollte, wird er keinen Weltuntergang verursachen. Er hat einen Durchmesser von circa 325 Metern, was zwar reicht, um die Region, in der er abstürzen würde, gewaltig zu verwüsten. Aber nicht, um ein globales Massensterben zu verursachen, so wie damals bei den Dinosaurieren, wo ein 10 Kilometer großer Asteroid mit uns kollidiert ist. Und im 22. Jahrhundert hat man ja dann hoffentlich die Techniken zur Asteroidenabwehr, die ich in den Folge 76, 77 und 78 vorgestellt habe, schon im Griff und kann der Sache entspannt entgegensehen. Und bis dahin hat man sich dann vermutlich auch geeinigt, wer wen zu welchem Zeitpunkt anrufen soll…
Sternengeschichten Folge 447: Sol und Dhanus - Zeitmessung auf dem Mars
Derzeit - und vermutlich auch noch in absehbarer Zukunft - ist unser Nachbarplanet ausschließlich von Robotern bewohnt. Wir Menschen stellen uns zwar schon seit Jahrhunderten vor, wie es ist dorthin zu reisen und dort zu leben. Ein Flug zum Mars mit Menschen an Bord und erst recht dort dauerhaft zu leben ist aber nicht nur ein enorm komplexes Vorhaben, sondern auch extrem gefährlich. Wir haben noch nicht einmal richtig angefangen, all die Probleme zu lösen, die für so etwas gelöst werden müssen und einen ganzen Haufen Probleme vermutlich noch nicht mal entdeckt. Vielleicht kriegen wir es hin, einen kurzen Besuch dort zu absolvieren. Es wird aber auf jeden Fall noch ein wenig dauern, bis Menschen auf dem Mars auch dauerhaft leben. Trotzdem muss man sich auch jetzt schon ein wenig Gedanken darüber machen, wie man bestimmte Dinge dort organisiert. Zum Beispiel die Zeitmessung.
Der Mars ist ein Planet. Ein wenig kleiner als die Erde, aber auch dort gibt es das, was es hier auf der Erde gibt: Nämlich Tag und Nacht. Der Mars rotiert um seine Achse und so wie dadurch auf der Erde die Sonne auf- und untergeht, passiert das auch auf dem Mars. Die Erde braucht bekanntlich 24 Stunden für eine Umdrehung (bzw. ein kleines bisschen weniger, aber dazu gleich mehr). Das ist der "Sonnentag", den man von einem "Sterntag" unterscheiden muss, wie ich in Folge 307 ausführlich erklärt habe. Man muss die Rotation eines Himmelskörpers ja immer in Bezug auf irgendeinen konkreten Punkt messen. So ein Bezugspunkt können die Sterne sein; die sind so weit weg, dass sie ihre Position nicht verändern, während die Erde - oder der Mars - sich um die Achse dreht. Ich kann mir also einen bestimmten Stern aussuchen, seine Position messen und dann warten, bis sich der Mars genau so weit gedreht hat, bis ich den Stern exakt wieder an der gleichen Position sehen kann. Die Dauer dieser Rotation ist ein Sterntag und auf der Erde sind das 23 Stunden, 56 Minuten und 4,1 Sekunden. Diese Zeitspanne ist wichtig, wenn man an astronomischen Beobachtungen interessiert ist. Für den Alltag ist aber die Sonne viel wichtiger. Misst man jetzt also die Zeit die vergeht, bis die Sonne nach einer Rotation der Erde wieder exakt an der gleichen Position des Himmels steht, kriegt man einen "Sonnentag" und der ist ein wenig länger als der Sterntag. Denn während die Erde um ihre Achse rotiert, hat sie sich ja auch ein kleines Stückchen entlang ihrer Bahn um die Sonne herum bewegt. Was bedeutet, dass die Sonne jetzt ihre scheinbare Position am Himmel ein bisschen verändert hat und die Erde sich noch ein bisschen weiter drehen muss, um das auszugleichen. Deswegen ist der Sonnentag mit 24 Stunden um knapp 4 Minuten länger als der Sterntag.
Aber wir waren ja eigentlich am Mars. Dort dauert der Sterntag 24 Stunden 37 Minuten und 22,66 Sekunden; der Sonnentag ist auch hier mit 24 Stunden, 39 Minuten und 35,24 Sekunden länger. Dass die Tageslänge am Mars bis auf die knapp 40 Minuten identisch mit der Tageslänge der Erde ist, ist übrigens reiner Zufall. Es gibt keine Gesetzmäßigkeiten die die Rotationsdauer der Planeten irgendwie ordnet. Wie schnell sich ein Planet um seine Achse dreht, hängt - zumindest vereinfacht gesagt - vor allem von den ganzen chaotischen Prozessen ab, die während der Planetenentstehung stattgefunden haben. Die ganzen Kollisionen, die notwendig sind, damit aus kleinen Himmelskörpern große Planeten entstehen, bestimmen am Ende auch, wie sich der Planet um seine Achse dreht. Auf der Venus dauert ein Tag mehr als 100 Erdtage; auf dem Saturn nur wenige Stunden.
Die Dauer eines Sonnentags auf dem Mars, also die 24 Stunden 39 Minuten und 35,24 Sekunden, werden als "Sol" bezeichnet. Ein bisschen ein komisches Wort, weil es ja auf Latein "Sonne" bedeutet und es eigentlich um den Mars geht. Aber man hat es eben gewählt, um den SONNENtag zu bezeichnen. Es hat übrigens auch nichts mit dem "Sol" zu tun, das man in den alten Folgen der Fernsehserie "Star Trek" hören kann. Dort wird damit ja die Geschwindigkeit des Raumschiff Enterprise bezeichnet; bzw. das Ausmaß der Überlichtgeschwindigkeit. Nur das im englischen Original der Serie nie jemand von "Sol" spricht, da wird immer nur "Warp" verwendet. Warum man sich für die deutsche Übersetzung ein neues Wort ausgedacht hat - "sol" soll "speed over light" bedeuten - kann ich nicht sagen. In der Wissenschaft hat man es aber so oder nicht mit Überlichtgeschwindigkeitsraumschiffen zu tun und da steht "Sol" für den Sonnentag am Mars.
Jetzt könnte man sich fragen, welche Rolle es überhaupt spielt, wie lang ein Tag auf dem Mars ist. Wohnen ja eh noch keine Menschen dort, bei denen irgendwann der Wecker klingelt und die zur Arbeit müssen. Oder die Abends schnell nach Hause müssen, um nicht von der Dunkelheit überrascht zu werden. Das ist richtig - aber wir haben im Laufe der Zeit jede Menge Raumsonden, Landeeinheiten und Rover auf dem Mars abgesetzt, wie ich ja schon in Folge 429 erzählt habe. Und denen ist die Uhrzeit nicht egal. Also im Prinzip schon, aber man will mit den Dingern am Mars ja arbeiten. Und muss dabei natürlich auf den Wechsel von Tag zu Nacht aufpassen. Im Dunkeln fährt es sich auch für einen Marsrover schlecht; der muss wissen, wohin er fährt und dazu muss er Bilder von der Umgebung machen. Das gilt umso mehr für die Forschung: Wenn man am Mars irgendeinen Stein untersuchen will, irgendwelche Experimente durchführt: Dann braucht man dazu Licht. Und das bisschen an Wärme, was auf dem eiskalten Planeten untertags gibt. In der dunklen und bis zu -100 Grad kalten Nacht kann man viele Dinge nicht machen.
Die Menschen, die auf der Erde die Aktivitäten der Marsmissionen planen, müssen sich also zwangsläuig nach den dortigen Gegebenheiten richten. Wenn also eine Landeeinheit oder ein Rover auf der Oberfläche unseres Nachbarplaneten aufsetzt - was man natürlich auch eher dann macht, wenn dort die Sonne scheint - wird das als "Sol 0" bezeichnet. Das hat sich deswegen durchgesetzt, weil man natürlich nicht sofort mit der Arbeit loslegen kann. Erst mal muss alles geprüft werden, und so weiter und die eigentlich Arbeit kann frühestens am nächsten Tag losgehen. Beziehungsweise eben am nächsten Sol, der dann offizieller Sol 1 der Mission ist. Bei der NASA - in den ersten 60 Jahren der Marsmissionen die einzige Organisation die überhaupt etwas erfolgreich auf dem Mars landen lassen konnte - hat sich ein ganzer Haufen neuer Begriffe eingebürgert, um den Überblick über die Zeit zu behalten. Mit "yestersol" wird der vorherige Sol bezeichnet; analog ist "tosol" der aktuelle Sol und "solmorrow" der kommende Sol. Auf deutsch gibt es solche neuen Wörter noch nicht, hier kommt man aber mit "gestern", "heute" und "morgen" im Prinzip aber auch mit Begriffen aus, die im Gegensatz zu den entsprechenden englischen Wörtern kein "tag" bzw. "day" beinhalten. Und in der Wissenschaft sowieso immer englisch geredet.
Es gibt übrigens keine globale Zählung der Marstage. Jede Mission fängt wieder neu bei Sol 0 an und zählt die verstreichende Zeit individuell. Aber was, wenn irgendwann doch einmal Menschen auf dem Mars leben? Dann wird sicher nicht jede neue Gruppe von frisch gelandeten Siedlungswilligen ihre eigene Zählung mit Sol 0 starten. Dann wird man sich auf eine gemeinsame Zeitmessung einigen müssen. Das fängt dann zuerst bei der Messung der Uhrzeit an. Wir brauchen ja für den Alltag auch kleinere Zeiteinheiten als nur Tage. Würde man einfach eine irdische Uhr mit auf den Mars bringen, hätte man ein Problem: Die hört bei 24 Uhr auf, zeigt danach 0 Uhr an und beginnt einen neuen Tag. Schon am ersten Sol würde also alles aus dem Ruder laufen, weil ja die knapp 40 Minuten fehlen, die ein Marstag länger als ein Erdtag ist.
Eine schöne Lösung hat sich der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson für seine Mars-Trilogie ausgedacht. Hier gibt es Uhren, die um Punkt Mitternacht einfach für 39 Minuten und 36 Sekunden stehen bleiben. Man hat also jede Nacht eine Art "Geisterstunde" in der es keine offizielle Uhrzeit gibt. Was aber auch nicht tragisch ist, weil man um die Zeit ja sowieso oft schläft. Man kann auch einfach Uhren bauen, die ein wenig langsamer laufen. Dann hätte ein Sol immer noch 24 Stunden wie ein Tag auf der Erde. Nur dass eine Mars-Stunde dann knapp 61 irdische Minuten dauert, eine Mars-Minute 61,6 irdische Sekunden und eine Mars-Sekunde 1,027 Erd-Sekunden. Das ist vielleicht ein bisschen gewöhnungsbedürftig - aber wir alle haben uns doch schon mal gewünscht, dass ein Tag ein wenig länger dauert, weil wir mit der Arbeit noch nicht fertig geworden sind oder wir gerade sehr viel Spaß haben. Auf dem Mars wäre es dann genau so!
Man kann natürlich auch ein ganz anderes System basteln. Falls wir nicht nur auf dem Mars wohnen, sondern weiterhin auf der Erde und auch noch Kontakt zwischen den beiden Planeten besteht, dann wäre es natürlich wünschenswert, wenn beide zumindest eine gemeinsame Basis haben. Eine Sekunde - die offizielle wissenschaftliche Einheit für die Zeitmessung - sollte überall gleich lange dauern. Dann müsste man auf dem Mars die traditionelle Einteilung der Minute in 60 Sekunden, der Stunde in 60 Minuten und des Tages in 24 Stunden aufgeben. Und würde dann zB einen Mars-Sol bekommen, der 25 Stunden dauert, wobei jede Stunde 67 Minuten und jede Minute 53 Sekunden hat. Was vermutlich enorm verwirrend wäre, aber den Leuten im Laufe der Zeit genau so normal vorkommen würde wie unsere 24/60/60-Einteilung, die ja eigentlich auch seltsam ist, wenn man genauer darüber nachdenkt.
Es reicht aber nicht, nur die Tage und Stunden in den Griff zu kriegen. Wir brauchen am Mars auch noch einen Kalender um den Ablauf der Jahre zu messen. Wie das auf der Erde funktioniert, habe ich schon vor langer Zeit in Folge 5 der Sternengeschichten erklärt. Ein Jahr, also ein Umlauf der Erde um die Sonne dauert ein bisschen mehr als 365 Tage. Weswegen wir alle paar Jahre ein Schaltjahr mit 366 Tagen einführen müssen, damit alles halbwegs passt. Und was die Einteilung des Jahres in Monate angeht, ist bei uns alles ziemlich konfus. Wie ich in Folge 101 genauer erklärt habe, haben wir im Laufe der Zeit immer wieder am Kalender rumgebastelt, weswegen jetzt manche Monate 30 Tage haben, manche 31, der Februar überhaupt nur 28, sofern er nicht gerade 29 Tage hat.
Auf dem Mars hätte man die Chance, das gleich von Anfang an ordentlich zu machen. Das hat sich der Raumfahrtingenieur Thomas Gangale auch gedacht und schon 1985 einen entsprechenden Kalender vorgeschlangen. Dieser "Darische Kalender" - benannt nach seinem Sohn Darius - muss erst mal damit klar kommen, dass ein Marsjahr 668,5907 Sols dauert. Auch hier müssen wir also mit Schaltjahren arbeiten: Ein Zeitraum von 10 Marsjahren enthält sechs Jahre mit 669 Sols und vier mit 668 Sols. So oder so ist das sehr viel länger als das Jahr auf der Erde. Weswegen man auf dem Mars auch nicht mit 12 Monaten auskommt. Der Darische Kalender enthält 24 Monate, wobei auf vier Monate mit 28 Sols immer ein fünfter Monat mit 27 Sols folgt. Bis auf die Schaltjahre, die einen Sol länger sind; da hat der letzte Monat des Kalenders auch 28 Sols. Was die Wochen angeht läuft auf dem Mars alles gleich wie auf der Erde. Jede Woche hat sieben Sols, was praktisch ist, weil so ein Marsmonat immer genau vier Wochen zu je sieben Sols lang ist. Es sei denn, man hat gerade einen Monat mit nur 27 Sols. In dem Fall entfällt dieser Tag einfach. Wäre dieser letzte Tag eines Monats also laut Kalender ein Sonntag, dann geht es vom Samstag direkt zum Montag weiter. Was ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist, aber den Vorteil hat, das man sich nicht so Sachen fragen muss wie: Auf welchen Wochentag fällt denn Weihnachten dieses Jahr? Der Kalender des Mars ist fix; jedes Datum hat immer den gleichen Wochentag.
Nur für die Namen hat sich Gangale ein paar neue Begriffe ausgedacht. Am Mars gibt es nicht Montag, Dienstag, und so weiter. Die Marswoche beginnt mit dem Tag "Solis", dann kommt "Lunae", dann "Martis", "Mercurii", "Jovis", "Veneris" und die Woche endet mit "Saturni". Das sind einfach nur die lateinischen Bezeichnungen für Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Saturn und Venus. Und auch auf der Erde haben die Wochentage ja ihren Ursprung in den Himmelskörpern - was man an "Sonntag", "Montag" oder zb dem englischen "Saturday" noch gut hören kann. Die 24 Monate hat Gangale nach den Sternbildern der Ekliptik benannt, also den Sternbildern, die wir auch als Sternzeichen aus dem Horoskop kennen. Davon gibt es aber nur 12, weswegen er auch noch die entsprechenden Bezeichnungen der Sternzeichen aus der altindischen Sprache Sanskrit benutzt hat. Das Marsjahr beginnt also am Solis, dem 1. Sagittarius, dem Monat der nach dem Schützen benannt ist. Dieser Monat endet am 28. Sagittarius, einem Saturni. Dann folgt der 1. Dhanus, wie das Sternbild Schütze auf Sanskrit heißt. Wer gerne ungewöhnliche Wörter hört - hier ist die Liste der restlichen 22 Marsmonate: Capricornus, Makara, Aquarius, Kumbha, Pisces, Mina, Aries, Mesha, Taurus, Rishabha, Gemini, Mithuma, Cancer, Karka, Leo, Simha, Virgo, Kanya, Libra, Tula, Scorpius, Vrishika.
Das Marsjahr beginnt übrigens nicht im tiefsten Winter wie bei uns. Bzw. gilt das ja auf der Erde nur für die Nordhalbkugel; im Süden feiert man Silvester mitten im Sommer. Gangale hat seinen Kalender so gelegt, dass der erste Tag eines Jahres mit dem Frühlingsanfang auf der nördlichen Hemisphäre des Mars zusammenfällt. Outdoorparties sind aber am Mars trotzdem nicht zu empfehlen; egal welche Jahreszeit: Dort ist es eiskalt!
Man kann noch weiter herumbasteln, um einen Kalender für den Mars zu bauen. Und das hat man natürlich auch gemacht, sowohl in der Science-Fiction als auch in der Wissenschaft. Mal mit weniger Monaten, mal mit längeren Wochen; mal mit Übereinheiten wie "Quartalen". Mal fängt das Jahr im Frühling an, mal nicht. Und so weiter. Und genaugenommen ist das alles zwar ganz interessant. Aber doch auch ein wenig Fleißarbeit. Bis auf dem Mars ein Bedarf nach einem Kalender herrscht, wird noch sehr, sehr viel Zeit vergehen. Und wenn dann irgendwann doch einmal Menschen dort leben sollten, dann werden wir es vermutlich sowieso so machen, wie wir es immer tun. Und uns nicht an irgendwelche gut geplanten und organisierten Vorgaben halten. Sondern aus unseren Geschichten, Bräuchen und Traditionen irgendein sehr kompliziertes und unhandliches Regelwerk basteln und uns weigern, auch nur irgendwas davon zu ändern.
Sternengeschichten Folge 446: Das Konzil der Riesen
Heute geht es um das "Konzil der Riesen". Das klingt ein bisschen wie aus einem Fantasy-Roman. Hat aber gar nichts damit zu tun, sondern mit Kosmologie. Und Galaxien. Dazu reisen wir in die "Lokale Gruppe". Das klingt ein wenig langweilig; ist aber die offizielle Bezeichnung für unsere Ecke im Universum. Also die Ansammlung von Galaxien, zu der auch die Milchstraße gehört; unsere Heimatgalaxie in der sich die Sonne befindet. Die lokale Gruppe habe ich in Folge 371 schon einmal ausführlich vorgestellt; das werde ich jetzt nicht wiederholen. Die Kurzversion: Die Lokale Gruppe besteht aus den beiden großen Galaxien der Milchstraße und der Andromeda. Dazu kommen noch ein paar Dutzend kleinere Galaxien, die alle durch ihre Gravitationskraft aneinander gebunden sind. Das heißt, dass sie sich nicht unabhängig voneinander durch den Weltraum bewegen können, sondern einander mit ihrer Gravitationskraft in Form eines Galaxienhaufens zusammenhalten. Dieser Haufen hat einen Durchmesser von circa 8 Millionen Lichtjahren. Aber hinter der lokalen Gruppe hört das Universum natürlich nicht auf. Es gibt unzählige andere Galaxienhaufen, die sich zu noch größeren Superhaufen zusammenfinden, die wiederum Super-Superhaufen bilden, und so weiter. Und zwischen diesen gigantischen Strukturen gibt es ebenso gigantische Leerräume.
Schaut man ein wenig über die lokale Gruppe hinaus, findet man also weitere Galaxien. Die nicht willkürlich angeordnet sind. Die Galaxien in unserer Umgebung bilden zusammen mit der lokalen Gruppe die sogenannte "Lokale Scheibe". Der offizielle englische Fachausdruck dafür lautet "local sheet" und es handelt sich tatsächlich um eine Region, die ungefähr 50 Millionen Lichtjahre durchmisst und nur 1,5 Millionen Lichtjahre dick ist. Eine Scheibe, voll mit Galaxien, die alle mehr oder weniger die gleiche "Pekuliargeschwindigkeit" haben. Das Wort "pekuliar" bedeutet so viel "eigentümlich"; so eigentümlich ist die Sache aber gar nicht. Man meint damit in der Astronomie einfach nur die Geschwindigkeit eines Objekts in Bezug auf etwas anderes. In diesem Fall ist die Sache ein wenig knifflig, weil es um Kosmologie geht. Seit über hundert Jahren wissen wir, dass das Universum sich ausdehnt. Edwin Hubble und seine Kollegen haben in den 1920er Jahren gemessen, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind. Man muss aber aufpassen, wie man diese Aussage interpretiert. Das gilt so allgemein nur, wenn man das Universum wirklich auf sehr großen Skalen betrachtet. Die Erde selbst etwa, hat immer die gleiche Größe, die dehnt sich nicht aus. Auch die Abstände der Planeten des Sonnensystems zur Sonne bleiben gleich. Und vorhin habe ich gesagt, dass die Galaxien der lokalen Gruppe durch ihre Gravitationskraft aneinander gebunden sind; hier sorgt die Expansion des Universums also auch nicht dafür, dass sich alle voneinander entfernen. Man kann sich die Expansion als eine Kraft vorstellen und die Gravitation als andere Kraft. Bei - kosmologisch gesehen - kleinen Abständen, ist die Gravitationskraft stärker als die Expansion und hält die Dinge zusammen. Deswegen bleibt der Abstand der Planeten zur Sonne gleich und auch die lokale Gruppe löst sich nicht auf. Nur wenn es um sehr weit voneinander entfernte Objekte geht, spielt die Expansion des Alls eine Rolle.
Man darf die Bewegung der Galaxien aufgrund der Expansion des Raums auch nicht mit einer Bewegung DURCH den Raum verwechseln. Vereinfacht gesagt wird der Raum zwischen den Galaxien immer größer und die Galaxien werden dadurch voneinander weg "geschoben". Wir sehen trotzdem, wie sie sich - gemeinsam mit dem Raum - von uns entfernen und können die entsprechende Geschwindigkeit messen, mit der sie das tun. Das ist aber nicht die Pekuliargeschwindigkeit, um die es geht. Das ist tatsächlich die Geschwindigkeit, mit der sich eine Galaxie DURCH den Raum bewegt. Und bestimmt man die für die großen Galaxien in unserer Umgebung, dann sieht man, dass die alle recht gut übereinstimmen. Und sich von der Pekuliargeschwindigkeit der weiter entfernten Galaxien unterscheidet. Genau das ist die lokale Scheibe: Eine große Gruppe an Galaxien, die sich alle mit ungefähr der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen. Wer wissen möchte, wohin die Reise geht: Zum sogenannten "Leo Spur". Das ist eine andere "lokale Scheibe", also eine andere Ansammlung von Galaxien die sich Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit teilen. Bis wir dort ankommen, werden aber noch circa 10 Milliarden Jahre vergehen; wir können uns als noch entspanden.
Der Grund der gemeinsamen Bewegung der Galaxien in der lokalen Scheibe ist eine weitere Lokalität: Nämlich die "Lokale Leere". Ich habe vorhin schon von der großräumigen Struktur des Universums gesprochen: Riesige Superhaufen aus Galaxien, getrennt von ebenso riesigen Leerräumen. Die aus den Galaxien-Superhaufen gebildeten Strukturen werden offiziell "Filamente" genannt, die Leerräume heißen "Voids". Die lokale Scheibe ist, auf einem etwas kleinerem Maßstab, genau so ein Filament, ebenso der Leo Spur (der das uns nächstgelegen Filament ist). Und direkt an die lokale Scheibe grenzt eine Void. Wir wissen nicht, wie groß dieser Leerraum genau ist, aber so um die 50 Millionen Lichtjahre im Durchmesser wird das Nichts schon groß sein. Und diese lokale Leere schiebt uns in Richtung Leo Spur. Ok, das ist physikalisch nicht ganz sauber. Ein Leerraum kann nicht "schieben"; der macht gar nichts; der ist einfach nur da und leer. Aber wenn überall um uns herum andere Galaxien sind, nur in einer Richtung - nämlich da wo der Leerraum ist - nicht, dann wirken die entsprechenden Gravitationskräfte genau so zusammen, dass es aussieht, als würde der Leerraum uns von sich wegschieben.
Fassen wir einmal kurz zusammen; mit dem ganzen lokalen Dies und lokalen Das wird es ja schnell verwirrend. Wir leben in der Milchstraßengalaxie. Zusammen mit einem Schwung anderer Galaxie bildet sie eine Galaxiengruppe, die "Lokale Gruppe" genannt wird. Die Lokale Gruppe wiederum bildet mit noch mehr anderen Galaxien die lokale Scheibe, ein Filament, das quasi eine Wand bildet, die an die lokale Leere grenzt, einen enorm großen Teil des Universums in dem sich so gut wie gar nichts befindet. So etwas ist gut zu wissen; man sollte immer darüber informiert sein, wo man in der Welt und im Universum steht. Als sich der Astronom Marshall McCall von der York Universität in Toronto im Jahr 2014 die lokale Scheibe etwas genauer angeschaut hat, hat er aber noch etwas viel spannenderes entdeckt: "A Council of Giants" lautet der vielversprechende Titel seiner Facharbeit, also das "Konzil der Riesen".
Schaut man sich die Abstände der hellsten Galaxien in der lokalen Scheibe in Bezug auf die Milchstraße bzw. die Lokale Gruppe an, stellt man etwas interessantes fest. Sie liegen immer zwischen 11 und 16 Millionen Lichtjahren. Oder anders gesagt: Die 12 hellsten und größten Galaxien der lokalen Scheibe bilden einen Ring um die Lokale Gruppe herum. Und so wie ein Konzil ja normalerweise gebildet wird, um wichtige Entscheidungen zu treffen, scheint auch das Konzil der Riesen bestimmt zu haben, was mit der Milchstraße passiert. Sie bilden quasi eine Grenze, die den gravitativen Einflussbereich der Lokalen Gruppe markiert. Und vielleicht sogar dafür gesorgt, dass sie überhaupt erst entstanden ist. McCall hat bei seiner Untersuchung herausgefunden, dass sich die Lokale Gruppe ziemlich genau dort befindet, wo sich die gravitativen Kräfte der Gruppe und der Galaxien des Konzils gegenseitig ausbalancieren. Der Einfluss der Galaxien im Konzil könnte dafür gesorgt haben, dass sich aus den Gasmassen im All die Galaxien der Lokalen Gruppe gebildet haben. Oder aber zumindest beeinflusst haben, wie die Galaxien der Lokalen Gruppe angeordnet sind. Dass zwei so große Galaxien wie die Milchstraße und die Andromeda genau im Zentrum des Galaxienrings und einander so nahe sind, dass sie in in ein paar Milliarden Jahren miteinander verschmelzen werden, kann Zufall sein. Es ist aber auch sehr unwahrscheinlich. Da wir bis jetzt nur eine lokale Scheibe im Detail beobachten können, ist es schwer, daraus allgemeine Regeln abzuleiten.
Aber die Angelegenheit ist auf jeden Fall spannend. Wir wissen immer noch nicht genau, wie das mit der Entstehung von Galaxien, Galaxiengruppen, Filamenten und so weiter wirklich abläuft. Nach den bisherigen Kenntnissen fängt alles mit dunkler Materie an. Von der gibt es im Universum deutlich mehr als von der normalen, sichtbaren Materie aus der Sterne, Planeten oder Menschen bestehen. Sehr viel mehr und im frühen Universum hat sie gigantische Wolke gebildet. Dort, wo diese Wolken am dichtesten waren, hat sich die normale Materie angesammelt, aus der dann Galaxien voller Sterne entstanden sind. Um so eine Konfiguration wie die lokale Scheibe, die Lokale Gruppe und das Konzil der Riesen zu erhalten, muss aber die dem ganzen zugrundeliegende lokale Ansammlung an dunkler Materie schon im Wesentlichen eine scheiben- bzw. filamentartige Struktur gehabt haben.
Wir werden unsere kosmische Nachbarschaft weiter untersuchen müssen. Oft es ist einfacher, in große Ferne zu schauen als die eigene Umgebung zu erkennen. Wir tun uns leichter, die Struktur des Universum auf großen Skalen zu kartografieren. So haben wir das irgendwie "schwammige" Aussehen des Kosmos entdeckt; also die vielen Voids, die von Filamenten begrenzt sind. Das alles auch in unserer Nähe zu untersuchen ist schwieriger; hier müssen wir Abstände und Positionen viel genauer bestimmen, um ein vernünftiges Bild zu bekommen. Aber es sieht so aus, als wäre die Struktur des Universums auch im kleinen seinem großräumigen Verhalten ähnlich. Und wer weiß, ob in anderen Filamenten und Galaxienhaufen nicht auch noch ein paar Riesenkonzile zu finden sind…
Sternengeschichten Folge 445: Die Astrotheologie von William Derham
Nein, ich habe mich nicht versprochen. Es geht heute um die Astrotheologie. Und damit sind keine Science-Fiction-Religionen gemeint oder irgendwelche UFO-Sekten. Es geht um echte Wissenschaft, es geht um Religion und es geht um die Verbindung zwischen beiden Bereichen. Das klingt aus heutiger Sicht ein wenig seltsam. Wir sind daran gewöhnt, dass Wissenschaft gerade NICHTS mit "glauben" zu tun hat. Wissenschaft ist das, was man weiß und wenn man daran glauben muss, kann es keine Wissenschaft sein. Wir sind auch daran gewöhnt, dass es gerade zwischen Wissenschaft und Religion immer wieder zu Konflikten kommt. Und erinnern uns dann an die vielen Geschichten aus der Vergangenheit, wo die Religion der Wissenschaft nicht gerade freundlich gesinnt war. Der Kampf von Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie gegen die Lehren der Bibel. Galileo Galilei, der vom Papst verurteilt wurde, weil er behauptet hat, dass die Erde sich um die Sonne bewegt. Giordano Bruno, der am Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil er der Meinung war, die Lichter am Himmel wären Sterne, von Planeten umkreist auf denen Leben existiert. Letzters stimmt so übrigens nicht, die Gründe für den Konflikt zwischen Bruno und der Kirche waren nicht so sehr astronomischer Natur - aber das ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten. Kurz gesagt: Religion und Wissenschaft sind wie Wasser und Feuer, wie Hunde und Katzen, wie Lieferdienste und Türklingeln - erbitterte Feinde die nichts miteinander zu tun haben wollen.
Nur stimmt das so natürlich nicht. Es stimmt heute nicht und hat in der Vergangenheit noch viel weniger gestimmt. Dazu gehen wir am besten zurück an den Anfang der modernen Naturwissenschaft; ins 17. Jahrhundert. Da wurde am 26. November 1657 William Derham in England geboren. Nur knapp 15 Jahre nach Isaac Newton; knapp 10 Jahre nach der Geburt von Gottfried Wilhelm Leibniz: Also mitten in die Ära, als man in Europa damit begann, die Welt auf eine völlig neue Art und Weise verstehen zu wollen. Die großen Erkenntnisse, auf denen die Naturwissenschaft heute noch aufbaut, wurden damals gewonnen. Newtons Gravitationstheorie, die Mathematik von Leibniz und René Descartes, Robert Boyles Theorien über Chemie, die mikroskopischen Beobachtungen von Robert Hoooke. Und so weiter: Damals entwickelte sich die Wissenschaft in der Form, in der sie auch heute noch betrieben wird. Und Willam Derham ist ein wunderbares Beispiel dafür. Nach einem Studium in Oxford wurde er 1681 zum anglikanischen Priester geweiht. Und verbrachte den Rest seines Lebens im Dienst der Kirche.
Aber Derham interessierte sich nicht nur für die Religion. Sondern auch für alles andere. Und neben seiner Arbeit als Priester fand er genug Zeit, eigene Forschungen anzustellen. Zum Beispiel über Uhren: Man vergisst leicht, wie viel damals noch unbekannt war; wie viel noch nicht erfunden und wie viel man über die Welt noch nicht gewusst hat. Uhren im eigentlichen Sinn gab es damals nicht. Es gab Kirchturmuhren, die aber eher ungenau liefen und hauptsächlich dazu da waren, die Gläubigen zur halbwegs rechten Zeit in die Kirche zu rufen. Es gab Sanduhren, Wasseruhren, und so weiter - aber nichts, mit dem man die Zeit wirklich exakt messen konnte. Erst 1637 kam Galileo Galilei die Idee, dass man vielleicht ein genau abgestimmtes Pendel benutzen könnte, um die Zeit vielleicht sogar mit der Genauigkeit von einigen Sekunden zu messen. Er selbst baute allerdings keine und beließ es bei der Idee. Die erste echte Pendeluhr hat der niederländische Forscher Christiaan Huygens 1657 gebaut, also im Jahr von Derhams Geburt. Es war also eine absolut neue Erfindung, der Höhepunkt der damals aktuellen Möglichkeiten. Und immer noch ein enorm spannendes Thema für alle an Wissenschaft und Technik interessierten Menschen. Zu denen auch William Derham gehörte, was er mit seinem 1696 erschienenen Buch "Artificial Clockmacker" zeigte. Darin erklärte er bis ins letzte Detail, wie eine Pendeluhr funktioniert und wie man sie bauen kann. Es war das erste Buch seiner Art und Derham musste sich das notwendige Wissen über Pendeluhren selbst beibringen, um es schreiben zu können.
Mit einer Pendeluhr gelang es ihm auch, die Geschwindigkeit des Schalls deutlich besser zu messen, als es bis dahin möglich war. 1709 stand er auf einem Kirchturm und beobachtete den Lichtblitz einer weit entfernt abgefeuerten Kanone. Mit dem Pendel maß er, wie lange es dauerte, bis er den dazugehörenden Knall hören konnte. Den Abstand zwischen Kanone und Kirchturm konnte er direkt messen und daraus die Schallgeschwindigkeit berechnen.
Es waren aber nicht nur Physik und Technik, die Derham beschäftigt haben. Er hat Insekten gesammelt, das Verhalten von Wespen und Käfern untersucht oder das Zugverhalten von Vögeln. Er hat sich mit Pflanzen beschäftigt und mit Meteorologie. Er hat Tiere beobachtet und untersucht um herauszufinden, wie sie sich unterscheiden. Dabei ist ihm durchaus auch aufgefallen, dass es innerhalb der Arten jede Menge Variationen gibt; die Sache mit der Evolution hat er aber nicht entdeckt - das kam erst später mit Charles Darwin. Derham war Geologe, hat Gesteinsschichten untersucht und nach mineralischen Quellen gesucht. Kurz gesagt: Er war das, was man damals einen "Naturphilosophen" genannt hat (und wozu wir heute "Naturwissenschaftler" sagen würden). Es war damals auch absolut nicht unüblich, die Interessen quer durch alle Wissensgebiete zu streuen. Damals wusste man noch kaum was über die Welt und die Naturgesetze. Und wenn man nichts weiß, dann kann man auch überall neue Phänomene entdecken. Alle Wissenschaftler waren damals mehr oder weniger Universalwissenschaftler. Es gab noch keine Spezialisierung wie es sie heute zwangsläufig gibt, weil wir schon so viel wissen, dass man gar nicht mehr alles lernen kann.
Und natürlich hat Derham sich auch für die Astronomie interessiert. Er hat die Sonnenflecken - die ebenfalls noch nicht allzu lange vorher entdeckt wurden - beobachtet, die Jupitermonde oder die Polarlichter erforscht. Jetzt könnte man vielleicht auf die Idee kommen, dass Derham angesichts all dieser wissenschaftlichen Tätigkeiten gar kein "echter" Gläubiger war. Vielleicht war der Job des anglikanischen Pfarrers ja nur eine bequeme Art, ohne allzuviel Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen und die viele Freizeit für naturwissenschaftliche Forschung zu nutzen? Hier darf man allerdings nicht den Fehler machen, die Vergangenheit mit dem Blick der Gegenwart zu betrachten. William Derham hat die Arbeit für die Kirche sehr ernst genommen und hat es immerhin zum persönlichen Kaplan des Prinzen von Wales gebracht, dem späteren König George II. Und um jeglichen Zweifel auszuräumen, müssen wir uns nur die Bücher ansehen, die er nach seinem Buch über die Pendeluhr geschrieben hat. 1713 erschien "Physico-Theologie, oder eine Darstellung der Existenz und der Eigenschaften Gottes anhand seiner Schöpfung". Zwei Jahre später veröffentlichte er "Astro-Theologie, oder eine Darstellung der Existenz und der Eigenschaften Gottes anhand einer Studie des Himmels". Das ist zumindest die wörtliche Übersetzung des englischen Titels; die schon 1728 erschienene deutsche Übersetzung hat den wesentlich blumigeren Titel "Astrotheologie, Oder Himmlisches Vergnügen in Gott : Bey aufmerksamen Anschauen des Himmels und genauer Betrachtung der himmlischen Cörper ; zum augenscheinlichen Beweis, daß ein Gott, und Derselbe ein Allergütigstes, Allweises und Allmächtiges Wesen sey".
Womit wir jetzt bei der im Titel dieser Folge versprochenen Astrotheologie angekommen sind. William Derham hat seine astronomischen Beobachtungen - und das, was er anderswo in der astronomischen Fachliteratur lesen konnte - verwendet, um darzulegen, dass es einen Gott geben muss. Man kann das 345 Seiten starke Werk auch heute noch lesen. Vieles davon ist aus moderner Sicht durchaus spannend. Er stellt zum Beispiel fest, dass die Sterne am Himmel ähnliche Objekte sein müssen, wie die Sonne und nur deswegen kleiner erscheinen, weil sie unvorstellbar weit weg sind. Deswegen müssen sie auch mit ihrem eigenen Licht leuchten, denn auf diese Entfernungen können sie unmöglich Licht der Sonne reflektieren wie das die Planeten tun. Und wenn sie leuchten, dann muss das auch einen Grund haben. Derham ist sich sicher: Die Sterne leuchten deshalb, um das gleiche tun zu können wie unsere Sonne. Sie leuchten, um ihre eigenen Planeten in Licht und Wärme zu tauchen. Denn was wäre ansonsten der Zweck der Sterne? Wieso sollte das Universum voll mit leuchtenden Himmelskörpern sein, die nichts anderes tun, als unsere irdischen Nächte minimal heller zu machen? Jeder Stern muss von Planeten umkreist werden, meint Derham. Und das mache auch Sinn: Denn so eine Vorstellung des Universum sei "viel großartiger und einem allmächtigen Schöpfer würdiger" als einfach nur ein Universum, in dem außer der Sonne und ihren Planeten nur noch ein Haufen heller Lichter am Himmel existieren. Er spekuliert sogar darüber, dass das Universum unendlich groß sein müsste, um der Schöpfung eines Gottes würdig zu sein. Die Menschheit und die Erde stellt er hier nicht besonders hervor. Er nennt es eine "geschmackslose Sicht", dass alles auf der Welt nur für die Menschen gemacht sei. Wir sind nicht das Zentrum das Universums; wir sind nicht der Höhepunkt der Schöpfung. Wir sind nur ein winziger Teil der grandiosen und unendlich großen Schöpfung Gottes, dessen Herrlichkeit durch die unzähligen Sterne mit ihren unzähligen - natürlich bewohnten - Planeten nur noch erhöht wird.
Auf diese Weise argumentiert Derham im ganzen Buch. Er beschäftigt sich darin mit der Bewegung der Planeten des Sonnensystems, mit den Unterschieden zwischen geozentrischen und heliozentrischen Weltbild; mit dem Aussehen der Milchstraße, der (damals noch unbekannten) Natur von Kometen. Er beschreibt die Flecken in der Atmosphäre des Jupiters, die Berge und Täler auf dem Mond, die Phasen von Mars und Venus. Er beschäftigt sich mit der noch neuen Gravitationstheorie von Isaac Newton, mit Sonnenfinsternissen, den Gezeiten, und so weiter. Es ist ein Überblick über den Stand des astronomischen Wissens der damaligen Zeit, ergänzt durch Derhams eigene Beobachtungen. Und in allem, was Derham über das Universum erklärt, sieht er einen Beweis für die Existenz und das Wohlwollen Gottes.
Das mag aus heutiger Sicht seltsam klingen. Aber Derham war weder der erste, noch der einzige, der auf diese Weise gedacht hat. Isaac Newton etwa war ein zutiefst gläubiger Mensch; ebenso wie so gut wie alle anderen die damals die Welt erforscht haben. Es gab aus damaliger Sicht keinen Widerspruch zwischen Religion und Wissenschaft. Dass das Universum - und mit ihm die Erde und die Menschheit das Resultat - eines bewussten Schöpfungsaktes ist, stand damals außer Frage. Etwas anderes konnte sich niemand vorstellen und nicht, weil die Menschen damals so viel dümmer als wir heute. Die Schöpfung war integraler Teil des damaligen Weltbildes und die Menschen konnten nicht anders, als innerhalb dieses Weltbildes zu denken. Und wenn die Welt einen Schöpfer hat, dann ist es absolut legitim, diese Schöpfung zu erforschen, um unter anderem auch mehr über den Schöpfer zu erfahren. Man stelle sich vor, wir würden heute ein paar Kilometer tief ins Innere der Erde bohren, und dort kein geschmolzenes Gestein finden, sondern Kabelstränge, Maschinen, Computer und jede Menge anderes Zeug. Angesichts dieser Belege für den künstlichen Urspung des Planeten würden wir auch mit aller Macht danach forschen, wer ihn erschaffen hat. Und aus damaliger Sicht war die Welt eben ebenso klar und deutlich erschaffen. Dass so etwas grandioses wie ein Planet oder ein Stern "von selbst" entstehen kann; dass Menschen, Tiere und Pflanzen sich über unvorstellbare Zeiten hinweg aus mikroskopisch kleinen Wesen entwickelt haben: Das konnte man damals nicht nur nicht wissen, sondern nicht einmal ahnen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Natur war aus damaliger Sicht einfach nur ein anderer Weg, die Schöpfung Gottes zu verstehen.
Was nicht heißt, dass es keine Konflikte gab. Man konnte es sich durchaus mit der Kirche verscherzen. Die hatte ganz konkrete Vorstellungen, wie das "Wort Gottes" zu verstehen sei und wer anderer Meinung war, bekam Probleme. Isaac Newton zum Beispiel war grundlegend anderer Meinung als die Kirche, was die Dreifaltigkeit des christlichen Gottes anging. Diese "Ketzerei" musste er geheim halten, ansonsten hätte er es - trotz seiner Genialität und seines Ruhms - schwer gehabt.
Religion und Wissenschaft haben eine Beziehung, die man heutzutage wahrscheinlich mit "es ist kompliziert" beschreiben würde. Im Laufe der Zeit ist jede Menge sehr wichtige Forschung von Angehörigen der Kirche durchgeführt worden. Selbst Charles Darwin studierte Theologie; dass er sich gleichzeitig intensiv mit Biologie beschäftigt hat, lag daran, dass er stark von der "Naturtheologie" beeinflusst war, die unter anderem auf der Physiko- und Astrotheologie von William Derham aufgebaut hat.
Heute sieht die Welt natürlich ein wenig anders aus. Das, was William Derham und seine Kollegen so sehr beeindruckt hat, dass sie es nur durch die grandiose Schöpfung eines Gottes erklären konnten, haben wir durch mehr Wissen als natürliche Vorgänge erkannt, die kein bewusstes Eingreifen eines Schöpfers brauchen. Wir wissen, wie Planeten entstehen und Sterne. Wir wissen, wie wir Menschen uns entwickelt haben; wir wissen sehr viel mehr als früher und wissen deshalb auch, dass wir keinen Schöpfer benötigen, um die Welt zu erklären. Wir wissen das alles aber unter anderem deswegen, weil Derham, Newton, und all die anderen frühen Wissenschaftler ihre religiös inspirierte Forschung durchgeführt haben.
Man kann auch heute noch gläubig sein und Wissenschaft betreiben. Im Gegensatz zu früher ist es aber nicht zulässig, den Glauben als Begründung für die Wissenschaft heranzuziehen. Ein Phänomen mit "Gott hat es gemacht" zu erklären, hat nichts mit moderner Wissenschaft zu tun. Die braucht objektive und nachvollziehbare Begründungen und vor allem braucht sie eine Grundlage, an die man NICHT glauben muss. Wissenschaft ist das, was auch dann noch richtig ist, wenn man aufhört daran zu glauben.
Sternengeschichten Folge 444: Kapteyns Stern
Heute geht es um Kapteyns Stern. Und der gehört keinem Kapitän; auch mit Captain Kirk oder Captain Picard hat das alles nichts zu tun. Sondern mit der Suche nach dem Aufbau des Universums, kollidierenden Galaxien und uralten Planeten. Und ja, ein Kapitän kommt auch vor. Irgendwie zumindest - nämlich Jacobus Cornelius Kapteyn. Das war ein niederländischer Astronom, der am 19. Januar 1851 geboren wurde und sich darauf spezialisiert hatte, fotografische Aufnahmen des Sternenhimmels zu analysieren. Diese Technik der Astrofotografie war auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch recht neu, aber es war klar, was für ein Potenzial in ihr steckt. Man konnte viel mehr Sterne viel genauer beobachten als früher, als man noch selbst durchs Teleskop schauen und alles händisch aufzeichnen musste.
Kapteyn hat zwar an der Universität Groningen in den Niederlanden gearbeitet, sich aber vor allem mit den Sternen des südlichen Himmels beschäftigt. Und zwar mit den Aufnahmen, die der englische Astronom David Gill zwischen 1885 und 1890 an der Sternwarte von Kapstadt gemacht hatte. 10 Jahre lang arbeitete Kapteyn an diesen Bildern und das Resultat war der 454.875 Sterne umfassende Katalog der "Cape Photographic Durchmusterung" (und wer sich über das deutsche Wort in diesem englischen Titel wundert, sollte noch einmal Folge 441 hören). Wer so eine Aufgabe angeht, sollte sich darauf einstellen, sehr genau zu arbeiten. Und Kapteyn war genau: Er verglich die neuen fotografischen Aufnahmen des Südhimmels mit früheren Messungen und Katalogen. Und entdeckte dabei auf einer Karte von 1873 einen Stern, der auf den aktuellen Bildern fehlte. Das war merkwürdig, denn eigentlich verschwinden Sterne nicht so ohne weiteres vom Himmel.
Robert Innes, ein schottischer Astronom der als Assistent von Gill in Kapstadt arbeitete, fand dann aber auf den neuen Bildern einen Stern, der ein Stück abseits der Position des verschwundenen Objekts war. Seine Hypothese: Der Stern ist gar nicht verschwunden; er hat sich nur überraschend schnell bewegt. Und in den paar Jahren, die zwischen der alten und der neuen Beobachtungen lagen, hat er sich weiter bewegt, als die übrigen Sterne das am Himmel tun. Diese Hypothese wurde bestätigt und der Stern bekam den Namen "Kapteyns Stern". Was eigentlich ziemlich ungerecht ist, denn "Innes' Stern" wäre angesichts der Umstände viel passender gewesen. Oder zumindest "Kapteyn Innes' Stern". Aber dann hätten vielleicht alle geglaubt, irgendein Kapitän Innes hätte das Ding entdeckt… So oder so - der Stern heißt jetzt nun mal, wie er heißt.
Bevor wir uns seinem Stern widmen, schauen wir aber kurz noch, was Herr Kapteyn sonst noch so getrieben hat. Unter anderem wollte er mehr über die Eigenbewegung der Sterne am Himmel herausfinden. Also die Bewegung, die so ein Stern tatsächlich und real durch den Weltraum absolviert. Man hatte im Laufe der Zeit immer wieder Sterne entdeckt, die ihre Position am Himmel verändert haben. Aber das waren immer nur sehr kleine Abweichungen, ohne Teleskop schwer zu messen und ohne genaue fotografische Daten zum Vergleich so gut wie gar nicht. Aber Kapteyn hatte ja jede Menge Aufnahmen und konnte sehr viele Sternbewegungen analysieren. Und entdeckte dabei, dass sie sich im großen und ganzen nicht völlig zufällig bewegen, sondern eine gemeinsame Drehung beschreiben. Oder anders gesagt: Die Milchstraße rotiert! Das hatte man theoretisch schon vorhergesagt; Kapteyn war aber der erste, der es auch konkret durch Beobachtungsdaten nachweisen konnte.
Obwohl man damals noch nicht wusste, dass es "unsere Galaxie" ist, die rotiert. Wir befinden uns immer noch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts; die großen Entdeckungen von Edwin Hubble & Co liegen noch in der Zukunft. Man stritt immer noch darüber, ob die Sterne, die wir am Himmel sehen können, ALLES darstellen, was es im Universum gibt. Beziehungsweise, ob unsere Milchstraße, also die Ansammlung all der Sterne am Himmel, identisch mit dem Universum ist oder ob die nebligen Flecken, die man auch am Himmel sehen könnte, andere gigantische Sternensysteme sind, nur viel, viel weiter entfernt. Heute wissen wir: Unsere Milchstraße ist nur eine von unzähligen Galaxien im Universum, die durch gigantische Leerräume voneinander getrennt sind. Kapteyn jedenfalls tat sein bestes, mit den vorhandenen Daten das herauszufinden, was sich damit herausfinden ließ. Aus den Positionen und Entfernungen die er aus den Fotografien ableiten konnte, probierte er ein Modell der Galaxie oder eben - aus damaliger Sicht - ein Modell des Universums abzuleiten. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die bekannten Sterne in einer Art Scheibe von circa 40.000 Lichtjahre Durchmesser anordnen, von deren Zentrum die Sonne etwa 2000 Lichtjahre entfernt ist.
Was aus heutiger Sicht falsch ist, aber auch irgendwie richtig. Denn die Milchstraße IST eine Scheibe und die Sonne befindet sich NICHT in ihrem Zentrum. Auch das war damals umstritten; es gab durchaus auch die Auffassung, dass wir uns im Mittelpunkt aller sichtbaren Sterne befinden. Kapteyns Modell hat der Realität sehr viel besser entsprochen, nur die Größen und Abstände passten nicht. In Wahrheit ist die Milchstraße ungefähr 100.000 Lichtjahre groß und die Sonne ungefähr 26.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt. Kapteyn wusste damals noch nichts über das interstellare Medium, also all das Gas und den Staub und das andere Material das man zwischen den Sternen finden kann und das das Licht der Sterne abschwächt. Das muss man aber berücksichtigen, wenn man Entfernungen richtig berechnen will.
Kapteyns Forschung über die Bewegung der Sterne war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Womit wir wieder bei dem Stern sind, der heute seinen Namen trägt. Man war überrascht, wie schnell er sich am Himmel bewegt. Zum damaligen Zeitpunkt war kein anderer mit einer größeren Eigenbewegung bekannt. Sowas ist immer ein Anzeichen dafür, dass ein Stern der Sonne vergleichsweise nahe ist. Denn bewegen tun sich alle Sterne; bei denen die uns nahe sind, sieht man das aber am Himmel viel deutlicher. Heute wissen wir, dass sich Kapteyns Stern 12,83 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Damit landet er auf Platz 24 der uns nächstgelegenen Sterne und er wird im Ranking im Laufe der Zeit weiter nach hinten rutschen. Seine größte Annäherung an uns liegt nämlich schon knapp 11.000 Jahre zurück; damals betrug der Abstand zur Sonne nur 7 Lichtjahre. Seitdem entfernt er sich immer weiter von uns. Das ist aber noch längst nicht alles, was diesen Stern außergewöhnlich macht. Zum einen fährt er quasi gegen die Einbahn: Er umrundet das Zentrum der Milchstraße "retrograd", also entgegen der Richtung, in der das die allermeisten anderen Sterne tun. Das liegt an seiner Herkunft: Kapteyns Stern ist ein sogenannter "Halo-Stern".
Ich habe vorhin erzählt, dass die Milchstraße im Prinzip eine große Scheibe aus Sternen ist. Das stimmt auch. Aber diese Scheibe ist von einem "Halo" umgeben. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die Scheibe umgibt und wo man vor allem Kugelsternhaufen findet. Und alte Sterne, die sich nicht um die Gepflogenheiten der Scheibe kümmern und einfach irgendwie um das Zentrum kreisen. Was man dort auch findet, sind Sternströme. Darüber habe ich in Folge 177 ja schon ausführlich gesprochen: Kurz gesagt handelt es sich dabei um Überreste fremder Galaxien. Wenn eine kleine Zwerggalaxie in die Nähe einer großen Galaxie wie unserer Milchstraße kommt, dann verschmelzen beide. Oder besser gesagt: Die große Milchstraße reißt die Sterne der kleinen Galaxie mit ihrer Gravitationskraft auseinander. Im Laufe der Zeit verteilen sie sich dann in der Milchstraße, bilden aber währenddessen noch Sternströme. Also Sterne, die sich alle mit ungefähr der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen.
Kapteyns Stern gehört genau zu so einer Gruppe und man geht davon aus, dass sie aus dem Kugelsternhaufen "Omega Centauri" stammen. Und der wiederum ist vermutlich das übrig gebliebene Zentrum einer Zwerggalaxie, die vor langer Zeit von der Milchstraße eingefangen und "aufgefressen" wurde. Durch die gravitative Wechselwirkung wurden Sterne aus den äußeren Regionen heraus gerissen und das ist auch Kapteyns Stern passiert. Damit erklärt sich auch sein hohes Alter: Man schätzt ihn auf knapp 12 Milliarden Jahre. Kapteyns Stern ist nicht nur der uns nächstgelegene Halo-Stern; er ist vermutlich auch der uns nächstgelegene Stern, der nicht in der Milchstraße sondern einer anderen Galaxie entstanden ist!
Das ist natürlich auch einer der Gründe, warum er seit seiner Entdeckung immer wieder erforscht worden ist. Und das eine oder andere wird man dort sicher noch finden. Kapteyns Stern ist ein roter Zwergstern, der nur knapp 40 Prozent der Masse unserer Sonne hat und nur ein tausendstel mal so hell leuchtet wie sie. Man braucht also auf jeden Fall ein Teleskop, wenn man ihn sehen will und sollte das dann im Süden aufstellen. Irgendwo auf der Südhalbkugel oder zumindest im nördlichen Afrika oder im Süden von Europa. Die Teleskope, die Kapteyns Stern im Jahr 2014 ein weiteres Mal in die Medien brachten, standen in Chile und Hawaii. Und damit wollte man zwei Planeten entdeckt haben, die den Stern umkreisen. Einer davon mit der 7fachen Masse der Erde, der anderen mit circa der fünffachen Masse unseres Planeten. Der äußere von beiden ist zu weit vom schwach leuchtenden Stern entfernt um auf seiner Oberfläche halbwegs lebensfreundliche Temperaturen zu haben. Er ist auch so massereich, dass man gar nicht sicher sagen kann, ob er überhaupt eine echte Oberfläche hat oder ob es sich eher um einen Eisriesenplaneten wie Uranus oder Neptun handelt. Aber der kleinere, innere Planet ist dem roten Zwerg nahe genug, dass es dort vielleicht lebensfreundliche Temperaturen geben könnte. Sofern die beiden Himmelskörper wirklich existieren. Weitere Beobachtungen haben nämlich Zweifel an der Entdeckung aufgeworfen.
Aber wenn es wirklich Planeten gibt, die Kapteyns Stern umkreisen, dann wären das sehr außergewöhnliche Forschungsobjekte. Planeten, die deutlich älter sind als alle die, die wir bis jetzt gefunden haben. Planeten, die nicht in unserer Milchstraße entstanden sind, sondern weit draußen in einer anderen Galaxie. Wer weiß… vielleicht besucht irgendwann in ferner Zukunft ja tatsächlich mal ein "Captain" eines Raumschiffs diesen außergewöhnlichen Stern um dort nach dem Rechten zu sehen.
Sternengeschichten Folge 443: Der Asteroid Ceres
Ceres ist die Nummer Eins. Und zwar im absolut buchstäblichen Sinn. Oder im zahlichen Sinne? Gibt es so ein Wort überhaupt? Egal - auf jeden Fall ist Ceres der Asteroid mit der offiziellen Nummer 1. Denn alle Asteroiden im Sonnensystem haben nicht nur eine Namen, sondern auch eine Nummer. Zumindest diejenigen Asteroiden, deren Bahn wir ausreichend gut kennen. Sobald das der Fall ist, bekommen sie eine fortlaufende Nummer zugewiesen und Ceres hat die Nummer "1" bekommen. Weil er der erste Asteroid überhaupt war, den wir entdeckt haben. Und mit "wir" ist der italienische Astronom Giuseppe Piazzi gemeint; die Geschichte wie er 1801 Ceres entdeckt hat, habe ich ja schon ausführlich in Folge 186 erzählt.
Ceres ist aber nicht nur der erste Asteroid und die Nummer Eins. Sondern auch ein höchst bemerkenswerter Himmelskörper. Er befindet sich mitten im sogenannten "Asteroidengürtel", also dem Bereich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, wo wir bis jetzt die meisten Asteroiden gefunden haben. Und hier gibt es gleich einen kurzen Einschub: In Science-Fiction-Filmen und auch in wissenschaftlichen Dokumentationen wird so ein Asteroidengürtel gerne mal als dicht gefüllte Ansammlung von Felsbrocken dargestellt. Da müssen Raumschiffe dann regelrecht Slalom fliegen, um nicht mit einem Asteroid zu kollidieren. Das könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. In Wahrheit würde ein Raumschiff, dass vom Mars zum Jupiter fliegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen einzigen Asteroid zu Gesicht bekommen. Man muss sich anstrengen, wenn man einen Asteroid erreichen will. Die Asteroiden sind zwar zahlreich, aber klein und der Weltraum ist groß! Wenn man das ganze überschlagsmäßig ausrechnet, findet man im Asteroidengürtel 0,000000005 Asteroiden pro Quadratkilometer. Und das ist nur zweidimensional gerechnet; die Felsbrocken befinden sich ja nicht alle in einer Ebene sondern auch darüber und darunter. Man kann sich mitten im Asteroidengürtel befinden und wird dabei keinen einzigen Asteroid sehen.
Das kann man - um wieder zum Thema zurück zu kommen - auch gut an Ceres selbst erkennen. Der Himmelskörper hat einen Durchmesser von 964 Kilometer. Damit ist er das größte Objekt im Asteroidengürtel. Seine Masse beträgt 939 Trillionen Kilogramm, was viel klingt, aber nur ein 78tel der Masse unseres Mondes ist. Oder ein 6360tel der Erdmasse. Und trotzdem dominiert Ceres den Asteroidengürtel: Nimmt man die Masse aller Objekte zusammen, die sich dort befinden, dann macht die Masse von Ceres allein schon ein Viertel davon aus!
Die Umlaufbahn von Ceres ist recht unspektakulär. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid 1681 Tage, also ein bisschen mehr als 4,5 Jahre. Im Mittel ist der Asteroid 2,8 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde; und die Umlaufbahn ist um knapp 10 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt. Sehr viel spannender wird es, wenn man sich Ceres aus der Nähe anschaut. Dass wir das können, liegt an der Raumsonde Dawn. Die flog am 27. September 2007 ins All und hat zunächst einen Zwischenstopp beim Asteroid Vesta eingelegt, von dem ich in Folge 239 mehr erzählt habe. Der war aber 2021 zu Ende und am 6. März 2015 kam Dawn endlich bei Ceres an. Dort blieb sie bis 2018. Beziehungsweise ist Dawn jetzt immer noch dort, aber am 1. November 2018 hat man die Mission für beendet erklärt, da die Treibstoffvorräte alle waren und kein Kontakt mehr möglich. In den fast vier Jahren, die Dawn bei Ceres verbracht hat, hat sie aber jede Menge herausgefunden.
Auch wenn Ceres der erste bekannte Asteroid war und auch wenn er der größte Asteroid im Asteroidengürtel ist, wusste man bis 2015 trotzdem kaum, wie es dort aussieht. Selbst die größten Teleskope konnte nicht mehr als verwaschene Bilder produzieren. Was man sah, waren ein paar helle und dunkle Flecken, aber nicht mehr. Dank Dawn haben wir Ceres aber mittlerweile komplett kartografiert. Wir sehen einen Himmelskörper, der auf den ersten Blick ein wenig wie unser Mond aussieht: Grau und mit jeder Menge Kratern. Dieser Eindruck täuscht allerdings; Ceres ist völlig anders als unser Mond.
Blicken wir zuerst einmal auf ein Detail. Schon beim Anflug auf Ceres hat Dawn mysteriöse helle Flecken auf der Oberfläche gesehen. Die genaue Erforschung hat gezeigt, dass es sich um Strukturen handelt, die man vor allem im und um den Occator-Krater sehen kann. Der ist 92 Kilometer groß und hat in der Mitte einen Berg von 10 Kilometer Höhe. Und genau dort in der Mitte findet man auch seltsames weißes Zeug. Der ganze Zentralberg ist von diesem weißen Wasauchimmer bedeckt. Erst dank der Daten von Ceres fand man heraus, worum es sich dabei handelt: Natriumkarbonat. Das ist auch unter dem Namen "Soda" bekannt und der eine oder die andere hat es sicherlich schon mal zum Backen verwendet. Denn chemisch gesehen handelt es sich um eine Verbindung von Natrium, Kohlenstoff und Sauerstoff und wenn man es zum Beispiel einem Kuchenteig beigibt, wird Kohlendioxid freigesetzt, dass den Teig aufgehen lässt. Man kann es aber auch zum Putzen verwenden (und es hat jede Menge andere industrielle Anwendungen). Auf Ceres ist aber weder mit Bäckereien zu rechnen, noch wird dort jemand Unmengen an Putzmittel verstreut haben. Wie kommt das Natriumkarbonat also dorthin?
Zuerst dachte man, dass vielleicht Meteoriteneinschläge für die hellen Flecken verantwortlich sind. Und bei manchen ist das vielleicht sogar der Fall. Aber der große helle Fleck im Occator-Krater muss eine andere Ursache haben. So viel Natriumcarbonat kann ein Meteorit nicht mitbringen. Auf der Erde finden wir Natriumkarbonat oft in der Nähe von heißen Thermalquellen. Das Material wird aus dem Inneren der Erde an die Oberfläche transportiert und das, so denkt man, passiert auch auf Ceres. Nur dass dieser Himmelskörper ganz anders ist als die Erde. Unser Planet hat einen Kern aus Metall, darüber einen Mantel aus Gestein und eine Kruste aus leichtem Gestein. Ceres ist viel kleiner; dort gab es nicht genug Metall, dass einen Kern bilden konnte. Einen Kern hat er aber trotzdem. Damit ein Himmelskörper eine interne Struktur haben kann, also so etwas wie einen Kern, einen Mantel, eine Kruste, muss er groß genug sein. Je größer, desto mehr Wärme kann er speichern. Einerseits ist das Wärme, die bei der Entstehung frei wird, also bei den ganzen Kollisionen kleinerer Objekte bei deren Verschmelzung dann größere Asteroiden oder Planeten entstehen. Andererseits aber auch Wärme, die beim Zerfall radioaktiver Materialen frei wird. Von denen gab es nicht viel, als das Sonnensystem entstand, aber ein bisschen was war da und je größer ein Himmelskörper ist, desto mehr hat er davon. Die Erde hat bei ihrer Entstehung so viel davon gesammelt, dass die Zerfallswärme immer noch dafür sorgt, dass es im Zentrum des Planeten mehr als 5000 Grad hat. Aber auch Ceres hat genug davon mitbekommen, um auf jeden Fall eine Zeit lang sehr warm zu sein. Während das Innere des Asteroiden geschmolzen war, sind die schweren Bestandteile nach unten gesunken und die leichteren blieben außen. Genug Metall für einen Kern war, wie gesagt, nicht da. Aber Gestein, weswegen man davon ausgeht, dass Ceres einen Kern aus Gestein hat. Darüber liegt ein Mantel aus leichterem Material. Was im Fall von Ceres vor allem Wasser beziehungsweise Eis ist.
Denn der Asteroid ist weit genug von der Sonne entfernt entstanden, so dass damals nicht nur Staub und Gestein zur Verfügung stand. Die große Scheibe voll Zeug aus der sich die Himmelskörper gebildet haben, hatte weiter weg von der Sonne auch jede Menge gefrorenes Material, vor allem Wassereis. Wir haben also einen felsigen Kern, umgeben von einer Schicht aus Eis und darüber eine dünne Kruste aus Staub und Eis. Die Temperatur auf der Oberfläche von Ceres liegt bei -106 Grad Celsius; da taut nix auf. Dachte man jedenfalls und man dachte auch, dass Ceres jegliche Wärme schon längst verloren hat. Der Asteroid sollte eigentlich gut durchgekühlt sein… Aber, und das haben die Beobachtungen von Dawn gezeigt: Es ist ganz anders. Offensichtlich ist das Eis von Ceres sehr salzig (auch Natriumkarbonat ist ja ein Salz). Und so wie wir im Winter Salz auf die Straßen streuen um das Eis aufzutauen, könnte auch das Salz in Ceres das Wassereis verflüssigen. Oder eher: verbreien. Man darf sich da keine sprudelnden Quellen vorstellen, keine schwappenden Seen mit Wellen oder so. Aber vermutlich befindet sich ein paar Dutzend Kilometer tief unter der gefrorenen Kruste von Ceres eine Art salziger Wasserbrei. Und ab und zu kann dieses Zeug aus dem Inneren durch Risse nach oben dringen. Dann lagert sich das mitgeführte Natriumkarbonat ab, und es gibt helle Flecken wie im Occator-Krater.
So einen "Kryovulkanismus", bei dem Wasser und Eis die Rolle von Gestein und Lava spielen, findet man auch auf anderen Himmelskörpern im Sonnensystem, wie ich in Folge 300 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Auf einem so isoliert liegenden und kleinem Asteroid wie Ceres hat man aber nicht damit gerechnet. Mittlerweile hat man auf Ceres auch Wasserdampf nachweisen können. Keine Atmosphäre natürlich, aber aus verschiedenen Stellen seiner Oberfläche dringt Wasserdampf nach außen und zwar um so mehr, je näher sich der Asteroid an der Sonne befindet.
Ceres dürfte eine ganz besondere Geschichte hinter sich haben. Dawn hat an seiner Oberfläche auch verschiedene Ammoniak-Verbindungen gefunden. Diese chemischen Stoffe findet man normalerweise nicht so weit innen im Sonnensystem. Aber weiter draußen, wo es noch kälter ist, sind die Bedingungen besser. Dort kann das Zeug bei der Entstehung der Himmelskörper existiert haben und deswegen geht man davon aus, dass der große Asteroid nicht zwischen Mars und Jupiter entstanden ist, also da, wo er sich jetzt befindet. Sondern irgendwo in der Nähe der Umlaufbahn von Neptun. Von der ist er in der chaotischen Frühphase des Sonnensystems dann in seine heutige Umlaufbahn gelangt. Es kann aber auch sein, dass Ceres schon im Asteroidengürtel entstanden ist, aber irgendwann mit einem sehr großen Objekt kollidierte, das aus dem äußeren Sonnensystem gekommen ist.
Dank der Dawn-Mission haben wir jede Menge über Ceres herausgefunden. Und jede Menge neue Fragen gefunden, auf die uns eine Antwort fehlt. Der überraschende Lichtpunkt, den Giuseppe Piazzi 1801 im Teleskop gesehen hat, ist zu einer echten Welt geworden. Mit Tälern und Ebenen, mit Kratern und Bergen, mit langen Canyons, die entstanden sind, als Ceres nach seiner Entstehung abkühlte und geschrumpft ist. Mit Eisvulkanen wie dem Ahuna Mons, der es auf eine Höhe von 6 Kilometern bringt. Lange, helle Streifen laufen über seine Flanken hinab; auch hier ist Salz von früheren Ausbrüchen zu sehen.
Ceres ist die Nummer Eins und Ceres ist einzigartig. Das gilt aber für jeden Himmelskörper dort draußen. Wir mögen zwar die acht großen Planeten erforscht haben und denken, wir wüssten deswegen, wie das Sonnensystem beschaffen ist. Aber solange wir nicht auch die vielen kleinen Welten wie Ceres besucht haben, wissen wir eigentlich gar nichts…
Sternengeschichten Folge 442: Numerische Astronomie
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um eines der wichtigsten Instrumente der modernen Astronomie. Ein Instrument, über das ich erstaunlicherweise in den bisherigen 440 Folgen noch nie ausführlich geredet habe und dieses Versäumnis muss dringend behoben werden. Denn ohne dieses Instrument geht in der modernen Forschung gar nichts. Und ich spreche nicht von einem speziellen Teleskop oder einem Satellit. Sondern von dem, was vermutlich die meisten von uns zuhause oder am Arbeitsplatz stehen haben: Einen Computer.
Den benutzt man in der Astronomie natürlich genau so, wie wir ihn alle benutzen. Die Forscherinnen und Forscher schreiben damit ihre Fachartikel; sie rufen ihre Emails ab und recherchieren damit in Literaturdatenbanken. Vermutlich schaut man damit auch zwischendurch mal das eine oder andere YouTube-Video, das nichts mit Forschung zu tun hat, liest die Zeitung oder spielt vielleicht sogar zwischendurch mal ein Computerspiel. Man kann ja nicht immer nur arbeiten… Aber WENN man arbeitet, dann ist der Computer in der Astronomie weit mehr als ein organisatorisches Hilfsmittel. In der "numerischen Astronomie" steht der Computer gleichberechtigt neben dem Teleskop als Quelle für relevante Daten.
Klassisch lässt sich die Astronomie in zwei große Bereiche einteilen. Da ist einmal das, an das man sofort denkt, wenn man "Astronomie" hört: Die Beobachtung! In der beobachtenden Astronomie schaut man - wenig überraschend - zum Himmel und analysiert die Himmelskörper die man sieht. Früher fand diese Beobachtung mit den Augen statt; später hat man immer mehr technische Hilfsmittel wie Teleskope oder Satelliten genutzt. Ebenso lange wie die beobachtende Astronomie gibt es aber auch die theoretische Astronomie. Hier probiert man auf mathematischem Weg die Himmelskörper zu verstehen. Als etwa Johannes Kepler zu Beginn des 17. Jahrhunderts berechnet hat, wie man die Bewegung der Planeten beschreiben kann und seine berühmten Keplerschen Gesetze aufgestellt hat, war das theoretische Astronomie. Als Urbain LeVerrier im 19. Jahrhundert aus Unregelmäßigkeiten in der Bewegung des Planeten Uranus auf die Existenz eines weiteren, damals noch unbekannten Planeten geschlossen hat, war das theoretische Astronomie. Entdecken musste diesen Planeten dann natürlich jemand, der durch ein Teleskop schaut (was in dem Fall auch passiert ist und zum Fund von Neptun geführt hat). Beobachtung und Theorie sind unterschiedliche Gebiete, die dennoch fest zusammenhängen. Das eine kommt nicht ohne das andere aus. Lange Zeit über bestand die Arbeit der theoretische Astronomie zum Beispiel aus der Berechnung von Sternpositionen und der Erstellung entsprechender Himmelskarten. Und aus dem Berechnen und Verfassen langer Tabellen, die die Position der Planeten für konkrete Zeitpunkte der Zukunft vorhersagen. Ohne solche Kataloge, Karten und Tabellen kommt man bei der Beobachtung natürlich nicht aus. Früher haben die meisten Astronom:innen auch beobachtet UND gerechnet. Heute hat sich die Wissenschaft sehr viel mehr spezialisiert.
Ein bisschen rechnen muss man natürlich immer können, wenn man Astronomie betreiben will. Aber mittlerweile hat sich zwischen Theorie und Beobachtung ein komplett neues Gebiet etabliert: Die numerische Astronomie. Die wird immer ein wenig vernachlässigt, wenn man über die Forschung spricht. Das finde ich ungerecht. Denn erstens ist sie enorm wichtig und zweites war die numerische Astronomie auch mein eigenes Arbeitsgebiet. Es wird also Zeit, mal ein wenig ausführlicher darüber zu reden!
Als Naturwissenschaft will die Astronomie natürlich die Natur erforschen. Es geht darum herauszufinden, was da draußen im Universum tatsächlich und real passiert. Die Forschung der Astronomie muss sich also immer an echten Beobachtungsdaten orientieren. Man kann sich nicht einfach irgendwas ausdenken. Oder, etwas anderes gesagt: Man kann sich schon etwas ausdenken. Das muss man aber auf die richtige Weise tun, so dass es als vernünftige wissenschaftliche Hypothese durchgeht. So eine Hypothese, so eine Vermutung muss prinzipiell durch Beobachtungen überprüfbar sein. Manche Dinge lassen sich in der Astronomie nur sehr schwer überprüfen und manche lassen sich so gut wie nicht beobachten. Genau hier kommt die numerische Astronomie ins Spiel.
Nehmen wir eine ganz klassische Frage: Man hat - durch Beobachtung - einen Asteroid entdeckt. Und will jetzt wissen, wo der in Zukunft hinfliegt. Man will vor allem wissen, ob er irgendwann mit der Erde kollidiert. Aus den Beobachtungsdaten kann man nun natürlich seine Umlaufbahn um die Sonne berechnen. Aber das reicht nicht. Denn wie ich in vielen Folgen schon erzählt habe, sind die Umlaufbahnen der Himmelskörper nicht fix. Sie ändern sich dauernd, weil alle Himmelskörper im Sonnensystem einander mit ihrer Gravitationskraft beeinflussen. Das kann man natürlich auch alles entsprechend berechnen. Zumindest im Prinzip… In der Praxis wird das sehr schnell sehr kompliziert. Denn ändern sich die Positionen der Himmelskörper, dann ändert sich auch die Stärke der Anziehungskraft, die sie ausüben. Und dadurch ändern sich die Positionen - wodurch sich die Anziehungskraft wieder ändert. Und so weiter, bis in die Unendlichkeit. Man kann zwar mathematisch die Gesetze beschreiben, denen die Bewegung der Himmelskörper folgt. Das ist das, was Menschen wie Johannes Kepler, Isaac Newton oder Albert Einstein getan haben. Man kann diese Gleichungen aber nicht mehr exakt lösen, wie ich in Folge 175 schon genauer erklärt habe. Da sich alle Himmelskörper gegenseitig beeinflussen und die Stärke des Einflusses bestimmt, wie stark der Einfluss ist, kriegt man eine Art unendliche Rückkopplung die schlicht und einfach mathematisch nicht mehr exakt darstellbar ist. Jetzt hat man zwei Möglichkeiten. Oder eigentlich drei: Natürlich kann man sich einfach auf den Beobachtungsstandpunkt zurückziehen und sagen: Ich SCHAUE einfach, ob der Asteroid mit der Erde kollidiert oder nicht. Das ist aber unpraktisch, denn sowas will man gerne vorher wissen. Und es ist ein weiteres Mal unpraktisch, weil es unter Umständen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende dauert, bis es so weit ist. Und wenn ich nicht an der Bewegung eines Asteroiden interessiert bin, sondern an der Bewegung von zum Beispiel Galaxien, dann dauert es Jahrmilliarden. Das kann man alles zwar im Prinzip beobachten. In der Praxis aber nicht. Von den verbleibenden zwei Möglichkeiten ist die erste der klassische theoretische Ansatz: Man probiert, die mathematischen Gleichungen so weit zu vereinfachen, dass man trotzdem irgendwelche brauchbaren Lösungen kriegt. Im Fall der Bewegung der Himmelskörper nennt sich das dann "Störungsrechnung" und ich habe in Folge 96 ein bisschen was dazu erzählt. Am Ende kriegt man dann eine Ahnung, wie sich der Asteroid bewegt. Aber man hat unterwegs so viele Vereinfachungen machen müssen, dass man nicht mehr wirklich gut vorhersagen kann, was in der Zukunft passieren wird. Vor allem muss man wirklich viel rechnen, wenn man das herausfinden wollen würde.
Das war früher nicht möglich. Man wusste zwar, was man rechnen muss. Aber es war schlicht und einfach zu viel Arbeit, die Rechnungen auch konkret durchzuführen. Wenn man alles händisch mit Bleistift auf Papier ausrechnen muss, gibt es Grenzen. Man kann die Position der Himmelskörper vielleicht für ein paar Jahre halbwegs genau vorhersagen. Aber es ist praktisch unmöglich zu wissen, was in ein paar Jahrhunderten passieren wird oder gar in ein paar Millionen Jahren. Bleibt Möglichkeit drei: Die numerische Astronomie. Würde ich jetzt sagen, dass die darin besteht, einfach mit dem Computer zu rechnen, als mit der Hand, der wäre das zu sehr vereinfacht. Aber im Prinzip geht es genau darum. Eben weil wir seit ein paar Jahrzehnten die Möglichkeit haben, Rechnungen am Computer durchzuführen, können wir wesentlich mehr machen als vorher. Wir können die Bewegung der Himmelskörper immer noch nicht exakt bestimmen; das verbietet die zugrunde liegende Mathematik. Aber wir können sie quasi beliebig exakt annähern. Dazu bauen wir uns im Computer ein Modell des Sonnensystems. Wir kennen aus Beobachtungen die aktuellen Positionen der Himmelskörper. Wir kennen aus der Theorie die Gesetze, die die Bewegung bestimmen. Und aus der Mathematik wissen wir auch, wie wir solche Gleichungen wenn schon nicht exakt, dann zumindest näherungsweise lösen können. Der Fehler unserer Lösung wird umso größer, je weiter wir in die Zukunft schauen wollen. Also schauen wir einfach nur sehr kurz in die Zukunft und berechnen, wie die Position der Planeten morgen sein wird. Das hilft uns vorerst nicht viel weiter. Aber ein Computer kann diese Rechnung sehr schnell anstellen. Und dann nehmen wir den morgigen Zustand einfach als neuen Startpunkt für eine weitere Rechnung und schauen, wie es übermorgen aussieht. Und so weiter. Am Ende können wir mit diesen numerischen Modellen ein paar Jahrtausende oder Jahrmillionen weit in die Zukunft schauen.
Auch hier gibt es natürlich Grenzen. Die Beobachtungsdaten sind nicht beliebig genau und diese Fehler setzen sich bei den Berechnungen fort. Man kann den aktuellen Zustand des Sonnensystems auch anderweitig nicht beliebig genau festhalten. Man müsste zum Beispiel berücksichtigen, dass jeder Himmelskörper eine unregelmäßige Form hat und seine Masse nicht exakt gleichmäßig verteilt ist. Man müsste nicht nur den gravitativen Einfluss der großen Planeten berücksichtigen, sondern auch den der vielen kleinen Milliarden Asteroiden. Das ist alles prinzipiell möglich; aber irgendwann stößt man an die Grenzen der aktuellen Computertechnik. Trotzdem lassen sich mit numerischen Modellen sehr gute Aussagen über die Zukunft machen, denn die kleinen Fehler fallen nur dann ins Gewicht, wenn man entweder extrem genaue Ergebnisse haben will oder aber sehr weit in die Zukunft blicken möchte.
Numerik ist aber weit mehr, als nur ein paar Zahlen in einen Computer zu tippen. Es gibt in der numerischen Astronomie so gut wie keine vorgefertigte Software. Jede Forschungsfrage ist so speziell, dass man sich so gut wie immer seine eigenen Programme schreiben muss. Man muss die richtige Näherungsmethode für die vorliegenden Gleichungen finden; die richtige Strategie, wie man diese Gleichungen am Computer löst und braucht ein gutes astronomisches Verständnis um das Modell so aufsetzen zu können, dass man am Ende die Antworten auf genau die Frage kriegt, die man gestellt hat. Ein Beispiel: Wenn ich wissen will, wie sich die Asteroiden in der Nähe der Erde bewegen, wie muss ich dann den Zeitschritt der Simulation wählen? Also den "Sprung" in die Zukunft, den ich bei jedem Berechnungsschritt mache? Beim meiner Erklärung vorhin habe ich einen Tag gewählt, das aber war rein willkürlich. Das muss man immer auf das Problem abstimmen und im Fall der erdnahen Asteroiden muss ich mir zum Beispiel überlegen, was mit Merkur und mit Neptun ist. Neptun braucht 165 Jahre für eine Runde um die Sonne. Merkur dagegen nur 88 Tage. Ein erdnaher Asteroid braucht ungefähr ein Jahr. Wenn ich jetzt eine Million Jahre in die Zukunft schauen will, und einen Zeitschritt von einem Tag wähle, muss ich eine Million mal 365 die gravitative Wechselwirkung zwischen allen beteiligten Himmelskörpern ausrechnen. Das kann einen Computer schnell an seine Grenzen bringen (man hat ja in der Wissenschaft auch nicht immer beliebig viel Geld zur Verfügung um bessere Geräte zu kaufen). Also nehmen wir vielleicht besser ein halbes Jahr als Zeitschritt? Dann bräuchten wir nur eine halbe Million Rechenschritte - würden aber den Merkur in der Simulation verlieren: Wenn ich den Zustand des Sonnensystems nur alle knapp 183 Tage (also ein halbes Jahr) betrachte, der Merkur aber in 88 Tage einmal um die Sonne rum ist, dann kann ich seine Bewegung in der Simulation nicht mehr auflösen. Jetzt ist der Merkur ein recht kleiner Planet mit recht geringer Masse. Sein gravitativer Einfluss ist ebenso gering und man kann sich nun überlegen, ob das Ergebnis der Simulation signifikant ungenauer wird, wenn man ihn einfach weglässt. Das muss man natürlich testen und mit den eigenen Ansprüchen an die von der Simulation gewünschten Antworten abstimmen. In manchen Fällen wird man Merkur ignorieren können, in manchen dagegen nicht. Umgekehrt mit Neptun hat man ein ähnliches Problem: Wenn man zum Beispiel feststellt, dass man Merkur braucht, wird man den Zeitschritt auf zum Beispiel höchstens circa 10 Tage setzen können um gute Ergebnisse zu kriegen. Man bräuchte dann aber auch auf jeden Fall mindestens 6022 Rechenschritte, um damit einen kompletten Umlauf des Neptuns zu simulieren. Will man wirklich wissen, wie der Einfluss des Neptuns ist, reicht aber ein einziger Umlauf nicht; da wird man vielleicht ein paar zehntausend Umläufe oder noch mehr benötigen - und entsprechend viele Rechenschritte. Also muss man sich überlegen, ob man Neptun rauswerfen kann oder nicht.
Wenn man numerische Astronomie betreibt, muss man also definitiv auch die astronomischen Phänomene gut verstehen um die es geht; es reicht nicht, einfach nur ein paar Computerprogramme zu schreiben. Und die Numerik spielt nicht nur bei der Bewegung der Himmelskörper eine Rolle. Man braucht sie überall! Zum Beispiel wenn wir Sterne verstehen wollen. Auch da können wir nicht direkt reinschauen; auch hier müssen wir Computersimulationen und Beobachtungsdaten kombinieren. Und auch hier müssen wir wissen, WIE wir rechnen sollen. Reicht vielleicht ein zweidimensionales Modell des Sterns aus oder müssen wir die ganzen wirbelnden und strömenden Gasmassen dreidimensional am Computer simulieren? Was müssen wir alles simulieren um an Ende Vorhersagen über die Auswirkungen an der Oberfläche des Sterns machen zu können, die der Beobachtung zugänglich ist? Und so weiter - ohne Numerik geht es nicht. Also 2015 die Entdeckung der ersten Gravitationswellen bekannt gegeben wurde, hat man verkündet, man habe die Auswirkungen der Kollision zweier schwarzer Löcher gemessen. Was auch richtig war, aber nicht die ganze Geschichte. Die entsprechenden Gravitationswellen waren absurd schwach und das Meßgerät absurd groß (mehrere Kilometer lang). Es war auch extrem empfindlich und hat ALLES gemessen; jede kleinste Erschütterung in der Umgebung. Will man in all diesem Datenrauschen die Gravitationswellen zweier kollidierender schwarzer Löcher finden, muss man GENAU wissen, wonach man sucht. Und woher weiß man das? Weil zuvor sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr viel Arbeitszeit damit verbracht haben, neue Methoden zu entwickeln, wie man die Kollision von schwarzen Löchern am Computer berechnen und die dabei entstehenden Gravitationswellen vorhersagen kann!
In der Astronomie geht es immer noch um Sterne, Planeten und Galaxien. Aber wir stehen schon längst nicht mehr nur Nacht für Nacht am Teleskop und schauen in den Himmel. Das ist weiterhin wichtig. Aber ohne das Universum im Computer wüssten wir heute längst nicht so viel über das Universum da draußen.
Sternengeschichten Folge 441: Die Bonner Durchmusterung
Der Himmel ist voller Sterne. Als Astronom werde ich immer wieder mal gefragt, ob ich auch schon mal einen neuen Stern entdeckt habe. Habe ich nicht. Das tut man in der Astronomie so gut wie nie. Ab und zu findet man einen Stern, der außergewöhnlich ist, zum Beispiel die Sterne, die ich in den Folgen 433, 437 oder 438 vorgestellt habe. Aber die "entdeckt" man nicht im eigentlichen Sinn. Man erforscht sie, und findet unter Umständen etwas cooles über sie raus! Es gibt schlicht und einfach zu viele Sterne um sie entdecken zu können. Unsere Milchstraße besteht aus circa 200 Milliarden Sterne. Man muss nur mit einem ausreichend guten Teleskop ausreichend genau zum Himmel blicken, und hat mit einem Schlag mehr Sterne im Blick, als man überhaupt sinnvollerweise erforschen kann.
Die Sterne sind da, wir müssen einfach nur hinschauen, um sie zu sehen. Das hat mit "Entdecken" nichts zu tun. Wir wollen die Sterne verstehen, wir wollen mehr über sie wissen, als nur dass sie da sind. Dafür müssen wir die unzähligen Sterne irgendwie sinnvoll organisieren, sortieren und vor allem katalogisieren. Das erste, was man von einem Stern wissen muss, ist seine Position am Himmel und seine Helligkeit. Auf diesen Daten baut der ganze Rest unseres Wissens über das Universum auf. Ohne diese absolut fundamentalen Informationen kann man keine seriöse astronomische Forschung angehen. Deswegen WAR die Astronomie die längste Zeit ihrer Existenz über auch genau das: Der Versuch, Positionen und Helligkeiten von so vielen Sternen wie möglich so genau wie möglich zu bestimmen.
Wir haben heute ein völlig anderes Bild von der Arbeit in der Astronomie als früher. Heute sehen wir die bunten Bilder der großen Weltraumteleskope. Wir sind fasziniert von der Erforschung schwarzer Löcher, ferner Galaxien, fremder Planeten. Die Astronomie ist ein großes Abenteuer bei der wir quer durch das gesamte Universum wandern. Die Astronomie war früher auch ein Abenteuer - aber eines, das aus heutiger Sicht sehr viel weniger aufregend wirkt. Wer früher - und damit ist alles gemeint, was circa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stattgefunden hat - ernsthaft astronomisch arbeiten wollte, musste vor allem sehr gut rechnen und beobachten können und durfte absolut kein Problem damit haben, über lange Zeit hinweg die immer gleichen, sich wiederholenden Arbeitsschritte zu absolvieren.
Man saß Nacht für Nacht vor dem Teleskop, in Kälte und in Dunkelheit. Nicht so wie heute, wo man die Beobachtungen vom warmen, hellen Kontrollraum steuert oder überhaupt vom Schreibtisch im eigenen Büro ganz woanders auf der Welt. Damals musste man mit eigenen Augen durchs Teleskop schauen und die Ergebnisse der Beobachtung händisch irgendwo notieren. Das Resultat so einer Beobachtungsnacht war eine lange Liste an Daten und Zahlen, die man dann untertags mathematisch auswerten musste. So ging es Tag für Tag und Nacht für Nacht. Ja, es gab auch andere Tätigkeiten; man konnte die Planeten beobachten; man konnte nach Kometen suchen; man konnte philosophisch über die Natur des Universum spekulieren, usw. Aber die "echte" Astronomie damals war genau das: Die Position von Sternen messen. So viele wie möglich und so genau wie möglich. Und am Ende einen Katalog mit den Ergebnissen veröffentlichen.
Das klingt aus heutiger Sicht langweilig. Ist es aber nicht. Das ist auch heute noch enorm wichtig. Wir brauchen diese Kataloge. Sie sind immer noch die Grundlage der Astronomie. Ich hab in den Folgen 370 und 395 schon genauer erklärt, warum das so wichtig ist. Kurz gesagt: Was auch immer wir wissen wollen - wie alt ein Stern ist, wie heiß er ist, wie weit er entfernt ist, ob er von Planeten umkreist wird oder nicht, und so weiter - was auch immer wir wissen wollen: Wir müssen zuerst wissen, wo sich der Stern am Himmel befindet und wie hell er ist.
Sternkataloge hat man daher von Anfang an erstellt. Zuerst hat man die Sterne einfach "so", mit freiem Auge beobachtet und die entsprechenden Daten so gut wie möglich geschätzt. Später hat man Hilfsmittel benutzt, Instrumente aus Stein oder Holz um die Höhe der Sterne über dem Horizont zu messen und ihre Bewegung verfolgen zu können. Dann kamen die Teleskope, die die Beobachtung einfacher machten - aber auch sehr viel mehr Sterne sichtbar: Noch mehr Material für noch mehr Beobachtungen…
In der heutigen Folge der Sternengeschichten möchte ich mich einem ganz speziellen Katalog widmen, der im 19. Jahrhundert und darüber hinaus von enormer Bedeutung für die Astronomie war. Es geht um die "Bonner Durchmusterung", die - wie der Name andeutet - an der Sternwarten von Bonn in Deutschland erstellt wurde. Und zwar von Friedrich Wilhelm August Argelander. Er wurde am 22. März 1799 in Klaipėda geboren. Das liegt heute in Litauen; war damals aber Teil von Ostpreußen und Argelanders Geburtsstadt trug den deutschen Namen "Memel". Er begann ein Studium an der Universität Königsberg; eigentlich um dort Wirtschaft zu studieren. Zu der Zeit hielt dort aber der große Astronom Friedrich Wilhelm Bessel Vorlesungen und die begeisterten Argelander so, dass er auf Astronomie umstieg. Nach dem Studium arbeitete er zuerst an der finnischen Sternwarte in Turku; später wurde er Professor an der Universität Helsinki. In seiner Zeit in Finnland beschäftigte sich Argelander vor allem mit der Messung von Helligkeiten der Sterne und mit Untersuchungen zu ihrer Bewegung. 1836 aber beschloss Preußen, eine neue Sternwarte in Bonn zu bauen. Und Argelander sollte ihr erster Direktor werden, was ein Jahr später auch genau so passierte. Es hat dann aber noch bis 1845 gedauert, bis das Observatorium fertig war.
Damals gab es natürlich schon Sternkarten und -kataloge. Argelander selbst hatte sich immer wieder damit beschäftigt und Daten gesammelt. Aber wie das so ist mit solchen Projekten: Man verliert leicht den Überblick. Sterne schauen ja nur wie helle Punkte am Himmel aus; einer wie der andere. Und bei so VIELEN Punkten, macht man leicht mal Fehler. Manche Sterne, die man im Teleskop sehen konnten, fehlten in den Karten; manche waren in der Karte, obwohl es sie am Himmel gar nicht gab. Unterschiedliche Kataloge machten unterschiedliche Angaben. Und je besser die Teleskope wurden, desto mehr Sterne konnte man sehen - und wenn die neuen nicht bald in den Katalogen landeten, dann war das Potenzial für Verwechslungen und Fehler groß. Mitte des 19. Jahrhunderts brauchte es dringend einen neuen und besseren Katalog. Nicht nur der Sterne wegen: 1801 hatte man den ersten Asteroid im Sonnensystem entdeckt; in den nächsten Jahrzehnten einen ganzen Schwung mehr dieser Himmelskörper. Im Gegensatz zu Kometen schauen Asteroiden im Teleskop aber auch nur aus wie helle Punkt. Anders gesagt: Sie sehen aus wie Sterne und wenn man sie beobachten und entdecken will, schafft das natürlich Probleme. Nur wenn man ganz genau weiß, wo am Himmel überall die Sterne sind, kann es einem auffallen, dass da ein weiterer Lichtpunkt ist, der nicht dazu passt und der kein Stern, sondern ein Asteroid ist.
Es gab noch jede Menge andere Gründe, einen neuen Katalog zu erstellen und Argelander nahm sich vor, einen Katalog zu machen, der nicht nur umfangreicher war als die bisherigen, sondern auch genauer und vor allem ohne Fehler. Dazu musste er sich aber erst einmal ein entsprechendes Verfahren überlegen. Wenn man so des Nachts in der Sternwarte sitzt und durchs Teleskop schaut, sollte es ja dunkel sein. Nur wenn die Augen völlig an die Dunkelheit angepasst sind, kann man auch noch die schwachen Sterne am Himmel erkennen. Wenn man aber gleichzeitig die Position der Sterne im Teleskop mit denen von Sternen auf einer Sternkarte vergleichen muss, wird es schwierig. Dann braucht man Licht und wenn man ständig von Hell nach dunkel wechselt, sieht man nichts mehr. Es ist auch problematisch, wenn man immer wieder zum Himmel schaut, dann den Blick wieder vom Teleskop löst, wieder durch schaut, und so weiter. Auch da kommt es leicht zu Verwechslungen; man übersieht Sterne, die man eigentlich notieren sollte oder trägt andere doppelt in die Liste ein. Die bisherigen Methoden - so Argelander - waren nicht ausreichend für einen wirklich GUTEN Katalog.
Nach viel probieren sah seine Methode am Ende dann so aus: Beobachtet wird an der Sternwarte Bonn, mit einem vergleichsweise kleinem Teleskop. Das von Joseph von Fraunhofer hergestellte Instrument hat nur eine Öffnung von 7,8 Zentimeter - aber ein 6 Grad großes Gesichtsfeld. Damit würde man 12 Vollmonde nebeneinander am Himmel im Teleskop sehen können - oder eben einen entsprechend großen Ausschnitt des Sternenhimmels. Beobachtet werden sollten alle Sterne mit einer Deklination von -2 Grad bis +90 Grad. Die Deklination ist eine der beiden Koordinaten die man am Himmel braucht, um die Position eines Sterns anzugeben. Sie ist am Himmel das, was auf der Erde die geografische Breite ist. Ein Stern mit einer Deklination von +90 Grad würde genau im Himmelsnordpol stehen, einer mit -90 Grad entsprechend am Himmelssüdpol und bei 0 Grad ist der Himmelsäquator; also der an den Himmel projizierte Äquator der Erde. Anders gesagt: Argelander wollte die gesamte nördliche Hälfte des Sternenhimmels kartografieren und einen kleinen Teil des südlichen. Dabei sollten alle Sterne bis zur 9 Größenklasse katalogisiert werden. Also nicht nur die, die man ohne Teleskop sehen kann - das sind grob die Sterne von erster bis zur sechsten Größenklasse - sondern auch die, die noch ein bisschen schwächer leuchten. Der konkrete Beobachtungsablauf funktionierte dann so: Eine Person saß - oder besser gesagt: lag halbwegs bequem - unter dem Teleskop. Sie hatte ihr Auge immer am Objektiv und blickte auf die Sterne. Im Teleskop war eine Glasplatte mit Markierungen eingebaut. Einmal waagrechte Striche, um direkt die Deklination ablesen zu können, auf 6 Bogensekunden genau, also mit einer Genauigkeit von 0,0016 Grad. Es braucht aber noch eine zweite Koordinate, die Rektaszension. Die wird in der Astronomie in Stunden gemessen. Sie entspricht der geografischen Länge auf der Erde. Vereinfacht gesagt kann man sich das so vorstellen: Der Sternenhimmel dreht sich - scheinbar, weil sich ja die Erde um ihre Achse dreht - in 24 Stunden einmal komplett herum. Markiert man die Position eines Sterns zu einem bestimmten Zeitpunkt, dann wird er 24 Stunden später wieder an diesem Punkt sein (wie gesagt, das ist eine vereinfachte Darstellung; ich hab das in Folge 307 genauer erklärt). Man hat nun einen bestimmten Punkt am Himmel ausgewählt - den Frühlingspunkt, also der Punkt am Himmel, in dem die Sonne genau zu Frühlingsanfang zu finden ist - und misst die Rektaszension von dort aus (so wie man auf der Erde die geografische Länge von Greenwich in London aus misst). Der Frühlingspunkt dreht sich mit dem Himmel mit, darum bleibt die Rektaszension eines Sterns gleich. In der Praxis beobachtet man den Sternenhimmel in einem Teleskop, das fix montiert ist. Man sieht darin also, wie die Sterne sich mit der Drehung des Himmels bewegen. Sobald sie eine bestimmte Grenze überschreiten - Argelander hatte dazu eine vertikale Linie auf der Glasplatte in seinem Teleskop markiert - schreibt man den exakten Zeitpunkt auf. Aus dieser Zeit kann man später berechnen, welche Rektaszension der Stern hat.
Die eine Person, die unter dem Teleskop liegt, tut also nichts anders, als die durch das Blickfeld ziehenden Sterne zu beobachten. Sobald ein Stern die Vertikale Linie passiert, ruft sie laut die von ihr geschätzte Helligkeit in den Raum. Dort sitzt eine zweite Person, die ständig eine astronomische Uhr im Blick hat. Sie schreibt die Uhrzeit und die Helligkeit in eine Liste während die erste Person die Deklination notiert (ohne dabei den Blick vom Himmel zu lösen). Das kann durchaus stressig werden; bei Argelanders Beobachtungen mussten manchmal bis zu 30 Sterne pro Minute notiert werden. Sicherheitshalber machte man deshalb immer zwei Durchläufe und nur dort, wo beide übereinstimmten, nahm man die Daten in den Katalog auf. Die beobachtenden Personen waren auch meistens nur zwischen einer und eineinhalb Stunden bei der Arbeit. Während ein frisches Team die Arbeit weiterführte, wurden die gerade gemachten Beobachtungen sofort verglichen und nach Unstimmigkeiten gesucht, solange man noch alles was man gesehen hatte, frisch im Gedächtnis war.
Argelander selbst übernahm vor allem die Organisation des ganzen; die Beobachtungen wurden hauptsächlich von seinen Assistenten Eduard Schönfeld und Adalbert Krüger durchgeführt. Das Projekt startete am 25. Februar 1852 und die letzten Beobachtungen wurden am 27. März 1859 gemacht. In dieser Zeit hatte man 324.198 Sterne vermessen. Bis der Katalog fertig war, dauerte es aber noch. Der erste Teil konnte gleich 1859 veröffentlicht werden; die Teile 2 und 3 folgten 1861 und 1862. Damit war der beste, umfangreichste und genaueste Sternenkatalog der damaligen Zeit fertig. Er wurde schnell unter dem Namen "Bonner Durchmusterung" bekannt. Heute gibt es natürlich wesentlich bessere Kataloge; das Weltraumteleskop GAIA hat 2018 eine Datenbank mit Informationen über 1,7 Milliarden Sterne veröffentlicht. Aber für das späte 19. Jahrhundert war die Bonner Durchmusterung absolut hervorragend. Und ihre Spuren findet man heute noch: Zum Beispiel in der Bezeichnung mancher Sterne. Viele, die keinen prominenten Namen haben, werden manchmal immer noch mit ihrer Katalognummer aus der Bonner Durchmusterung klassifiziert. Zum Beispiel "BD+19°2777": Das ist der 2777te Stern im Katalog in der Zone am Himmel, die zwischen 19 und 20 Grad Deklination liegt. In dem Fall hat der Stern übrigens einen prominenten Namen, es handelt sich um Arcturus, im Sternbild Bärenhüter.
Die Bonner Durchmusterung wurde bald nach ihrer Fertigstellung erweitert. Eduard Schönfeld, der nach Argelanders Tod im Jahr 1875 selbst Direktor der Sternwarte in Bonn wurde, katalogisierte bis 1881 immerhin 133.659 Sterne am Südhimmel; noch ein bisschen später wurde - diesmal unabhängig von Bonn - die "Cape Photographic Durchmusterung" für den Südhimmel von Südafrika aus durchgeführt. Diesmal schon fotografisch und man schaffte es, knapp eine halbe Million Sterne in den Katalog aufzunehmen. Gleichzeitig machten sich Astronomen der Argentinischen Nationalsternwarte daran, den kompletten südlichen Himmel auf die gleiche Weise wie Argelander zu katalogisieren und das Resultat war die "Cordoba Durchmusterung", die 1930 mehr als 600.000 Sterne umfasste.
Heute macht man solche Katalogprojekte mit Weltraumteleskopen; die erforderliche Genauigkeit ist so groß geworden, dass es von der Erde aus nicht mehr vernünftig machbar ist. Aber die alten Daten haben immer noch ihren Wert; oft braucht man alte Informationen um die neuen besser einordnen zu können. Bonn mag nicht mehr die Hauptstadt von Deutschland sein. In der Astronomie ist der Name der Stadt aber immer noch bestens bekannt.
Sternengeschichten Folge 440: Die Gravitationskonstante
Ohne Gravitation geht nichts im Universum. Vor allem in der Astronomie, wo es ja meistens um sehr massereiche Objekte wie Sterne oder Planeten geht, kommt man ohne Gravitation nicht aus. Wenn man das Universum in seiner Gesamtheit verstehen will, braucht man die Gravitation. Man braucht sie auch, wenn man alles andere verstehen will - immerhin ist die Gravitation eine der vier fundamentalen Kräfte der Natur. Und wenn man wissen will, wie eine Kraft funktioniert, dann muss man natürlich auch wissen, wie stark sie ist.
Wir alle haben in der Schule von Newtons Gravitationsgesetz gehört. Im 17. Jahrhundert hat Isaac Newton festgestellt, dass die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten proportional zu den Massen der beiden Objekte ist und indirekt proportional zum Quadrat ihres Abstandes. Aber wir wollen ja wissen, wie stark die Kraft genau ist. Das mit dem "proportional" heißt in dem Fall ja nur: Wenn die Masse der Objekte größer wird, wird die Gravitationskraft im gleichen Ausmaß größer. Und wenn der Abstand größer wird, dann sinkt die Kraft und zwar nicht im gleichen Ausmaß, sondern schneller (weil sie ja zum Quadrat des Abstands proportional ist). Das zu wissen ist gut, wenn man prinzipiell verstehen will, wie die Gravitationskraft funktioniert. Aber wenn man konkret berechnen will, wie stark die Kraft ist - zum Beispiel weil man wissen will, wie sich die Himmelskörper bewegen und wohin sie sich bewegen - dann reicht das "proportional" nicht. Deswegen findet man in Newtons Gravitationsgesetz auch noch eine Zahl, eine "Proportionalitätskonstante". Die exakte Formel lautet: Gravitationskraft ist gleich Masse eins mal Masse zwei, geteilt durch den Abstand zum Quadrat und das ganze nochmal multipliziert mit G.
Womit wir jetzt beim Thema dieser Folge sind: G. Das ist die Gravitationskonstante. Es ist eine Naturkonstante und sie sagt uns, wie stark die Gravitationskraft ist. Ohne den genauen Zahlenwert von G zu kennen, können wir keine Gravitationskräfte zwischen Objekten berechnen. Das gilt übrigens nicht nur für die Formel von Isaac Newton. Seit 1915 haben wir ja eine neue, bessere Beschreibung der Gravitation von Albert Einstein, die allgemeine Relativitätstheorie. Und auch in diesen Formeln finden wir G. Was auch sonst; diese Zahl muss immer auftauchen, wenn es um Gravitation geht.
Aber schauen wir nochmal zurück ins 17. Jahrhundert, zu Isaac Newton. Als er damals seine Formel zur Gravitation aufgestellt hat, war ihm natürlich klar, dass er dafür die Zahl braucht, mit der man die Stärke der Gravitation angibt. Er konnte sie damals aber nicht bestimmen; es gab keine Messgeräte dafür und er konnte sie nur schätzen. Das reicht in der Wissenschaft aber nicht, wenn es um Naturkonstanten geht, dann wollen wir die so exakt wie nur irgendwie möglich kennen. Das ist aber - gerade bei der Gravitationskonstante enorm schwer.
Der offiziell zur Verwendung empfohlene Wert - und ja, es gibt natürlich eine internationale Organisation die dafür zuständig ist, die jeweils besten bekannten Werte physikalischer Konstanten zu sammeln und zu bewerten, das "Committee on Data for Science and Technology (CODATA)" - dieser offizielle Wert für die Gravitationskonstante beträgt 6,67430 mal 10 hoch minus 11 Kubikmeter pro Kilogramm pro Sekunde zum Quadrat. Sicher ist man sich aber nur beim 6,674-Teil dieser Zahl, schon die nächsten Stellen sind nicht mehr genau, da könnte es auch mit 2 oder 4 weitergehen. Und das ist schon ein wenig unangenehm. Wenn man sich die anderen Naturkonstanten anschaut - den Wert der Lichtgeschwindigkeit, die Masse eines Elektrons, das Plancksche Wirkungsquantum, und so weiter - dann kennen wir sie entweder exakt oder zumindest sehr, sehr, sehr genau. Nur bei der Gravitation kriegen wir immer noch nicht mehr als zwei, drei sichere Stellen hinter dem Komma hin.
Das liegt natürlich einerseits daran, dass die Gravitation eine enorm schwache Kraft ist. Das klingt ein wenig widersprüchlich - ist es aber gar nicht. Ich kann problemlos ein bis zwei Meter hoch in die Luft springen (je nach körperlicher Leistungsfähigkeit), obwohl die GESAMTE ERDE mit der Gravitationskraft ihrer Masse an mir zieht und mich zurück halten will. Ich kann eine Postkarte mit einem simplen, kleinen Magnet an meinem Kühlschrank befestigen und sie wird nicht zu Boden fallen. Die elektromagnetische Kraft des winzigen Magnet reicht aus, um der Gravitationskraft eines ganzen Planeten dauerhaft entgegen zu wirken. Von allen vier fundamentalen Kräften der Natur - Elektromagnetismus, stark und schwache Kraft im Inneren der Atomkerne und Gravitation - ist die Gravitationskraft bei weitem und mit Abstand die schwächste Kraft. Sie spielt im Universum nur deswegen eine so dominierende Rolle, weil dort eben auch sehr viele sehr massereiche Objekte wie Sterne, Galaxien, und so weiter zu finden sind. Die Schwäche der Kraft ist also das einerseits, wenn es darum geht, warum die Gravitationskonstante so schwer zu messen ist. Das "andererseits" ist ein wenig komplexer. Aber dazu kommen wir später noch.
Schauen wir uns zuerst einmal an, wie man die Gravitationskonstante überhaupt messen kann. Man kann es natürlich indirekt anstellen: Ich kann mir anschauen, wie sich ein Himmelskörper - zum Beispiel die Erde - um einen anderen - etwa die Sonne - bewegt. Wenn ich dann noch die Masse von Erde und Sonne bestimme und ihren Abstand messe, habe ich eigentlich schon alles, was man braucht. Aus der Bewegung kann ich die Kraft ableiten, die zwischen beiden wirken muss und mit den anderen bekannten Größen kann man dann die Gravitationskonstante berechnen. Das Problem: Es ist absolut nicht einfach, die Masse von Erde und Sonne oder ihren Abstand so exakt zu messen, dass man damit auch die Gravitationskonstante in der gewünschten Exaktheit zu berechnen. Dazu braucht man kleinere Massen und kleinere Abstände, die sich besser vermessen lassen. Aber da ist dann natürlich auch die wirkende Gravitationskraft wesentlich schwächer.
Der erste, der sich an einer direkten Messung der Gravitationskonstante versucht hat, war der britische Wissenschaftler Henry Cavendisch. Er hat es 1798 mit einem selbst erfundenen Instrument probiert, einer Gravitationswaage. Die Idee dahinter ist eigentlich simpel: Man nimmt zwei schwere Kugel, bei Cavendish waren sie knapp 1,5 Kilogramm schwer. Diese Kugeln sind verbunden, ein bisschen so wie eine Hantel und an einem Draht aufgehängt, so dass sich die ganze Konstruktion am Draht hängend drehen kann. Dann nimmt man zwei andere und schwerere Kugeln, die von außen und ein bisschen seitlich an die aufgehängten Kugeln herangeschoben werden können. Zwischen den großen und den kleinen Kugeln wirkt nun - wie zwischen allen anderen Objekten in diesem Universum eine Gravitationskraft. Die großen Kugeln ziehen die kleinen Kugeln an und verdrehen die Hantel ein kleines bisschen. Diese Verdrehung kann man messen und aus der Stärke der Verdrehung folgt - sofern man die Massen der Kugeln und ihren Abstand kennt - die Gravitationskonstante.
Man kann sich vorstellen, wie knifflig es ist, so ein Experiment tatsächlich auszuführen. In der Theorie mag das ja alles gut funktionieren. In der Praxis aber nicht. Den bevor man anfangen kann, muss die Kugelhantel ja VÖLLIG ruhig an ihrem Draht hängen. Ein winziger Luftzug würde schon reichen, sie in Schwingung zu versetzen. Wenn ein paar hundert Meter weit weg ein Auto vorbei fährt und den Boden minimal erschüttert, würde der Draht zu schwingen anfangen. Und so weiter. Gut, mit Autos hatte Cavendish damals kein Problem. Aber auch ein vorbeilaufender Mensch, irgendwas das zu Boden fällt oder einfach nur jemand, der neben dem Experiment steht: All das würde die Messung enorm schwierig machen bzw. unmöglich. Cavendish hat den ganzen Aufbau daher in eine Kiste gepackt. Die Kiste hat er in einen Schuppen gestellt. Alles wurde verschlossen und dann hat er erstmal gewartet, bis sich die Kugeln ausreichend still verhalten haben. Beobachtet hat er alles nur von außen und aus großer Entfernung. In der Kiste und in der Wand des Schuppens waren winzige Löcher und durch die hat Cavendish mit einem Teleskop sein Experiment kontrolliert. Der aus seiner Messung berechnete Wert der Gravitationskonstante betrug 6,74 mal 10 hoch minus 11 Kubikmeter pro Kilogramm pro Sekunde zum Quadrat. Das ist knapp ein Prozent Abweichung vom heute empfohlenen Wert. 1 Prozent Verbesserung in mehr als 200 Jahren! Wieso haben wir nicht mehr geschafft?
Das liegt nicht daran, dass wir es nicht probiert hätten. Natürlich gab es in der Zeit seit damals immer wieder neue Messungen. Am Messprinzip hat sich seit Cavendishs Zeit wenig geändert. Es geht immer noch darum, den Effekt zu messen, den zwei Massen aufeinander haben. Natürlich hat man die Methode schon ein wenig verbessert. Aber die Resultate blieben deprimierend ungenau. Verschiedene Experimente haben im Laufe der Zeit unterschiedliche Werte geliefert. Das ist eigentlich nicht ungewöhnlich in der Wissenschaft, aber man erwartet eigentlich, dass man sich immer genauer an den korrekten Wert herantastet. Bei der Gravitationskonstante kriegt man aber Werte, die nicht einmal innerhalb der Fehlergrenzen der Messung übereinstimmen. Man hat es mittlerweile dann auch mal mit komplett anderen Methoden probiert: Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, geht es dabei darum, die Bewegung von Atomen in der Nähe einer mehr als 500 Kilogramm schweren Testmasse möglichst genau zu messen. Auch daraus kann man dann die Gravitationskonstante bestimmen und auch mit dieser komplett anderen Methode, die nichts mit den üblichen Gravitationswaagen zu tun hat, hat man Werte bekommen, die nicht mit den anderen übereinstimmen.
Womit wir jetzt beim vorhin erwähnten "andererseits" wären. Einerseits ist es deswegen so schwer, die Gravitationskonstante zu bestimmen, weil die Gravitation so eine enorm schwache Kraft ist. Andererseits klappt es aber vielleicht auch deswegen nicht, weil wir irgendwas grundlegendes noch nicht wirklich verstanden haben! Wir wissen ja, dass die Gravitation quasi das schwarze Schaf in der Physik ist. Die anderen Kräfte lassen sich alle "quantifizieren", also in einer quantemechanische Beschreibung formulieren und in gewissen Ausmaß auch vereinheitlichen, also zusammenführen und als unterschiedliche Aspekte einer noch fundamentaleren Kraft beschreiben. Die Gravitation aber passt überhaupt nicht mit den restlichen Kräften zusammen. Einsteins Beschreibung der Gravitation als Krümmung der Raumzeit liefert zwar extrem genaue Vorhersagen die in den letzten 100 Jahren immer und immer wieder im Experiment und in Beobachtungen bestätigt worden sind. Ebenso wie die Aussagen der Quantenmechanik. Aber eigentlich sollte es möglich sein, beide Beschreibungen der Natur irgendwie zu kombinieren. Haben wir aber nicht hingekriegt, trotzdem wir es seit Jahrzehnten intensiv versuchen. Irgendwas haben wir bei der Gravitation also nicht nicht verstanden und damit natürlich auch bei der Gravitationskonstante. Vielleicht liegt es wirklich nur daran, dass wir sehr viel genauere Messungen brauchen. Vielleicht ist es aber auch grundlegender? Vielleicht ist die Gravitationskonstante gar nicht konstant? Es gibt ja immer wieder seriöse wissenschaftliche Hypothesen, die davon ausgehen, dass sich auch Natur"konstanten" im Laufe der Zeit ändern können. Entsprechende Beobachtungen von diversen Phänomenen im Universum wo das auffallen würde haben aber noch keine eindeutigen Hinweise geliefert. Wir können ja in der Astronomie auch in der Zeit zurück schauen; wenn wir zum Beispiel eine Supernova beobachten, deren Licht 10 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat, dann hat sie auch 10 Milliarden Jahre in der Vergangenheit stattgefunden. Wenn die Naturkonstanten damals anders waren, könnten wir das merken, wenn wir das Licht der Supernova analysieren. Haben wir bis jetzt aber nicht gemerkt… Aber vielleicht müssen wir auch hier noch genauer schauen.
Bis dahin wird uns nichts weiter übrig bleiben, als noch genauere Messungen anzustellen. 2021 hat man zum Beispiel die Gravitationskraft messen können, die zwischen zwei winzigen Kugeln wirkt, die nur wenig mehr als 90 Millimeter groß waren. Die Messung war noch viel ungenauer als die anderen; aber das war in dem Fall zu erwarten. Es ging hier vor allem darum zu zeigen, dass es überhaupt möglich ist, so eine enorm schwache Gravitationskraft überhaupt messen zu können. In Zukunft geht das vielleicht genauer und wenn wir in der Lage sind, Gravitationskräfte auch auf so kleinen Skalen exakter zu messen, finden wir vielleicht auch einen Hinweis darauf, was das Problem an der Sache ist. Es ist auf jeden Fall kein akzeptabler Zustand, dass wir die Gravitationskonstante seit mehr als 200 Jahren nicht vernünftig messen können.
Sternengeschichten Folge 439: Nancy Roman
Am 24. April 1990 flog das Weltraumteleskop Hubble an Bord des Space Shuttles Discorvery ins All. Darüber habe ich schon in Folge 389 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen. Es hat lange gedauert, bis aus der Idee eines Observatoriums im Weltraum die Realität des großen Hubble-Teleskops geworden ist. Den ersten konkreten Vorschlag für ein optisches Teleskop im All gab es immerhin schon 1946. Heute soll es aber nicht um das Hubble-Teleskop gehen, sondern um eine Astronomin, die maßgeblich dazu beigetragen hat, es zu realisieren. Und darüber hinaus noch sehr viel mehr für die Astronomie im Weltraum gemacht hat.
Nancy Grace Roman wurde am 16. Mai 1925 geboren, in Nashville, Tennesse. Da hat sie aber nur kurz gelebt; sie zog in ihrer Kindheit oft um. Ihr Vater war ein Geophysiker, der immer wieder an anderen Universitäten arbeitete; ihre Mutter war eine Lehrerin. Beide brachten Nancy schon früh mit Naturwissenschaft in Kontakt. Sie war vor allem vom Himmel fasziniert; schon als Vierjährige soll ihr Lieblingsmotiv beim Malen der Mond gewesen sein. Vor allem Nancys Mutter hat das Interesse ihrer Tochter für den Nachthimmel geweckt; in den dunklen und klaren Nächten beobachteten sie gemeinsam die Sternbilder und die damals sichtbaren Polarlichter - etwas, was an das sich Nancy Roman auch Jahrzehnte später immer noch gerne erinnerte. Mit 11 Jahren organisierte sie gemeinsam mit ihre Schulfreunden einen astronomischen Verein und mit 13 Jahren war sie sich sicher, dass sie auf jeden Fall Astronomin werden wollte. Sie besaß allerdings kein Teleskop; einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits aber auch, weil sie, wie sie später selbst sagte, immer sehr viel daran interessiert war, die Wissenschaft der Astronomie zu verstehen als nur die Himmelskörper zu betrachten.
Nancy Romans Jugend und Schulzeit war aber natürlich und leider auch von Vorurteilen geprägt. Man sah es damals als absolut unpassend für Mädchen an, eine Karriere in den Naturwissenschaften anzustreben und Nancy wurde immer wieder dringend geraten, ihre Pläne nicht weiter zu verfolgen. Als sie die Beratungslehrerin in ihrer Highschool fragte, ob sie anstatt weiterer Lateinstunden lieber mehr Mathematikunterricht haben könnte, wurde sie entgeistert gefragt, welches Mädchen denn Mathematik gegenüber Latein bevorzugen würde. Roman ließ sich aber nicht beirren und begann ein Studium am Swarthmore College in Pennsylvania. Auch dort traf sie auch Schwierigkeiten. Die Dekanin versuchte alle Mädchen aktiv davon abzubringen, sich mit Naturwissenschaft zu beschäftigt; andere Professoren sagten ihr, sie solle das Studium doch am besten abbrechen und einfach heiraten.
Nancy Roman aber machte weiter. Sie wechselte zur Universität Chicago, um dort ihren Doktortitel in Astronomie zu machen. Dort arbeitete Astronomie-Professor William Wilson Morgan, der sie gleich beim ersten Aufeinandertreffen aufforderte, doch bitte in seine Wohnung zu gehen um sich dort um seine kranke Frau zu kümmern. Auch an der Sternwarte der Uni Chicago hielt man nicht viel Frauen: "Die heiraten ja doch nur und verschwinden dann", war die allgemeine Meinung, die Roman immer wieder zu hören bekam. Sie ließ sich nicht unterkriegen und bat drei der Professoren um Projekte, an denen sie arbeiten könne. Sie entschied sich für die Aufgabe, bei der sie selbst auch am Teleskop beobachten konnte. Es ging dabei um die Untersuchung der Sterne im Großen Wagen; die einen sogenannten "offenen Sternhaufen" bilden. Roman sollte mit ihren Beobachtungen dazu beitragen, die Entfernung des Haufens zu bestimmen. Aus diesem Projekt entwickelte sich ihre Doktorarbeit und William Morgan wurde ihr offizieller Betreuer. Der aber an Betreuung kein wirkliches Interesse zu haben schien. Er sprach oft monatelang nicht mit ihr, wie Roman in ihrer Autobiografie berichtet; und in den Sitzungen der astronomischen Fakultät konnte er daher auch nichts über Nancy Romans Arbeit berichten - was dort natürlich den Eindruck erweckte, sie würde gar nicht arbeiten. Die Unterstützung, die eigentlich von ihrem Betreuer kommen sollte, holte sich Roman von Astronomen, die die Sternwarte besuchten.
William Morgan hat es Nancy Roman nicht leicht gemacht, ihr Doktoratsstudium zu beenden. Von nachlässiger bis nichtvorhandender Betreuung bis hin zu körperlicher Belästigung musste Roman alles erleben, was Frauen in der Welt der Naturwissenschaft damals so gut wie immer erleben musste. Aber trotz allem erhielt sie 1949 ihren Doktortitel in Astronomie. Einen Job zu finden war nicht einfach. Morgan wollte sie gerne an der Sternwarte von Chicago halten; immerhin wurden Frauen damals deutlich schlechter bezahlt als Männer und Roman konnte viel billiger angestellt werden. Er hielt ihr auch alle Informationen über anderweitige Jobangebote vor und Roman blieb vorerst. In den kommenden Jahren machte sie dort allerdings ihre wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen. Sie konzentrierte sich vor allem auf die Beobachtung der hellen Sterne in der Milchstraße. Und fand heraus, dass man sie anhand ihrer chemischen Zusammensetzung in zwei grundlegende Gruppen einteilen konnte. Einmal Sterne, die neben Wasserstoff und Helium kaum andere chemische Elemente enthalten und dann Sterne, bei denen der Anteil dieser anderen Elemente vergleichsweise hoch ist. Die zweite Gruppe, so fand Roman heraus, bewegte sich vor allem in annähernd kreisförmigen Bahnen um das Zentrum der Milchstraße und vor allem in der Ebene der Scheibe der Milchstraße. Die andere Gruppe an Sternen hatte deutlich geneigtere und langgestrecktere Umlaufbahnen. Dass es Sterne mit diesem unterschiedlichen Verhalten gibt, war auch vorher schon bekannt. Aber Roman konnte dieses Wissen nicht nur erweitern und bestätigen. Da sie sich auf die Sterne konzentrierte, die auch ohne Teleskop mit freiem Auge sichtbar sind, konnte sie das erste Mal zeigen, dass es diese Unterschiede auch bei den "gewöhnlichen" Sternen gibt und dass sie sich nicht nur unterschiedlich verhalten sondern - im Gegensatz zu dem was man damals noch dachte - auch unterschiedlich alt sein müssen. Roman konnte als zeigen, dass die Bewegung der Sterne in der Milchstraße unter anderem von ihrem Alter abhängt, was zur damaligen Zeit die ersten konkreten Hinweise auf die Entstehung der Milchstraße lieferte. Ihre Arbeit über dieses Thema, die sie 1950 veröffentlichte, wurde später vom Astrophysical Journal zu den 100 wichtigsten Arbeiten der letzten 100 Jahre gezählt.
Aber auch als Astronomin die wichtige Forschungsarbeit leistete, hatte Roman immer noch mit den Vorurteilen zu kämpfen. Sie wurde zum Beispiel nicht zu einer Konferenz eingeladen, auf der exakt die Themen ihrer Forschung über die Sterne der Galaxie diskutiert wurden. William Morgan, der auf dem gleichen Gebiet arbeitete, entschied sich, Romans Ergebnisse lieber selbst zu präsentieren… Aber genug von Männern, die Frauen keine wissenschaftlichen Leistungen zutrauen oder gönnen wollen. Es geht ja um die Arbeit von Nancy Roman und die fängt jetzt erst so richtig an. Sie beobachtete weiter die Sterne der Milchstraße, erforschte ihre Eigenschaften und stieß dabei auf ein Exemplar mit der Bezeichnung AG Draconis. Als Roman ihn im Zuge ihrer Arbeit beobachtete, fiel ihr auf, dass er anders leuchtete, als man damals dachte. Sie schrieb eine kurze Notiz für eine Fachzeitschrift, die 1953 veröffentlicht wurde. Keine große Sache aus astronomischer Sicht - aber eine sehr große Sache für Nancy Romans Karriere.
Zuerst aber einmal wechselte von Chicago an das United States Naval Research Laboratory und begann sich dort im Jahr 1954 mit dem gerade erst entstehenden Gebiet der Radioastronomie zu beschäftigen. Auch hier erstellte sie Karten der Milchstraße im Radiolicht, kam aber auch das erste Mal in Kontakt mit dem noch jüngeren Feld der Raumfahrt. Die 1950er Jahre waren immerhin die Zeit, als man das erste Mal ernsthaft versuchte, Satelliten ins All zu schießen und auch das Naval Research Laboratory war daran beteiligt. Ein aus Romans Sicht enorm wichtiges Ereignis fand im Jahr 1956 statt. An der Byurakan-Sternwarte in Armenien fand eine astronomische Konferenz statt und der dortige Direktor hatte zufällig ihre kurze Arbeit über AG Draconis gelesen, war faszinieret davon und Roman kurzerhand eingeladen. Armenien war damals noch Teil der Sowjetunion und die Welt mitten im kalten Krieg. Das eine Zivilistin wie Roman einfach so aus den USA zum "Feind" in die Sowjetunion reist, war ungewöhnlich und ist bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht vorgekommen. Nach ihrer Rückkehr begannen sich deswegen auch Medien und wissenschaftliche Einrichtungen für Roman zu interessieren; sie wurde zu diversen Vorträgen eingeladen, lernte Kolleginnen und Kollegen kennen und bekam endlich auch die Wertschätzung, die ihr wegen ihrer wissenschaftlichen Arbeit längst zugestanden hätte.
Dann kam das Jahr 1958 und mit ihm die Gründung der NASA. Das Naval Research Laboratory steuerte einen Teil seiner Belegschaft für die wissenschaftliche Abteilung der Weltraumorganisation bei und Nancy Roman, jetzt durch ihre Armenienreise überall bekannt - wurde gefragt, ob sie jemanden kenne, der bei der NASA ein Programm für Weltraumastronomie gründen und leiten könne. Roman nahm das als Anlass, sich einfach selbst dafür zu bewerben und begann dort im Jahr 1959 ihren Job als Leiterein der Abteilung für Beobachtende Astronomie.
Sie selbst weist immer wieder auf das Glück hin, dass sie dank des seltsamen Sterns AG Draconis hatte. Heute wissen wir, dass es sich um einen veränderlichen Stern handelt; zwei Sterne eigentlich. Einen Riesenstern und einen weißen Zwerg, die sich umkreisen, aber so weit von der Erde entfernt sind, dass sie wie ein Stern aussehen. Schaut man aber ganz genau hin, dann scheinen sich die chemischen Eigenschaften dieses einen Sterns, der ja eigentlich zwei Sterne ist, zu verändern; je nachdem ob die beiden gerade hintereinander oder nebeneinander stehen. Die Veränderungen die Roman entdeckt hatte, zeigt AG Draconis aber nur alle 10 bis 15 Jahre für etwa 100 Tage. Roman hatte also Glück, gerade zum richtigen Zeitpunkt hingeschaut zu haben. Aber, und auch das sagt sie selbst explizit, so wichtig das Glück war: Es war auch wichtig, dass sie erkannte, dass da etwas ungewöhnliches und interessantes abläuft und dass sie die Gelegenheiten auch ergriffen hat, die ihr der glückliche Zufall brachte.
Jetzt jedenfalls war Roman bei der NASA angekommen. Das erste wichtige Projekt unter ihrer Leitung war OSO, das "Orbiting Solar Observatory". Zwischen 1962 und 1975 schickte die NASA neun Satelliten ins All, um die Sonne zu erforschen. Unter anderem auch in den Bereichen, die von der Erdoberfläche aus nicht beobachtbar sind, also zum Beispiel im Röntgen- und Ultraviolettlicht. Das lieferte wichtige Erkenntnisse über das Verhalten unseres Sterns, unter anderem auch über den Sonnenwind und seinen Einfluss auf die Erde. Mit den vier Weltraumteleskopen die im Rahmen der "Orbiting Astronomical Observatory"-Missionen zwischen 1966 und 1972 ins All gebracht wurden, konnte Roman die Bedeutung der Ultraviolettastronomie weiter ausbauen. Das erste Mal war es möglich, den Himmel in diesem Wellenlängebereich in guter Qualität zu beobachten. Von der Erdoberfläche aus ist das nicht möglich, da diese Strahlung zum größten Teil von der Atmosphäre blockiert wird. Wenn man aber verstehen will, wie Sterne funktionieren, muss man auch dieses Licht beobachten.
Mindestens genau so wichtig wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse war für die NASA aber auch das technische Wissen, dass sie während der Orbiting Astronomical Observatory Missionen erlangten. Es waren die ersten echten Weltraumteleskope und die Astronom:innen überall auf der Welt konnten aus erster Hand sehen, wie enorm effektiv es sein kann, ein Teleskop ins All zu bringen anstatt es von der Erde aus durch die störende Atmosphäre schauen zu lassen. Nancy Roman war seit 1971 intensiv damit beschäftigt, das schon lange existierende Projekt eines wirklich großen Weltraumteleskops real werden zu lassen. Sie stellte Gruppen zusammen, die verschiedene Missionen entwarfen; reiste durchs Land um finanzielle und politische Unterstützung zu gewinnen und konnte am Ende das fertig stellen, was die Grundlage für das heutige Hubble-Teleskop werden sollte.
Ende 1979 zog sie sich aber von der NASA zurück. Komplett in den Ruhestand gehen wollte sie aber noch nicht. Sie wollte nach all der Zeit im Wissenschaftsmanagement wieder zurück in die Forschung. Dazu musste sie ihr Wissen in Sachen Computerprogrammierung auffrischen, was sie tat und dafür noch einmal gemeinsam mit jungen Studierenden Vorlesungen an der Uni besuchte. In den kommenden Jahren arbeitet sie mit diesem neuen Wissen um Datenverarbeitung an der Erstellung aktueller astronomischer Kataloge. Und kehrte dann doch noch einmal zur NASA zurück: Von 1995 bis 1997 war sie Leiterin des Astronomischen Datenzentrums am Goddard Space Flight Center der NASA.
1997 ließ sie die Welt der NASA und der Universitäten aber endgültig hinter sich. Eine Zeit lang kümmerte sie sich noch als Beraterin um die Einrichtung des Space Telescope Science Institute, also der wissenschaftlichen Einrichtung die extra geschaffen wurde, um die Arbeit mit dem Hubble-Teleskop zu organiseren. Sie unterrichtete Schüler:innen und Student:innen und bildete Lehrer:innen aus. Ihren echten Ruhestand verbrachte sie damit, astronomische Lehrbücher vorzulesen, um auch blinden Menschen und Menschen mit Leseschwäche einen Zugang zur Astronomie zu ermöglichen.
Nancy Roman starb am 25. Dezember 2018, im Alter von 93 Jahren. Für ihre Arbeit an der Organisation des Hubble-Teleskops wird sie heute immer noch als "Mother of Hubble" bezeichnet. Ihr selbst war allerdings der 1978 ins All geflogene "International Ultraviolet Explorer" am wichtigsten. Diese Weltraumteleskop für den Ultraviolettbereich arbeitete bis 1996 und untersuchte die aktiven Kerne ferner Galaxien; Kometen im Sonnensystem, Sterne und die Zusammensetzung von Sternen; das Gas zwischen den Sternen und den Galaxien; kurz: Eigentlich alles, was aus Sicht der Astronomie interessant ist. Es war nur für fünf Jahre ausgelegt, hätte aber auch nach den 18 Jahren die es tatsächlich in Betrieb war, weiterbenutzt werden können. Man hat es nicht deaktiviert, weil es kaputt gegangen ist, sondern weil man kein Geld mehr für die Mission ausgeben wollte. Der "International Ultraviolet Explorer" war nicht nur extrem erfolgreich, sondern auch der direkte Vorläufer des Hubble-Teleskops. Roman war wirklich stolz darauf. Das Hubble-Teleskop, so ihre Ansicht, wäre so oder so gebaut worden. Wenn sie es nicht organisiert hätte, dann eben irgendwer anderes. Der "International Ultraviolet Explorer" aber war ihr Projekt und wenn sie nicht dafür gekämpft hätte, dann hätte es die Mission nicht gegeben.
Nancy Roman bekam schon zu Lebzeiten jede Menge Ehrungen. 1962 wurde sie vom Life Magazine zu den "100 wichtigsten jungen Menschen" gezählt. Sie bekam Ehrendoktortitel, Medaillen, wurde in wissenschaftliche Gemeinschaften aufgenommen. Man hat einen Asteroid nach ihr benannt. Im Jahr 2020 hat die NASA beschlossen, das Wide Field Infrared Survey Teleskope - ein Weltraumteleskop zur Erforschung extrasolarer Planeten und Kosmologie das gegen Ende der 2020er Jahre gestartet werden soll, in "Nancy Grace Roman Space Telescope" umzubenennen. Diese Ehre hat Roman nicht mehr erlebt. In ihrer Autobiografie schreibt sie aber, dass sie sowieso eine ganz andere Ehrung am spaßigsten fand: 2017 brachte LEGO ein Set mit dem Titel "Women of NASA" auf den Markt. Neben der Computerwissenschaftlerin Margaret Hamilton und den Astronautinnen Mae Jemison und Sally Ride konnte man dort auch Nanny Roman und ein kleines Hubble-Weltraumteleskop aus den Legosteinen bauen.
Sternengeschichten Folge 438: Beta Pictoris
Beta Pictoris ist einer meiner Lieblingssterne. Und das nicht nur, weil ich selbst darüber viel geforscht habe. In der Geschichte der Astronomie hat dieser Stern immer wieder eine wichtige Rolle gespielt. Dort können wir fast die ganze Vielfalt untersuchen, die ein Sternensystem ausmacht. Aber fangen wir am besten mit den Grundlagen an.
Der Stern befindet sich 63,4 Lichtjahre entfernt. Er ist mit freiem Auge sichtbar, aber ein eher durchschnittlicher Stern - nicht sonderlich hell aber auch nicht so dunkel, dass man ihn ohne optische Hilfsmittel nicht sehen kann. Wer ihn beobachten möchte, kann das von Mitteleuropa aus allerdings nicht tun. Er befindet sich im "Maler", auf lateinisch "Pictor", einem Sternbild des Südhimmels. Beta Pictoris ist der zweithellste Stern dieses unscheinbaren Sternbilds und hat den eineinhalbfachen Radius der Sonne, die 1,7fache Masse und fast die neunfache Leuchtkraft unseres Sterns. Seine Oberflächentemperatur ist mit 7800 Grad Celsius um circa 2500 Grad heißer als die der Sonne. Es handelt sich um einen heißen, blau-weißlich leuchtenden Stern und er ist noch sehr jung. Sein Alter wird auf circa 23 Millionen Jahre geschätzt; im Gegensatz zu den 4,5 Milliarden Jahren die unsere Sonne alt ist, ist Beta Pictoris also quasi gerade erst entstanden.
Seinen ersten großen Auftritt auf der Bühne der Wissenschaft hatte der Stern 1984. Wir müssen aber ein Jahr davor anfangen; im Januar 1983. Da flog das Weltraumteleskop IRAS ins All. Seine Aufgabe war es, den Himmel das erste Mal komplett im Infrarotlicht zu beobachten. Das geht vom Erdboden aus nur schlecht, da dieser langwellige Anteil des Lichts von der Erdatmosphäre blockiert wird. Das Weltraumteleskop hatte Erfolg, machte jede Menge schöne Entdeckungen und fand etwas, was man noch nie zuvor gesehen hatte. Einen "Infrarotexzess", was ein wenig unspektakulär klingt, tatsächlich aber höchst beeindruckend ist.
Man weiß und wusste auch damals schon ziemlich gut, wie viel Licht bei bestimmten Wellenlänge ein Stern abstrahlen sollte. Das hängt im Wesentlichen von seiner Temperatur ab und kennt man sie bzw. kann man sie aus anderen Größen wie zum Beispiel der Helligkeit abschätzen, dann kann man berechnen, wie viel rotes Licht vom Stern kommen sollte, wie viel blaues Licht, und so weiter. Und natürlich auch wie viel Infrarotlicht man sehen sollte. Bei einigen Sternen entdeckte IRAS aber deutlich mehr Infrarotlicht, als vorhanden sein durfte. Der Grund dafür war schnell gefunden: Diese Sterne sind von einer Scheibe aus Staub umgeben. Der wird vom Licht des Sterns aufgeheizt und diese Wärme gibt der Staub in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Da wir aus der Entfernung die Scheibe aber nicht direkt sehen können, sehen wir Sternenlicht und Staubwärme überlagert und es sieht so aus, als würde der Stern Sachen machen, die er nicht machen sollte.
Den ersten Infrarotexzess und damit den ersten Hinweis auf eine Staubscheibe um einen Stern fand man bei Wega. Außerdem bei drei weiteren Sternen: Epsilon Eridani, Fomalhaut und Beta Pictoris. Dann, im November 1983, war die Mission von IRAS auch schon wieder vorbei; dem Teleskop ging das Kühlmittel aus. Aber nun versuchte man, von der Erde aus mehr Daten zu kriegen. Vielleicht, so die Hoffnung, könnte man mit der richtigen Technik die Staubscheiben rund um die Sterne ja auch im normalen Licht und ohne Infrarotteleskop sichtbar machen. Die amerikanischen Astronomen Bradford Smith und Richard Terrile probierten das natürlich zuerst bei der Wega. Ohne Erfolg. Ebenso bei Epsilon Eridani und Fomalhaut. Beta Pictoris konnte sie nicht untersuchen, da sie dafür ein Teleskop auf der Südhalbkugel benutzen müssten. Das schafften sie erst Ende 1984, als sie eigentlich wegen ganz anderer Beobachtungen in Chile waren. Aber wenn man schon mal da ist, dann kann man ja auch den letzten Kandidaten nochmal kurz anschauen, dachten die beiden sich. Und hatten Erfolg! Auf ihrer Aufnahme war klar das Licht zu sehen, dass der Staub um Beta Pictoris reflektierte.
Das war an sich schon eine ziemlich beeindruckende Entdeckung. Denn 1984 hatte man noch keine Planeten anderer Sterne entdeckt; das ist ja erst 1995 gelungen. Man wusste damals also immer noch nicht, ob sich bei anderen Sternen überhaupt Planeten bilden können. Die Staubscheibe um Beta Pictoris war ein ziemlich guter Hinweis, dass das tatsächlich möglich ist. Denn der Staub muss ja irgendwo her kommen! Die Modelle zur Planetenentstehung sagen uns, dass jeder Stern nach seiner Geburt von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist, der sogenannten "protoplanetaren Scheibe". Aus ihr entstehen dann im Laufe der Zeit die Planeten. Das, was Beta Pictoris umgibt, ist aber KEINE solche Scheibe. Der Stern ist zwar jung, so eine protoplanetare Scheibe verschwindet aber schnell. Die Planetenbildung, sofern sie stattgefunden hat, muss schon weitestgehend abgeschlossen sein. Was aber dann noch übrig bleiben kann, ist eine sogenannte "Trümmerscheibe". Denn es bilden sich ja um einen Stern nicht NUR Planeten. Zuerst einmal entstehen aus dem Staub und dem Gas ein Haufen Asteroiden. Und daraus erst die Planeten. Dabei bleiben Asteroiden übrig, und die erzeugen ständig Staub, zum Beispiel durch Kollisionen.
Die Trümmerscheibe von Beta Pictoris war also ein Zeichen dafür, dass anderswo im Universum genau die gleichen Prozesse stattgefunden haben, die auch bei uns stattgefunden haben, als die Planeten des Sonnensystems entstanden sind. In den kommenden Jahren hat man sich Stern und Scheibe jetzt natürlich immer genauer angesehen. Und weitere Auffälligkeiten gefunden: Die Staubscheibe war ein wenig "klumpig"; sie war auch ein bisschen "verbogen" - alles Anzeichen, dass die Verteilung der Asteroiden dort nicht völlig regelmäßig ist. Und was beeinflusst die Verteilung von Asteroiden um einen Stern? Genau: Planeten! Auch in unserem Sonnensystem ist die gravitative Wirkung von Planeten wie Jupiter oder Neptun, die dafür sorgen, dass sich die Asteroiden in Asteroidengürteln angeordnet haben.
Man nun probiert zu berechnen, welche Eigenschaften ein Planet haben müsste, um die beobachteten Unregelmäßigkeiten in der Staubscheibe von Beta Pictoris zu erklären. Was übrigens auch das Thema war, über das ich selbst geforscht habe. Die Ergebnisse waren relativ übereinstimmend: Es braucht auf jeden Fall einen Planeten mit recht großer Masse, relativ nahe am Stern. Deutlich mehr Masse als Jupiter muss er haben, irgendwo um das 10fache herum. Darüber hinaus kann es gut sein, dass noch weitere Planeten dort existieren die sich weiter entfernt befinden.
Es war eigentlich nicht damit zurechnen, dass diese Vorhersage zeitnah bestätigt wird. Denn so jungen Sternen wie Beta Pictoris zeigen vergleichsweise große Helligkeitsschwankungen. Das macht es schwer bis unmöglich, die üblichen Methoden zur indirekten Suche nach Planeten zu verwenden, die alle darauf basieren, das Licht bzw. die Helligkeit von Sternen möglichst exakt zu messen. Noch schwieriger ist es aber, einen Planeten DIREKT zu sehen. Also direkt Sternenlicht im Teleskop einzufangen, das vom Planet reflektiert worden ist. Dazu muss man aber irgendwie das sehr viel hellere Sternenlicht ausblenden um überhaupt eine Chance haben, das schwache Leuchten des Planeten sehen zu können. Am besten funktioniert die Methode daher auch bei Planeten, die sich sehr, sehr, sehr weit von ihrem Stern entfernt befinden. Ab 2006 hat man immer wieder die Entdeckung des ersten direkt beobachteten extrasolaren Planeten verkündet und man kann heute noch darüber streiten, wem und wo das das erste Mal gelungen ist. Fest steht aber: Im November 2008 konnte auch bei Beta Pictoris ein Planet direkt gesehen werden. Das war überraschend, weil der Planet dem Stern sehr nahe ist. Aber die Beobachtung konnte bestätigt werden und in den kommenden Jahren wurde der Planet immer wieder fotografiert.
2018 konnte man dann sogar einen Film veröffentlichen, der die Bewegung des Planeten um seinen Stern herum zeigt. Natürlich als Zeitraffer, aber dennoch: Das erste Mal konnten wir von außen zuschauen, wie ein Planet einen anderen Stern umkreist! 2019 wurde dann auch noch ein zweiter Planet bei Beta Pictoris gefunden. So wie der erste ist auch er ungefähr 10 mal schwerer als Jupiter. Er ist aber viel näher dran am Stern: Der zuerst entdeckte Planet hat einen Abstand, der dem 9fachen Abstand zwischen Erde und Sonne entspricht; also ungefähr der Distanz, die der Saturn von der Sonne hat. Der 2019 entdeckte Planet befindet sich dagegen dort, wo sich in usnerem Sonnensystem der Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befindet. 2020 gelang es dann auch, BEIDE Planeten direkt zu beobachten - was gleich das nächste Rätsel lieferte. Beide Planeten sind ungefähr gleich schwer und groß. Der eine leuchtet aber sechs mal heller als der andere. Eigentlich sollte aber gelten, dass ein Planet umso heller leuchtet, je mehr Masse er hat. Denn es geht dabei nicht nur um das Licht, das der Planet reflektiert. Sondern auch um die Wärme, die der Himmelskörper aus sich selbst heraus abstrahlt. Die Beobachtungen bei Beta Pictoris wurden mit einem Infrarotteleskop gemacht und deswegen sieht man die Planeten auch im Licht ihrer eigenen Wärme leuchten. Je mehr Masse ein Planet hat, desto mehr Wärme sollte er speichern können und desto heller leuchten.
Dass das bei Beta Pictoris nicht der Fall ist, kann einerseits einfach heißen, dass wir die Massen der Planeten noch nicht genau genug bestimmt haben. Immerhin brauchen sie jeweils ein paar Jahre für eine Runde um den Stern und nur wenn wir ihre Umlaufbahn komplett beobachtet haben, können wir auch halbwegs genau die Masse abschätzen. Andererseits könnte es aber auch heißen, dass wir irgendwas bei der Entstehung der Planeten noch nicht so genau verstanden haben, wie wir dachten.
Beta Pictoris wird die Astronomie mit Sicherheit noch lange Zeit beschäftigen. Wir haben ziemlich sicher noch nicht alle Planeten entdeckt, die dort rumschwirren. Wir haben die Wechselwirkung zwischen den Planeten und der Trümmerscheibe noch nicht völlig verstanden. Es gibt noch jede Menge zu entdecken.
Sternengeschichten Folge 437: Icarus und das Licht der fernsten Sterne
"Icarus" ist der Spitzname eines Sterns, der offiziell die Bezeichnung "MACS J1149 Lensed Star 1" trägt. Das klingt ein wenig unhandlich, ist aber tatsächlich relevant für die heutige Geschichte. Bleiben wir aber vorerst trotzdem noch bei "Icarus". Dieser Stern befindet sich nicht in unserer Nähe. Er befindet sich nicht einmal in der Milchstraße. Er gehört zu einer ganz anderen Galaxie, weit, weit draußen im Universum. Wir haben das Licht von Icarus das erste Mal im Jahr 2013 mit dem Spiegel eines Teleskops aufgefangen. Bis wir verstanden hatten, was da eigentlich abgeht, hat es aber noch 5 weitere Jahre gedauert. Das war allerdings nicht tragisch; es gab keinen Grund zur Eile. Immerhin war das Licht des Sterns zuvor schon mehr als 9 Milliarden Jahre lang durch das Universum unterwegs gewesen. Das bedeutet, dass es sich um ein EXTREM weit entferntes Objekt handelt. Übrigens bedeutet es nicht, dass der Stern 9 Milliarden Lichtjahre entfernt ist. Als das Licht, das wir 2013 gesehen haben, sich vor 9 Milliarden Jahren auf den Weg gemacht hatte, war das Universum entsprechend jünger, nämlich erst knapp 5 Milliarden Jahre alt. Und weil es sich seit dem Urknall beständig ausdehnt, war es früher auch noch kleiner; es war damals nicht einmal halb so groß wie es heute ist. Während das Licht von Icarus also durch den Kosmos strahlte, hat der sich ausgedehnt. Die Sonne und mit ihr die Erde gab es damals noch gar nicht, aber die Distanz zwischen dem Ort, an dem sie einmal entstehen sollte und Icarus wurde im Laufe der Zeit immer größer und größer. Es hat 9 Milliarden Jahren gedauert, bis es uns eingeholt hat und der Weg, den es dabei zurück gelegt hat ist demnach auch viel größer als 9 Milliarden Lichtjahre.
Das ist alles ein wenig knifflig, hat aber auch eigentlich nichts mit dem Thema zu tun. Die eigentlich relevante Frage lautet ja: Wie um Himmels Willen können wir einen EINZELNEN STERN sehen, der so absurd weit entfernt ist? Wir schaffen es gerade mal, ein paar Sterne in unserer Nachbargalaxie, der Andromeda, aufzulösen. Und die ist nur 2,5 Millionen Lichtjahre weit weg. Bei den entfernteren Galaxien haben wir keine Chance, irgendwelche Einzelobjekte zu sehen - wie ist uns das nun bei Icarus gelungen? Durch Zufall und dank Albert Einstein. Beziehungsweise durch seine Erkenntnisse über das Universum. Und immer noch durch Zufall. Jetzt kommen wir auch zurück zur offiziellen Bezeichnung von Icarus: MACS J1149 Lensed Star 1. Der erste Teil - MACS J1149 - ist die Bezeichnung eines Galaxienhaufens, beziehungsweise die Kurzversion, mit vollem Namen heißt er MACS J1149.5+2223. Der zweite Teil "Lensed Star 1" sagt uns, wie man den Stern gefunden hat. Um das zu verstehen müssen wir aber erst einen kurzen Ausflug in die Welt der Gravitationslinsen machen.
Das habe ich ja schon in Folge 274 ausführlich erklärt. Das Prinzip ist eigentlich recht simpel: Albert Einstein hat in seiner berühmten Allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitation als Krümmung in der Raumzeit beschrieben. Jede Masse krümmt den Raum und Lichtstrahlen folgen dieser Krümmung. Anders gesagt: Eine Masse - ein Stern, ein Planet, eine Galaxie - kann den Weg des Lichts verändern, das in der Nähe vorbei kommt. Das ist nichts anderes als auch bei einer normalen Linse aus Glas oder einem Spiegel passiert: Auch hier wird der Weg von Lichtstrahlen verändert. Das nennt sich "Optik" und wer eine Brille trägt profitiert davon genau so, wie die Astronomie bei der Benutzung eines Teleskops, die Leute die ins Kino gehen und dort einen Film auf die Leinwand projiziert bekommen, und so weiter. Ist man in der Lage, die Ausbreitungsrichtung von Licht zu manipulieren, kann man damit alle möglichen tolle Dinge anstellen. Man kann Licht verstärken, Mehrfachbilder erzeugen, und so weiter. Und alles was die klassischen Linsen können, können auch Objekte im Weltall dank ihrer Masse.
Wenn zum Beispiel das Licht eines fernen Sterns in Richtung Erde strahlt, kann es unterwegs auf eine Galaxie treffen. Die lenkt den Lichtstrahl mit ihrer gewaltigen Masse um. Das kann dazu führen, dass MEHR Licht des Sterns in unsere Richtung gelangt als ohne diese Gravitationslinse. Sternenlicht, das ansonsten irgendwo weit entfernt an uns vorbei gestrahlt wäre, wird durch die Galaxie genau so umgelenkt, dass es doch die Erde trifft. Eine Gravitationslinse kann das Licht eines hinter ihr liegenden Objekts also verstärken. Bevor wir jetzt zu Icarus kommen, schauen wir aber noch kurz auf den Zufall. Hinter dem steckt in diesem Fall nämlich auch eine sehr coole Geschichte.
Der Galaxienhaufen MACS J1149.5+2223 wurde schon länger von der Astronomie beobachtet. Dabei ist den Forscher:innen etwas aufgefallen, dass man "Einstein-Kreuz" nennt. So etwas entsteht, wenn das Licht eines Objekts - in dem Fall einer Galaxie - durch eine Gravitationslinse mehr als einmal abgelenkt wird. Zum Beispiel einmal links rum, einmal rechts rum, einmal oben rum und einmal unten rum - vereinfacht gesagt natürlich. Auf jeden Fall aber kann eine Gravitationslinse ein Mehrfachbild eines Objekts erzeugen und das war hier der Fall. Was man damals gesehen hatte, war aber nicht nur ein Mehrfachbild einer Galaxie, sondern einer, in der gerade eine Supernovaexplosion stattgefunden hatte. Diese Ereignisse, bei denen große Sterne am Ende ihres Lebens explodieren, sind so hell, dass man sie auch weit entfernt und ohne Gravitationslinse sehen kann. In dem Fall hat man aber trotzdem genauer hingeschaut. Denn das hat sich ja alles in einem Galaxienhaufen abgespielt. Da gab es jede Menge potentielle Gravitationslinsen und das Licht der Supernova konnte auf sehr viele Arten abgelenkt werden. Dabei nahm es nicht nur unterschiedliche, sondern auch unterschiedlich lange Wege. Was nichts anderes heißt als: Wir sehen die Mehrfachbilder nicht alle gleichzeitig, sondern sie tauchen je nach Lichtweg zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Die Details sind kompliziert und voller Mathematik, aber es läuft darauf hinaus, dass man damals eine Vorhersage machen konnte, dass die Supernova zu einem bestimmten Zeitpunkt erneut sichtbar werden sollte. Die Gravitationslinsenanordnung im Galaxienhaufen hat quasi für eine Wiederholung gesorgt. Und das wollte man sich natürlich anschauen.
Was an sich schon eine sehr coole Geschichte ist; aber eben nur das Zufallselement in der speziellen Geschichte von Icarus darstellt. Denn das Licht dieses Sterns fand eben zufällig, als man gerade auf der Suche nach der wiederholten Supernova war (die übrigens tatsächlich am 11. Dezember 2015 zu sehen war). Das war etwas überraschend, denn in solch einer Distanz rechnet niemand damit, das Licht eines Einzelsterns im Teleskop einfangen zu können. Aber es war schnell klar, dass man das Ereignis einer Gravitationslinse zu verdanken hatte. Wir sind damit aber noch lange nicht fertig. Wie die Geschichte der Supernova-Wiederholung zeigt, sind wir recht gut darin, auszurechnen, wie eine Gravitationslinse wirkt. Und in diesem Fall hätte der Galaxienhaufen im Schnitt eigentlich nur für eine circa 50fache Verstärkung des Sternenlichts sorgen dürfen. Immer noch zu wenig, um einen so fernen Stern sehen können.
Um die Geschichte zu Ende zu erzählen, brauchen wir noch zwei Schritte. Zuerst einmal braucht es Glück. Nicht nur den Zufall der Entdeckung an sich, sondern auch noch das Glück, dass sich Icarus in Bezug auf die Gravitationslinse in einer sehr speziellen Position befunden hat. Das kann man wieder mit einer Brille vergleichen: Wenn einem die ein wenig an der Nase hinab rutscht, sieht man auch nicht mehr so gut damit wie wenn sie in der korrekten Position vor den Augen sitzt. Und Icarus befand sich nahe an der Position in der Gravitationslinse ihre optimalste Wirkung entfalten kann. Das reichte für eine 2000fache Verstärkung seines Lichts und damit schon aus, um ihn für uns sichtbar zu machen. Im Mai 2016 wurde der Stern aber dann NOCH mal um circa das Vierfache heller; nur für kurze Zeit, aber immerhin. Grund dafür war eine zusätzliche Gravitationslinse: Ein Objekt ganz in der Nähe von Icarus, also eines, das sich in der gleichen Galaxie befindet wie der Stern, hat sich ebenfalls noch in den Weg des Lichts geschoben. Und so wie man bei einem optisches Teleskop unterschiedliche Linsen kombinieren kann, um eine noch bessere Verstärkung und Vergrößerung zu erreichen, haben auch hier die unterschiedlichen Gravitationslinsen dafür gesorgt, das ein Stern für uns sichtbar wurde, den wir eigentlich gar nicht sehen hätten sollen.
Die Beobachtung von Icarus ist aus mehrfacher Hinsicht eine sehr coole Sache. Man kann aus den Daten ja nicht nur Informationen über den Stern selbst bekommen, sondern auch über die Linsen. Wir wissen nicht, was die zweite, kurze Verstärkung im Mai 2016 verursacht hat. Aber es muss ein kleines und dichtes Objekt gewesen sein. Ein Stern zum Beispiel oder ein schwarzes Loch. Das ist spannend, weil wir damit einen WEITEREN Weg haben, Informationen über enorm weit entfernte Einzelobjekte zu erlangen. Und nicht nur enorm weit entfernte: Wir reden hier ja über Objekte, die alle im sehr frühen Universum existieren. Wir können durch solche Beobachtungen also auch rausfinden, was da im Kosmos rumgeschwirrt ist, als das Universum noch jung war. Das kann uns viel darüber verraten, wie das Universum entstanden ist, wie es sich entwickelt hat, und so weiter.
Es ist aber auch interessant, sich Icarus selbst anzusehen. Viele Informationen kann man nicht kriegen, immerhin ist es ja immer noch ein sehr, sehr weit entferntes Objekt. Aber man weiß zumindest, dass es sich um einen blauen Riesenstern handeln muss. Solche Sterne haben eine Lebensdauer von nur ein paar hundert Millionen Jahren. Das heißt, dass Icarus schon längst verschwunden war, als sein Licht bei uns angekommen ist. Wir beobachten also das quasi geisterhafte Leuchten eines Sterns, der gar nicht mehr existiert, den wir auch eigentlich nicht sehen können sollten - aber dank eines sich durchs halbe Universum erstreckenden Teleskops aus Galaxienhaufen trotzdem sehen können. Astronomie ist immer wieder beeindruckend.
Sternengeschichten Folge 436: Schwarze Zwerge
Im Universum gibt es Dinge, die gibt es gar nicht. Gut, das klingt jetzt ein wenig missverständlich. Die Dinge die es nicht gibt sind natürlich zahlreicher als die, die es gibt. Beziehungsweise nicht, weil es gibt sie ja nicht. Heute soll es aber nicht um philosophische Verwirrungen gehen. Sondern um etwas, dass es im Universum tatsächlich nicht gibt. Aber mit Sicherheit irgendwann geben WIRD. Nämlich "Schwarze Zwerge", die deswegen trotz ihres Mangels an aktueller Existenz ein gutes Thema für die "Sternengeschichten" sind.
Um zu verstehen was ein schwarzer Zwerg ist, müssen wir mit Sternen anfangen. Ich werde das jetzt nicht mehr im Detail erzählen, das habe ich in vielen vergangenen Folgen der Sternengeschichten ja schon oft genug getan. Ein Stern von der Größe unserer Sonne lebt nicht ewig. Zumindest nicht als Stern. Also als astronomisches Objekt, das durch Kernfusion in seinem Inneren Energie freisetzt. Dazu braucht es ja ausreichend viel Wasserstoff der fusioniert werden muss. Wenn der zu Ende geht, kann ein Stern für - aus astronomischer Sicht - kurze Zeit noch ein paar andere chemische Elemente fusioniern - Helium zu Beispiel oder Sauerstoff - aber dann ist Schluss. Fällt die Energieproduktion im Inneren des Sterns weg, dann fällt auch was anderes: Nämlich der Stern unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen.
Damit sind wir aber noch lange nicht bei den schwarzen Sternen angekommen. Zuerst einmal kriegen wir einen weißen Zwerg. Die Materie des Sterns kollabiert immer weiter. Die Atome werden immer weiter zusammengedrängt. Jetzt müssen wir auf die Elektronen schauen, die sich in der Hülle der Atome befinden können. Elektronen sind sogenannte "Fermionen", so nennt man Teilchen, die ein kleines bisschen asozial sind. Soll heißen: Man kann nicht beliebig viele in einem bestimmten Raumbereich konzentrieren. Jedes Elektron braucht seinen eigenen Raum und für ein zweites ist da kein Platz. Im Gegensatz zum Beispiel zu den Lichtteilchen, den Photonen. Die sind sogenannte "Bosonen" und sie haben kein Problem damit, ihren Platz mit anderen Bosonen zu teilen. Lichtteilchen kann man alle auf einen Haufen packen; Elektronen nicht.
Man kann sich das auch so vorstellen: Je weniger Raum einem Elektron zur Verfügung steht, desto schneller muss es sich bewegen. Das liegt an der berühmten Heisenbergschen Unschärferelation der Quantenmechanik. Ort und Geschwindigkeit (genauer gesagt: Ort und Impuls, aber das kommt am Ende für unseren Fall aufs gleiche raus) eines Teilchens stehen miteinander in Verbindung; multipliziert man beides miteinander, dann kann das Ergebnis auf keinen Fall kleiner sein als eine fundamentale Naturkonstante; das Plancksche Wirkungsquantum. Anders gesagt: Ort und Geschwindigkeit können nicht beide gleichzeitig immer kleiner und kleiner werden. Hat das Elektron also immer weniger Raum zur Verfügung, weil der Stern unter seinem eigenen Gewicht immer weiter in sich zusammenfällt, dann muss seine Geschwindigkeit irgendwann größer werden.
Und ein weiteres Mal anders gesagt: Die durch den Kollaps des Sterns und die Gesetze der Quantenmechanik verursachte Erhöhung der Geschwindigkeit der Elektronen hat einen nach außen gerichteten Druck zur Folge. Die Elektronen widersetzen sich irgendwann der Gravitationskraft, die den Stern immer weiter zusammendrücken will und der Kollaps endet. Das geht natürlich nur, wenn die Masse des Sterns nicht zu groß ist. Überschreitet sie eine bestimmte Masse, dann geht der Kollaps immer weiter und wir kriegen extrem dichte und kleine Objekte wie Neutronensterne oder schwarze Löcher. Aber über solch große Sterne reden wir heute nicht; wir reden über Sterne wie unsere Sonne. Bei deren Masse endet der Zusammenfall, wenn sie eine Größe erreicht hat, die ungefähr der Größe der Erde entspricht. Wir haben dann also ein Objekt, dass so groß wie ein Planet ist, aber immer noch so viel Masse wie ein Stern hat. Die ist jetzt nur eben enorm stark komprimiert. Würde man ein Stück vom weißen Zwerg nehmen, dass so groß ist wie eine kleine Erdbeere - ja, ich weiß, normalerweise ist es immer ein Zuckerwürfel der als Vergleich benutzt wird, aber darauf hab ich keine Lust mehr - nimmt man als ein erbeergroßes Stück, dann würde das so viel wiegen wie ein ganzes Auto.
Das ist ein "weißer Zwerg" und noch immer sind wir nicht am Ende der Entwicklung angelangt. In so einem weißen Zwerg passiert vorerst nicht mehr viel. Kernfusion findet keine mehr statt. Der Kern des weißen Zwergs besteht aus den schweren Elementen, die früher bei der Kernfusion erzeugt worden sind. Weiter außen liegen Schichten aus Helium und Wasserstoff. Ein weißer Zwerg ist aber immer noch heiß. Sein Inneres hat Temperaturen von ein paar Millionen Grad und das heizt die äußeren Schichten auf. Die können die Wärme abstrahlen und deswegen leuchtet ein weißer Zwerg, obwohl er keine neue Energie mehr produziert.
Aber das geht natürlich nicht ewig so weiter. Ein weißer Zwerg ist - sehr vereinfacht gesagt - ja nur ein sehr heißes Objekt, das einfach so im kalten Universum rumliegt. Und was tut so ein Ding dann im Laufe der Zeit? Es kühlt aus, was sonst. Der weiße Zwerg wird kühler und kühler und kühler - bis er irgendwann genau die gleiche Temperatur hat wie das ihn umgebende Universum. Und DANN ist aus dem weißen Zwerg ein schwarzer Zwerg geworden.
Wir wissen, dass es weiße Zwerg gibt. Wir haben schon jede Menge davon draußen im Universum entdeckt. Wir haben auch schon sehr kühle weiße Zwerge gefunden, deren Oberflächen nur noch knapp 3500 Grad Celsius hatten. Das bedeutet, dass sie schon sehr alt sein müssen; man hat sie auf circa 11 bis 12 Milliarden Jahre geschätzt. Bis zum schwarzen Zwerg ist es aber trotzdem noch ein weiter Weg. Auch wenn es sich um einen "Zwerg" handelt, ist so ein Ding ja immer noch so groß wie ein Planet. Und hat die Masse eines Sterns. Da passt jede Menge Wärme rein und es DAUERT bis die verschwunden ist. Und das Universum ist kalt. Die Hintergrundtemperatur des Kosmos liegt derzeit bei knapp 3 Kelvin. Also circa -270 Grad Celsius. Man schätzt, das ein typischer weißer Zwerg mindestens eine Billiarde Jahre braucht, um auf 5 Kelvin abzukühlen. Unser Universum ist aber gerade mal 13,8 Milliarden Jahre alt. Wir müssen noch fast hunderttausend Mal so lange warten wie das Universum bis jetzt existiert, um die Chance zu haben, irgendwo einen schwarzen Zwerg zu finden.
Und wenn es blöd läuft, kann es noch viel länger dauern. Denn so ein schwarzer Zwerg kann sich auch wieder erwärmen. Beziehungsweise ist das vielleicht der falsche Ausdruck. So richtig warm wird er nicht mehr, egal was passiert. Aber es gibt Prozesse, die seine Abkühlung verzögern können. Zum Beispiel der Protonenzerfall: Es gibt physikalische Hypothesen, nach denen das Proton, also einer der Bausteine aus denen Atomkerne bestehen, nicht stabil ist. Das bedeutet, dass es irgendwann spontan zerfallen und sich in andere Teilchen umwandeln kann. Wir wissen nicht, ob das wirklich so ist - entsprechende Experimente haben noch keine konkreten Spuren davon gefunden. Aber WENN es so ist, dann muss es sehr, sehr lange dauern, bis so ein Proton zerfällt. Wenn es nicht so wäre, dann würden wir ja dauernd zerfallende Protonen sehen beziehungsweise dann hätte sich gar nicht erst stabile Atome im Universum gebildet. Man schätzt, dass es um die 10 hoch 34 Jahre dauert, bis bei einer vorgegebenen Menge an Protonen die Hälfte zerfallen ist. Das ist ein so absurd langer Zeitraum, das man ihn sich nicht vorstellen kann.
Ein Stern und auch ein weißer Zwerg enthält aber nun mal sehr, sehr viele Protonen. Und rein statistisch gesehen sollten dort immer wieder mal ein paar zerfallen. Das hat normalerweise keinen großen Einfluss. Aber im Laufe der Zeit - und beim Abkühlen hat so ein weißer Zwerg sehr viel Zeit - kann man das nicht mehr ignorieren. Denn die zerfallenden Protonen setzen Energie frei. Nicht viel, aber es reicht, um die Temperatur eines weißen Zwergs für ungefähr 10 hoch 37 Jahre über der Hintergrundtemperatur des Universums zu halten (die ja im Laufe der Zeit ebenfalls sinkt). Es gibt auch noch andere Mechanismen - zum Beispiel die Wechselwirkung des weißen Zwergs mit bestimmten hypothetischen Formen dunkler Materie - die das Abkühlen verzögern können. Wir wissen nicht, ob Protonen zerfallen oder ob es andere Wege gibt, die einen weißen Zwerg warm halten. Sicher ist nur: Es dauert verdammt lange, bis ein weißer Zwerg zu einem schwarzen Zwerg geworden ist.
Das wäre jetzt eigentlich wirklich das Ende. Ein schwarzer Zwerg liegt einfach nur noch rum und macht nichts. Das einzige was er tut, ist dank seiner Masse Gravitation auf die Umgebung auszuüben. Das wäre auch der einzige Weg, um so ein Ding zu finden. Aber man kann davon ausgehen, dass in so einer fernen Zukunft keine irdischen Astronom:innen mehr da sind, um sich auf die Suche zu machen. Aber falls doch noch IRGENDWER in diesem zukünftigen Kosmos mit bewusstem Blick zum Himmel schaut, gäbe es vielleicht die Chance, ein wirklich außergewöhnliches Ereignis zu beobachten: Die Supernova eines schwarzen Zwergs!
Wir wissen, dass auch weiße Zwerge wieder zu leuchten anfangen können. Zum Beispiel, wenn sie irgendwo von außen neue Materie bekommen, etwa von einem sehr nahe gelegenen Nachbarstern. Dann wird der Zwerg immer schwerer, bis seine Masse irgendwann eine Grenzmasse überschreitet, so dass doch wieder Kernfusion einsetzen kann. Das ist dann ein sehr extremes Ereignis und der ganze Stern explodiert bei einer Supernova. Einem schwarzen Zwerg steht aber noch ein weiterer Weg zur Verfügung. Selbst wenn weit und breit kein anderer Stern in der Nähe ist, der Masse spenden könnte, können in seinem Inneren sogenannte pyconuklearen Fusionsreaktionen stattfinden. Normalerweise gibt es im Sterninneren die Kernfusion ja deswegen, weil dort die Temperatur und der Druck so hoch sind. Dadurch bewegen sich die Atome ausreichend schnell und sind ausreichend nahe beieinander, um miteinander verschmelzen zu können. In einem schwarzen Zwerg ist es kalt - aber der Druck ist eben auch enorm hoch und das reicht - vereinfacht gesagt - für die eine oder andere Fusion auch bei niedrigen Temperaturen. Im Laufe der Zeit kann so das Material im Inneren des Sterns immer weiter fusionieren bis irgendwann alles zu Eisen geworden ist. Dann hört jede normale Fusion auf, denn es braucht mehr Energie als man raus bekommen würde, um Eisenatome miteinander zu fusionieren. Ohne auf die Details eingehen zu wollen - es hat mit Quantenmechanik zu tun und mit der durch diese Fusionsreaktionen verursachte Veränderung im Verhältnis der Anzahl an Elektronen zur Anzahl an Atomkernteilchen im Stern - führt das irgendwann dazu, dass der schwarze Zwerg nicht mehr stabil ist. Er fällt in sich zusammen und es gibt eine Supernovaexplosion.
Allerdings nur, wenn das mit dem hypothetischen Protonenzerfall nicht zu schnell geht. Ein schwarzer Zwerg braucht eine gewisse Mindestmasse, um explodieren zu können und wenn die Protonen zu schnell zerfallen sollten, dann verringert sich auch seine Masse zu schnell. Und man muss lange warten. Mit dem explodieren der ersten schwarzen Zwerge ist in circa 10 hoch 1100 Jahren zu rechnen. Ich wüsste nicht, wie ich so einen Zeitraum veranschaulichen sollte, also lasse ich es einfach. Bis alle schwarzen Zwerg die das können, explodiert sind, wird es unvorstellbare 10 hoch 32.000 Jahre dauern. Eine 1, gefolgt von 32.000 Nullen! Matt Caplan, der Astronom der das ausgerechnet hat, sagt dazu: "Das wird das letzte interessante astronomische Phänomen sein, das im Universum stattfindet". Klingt ein wenig traurig. Aber andererseits ist es immer gut, wenn man etwas hat, auf das man sich freuen kann.
Sternengeschichten Folge 435: Der Kozai-Effekt
Heute geht es in den Sternengeschichten um etwas, das man "Kozai-Effekt" nennt. Oder "Kozai-Mechanismus". Oder "Kozai-Lidow-Effekt". Oder "von Zeipel-Lidow-Kozai-Effekt". Und alle anderen möglichen Kombinationen, je nachdem welchen von den Forschern die daran gearbeitet haben, man den Vorrang geben will. Bleiben wir bei dem japanischen Astronom Yoshihide Kozai und sagen "Kozai-Effekt"; das ist auch die übliche Bezeichnung. Die Namensgebung ist allerdings auch das einfachste an der Sache, es wird in dieser Folge ein wenig kompliziert. Aber nicht ZU kompliziert und zur Sicherheit fangen wir mal mit etwas ganz einfachem an. Nämlich mit einem Stern und ein paar Himmelskörper, die ihn umkreisen. Planeten, Asteroiden, und so weiter.
So etwas stellen wir uns ja gerne wie ein Uhrwerk vor. Die kleinen Himmelskörper sausen um ihren Stern herum, immer im Kreis und immer auf den gleichen Bahnen. Wenn wir das ganze dann irgendwo grafisch darstellen, machen wir das auch genau: Wir zeichnen einen Haufen Kreise um den Stern herum und verstärken dadurch noch den Eindruck, dass die Bahnen der Planeten und Asteroiden genau SO sind und auch so bleiben. Aber das ist falsch. Planetensysteme sind ein höchst dynamisches Phänomen. Da gibt es nichts, was sich nicht ändert. Das liegt, wie ich in den Sternengeschichten schon oft erzählt habe, an der Gravitationskraft. Jedes Objekt das eine Masse besitzt übt eine Gravitationskraft aus und zwar auf jedes andere Objekt mit einer Masse. Die Reichweite der Gravitationskraft ist theoretisch unbegrenzt, was genaugenommen heißt, dass ALLES im Universum von allem anderen beeinflusst wird. So kompliziert lassen wir es jetzt aber nicht werden, wir bleiben erstmal bei unserem Stern und ein paar Planeten und Asteroiden.
In erster Näherung stimmt das mit den unveränderlichen Bahnen schon. Die Erde zum Beispiel wankt ja jetzt nicht chaotisch durch das Sonnensystem. Sie zieht verlässlich ihre Runden um die Sonne, und braucht ebenso verlässlich 365,25 Tage um eine davon zu vollenden. Es gibt neben der Erde und der Sonne aber eben auch noch andere Himmelskörper im Sonnensystem. Die Gravitationskraft, die zum Beispiel der ferne Neptun auf die Erde ausübt, kann man aber erst mal vernachlässigen. Die ist wegen der enormen Distanz so gering, dass sie keinen relevanten Einfluss hat. Beim sehr viel näheren Mond sieht das aber schon anders aus. Beim weiter entfernten und sehr viel massereicheren Jupiter ebenso. Diese gravitativen Störungen der anderen Himmelskörper führen dazu, dass sich - auf ausreichend langen Zeiträumen betrachtet - die Bahn der Erde durchaus ändert. Sie wird ein bisschen größer und dann wieder ein bisschen kleiner. Sie ist mal kreisförmiger und mal ein wenig elliptischer. Sie wackelt ein bisschen hin und her. Die ganze Bahn dreht sich langsam um die Sonne herum. Würde man die Bahn der Erde tatsächlich als Strichspur im All sehen können und gäbe es einen "Fast Forward"-Knopf, mit dem man die Bewegung der Planeten beschleunigen könnte, dann würde man sehen, wie die Bahn wild pulsiert, sich dreht und windet. Allerdings nicht völlig chaotisch; es ist ein Pulsieren innerhalb gewisser Grenzen. Wäre es nicht so, dann hätte die Erde ja keine 4,5 Milliarden Jahre im Sonnensystem überlebt sondern wäre schon längst mit irgendeinem anderen Himmelskörper zusammengestoßen.
Die Bahnen von Himmelskörper - von ALLEN Himmelskörpern - ändert sich also im Laufe der Zeit. Darüber gäbe es noch sehr viel mehr zu erzählen; das ist immerhin der komplette Forschungegenstand der Himmelsmechanik. Um den Kozai-Effekt zu verstehen, werden wir uns jetzt aber auf einen speziellen Fall beschränken. Wir schauen uns nur ein sogenanntes "Dreikörperproblem" an, also die Bewegung von drei Objekten. Und noch mehr: Es geht um hierarchische Dreikörpersysteme. Das heißt, einer der drei Körper ist weit entfernt von den beiden anderen. Wir können zum Beispiel einen Satelliten betrachten, der die Erde in ein paar hundert Kilometer Abstand umkreist. Und als dritten Körper nehmen wir den 400.000 Kilometer entfernten Mond. Oder einen Asteroid, der sich nahe an einem Stern befindet und einen Planeten, der weiter draußen seine Runden zieht. Oder einen Planeten, der von einem Mond umkreist wird und als dritten Körper den weit von beiden entfernten Stern. Wie auch immer - damit wir nicht komplett durcheinander kommen, werde ich ab jetzt die beiden Objekte die sich nahe sind, als das "innere System" bezeichnen. Der dritte, weit entfernte Himmelskörper ist der "Störer". Und dann gehen wir noch davon aus, dass von den beiden Körpern des inneren Systems einer deutlich mehr Masse hat, als der andere. Was ja im Beispiel von Erde und Satellit oder Planet und Mond durchaus angenommen werden kann.
Jetzt können wir uns diesen Körper mit kleiner Masse genauer anschauen. Und damit meine ich keine astronomische Beobachtung mit dem Teleskop, sondern eine mathematische Analyse. Die Details lasse ich aus; in einem Podcast etwas vorrechnen ist immer ein wenig unattraktiv. Aber es gibt jede Menge Methoden, wie man die Bewegung dieses kleinen Körpers in Abhängigkeit der beiden anderen beschreiben kann. Wenn man das tut, dann kann man in diesem System auch eine Erhaltungsgröße finden. So etwas kennen wir ja auch aus anderen Systemen. Die Energieerhaltung zum Beispiel oder die Drehimpulserhaltung. Es kann aber auch diverse andere Erhaltungsgrößen geben, die nicht immer so anschaulich sein müssen. Das, um das es hier geht, nennt man ein "Integral der Bewegung". Wenn sich Objekte auf eine bestimmte Art und Weise bewegen, dann gibt es eine Zahl, die sich errechnen lässt und die sich während der Bewegung nicht ändert. Ich weiß, das klingt alles enorm abstrakt. Weil es genaugenommen auch enorm abstrakt ist. Aber ich probiere es mal anders zu veranschaulichen. Wenn ich in gerade Linie von zuhause fort gehe, dann ändert sich die Distanz zu meinem Ausgangspunkt. Das ist nicht sonderlich außergewöhnlich und je weiter ich laufe, desto größer wird der Abstand. Er ist also definitiv nicht konstant. Wenn ich nun messe, wie weit ich noch laufen muss, bis ich auf meiner Umrundung der Erde wieder am Ausgangspunkt bin, dann wird auch dieser Abstand sich ständig ändern. Auch er ist nicht konstant. Aber die Summe der beiden Werte ist immer gleich, egal wie weit ich gelaufen bin. Die eine Zahl wird in dem Ausmaß größer, in dem die andere kleiner wird. Das hat nichts mit dem Kozai-Effekt zu tun und auch nicht einmal wirklich etwas mit einem echten Integral der Bewegung. Es liegt einfach nur daran, dass die Erde eine Kugel ist und ihre Größe immer gleich bleibt. Aber es soll ja auch nur demonstrieren, dass man unter bestimmten Umständen eine mathematische Größe finden kann, die sich im Laufe einer Bewegung nicht verändert.
Genau so eine Größe gibt es auch im Fall des vorhin beschriebenen hierarchischen Dreikörperproblems. Nimmt man die Exzentrizität der Bahn des kleineren Körpers des inneren Systems und multipliziert sie mit sich selbst, zieht das Ergebnis von 1 ab, berechnet die Wurzel aus dem Resultat und multipliziert das ganze dann noch mit dem Cosinus der Bahnneigung, dann kriegt man ein Integral der Bewegung. Oder nochmal anders: Die Wurzel aus 1 minus e² mal dem Cosinus von i ist immer konstant. Es gibt gute Gründe, warum das so ist und man kann das durchaus ohne allzu große Probleme berechnen. Wir schauen aber lieber auf das, was das eigentlich heißt. Es geht um die Exzentrizität e und die Bahnneigung i der Bahn des kleinen Körpers. Also des Satelliten, der die Erde umkreist oder des Mondes, der sich um einen Planeten bewegt. Die Exzentrizität gibt an, wie stark die Bahn von der Kreisform abweicht. Und die Bahnneigung, wie stark die Bahn gegenüber einer Referenzebene - in unserem Sonnensystem ist das die Erdbahn - geneigt ist. In der Formel des Integrals der Bewegung kommen nur diese beiden Werte vor. Und weil das Integral der Bewegung konstant sein muss, folgt daraus, dass sich beide Werte zusammen nicht unabhängig voneinander ändern können. Wird die Bahnneigung größer, dann muss die Exzentrizität kleiner werden und umgekehrt.
Physikalisch liegt das daran, dass die Himmelskörper in so einer Konfiguration zwar Drehimpuls untereinander austauschen können, aber keine Energie. Das sind zwei klassische Erhaltungsgrößen, der Gesamtdrehimpuls aller drei Körper muss ebenso konstant bleiben wie die gesamte Energie im System. Wenn sie sich mit ihrer Gravitationskraft gegenseitig beeinflussen, dann können sie prinzipiell Energie und Drehimpuls austauschen. Die Energie äußerst sich dabei in der Größe der Umlaufbahn. Anders gesagt: Wird die Umlaufbahn eines Himmelskörpers größer, muss irgendwo anders eine Umlaufbahn kleiner werden, damit die Gesamtenergie erhalten bleibt. Für den Drehimpuls gilt das gleiche. Befinden sie sich drei Körper aber in der beschriebenen Konfiguration, dann findet kein Austausch von Energie statt. Die Umlaufbahnen bleiben alle gleich groß. Das einzige was sich ändern kann, ist der Drehimpuls und hier ist der Austausch an das Integral der Bewegung geknüpft. Es ermöglicht, vereinfacht gesagt, den Austausch von Exzentrizität in Bahnneigung. Ein bisschen so wie beim Geldwechseln: Exzentrizität und Bahnneigung sind zwei unterschiedliche Währungen und das Integral der Bewegung ist der Wechselkurs. Wenn ich also zum Beispiel einen Körper habe, mit kleiner Exzentrizität und großer Bahnneigung, also auf einer eher kreisförmigen Bahn, die stark geneigt ist, dann kann sie sich dank des Kozai-Effekts zu einer Bahn mit hoher Exzentrizität und kleiner Bahnneigung entwickeln. Das eine wird gegen das andere getauscht. Und umgekehrt geht es genau so.
Und jetzt wird das ganze schon ein bisschen weniger abstrakt. Stellen wir uns einen Kometen vor der sich in einer Kozai-Konfiguration befindet. Er hat eine einigermaßen kreisförmige Bahn, die dafür aber stark gegenüber der Erdbahn geneigt ist. Er wird nun von Jupiter gestört und die Bahn verändert sich. Wegen des Kozai-Effekts bleibt die Größe der Bahn der gleich. Am mittleren Abstand zwischen dem Komet und der Sonne ändert sich also nichts. Die Bahn wird aber deutlich elliptischer. Sie wird sehr viel langgestrecker als vorher und wenn die Größe dabei gleich bleiben muss, dann geht das nur, wenn der sonnennächste Punkt der Kometenbahn näher an die Sonne rückt als er vorher war. Ein Komet der dem Kozai-Effekt unterliegt wird also sehr viel näher als der Sonne vorbei fliegen als vorher und vielleicht sogar in sie hinein stürzen.
Damit dieses Wechselspiel von Exzentrizität und Bahnneigung stattfinden kann, braucht es eine bestimmte kritische Bahnneigung. Der Wert liegt bei circa 39 Grad: Unser Komet würde also erst dann anfangen, Bahnneigung gegen Exzentrizität einzutauschen, wenn seine Bahnneigung diesen Winkel überschreitet. Erst dann beginnen die für den Kozai-Effekt typischen Oszillationen von Exzentrizität und Bahnneigung. Die Exzentrizität steigt und steigt während die Bahnneigung sinkt. Wird die Bahn zu elliptisch, dann dreht sich das Spiel um. Sie wird wieder kreisförmiger, die Exzentrizität sinkt während die Bahnneigung steigt, bis der kritische Wert wieder überschritten ist und alles von vorne anfängt.
Dieser Mechanismus ist zwar etwas kompliziert, und es nicht unbedingt leicht zu sehen, warum es ihn geben muss. Aber er existiert und er spielt eine große Rolle bei der Bewegung von Himmelskörpern. Ein paar Monde des Jupiters und des Saturns etwa sind in genau so einer Konfiguration und zeigen Kozai-Oszillationen. Das kann unter Umständen auch schief gehen: Wird die Bahn eines Mondes zu exzentrisch, dann führt sie ihn immer näher an den Planeten heran. Dadurch werden die Gezeitenkräfte immer größer, bis der Mond davon auseinandergerissen und zerstört wird. Exzentrischen Bahnen sind prinzipiell gefährlich: Je langgestreckter die Bahn, desto größer die Chance, dass man einem anderen Himmelskörper in die Quere kommt und mit ihm kollidiert. Auch bei den Planeten anderer Sterne spielt der Kozai-Mechanismus eine Rolle. Dort haben wir immer wieder riesige Gasplaneten gefunden, die sich sehr nahe an ihrem Stern befinden. Diese "heißen Jupiter", wie sie genannt werden, können dort aber nicht entstanden sein. Sie müssen von weiter außen im System nach innen gewandert sein und der Kozai-Mechanismus kann hier beteiligt gewesen sein. Er kann dafür gesorgt haben, dass die Bahn eines Planeten immer exzentrischer wurde und er so dem Stern immer näher kam. Durch die Gezeitenkräfte zwischen Stern und Planet wurde der Kozai-Mechanismus dann aber irgendwann ausgehebelt und die Bahn wieder kreisförmig. So ist der Planet dort gelandet, wo er sich jetzt befindet.
Der Kozai-Mechanismus muss berücksichtigt werden wenn schwarze Löcher kollidieren, wenn sich Asteroiden durch ein Planetensystem bewegen oder wenn man Satelliten unter Kontrolle halten will. Er spielt immer dann eine Rolle, wenn sich Dinge bewegen und das ist überall im Universum. Er ist zugegebenermaßen nicht leicht zu verstehen wenn man die zugrundeliegende Mathematik nicht kennt. Aber es reicht fürs erste ja schon mal, wenn man weiß, dass es ihn gibt und für was er verantwortlich ist. Deswegen kommt jetzt noch mal alles in einem Satz: Der Kozai-Effekt beschreibt die periodische Veränderung der Bahn eines Himmelskörpers, bei der sich die Exzentrizität und Bahnneigung gegengleich verändern. Zum Klugscheißen auf der nächsten Party sollte das auf jeden Fall reichen.
Sternengeschichten Folge 434: Der (menschengemachte) Klimawandel
Ich habe in vergangenen Folgen der Sternengeschichten immer wieder mal über den Klimawandel gesprochen. Und werde das mit Sicherheit auch in Zukunft immer wieder tun. Es gibt kaum ein Thema, das so dauerhaft so enorm relevant für uns Menschen ist. Immerhin geht es um nichts weniger als um den Planeten auf dem wir leben. Um den EINZIGEN Planeten den wir kennen, auf dem Menschen überhaupt leben können. Und selbst wenn wir irgendwann mal irgendwo im All eine echte "zweite Erde" finden sollten, dann ist die viel zu weit entfernt, als das wir etwas damit anfangen könnten. Wenn man es etwas alarmistisch ausdrücken möchte, dann geht es beim Klimawandel darum, dass wir gerade dabei sind, den einzigen bekannten bewohnbaren Planeten unbewohnbar zu machen. Andererseits ist das aber auch nicht sonderlich übertrieben. Es ist durchaus angebracht, angesichts des Klimawandels alarmistisch zu sein. Und man kann sich auch gar nicht zu viel mit diesem Thema beschäftigen. Auch wenn man denkt, man hätte schon alles dazu gehört. Denn wenn wir Menschen wirklich schon alles dazu gehört hätten UND auch verinnerlicht, dann würde die Welt heute nicht so aussehen, wie sie es tut.
Aber fangen wir mal bei einer ganz anderen Frage an: Was hat eigentlich ein Astronom wie ich zu dem Thema zu sagen? Klimaforschung ist keine Astronomie, wieso glaube ich, dass ich da was relevantes dazu sagen kann? Und ja, Klimaforschung IST keine Astronomie. Und ich bin kein Klimaforscher. Aber zumindest auf einem sehr grundlegenden Level geht es beim Klimawandel darum, zu verstehen, wie ein Planet funktioniert. Und da hat die Astronomie natürlich schon auch etwas zu sagen. Und auch wenn es beim Klimawandel darum geht, wie wir Menschen uns verhalten und wie wir die Atmosphäre der Erde verändern, liegt dem ganzen doch die Wechselwirkung zwischen Erde und Sonne zugrunde. Es geht um die Art und Weise, wie die Sonnenstrahlung auf die Erde trifft und was dort mit ihr passiert. Und auch hier hat die Astronomie das eine oder andere beizutragen.
Das ändert nichts daran, dass Klimaforschung eine enorm komplexe Disziplin ist. Eben weil so viele verschiedene Wissenschaften zusammenkommen und zusammenarbeiten müssen. Immerhin ist ja auch die Erde ein sehr komplexes System. So gut wie ALLES spielt eine Rolle, wenn es ums Klima geht. Man muss die Atmosphäre verstehen, die Ozeane und die Kontinente. Man braucht die chemischen Prozesse, die geologischen und die astronomischen Vorgänge. Es geht darum, was wir Menschen treiben und es geht darum, was mit Pflanzen, Tieren und den Mikroorganismen passiert. Und so weiter. Diese enorme Komplexität kann ein wenig abschreckend wirken. Und viele Menschen behaupten auch, dass man genau deswegen ja überhaupt nicht wissen könne, was mit dem Klima passiert und vor allem nicht behaupten kann, dass wir Menschen was mit der Angelegenheit zu tun haben. Wenn alles so kompliziert ist, kann sich ja niemand so genau auskennen…
Was aber natürlich so nicht stimmt. Die Grundlagen des ganzen sind nämlich gar nicht so kompliziert. Die kann man sehr gut erklären und verstehen und deswegen werde ich das jetzt machen. Im Wesentlichen geht es um etwas, das man "Strahlungsbilanz" nennt. Also um die Fragen: Wie viel Strahlung gelangt von der Sonne auf die Erde? Was passiert dort damit? Und wie viel Strahlung gelangt von dort wieder zurück ins Weltall? Beziehungsweise ist es vielleicht besser, wenn man anstatt "Strahlung" den Begriff "Energie" verwendet. Das kommt aufs gleiche raus, denn Strahlung ist ja quasi nichts anderes als Energie. Und Energie kann nicht einfach verschwinden. Wenn wir also eine Strahlungsbilanz für die Erde erstellen, müssen wir darauf achten, dass wir nichts übersehen. Die gesamte Menge an Energie im System muss immer gleich bleiben, sonst haben wir irgendwo einen Fehler gemacht.
Ich werde es mir jetzt sparen, diese Bilanz wirklich mathematisch exakt zu erstellen, mit allen Zahlenwerten und so weiter. Es geht jetzt ums Prinzip und um zwei wichtige Punkte. Erstens: Wir sind hier nicht auf irgendwelche Vermutungen angewiesen. Strahlung zu messen ist etwas, was wir können. Und auch tun. Es ist vor allem auch keine obskure Geheimwissenschaft, sondern in der gesamten Physik absolut grundlegend. Nicht nur, wenn es um den Klimwandel geht. Wir WISSEN, wie sich Objekte verhalten, die angestrahlt werden. Wir wissen, wie und unter welchen Umständen sie Strahlung aufnehmen, reflektieren, sich erwärmen, abkühlen, und so weiter. Dieses WISSEN existiert schon seit langer Zeit und bildet eine der Grundlagen unserer gesamten Naturwissenschaft. Wer behauptet, wir könnten nicht verstehen, wie es mit der Strahlung zwischen Sonne und Erde aussieht, behauptet damit zwangsläufig auch, dass die moderne Naturwissenschaft falsch ist. Der zweite wichtige Punkt ist das, was wir "Treibhauseffekt" nennen. Darüber habe ich sehr ausführlich schon in Folge 241 der Sternengeschichten gesprochen. Deswegen hier nur die Kurzversion: Seit dem 19. Jahrhundert wissen wir, dass die Zusammensetzung der Erdatmosphäre einen Einfluss auf die Menge an Strahlung hat, die einerseits aus dem All auf den Boden gelangen kann und andererseits von dort zurück ins All. Die Strahlung der Sonne die auf die Erde trifft, ist kurzwellig. Wenn sie die Erde dann erwärmt, gibt die diese aufgenommene Energie aber in Form langwelligerer Wärmestrahlung wieder ab. Manche Moleküle - die sogenannten Treibhausgase - lassen kurzwellige Strahlung passieren, langwellige aber nicht. Wie das genau funktioniert könnt ihr in Folge 241 nachhören, das Resultat aber ist der Treibhauseffekt. Je mehr Treibhausgase wie zum Beispiel Kohlendioxid, Methan oder Wasserdampf wir in der Atmosphäre haben, desto weniger Wärmestrahlung kann die Erde zurück ins All abstrahlen. Und desto weiter heizt sie sich auf.
Womit wir wieder bei der Strahlungsbilanz wären. Denn das ist natürlich ein Faktor, den wir dort berücksichtigen müssen. Wir können ja auch die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre messen. Und müssen den Treibhauseffekt in der Bilanz berücksichtigen. Würde man einfach so tun, als wären gar keine Treibhausgase in der Atmosphäre oder als hätten sie keinen Effekt, dann wäre die Strahlungsbilanz am Ende falsch. Die Rechnung geht nur dann auf, wenn wir den menschengemachten Treibhauseffekt inkludieren. Trotz aller Komplexität der Klimaforschung ist es also völlig klar und unbestritten, dass die Erde sich erwärmt. Das ist keine Vermutung, das ist keine reine Behauptung, sondern das Resultat ganz konkreter Messungen und genau das, was uns die selben Naturgesetze sagen, die auch den Rest der Naturwissenschaft bestimmen.
Und wir können uns auch nicht aus der Affaire ziehen in dem wir behaupten, das ganze Kohlendioxid wäre gar nicht von uns Menschen verursacht worden. Es gibt zwar jede Menge natürliche Prozesse, die ebenfalls CO2 in die Atmosphäre entlassen. Das ist der sogenannte Kohlenstoffzyklus, den ich sehr ausführlich in Folge 242 der Sternengeschichten vorgestellt habe. Aber in diesen stabilen Kreislauf haben wir Menschen vor knapp 150 Jahren massiv eingegriffen. Wir haben Kohlenstoff in Form der fossilen Brennstoffe aus der Erde gegraben, in unseren Autos, Häusern, Kraftwerken und Fabriken verbrannt und so Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. In geologisch enorm kurzer Zeit haben wir enorm große Mengen an CO2 freigesetzt; CO2 das eigentlich für sehr, sehr viel längere Zeiträume in der Erde gespeichert hätte bleiben sollen. In einem einzigen Jahr pusten wir so viel CO2 in die Luft wie sich in circa einer Million Jahre durch die natürlichen Kreisläufe in der Erde eingelagert hat. Es ist nicht überraschend, dass das die Dinge ein wenig durcheinander bringt. Wir sehen an den Messungen, dass die Menge an CO2 seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert kontinuierlich steigt, genau so wie es zu erwarten war, als wir angefangen haben, fossile Brennstoffe zu nutzen. Wir sehen, wie gleichzeitig die Temperatur der Atmosphäre ansteigt, genau so wie es zu erwarten war, weil CO2 ein Treibhausgas ist. Wir können anhand von chemischen Unterschieden im Kohlenstoff sogar eindeutig feststellen, dass es das CO2 aus den fossilen Brennstoffen ist, dass sich in unserer Atmosphäre anreichert. Wenn man also nicht die komplette Wissenschaft leugnet, dann folgt aus all dem ohne jeden Zweifel: Wir Menschen haben durch unsere Aktivitäten eine zusätzliche Erwärmung der Erde verursacht. Der Klimawandel ist menschengemacht.
Und selbst wenn er es nicht wäre - was nicht stimmt! - würde das nichts daran ändern, dass dieser Klimawandel schlecht für uns ist. Ja, wir wissen, dass es auch in der Vergangenheit der Erde immer wieder Änderungen im Klima gegeben hat. Es gab Phasen in der Geschichte unseres Planeten, in dem es wesentlich heißer war als heute. Es gab auch Zeiten, in denen die Erde sehr viel kälter war. Ganz ohne Menschen. Ich habe davon in den Folgen 55 und 209 mehr erzählt. Daraus folgt aber erstens nicht, dass wir Menschen nicht auch in der Lage sind, das Klima zu verändern. Und zweitens ist das, was jetzt passiert, etwas völlig anderes. Die früheren Veränderungen im Klima haben sich im Laufe von sehr langen Zeiträumen abgespielt. Jetzt läuft die Erwärmung der Erde dramatisch schneller ab. Das ist auch der Grund, warum der Begriff "Klimawandel" eigentlich völlig irreführend ist. Es ist eben nicht einfach "nur" ein weiterer Wandel des Klimas in der Geschichte der Erde. Das, was wir jetzt erleben, ist eine Klimakrise. Die uns alle besorgt machen sollte. Selbst wenn man sich auf einen egoistischen Standpunkt zurückzieht und sich darüber freut, dass es jetzt im Winter nicht mehr so kalt ist. Denn eine globale Erderwärmung ist eben global! Wenn es bei uns im Winter nicht mehr so kalt ist, ist es im Sommer dafür sehr viel heißer. Sommerliche Höchsttemperaturen in Mitteleuropa von 40 Grad Celsius waren bisher die Ausnahme. In Zukunft werden sie regelmäßig auftreten. Und dort wo es jetzt schon heiß ist, wird es noch heißer werden. Vor allem aber heißt Erderwärmung ja nicht nur, dass alles einfach nur wärmer wird. Zu Beginn habe ich gesagt, dass es nicht nur um Strahlung geht, sondern um Energie. Klimawandel bedeutet, dass wir immer mehr Energie in die Atmosphäre stecken. Und deswegen dort alles sehr viel heftiger ablaufen wird als jetzt. Extremes Wetter wird häufiger. Dürre, Überschwemmungen, Waldbrände: All das wird durch immer mehr Energie in der Atmosphäre angefeuert. Die globalen Luft- und Wasserströmungen werden durcheinander gebracht was eben AUCH dazu führen kann, dass Luft, die sich ansonsten nur in der Nähe der Pole bewegt, nun auch ab und zu Ausflüge in gemäßigtere Breiten macht. Und dann haben wir - trotz Erderwärmung - immer wieder massive Kältewellen.
Ich weiß, das klingt alles sehr katastrophal. Das will man nicht hören. Aber es IST eben leider auch katastrophal und es wird nicht weniger unangenehm, wenn wir so tun, als wäre nichts. Das Problem bei der Klimakrise ist ja, dass wir sie uns immer irgendwie in der Zukunft vorstellen. Dort ist sie aber nicht; sie ist in der Gegenwart und wir stecken mitten drin. Selbst wenn wir heute aufhören würden, neue Treibhausgase freizusetzen - was wir nicht tun, ganz im Gegenteil - aber selbst wenn, dann würde das erstmal noch keinen großen Effekt haben. Denn die ganzen Treibhausgase die jetzt schon in der Atmosphäre vorhanden sind, verschwinden ja nicht einfach. Sie können dort für Jahrzehnte bis Jahrtausende bleiben. Wir haben den Zeitpunkt längst verpasst, an dem wir die Klimakrise abwenden hätten können. Jetzt geht es nur noch darum zu entscheiden, wie schlimm sie werden wird.
Und natürlich ist es ein wenig entmutigend, wenn man als einzelner Mensch vor dem gesamten Planeten steht. Wie soll man das aufhalten; wie soll man da etwas dagegen tun? Wir müssen auf dem gleichen Weg aus der Krise hinaus, auf dem wir hinein geschlittert sind: Alle zusammen! Das ganze CO2 ist ja nicht plötzlich aus dem Weltall in unsere Atmosphäre geplumpst. Es ist dort, weil einzelne Menschen Dinge gemacht haben, die für sich allein genommen keine Auswirkungen haben. In Summe aber schon. Weil wir alle Tag für Tag kleine, unscheinbare Entscheidungen getroffen haben. Als Privatpersonen. Als Verantwortliche in den Firmen in denen wir arbeiten. Als Politikerinnen und Politiker. Und so weiter. Wir alle, als Summe sehr vieler einzelner Menschen haben die ganzen Treibhausgase in die Atmosphäre gebracht. Und es ist falsch zu behaupten, es könnte jetzt, wo der ganze Dreck da drin ist, ein einzelner Mensch nichts dagegen tun. Eine einzige Person allein kann natürlich nichts machen. Aber wir alle zusammen schon. Wir können die Lösung des Problems nicht auf die Zukunft schieben. Ja, es lohnt sich, an so etwas der Kernfusion zu forschen. Es lohnt sich, Wasserstoffantriebe zu untersuchen. Und so weiter. Das alles sind spannende Technologien. Aber sie werden eben erst in der Zukunft verfügbar sein. Dann ist die Sache mit der Klimakrise aber schon längst erledigt, auf die eine oder die andere Weise. Wir müssen jetzt etwas tun. Und es GIBT ja schon alle Technologien, die wir brauchen würden, um der Klimakrise entgegen zu treten. Wir wissen, wie man Energie produzieren kann, ohne Treibhausgase freizusetzen. Wir wissen, welche unserer Tätigkeiten klimaschädlich sind und welche Alternativen es gibt. Wir müssen nicht warten, bis irgendeine Wundermaschine erfunden wird, die uns retten kann. Wir müssen uns halt einfach nur ein wenig verändern.
Wir können die Lösung der Probleme auch nicht auf “die anderen” schieben. Wenn alle darauf warten, bis "die anderen" - wer auch immer das sein soll - endlich mal was tun, wird gar nichts getan. WIR müssen uns um die Lösung kümmern. Jeder einzelne von uns. All unsere Handlungen haben Konsequenzen. Wir können Einfluss nehmen. Durch das, was wir als Privatpersonen in unserem Alltag tun. Durch die Politikerinnen und Politiker die wir wählen. Durch die Produkte von Firmen die wir kaufen oder nicht kaufen. Durch das was wir essen, wie wir uns fortbewegen und durch das was wir fordern, durch das was wir kommunizieren. Wir Menschen sind ja eigentlich nicht dumm. In den letzten 150 Jahren haben wir grandiose Fortschritte gemacht. Die Lebensgrundlage aller Menschen hat sich verbessert; wir haben die Welt und das Universum auf völlig neue Art und Weise verstanden. Wir haben Dinge geschaffen, die sich unsere Vorfahren nicht einmal vorstellen können. Wir dürfen eben nur nicht die Augen vor dem Preis verschließen, den wir dafür gezahlt haben. Die Klimakrise gehört zu den negativen Folgen des Fortschritts. Das kann und darf man nicht ignorieren. Wir Menschen sind nicht dumm. Wir können uns ändern; darin sind wir eigentlich sogar recht gut. Wir wissen, was wir tun müssen. Also tun wir es doch. Die Erde ist zu einzigartig im Universum, um sie zu ruinieren.
Sternengeschichten Folge 433: KIC 8462852 und die angebliche Alien-Zivilisation
KIC 8462852 ist nicht unbedingt ein griffiger Name für einen Stern. Es ist ja auch eigentlich kein echter Name, sondern einfach nur seine Bezeichnung im "Kepler Input Catalog", der Datenbank an Sternen, die das Kepler-Weltraumteleskop untersucht hat. Es kommt bei den Sternen ja aber auch nicht auf den Namen oder die Bezeichnung an. Sondern auf das, was wir bei ihrer Beobachtung lernen können. Und bei KIC 8462852 ist das jede Menge!
Kennen tun wir diesen speziellen Stern so sehr lange. Er taucht schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in diversen Sternkatalogen auf. Er befindet sich im Sternbild Schwan und ist ungefähr 1470 Lichtjahre von der Erde entfernt. Er ist ein wenig schwerer und größer als unsere Sonne, ein klein wenig heißer und leuchtet circa drei mal so hell. Wie alt der Stern ist, wissen wir noch nicht so genau, aber er ist vermutlich noch sehr jung, ein paar hundert Millionen Jahre nur. Mit freiem Auge ist KIC 8462852 nicht zu sehen; da braucht es schon ein halbwegs starkes Teleskop. Kurz gesagt: Das Ding unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht sonderlich von den Milliarden anderen Sternen in unserer Milchstraße. Es ist halt ein Stern.
Das hat sich im Jahr 2015 geändert. Also KIC 8462852 ist schon immer noch ein Stern. Aber eben einer, der sich deutlich von allen Sternen unterscheidet, die wir bisher beobachtet hatten. Das Weltraumteleskop Kepler hat zwischen 2009 und 2018 sehr viele Sterne beobachtet. Fast 200.000 und natürlich ist es da nicht möglich, alle Daten sofort und letztgültig auszuwerten. Das eigentliche Ziel von Kepler war die Suche nach extrasolaren Planeten. Um herauszufinden, ob ein Stern von einem Planeten umkreist wird, hat Kepler nach Helligkeitsschwankungen gesucht. Ändert ein Stern seine Helligkeit periodisch, dann kann das ein Zeichen dafür sein, dass ein Planet um ihn kreist und von uns aus gesehen in regelmäßigen Abständen immer ein bisschen Sternenlicht blockiert. Unterstützung bei dieser Suche kam von der Öffentlichkeit. Beim Projekt "Planet Hunters" konnten alle, die wollten, die Helligkeitsmessungen von Kepler anschauen und dort nach charakteristischen Schwankungen suchen. Oder nach anderen Dingen, die irgendwie auffällig sind.
Das war bei KIC 8462852 der Fall. Seine Helligkeit änderte sich, aber nicht periodisch und nicht nur ein bisschen. Sondern ziemlich wild und teilweise wurde der Stern um 22 Prozent dunkler. Ein Planet kann so etwas nicht verursachen; der ist im Vergleich zum Stern so klein, dass er dessen Licht nur um Bruchteile eines Prozents verdunkeln kann. Was er dann auch auf jeden Fall regelmäßig tut. Die amerikanische Astronomin Tabetha Boyajian, zuständig für das Planet-Hunters-Projekt, sah sich die Sache genauer an. Und veröffentlichte gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen im September 2015 einen Artikel über den Stern. Er hatte den Titel "KIC 8462852 - Where's the Flux?". Mit "Flux" ist das Sternenlicht gemeint und die große Frage war: Wo ist es hin und warum ist dieser Stern so komisch dunkler geworden? Und jetzt kann ich auch endlich aufhören, "dieser Stern" oder "KIC 8462852" zu sagen. Nach dieser Veröffentlichung wurde "dieser Stern" schnell als "Tabby's Stern" bekannt, nach dem Spitznamen von Tabetha Boyajian. Manche nannten ihn auch "WTF-Stern", was sich einerseits auf das "Where's the Flux" im Titel der Forschungsarbeit bezieht. Andererseits aber auch auf die gebräuchliche englische Abkürzung die - sagen wir es mal familienfreundlich - großes Erstaunen ausdrückt.
Also. WTF. Was ist los mit Tabbys Stern? Die Daten zeigen, dass es dort am 5. März 2011 den ersten außergewöhnlichen Helligkeitseinbruch gab. Innerhalb eines Tages wurde seine Helligkeit um 16 Prozent geringer, einen Tag später war dort alles wieder normal. Am 28. Februar 2013 kam die nächste große Verdunkelung. Zuerst sank die Helligkeit nur um 1,5 Prozent für drei Tage. Dann ging es aber gleich um 22 Prozent runter und diese Verdunkelung war erst zwei Tage später wieder vorbei. Knapp drei Wochen später wurde es nochmal dunkler, diesmal nicht ganz so stark. Und nochmal knapp 5 Wochen später sank die Helligkeit ein weiters Mal für zehn Tage.
Das ist außergewöhnlich. So was macht ein Stern normalerweise nicht. Einen Planeten kann man definitiv als Ursache für diese Helligkeitsschwankungen ausschließen. Aber es gibt ja noch jede Menge andere Gründe, aus denen ein Stern seine Helligkeit verändern kann. Zum Beispiel, wenn er Teil eines Doppelsternsystems ist. Dann ändert der Stern selbst zwar seine Helligkeit nicht. Aber wenn die beiden Sterne sehr dicht aneinander stehen, dann erscheinen sie uns aus der Ferne wie EIN Stern und je nachdem, ob die beiden von uns aus gesehen nebeneinander oder hintereinander stehen, ändert sich die von uns beobachtete Helligkeit. Tatsächlich hat Tabbys Stern einen Begleiter; einen kleinen roten Zwergstern. Der ist aber sehr weit weg und kann mit den Helligkeitsschwankungen nichts zu tun haben. Sterne können auch von sich aus ihre Helligkeit verändern. Davon habe ich in den Folgen 64 und 65 ja schon ausführlicher erzählt. Sie tun das, wenn in ihrem Inneren spezielle Prozesse ablaufen, die zu Temperatur- und Größenschwankungen führen. Tabbys Stern ist aber eigentlich nicht die Art von Stern, die so etwas macht und die Schwankungen passen auch nicht zu dem, was man erwarten würde.
Boyajian und ihre Kolleg:innen haben noch weitere Hypothesen untersucht, die wir uns später noch anschauen werden. Über ein Thema haben sie in ihrem Fachartikel allerdings nicht gesprochen. Das Thema, das sämtliche Medienberichte über Tabbys Stern dominiert, taucht dort nicht auf. Dafür aber in einem Interview, in dem sich ein Kollege von Boyajian geäußert und das eine Wort verwendet hat, das verlässlich immer für gewaltige Aufregung sorgt: Aliens! Der Astronom Jason Wright wurde darin mit dem Satz "[D]as sieht so aus wie etwas, das eine außerirdische Zivilisation gebaut haben könnte". Unmittelbar davor sagte er zwar auch "Außerirdische sollten immer die letzte Hypothese sein, die man zur Erklärung von etwas heranzieht.". Aber wenn die Aliens einmal im Spiel sind, interessieren sich die meisten Medien nicht mehr sonderlich für irgendeine kritische Einordnung. Fortan war Tabbys Stern der Stern mit den außerirdischen "Megastrukturen". Und damit ist etwas gemeint, das man auch unter den Namen "Dyson-Sphäre" oder "Dyson-Schwarm" kennt. Ich habe darüber in Folge 159 gesprochen: Im Prinzip geht es darum, dass eine technisch sehr weit fortgeschrittene Zivilisation sich Gedanken darüber macht, wie man möglichst viel Energie eines Sterns nutzen kann. Auf der Erde kriegen wir zum Beispiel ja nur die Sonnenenergie, die auch auf unseren Planeten trifft. Der ganze Rest der Sonnenstrahlung verschwindet ungenutzt von uns in alle anderen Richtungen im All. Wenn man nun aber eine Kugelschale um die Sonne bauen würde, könnte man die gesamte Energie auffangen und nutzen. So ein Ding wäre eine Dyson-Sphäre, und es ist quasi unmöglich, es zu bauen. Immer noch sehr unmöglich, aber ein kleines bisschen weniger ist ein "Dyson-Schwarm", bei dem man den Stern nicht mit einer geschlossenen Schale sondern mit jeder Menge gigantischer Sonnenkollektoren umgibt. Und ja, so etwas würde tatsächlich dafür sorgen, dass wir Helligkeitsschwankungen sehen. Je nachdem wie viele von diesen Kollektoren gerade aus unserer Sicht vor dem Stern vorbei ziehen, würde sich dessen Licht verdunkeln. Es müsste aber ein Dyson-Schwarm unter Konstruktion sein. Denn die Schwankungen waren ja unregelmäßig und kamen in großen Abständen. Vielleicht haben wir auch gesehen, wie die Aliens irgendwelche großen Asteroiden und Planeten gesprengt haben, um das Material für ihre Konstruktionen zu gewinnen und die Verdunkelung kam durch den ganzen dabei erzeugten Staub zustande? Oder es war ein Alienkrieg im Gange und irgendwer hat eine gigantische Strahlenkanone benutzt um einen Planeten zu zerstören?
Man kann nach Lust und Laune spekulieren; mit echter Wissenschaft hat das allerdings wenig zu tun. Das ist wichtig, das sollte man sich auf jeden Fall merken: Nur weil man nicht weiß, was die Ursache für ein Phänomen ist, folgt daraus NICHT, das jede beliebige Ursache in Frage kommt und jede beliebige Ursache gleich wahrscheinlich ist! Aliens sind zumindest theoretisch eine Möglichkeit, die Helligkeitsschwankungen von Tabbys Stern zu erklären. Andererseits kann man ausreichend fortschrittliche Aliens ja auch als Erklärung für so gut wie alles heranziehen. Und vor allem: Es gibt nicht mal ansatzweise einen Beleg dafür, dass irgendwo solche fortschrittlichen Aliens existieren und an ihren Sternen rumbasteln. Auch Tabbys Stern ist kein solcher Beleg. Dafür sind die Daten alles andere als eindeutig genug. Denn es gibt noch ausreichend andere Erklärungsansätze die nicht nur deutlich wahrscheinlicher sind sondern - im Gegensatz zu megaschlauen Aliens - von denen wir auch wissen, dass sie tatsächlich möglich sind, weil wir entsprechende Prozesse anderswo im Universum schon beobachtet haben.
Gehen wir lieber nochmal zurück zur echten Wissenschaft. Natürlich hat man den Stern weiter beobachtet. Und es gab weitere Verdunkelungsphasen, die ebenso seltsam waren wie die zuvor. Und man hat natürlich auch weiter darüber nachgedacht, was die Ursache dafür sein kann. Ein einzelnes Objekt kann es kaum sein. Es müsste gewaltig groß sein und komplett unvorhersagbar am Stern vorüber ziehen. Sowas machen Himmelskörper nicht. Aber Staub ist ein guter Kandidat. Staubwolken können enorm groß sein, sie können das Licht eines Sterns ebenfalls verdunkeln und vor allem kann sich die Größe und Dichte so einer Staubwolke vergleichsweise schnell ändern. Nur: Wo käme der Staub bei Tabbys Stern her? Er könnte zum Beispiel Ringe aus Staub haben; bei jungen Sternen wäre sowas durchaus möglich. Es könnte sich auch um einen Schwarm von Kometen handeln, die den Stern umkreisen und ihm dabei sehr nahe kommen. Durch die Erwärmung der Kometen würden sie auftauen und es käme immer wieder zu neuen "Staubausbrüchen". Solche dichten und großen Ansammlungen von Kometen sind allerdings eher ungewöhnlich. Es gäbe noch weitere Hypothesen, aber neue Beobachtungen haben die Sachlage ein wenig eingeschränkt.
Man hat zuerst einmal festgestellt, dass es sich wirklich um Staub handelt. Neue Beobachtungen haben gezeigt, dass der blaue Anteil des Lichts stärker abgeschwächt wird als der rote Anteil. Das ist genau das, was Staub mit Sternenlicht macht. Wäre es ein massives Objekt, also zum Beispiel irgendeine Alien-Struktur, würde man erwarten, dass alle Teile des Lichts gleichmäßig abgeschwächt werden. Man hat außerdem beobachtet, dass der Stern als ganzes dunkler wird. Nicht schnell, das ist ein Vorgang, der sich im Laufe von Jahrhunderten abspielt. Und dann hat man auch noch andere Sterne gefunden, die ein ähnliches Verhalten wie Tabbys Stern zeigen. Das alles sind deutliche Hinweise darauf, dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelt, der vielleicht selten ist, aber nichts mit Aliens zu tun hat.
2019 haben Forscherinnen und Forscher eine Möglichkeit gefunden, wie sich all das erklären lässt. Das ganze läuft so: Der Stern wird von einem Planeten umkreist. Und der Planet von einem Mond. Vielleicht ist da noch ein weiterer Planet in größerer Entfernung, den braucht es aber nicht zwingend, denn da ist ja auch noch der vorhin erwähnte kleine Begleitstern. Wichtig ist nur, dass da zwei Himmelskörper sind, die über ihre Gravitationskraft miteinander wechselwirken können. Unter bestimmten Bedingungen kann das dazu führen, dass der Planet mit seinem Mond auf eine Bahn gerät, die ihn immer näher an den Stern heranführt. Dann kann der Planet vom Stern verschluckt werden; der Mond, der dadurch plötzlich aus dem gravitativen Griff seines Planeten entlassen wird, aber übrig bleiben. Er befindet sich nun in einer engen Umlaufbahn um den Stern und wird aufgeheizt. Nicht nur das: Er wird regelrecht Schicht für Schicht verdampft. Das führt einerseits dazu, dass sich im Laufe der Zeit eine immer dickere Schicht an Staub um den Stern bildet. Der Stern würde dadurch, wie beobachtet, langsam immer dunkler. Der Mond beziehungsweise seine Reste, sind aber immer noch da und umkreisen den Stern. Er zieht jetzt eine gewaltige Staubspur hinter sich her, immer wieder kommt es durch die Aufheizung zu neuen Staubausbrüchen. Der Staub kann im Laufe der Zeit auch verklumpen und größere Brocken bilden. Aus unserer Sicht sehen wir mal den ganzen Mond vor dem Stern vorüberziehen, inmitten seiner enormen Staubwolke. Mal aber auch nur die Ausläufer des Staubschweifs; mal dickere Klumpen im Staub und mal nicht. Wenn die Bahn des Mondes dann aus unserer Sicht auch noch ein wenig geneigt ist, führt das dazu, das wir nicht alle Verdunkelungsereignisse beobachten können. Wir würden ein unregelmäßiges Muster sehen, genau so wie wir es ja auch tun.
Es braucht eine spezielle Konfiguration von Stern, Mond und Planet damit sowas passieren kann. Das wird nicht häufig vorkommen, aber es gibt viele Sterne da draußen und bei ein paar von ihnen WIRD es vorkommen. Weswegen wir solche Objekte wie Tabbys Stern und ein paar andere ähnliche Sterne beobachten können.
Das klingt alles sehr plausibel. Auf jeden Fall plausibler als irgendwelche Alien-Baustellen. Und, wenn man sich einmal von der Vorstellung gelöst hat, dass nur Außerirdische spannend sein können, es ist auch ein wirklich faszinierender Vorgang. Wir beobachten die langsame Zerstörung eines Himmelskörpers; etwas, was vermutlich überall im Universum immer wieder Mal vorkommt. Etwas, was wir in unserem eigenen Sonnensystem - zum Glück - nicht beobachten können. Aber Tabbys Stern gibt uns einen Blick auf diesen Prozess. Oder auch nicht. Denn genau können wir es natürlich immer noch nicht wissen. Es wird noch viel mehr Beobachtungsdaten brauchen, bevor wir uns sicher sein können, was dort abgeht. Und wahrscheinlich entdecken wir unterwegs noch ein paar neue, seltsame Phänomene. Das Universum wird nicht aufhören, uns zu überraschen.
Sternengeschichten Folge 432: Wiedergeborene Blaue Nachzügler
Ein Stern entsteht irgendwann aus einer großen Wolken voll Gas und Staub. Dann tut er ein paar Millionen oder Milliarden Jahre lang das, was Sterne so tun. In seinem Inneren fusionieren Atome miteinander und er leuchtet mit der dabei entstehenden Energie. Und wenn der Brennstoff irgendwann mal alle ist, ist das Leben des Sterns zu Ende. Kein Stern lebt ewig. Aber manche Sterne leben länger, als sie es eigentlich tun dürften. Es geht heute allerdings nicht um "Zombie"-Sterne, obwohl es so etwas ähnliches in der Astronomie tatsächlich gibt (aber das ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten). Es geht um Sterne, die man "Blaue Nachzügler", oder, etwas üblicher mit dem englischen Fachbegriff "Blue Stragglers" nennt.
Um die Geschichte dieser ganz besonderen Sterne zu verstehen, muss ich noch einmal kurz das wiederholen, was ich vor sehr langer Zeit schon einmal ausführlich erklärt habe; nämlich in Folge 6 der Sternengeschichten, als es um das Hertzsprung-Russell-Diagramm ging. Dieses in der Astronomie enorm wichtige Diagramm besagt - sehr kurz erklärt - dass Sterne nicht beliebige Kombinationen von Helligkeit und Temperatur haben können. Bestimmt man diese Werte für eine Gruppe von beliebigen Sternen und zeichnet sie in einem Diagramm ein, auf dem an der einen Achse die Helligkeit aufgetragen wird und auf der anderen die Temperatur, dann findet man die Sterne da nicht einfach irgendwo verteilt. Sondern alle entlang einer Linie, die sich von links oben nach rechts unten erstreckt. Also von den heißen, hellen Sternen hin zu den kühlen und dunklen.
Der Grund dafür ist die Art und Weise, wie ein Stern funktioniert. Je mehr Masse ein Stern hat, desto größer sind Druck und Temperatur in seinem Inneren. Desto schneller kann dort auch die Kernfusion ablaufen und desto größer ist seine Leuchtkraft. Ein massereicher Stern hat gar keine andere Wahl, als heiß und hell zu sein; ebenso kann ein kleiner Zwergstern nicht anders, als kühl und schwach zu leuchten. Das gilt allerdings nur solange, wie im Inneren des Sterns die normalen Kernfusionsprozesse ablaufen. Neigt sich das Leben eines Sterns dem Ende zu, dann ändert sich das Bild. Unsere Sonne zum Beispiel ist derzeit ein ganz normaler Hauptreihenstern, also ein Stern, der genau auf dieser speziellen Linie im Hertzsprung-Russell-Diagramm liegt.
Sie hat sich dort exakt an dem Punkt eingeordnet, den die physikalischen Vorgänge für einen Stern ihrer Masse vorgesehen haben. Und an diesem Punkt im Diagramm bleibt die Sonne auch. Das wird sich erst in circa 5 bis 6 Milliarden Jahren ändern. Dann wird die Sonne beginnen sich langsam aufzublähen, sie wird immer größer werden bis sie ein sogenannter Roter Riese geworden ist. Sie ist dann sehr groß und leuchtet sehr hell. Aber sie ist auch sehr kühl, eben weil sie sich so stark aufgebläht hat und ihre Dichte gesunken ist. Die Sonne wird dann kein Hauptreihenstern mehr sein, sondern landet im Hertzsprung-Russell-Diagramm auf dem sogenannten "Roten-Riesen-Ast", in der oberen rechten Ecke, über der Hauptreihe. Da die Kernfusion im Inneren der Sonne aber immer weiter zum Erliegen kommt, wird auch dieses Stadium irgendwann enden und aus dem roten Riesen wird ein Weißer Zwerg. Das ist der kleine, aber heiße Rest, der innere Kern der Sonne in dem dann keine Fusion mehr stattfindet. Aus der oberen rechten Ecke wandert die Sonne im Diagramm also in die linke untere Ecke, wo die heißen, aber schwach leuchtenden Objekte zu finden sind.
Das hat alles noch nichts mit den Blauen Nachzüglern zu tun, ist aber trotzdem wichtig. Der Weg der Sonne durch das Hertzsprung-Russell-Diagramm ist typisch; das machen alle Sterne so. Sie reihen sich nach der Geburt auf ihrem Platz entlang der Hauptreihe ein und verlassen sie, wenn die Kernfusion in ihrem Inneren zum Erliegen kommt. Interessant wird es nun, wenn wir uns nicht einfach irgendwelche Sterngruppen anschauen, sondern die Sterne eines Sternhaufens. Das sind, wie der Name ja mehr als deutlich sagt, Sterne, die sich unter ihrer gemeinsamen Gravitationskraft zu einem Haufen angeordnet haben. Nicht wie ein Haufen Orangen im Supermarkt natürlich. Aber die Sterne eines Haufens befinden sich im Allgemeinen deutlich näher beieinander, als es Sterne tun, die nicht Teil eines Haufens sind, so wie unsere Sonne.
Außerdem sind die Sterne eines Haufens alle Geschwister. Sie sind alle gemeinsam aus der gleichen großen kosmischen Wolke entstanden. Nicht alle exakt zum gleichen Zeitpunkt, aber nach astronomischen Zeitskalen gerechnet nicht lange hintereinander. Nimmt man nun NUR die Sterne eines Sternhaufens und zeichnet nur für sie ein Hertzsprung-Russell-Diagramm, dann sieht das zu Beginn noch völlig normal aus. Jeder Stern hat nach der Geburt eine unterschiedliche Masse, je nachdem was der Zufall der Sternentstehung da gerade zustande gebracht hat. Die massereichen Sterne liegen links oben im Diagramm, die leichteren rechts unten; wir kriegen eine ganz normale Hauptreihe. Wenn wir aber ein paar 100 Millionen Jahre warten, hat sich das Bild geändert. Denn je mehr Masse ein Stern hat, desto kürzer ist sein Leben. Ein Stern der heißer brennt, ist auch schneller mit der Kernfusion durch; sein Brennstoff ist früher aufgebraucht. Das heißt, die ersten Sterne die die Hauptreihe eines Sternhaufens verlassen, sind auch die massereichsten. Wir werden nun also eine verkürzte Hauptreihe sehen; die heißen und hellen Sterne oben links fehlen, weil sie schon in Richtung roter Riesenast abgebogen sind. Warten wir noch ein wenig länger, wird die Hauptreihe noch kürzer sein. Und so weiter.
Das ist nicht nur interessant, sondern auch ein wichtiges Werkzeug. Denn aus diesem "Abknickpunkt" der Hauptreihe kann man wunderbar das Alter eines Sternhaufens bestimmen. Je älter er ist, desto mehr seiner Sterne haben die Hauptreihe schon verlassen. 1953 hat der amerikanische Astronom Allan Sandage genau so eine Altersbestimmung im Kugelsternhaufen M3 durchgeführt. Und dabei ist ihm etwas seltsames aufgefallen. Die Hauptreihe war verkürzt und daraus ließ sich ein Alter von circa 11 Milliarden Jahren ableiten. Aber Sandage hat eine Gruppe von Sternen gefunden, die hinter dem Abknickpunkt lagen. Heiße, blau leuchtende Sterne mit einer Masse, die zu groß war als dass sie noch existieren dürften. Alle anderen Sterne des Haufens mit ähnlicher Masse waren längst in Richtung roter Riesenast gewandert. Nur diese komischen blauen Sterne leuchteten immer noch heiß und hell. Sie waren immer noch auf der Hauptreihe, obwohl sie die aufgrund ihrer Masse und ihres Alters eigentlich schon längst verlassen hätten sollen. Das sind die "Blauen Nachzügler" und es war lange unklar, wie sie es geschafft haben, ihr Leben zu verlängern.
Die blauen Nachzügler findet man nicht überall. Sie existieren vor allem dort, wo viele Sterne mit vergleichsweise wenig Abstand auf einem Haufen sind. Also in Sternhaufen oder auch in den Zentralbereichen einer Galaxie. Das ist kein Zufall! Nur deswegen kann es sie überhaupt geben. Weil ein einzelner Stern kann nichts gegen die Physik ausrichten. Wenn der Brennstoff für die Kernfusion aufgebraucht ist, muss er die Hauptreihe verlassen. Da gibt es keine Alternative. Aber wenn der Stern es irgendwie schafft, an neues Material zu kommen um weiter Kernfusion zu betreiben, dann hat er eine Chance. Und es muss ausreichend viel Material sein!
Eine Möglichkeit das zu erreichen, haben Sterne, die Teil von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen sind. Sind zwei Sterne eines Systems einander sehr nahe und haben sie unterschiedliche Massen, dann wird zuerst einmal natürlich auch hier der massereichere Stern sein Leben zuerst beenden. Er wird sich aufblähen und immer größer werden. Irgendwann wird er dabei vielleicht so groß und kommt dem anderen Stern so nahe, dass ein Materialtransfer stattfindet. Das heißt, der kleinere Stern, der sich noch auf der Hauptreihe befindet, zieht Material vom großen, sterbenden Stern an. Jetzt hat er eine einmalige Chance, seinen angestammten Platz auf der Hauptreihe zu verlassen, ohne gleich zum roten Riesenast wandern zu müssen. Das neue Material macht ihn schwerer, er leuchtet heißer und heller und rückt ein Stück die Hauptreihe hinauf, dorthin, wo die blauen Nachzügler sich befinden.
Man hat aber auch blaue Nachzügler gefunden, die definitiv nie Teil eines Doppelsternsystems waren. Sie müssen einen anderen Weg gefunden haben, ihr Leben zu verlängern. Der war aber etwas brutaler. Sie sind sind entstanden, als zwei kleinere Sterne miteinander kollidiert und verschmolzen sind. Der neue Stern hat eine größere Masse, leuchtet hell und kann ein neues Leben hoch oben auf der Hauptreihe bei den blauen Nachzüglern beginnen, dort wo in dem Sternhaufen eigentlich gar keine Sterne mehr sein sollten. Das erklärt auch, wieso man diese Sterne nur in Sternhaufen oä findet. Nur dort sind die Abstände so gering, dass überhaupt eine realistische Chance auf eine Kollision besteht. Und dort können durch die nahen Begegnungen zwischen Sternen auch Doppelsternsysteme "schrumpfen", so dass ein Massetransfer wahrscheinlicher wird.
2006 haben Forscherinnen und Forscher untersucht, welcher Mechanismus dominiert. Sie haben sich vier Kugelsternhaufen angesehen und festgestellt, das beide Arten der Entstehung von blauen Nachzüglern ungefähr gleich wichtig sind, mit einem kleinen Überhang an blauen Nachzüglern die durch Kollisionen entstehen. Unsere Sonne wird so eine Verjüngskur allerdings nicht bekommen. Weder sind wir Teil eines Doppelsternsystems, noch besteht die Chance auf eine Kolliosn mit einem anderen Stern, da wir uns nicht in einem Sternhaufen befinden. Für sie ist in ein paar Milliarden Jahren Schluss; sie wird zum roten Riesenast wandern, genau so wie es die Physik vorgesehen hat.
Sternengeschichten Folge 431: Begegnungen zwischen der Sonne und anderen Sternen
In unserer Milchstraße gibt es 100 Milliarden Sterne. Oder 200 Milliarden. Oder vielleicht sogar noch ein bisschen mehr; es ist schwer, das so genau zu sagen. Aber auf jeden Fall sind es sehr, sehr viele Sterne. Da könnte man auf die Idee kommen sich zu fragen, ob das nicht vielleicht auch ein bisschen gefährlich ist? Denn die ganzen Sterne bewegen sich ja alle. Besteht da nicht die Gefahr, dass es zu Kollisionen kommt? Kann es nicht sein, dass irgendwann mal ein anderer Stern sogar mit der Sonne zusammenstößt? Oder ihr und damit auch der Erde so nahe kommt, dass es gefährlich für uns wird? Wenn wir nicht mal genau wissen, wie viele Sterne es in der Milchstraße gibt, wie können wir dann sicherstellen, dass da nicht einer doch mal plötzlich auftaucht und die Erde zerstört?
Ich könnte jetzt natürlich die Spannung künstlich hoch halten. Und erst am Schluss der Folge aufklären, wie es wirklich ist. Aber wir sind hier ja nicht bei den Boulevardmedien; es geht um Wissenschaft und die Geschichte die ich erzählen möchte, ist spannend genug. Da muss ich nicht extra noch Panik schüren und so tun, als wüsste man nicht, was Sache ist. Und diese Sache ist folgende: Unsere Milchstraße ist nicht nur voller Sterne, sie ist noch viel voller mit Nichts. Zwischen den Sternen ist enorm viel Platz. Sehr viel mehr Platz als man sich vorstellen kann. In erster Näherung ist die Milchstraße komplett leer, die Sterne sind zwar zahlreich, fallen aber dennoch nichts in Gewicht. Ein Beispiel: Unsere Sonne hat einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometern. Der uns nächstgelegene Stern ist Proxima Centauri, in 4,2 Lichtjahren Entfernung. Das sind knapp 40 Billionen Kilometer. Oder anders gesagt: 28 Millionen Sonnendurchmesser.
Oder nochmal anders gesagt: Wenn die Sonne einen Durchmesser von nur einem Meter hätte, dann wäre Proxima Centauri in diesem Maßstab 28.800 km weit weg. So eine Entfernung kriegt man auf der Erde nicht mal vernünftig dargestellt; vom Nordpol bis zum Südpol sind es in gerader Linie nur 20.000 Kilometer, man müsste die Erde schon am Äqutor zu fast zwei Dritteln umrunden, um auf diese Distanz zu kommen. Im Vergleich zu den Abständen zwischen ihnen sind Sterne also winzig. Und auch wenn sie sich bewegen, hat das keinen großen Einfluss. Die Sonne etwa kreist mit einer Geschwindigkeit von 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Würde sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit direkt auf Proxima Centauri zubewegen, und würde Proxima die ganze Zeit über genau dort bleiben, wo er jetzt ist - dann würde es immer noch 5723 Jahre dauern, bis die beiden zusammenstoßen.
Man könnte berechnen wie wahrscheinlich es ist, dass zwei Sterne der Milchstraße miteinander kollidieren. Man hat es auch berechnet. Die Wahrscheinlichkeit ist so enorm gering, dass es sich kaum lohnt sie anzugeben. Man müsste länger warten als das gesamte Universum alt ist, um auch nur annähernd eine Chance zu haben, so eine Kollision zu beobachten. Nur dort, wo Sterne aus bestimmten Gründen deutlich näher beieinander stehen als üblicherweise, kann es Zusammenstöße geben. Zum Beispiel im zentralen Bereich der Milchstraße. Oder in Sternhaufen. Aber für die allermeisten Sterne im Universum besteht absolut keine Gefahr einer Kollision.
Trotzdem ist es interessant sich anzusehen, wie sich die Abstände im Laufe der Zeit verändern. Ich habe die ganze Zeit Proxima Centauri als Beispiel verwendet. Dieser Stern, den ich Folge 114 ja schon ausführlich vorgestellt habe, ist derzeit unser nächster Sternnachbar in der Milchstraße. Aber das war nicht immer so und wird nicht immer so bleiben. Aktuell bewegen sich Proxima Centauri und die Sonne noch aufeinander zu. Der Abstand zwischen uns schrumpft und in circa 28.000 Jahren werden sie ihre größte Annäherung erreichen. Das sind dann aber immer noch 3,1 Lichtjahre entfernt, also absolut kein Grund zur Sorge. Danach wächst der Abstand wieder und in knapp 33.000 Jahren wird Proxima Centauri als sonnennächster Stern abgelöst. Und zwar von Ross 248: Dieser kleine Stern befindet sich derzeit noch 10,3 Lichtjahre von uns entfernt. Die Distanz verringert sich aber und in 38.000 Jahren wird sie ihren geringsten Wert erreicht haben. Knapp über 3 Lichtjahre wird Ross 248 dann von der Sonne entfernt sein. Da er sich aber auch recht schnell bewegt, ist er bald an uns vorbei geflogen. Knapp 9000 Jahre später, also von heute an in circa 47.000 Jahren wird der Stern mit der Bezeichnung Gliese 445 den Titel als sonnennächster Stern tragen können. Jetzt ist er noch 17 Lichtjahre von uns entfernt, dann wird er nur noch 3,4 Lichtjahre entfernt sein
Dieser rote Zwergstern ist auch insofern interessant, weil er nicht nur eine Zukunft als unser nächster Nachbar vor sich hat. Auch die 1977 von der Erde ins All gestartete Raumsonde Voyager 1 fliegt in seine Richtung. In knapp 40.000 Lichtjahren wird sie ihn in einer Entfernung von 1.6 Lichtjahren passieren. Dann wird man hier auf der Erde allerdings keine Daten mehr empfangen können; es würde auch nicht allzu viel zu beobachten geben - mehr als anderthalb Lichtjahre sind ein wirklich großer Abstand.
In knapp 50.000 Jahren wird sich auch Gliese 445 wieder von der Erde entfernen und nun wird Alpha Centauri die Rolle als sonnennächster Stern übernehmen. Alpha Centauri ist ja eigentlich ein Doppelstern und wenn man es ganz genau nimmt - was man natürlich tun sollte - dann ist es ein Dreifachsternsystem, weil außen um die beiden herum auch noch Proxima Centauri kreist. In 50.000 Jahren wird die Konstellation dann gerade so sein, dass Alpha Centauri uns am nächsten ist; die Distanz wächst aber. In ungefähr 55.000 Jahren wird Alpha Centauri so weit entfernt sein, wie jetzt Proxima Centauri. Die weitere Zukunft unserer Nachbarschaft ist ein wenig komplizierter. Um so weit in die Zukunft schauen zu können, müssen wir die Position und die Bewegungsgeschwindigkeit von sehr vielen Sternen sehr genau messen und das ist knifflig. Aber alle Sterne die uns in absehbarer Zeit nahe kommen, kommen uns nicht näher als 2 bis 4 Lichtjahre. Mit einer Ausnahme: Gliese 710. Er trägt - so wie viele andere Sterne - übrigens deswegen die Bezeichnung "Gliese" im Namen, weil der deutsche Astronom Wilhelm Gliese in den 1960er Jahren einen Katalog mit Sternen in der Nähe der Sonne erstellt hat. Gliese 710 ist - wenig überraschend - der 710. Stern der dort eingetragen wurde und schon Gliese stellte damals fest, dass er sich in ferner Zukunft vermutlich der Sonne annähern wird. Mittlerweile kann man mit genaueren Daten diese Begegnung ein wenig besser vorhersagen: In ungefähr 1,3 Millionen Jahren wird uns der Stern bis auf circa 0,16 Lichtjahre nahekommen. Das sind ungefähr 10.000 Astronomische Einheiten, also das 10.000fache des Abstands zwischen Erde und Sonne.
Das klingt, verglichen mit den bisher erwähnten Distanzen, doch ein wenig bedenklich. Ist es aber nicht. 10.000 Astronomische Einheiten sind immer noch sehr, sehr viel Platz. Da passen immer noch mehr als eine Million Sonnen dazwischen! Trotzdem ist der Vorbeiflug von Gliese 710 etwas besonders. Der Stern hat ungefähr 60 Prozent der Sonnenmasse; also vergleichsweise viel. In Kombination mit der ebenfalls vergleichsweise geringen Distanz kann er durchaus das Sonnensystem beeinflussen. Er wird natürlich nicht die Erde aus ihrer Bahn werfen; auch die restlichen Planeten werden von dem Besuch nichts spüren. Aber die sonnenfernen Kometen in der Oortschen Wolke vielleicht schon. Ich hab ja schon in Folge 321 von der Oortschen Wolke erzählt, dem alleräußersten Bereich des Sonnensystem, wo sich jede Menge Kometen befinden. Die bleiben normalerweise auch dort. Aber wenn irgendwelche Störungen auftreten, zum Beispiel die Gravitationskraft eines nahen Sterns, dann können ein paar von ihnen ihre Umlaufbahnen ändern und eventuell auch ins innere Sonnensystem gelangen und dort, wieder eventuell, mit einem der Planeten kollidieren. Das heißt nicht, dass Gliese 710 in 1,3 Millionen Jahren den Weltuntergang verursachen wird! Sondern nur, dass dann die Wahrscheinlichkeit von Asteroiden/Kometeneinschlägen ein klein wenig größer sein könnte als sie es jetzt ist.
Schauen wir aber noch einmal kurz in die Vergangenheit. Denn auch da sind uns immer wieder mal Sterne nahe gekommen. Zum Beispiel Scholz' Stern. Das ist natürlich nicht sein offizieller Name; aber immer noch besser als seine Katalognummer WISE J072003.20−084651.2. Der rote Zwergstern der weniger als ein Zehntel der Sonnenmasse hat, ist der Astronomie lange Zeit nicht aufgefallen. Das hat sich erst geändert, als Ralf-Dieter Scholz vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam bemerkt hat, dass dieser Stern so gut wie keine seitliche Bewegung zeigt. Was eigentlich nur heißen kann, dass er sich ziemlich direkt auf uns zu bzw. von uns weg bewegt. Was der Fall ist; der Stern entfernt sich von der Sonne. Das aber bedeutet, dass er früher näher gewesen sein muss. Und als Scholz das alles genau berechnet hatte, kam er zu dem Ergebnis, dass der Stern vor circa 70.000 Jahren einen Abstand von nur 52.000 Astronomischen Einheiten gehabt haben muss. Ob das damals jemandem aufgefallen ist, ist zweifelhaft. Vor 70.000 Jahren gab es zwar schon Menschen, aber in der Steinzeit natürlich keine astronomischen Instrumente. Und der kleine rote Zwergstern hat auch bei seiner größten Annäherung viel zu schwach geleuchtet, um mit freiem Auge sichtbar gewesen zu sein. Aber rote Zwerge neigen zu Helligkeitsausbrüchen; sie sind viel aktiver als größere Sterne wie unsere Sonne. Wenn so etwas zufällig gerade dann passiert, als er der Sonne am nächsten war, hätte er für ein paar Minuten oder Stunden mit freiem Auge an unserem Himmel sichtbar gewesen sein können. Und wer weiß: Vielleicht hat damals ja doch jemand gerade im richtigen Moment zum Himmel geschaut und sich gewundert, was dieses neue Licht dort wohl bedeuten mag…
Sternengeschichten Folge 430: Weiße Löcher
Über schwarze Löcher habe ich in den Sternengeschichten schon viel erzählt. Und wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, dann taucht früher oder später irgendwann der Begriff "Weißes Loch" auf. Was also ist ein weißes Loch? Die einfache Antwort: Ein weißes Loch ist wie ein schwarzes Loch, nur umgekehrt. Vielen Dank fürs zuhören, das wars für heute.
Nein, natürlich ist die simple Erklärung nicht genug. Sie ist zwar nicht komplett falsch, aber sie ist auch wenig hilfreich. Das Problem mit einer längeren Erklärung ist allerdings das Problem, das immer auftaucht wenn man über Kosmologie, schwarze Löcher und ähnliche Themen spricht. Da geht es um Phänomene, die absolut nichts mit unserem alltäglichen Leben zu tun haben. Es geht um Phänomene, die sich weit abseits von dem abspielen, was unser Gehirn im Laufe der Evolution zu verstehen gelernt hat. Will man sich zum Beispiel das Universum als ganzes vorstellen, dann muss man sich ein vierdimensionales Objekt vorstellen. Das können wir schlicht und einfach nicht. Wir müssen uns einen dreidimensionalen gekrümmten Raum vorstellen, was zwar theoretisch geht, aber nicht einfach ist, weswegen wir uns dann halt meistens damit begnügen, uns das übliche Gummituch mit einer Bowlingkugel drin vorzustellen. Was sehr viel einfacher ist, aber eben nur ein zweidimensionales Objekt, das sich in einem dreidimensionalen Raum krümmt. So funktioniert die echte Raumkrümmung im Universum nicht; es befindet sich auch nicht in einem höherdimensionalen Raum, in den hinein es sich krümmt oder in den hinein es sich ausdehnt. Aber das können wir uns halt nicht vorstellen.
Es soll aber in dieser Folge nicht darüber gehen, was wir uns über das expandierende Universum nicht vorstellen können, sondern über das, was wir uns über schwarze und weiße Löcher nicht vorstellen können. Und das ist fast alles. Solche extremen Objekte können wir zwar durchaus wissenschaftlichen erforschen. Aber die Art und Weise wie wir sinnvoll darüber nachdenken, benötigt Mathematik. Wir können ein schwarzes Loch mathematisch beschreiben, wir können die Mathematik durch die es beschrieben wird erforschen und so zu neuen Erkenntnissen kommen. Aber es ist eben abstrakte Mathematik, die genau deswegen abstrakt ist, weil sie nicht intuitiv vorstellbar ist. Ich erkläre das alles deswegen so genau, weil das bei den weißen Löcher genau so ist; vielleicht sogar noch ein wenig schlimmer. Alles was ich im folgenden erkläre, ist genau genommen der Versuch etwas zu veranschaulichen, was sich nicht veranschaulichen lässt. Da ich in diesem Podcast aber nicht nur mathematische Gleichungen aufsagen möchte, probiere ich es trotzdem.
Fangen wir noch mal mit den schwarzen Löcher an. Im Detail habe ich in den Folge 40 und 41 darüber gesprochen; in Folge 238 bin ich noch mehr ins Detail gegangen. Das wichtigste Konzept das man hier verstehen muss, ist der Ereignishorizont. Wenn irgendwo im Universum Masse rumliegt, übt sie eine Gravitationskraft aus. Wie stark diese Kraft ist, hängt einerseits von der Menge an Masse ab. Und andererseits davon, wie nahe man dieser Masse kommt. Man kann normaler Masse aber nicht beliebig nahe kommen. Wir Menschen sind zum Beispiel der gesamten Masse der Erde schon so nahe, wie es nur geht. Wir laufen direkt auf ihrer Oberfläche rum, noch näher geht es nicht. Die Anziehungskraft die wir von der Erde spüren ist schon die für uns maximal spürbare. Sie könnte aber größer sein. Denn auch wenn der Boden unter unseren Füßen direkt unter uns ist, ist sehr viel mehr Masse der Erde weiter weg. Immerhin reicht der Boden ja 6371 Kilometer bis zum Erdmittelpunkt und dann nochmal die gleiche Distanz bis zur anderen Seite der Erde. Die Masse dort ist also über 12.000 Kilometer von uns entfernt und dementsprechend schwächer ist ihre Anziehungskraft. Könnten wir die Erde auf eine Kugel mit 10 Meter Durchmesser zusammendrücken, dann wäre wir auf der Oberfläche dieser Kugel der Masse sehr viel näher. Die andere Seite wäre ja jetzt nur 10 Meter weit weg. Wir würden die Anziehungskraft der Erdmasse sehr viel stärker spüren! Und es würde uns sehr viel schwerer fallen, die Erde zu verlassen. Was ja jetzt schon nicht leicht ist; wir müssen die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit von 11,2 Kilometer pro Sekunde erreichen, wenn wir die Erde dauerhaft verlassen wollen und das geht nur mit Raketen. Auf der geschrumpften Erde müssten wir noch deutlich schneller werden, wenn wir der viel stärkeren Anziehungskraft entkommen wollen.
Würden wir die Masse der Erde auf einen Durchmesser von weniger als einem Zentimter zusammendrücken, dann würde etwas seltsames passieren. Dann wäre die nötige Fluchtgeschwindigkeit um von dieser kleinen, aber sehr massereichen Kugel zu entkommen, größer als die Lichtgeschwindigkeit. Was so viel heißt wie: Wir wären nicht in der Lage, zu entkommen. Denn nichts kann sich schneller als das Licht bewegen. Wir wären auf ewig auf dieser Kugel gefangen. Genau das ist der Ereignishorizont: Der Abstand von einer Masse, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit wird. Damit ist klar, dass man einen Ereignishorizont nur bekommt, wenn man ausreichend viel Masse ausreichend stark komprimiert. Das ist bei den meisten Objekten im Universum nicht so. Ein Stern wie unsere Sonne müsste beispielsweise auf weniger als 6 Kilometer Durchmesser gequetscht werden, um einen Ereignishorizont zu kriegen. Solche Kräfte existieren normalerweise nicht. Bei sehr großen Sternen kann es aber trotzdem passieren. Wenn die am Ende ihres Lebens keine Kernfusion mehr betreiben können, dann fällt das ganze Ding unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Der nach außen gerichtete Druck der Strahlung fällt weg und alles wird immer stärker komprimiert. Ist die Masse des Sterns groß genug, wird die Masse so stark zusammengedrückt, dass ein Ereignishorizont entsteht. Dann kriegen wir ein echtes schwarzes Loch; wie zum Beispiel im Fall von Cygnus X-1, den ich in Folge 406 genauer erklärt haben.
Wir wissen, dass schwarze Löcher beim Tod sehr großer Sterne entstehen können. Oder besser gesagt: Wir wissen, dass große Sterne nach ihrem Tod so weit in sich zusammenfallen können, dass sich ein Ereignishorizont um sie herum bildet. Was hinter dem Ereignishorizont ist, wissen wir nicht. Unsere Theorien sagen vorher, dass die gesamte Masse sich in einem einzigen Punkt vereint, einer sogenannten Singularität. Aber das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Theorien in diesen Extremfällen nicht mehr funktionieren. Im realen Universum kann es keine "Punkte" geben. Irgendeinen Zustand wird die Masse des Sterns hinter dem Ereignishorizont schon einnehmen - aber wir haben keine Ahnung, wie der aussieht.
Ich habe jetzt schon ziemlich viel erzählt, ohne etwas über die weißen Löcher zu sagen. Aber wir müssen erst mal ein paar Dinge über schwarze Löcher klären, bevor wir damit anfangen können. Schwarze Löcher sind zwar reale astronomische Objekte. Aber wir haben sie eben noch nicht wirklich gut verstanden. Die Theorie, mit der wir sie derzeit verstehen wollen, ist Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Die funktioniert wirklich sehr gut, aber nur dann, wenn die Größe der Objekte nicht zu klein werden. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, das so schwer wie ein ganzer Stern ist, aber so weit komprimiert wurde, dass es nur noch so groß wie ein winziges Teilchen ist, dann weiß die Relativitätstheorie nicht mehr, was zu tun. Da bräuchte man dann eigentlich noch die auf die Beschreibung kleinster Teilchen spezialisierte Quantenmechanik. Aber die kann dafür nicht mit Gravitationskräften umgehen. Aber wenn wir jetzt einfach mal dem folgen, was uns die Relativitätstheorie sagt, dann sagt uns deren Mathematik, dass beim Kollaps einer Masse irgendwann eine Singularität entsteht die von einem Ereignishorizont umgeben ist. Die mathematischen Gleichungen sind aber zeitsymmetrisch. Was so viel heißt wie: Wenn ich in den Formeln einfach das Vorzeichen der Variable für die Zeit ändere, dann kriege ich eine Lösung, die rein mathematisch genau so gültig ist wie die andere. Oder anders gesagt: Wenn eine meiner Lösungen ein schwarzes Loch beschreibt, dann habe ich immer auch eine zweite Lösung, die ein weißes Loch beschreibt. Man kann sich ein weißes Loch also als die zeitliche Umkehr eines schwarzen Lochs vorstellen. Was man aber nicht tun sollte, weil dann alles nur noch verwirrender wird.
Bleiben wir erst mal bei dem, was noch einigermaßen einfach zu verstehen ist. Ein weißes Loch wird, so wie ein schwarzes Loch, durch einen Ereignishorizont ausgezeichnet. Wenn man sich dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs nähert, dann wird die Anziehungskraft immer stärker und irgendwann komme ich nicht mehr weg. Kommt man aber dem Ereignishorizont eines weißen Loches näher, dann wird es irgendwann immer schwerer, noch näher zu kommen. Und man wird feststellen, dass man sich schneller als das Licht bewegen müsste, um ihn zu überschreiten. Aus einem schwarzen Loch kommt nichts raus, das einmal drin ist. Und in ein weißes Loch kann nichts eindringen; von dort kommt nur raus, was schon drin war.
So wie ich das beschrieben habe, kann man sich ein weißes Loch fast wie ein reales Objekt vorstellen. So wie wir uns halt das dunkle Nichts des schwarzen Lochs vorstellen können, stellen wir uns hier eben ein strahlend weißes Irgendwas vor. Und tatsächlich würde ein weißes Loch auch genau so aussehen. Da nichts rein kommt sondern nur Zeug bzw. Strahlung raus, würde es hell leuchten. Diese Vorstellung ist aber falsch, weil wir den Weg der reinen Mathematik verlassen haben. Das was ich vorhin mit der Zeitsymmetrie der Gleichungen gesagt habe, gilt in einem Universum, in dem gar kein Stern vorhanden ist, aus dem sich ein schwarzes (oder weißes) Loch bilden könnte. Was seltsam klingt, aber funktioniert. Die Mathematik muss nicht wissen, wie ein schwarzes Loch entsteht. Wenn da einmal eine Singularität ist, dann steckt sie in den Gleichungen; dann braucht es auch keinen realen Prozess, der so etwas erzeugt. Sich auszudenken, wie das rein mathematisch beschriebene Objekt im echten Universum entstehen kann, ist Sache der Astronomie, nicht der Mathematik. Und die mathematischen Formeln sind viel einfacher, wenn keine störende Masse rumliegt. Man kann also mathematisch ein Universum beschreiben, das Ereignishorizonte enthält. Sowohl welche von schwarzen, als auch welche von weißen Löchern. Würde man in diese mathematische Beschreibung nun aber auch noch sowas wie Sterne inkludieren, dann würden die weißen Löcher verschwinden. Sie wären dann keine vernünftigen Lösungen der Gleichung mehr. Und das muss nicht mal ein Stern sein; irgendeine Masse würde reichen, selbst wenn es nur ein einziges Atom ist.
Sich vorzustellen warum das so ist ohne die Mathematik genau zu betrachten ist unmöglich. Aber daraus folgt: Wir würden nur dann weiße Löcher im Universum haben, wenn das Universum schon direkt von Anfang an weiße Löcher gehabt hätte. Es gibt allerdings keinen Grund, warum das so sein hätte sollen. Und dann ist ja im realen Universum jede Menge Masse entstanden. Wenn da weiße Löcher gewesen wären, wären sie schon längst wieder weg. Oder anders gesagt: Auch wenn weiße Löcher rein mathematisch mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibar sind, heißt das nicht, dass sie auch tatsächlich existieren müssen. Es gibt keinen bekannten Mechanismus, mit dem sie entstehen könnten und es gibt auch weder einen Grund noch irgendwelche Anzeichen dafür, dass ein uns noch unbekannter Mechanismus existiert. Wir verwenden die Mathematik, weil sie eben auch jede Menge vernünftige Lösungen produziert mit denen wir reale Beobachtungen beschreiben können, wie eben die schwarzen Löcher, die tatsächlich im All existieren. Aber wir wissen auch, dass die Mathematik die wir verwenden, nicht die absolut richtige Mathematik ist. Es ist eine sehr gute Annäherung an die richtige Mathematik, sonst würden sich damit nicht so viele Beobachtungen so genau beschreiben lassen. Aber weil wir eben wissen, dass wir für eine vollständige Beschreibung eine Kombination aus Relativitätstheorie und Quantenmechanik brauchen, und wir diese Kombination nicht haben, folgt daraus, das unsere Mathematik unvollständig ist. Es ist also nicht überraschend, dass wir nicht mit allen Lösungen die sie produziert etwas anfangen können.
Nach allem was wir derzeit wissen, sind weiße Löcher nur eine mathematische Kuriosität. Wir haben weder irgendwo im All Beobachtungen gemacht, die nur durch die Existenz weißer Löcher erklärbar wären, noch auch nur annähernd irgendeinen Mechanismus ausmachen können, der zur Bildung von weißen Löchern führt. Früher dachte man mal, dass Quasare vielleicht weiße Löcher wären. Ich habe ja schon in Folge 52 ausführlich über die Dinger gesprochen. Die leuchten tatsächlich absurd hell und als man sie in den 1960er Jahren entdeckt, hatte man keine Ahnung worum es sich da handelt. Aber mittlerweile wissen wir sehr gut, dass es sich um die Zentren von fernen Galaxien handelt, in denen ein SCHWARZES Loch sitzt und mit seiner Gravitationskraft die Materie dort so schnell beschleunigt, dass sie zu leuchten beginnt. Und im Gegensatz zu den weißen Löchern gibt es bei dens chwarzen Löcher nicht nur Mechanismen wie den Kollaps eines Sterns der einen Ereignishorizont produziert, sondern wir haben auch immer wieder Beobachtungen gemacht die nur durch das Vorhandensein von viel Masse auf sehr kleinem Raum erklärt werden konnten. Schwarze Löcher sind faszinierend. Weiße Löcher mit Sicherheit auch. Aber im Gegensatz zu den schwarzen Löchern sind die weißen Löcher nicht real.
Die Forschung beschäftigt sich weiter damit, weil es eine gute Möglichkeit ist, die Mathematik die dem ganzen zugrunde liegt besser zu verstehen. Und die weißen Löcher werden sicherlich auch weiterhin die Fantasie der Menschen anregen. Ebenso wie Wurmlöcher, die übrigens eng mit den weißen Löchern verwandt sind (und aus den gleichen Gründen wie die weißen Löcher mit ziemlicher Sicherheit nicht real sind, aber das wäre ein Thema für eine andere Folge). Irgendwann kriegen wir vielleicht eine bessere Mathematik um das Universum zu beschreiben. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die weißen Löcher dann einfach aus unseren Theorien verschwinden. Vielleicht lernen wir aber auch etwas völlig neues, von dem wir jetzt noch nicht einmal wissen, das wir es lernen können. Genau deswegen treiben wir ja die Wissenschaft!
Sternengeschichten Folge 429: Missionen zum Mars
Der Mars ist ein ganz besonderer Planet. Ok, jeder Planet ist besonders. Aber zumindest für uns Menschen spielt der Mars eine außergewöhnliche Rolle. Schon bevor wir so richtig verstanden haben, was dort passiert, waren wir überzeugt, dass dort nicht nur Leben möglich ist, sondern dass dort auch tatsächlich jemand lebt. Ich hab in Folge 404 ja schon von den Kanälen des Mars erzählt, also von den Strukturen, die man dort im 19. Jahrhundert beobachtet hatte und für Anzeichen intelligenten Lebens hielt. Dass sich diese Kanäle später als nicht existent herausgestellt haben, war zwar schade. Hat aber nichts an unserer Faszination mit dem Planeten geändert. Die "Marsmenschen" sind ein fixer Bestandteil der Science-Fiction geworden.
Und aus wissenschaftlicher Sicht haben wir - abgesehen von der Erde - keinen Planeten so intensiv erforscht wie den Mars. Was auch nicht überraschend ist: Wenn wir nicht einfach nur vorbei fliegen, sondern auch landen wollen, dann kommen in unserem Sonnensystem von den Planeten nur Merkur, Venus und Mars in Frage. Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun haben ja keine feste Oberfläche auf der man landen könnte. Der Merkur ist der Sonne sehr nahe und es braucht sehr viel Energie, dorthin zu fliegen oder gar zu landen. Die Venus ist näher; sie ist tatsächlich von allen Planeten derjenige, der der Erde am nächsten kommen kann. Aber die Bedingungen sind extrem; die Temperaturen an der Oberfläche liegen weit über 400 Grad Celsius, die Atmosphäre ist enorm dicht und es herrscht ein gewaltiger Druck. Wir können dort zwar Raumsonden landen und haben das auch schon gemacht. Aber sie halten dort nur für kurze Zeit durch. Bleibt noch der Mars: Auch der ist vergleichsweise nahe. Und zwar ebenso lebensfeindlich wie die Venus, aber da er so gut wie keine Atmosphäre hat und weiter von der Sonne entfernt ist, ist der Druck dort viel geringer und die Temperaturen sind zwar kalt, aber nicht so extrem, als dass sie technisches Gerät von der Erde sofort zerstören würden. Die Bedingungen sind ein klein wenig so wie in der Antarktis. Nur halt noch ein bisschen lebensfeindlicher.
Außerdem kommen sich Erde und Mars alle knapp 26 Monate nahe. Wenn die beiden Planeten mit der Sonne in einer Linie stehen und noch dazu auf der gleichen Seite der Sonne, dann nennt man das "Opposition". Das ist auch der ideale Zeitpunkt, um eine Raumsonde von der Erde in Richtung Mars zu schicken. Die Reise dauert dann nur circa sechs bis zehn Monate und kann deutlich billiger absolviert werden, als wenn man einfach irgendwann zum Mars aufbrechen würde. Und weil der Mars ständig so faszinierend vom Himmel leuchtet, hat man auch ziemlich früh probiert, ihn nicht nur von der Erde aus zu beobachten sondern näher ran zu kommen. 1957 flog mit Sputnik 1 der erste künstliche Satellit um die Erde. Und drei Jahre später schickte die Sowjetunion mit "Marsnik 1" den ersten Satelliten zum Mars. Recht weit ist er nicht gekommen; die Rakete war fehlerhaft und Marsnik hat nicht einmal die Erdumlaufbahn erreicht. Das gleiche ist Marsnik 2 passiert. Damit war das optimale Startfenster von 1960 erstmal zu und es ging 1962 weiter. Da hat Sputnik 22 ebenfalls nicht die Erdumlaufbahn erreicht. Mars 1 hatte ein bisschen mehr Glück. Der kam immerhin knapp 100 Millionen Kilometer weit, dann ging der Kontakt verloren. Der Tank mit dem Treibstoff für die Lageregelung des Satelliten war fehlerhaft und er ließ sich nicht mehr stabilisieren und steuern. Mit Sputnik 24 musste die Sowjetunion 1962 noch einen dritten und insgesamt den fünften Fehlschlag in ihre Akten eintragen; wieder einmal versagte die Rakete.
1964 griff dann auch die amerikanische NASA ins Rennen auf dem Weg zum Mars ein. Mariner 3 war ihre erste Mars-Sonde und die machte es den Sowjets nach und schaffte es nicht über die Erdumlaufbahn hinaus. Aber am 15. Juli 1965 konnte der erste Erfolg der Marserkundung verbucht werden: Mariner 4 flog, ganz nach Plan, in knapp 10.000 Kilometer am Mars vorbei und konnte die ersten Nahaufnahmen des Planeten liefern. Noch näher kam die sowjetische Mission Zond 2, sie war im August 1965 nur 1500 Kilometer vom Mars entfernt. Der Kontakt zum Satelliten brauch aber schon ein paar Monate zuvor ab. Die Sowjetunion sammelte weitere Fehlschläge: Mars 1969A und Mars 1969B, die - wie der Name andeutet - beide 1969 gestartet wurden, erreichten wieder einmal wegen einer Fehlfunktion der Rakete die Erdumlaufbahn nicht. Währendessen war die NASA deutlich erfolgreicher. Mariner 6 und Mariner 7 flogen beide planmäßig am Mars vorbei, in 3400 Kilometer Entfernung und machten weitere Bilder.
Am 9. Mai 1971 versagte die amerikanische Rakete die Mariner 8 zum Mars bringen sollte; einen Tag später erlitt die sowjetische Kosmos 419- Sonde das gleiche Schicksal. Dann durfte man sich aber auch in Moskau freuen. Ein bisschen zumindest: Mars 2 und Mars 3 wurden Ende Mai 1971 gestartet. Beide Sonden bestanden aus einem Orbiter, der den Mars umkreisen sollte und einer Landeeinheit die auf dem Marsboden aufsetzen sollte. Der Flug von der Erde zum Mars gelang den Sowjets das erste Mal ohne Probleme. Dann fingen die Schwierigkeiten allerdings an. Die Systeme zur Kursberechnung waren fehlerhaft und beide Orbiter umkreisten zwar den Mars, aber nicht so, wie es vorgesehen war. Der Lander von Mars 2 wurde deswegen auch falsch in Richtung Marsoberfläche geschickt und wurde zerstört. Der Lander von Mars 3 erreichte tatsächlich den Boden des Planeten! Aber nur ein paar Sekunden danach brach der Kontakt ab.
Der Preis für den ersten Satelliten, der eine Umlaufbahn um den Mars erreicht, ging aber trotzdem an die USA. Mariner 9 von der NASA startet zwar knapp nach Mars 2 und 3, erreichte den Mars aber ein paar Tage früher und begann am 14. November den Mars zu umkreisen. Das erste Mal wurde die gesamte Oberfläche kartografiert. 1973 ging es weiter: Mars 4 der Sowjets sollte den Mars umkreisen, flog aber vorbei. Mars 5 erreichte die Umlaufbahn, hielt aber nicht so lange durch wie geplant. Mars 6 sollte landen, schaffte es aber nicht und Mars 7 flog am Mars vorbei statt zu landen. Die USA hielten sich 1973 aus der Marserforschung raus; schafften in der kommenden Mars-Saison aber das, was alle bis dahin vergeblich versucht hatten. Am 20. Juli 1976 landete Viking 1 planmäßig auf der Oberfläche des Mars; am 4. September 1976 folgte Viking 2. Das erste Mal hatten zwar nicht Menschen aber zumindest menschengemachte Objekte einen anderen Planeten besucht! Das erste Mal haben wir Bilder bekommen, die die Oberfläche dieser fremden Welt im Detail zeigen! Das erste Mal konnten wissenschaftliche Experimente auf dem Mars durchgeführt werden. Und die waren besonders faszinierend: Man wollte endlich wissen, ob auf dem Mars Leben existiert oder nicht. Dass da keine Marsmenschen rumlaufen war mittlerweile klar. Aber es war durchaus möglich, dass im Marsboden irgendwelche Mikroorganismen leben. Das sollten die Instrumente der Viking-Sonden herausfinden. Die Ergebnisse waren aber leider nicht eindeutig. Sie zeigten zwar Hinweise auf Aktivitäten die von Bakterien oder ähnlichen Lebewesen verursacht werden könnte. Es hätte aber auch genau so gut eine normale chemische Reaktion der Stoffe im Marsboden sein können. Und vermutlich waren die Instrumente auch mit organischen Molekülen von der Erde verunreinigt. Bis heute wird darüber diskutiert, ob die Viking-Sonden Leben entdeckt haben oder nicht; die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist aber der Meinung, dass das nicht der Fall war.
Die nächste Flüge zum Mars fanden erst Ende der 1980er Jahre statt. Die Sowjetunion hatte sich ein neues Ziel gesetzt: Die Landung auf dem Marsmond Phobos. Die beiden Sonden Fobos 1 und Fobos 2 scheiterten aber. Ebenso wie der 1992 gestartete Mars Observer der NASA. Höchst erfolgreich war dagegen der 1996 ins All geschickte Mars Global Surveyor. 10 Jahre lang umkreiste er den Mars und machte dabei fast eine Viertelmillion hochaufgelöste Bilder der Oberfläche. Mit Mars 96 hatte Russland wieder einmal Pech und eine Sonde, die es nicht einmal bis in die Erdumlaufbahn schaffte. Dafür nutzen die USA die Mars-Saison 1996 um mit Mars Pathfinder den ersten Rover auf die Oberfläche zu bringen: Sojourner war zwar nur 65 Zentimeter groß, fuhr aber immerhin drei Monate lang über die Oberfläche des Mars. Dabei kam er zwar nur knapp 100 Meter weit - aber es war ein Anfang!
Die Mars-Saison 1998/1999 war von Fehlschlägen geprägt. Das erste Mal versuchte ein drittes Land, den Mars zu erreichen. Die Nozomi-Sonde der japanischen Raumfahrtagentur konnte die geplante Umlaufbahn aber nicht erreichen und flog am Mars vorbei. Die Deep-Space-2-Mission der NASA scheiterte ebenfalls; die geplante Landung ging schief. Eine tragische Berühmtheit hat der Mars Climate Orbiter erreicht: Er sollte im September 1999 in eine Umlaufbahn einschwenken und von dort aus das Klima des Mars erforschen. Das ging schief, die Sonde flog zu nahe an den Mars heran und verglühte durch die Reibung mit der Atmosphäre. Der Grund für diesen Fehler ist absurd: Die NASA arbeitete, wie sich das für eine wissenschaftliche Einrichtung gehört - mit dem SI-Einheitensystem, benutzte also das metrische System das fast überall auf der Welt benutzt wird. Die von einer amerikanischen Zulieferfirma hergestellte Software zur Navigation wurde aber mit dem sogenannten "imperialen" System programmiert, also das System, wo man zum Beispiel Entfernungen in Fuß oder Meilen misst, pints und gallons benutzt um Flüssigkeitsmengen zu messen, und so weiter. Das wird heute nur noch in den USA verwendet und zum Teil in Großbritannien und Kanada. Aber weil die amerikanische Firma diese speziellen Einheiten nutze, die internationale NASA aber natürlich den wissenschaftlichen Standards folgte und das SI-System verwendete, wurde die Sonde von der Navigationssoftware auf einen falschen Kurs gebracht und zerstört. Tja.
2001 erreichte die Sonde Mars Odyssey 2001 der NASA aber immerhin erfolgreich die Umlaufbahn und begann ihre Suche nach Wasser auf dem Mars. Was sie dann schließlich auch fand, vor allem in der Südpolregion unseres Nachbarplaneten. 2003 war ein höchst erfolgreiches Jahr, für fast alle. 2003 erreichte der Orbiter von Mars-Express eine Umlaufbahn; das erste Mal war eine Mission erfolgreich die nicht von den USA bzw. Russland organisiert wurde sondern von der Europäischen Weltraumagentur. Der von Großbritannien mitgeschickte Lander Beagle 2 ging bei der Landung allerdings verloren. Dafür waren die USA mit Spirit und Opportunity erfolgreich. Die beiden Rover landeten 2004 auf dem Mars begannen ihre detaillierte Erforschung der Oberfläche. Spirit hielt 7 Jahre lang durch und legte dabei fast 8 Kilometer zurück. Der Rover, immerhin schon 1,6 Meter lang und 1,5 Meter hoch, fand Hinweise auf frühere Gewässer auf dem Mars und machte jede Menge coole Bilder. Opportunity ist immer noch der Star unter den Rovern. Er war fast 15 Jahre lang aktiv, erst im Juni 2018 verlor man den Kontakt. In dieser Zeit schaffte Opportunity eine Strecke von erstaunlichen 45 Kilometern! Auch er konnte viele Hinweise auf ehemalige Flüsse und Seen auf der Marsoberfläche finden.
Es ging erfolgreich weiter: Der Mars Reconnaissance Orbiter der NASA erreichte 2006 eine Umlaufbahn und machte die bisher genauesten Aufnahmen des Planeten. Die Kamera des Satelliten hat eine Auflösung von einem Meter pro Pixel und hat damit den Mars extrem genau kartografiert. Im Mai 2008 landete die Raumsonde Phoenix der NASA in der Nordpolarregion des Mars und konnte mit dem Labor, das es dabei hatte, eindeutig nachweisen, dass im Marsboden gefrorenes Wassereis existiert. 2011 haben sich Russland und China zusammengetan um einerseits eine Sonde in die Umlaufbahn und andererseits eine Landeeinheit auf den Marsmond Phobos zu bringen. Die Rakete stürzte allerdings ab und sowohl die Sonde Fobos-Grunt als auch Yinghuo-1 wurden zerstört.
Eine der spektakulärsten Marslandungen fand am 6. August 2012 statt. Die NASA wollte das Mars Science Laboratory mit dem Rover Curiosity auf die Oberfläche des Planeten bringen. Das Ding war allerdings so groß wie ein Auto und 900 Kilogramm schwer; viel größer und schwerer als alle bisherigen Lander. Früher konnte man die Landeeinheiten - vereinfacht gesagt - einfach dick einpacken und runterfallen lassen. Das ging jetzt nicht mehr; da der Mars so eine dünne Atmosphäre hat, wird man dabei nicht stark gebremst und auch ein Fallschirm kann nur bedingt bremsen. Weswegen man den Rover mit dem Namen Curiosity von einer durch Triebwerke in der Luft gehaltenen Plattform aus 20 Meter Höhe an Seilen hinunter ließ. Das irre Konzept hat funktioniert und der Rover konnte nicht nur seine normale Forschungsarbeit aufnehmen sondern auch das erste Mal konkrete Bohrungen und Analysen vom Inneren größere Gesteinsbrocken vornehmen.
2013 erreicht die NASA-Sonden MAVEN planmäßig eine Umlaufbahn und begann mit der Erforschung seiner Atmosphäre. Und überraschenderweise gelang genau das am 5. November 2013 auch der indischen Raumfahrtagentur. Nach den USA, Russland und Europa war nun die vierte Nation erfolgreich beim Mars angekommen. Europa und Russland taten sich 2016 zusammen und schickten den ExoMars Trace Gas Orbiter auf den Weg. Der dort auch ankam und ein weiteres Mal einen sehr genauen Blick auf die Marsatmosphäre wirft. Gleichzeitig sollte auch die Landeeinheit Schiaparelli abgesetzt werden. Die aber vergaß dabei das Bremsen und wurde bei der Landung zerstört.
Die NASA feierte 2018 den nächsten Erfolg und schickte mit InSight einen Lander auf die Oberfläche. Der sollte sich bis zu 5 Meter tief in den Boden graben und schauen, was da so los ist. Was aber leider nicht geklappt hat, man kam nur 3 Zentimeter weit.
Ich beende die Aufzählung an diesem Punkt. Man könnte über jede der erwähnten Mission natürlich noch viel mehr erzählen; jede wäre eine eigene Folge der Sternengeschichten wert und wird vielleicht auch mal eine eigene Folge kriegen. Heute ging es mir vor allem darum zu zeigen, wie schwierig es ist, den Mars zu erreichen. 1960 haben wir den ersten Versuch gemacht; 60 Jahre später ist es nur der USA gelungen, sicher auf dem Mars zu landen. Von den knapp 45 Missionen in diesen ersten 60 Jahren (die genaue Zahl hängt davon ab, ob man nur die Missionen zählt, die explizit als Marsmissionen geplant waren oder auch andere, die eigentlich anderswohin geflogen sind und auf dem Weg am Mars vorbei gekommen und dort das eine oder andere kleine Forschungsprojekt erledigt haben); von diesen 45 Missionen waren nur 20 erfolgreich; der Rest ist gescheitert - entweder ganz oder teilweise. In den ersten 60 Jahren unserer Versuche den Mars zu erreichen waren wir also nicht mal in der Hälfte aller Fälle erfolgreich. Wenn man nur die Landeversuche zählt, ist die Quote sogar noch schlechter.
Wir sind mittlerweile daran gewöhnt, dass alle paar Jahre neue Raumsonden den Mars erreichen und dort landen. Was ja auch tatsächlich passiert und sehr beeindruckend ist. Aber darüber vergessen wir leicht, wie schwierig das ist! Man kann nicht einfach mal eben so zum Mars fliegen; noch weniger kann man einfach mal so dort landen. Was nicht heißt, dass wir es nicht weiter versuchen werden. Es wird in der Zukunft jede Menge weitere Marsmissionen geben. Neue Rover, die über seine Oberfläche fahren; Drohnen, die durch seine Atmosphäre fliegen. Landungen auf den Marsmonden und Missionen, die nicht nur landen, sondern auch Material vom Mars zurück zur Erde bringen. Andere Länder werden probieren, den Mars zu erreichen. Und irgendwann werden sich vielleicht auch einmal Menschen auf den Weg zum Nachbarplaneten machen. Das ist zumindest all das, was für die Zukunft geplant ist. Was davon tatsächlich klappt, werden wir wissen, wenn diese Zukunft vergangen heißt. Wer diese Podcastfolge irgendwann in dieser - aus meiner Sicht - Zukunft hört, kann vielleicht schon auf ein paar sehr beeindruckende Erfolge zurückblicken. Oder sich über spektakuläre Misserfolge ärgern. Mal sehen - vielleicht mache ich in 60 Jahren noch eine weitere Folge über die Marsmissionen und dann schauen wir, was sich bis dahin getan hat…
Sternengeschichten Folge 428: Die Geschwister der Sonne
Sterne sind keine Menschen. Aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Ein Stern wird geboren, ein Stern stirbt. Dazwischen war er natürlich nicht lebendig; wir verwenden diese Begriffe nur, weil sie praktisch sind. Und erzählen deswegen immer gerne vom "Leben der Sterne". Was Sterne darüber hinaus noch haben, sind Geschwister. Selbst wenn sie keine Eltern haben. Aber bevor es noch verwirrender wird, erzähle ich die Geschichte am besten ordentlich.
In den vergangenen Folgen habe ich schon sehr oft über die Entstehung von Sternen gesprochen. In einer sehr kurzen Version läuft dieser Prozess so ab: Alles beginnt mit einer der großen Wolken aus Gas und Staub die sich zwischen den Sternen im Weltall befinden. Durch äußere Einflüsse kann es passieren, dass diese Wolke aus dem Gleichgewicht gerät. Zum Beispiel weil in der Nähe ein Stern vorbeizieht. Oder ein Stern explodiert. Oder weil die Wolke auf ihrem Weg durch die Milchstraße in eine Region gelangt, in der viele Sterne in der Umgebung eine stärkere Gravitationskraft ausüben. Was auch immer die Ursache ist, die Folgen sind die gleichen: Die Wolke hört auf eine Wolke zu sein. Wo das Gas vorher noch gleichverteilt war, gibt es nun Klumpen. Bestimmte Regionen enthalten mehr Gas als vorher, andere weniger. Dort wo mehr Gas ist, wird mehr Gravitationskraft ausgeübt und die zieht noch mehr Gas aus der Umgebung an. Diese Klumpen werden immer dichter, ihr Inneres wird immer heißer und irgendwann wird der Klumpen zu einem Stern. In der Realität ist das natürlich alles noch sehr viel komplizierter, mit sehr viel mehr Zwischenschritten. Aber das für heute wichtige ist: Aus so einer Wolke entsteht nie nur ein einziger Stern. Es bilden sich immer sehr viele Sterne auf einmal.
Diese zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam entstandenen Sterne kann man durchaus als "Geschwister" bezeichnen. Wissenschaftlich korrekt heißt so eine frischgeborene Sternengruppe "OB-Assoziation", benannt nach den sehr heißen und hellen Sternen vom Spektraltyp O und B, die dort am hellsten leuchten, wie ich in Folge 104 schon ausführlicher erklärt habe. In so einer Sternengruppe entstehen natürlich Sterne in allen möglichen Größen. Die größten mit der meisten Masse - also die O- und B-Sterne - leuchten am hellsten und leben auch am kürzesten. Sie haben ihren Brennstoff als erste verbraucht. Dann beenden sie ihr Leben bei einer Supernova-Explosion und das hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens pusten diese Explosionen alles an Gas und Staub aus der Region, was von der ursprünglichen Wolke noch übrig war. Und zweitens sind jetzt genau die Sterne mit den größten Massen aus der Gruppe verschwunden. Übrig bleiben die kleineren Sterne, die jetzt nicht mehr durch die Gravitationskraft der größeren Sterne in einer Gruppe zusammengehalten werden. Anders gesagt: Die Gruppe löst sich auf.
Und sie löst sich wirklich auf: Jeder Stern hat eine leicht andere Geschwindigkeit mit der er sich durch die Milchstraße bewegt. Während die Geschwistersterne anfangs noch nahe beieinander sind, bewegen sie sich im Laufe der Zeit immer weiter voneinander weg. Irgendwann haben sie sich so sehr in der Galaxie verteilt, dass nichts mehr an die ursprüngliche Gruppe erinnert. Auch unsere Sonne ist so entstanden; auch sie war vor 4,5 Milliarden Jahren Teil einer Gruppe von hunderten Sternen und auch sie ist irgendwann ihre eigenen Wege gegangen und hat ihre Geschwister hinter sich gelassen.
Die Suche nach der Familie unserer Sonne erscheint aussichtlos. Wie soll man unter den mehr als 100 Milliarden Sternen der Milchstraße genau die paar hundert finden, die vor 4,5 Milliarden Jahren aus der gleichen Wolke entstanden sind wie die Sonne? Und warum sollte man sie überhaupt finden wollen? Zur zweiten Frage kommen wir später; schauen wir uns zuerst einmal an ob die Suche überhaupt funktionieren könnte. Wie erkennt man, ob ein Stern eine Schwester der Sonne ist?
Natürlich muss das Alter passen. Wenn ein Stern gemeinsam mit der Sonne entstanden ist, muss er auch so alt sein wie unsere Sonne. Aber das allein reicht zur Identifikation noch nicht aus. Denn das Alter eines Sterns lässt sich nicht immer exakt bestimmen. Und selbst wenn es bei einem Stern innerhalb der Fehlergrenzen mit dem Alter der Sonne übereinstimmt, dann kann das immer noch reiner Zufall sein. Deswegen muss man unbedingt auch die chemische Zusammensetzung der Sterne untersuchen. In Folge 337 der Sternengeschichten habe ich ja schon von der Metallizität erzählt. So nennt man in der Astronomie den Anteil der chemischen Elemente an der Zusammensetzung eines Sterns, die weder Wasserstoff noch Helium sind. Wasserstoff und Helium sind ja die absolut häufigsten Elemente im Universum und deswegen besteht auch jeder Stern fast komplett aus diesen beiden Elementen. Aber es gibt immer einen kleinen Anteil an den restlichen chemischen Elementen und die Menge dieses Rests wird als "Metallizität" bezeichnet. Wie viele Elemente abseits von Wasserstoff und Helium ein Stern bei seiner Geburt besitzt, hängt von der Wolke ab, aus der er entstanden ist. Dort haben sich diese Elemente im Laufe der Zeit angesammelt; immer wenn in der Umgebung alte Sterne ihr Leben beendet haben, haben sie diese Elemente ins All hinaus gepustet. Dort wo in der Nähe einer Wolke mehr Sterne ihr Leben beendet haben, gibt es mehr dieser Elemente, dort wo weniger Sterne waren, weniger.
Die chemische Zusammensetzung einer solchen Wolke ist also quasi ein wenig wie ein Fingerabdruck. Und alle Sterne die aus einer Wolke entstehen, teilen diesen Fingerabdruck. Wir müssen also einen Stern finden, der genau so alt wie unsere Sonne ist UND die gleiche chemische Zusammensetzung wie sie hat. Beide Parameter kann man im Prinzip messen. Aber es gibt halt sehr, sehr, sehr, sehr viele Sterne in der Milchstraße. Da einen zu finden, wo alles genau passt, ist schwierig.
Aber, um die zweite Frage von vorhin zu beantworten, es wäre durchaus interessant, ein paar Geschwister der Sonne zu finden. Zum Einen, weil man dadurch viel über die Entstehung der Sonne und des Sonnensystems lernen kann. Denn wenn wir uns die Sterne in unserer Umgebung anschauen, dann sind die alle ganz anders als die Sonne. Dort, wo wir uns gerade in der Milchstraße befinden, erinnert nichts an die Wolke, aus der wir einmal entstanden sind. Die Sonne hat sich offensichtlich weit von ihrem Geburtsort und ihren Geschwistern entfernt. Wüssten wir, wo die alle heute sind, dann könnten wir auch den Weg der Sonne nachvollziehen und besser verstehen, was die Sonne so isoliert hat. Noch spannender ist der zweite Grund, aus dem es sich lohnt, nach der alten Familie zu suchen. Denn als die Sonne vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, hat es nicht lange gedauert, bis sich auch ihre Planeten gebildet haben. Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das bei den anderen Sternen der Gruppe nicht ebenso war. Und - das ist der wichtige Punkt - diese Sterne mitsamt ihren Planeten waren damals viel näher beieinander. Die Gruppe hat sich ja noch nicht aufgelöst. Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass in einem jungen Planetensystem jede Menge los ist; sehr viel mehr Himmelskörper ihre Runde ziehen als eigentlich Platz haben; noch sehr viel mehr Asteroiden und Kometen unterwegs sind und es zu sehr viel mehr Kollisionen kommt: Dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass Material von einem Planetensystem zu einem anderen gelangt.
Ein Asteroid könnte auf einem Planeten einschlagen, könnte Teile aus der Kruste des Planeten ins All hinaus schleudern von wo sie dann durch den interstellaren Raum den - damals noch kurzen Weg - zu einem Nachbarstern zurück legen um dort auf einem anderen Planeten zu landen. Wir wissen, das man auf Asteroiden und Kometen jede Menge komplexe Moleküle finden kann, die "Bausteine des Lebens", wie es immer so schön heißt. Die könnten damals auf diesem Weg von einem anderen Planetensystem auf die Erde gelangt sein und so die Grundlage für die Entstehung des Lebens gelegt haben. Es könnte natürlich auch umgekehrt gelaufen sein: Die Erde könnte die Bausteine des Lebens auf andere Planetensysteme exportiert haben. Ob das wirklich passiert ist, wissen wir nicht. Aber wenn wir es wissen wollen, müssen wir die Geschwister der Sonne finden. Und sollten wir da einen Stern finden, der Planeten hat, dann wären das keine schlechten Kandidaten um dort nach Leben zu suchen.
So spannend das alles ist - wir müssen zuerst einmal die Geschwister der Sonne finden. Was - wie schon mehrmals gesagt - wirklich schwer ist, weil es so enorm viele Sterne gibt. Ein guter Kandidat wäre der Stern mit der Bezeichnung HD 162826. Man findet ihn in circa 110 Lichtjahren Entfernung in Richtung des Sternbilds Herkules. Er ist so alt wie die Sonne, hat die gleiche chemische Zusammensetzung wie unsere Sonne und ist außerdem noch so groß und schwer wie unsere Sonne. Das ist nicht selbstverständlich; die Geschwister müssen ja nicht zwangsläufig auch Zwillinge sein. In dem Fall ist der 2014 identifizierte Stern aber ein guter Kandidat für einen Sonnenzwilling, was noch einmal extra interessant ist. Im Jahr 2018 ist ein weiterer Stern identifiziert worden, 184 Lichtjahre entfernt im Sternbild Pfau. Es gibt noch ein paar weitere potenzielle Kandidaten. Und es werden noch mehr werden; dank der vielen Weltraumteleskope kriegen wir immer mehr Daten von immer mehr Sternen. Zweifelsfrei identifizieren werden wir die Geschwister der Sonne vermutlich nie. Aber je besser unsere Statistik wird, desto klarer werden wir die Familie irgendwann erkennen können. Auch wenn es eine Familienzusammenführung natürlich nicht geben wird.
Sternengeschichten Folge 427: Der Einschlag des Asteroiden 2008 TC3
In der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 2008 war der amerikanische Astronom Richard Kowalski am Mount-Lemmon-Observatorium in Arizona damit beschäftigt den Himmel zu beobachten. Vom Gipfel des 2790 Meter hohen Berges hatte er eine gute Sicht und die war nötig um die Anforderungen des Catalina Sky Survey zu erfüllen. Im Jahr 1998 hat er amerikanische Kongress die NASA beauftragt, mindestens 90 Prozent aller Asteroiden in Erdnähe ausfindig zu machen die größer als einen Kilometer im Durchmesser sind. Diese Aufgabe wurde unter anderem am Mount-Lemmon-Observatorium durchgeführt und Kowalski war wieder einmal dabei potenztiell gefährliche Asteroiden zu suchen.
Kurz vor Mitternacht Ortszeit war er erfolgreich. Er entdeckte einen Asteroid und eine erste Bahnberechnung zeigte, dass er mit der Erde kollidieren könnte. Das außergewöhnliche an der Sache: Als Kowalski den Asteroid sah, befand er sich gerade noch außerhalb der Umlaufbahn des Mondes. Sollte er wirklich auf die Erde treffen, dann würde er das in naher Zukunft tun. Wie nah, das zeigten die hunderten Beobachtungen die überall auf der Welt kurz nach der ersten Sichtung gemacht wurden: Nicht einmal 24 Stunden würde es dauern; nach europäischer Zeit am frühen Morgen des 7. Oktobers wäre es soweit. Im nördlichen Sudan würde der Asteroid einschlagen, in der nubischen Wüste.
Und genau so ist es auch passiert. Der Absturz fand am 7. Oktober 2008 statt um 4 Uhr und 46 Minuten mitteleuropäischer Sommerzeit. Der Asteroid schlug exakt wie vorherberechnet auf der Erde ein. Und dass in der kurzen Zeit zwischen Entdeckung und Einschlag keine weltweite Massenpanik stattfand; dass der Einschlag keine weltweite Katastrophe verursacht hat, liegt daran, dass es hier um die Realität geht und nicht um einen Hollywoodfilm. Wie ich in den Sternengeschichten ja schon oft erzählt habe, muss ein Asteroid groß genug sein, um erstens einen Krater auf der Erde zu verursachen und zweitens noch viel größer sein, wenn er eine weltweite Katastrophe auslösen soll. Die allermeisten Asteroiden aber sind klein. Große Brocken wie die, auf deren Suche sich das Catalina Sky Survey gemacht hat, sind selten. Und weil sie so groß sind, stehen die Chancen sehr gut, dass man sie sehr lange vor einem etwaigen Einschlag findet. Kleine Objekte sind viel häufiger und viel schwerer zu sehen. Sie verursachen aber auch keine so großen Schäden; meistens erreichen sie nicht einmal den Erdboden. Damit ein Asteroid einen Einschlagskrater verursachen kann, muss er circa 50 Meter groß sein - je nach Material auch ein bisschen mehr oder weniger. Und damit der Einschlag weltweite Folgen hat, muss das Ding mindestens einen Kilometer groß sein. Der Asteroid den Kowalski entdeckt hat, war aber gerade einmal 4 Meter groß.
Seine Entdeckung war alles andere als ein Grund zur Panik. Sondern eine enorm große Chance für die Wissenschaft. Denn bis dahin war es noch nie gelungen den Einschlag eines Asteroiden vorherzusagen UND diesen Einschlag dann auch zu beobachten. Wir sehen immer wieder ähnlich große (oder kleine, je nachdem) Objekte bei ihrem Flug durch die Atmosphäre aufleuchten und verglühen. Aber wir wissen nicht, wo sie herkommen; unser erster Blick auf sie ist auch unser letzter. Hier war es anders. Der Asteroid, der die Bezeichnung "2008 TC3" bekommen hat, war ausreichend lange vor dem Einschlag gefunden worden, um seine Bahn zu bestimmen. Wir wussten also, wo im Sonnensystem er sich herum getrieben hat, bevor er der Erde einen endgültigen Besuch abgestattet hat.
Die Geschichte ist damit aber noch lange nicht vorbei, sie fängt eigentlich erst an. Die Beobachtungen während der Kollision haben gezeigt, dass 2008 TC3 in einer Höhe von 37 Kilometern auseinandergebrochen und durch die Reibung mit der Atmosphäre explodiert ist. Das konnte man mit Satelliten beobachten; mit Webcams von der Erde aus und sogar von einem gerade in der Gegend herumfliegenden Passagierflugzeug. Am Boden gab es Augen- und Ohrenzeugen die den Feuerball der Explosion sahen und sie auch gehört haben. Das waren schon mal jede Menge sehr interessante Daten. Im Dezember 2008 hat sich der Astronom Peter Jenniskens gemeinsam mit Muawia Shaddad von der Universität Khartoum auf die Suche nach Überresten der Asteroiden gemacht. Und tatsächlich fanden sie 15 Bruchstücke, in der Nähe einer Zughaltestelle mit der Bezeichnung "Station 6". Was auf arabisch "Almahata Sitta" heißt und zum Namen für den Meteorit wurde.
Ich habe es zwar in einem anderen Podcast schon mal erklärt, aber um Verwirrung vorzubeugen: Solange ein Objekt durchs All fliegt, heißt es "Asteroid" und in diesem Fall war es der Asteroid mit der Bezeichung 2008 TC3 (diese Bezeichnungen werden aus dem Zeitpunkt der Entdeckung gebildet). Landen Teile eines Asteroiden auf der Erde, werden die "Meteorite" genannt und üblicherweise nach der nächstgelegenen vernünftigen geografischen Bezeichnung benannt; in diesem Fall eben "Almahata Sitta". Später fand man noch einige hunderte weitere Bruchstücke - insgesamt hat man knapp 10 Kilogramm des Almahata-Sitta-Meteorits finden und bergen können.
Und das hat der Wissenschaft völlig neue Untersuchungen ermöglicht. Meteoriten an sich gibt es ja genug; die Sammlungen der Museen und die Labore der Wissenschaft sind zwar nicht überfüllt, aber es reicht um gute Forschung anzustellen zu können. Bei so gut wie allen Meteoriten haben wir aber keine gute Ahnung woher sie stammen. Wir können zwar aus geologischen Untersuchungen in Einzelfällen gute Vermutungen aufstellen und manche Meteoriten bestimmten Himmelskörpern zuordnen; wissen als etwa ob ein Meteorit vom Mond oder vom Mars stammt. Aber die überwiegende Mehrheit der Meteoriten die wir entdeckt haben, lag einfach so auf der Erde rum ohne zu verraten, wo sie hergekommen sind.
Der Fall von 2008 TC3 war ein weiteres Mal einzigartig. Wir haben zuerst den Asteroid im All entdeckt, seine Bahn berechnet und einen Einschlag auf der Erde vorhergesagt. Dieser Einschlag ist genau so eingetreten und konnte beobachtet werden. Und dann haben wir auch Meteoriten gefunden, konnten also das Ding das zuerst nur als Lichtpunkt im All und später als Explosion am Himmel zu sehen war, nun auch konkret anfassen und im Labor untersuchen.
Was man dann auch getan hat. Und dabei festgestellt hat, dass es sich um ein ziemlich spezielles Exemplar handelt. Die erste Probe gehörte zur seltenen Gruppe der Ureilite. Das sind Steinmeteorite mit einem hohen Anteil von Kohlenstoff der unter anderem in Form winziger Diamanten zu finden ist. Als man dann aber später die restlichen Proben untersucht hat, hat sich gezeigt dass circa ein Viertel des Meteoriten zu einer anderen Klasse von Steinmeteoriten gehört. Das bedeutet, dass 2008 TC3 aus geologisch verschiedenen Stücken zusammengesetzt sein muss und das wiederum heißt, dass er selbst eine sehr interessante Vergangenheit haben muss.
2008 TC3 war kein Felsbrocken der in der Form schon seit 4,5 Milliarden Jahren durchs Sonnensystem fliegt. Damals, vor der Entstehung der Planeten haben sich aus Staub und Eis ja zuerst einmal die Asteroiden und Kometen gebildet. Und erst daraus dann Planeten wie die Erde. Nur das übrig gebliebene Baumaterial nennen wir heute noch "Asteroid". Aber 2008 TC3 muss selbst einmal Teil eines größeren Objekts gewesen sein. Ich habe in Folge 111 der Sternengeschichten schon von "Asteroidenfamilien" erzählt, also Gruppen von Asteroiden die alle eine ähnliche Zusammensetzung haben und durch Zusammenstöße von größeren Objekten entstanden sind. Aus den Bahndaten von 2008 TC3 und den geologischen Informationen der Meteoriten konnte man zeigen, dass er vermutlich aus der Nysa-Polana-Familie stammt. Die befindet sich am inneren Rand des Asteroidengürtels zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Die Mitglieder der Familie sind circa 2,5 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, haben alle vergleichsweise kreisförmige Umlaufbahnen die nicht stark gegenüber der Erdbahn geneigt sind. Die Familie selbst setzt sich aus zwei Untergruppen zusammen - wenig überraschend die "Nysa"- und die "Polana"-Gruppe - die chemisch unterschiedlich sind. Man vermutet nun, dass 2008 TC3 bei einer Kollision zweier Bruchstücke aus diesen beiden Untergruppen entstanden ist. Wenn die Kollision langsam genug stattfindet - was bei den Umlaufbahnen dieser Asteroiden nicht unwahrscheinlich ist - dann können die, vereinfacht gesagt, einfach zusammenpappen und einen neuen Asteroid formen. Darüber hinaus wissen wir auch, dass die Nysa-Polana-Asteroiden sich in einer Gegend des Sonnensystems befinden, wo die gravitativen Störungen des Jupiters dafür sorgen, dass immer wieder Objekte aus der Familie hinaus in Richtung Erde umgeleitet werden.
Das war aber bei weitem noch nicht alles was wir von 2008 TC3 gelernt haben. 2018 hat man sich die Diamanten in den Meteoriten noch mal genauer angesehen. An sich sind solche Mini-Diamanten nicht weiter besonders. Sie können entstehen, wenn zwei Himmelskörper kollidieren und für kurze Zeit ein enorm hoher Druck herrscht. Und 2008 TC3 hat ja definitiv eine kollisionsreiche Vergangenheit hinter sich. Die in ihm gefundenen Diamanten sind aber zu groß um während einer kurzen Kollisionsphase entstanden zu sein. Die mineralogische Untersuchung hat gezeigt, dass das Material für sehr lange Zeit einem Druck von mindestens 200.000 bar ausgesetzt sein musste, damit sich Diamanten wie bei den Almahata Sitta Meteoriten bilden konnte. Solche Bedingungen findet man nur im Inneren von ausreichend großen Himmelskörpern; vergleichbar zum Beispiel mit dem Merkur. Zumindest ein Teil des Gesteins aus dem sich 2008 TC3 gebildet hat, muss also irgendenwann mal im Inneren eines planetengroßen Objekts gewesen sein.
Das zeigt auch eine Arbeit aus dem Jahr 2020 die ein ganz spezielles Mineral gefunden hat dass sich ebenfalls nur unter ausreichend großem Druck, bei bestimmten Temperaturen und während einer entsprechend langen Zeit unter Anwesenheit von Wasser gebildet haben kann. Bedingungen die ebenfalls nur in großen Himmelskörpern herrschen. Der Ursprung von 2008 TC3 muss also ein Objekt gewesen sein, das mit den großen Asteroiden wie Ceres oder Pluto bzw. kleinen Planeten wie dem Merkur zu vergleichen ist. Durch eine oder mehrere Kollisionen muss Material aus diesem großen Objekt herausgebrochen sein und dann mit anderen Bruchstücken den kleinen Asteroid gebildet haben, der 2008 auf die Erde gefallen ist.
Der Ursprungskörper von 2008 TC3 existiert dabei allerdings nicht mehr. Er ist, so wie viele andere planetengroße Objekte, schon vor langer Zeit verschwunden. In der chaotischen Frühzeit des Sonnensystems haben noch sehr viel mehr große Himmelskörper ihre Runden um die Sonne gezogen als heute. Die acht Planeten und die Handvoll großer Asteroiden sind nur das, was übrig geblieben ist. Der Rest ist bei Kollisionen zerstört oder aus dem Sonnensystem geworfen worden.
2008 TC3 hat uns also einen faszinierenden Blick auf die unwiederuflich verlorene Welt des jungen Sonnensystems gezeigt; hat uns in eine Vergangenheit schauen lassen in der es noch sehr viel wilder zuging und in der Planeten um die Sonne kreisten die es nicht mehr gibt. Und vielleicht lernen wir von ihm auch noch etwas über unseren eigenen Ursprung. 2010 konnte man im Gestein der Almahata Sitta Meteoriten das Vorhandesein von Aminosäuren nachweisen. Diese chemischen Moleküle sind die Bausteine aus denen Proteine bestehen und die sind das, ohne das kein Lebewesen auskommt das wir kennen. Die "Bausteine des Lebens" also, wie es gerne in den Medien heißt. Das heißt nicht, dass irgendwas auf oder in 2008 TC3 gelebt hat; auch nicht auf dem Ursprungskörper. Aber es zeigt, dass sich die Moleküle die für die Entstehung des Lebens nötig sind, auch im Weltall bilden können. Was wir vorher auch schon gewusst haben; wir haben Aminosäuren schon auf anderen Asteroiden und Kometen gefunden. Insofern war 2008 TC3 nicht besonders. Besonders war allerdings die Tatsache, dass die Aminosäuren die hohen Temperaturen beim Einschlag eigentlich nicht überleben hätten sollen. Entweder also, sie sind tief im Inneren des Gesteins vielleicht doch besser geschützt als wir dachten und können auch leichter durch Meteoriten aus dem All auf Planeten verteilt werden um so die Entstehung des Lebens zu erleichtern. Oder aber sie sind erst BEIM Einschlag selbst entstanden als die hohen Temperaturen entsprechende chemische Reaktionen möglich gemacht haben. Was ebenfalls interessant ist, da in der Frühzeit des Sonnensystems wesentlich mehr Asteroiden auf die Erde gefallen sind als heute. Ständiges Bombardement mit großen Steinen aus dem All ist natürlich schlecht für die Entstehung des Lebens. Aber vielleicht ist es auch notwendig, um die Chemikalien und Vorraussetzungen zu schaffen damit Leben entstehen kann, wenn die Einschläge vorbei sind.
Objekte wie 2008 TC3 sind ein absoluter Glücksfall für die Wissenschaft. Das Ding war der erste Asteroid dessen Geschichte wir so gut erforschen konnten und dessen Weg aus dem All auf die Erde direkt nachvollziehbar war. Es mag seltsam klingen, wenn man sich wünscht das mehr Asteroiden auf der Erde einschlagen. Aber wenn sie so klein sind wie dieser, dann bin ich als Astronom absolut dafür!
Sternengeschichten Folge 426: Canopus - Steuermann für Raumsonden
Heute gibt es in den Sternengeschichten zur Abwechslung mal wieder eine echte Sternengeschichte. Also eine Geschichte über einen Stern. Wir sehen uns gemeinsam "Canopus" an. Oder besser gesagt: Wir reden darüber. Denn sehen kann man Canopus von Europa aus so gut wie gar nicht. Nur wenn man wirklich ganz weit nach Süden reist, nach Gibraltar, nach Malta oder nach Kreta zum Beispiel kann man ihn sehen. Oder man befindet sich außerhalb von Europa, in Afrika, in Mittelamerika, sonstirgendwo im Süden oder überhaupt gleich auf der Südhalbkugel der Erde - was ja jede Menge Menschen tun (die aber vermutlich nicht zur regelmäßigen Hörerschaft dieses Podcasts gehören).
Wenn man sich an einem Ort befindet an dem man Canopus sehen kann, dann ist es meistens auch nicht schwer ihn zu sehen. Nach Sirius ist Canopus nämlich der zweithellste Stern am Nachthimmel, da muss man sich nicht sonderlich anstrengen. Deswegen ist er den Menschen auch schon ziemlich früh aufgefallen und sie haben ihn immer wieder beobachten. Das hat zum Beispiel der Astronom Abū l-Walīd Muhammad ibn Ahmad Ibn Ruschd getan, auch und ein wenig kürzer bekannt unter seinem lateinischen Namen "Averroes". Geboren wurde er in Al-Andalus, im spanischen Cordoba. Von da aus konnte er Canopus nicht sehen, als er aber im Jahr 1153 nach Marrakesh reiste, war Canopus super zu beobachten. Das bestärkte ihn in seiner Ansicht (die zuvor natürlich auch schon längst andere Leute geäußert haben), dass die Erde eine Kugel sein muss. Weil wie sonst soll man es erklären, dass da plötzlich ein Stern am Himmel auftaucht wenn man Richtung Süden reist der im Norden nicht zu sehen ist. Und der wieder unter dem Horizont verschwindet, wenn man zurück nach Norden fährt?
Über den Ursprung des Namens gibt es unterschiedliche Versionen. Der griechische Name "Canopus" wurde schon in der Antike für den Stern verwendet. In der Mythologie hat er immer mit Schiffen zu tun. Bei den Ägyptern war "Kanopus" der Admiral einer Flotte der die Götter Isis und Osiris nach Indien brachte. In Griechenland erzählte der Dichter Homer die Geschichte des trojanischen Kriegs in dem der König von Sparta - Menelaos - deswegen in besagten Krieg nach Troja zog weil die Trojaner seine Frau entführt haben. Auf der Heimfahrt wurde sein Schiff vom Steuermann "Kanobos" gesteuert. Das Sternbild, in dem die griechischen Gelehrten den Stern Canopus gesehen hatten, wurde nach einem ebenfalls berühmten Schiff aus der Mythologie benannt. "Argo Navis" oder "Schiff Argo"; das Boot mit dem der Held Jason und seinen "Argonauten" sich auf den Weg zu ihren Abenteuern machten. Und wenn man schon ein Schiff an den Himmel setzt, dann braucht es auch einen Steuermann, haben die Leute sich damals wahrscheinlich gedacht und den hellsten Stern dort "Canopus" genannt.
Was es daneben auch noch gibt ist eine ägyptische Stadt die "Kanopus" heißt. Beziehungsweise gibt es sie nicht mehr, aber früher hat es sie mal gegeben. Im westlichen Nildelta, an der Küste des Mittelmeers, ein Stück östlich wo sich heute die Stadt Alexandria befindet. Angeblich soll Menelaos dort seinen Steuermann begraben haben als der dort etwas überraschend bei einem Landausflug von einer Schlange gebissen wurde und starb. Es kann auch sein, dass der Name damit gar nix zu tun hat, sondern vom ägyptischen Begriff "Kahi Nub" kommt, was so viel wie "goldene Erde" bedeutet und sich darauf beziehen könnte, dass man den Stern Canopus von der Stadt Kanopus direkt am Horizont stehen sehen konnte, wo sein Licht gelb-golden erscheint weil es den ganzen Staub der dicken Atmosphäre durchqueren muss. Oder aber die Stadt heißt nicht "goldene Erde" sondern "goldener Boden" weil es ganz einfach eine sehr reiche Hafenstadt war.
Kurz gesagt: Es gibt jede Menge Mythen und warum der Stern so heißt wie er heißt, ist unklar. Klar ist dagegen, dass er seit Juli 2016 ganz offiziell den Eigennamen "Canopus" trägt, das hat die Internationale Astronomische Union so entschieden. Sein offizieller Katalogname war und ist immer noch "Alpha Carinae". Also der hellste Stern (alpha) im Sternbild Carina und "Carina" heißt auf deutsch "Kiel des Schiffes". Als der französische Astronom Nicolas-Louis de Lacaille im 18. Jahrhundert die Sternbilder am Himmel neu organsierte, war im das enorm große Sternbild "Argo Navis" aus der Antike ein wenig zu unübersichtlich. Also hat er es in drei kleinere Sternbilder aufgeteilt: Puppis, Carina und Vela oder auf deutsch "Achterdeck", "Kiel" und "Segel" des Schiffes. Der Steuermann ist im Kiel gelandet und leuchtet seither als hellster Stern dieses Sternbilds vom Himmel.
Das war jetzt ziemlich viel Geschichte und Mythologie und recht wenig Astronomie. Dabei gibt es gerade da sehr viel von Canopus zu erzählen. Mittlerweile auf jeden Fall, denn lange Zeit war da ziemlich viel unklar. Das hat schon bei seinem Abstand zur Erde angefangen. Die angegeben Werte schwankten zwischen knapp 100 und 1200 Lichtjahren. Das ist ein ziemlich großes Intervall und es ist überraschend, dass man das noch bis 2007 nicht genauer wusste. Das Problem ist das Problem das wir haben wenn es darum geht die Entfernung zu einem Stern zu bestimmen. Die Dinger schauen ja immer nur aus wie helle Punkte am Himmel, egal ob sie nah sind oder weit weg. Man kann jetzt entweder probieren die Parallaxe zu messen. Also die scheinbare Verschiebung in der Position des Sterns wenn man ihn aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet. Zum Beispiel Einmal im Juni und einmal im Januar, da die Erde sich ja in der Zwischenzeit ein großes Stück entlang ihrer Bahn um die Sonne bewegt hat. Dieser Effekt ist aber winzing und es hat bis 1838 gedauert bis man das überhaupt mal bei einem Stern messen konnte, wie ich schon in Folge 19 erzählt habe. Und selbst ab da war es schwer, mit dieser Methode die Entfernung erstens genau und zweitens für eine relevante Menge an Sternen zu bestimmen. Also hat man sich mit anderen Methoden beholfen. Wenn man wüsste, wie hell ein Stern WIRKLICH leuchtet, dann müsste man nur diese "absolute Helligkeit" mit der am Himmel sichtbaren "scheinbaren Helligkeit" vergleichen. Und kann daraus schnell und einfach den Abstand berechnen. Das Problem: Die absolute Helligkeit kennt man nicht, wenn man sie genau wissen will geht das nur, wenn man den Abstand schon kennt. Man kann sie aber zumindest schätzen, aus dem Spektraltyp des Sterns. Also - vereinfacht gesagt - aus seiner Farbe und seiner scheinbaren Helligkeit. Daraus lässt sich die Temperatur abschätzen, die Masse des Sterns und damit kann man wiederum ungefähr ableiten wie die absolute Helligkeit ist. Aber nur, wenn man wirklich genau weiß, wie diese ganzen Größen zusammenhängen und wie die Spektraltypen genau funktionieren. Was kompliziert ist, wie ich in Folge 132 schon genau erklärt habe. Vor allem muss man viele unterschiedliche Beispiel für den in Frage stehenden Spektraltyp kennen und studieren können. Und leider gehört Canopus zu einer Spektralklasse für die man kaum Sterne kannte und die daher schlecht untersucht und verstanden war.
Canopus gehört zum Spektraltyp F0II (das war zumindest einer der Werte die früher bekannt waren), das sind Sterne die ein bisschen heißer und massereicher sind als unsere Sonne. Was aber nicht das Problem ist. Das steckt in der "Leuchtkraftklasse". Dabei geht es um den Entwicklungszustand, also um die Frage ob der Stern noch ein normaler Stern ist, ob er sich schon zu einem Riesenstern aufgebläht hat weil er sich dem Ende seines Lebens nähert, und so weiter. Unsere Sonne gehört zum Typ "V", ist also offiziell ein "Zwergstern", also noch in ihrem normalen Zustand. Erst in ein paar Milliarden Jahren wird sie sich zu einem Roten Riesen aufblähen und dann auch eine andere Leuchtkraftklasse haben (wahrscheinlich III). Canopus aber gehört zur Leuchtkraftklasse II, was sogenannte "Helle Riesen" bezeichnet. Das sind Sterne, die gerade an der Grenze zwischen Riesensternen und den noch größeren/helleren/heißeren Überriesen stehen. So oder so - es war schwer nur aus der Beobachtung des Canopus von der Erde aus rauszufinden, welche Art von Stern man da vor sich hat.
Je nachdem was man da jetzt für Schätzwerte eingesetzt hat, kam mal eine größere Entfernung raus und mal eine kleinere. Erst als gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Satellit Hipparcos - über den ich in Folge 87 ausführlich gesprochen habe - bei hunderttausenden Sternen genaue Parallaxen messen konnte, war klar: Canopus ist knapp 300 Lichtjahre von der Erde entfernt. Darüber hinaus hat er eine Masse die dem 15fachen der Sonnenmasse entspricht. Der Radius von Canopus beträgt das 71fache des Sonnenradius und der Stern leuchtet mehr als 10.000 Mal heller als unsere Sonne. Mit einer Oberflächentemperatur von 7500 Kelvin ist er ein wenig heißer als unsere Sonne. Und welcher Spektral- und Leuchtkraftklasse er angehört ist immer noch nicht ganz klar. Er liegt irgendwo an der Grenze zwischen den Spektralklassen A und F und an der Grenze zwischen den hellen Riesen und den Überriesensternen.
Was wir von Canopus auch schon beobachtet haben sind Röntgenstrahlen; die werden vermutlich in der extrem heißen äußersten Atmosphärenschicht des Sterns erzeugt. Was wir dort bis jetzt nicht gefunden haben sind Planeten; man hat zwar mal vor langer Zeit gedacht dass man entsprechende Anzeichen dort gefunden hat. Die sich aber als Fehlinterpretation herausgestellt haben. Das was man für die Auswirkungen der Gravitation eines Planeten auf die Bewegung des Sterns gehalten hatte, war in Wahrheit die Bewegung der Atmosphäre des Sterns selbst.
Aber ganz unabhängig von all dem was man über Canopus weiß oder nicht weiß - eines bleibt fix. Der Stern ist von der Erde aus extrem hell und gut zu beobachten. Nicht nur weil er so hell ist, sondern weil in seiner Umgebung auch so wenig andere helle Sterne sind. Das macht ihn besonders gut geeignet um ihn als Markierung zur Navigation zu benutzen. Was jede Menge Völker im Laufe der Zeit in Afrika, Australien, Polynesien, Mittel- und Südamerika, China, Indien und so weiter getan haben. Sie alle haben eigene Mythen und Geschichten über den hellen Stern erzählt, ihm ihre eigenen Namen gegeben und ihre eigene Forschung darüber angestellt.
Aber nicht nur früher, auch heute noch dient Canopus der Orientierung am Himmel. Der mythologische Steuermann weist zum Beispiel Raumsonden den Weg durchs All die den hellen und leicht zu findenden Stern zur Positionsbestimmung benutzen. Unsere Fantasie regt Canopus aber auch weiterhin an. Der Stern hat es in das Werk der britischen Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Doris Lessing geschafft; sogar bis in den Titel ihrer fünfbändigen Science-Fiction-Serie "Canopus im Argos". Und in der grandiosen Romanreihe "Dune" von Frank Herbert umkreist der titelgebende Planet ebenfalls den Stern Canopus.
Wer also von euch mal die Chance haben sollte, den Stern zu beobachten sollte das auf jeden Fall machen!
Sternengeschichten Folge 425: Der Pferdekopfnebel
Der Pferdekopfnebel ist ein Nebel der aussieht wie ein Pferdekopf. Das taugt als Erklärung aber nicht viel und reicht schon gar nicht für eine komplette Folge der Sternengeschichten. Aber glücklicherweise gibt es über dieses faszinierende Objekt noch viel mehr zu erzählen. Als das Hubble-Weltraumteleskop im Jahr 2001 seinen 11 Geburtstag feierte, fand im Internet eine Umfrage statt. Man wollte wissen welches Himmelsobjekt man zur Feier des Tages beobachten sollte. Die Wahl fiel auf den Pferdekopfnebel. 2013, zum 23. Geburtstag des Teleskops war der Nebel ein weiteres Mal der Ersatz für den Kuchen. Und dazwischen hat das Teleskop ebenfalls jede Menge Bilder davon gemacht. Ebenso wie davor und danach und nicht nur das berühmte Weltraumteleskop schaut sich gern den Pferdekopfnebel an; er wurde im Laufe der Zeit von allen möglichen Menschen beobachtet, aus wissenschaftlichen Gründen ebenso wie einfach nur aus Spaß an der Freude.
Wobei das Teil gar nicht so einfach zu beobachten ist. Nicht ohne optische Hilfsmittel und auch dann ist es schwer zu sehen. Man kann zwar schon mit einem kleinen Teleskop erfolgreich sein. Aber dann muss man genau wissen was man tut, wohin man schaut, was für ein Anblick zu erwarten ist, braucht einen extrem dunklen Himmel und muss die Augen vor der Beobachtung sehr gut an die Dunkelheit anpassen, also eine Stunde oder länger - vereinfacht gesagt - ins Dunkle starren bevor man anfängt irgendwas auch nur annähernd helles zu beobachten.
Dass Wissen, dass es Objekte wie den Pferdekopfnebel überhaupt gibt kann man auf die Arbeit des Astronomen Wilhelm Herschel zurückführen. Der hat bei seiner Beobachtung des Himmels mit dem Teleskop immer wieder Bereiche entdeckt, die wie dunkle Löcher im Sternenhimmel aussehen. Für die hat er sie auch gehalten. Mehr über die Sache hat man dann erst im 19. Jahrhundert rausgefunden. Der amerikanische Astronom Edward Charles Pickering war ab 1877 Direktor der Sternwarte des Harvard College. Auf Anraten seines Bruders William Henry, ebenfalls ein Astronom, begann er sich intensiv mit der damals noch relativ neuen Disziplin der astronomischen Fotografie zu beschäftigen und fing damit an den Himmel systematisch zu fotografieren. Er suchte sich den Orion-Nebel aus um die Techniken auszuprobieren und ab 1887 machte er diverse Aufnahmen dieser Region.
Und hier unterbrechen wir die geschichtliche Abhandlung kurz und schauen uns den Orion-Nebel ein wenig genauer an. Beziehungsweise nicht, den der ist zwar auch ein Nebel, aber ein anderer als der um den es heute gehen soll. Aber wer Lust, dunklen Himmel und gute Augen hat kann gerne mal probieren ihn zu beobachten; das geht theoretisch schon ohne Hilfsmittel. Dann sieht man aber nur ein verschwommenes Etwas und nicht den prächtig leuchtenden Gasnebel den große Teleskope sichtbar machen. Was man aber zumindest in den Wintermonaten auf der Nordhalbkugel ohne Probleme sehen kann sind die hellen Sterne des Sternbilds Orion. Die sind fast so leicht zu erkennen wie die des großen Wagens. Der "Himmelsjäger" Orion aus der griechischen Mythologie ist mit ein wenig Fantasie sogar als Strichfigur zu sehen und um seine Mitte hat er einen Gürtel aus drei sehr hellen Sternen. Einer davon heißt Alnitak oder auch Zeta Orionis. Und genau diese Region des Himmels ist auf einer Aufnahme von Edward Charles Pickering abgebildet, die am 6. Februar 1888 gemacht wurde.
Was auf der Fotoplatte mit der Nummer B2312 zu sehen ist, schaut wirklich nett aus. Drei sehr helle Sterne im oberen Teil des Bildes, der linke von ihnen ist Zeta Orionis. In dessen Nähe erkennt man ein paar nebelartige Strukturen, vor allem eine längliche Wolke die sich nach Süden, also im Bild nach unten weisend, dahin zieht. Um mehr Details zu erkennen muss man aber wirklich genau schauen. Das hat die Astronomin Williamina Fleming getan. Sie wurde in 1857 in Schottland geboren, arbeitete dort als Lehrerin, übersiedelte mit 21 Jahren nach Boston in die USA und wurde von ihrem Mann verlassen als sie gerade schwanger war. Sie brauchte schnell einen neuen Job und fand ihn als Hausangestellte von Edward Charles Pickering. Der war beeindruckt von ihr und ihrer Intelligenz. Und weil er mit seinen Angestellten an der Harvard-Sternwarte unzufrieden war, stellte er einfach Williamina Fleming ein. Um die männlichen Kollegen zu demütigen - aber mit Sicherheit auch weil er einer Frau deutlich weniger Gehalt zahlen musste als einem Mann. So oder so: Fleming nutzte die Chance und erledigte ihren Job hervorragend. Der bestand unter anderem darin, die Unmengen an Himmelsfotografien zu klassifizieren, auszuwerten und zu analysieren. Dabei legte sie die Grundlage für die heute noch verwendete Methode um Sterne anhand ihrer Temperatur und Helligkeit einzuteilen, wie ich schon in Folge 132 erzählt haben. Dabei kamen ihr aber auch die Aufnahmen der Orion-Region unter die Finger bzw. Augen. Und auch hier beschrieb und sortierte sie ganz genau, was zu sehen war.
Im Jahr 1890 erscheint ein wissenschaftlicher Aufsatz mit dem Titel "Detection of new nebulae by photography" und in einer Tabelle ist dort ganz genau vermerkt, welche nebelartigen Regionen gefunden wurde. Unter Punkt 21 kann man dort lesen, dass "ein großer Nebel sich von Zeta Orionis nach Süden erstreckt" - das ist genau das Teil von dem wir vorhin schon gesprochen haben. Es wird hier aber auch ganz bestimmtes Detail vermerkt, nämlich "eine halbkreisförmige Einbuchtung". Und genau die ist es, die uns interessiert. Die Arbeit aus dem Jahr 1890 ist veröffentlicht worden ohne explizit anzugeben, wer sie verfasst hat. Aber man kann erstens davon ausgehen (und tut das auch), dass sie von Edward Charles Pickering geschrieben wurde und im Text selbst ist auch noch explizit vermerkt, dass die Untersuchung der Fotoplatten von Williamina Fleming durchgeführt wurde. Eine spätere Arbeit aus dem Jahr 1908 lässt dann keine Zweifel mehr offen. In "Nebulae discovered at the Harvard College Observatory" wo - wie der Titel erklärt - alle Nebel aufgelistet sind die in Harvard entdeckt wurden, findet man als Nummer 62 genau das Objekt von dem wir schon die ganze Zeit reden und als Entdeckerin ist dort explizit Williamina Fleming gelistet. Sie ist also die Entdeckerin des Pferdekopfnebels.
Es war Fleming und nicht etwa Herschel oder Pickering, wie man lange Zeit an diversen Stellen lesen konnte. Der Amateurastronom Stephen Waldee hat ganze Sache aber in einer langen sehr ausführlichen Recherche in den 1980er und 1990er Jahren mehr als klar gestellt. Jetzt wissen wir also, wer das Ding entdeckt hat. Aber immer noch nicht so genau, um was es sich eigentlich handelt.
Wolkenartige Gebilde kann man in großer Zahl am Himmel sehen. Am besten davon die, die selbst leuchten, also die sogenannten "Emissionsnebel". Dabei handelt es sich um große Wolken aus Gas (fast ausschließlich Wasserstoff, aber auch ein paar andere Elemente wie Helium, Sauerstoff oder Stickstoff) zwischen den Sternen. Die aber von den Sternen in der Umgebung angeleuchtet werden. Wenn es sich dabei um junge, heiße Sterne handelt, kann die starke Strahlung die Atome der Wolken zum Leuchten anregen. Genau das ist im Orion der Fall, denn solche Wolken sind ja auch genau die Regionen in denen neue Sterne entstehen. Wir haben also Wolken, durchsetzt von heiß leuchtenden Sternen wodurch auch die Wolken leuchten. Aber nicht alle. Manche tun das nicht und die heißen, wenig überraschend, "Dunkelwolken". Sie sind im allgemeinen ein wenig dichter als die anderen Wolken; sie bestehen auch nicht nur aus Gas sondern enthalten auch Staub und absorbieren das Sternenlicht. Sie bleiben so lange dunkel, bis in ihrem dichten Kern ein neuer Stern entsteht.
Das helle, nebelartige Gebilde das Williamina Fleming südlich des Sterns Zeta Orionis beschrieben hat ist ein Emissionsnebel der heute die Bezeichnung "IC 434" trägt. Er leuchtet hell - und von uns gesehen genau davor befindet sich eine Dunkelwolke. Das ist die "halbkreisförmige Einbuchtung" im Nebel die Fleming entdeckt hat. Die aber keine Einbuchtung IM Nebel ist. Sondern eben ein Bereich des Nebels dessen Licht wir nicht sehen können weil es von der davor liegenden Dunkelwolke absorbiert wird.
Pickering und Fleming wussten damals aber noch nicht dass es sich um eine Dunkelwolke handelt. Dass es so etwas gibt und dass die dunklen Gebiete keine "Löcher im Himmel" sind wie Herschel es dachte, geht auf die Arbeit des amerikanischen Astronoms Edward Barnard und des deutschen Astronoms Max Wolf zurück. Beide machten großartige Aufnahmen verschiedener Nebel, unter anderem von der Region die auch Fleming schon untersucht hatte. Darauf war die dunkle Region viel besser zu sehen. Mit diesen Daten konnten Barnard und Wolf erkennen, dass da nicht einfach nur aus irgendeinem Grund keine leuchtenden Sterne waren. Sondern dass die dunklen Flecken durch Staub- und Gasmassen verursacht werden die das Licht blockieren. Barnard erstellte einen Katalog der ihm bekannten Dunkelwolken und Eintrag Nummer 33 darin ist der Pferdekopfnebel.
Der aber immer noch nicht als "Pferdekopfnebel" bekannt war. Wenn man sich moderne Abbildungen ansieht, zum Beispiel die Geburtstagsbilder von Hubble, dann sieht die dunkle Wolke dem Kopf eines Pferdes wirklich überraschend ähnlich. Aber auf den alten Aufnahmen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist wirklich nicht mehr zu erkennen als eine Einbuchtung. Wer dem Ding den Namen "Pferdekopf" gegeben hat, ist unklar. Auf jeden Fall konnte das erst dann passiert sein, als die Bilder gut genug waren um diese Form auch zu zeigen. Der vorhin schon erwähnte Stephen Waldee ist auch dieser Frage ausgiebig nachgegangen und fand die erste veröffentlichte Erwähnung dieses Namens in einem Astronomie-Lehrbuch aus dem Jahr 1926, verfasst vom amerikanischen Astronom John Charles Duncan. Und tatsächlich hat Duncan einige Aufnahmen des Nebels gemacht und sie gehören zu den frühesten Bildern auf denen der Pferdekopf deutlich erkennbar ist. Das in seinem Lehrbuch abgebildete Foto stammt aus dem Jahr 1920 - Es gibt aber auch einen Briefwechsel zwischen den beiden Astronomen Frederick Seares und George Ellery Hale aus dem Jahr 1923 in der die Bezeichnung "Pferdekopf" vorkommt; sie muss also damals schon in Gebrauch gewesen sein. Ob es wirklich Duncan und sein Bild aus dem Jahr 1920 waren, die diesen Namen angestoßen haben oder doch irgendwer anderer lässt sich eindeutig vermutlich nicht klären.
Ist aber auch egal, denn dieses Wissen braucht man nicht unbedingt um den Pferdekopfnebel beeindruckend zu finden. Oder ihn zu erforschen, was man natürlich ausführlich getan hat. Der Nebel ist 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt und ungefähr 3,5 Lichtjahre groß. Seine gesamte Masse beträgt das 27fache der Masse unserer Sonne und er besteht hauptsächlich aus Wasserstoff, aber man findet dort auch jede Menge komplexere Moleküle aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff oder Schwefel. Der ganze Staub mitsamt dem Gas ist in Bewegung; der Pferdekopf wird im Laufe der Zeit also seine Form verlieren und sich auflösen. Das wird aber erst in circa 5 Millionen Jahren so weit sein. Es bleibt also noch genug Zeit sich den Pferdekopf im Weltraum anzusehen!
Sternengeschichten Folge 424: Röntgenastronomie
Astronomie ist super. Das kommt jetzt vermutlich wenig überraschend, denn immerhin erzähle ich ja schon seit 423 Folgen was das Universum an spannenden Geschichten zu bieten hat. Was aber nichts am grundlegenden Befund ändert: Die Astronomie ist super. Denn so gut wie alles im Universum ist wahnsinnig weit weg. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass man gar nichts über Objekte herausfinden kann, die hundertausende, Millionen oder Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Können wir aber! Weil die Astronomie super ist.
Und keine Sorge, ich höre schon wieder auf mit der Lobhudelei. Sondern erkläre, wie genau die Astronomie es schafft, so super zu sein wie sie ist. Vor allem deswegen, weil sie extrem gut schauen kann. Das ist ja auch das einzige, was der Astronomie übrig bleibt. Direkt erforschen kann man die Phänomene im Universum nur sehr selten; gerade einmal ein paar Himmelskörper in unserem eigenen Sonnensystem haben wir mit Raumsonden vor Ort untersucht. Alles andere müssen wir aus der Ferne anschauen. Und die Astronomie hat gelernt, das besser zu tun als alle anderen. Jahrtausendelang blieb den Menschen nur die Untersuchung des normalen Lichtn der Sterne und als Beobachtungsinstrument hatte man nur die eigenen Augen. Dann kam das Teleskop. Und später fand man heraus, dass da noch viel mehr Licht zu sehen ist. Darüber habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft gesprochen. Über die Infrarotstrahlung, die Ultraviolettstrahlung und so weiter; über all den Rest des sogenannten "elektromagnetischen Spektrums". All das ist Licht, von dem unsere Augen nur einen kleinen Teil wahrnehmen können.
Die künstlichen Augen der Astronomie können aber auch den Rest sehen. Und über einen sehr faszinierenden Teil dieses Rests und dessen Beobachtung geht es heute: Die Röntgenastronomie. Röntgenstrahlung kennen wir aus dem Alltag vor allem dann, wenn wir aus medizinischen Gründen damit beleuchtet werden. Oder besser gesagt: Durchleuchtet. Denn das aus medizinischer Sicht besondere an dieser Strahlung ist ja die Tatsache, dass es menschlisches Gewebe (und andere Stoffe) leicht durchdringen kann; von dichteren Objekten wie unseren Knochen aber absorbiert wird. Ein Röntgenbild zeigt uns also, wie wir innendrin ausschauen. Über die Entdeckung der Röntgenstrahlung will ich heute nicht reden; obwohl das auch eine sehr faszinierende Geschichte ist. Stattdessen schauen wir uns die Strahlung selbst ein wenig genauer an.
Sie kann unseren Körper deswegen durchdringen, weil ihre Wellenlänge sehr klein ist. Normales Licht hat Wellen die 430 bis 640 Nanometer groß sind; also ein paar hundert Milliardstel Meter. Das ist schon ziemlich wenig, aber Röntgenstrahlen sind noch viel kurzwelliger. Ihre Wellenlängen liegen zwischen 10 Pikometern und 10 Nanometern. Also zwischen einem 10 Billionstel Meter und einem 10 Milliardstel Meter. Obwohl es bei Röntgenstrahlung üblich ist, nicht die Wellenlänge anzugeben sondern die Energie. Lichtwellen haben ja auch eine Energie und zwar um so mehr, je kürzer ihre Wellenlänge ist. In dem Fall geht es um Werte zwischen circa 0,1 und 500 Kiloelektronenvolt. Und ein Elektronenvolt ist die Menge an Energie um die sich die Bewegungsenergie eines Elektrons verändert, wenn es durch ein elektrischen Feld mit einer Spannung von einem Volt fliegt. Die Energie von normalen, also für unsere Augen sichtbaren Licht liegt circa zwischen 1,5 und 3,3 Elektronenvolt. Bei Röntgenstrahlen geht es aber um KILOelektronenvolt, also tausend mal so viel Energie. Die etwas langwelligere Röntgenstrahlung mit niedrigeren Energie von weniger als 2 keV wird oft auch als "weiche" Röntgenstrahlung bezeichnet; die Strahlung mit mehr Energie als "harte" Röntgenstrahlung.
Bleiben noch zwei Fragen: Was im Universum erzeugt eigentlich Röntgenstrahlung und wie beobachtet man das? So gut wie alles und sehr schwer!, wäre die kurze Antwort. Das Problem bei der Beobachtung von Röntgenstrahlung aus dem All liegt darin, dass sie unsere Erdatmosphäre nicht durchqueren kann. Beziehungsweise ist das nur ein Problem für die Astronomie; ansonsten ist das schon ok - denn zuviel der hochenergetischen Strahlung ist für Lebewesen durchaus gefährlich. Es ist also gut dass wir auf der Erde davor geschützt sind und die vielen Luftmoleküle die Strahlung absorbieren anstatt bis zum Boden durchzulassen. Aber wenn wir sie beobachten wollen, braucht es eine Lösung. Die fand sich aber erst spät. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Vermutungen dass zum Beispiel auch unsere Sonne Röntgenstrahlung abgibt; das war etwa eine Idee der der amerikanische Physiker Edward Olson Hulburt 1938 hatte. Aber niemand kam so weit nach oben um auch konkret nachschauen zu können. Das gelang erst nach dem zweiten Weltkrieg als man in Amerika die in Deutschland erbeuteten V2-Raketen auch zu wissenschaftlichen Zwecken einsetzen konnte.
Die echte Röntgenastronomie begann am 5. August 1948 als genau so eine Rakete von einem Startplatz in New Mexico aus ins All flog. Mit an Bord war ein Detektor für Röntgenstrahlung und der tat was er sollte, nämlich detektieren. Allerdings nur kurz, denn die Rakete hat nur einen kurzen Ausflug gemacht. Sie hat eine Höhe von 166 Kilometern erreicht und fiel danach wieder zurück auf die Erde. Aber weitere Raketen mit weiteren Detektoren folgten und man konnte einwandfrei nachweisen, dass die Sonne auch im Röntgenlicht leuchtet. Was nicht überraschend ist, denn die Sonne ist heiß. Vor allem ihre äußerste Atmosphärenschicht, die Korona über die ich schon in Folge 134 ausführlich gesprochen habe. Je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich die Teilchen dort. Wenn jetzt zum Beispiel sehr schnelle Elektronen mit anderen Atomen kollidieren, dann werden sie abgebremst. Dabei geben sie Energie in Form von Strahlung ab, die passenderweise "Bremsstrahlung" genannt wird und diese Strahlung ist kurzwellige Röntgenstrahlung. Man kann aber auch Atome dazu bringen, Röntgenstrahlung abzugeben: Steckt man jede Menge Energie in ein Atom hinein, dann können die Elektronen aus der Atomhülle herausgelöst werden. Sie sind dann nicht mehr an den Atomkern gebunden und das Atom wird "ionisiert" genannt. In die freigewordenen Plätze können andere Elektronen "hineinfallen" und auch dabei wird Energie abgegeben und wieder in Form von Röntgenstrahlung.
Man kriegt im Universum also immer dann Röntgenstrahlung wenn irgendwo hohe Temperaturen und große Energien involviert sind. Was in der Korona der Sonne der Fall ist. Aber nicht nur dort. 1962 wollte man schauen, wie denn der Mond so im Röntgenlicht aussieht. Der ist natürlich nicht heiß, reflektiert aber erstens die Strahlung der Sonne. Und wenn Röntgenstrahlung von der Sonne auf die Mondoberfläche trifft können dort interessante Prozesse stattfinden die man genauer erforschen wollte. Also schoß man wieder einen Röntgendetektor mit einer Rakete ins All. Das mit dem Röntgenbild des Mondes hat nicht geklappt. Dafür fand man aber überraschenderweise eine andere Quelle von Röntgenstrahlung, und zwar im Sternbild Skorpion. Deswegen hat man das Ding auch "Scorpius X-1" genannt, die erste Röntgenquelle (auf englisch "X-Rays") im Skorpion. Es war auch die erste Röntgenquelle außerhalb des Sonnensystems die man überhaupt finden konnte und der italienisch-amerikanische Astronom Riccardo Giacconi hat dafür - und für jede Menge weitere Forschung zur Röntgenastronomie - im Jahr 2002 den Nobelpreis für Physik bekommen. Davor musste aber erstmal erklärt werden, was denn da im Skorpion leuchtet. Ein Doppelstern nämlich; bzw. ein ehemaliger Doppelstern. Der eine Stern hat sein Leben schon beendet und ist zu einem Neutronenstern geworden, ein extrem kompakter Sternenrest mit enorm hoher Dichte und einer enorm starken Gravitationskraft in seiner unmittelbaren Umgebung. Damit zieht er Material vom noch übrig gebliebenen zweiten Stern ab, dass sich in einer Scheibe um den Neutronenstern sammelt und angetrieben von dessen Gravitationskraft extrem schnell herumwirbelt. Das verursacht Röntgenstrahlung und genau die hat man 1962 beobachtet.
Bis 1970 hatte man circa 40 Röntgenquellen im Universum gefunden. Und dann kam "Uhuru", der erste echte Röntgensatellit. Die NASA hat ihn am 12. Dezember 1970 ins All geschickt wo er bis 1973 in Betrieb blieb und erstmals den gesamten Himmel im Röntgenlicht abgesucht hat. Dabei wurden insgesamt 300 Röntgenquellen gefunden. Man sah weitere Röntgendoppelsterne wie Scorpius X-1; man sah aber auch das extrem heiße und extrem dünne Gas zwischen fernen Galaxien im Röntgenlicht leuchten. Die Technik von Uhuru war simpel: Der Detektor bestand aus einer Bleiplatte mit Löchern und dahinter waren Sensoren. Was aber auch heißt das nur diejenigen Röntgenstrahlen gemessen werden konnten die genau durch so ein Loch auf einen Sensor gefallen sind. Das Prinzip eines Teleskops besteht aber darin, dass man viele verschiedenen Lichtstrahlen mit einem optischen System so umlenkt und auf einen einzigen Punkt konzentriert, dass man deutlich mehr und besser sehen kann als nur mit den Augen. Das geht mit normalen Licht auch sehr gut, auch noch mit Infrarotstrahlung, Radiostrahlung oder UV-Strahlung. Röntgenstrahlen lassen sich mit normalen Spiegeln aber nicht mehr kontrollieren. Sie würden einfach durchgehen oder absorbiert werden. Deswegen verwendet man hier eine Konstruktion die nach ihrem Erfinder, dem deutschen Physiker Hans Wolter als "Wolter-Teleskop" bezeichnet wird. Wenn ein Röntgenstrahl unter einem sehr flachen Winkel auf einen Spiegel trifft, dann kann er tatsächlich reflektiert werden. Um die Lichtausbeute zu erhöhen muss man aber die richtigen Spiegel mit den richtigen Formen auf die richtige Weise zusammenbasteln. Simpel gesagt besteht ein Wolter-Teleskop aus mehreren unterschiedlich gekrümmten Spiegeln die mehrfach ineinander verschachtelt sind. So erhöht man die Chance, dass ein Röntgenstrahl gerade im richtigen Winkel auf einen der Spiegel trifft und passend abgelenkt werden kann.
Die Wellenlänge der Röntgenstrahlung ist klein und je kürzer die Wellenlänge, desto glatter muss die Oberfläche des Spiegels sein. Bei Wolter-Teleskopen dürfen die Ungenauigkeiten nur wenige Millionstel Millimeter betragen und deswegen hat es auch bis 1978 gedauert bis das "Einstein Observatorium" ins All flog und das erste Wolter-Teleskop an Bord hatte. Mittlerweile ist die Technik ausgereift und im Laufe der Jahre haben wir einige große Röntgenobservatorien in den Weltraum verfrachtet. Zum Beispiel "XMM-Newton" und "Chandra", die beide im Jahr 1999 ins All geflogen sind. XMM-Newton hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA gebaut und hat gleich drei Wolter-Teleskope mit dabei, die jeweils aus 58 ineinander verschachtelten Spiegelschalen bestehen von denen die größte einen Durchmesser von 70 cm hat. Chandra hat vier Paare an verschachtelten Spiegeln von denen der größte 123 cm durchmisst.
Wir haben das Universum mittlerweile auch im Röntgenlicht genau beobachtet. Wir haben damit die Zentren ferner Galaxien gesehen, wo Unmengen an heißem Gas um gewaltige schwarze Löcher wirbelt. Wir haben kleine schwarze Löcher in unserer eigenen Milchstraße beobachtet die ihre Partnersterne langsam auffressen. Wir haben das dünne Gas zwischen den Sternen und den Galaxien erforscht und die Eruptionen auf der Sonne und anderen Sternen. Wir haben die Geburt von Sternen beobachtet und ihren Tod. Immer wenn die Dinge irgendwo im Universum besonders schnell, heiß oder explosiv werden leuchtet Röntgenlicht auf. Und wir haben die passenden Augen, um es zu sehen. Astronomie ist super.
Mit dieser Folge nehme ich am Wettbewerb Fast Forward Science 2021/22 teil. #audiospezial
Sternengeschichten Folge 423: Die Feinabstimmung des Universums
Heute geht es um die Feinabstimmung des Universums. Das klingt ein wenig seltsam. Ist aber eigentlich nichts anderes ist als die Verwunderung darüber, dass alles irgendwie super ist. Was jetzt natürlich noch ein wenig erläutert werden muss. Mit "super" sind die Bedingungen im Universum in seiner Gesamtheit gemeint, nicht das Alltagsleben der Menschen. Da ist natürlich nicht immer alles super; das hat aber auch nichts mit Astronomie zu tun (oder nur sehr selten).
Es geht um die Beobachtung, dass unser Universum überraschend gut dafür geeignet ist, um als Mensch darin zu wohnen. Und dass es auch ganz anders sein hätte können. Dass es sogar sehr viel wahrscheinlicher ist, dass es nicht so gut für uns Menschen geeignet ist wie es ist. Das waren jetzt drei "ist"; die Feinabstimmung des Universums hat aber eigentlich viel mehr mit "könnte" zu tun als mit "ist". Aber bevor ich noch weiter so unkonkret herumerzähle schauen wir uns lieber mal ein Beispiel an.
Sterne! Dass wir die im Universum haben ist ziemlich praktisch. Ohne einen Stern hätten Planeten nichts um das sie kreisen könnten. Ohne einen Stern hätte ein Planet nicht ausreichend Licht und Wärme um Leben zu entwickeln. Und ohne Sterne gäbe es im Universum auch nichts, abgesehen von Wasserstoff und Helium. Denn das waren ja die einzigen chemischen Elemente die direkt beim Urknall entstanden sind; der ganze Rest ist erst durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstanden. Auch der Kohlenstoff, aus dem wir Menschen zu einem großen und relevanten Teil bestehen und auch alle anderen uns bekannten Lebewesen. Ohne Kohlenstoff kein Leben, ohne Sterne keinen Kohlenstoff. Sterne haben wir deswegen im Universum, weil die überall im Kosmos verteilten Wolken aus Wasserstoff und Sauerstoff unter ihrer eigenen Gravitationskraft in sich zusammengefallen sind; immer dichter und heißer wurden bis irgendwann dort die Kernfusion eingesetzt hat. Und das wiederum hat nur funktioniert, weil die Gravitationskraft ausreichend stark ist, dass die Wolken zusammenfallen können. Ansonsten wäre das Zeug einfach weiter durchs All gewabert ohne das irgendwann irgendwas passiert und das ganze Universum würde nur aus Wassestoffwolken bestehen. Damit ein Stern, sofern er mal entstanden ist in seinem Inneren neue chemische Elemente wie Kohlenstoff machen kann, müssen auch die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen den Atomkernen genau passen. Sonst fusioniert nichts. Oder es kommen andere Elemente dabei raus und kein Kohlenstoff. Das Universum hätte sich aber auch nach dem Urknall viel schneller ausdehnen können als es dass getan hat. Dann hätten sich überhaupt keine Wolken gebildet aus denen Sterne entstehen hätten können; dann wäre die ganze Materie extrem im Raum verdünnt worden.
Und so weiter. Es gibt viel mehr Beispiele und ich werde bald davon erzählen. Aber genau das ist es, worum es geht: Die grundlegenden Eigenschaften unseres Universums; die Naturkonstanten die quasi "von Werk" eingebaut sind, passen erstaunlich gut zusammen. Wären sie nur ein bisschen anders als sie es sind, dann wäre das Universum ein Universum in dem keine Sterne und kein Leben existieren könnten. Das ist erstaunlich; das ruft nach einer Erklärung und nach der sucht die Wissenschaft (aber auch andere Disziplinen) schon seit einiger Zeit.
Der erste dem die Sache mit dem überraschend gut für uns eingerichteten Kosmos aufgefallen ist (oder zumindest der erste, der sich damit nachweislich im modernen Sinn wissenschaftlich auseinandergesetzt hat), war der amerikanische Chemiker und Biologe Lawrence Joseph Henderson. Er hat 1913 ein Buch mit dem Titel "The Fitness of the Environment" veröffentlicht. Auf mehr als 300 Seiten legt er dar wie gut wir es mit unserer Umgebung getroffen haben. Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff sind alle genau so beschaffen, dass daraus Leben entstehen kann. Wasserstoff und Sauerstoff können sich zu Wasser verbinden und ohne das gäbe es kein Leben. Jede Menge unterschiedliche chemische Elemente haben unabhängig voneinander genau die Eigenschaften die es braucht um Leben hervorzubringen. Henderson schreibt "Es gibt keine nennenswerte Wahrscheinlichkeit dass diese einzigartigen Eigenschaften grundlos organische Abläufe begünstigen sollten. Das sind keine bloßen Zufälle, eine Erklärung muss gesucht werden."
Und je mehr die Wissenschaft das Universum erforscht hat, desto größer wurde der Drang eine solche Erklärung zu finden. Nehmen wir zum Beispiel die Feinstrukturkonstante. Das ist eine grundlegende Naturkonstante die angibt wie stark die elektromagnetische Kraft im Vergleich zu den anderen Grundkräften des Kosmos (wie etwa der Gravitation ist). Ihr Wert beträgt circa 1/137 und kann aus anderen Konstanten berechnet werden; zum Beispiel der elektrischen Ladung eines Elektrons, der Lichtgeschwindigkeit und so weiter. Eine ähnliche Rechnung kann man auch für die Stärke der Gravitationskraft machen und kommt zu dem Ergebnis, dass die elektromagnetische Kraft 10 hoch 36 mal stärker ist als die Gravitation. Oder wer es gerne mit echten Namen hören will: Der Elektromagnetismus ist eine Sextillion mal stärker als die Gravitation. Das ist gut so. Denn Atome und Moleküle halten genau durch die sehr starke elektromagnetische Kraft so zusammen wie sie es tun. Die zwischen einzelnen Atomen wirkende Gravitationskraft ist dagegen so enorm schwach, dass man sie quasi vernachlässigen kann. Die Gravitation fällt nur dann auf, wenn man es mit wirklich großen Massen zu tun hat; mit Planeten, Sternen und so weiter. Würden sich einzelne Atome ähnlich stark durch Gravitation anziehen wie sie sich durch Elektromagnetismus anziehen (oder abstoßen, was da ja möglich ist; bei der Gravitation aber nicht), dann würde die ganze Chemie so wie wir sie kennen nicht mehr funktionieren. Warum aber die Gravitation so enorm viel schwächer ist, wissen wir nicht.
Allzu viel Spielraum hat man bei der Auswahl der grundlegenden Konstanten nicht. Dazu können wir uns den "Drei-Alpha-Prozess" anschauen. Das ist etwas, das bei Sternen dann passiert, wenn sie sich ihrem Lebensende nähern. Sie haben dann in ihrem Inneren durch Kernfusion schon jede Menge Helium erzeugt und sind heiß genug geworden, dass drei dieser Heliumatome zu Kohlenstoff verschmelzen können. Das geht aber nicht direkt; dazu muss der Stern einen Umweg über das Element Beryllium nehmen. Zwei Heliumatomkerne fusionieren zuerst zu Beryllium und das Beryllium mit einem dritten Heliumkern zu Kohlenstoff. Das sollte eigentlich nicht klappen, weil Beryllium sehr instabil ist und deswegen in Sekundenbruchteilen wieder zerfällt. Die weitere Fusion zu Kohlenstoff ist nur aufgrund einer "Resonanz" möglich. Das im Detail zu erklären würde zu weit führen. Aber es geht darum, dass Atomkerne einfacher verschmelzen können, wenn ihre Energien gut zusammenpassen. Und die Energie von Beryllium und Helium ist ziemlich exakt so groß wie die eines Kohlenstoffatoms. Allerdings eines "angeregten Zustands" des Kohlenstoffs, was heißt, dass der Kern ein bisschen mehr Energie hat als er normalerweise haben würde. Aber man kann - zum Beispiel durch Zusammenstöße - die Energie von Atomkernen erhöhen. Das geht aber nur in ganz bestimmten Schritten; man kann nicht einfach beliebige Mengen an Energie in einen Kern stecken. Diese Energie gibt der Kern dann auch wieder ab, aber der angeregte Energiezustand prinzipiell möglich ist und zur Energie von Beryllium und Helium passt, kann die Fusion zu Kohlenstoff stattfinden. Und auch hier sehen wir wieder: Alles passt überraschend gut zusammen und auch das hängt von den exakten Werten der Naturkonstanten ab. Würde man die Stärke der elektromagnetischen Kraft ändern oder die der starken Kernkraft zwischen den Teilchen aus denen die Atomkerne bestehen, dann würde man Probleme kriegen. Wären die Kräfte um 4 beziehungsweise 0,5% stärker/schwächer als sie es sind, dann würde kein Kohlenstoff und kein Sauerstoff produziert werden können ("Stellar Production Rates of Carbon and Its Abundance in the Universe").
Beispiele gäbe es noch jede Menge. Zum Beispiel: Unser Universum hat drei ausgedehnte Raumdimensionen. Wären es stattdessen vier oder fünf, dann könnten sich weder Planeten stabil um Sterne herumbewegen, noch könnten sich stabile Atome bilden. Warum wir genau drei Raumdimensionen haben ist allerdings völlig unbekannt. Wir wissen das es so ist. Aber nicht warum. Die fundamentalen Konstanten die das Universum so machen, wie es ist, haben genau die Werte die es braucht, damit wir darin leben können. Das ist gut für uns - aber es bleibt die Verwunderung, warum alles so fein abgestimmt ist. Man kann die Sache natürlich einfach ignorieren. Bzw. sagen: Es ist kein Wunder das es so ist wie es ist. Weil wenn es anders wäre, dann wären wir auch nicht da um uns darüber zu wundern wie es ist. Das ist zwar ein prinzipiell logischer Gedankengang. Aber auch nicht sonderlich hilfreich.
Eine andere Möglichkeit wäre einfach eine ganze Vielfalt an Universen zu postulieren. Es könnte jede Menge Universen, also ein "Multiversum" geben. Jedes hat bei seiner Entstehung zufällig irgendwelche Konstanten bekommen. Und wir leben logischerweise in einem, in dem alles gerade so passt das Leben möglich ist. Diese Erklärung funktioniert ja anderswo recht gut. Das Universum ist voll mit Planeten auf denen jede Menge unterschiedliche Bedingungen herrschen. Manche davon sind lebensfeindlich; manche lebensfreundlich und wir leben logischerweise auf einem, auf dem Leben entstehen können. Man muss sich daher auch nicht wundern, dass wir gerade auf der Erde wohnen und nicht am Mars oder der Venus. Beim Multiversum ist die Sache aber komplizierter. Denn im Gegensatz zu den vielen verschiedenen Planeten haben wir bis jetzt noch nicht einmal die Spur eines Belegs dafür, dass es mehr als ein Universum gibt. Und wir wissen, wie und warum unterschiedliche Planeten entstehen. Wir wissen allerdings nicht, wie Universen entstehen und wieso ein Multiversum gerade so entstehen sollte, dass am Ende mindestens ein lebensfreundliches Universum mit dabei ist. Dieser Ansatz verlagert die Sache also nur.
Man kann sich auch - und das ist vermutlich eine sehr wahrscheinliche Variante - auf unser Unwissen ausreden. Wir kennen zwei unterschiedliche Theorien die das Universum grundlegend beschreiben: Die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie. Mit beiden können wir den Kosmos gut beschreiben; in beide Theorien müssen wir die meisten Werte für die Konstanten aber einfach einsetzen. Außerdem ist uns klar, dass hier noch nicht Schluss sein kann; es muss eine (oder mehrere) Theorien geben die über Quantenmechanik und Relativitätstheorie hinaus gehen da die beiden für sich genommen nicht das leisten können, was sie leisten sollten. Die Quantenmechanik ist zum Beispiel nicht in der Lage zu beschreiben wie sich Elementarteilchen gegenseitig durch Gravitation beeinflussen. Wir brauchen eine Theorie, die Atome und Sterne gleichzeitig beschreiben kann; wir brauchen eine Quantentheorie der Gravitation und die haben wir nicht. Aber wenn wir sie einmal finden sollten: Dann erklärt sich damit vielleicht, dass die Feinabstimmung nur eine scheinbare ist und dass es gar keine andere Möglichkeit für ein Universum gibt als so zu sein, wie es ist.
Man könnte auch das tun, was wir Menschen immer schon gerne getan haben: Unsere Probleme auf übernatürliche Wesen abzuladen. Wenn das Universum "wie für uns gemacht" aussieht, dann HAT es vielleicht auch jemand für uns gemacht. Vielleicht sind wir nur Teil einer Simulation die irgendwelche gottähnlichen Aliens laufen lassen? Oder vielleicht hat tatsächlich irgendein Schöpfer den Kosmos geschöpft und dabei so lange an den Knöpfen gedreht damit es seiner Schöpfung darin auch gut geht. Obwohl dass das Problem natürlich auch nicht löst. Denn einerseits muss ein Schöpfer der ein Universum so auf uns Menschen abstimmen kann selbst ein ziemlich komplexes Wasauchimmer sein dessen Existenz eine noch kompliziertere Erklärung benötigt als ein feinabgestimmtes Universum. Und andererseits könnte ein Schöpfer der in Lage ist ein ganzes Universum aus dem Nichts zu schaffen darin einfach auch ein paar fixfertige Sterne reinwerfen. Oder große Haufen an Kohlenstoff; den Umweg über den komplizierten Drei-Alpha-Prozess könnte man sich sparen. Was wäre das für ein Schöpfer, der nicht in einem lebensfeindlichen Universum irgendwo eine nette Ecke für uns Menschen freiräumen könnte?
Vielleicht - und das halte ich für die wahrscheinlichste Möglichkeit - ist das Universum aber auch gar nicht so feinabgestimmt wie wir denken. Man kann zumindest zeigen ("Natural Explanation For The Anthropic Coincidences" (pdf)) dass man durchaus auch Sterne in Universen kriegt die andere Naturkonstanten haben als unseres hat. Die leben dann vielleicht ein wenig kürzer oder länger als sie es hier tun. Aber sie sind da. Und wer sagt denn, dass Leben exakt so funktionieren muss wie wir das tun? Klar, wir wissen nicht wie Leben noch funktionieren könnte und können deswegen wissenschaftlich seriös wenig darüber sagen. Aber es kann durchaus sein, dass andere Kombinationen von Naturkonstanten zu Universen führen die vielleicht für UNS lebensfeindlich sind. Aber für andere Arten von Leben genau passen. Und dann würden die rumsitzen und sich wundern, warum alles so super ist. Am Ende bleibt es also vorerst dabei: Es ist so wie es ist, weil wenn es anders wäre, wäre es anders.
Sternengeschichten Folge 422: Das Maunder-Minimum
Heute geht es wieder einmal um die Sonne. Und um etwas, das die Sonne ab und zu macht: Nämlich faul sein. Sie hört nicht auf zu scheinen; das macht sie seit 4,5 Milliarden Jahren netterweise sehr kontinuierlich. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen sie wenig aktiv ist. Über diese "Sonnenaktivität" habe ich ja schon vor langer Zeit in Folge 10 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen.
Die Sonne ist wesentlich komplizierter als eine gewaltige Glühbirne am Himmel. Sie ist eine große Kugel aus enorm heißen Gas. Gas, das einerseits ständig in Bewegung ist. Andererseits aber auch in der Lage elektrische und magnetische Ströme zu produzieren. Bei den Temperaturen im Sonneninneren können sich die Elektronen die normalerweise an die Atomkerne gebunden sind nicht mehr halten. Das Gas der Sonne ist ein "Plasma", also ein Gas in dem die elektrisch negativ geladenen Elektronen und die elektrisch positiv geladenen Atomkerne getrennte Wege gehen. Diese Bewegung erzeugt die elektromagnetischen Felder. Die elektromagnetischen Felder beeinflussen aber ihrerseits wieder die Bewegung des Gases. Es ist ein enormes, chaotisches Wirrwarr das wir immer noch nicht komplett verstanden haben.
Was wir aber wissen: Die elektromagnetischen Phänomene haben Auswirkungen auf die Sonne. Dort wo die Magnetfelder besonders stark sind, kann heißes Plasma aus dem Sonneninneren nicht so gut an die Oberfläche aufsteigen weswegen man dort dunkle "Sonnenflecken" sehen kann. Wenn die geladenen Ströme zu wild durcheinander strömen, dann kommt es - vereinfacht gesagt - zu Kurzschlüssen bei denen enorme Energieen frei werden. Bei diesen Explosionen kann Material aus der Sonne in den Weltraum geschleudert werden. Wenn das auf das Magnetfeld der Erde und ihre Atmosphäre trifft, können wir zum Beispiel Polarlichter beobachten. Aber darum soll es heute nicht gehen - sondern um Forschung, die im 17. Jahrhundert mit der Erfindung des Teleskops begonnen hat. Beziehungsweise eigentlich schon viel früher.
Es gab schon früher immer wieder Berichte von dunklen Flecken auf der Sonne. Die Sonne kann man mit freiem Auge aber nur schlecht beobachten. Beziehungsweise geht das eigentlich recht gut, die Sonne ist kaum zu übersehen. Aber sie ist so hell, dass man sie nicht wirklich gut ansehen kann und wenn man es trotzdem probiert, ist das nicht sonderlich gut für die Augen. Aber als Teleskope - und passende Filter! - zur Verfügung standen, beobachteten die Menschen Sonnenflecken. Im 17. und 18. Jahrhundert hat man diese Flecken zwar aufgezeichnet - aber sie nicht wirklich systematisch untersucht. Was einen guten Grund hat, zu dem wir später noch kommen werden. 1825 aber begann der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe die Sonne regelmäßig zu beobachten und ebenso regelmäßig die Zahl der Sonnenflecken aufzuzeichnen. Und fand heraus, dass die sich periodisch ändert. Dieser "Schwabe-Zyklus" wurde später vom Schweizer Astronom Rudolf Wolf wissenschaftlich exakt festgelegt und wir wissen nun, dass die Zahl der Sonnenflecken, die ein Maß für die Sonnenaktivität ist, mit einer Periode von circa 11 Jahren größer und kleiner wird.
Und man begann sich zu fragen: Warum haben die Leute das nicht schon früher entdeckt? Verschiedene Astronomen machten sich auf die Suche nach alten Beobachtungsdaten um die Veränderung der Sonnenfleckenanzahl auch für die Vergangenheit zu bestimmen. Einer davon war der deutsche Astronom Gustav Spörer. 1887 und 1889 veröffentlichte er zwei Arbeiten in denen er bekannt gab, dass es offensichtlich eine sehr interessante Periode zwischen 1645 und 1715 gegeben haben musste. In dieser Periode waren so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gewesen. Gleichzeitig beschäftigte sich auch der britische Astronom Edward Maunder mit der Sonne. Auch er war auf der Suche nach historischen Sonnenfleckenbeobachtungen; er fasst auch die Arbeiten Spörers zusammen und präsentierte all das der Königlichen Astronomischen Gesellschaft von Großbritannien im Jahr 1894 in einer Arbeit mit dem Titel "Ein ausgedehntes Minimum der Sonnenaktivität".
Aus damaliger Sicht war das eine sehr überraschende und seltsame Erkenntnis. Gut, man hatte sich mittlerweile von der antiken bzw. mittelalterlichen Ansicht gelöst, dass die Sonne ein "himmlischer", "göttlicher" und damit perfekter Himmelskörper sein müsse der nicht den irdischen Gesetzen unterliegt und auch keine Unregelmäßigkeiten wie etwa Flecken haben könne. Aber dass unser Stern sich in der Vergangenheit so anders verhalten hat als heute: Das fanden viele Zeitgenossen von Maunder und Spörer schwer zu akzeptieren. Spörer starb 1895; Maunder ließ aber nicht locker und veröffentlichte 1922 eine weitere Arbeit mit fast dem gleichen Titel wie 28 Jahre zuvor: Das ausgedehnte Minimum der Sonnenaktivität 1645-1715".
Fasst man die Arbeiten von Spörer und Maunder zusammen, dann sagen sie, dass es zwischen 1645 und 1715 so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gab. Mehr noch, zwischen 1672 und 1704 wurde GAR KEIN Sonnenfleck beobachtet und dass die wenigen Sonnenflecken so gut wie immer einzelne Flecken oder höchstens Teil einzelner Fleckengruppen waren. Ganz anders, als wir das heute gewöhnt sind, wo in den aktiven Phasen immer viele Flecken in vielen Fleckengruppen zu sehen waren. Deswegen kann man es den Astronomen des 17. Jahrhunderts auch kaum vorwerfen, die Sache mit den Fleckenzyklen nicht verstanden zu haben. Wenn es nichts zu sehen gab, dann kann man auch schwer darüber forschen.
Wir nennen die Phase extrem niedriger Sonnenaktivität heute "Maunder-Minimum" - der Name stammt aus einer Arbeit des amerikanischen Astronomen John Eddy, der die ganze Sache 1976 nochmal analysiert hat. In einer sehr umfangreichen Arbeit hat er die alten Arbeiten von Maunder und Spörer nochmal untersucht, hat weitere Daten z.B. über die Beobachtung von Polarlichtern zusammengetragen und nach anderen Hinweisen gesucht aus denen sich die Sonnenaktivität der Vergangenheit ablesen lässt. Das alles hat er unter dem Titel "Das Maunder Minimum" (pdf) veröffentlicht. Man kann darüber streiten, ob diese Bezeichnung gerechtfertigt ist. Der erste, der die Sache mit dem Minimum entdeckt hat war ja Spörer und nicht Maunder. Aber Maunder hat das ganze intensiv untersucht. Andererseits ist es definitiv nicht richtig in diesem Zusammenhang nur Edward Maunder zu erwähnen. Den da gibt es auch noch Annie Maunder, eine Astronomin und Edwards Ehefrau. Die das Schicksal so vieler Frauen in der Wissenschaft teilt und immer wieder mal ignoriert wird. Annie war eine hervorragende Mathematikerin die an der Universität Cambridge studiert hat. Was sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts netterweise durfte. Was man damals aber noch übertrieben fand, war die Arbeit von Frauen wie Annie - damals noch - Russell mit einem offiziellen Uni-Abschluss zu würdigen. Weswegen Annie Russell auch keinen Job als Wissenschaftlerin fand, nur eine schlecht bezahlte Stelle als Gehilfin für mathematische Berechnungen an der Sternwarte von Greenwich. Aber immerhin lernte sie dort die faszinierende Arbeit der Sonnenforschung kennen. Und Edward Maunder. Die beiden heirateten und Annie Maunder wurde sofort gekündigt. Eine verheiratete Frau die einfach so arbeitet? War damals nicht erlaubt und Annie Maunder musste ab da ohne Gehalt mit ihrem Mann zusammenarbeiten. Was auch dazu führte, dass sie kaum je auf den wissenschaftlichen Artikeln aufschien auf denen als Autor immer nur Edward geführt wurde.
Die beiden Maunders haben auf jeden Fall maßgeblich zur Erforschung der Sonnenaktivität beigetragen. Und man kann das Minimum der Sonnenaktivität zwischen 1645 und 1715 durchaus nach ihnen benennen. Vor allem, weil es auch weitere solcher längerer Phasen der Inaktivität gibt die andere Namen bekommen haben. Zum Beispiel das "Spörerminimum" zwischen 1460 und 1550, dessen Entdeckung ebenfalls mit der historischen Forschung von Gustav Spörer begann. Oder das "Wolfminimum" zwischen 1282 und 1342, benannt nach Rudolf Wolf. Zwischen 1790 und 1830 gab es noch das - nicht ganz so minimale - "Daltonminimum" und noch ein paar andere in der tieferen Vergangenheit. Das Maunderminimum ist aber von allen die wir kennen das minimalste.
Und so langsam stellt sich die Frage: Wieso? Warum macht die Sonne sowas? Die kurze Antwort: Wissen wir nicht! Die etwas längere Antwort: Der 11jährige Zyklus der Aktivität hängt mit der Rotation der Sonne zusammen. Sehr simpel gesagt: Da die Sonne kein Festkörper ist sonder eine Kugel aus Gas rotieren unterschiedliche Teile ihrer Oberfläche unterschiedlich schnell. Ein Punkt an ihrem Äquator braucht circa 25 Tage für eine Runde, in der Nähe der Pole sind es bis zu 31 Tage. Das führt dazu, dass die geladenen Ströme aus Plasma im Laufe der Zeit quasi langsam um die Sonne herumgewickelt werden. Wenn die Magnetfeldlinien zuerst von Nord nach Süd verlaufen, sorgt die unterschiedliche Rotation unterschiedliche Teile der Sonne dafür, dass sich diese Linien immer stärker verwirren und verwickeln. Genau das führt zu einem Anstieg der Aktivität bis circa 11 Jahre später alles so konfus wird, dass das ganze Magnetfeld quasi zusammenbricht und sich neu wieder aufbaut. Die Realität ist natürlich ein bisschen komplizierter, aber zumindest kann man grob verstehen warum die Aktivität im 11-Jahres-Rhythmus schwankt. Die langfristigeren Variationen wie das Maunder-Minimum sind schwieriger zu verstehen.
Sehr vermutlich hat das etwas mit den Plasmaströmen tief im Inneren der Sonne zu tun. Und zwar mit den sogenannten "torsionalen Oszillationen". Ich erkläre jetzt nicht was das genau ist - aber man kann es sich ziemlich gut als einen unterirdischen Fluß aus Plasma vorstellen. 7000 Kilometer tief unter der Sonnenoberfläche driftet dieser Fluss langsam von den Polen in Richtung Äquator (und bevor wer fragt: Man hat das durch "Asteroseismologie" herausgefunden, also der astronomischen Technik die ich in Folge 164 schon ausführlich vorgestellt habe und bei der man die Schwingungen der Sonne dazu nutzen kann, ihr Inneres zu untersuchen). Je nachdem wo dieser Fluss gerade ist und wie ausgeprägt er ist gibt es mehr oder weniger Sonnenaktivität. Und sollte der Fluss mal komplett ausfallen, gibt es gar keine Aktivität. Aber warum der Fluss sich so bewegt wie er es tut und warum er ab und zu ausfällt: Das wissen wir nicht. Dazu brauchen wir Forschung und bessere Theorien über das was im Inneren der Sonne abläuft.
Übrigens: Man hört oft, dass die Sonnenaktivität auch das Klima der Erde beeinflusst. Und das vor allem das Maunder-Minimum für die sogenannte "Kleine Eiszeit" in Europa verantwortlich war, als es zwischen 15. und 19. Jahrhundert deutlich kälter war als sonst. Die Sonnenaktivität kann zwar tatsächlich einen Einfluss auf das Erdklima haben. Der ist aber sehr gering, wie ich in Folge 368 ausführlich erklärt habe (und die Sonnenaktivität hat auch nix mit der gerade stattfindenen menschengemachten Klimakrise zu tun). Und auch die Kleine Eiszeit kann nicht durch das Maunder-Minimum verursacht worden sein; höchstens ein kleines bisschen beeinflusst, wie ihr in Folge 108 ausführlich nachhören könnt.
Es braucht noch viel Forschung, bis wir die Sonne richtig verstanden haben. Wir werden weiter beobachten müssen, was dort passiert. Die nächsten Minima und Maxima werden kommen. Und mit Sicherheit wird es auch irgendwann wieder ein "ausgedehntes Minimum" geben. Dann wissen wir hoffentlich genug darüber um zu verstehen was da abgeht und haben ausreichend Zeit um uns darauf zu konzentrieren, nach wem wir es benennen.
Sternengeschichten Folge 421: Supervulkane
Supervulkane! Vulkane, nur in super! Damit sind allerdings keine Vulkane gemeint aus denen statt Lava und giftigen Gase zum Beispiel Bier, Süßigkeiten oder anderer netter Kram in die Luft geschleudert wird. Sind sie nicht wirklich "super", zumindest nicht nach menschlichen Maßstäben. Sie heißen "super" weil es Vulkane sind, deren Ausbrüche noch viel gewaltiger sind als die von normalen Vulkanen.
Über Vulkanismus habe ich schon ganz allgemein in Folge 297 der Sternengeschichten erzählt und in Folge 298 auch über die Vulkane anderer Planeten. Denn auch wenn wir hauptsächlich den Vulkanismus auf der Erde erforscht haben, hat dieses Phänomen durchaus auch Auswirkungen auf unser Verständnis anderer Himmelskörper. Aber fangen wir trotzdem mal auf der Erde an und klären, was einen Vulkan zu einem Supervulkan macht.
Dazu müssen wir uns zuerst den "Vulkanexplosivitätsindex" anschauen. Das ist eine Zahl mit der die Stärke eines Vulkanausbruchs angegeben wird. Die Klassen der Stufen 0 und 1 ignorieren wir einfach mal. Da geht es um Ausbrüche die nicht explosiv sind und wo die Lava einfach so langsam aus dem Vulkan rausfließt. Was zwar durchaus nervig sein kann, aber wenn man nicht so dumm ist und direkt in die Lava reinlatscht bzw. sich rechtzeitig in Sicherheit bringt, passiert eigentlich nichts. Bei solchen Ausbrüchen wird auch kein Staub oder ähnliches in die Atmosphäre geschleudert. Solche Ausbrüche kommen ständig vor und haben absolut nichts mit Supervulkanen zu tun. Aber ab Stufe 2 wird es interessiert. Da beginnen die explosiven Ausbrüche, als das, an das wir denken wenn wir uns einen Vulkanausbruch vorstellen.
Die Klassifikation läuft ab hier logarithmisch - soll heißen, dass ein Ausbruch der Stufe 3 nicht doppelt so schlimm ist wie einer der Stufe 2 sondern zehnmal so schlimm. Und das "schlimm" misst man in diesem Fall an der Menge an Material das bei einem Ausbruch ausgeworfen wird. Ein Ausbruch wie die katastrophale Eruption des Vesus in Italien der im Jahr 79 die Stadt Pompei zerstört hat, schleudert mehr als einen Kubikkilometer an Material in die Luft - bis zu 20 Kilometer hoch - und wird am Vulkanexplosivitätsindex bei Stufe 5 einsortiert. Und ab da wird es dann langsam wirklich dramatisch. Auf Stufe 6 werden mehr als 10 Kubikilometer an Material ausgeworfen, Ausbrüche der Stufe 7 schleudern mehr als 100 Kubikkilometer in die Luft und Stufe 8 ist das Ende der Skala mit den allergrößten Ausbrüchen die mehr als 1000 Kubikilometer Material in unsere Atmosphäre werfen. Und 1000 Kubikkilometer ist WIRKLICH viel. Der Bodensee zum Beispiel, immerhin der größte und tiefste See Deutschlands hat ein Volumen von nur 48 Kubikkilometern. Der größte See Europas ist der Ladogasee an der Grenze von Russland und Finnland und selbst der bringt es nur auf ein Volumen von knapp 900 Kubikkilometer.
Und bei Stufe 8 auf der Skala des Vulkanexplosivitätsindex finden wir auch die Supervulkane. Da stellt man sich jetzt vielleicht einen enorm hohen, rauchenden Berg vor. Ist aber nicht so - denn die vulkanischen Berge die man sich normalerweise vorstellt entstehen ja durch das Material, das so ein Vulkan in die Luft schleudert und der ganzen Lava die dort aus dem Erdinneren rausläuft. Im Laufe der Zeit entsteht dadurch ein Berg. Wenn ein Supervulkan ausbricht, dann macht er das mit solcher Kraft, dass da kein Berg entstehen kann. Im Gegenteil, es gibt ein großes Loch im Boden; eine sogenannte "Caldera".
Das ganze läuft so ab: In einer Magmakammer unter der Erdoberfläche sammelt sich geschmolzenes Gestein das im Laufe der Zeit aus dem Erdinneren nach oben steigt. Das ist auch bei normalen Vulkanen so. Bei Supervulkanen ist die Magmakammer aber einerseits enorm groß. Andererseits liegen sie auch in einer Gegend wo das Magma die Erdkruste nicht oder nur schwer durchbrechen kann. Also sammelt sich das Zeug - so lange bis der Druck irgendwann zu groß wird. Dann bricht das ganze geschmolzene Gestein explosiv an die Erdoberfläche durch, es gibt einen unvorstellbar gewaltigen Vulkanausbruch und übrig bleibt nur ein großes Loch im Boden.
Das ist zuerst einmal natürlich für die unmittelbare Umgebung unangenehm. So wie bei normalen Vulkanausbrüchen gibt es auch bei Supervulkanen "pyroklastische Ströme", also eine Mischung aus Staub, Gestein und heißem Gas mit einer Temperatur von bis zu 800 Grad. So ein Strom kann sich mit bis zu 700 Kilometer pro Stunde bewegen und was auch immer in seinem Weg steht, steht dort nicht mehr lange. Bei einem Supervulkan können die pyroklastischen Ströme bis zu 200 Kilometer von der eigentlichen Ausbruchsstelle reichen und auf dem Weg eine 200 Meter dicke Schicht aus Asche und Gestein bilden. Die Asche selbst kann noch viel weiter reichen und ganze Kontinente bedecken. Im Umkreis von ein paar hundert Kilometern ist jedes Leben ausgerottet. Das ist aber noch längst nicht alles. Von dem ganzen Material das beim Ausbruch in die Luft geschleudert wird, kommt vieles erst weit entfernt wieder runter. Lavabrocken können bis zu 50 Kilometer hoch geschleudert werden und einige 100 Kilometer entfernt vom Vulkan auf den Boden krachen. Und der ganze Staub und die Asche werden so hoch in die Atmosphäre geworfen, dass sie sich um die komplette Erde verteilen.
Der Staub blockiert das Sonnenlicht und die Temperaturen sinken auf der ganzen Erde, unter Umständen so weit, dass kaum noch wo vernünftig Pflanzen wachsen können. Es passiert im Wesentlichen das, was auch beim Einschlag eines großen Asteroiden auf der Erde passiert und worüber ich in Folge 381 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen habe als es um den "Impaktwinter" ging. Kurz gesagt: Der Ausbruch eines Supervulkans hat nicht nur Folgen für die unmittelbare Umgebung sondern für die ganze Erde und kann unter Umständen sogar globale Massensterben verursachen.
Ein Beispiel dafür ist der Ausbruch des Tambora in Indonesien. Der gilt zwar nicht als "Supervulkan", kommt aber schon recht nah ran. Und ist vor gar nicht allzu langer Zeit ausgebrochen, nämlich im April 1815. Den Lärm der Explosion konnte man noch in fast 2000 Kilometer Entfernung hören. Material mit einer Masse von 140 Milliarden Tonnen und einem Volumen von 160 Kubikkilometer wurden ausgeworfen. Der Vulkan, der vor dem Ausbruch circa 4300 Meter hoch war, hatte danach nur noch ein Höhe von 2850 Meter. Asche der Eruption ging noch in 1300 Kilometer Entfernung nieder, in einem Umkreis von 600 Kilometern um den Vulkan war es zwei komplette Tage lang vollständig finster. Es gab zehntausende Todesopfer, es gab Missernten und Hungersnöte. Und im darauffolgenden Jahr fiel in Europa der Sommer aus. Das Jahr 1816 wird auch "Das Jahr ohne Sommer" genannt: Es war so kalt wie kein anderes Jahr der bisherigen Wetteraufzeichnungen. Der Staub des Vulkanausbruchs hielt das Sonnenlicht ab, es gab Ernteausfälle, es gab Hungersnöte und politische Krisen.
Und das war "nur" ein Vulkan mit dem Vulkanexplosivitätsindex von 7! Den Ausbruch eines echten Supervulkans hat bis jetzt kein Mensch erlebt. Aber auch nur weil vor 26.500 Jahren noch keine Menschen in Neuseeland lebten als dort der Taupo-Vulkan ausbrach. Dabei wurden knapp 1200 Kubikkilometer an Material in die Luft geschleudert, die gesamte Landschaft der Nordinsel Neuseelands wurde umgestaltet und dort wo der Ausbruch stattgefunden hat, kann man heute den Lake Taupo besichtigen, einen See mit einer Fläche von 622 km².
In der langen Geschichte der Erde war aber selbst der Ausbruch des Taupo nur wenig bemerkenswert. Vor ungefähr 27 Millionen Jahren ist im heutigen Colorado in den USA ein Vulkan ausgebrochen der 5000 Kubikkilometer an Zeug ausgeworfen hat. Dabei ist die La-Garita-Cadera entstanden, 75 Kilometer lang und 35 Kilometer breit. Das Auswurfmaterial hat eine Fläche von 28.000 km² fast 100 Meter hoch bedeckt. Dieser Ausbruch ist auch der älteste Supervulkanausbruch über den wir vernünftige Informationen haben. Zumindest auf der Erde. Denn auch auf einem anderen Himmelskörper hat man Spuren gewaltiger Ausbrüche gefunden.
Nämlich dem Mars: Dort finden wir ja mit Olympus Mons schon den höchsten Vulkan und Berg des Sonnensystems. Aber 2013 hat man dort auch Spuren von Supervulkanismus gefunden die vor circa 3,5 Milliarden Jahren ausgebrochen sind. Man hatte vorher schon seltsame Spuren gefunden; "Eden Patera" zum Beispiel, ein unregelmäßiger Krater der nicht so aussieht wie Einschlagskrater von Asteroiden aussehen. Und in dieser Region des Mars, einer sehr alten Region - Arabia Terra - fand man jede Menge Ablagerungen die nach vulkanischem Material aussahen. Aber keinen passenden Vulkan in der Nähe. Bis dahin hatte man sich aber auch eher auf die typischen Schildvulkane auf dem Mars konzentriert, also die hohen Berge mit flacher Spitze, wie den Olympus Mons. Wenn es aber auf dem Mars auch Supervulkanismus gegeben hat, hat man vielleicht an der falschen Stelle gesucht. Dann wäre vielleicht Eden Patera kein komischer Einschlagskrater sondern die gewaltige Caldera eines Supervulkanausbrüchs in der Frühzeit des Mars.
Es lohnt sich also, sich mit Supervulkanen zu beschäftigen. Wer weiß, was wir bei einer genauen Untersuchung des Mars noch herausfinden. Oder auf der Venus, die ja ebenfalls jede Menge Vulkane zu bieten hat. Und auf jeden Fall lohnt es sich auf der Erde. Da haben wir nämlich auch noch ein paar Supervulkane auf die wir regelmäßig einen Blick werfen sollten. Den Yellowstone-Vulkan zum Beispiel, mit einer Magmakammer mit einem Volumen von fast 46.000 km³. Oder die Phlegräischen Felder in Süditalien. All diese großen vulkanischen Regionen werden natürlich ständig überwacht. Ein Ausbruch kommt im Allgemeinen nicht aus dem Nichts sondern kündigt sich an; durch aufsteigendes Magma, durch die langsame Hebung des Bodens, durch Erdbeben, und so weiter. Man würde heute einem Supervulkanausbruch nicht komplett unvorbereitet gegenüberstehen müssen. Außerdem sind wirklich große Ausbrüche zum Glück selten. So was passiert im Schnitt alle 50.000 bis 100.000 Jahre. Aber erforschen sollten wir die Dinger auf jeden Fall. Hier auf der Erde und draußen im Weltall.
Sternengeschichten Folge 420: Dreiecke am Himmel
Um all die vielen Sterne am Himmel zu Figuren und Sternbildern zu ordnen, muss man ein wenig kreativ sein. Man braucht Fantasie, um in ein paar hellen Punkten etwa Orion, den Himmelsjäger zu erkennen oder Draco, den Drachen der sich um den Polarstern am nördlichen Himmel windet. Aber selbst wer mit geringer Vorstellungskraft ausgestattet ist wird keine Problem mit Triangulum haben. Der lateinische Name dieses Sternbilds bedeutet so viel wie "Dreieck" und die drei hellsten Sterne bilden genau so eines.
Was keine große Kunst ist. Rein geometrisch kann man zwischen drei Punkten IMMER ein Dreieck zeichnen, sofern sie nicht alle auf einer Linie liegen. Wer wirklich fantasielos ist könnte den ganzen Himmel mit Dreiecken zupflastern. Was wir Menschen zum Glück nicht getan haben, wir haben bei zwei Dreiecken aufgehört.
Aber fangen wir zuerst mit dem ersten an, dem eben erwähnten Sternbild Triangulum. Es befindet sich am nördlichen Teil des Himmels und man kann es vom Herbst bis in den Frühling am Abend sehen. Es liegt ein Stück südlich des Sternbilds Andromeda und man muss sich ein wenig anstrengen wenn man es finden will. Die drei hellsten Sterne die das besagte Dreieck bilden sind zwar mit freiem Auge sichtbar, sind aber nicht sonderlich hell. Sie sind auch nicht sonderlich dunkel, sie sind ziemlicher Durchschnitt.
Unter all den mythologischen Gestalten die den nördlichen Himmel bevölkern scheint das schnöde Dreieck fehl am Platz zu sein. Es gehört aber zu den Klassikern; gehört also zu den 48 der heute 88 offiziellen Sternbilder, die schon in der Antike verwendet worden sind. Im dritten Jahrhundert vor Christus beschrieb der griechische Gelehrte Eratosthenes das Sternbild als Buchstaben. Er sah kein Dreieck, sondern den griechischen Großbuchstaben Delta - der aber exakt wie ein Dreieck aussieht. Und das große D erschien im deswegen bedeutsam, weil damit auf griechisch der Name des Obergottes Zeus beginnt. Zumindest in den meisten Fällen, aber es soll hier ja jetzt nicht um altgriechische Grammatik gehen. Andere sahen im Dreieck ebenfalls ein Delta, aber nicht den Buchstaben sondern das, was ein großer Fluss macht, wenn er ins Meer mündet. Dann fließt er langsam und breitet sich aus. Es entsteht eine Form die aussieht wie - richtig geraten - ein Dreieck und das Flussdelta das in der Antike von enormer Bedeutung war, war natürlich das Delta des Nils an der ägyptischen Küste des Mittelmeers. Die Römer haben in dem Ding die Form der Insel Sizilien gesehen die, ein weiteres Mal wenig überraschend, ein bisschen wie ein Dreieck aussieht. Ceres, die Schutzgöttin der Insel soll Jupiter gebeten haben, die Insel auch am Himmel zu verewigen.
Noch viel früher taucht das Triangulum vermutlich in den assyrischen MUL.APIN-Tafeln auf. Diese Tontafeln enthalten Keilschriftaufzeichnungen die bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurückreichen und beschreiben unter anderem auffällige Himmelsobjekte - "MUL" genannt. Und das erste Sternbild in der entsprechende Liste dort heißt "APIN", wird als "MUL.APIN" gelistet (daher auch der Name der Sammlung) und beschreibt eine Anordnung von Sternen die wie ein Pflug aussieht. Ein Pflug, der natürlich ebenfalls eine dreieckige Form hat weswegen man davon ausgeht, dass auch hier wieder das heutige Sternbild des Dreiecks gemeint ist.
Nachdem wir uns jetzt versichter haben, dass die Menschen auch schon vor Jahrtausenden jede Menge Dinge gekannt haben, die wie Dreiecke aussehen und diese geometrische Form daher auch am Himmel verewigt haben, sollten wir einen etwas astronomischeren Blick auf diese Region des Himmels werfen. Denn die modernen Sternbilder sind ja keine aus Linien und Sternen gebildeten Figuren. Sondern einfach nur klar abgegrenzte Bereiche am Himmel in denen diese Figuren zu finden sind. Was die Sterne angeht ist das Dreieck eher wenig ergiebig. Der hellste Stern dort sollte den Regeln entsprechend eigentlich Alpha Trianguli heißen weil die hellsten Sterne eines Sternbilds immer das "Alpha" kriegen. In dem Fall ist "Alpha Trianguli" aber der zweithellste Stern, aber trotzdem der einzige des Sternsbilds der schon in der Antike einen Eigennamen bekommen hat. "Mothallah", was arabisch ist und so viel heißt wie "Spitze des Dreiecks". Nun ja.
Der Stern ist 63 Lichtjahre von der Erde entfernt, und genaugenommen kein Stern sondern zwei Sterne. Es handelt sich um ein Doppelsternsystem bei dem sich die beiden Komponenten enorm nahe sind, so nahe dass sie nur 1,7 Tage brauchen um einander zu umkreisen und auch im Teleskop so gut wie gar nicht aufgelöst werden kann. Der hellste Stern - in dem Fall Beta Trianguli ist ebenfalls ein Doppelstern, jetzt aber 124 Lichtjahre weit weg. Gamma Trianguli, der endlich mal korrekt benannte dritthellste Stern des Bildes ist 118 Lichtjahre weit weg und ein blau-weißer sehr heißer und großer Stern.
Aber viel interessanter als die ganzen Sterne dort ist das, was man ganz am Rand des Sternbildes sehen kann. Nämlich den "Dreiecksnebel" der ausnahmsweise nicht so heißt weil er aussieht wie ein Dreieck sondern weil es sich um ein auf den ersten Blick nebelartig aussehendes Objekt handelt das sich eben im Sternbild Dreieck befindet. Entdeckt hat das Ding vermutlich der italienische Astronom Giovanni Battista Hodierna der den Nebel in einem 1654 von ihm veröffentlichten Katalog beschrieben hat. Der französische Astronom Charles Messier hat den Nebel dann als Objekt Nr. 33 in seinen "Messier-Katalog" aufgenommen, weswegen er auch oft "M33" genannt wird. Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass der Nebel spiralförmig aussah, so wie viele andere solcher nebelartigen Objekte am Himmel. Manche dachten, es handle sich dabei tatsächlich um nebelartige Wolken beziehungsweise Ansammlungen von Sternen innerhalb unserer eigenen Milchstraße. Andere behaupteten, dass es sich um extrem weit entfernte viel größere Sterngruppen handeln müsse, so wie die Milchstraßen-Galaxie nur eben weiter weg.
Wie ich in den Sternengeschichten schon oft erzählt habe wissen wir heute, dass die "Spiralnebel" tatsächlich eigene Galaxien sind und unsere Milchstraße daher nur eine von vielen. Der Dreiecksnebel oder besser die Dreiecksgalaxie ist aber zumindest aus unserer Sicht trotzdem besonders. Einerseits weil man sie mit freiem Auge sehen kann. Zumindest dann, wenn die Bedingungen wirklich, wirklich, wirklich gut sind was aber leider zumindest in Europa kaum jemals der Fall ist. Aber zumindest theoretisch gehört sie zu den wenigen mit freiem Auge sichtbaren Objekten die sich außerhalb unserer Galaxie befinden. So wie die Andromedagalaxie, mit einer Distanz von 2,5 Millionen Lichtjahren unsere nächstgelegen Nachbargalaxie im Weltall. Und wenn Andromeda der nächste Nachbar ist, dann ist die Dreiecksgalaxie der übernächste Nachbar (die diversen Zwerggalaxien von denen manche noch näher liegen ignorieren wir jetzt einfach mal). Sie ist 3 Millionen Lichtjahre von uns entfernt aber deutlich kleiner als Milchstraße und Andromeda. Ihr Durchmesser ist mit circa 50.000 bis 60.000 Lichtjahre weniger als halb so groß wie der der Milchstraße. Dort finden sich nur circa 40 Milliarden Sterne, viel weniger als die hunderten von Milliarden Sterne bei uns. 2007 machte die Dreiecksgalaxie kurz ein paar Schlagzeilen, als man dort M33 X-7 entdeckte, ein schwarzes Loch das 16 mal so viel Masse hatte wie unsere Sonne; das damals massereichste bekannte schwarze Loch das beim Kollaps eines Sterns entstanden ist.
Milchstraße, Andromeda und Dreiecksnebel sind die drei größten Mitglieder der "Lokalen Gruppe"; also der Ansammlung von ein paar hundert Galaxien von der ich schon in Folge 371 erzählt habe. Und wenn Milchstraße und Andromeda in ein paar Milliarden Jahren miteinander verschmelzen werden, wird M33 vermutlich früher oder später auch mitmachen. Entweder sie kollidiert schon zuvor mit der Andromeda oder verschmilzt später mit "Milkomeda", der aus der Fusion von Andromeda und Milchstraße entstandenen Riesengalaxie.
Bevor es aber so weit ist, schauen wir noch schnell auf den südlichen Himmel. Denn auch dort gibt es ein Dreiecks-Sternbild das passenderweise "Triangulum Australe" heißt, also "Südliches Dreieck". So wie die meisten Sternbilder des Südhimmels wurde es erst in der Neuzeit offiziell beschrieben und hat nichts mit irgendwelchen mythologischen Deutungen zu tun. Als im 16. Jahrhundert immer mehr Seefahrer aus Europa die südlichen Meere befuhren, beschrieben sie dort auch die Sterne und immer wieder tauchten dreieckige Konstellationen auf. Das heutige südliche Sternbild finden wir das erste Mal auf einem Himmelsglobus des niederländischen Astronomen Petrus Plancius, der die diversen Berichte der Seefahrer zusammentrug. Korrekt vermessen haben es dann die niederländischen Seefahrer Pieter Dirkszoon Keyser und Frederick de Houtman und der französische Astronom Nicolas Louis de Lacaille nahm das Dreieck bei seinen Darstellungen des Himmels in den Werkzeugkasten auf, den er dort eingerichtet hat. Ich hab ja schon in früheren Folgen erzählt, dass man bei den Sternbildern des südlichen Himmels die wissenschaftlichen Instrumente der Neuzeit feiern wollte. Deswegen gibt es dort nun eben auch das Sternbild "Zirkel", das Sternbild "Winkelmaß" und das Sternbild "Südliches Dreieck", das eigentlich als eine Art frühe Wasserwaage gemeint war und ursprünglich den Namenszusatz "Libella" trug. Der verschwand dann aber irgendwann und deswegen haben wir nun eben ein südliches Dreieck.
Über das gibt es ansonsten wenig zu erzählen. Die drie hellsten Sterne sind zwar heller als die des nördlichen Gegenstücks. Fallen aber in der sternenreichen Gegend des Südhimmels in der sie sich befinden trotzdem nicht dramatsich auf. Es gibt ein paar Sternhaufen dort, ein paar Galaxien, ein paar veränderliche Sterne, ein paar Sterne mit bekannten Planeten - die natürlich aus astronomischer Sicht allesamt interessante Forschungsobjekte sind. Aber im großen und ganzen findet man im südlichen Dreieck nichts was man nicht anderswo am Himmel auch finden kann. Und da ist es fast schon wieder passend, dass diese Region des Himmels den unkreativen Namen des Dreiecks bekommen hat…
Sternengeschichten Folge 419: Der Vredefort-Krater
Vredefort ist eine Stadt in Südafrika. Obwohl es vielleicht übertrieben ist, dem Ort die Bezeichnung "Stadt" zu widmen. Dort wohnen nur wenig mehr als 1000 Leute. Aber trotzdem ist Vredefort, in der Provinz "Freistaat", circa 126 Kilometer südlich von Johannesburg gelegen, berühmt. Nicht weil dort irgendetwas für den Rest der Welt bedeutsames vorgefallen ist. Die Stadt wurde erst 1876 gegründet. Sie nimmt eine Fläche von gerade mal 17 Quadratkilometer ein. Das, weswegen der Name "Vredefort" zumindest in bestimmten Bereichen der Wissenschaft überall bekannt ist, ist mehr 70.000 Quadratkilometer groß und entstand vor mehr als 2 Milliarden Jahren.
Die geologische Ära die damals herrschte wird "Paläoproterozoikum" genannt. Sie beginnt ungefähr 2,5 Milliarden Jahre vor der Gegenwart und endet vor 1,6 Milliarden Jahren. Die Welt war damals noch völlig anders als heute. Hätten wir eine Zeitmaschine und würden wir ins Paläoproterozoikum zurückreisen, wären wir ziemlich schnell tot. In der Atmosphäre der Erde gab es damals noch so gut wie keinen Sauerstoff. Die Kontinente waren leblose Wüsten; das einzige damals vorhandene Leben befand sich im Wasser und bestand aus einzelligen Mikroben. Aber das Paläoproterozoikum war auch genau die Zeitspanne in der sich die Erde zu dem Planeten zu wandeln begann, den wir heute kennen. Die junge Erde war noch unruhig und tektonisch sehr aktiv. Kontinente bildeten sich und zerfielen wieder; schneller als sie das heute tun (aber natürlich noch immer sehr langsam, verglichen mit menschlichen Zeitskalen). Dadurch veränderten sich Meeresströmungen; das ständige Hin-und-Her bei den Kontinenten führte dazu das immer wieder Kohlenstoff im Gestein gebunden bzw. in die Atmosphäre freigesetzt wurde. Zusammen mit den restlichen tektonischen Aktivitäten führte all das zu Klimaschwankungen und die verstärkten die Erosion des Gesteins. Oder anders gesagt: Es gelangte immer mehr Zeug vom Land in die Meere und dort warteten winzige Lebewesen, die das als Nahrung verwenden konnten. Es war eine ganz besondere Art von Bakterium, die quasi als Abfallprodukt ihres Stoffwechsels das Gas Sauerstoff freisetzten. Langsam aber stetig reicherte sich der Sauerstoff in der Atmosphäre an. Im Paläoproterozoikum war dadurch immerhin schon mehr als 1 Prozent davon in der Atmosphäre konzentriert. Das ist wenig im Vergleich zu den fast 20 Prozent die wir heute haben. Aber für die damaligen Lebewesen war das mehr als genug. Das frühe Leben auf der Erde kam nämlich wunderbar ohne Sauerstoff aus; hatte sich auch ohne Sauerstoff entwickelt - es war ja auch vorher keiner da gewesen. Das nun aber von den Bakterien produzierte hoch reaktive Gas war giftig für so gut wie alle Lebewesen und je weiter der Sauerstoffgehalt stieg, desto mehr davon starben aus.
Es war das größte Massensterben der Erdgeschichte, aber zum Glück ein Massensterben das recht langsam verlief. Einige Lebensformen passten sich an die neuen Bedingungen an und von ihnen stammen fast alle Lebewesen ab die heute auf der Erde leben und für die Sauerstoff nicht giftig sondern essentiell zum Überleben ist. Der Sauerstoff der in die Atmosphäre gelangte konnte sich dort auch zu Ozon verbinden und die Ozonschicht bilden. Die hielt nun die für Lebewesen gefährliche UV-Strahlung der Sonne von der Erdoberfläche ab und das erste Mal in der Erdgeschichte war es für das Leben nicht mehr riskant die Ozeane zu verlassen. Also breiteten sich die Lebewesen auf die Kontinente aus - wo sie seitdem nicht mehr verschwunden sind.
In diese - zumindest aus heutiger Sicht und aus Sicht des irdischen Lebens das mit Sauerstoff kein Problem hat - optimistische Zeit platzt das, um das es in dieser Folge geht. Nämlich das Ding, das für den Ruhm der Stadt Vredefort verantwortlich ist. Dass diese südafrikanische Region aus geologischer Sicht besonders ist, wusste man schon länger. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah man, dass sich dort eine gewaltige Struktur befindet: Seltsame kreisförmige Hügelketten die einen Kreis von mehr als 70 Kilometer Durchmesser beschreiben in deren Mitte sich die Landschaft aufwölbt; seltsame Gesteine die man so in dieser Gegend nicht findet. Geologische Schichten die nicht so verlaufen, wie sie normalerweise verlaufen sollten, und so weiter. Kurz gesagt: In dieser Ecke der musste irgendein sehr dramatisches Ereignis passiert sein, bei dem in kurzer Zeit sehr viel Energie freigesetzt wurde und die ganze Gegend ordentlich durchgerüttelt hat. Aber was?
Noch in wissenschaftlichen Arbeiten aus den 1980er und 1990er Jahren wird die "Vredefort-Struktur" als "Kryptoexplosionsstruktur" bezeichnet. "Krypto" heißt nichts anderes als "versteckt" oder "geheim" und bezieht sich nicht auf Vredefort selbst. Diese Dutzende Kilometer große Struktur konnte man kaum übersehen. "Versteckt" war die Ursache dafür und im Wesentlichen gab es zwei Möglichkeiten: Ein gewaltiges tektonisches Ereignis wie einen Vulkanausbruch. Oder ein Objekt aus dem All ist genau dort auf die Erde gefallen.
Heute sind Asteroideneinschläge für uns nichts Außergewöhnliches. In Science-Fiction-Filmen und Büchern passiert so etwas ständig; wir lesen auch immer wieder von wissenschaftlicher Forschung die sich mit Einschlagskratern beschäftigt und sehen Bilder der unzähligen Krater auf Mond, Mars und anderen Himmelskörpern des Sonnensystems. Aber man darf nicht vergessen, dass man tatsächlich lange Zeit davon überzeugt war, dass große Einschläge auf der Erde so gut wie nicht vorkommen. Bei der Geburt des Planeten, in der Frühzeit des Sonnensystems - da war so etwas möglich. Aber heute nicht mehr; nicht seit sich alles wieder beruhigt und der Planet sich gebildet hat. Die paar Krater die man zweifelsfrei auf der Erde sehen konnte mussten Vulkankrater sein oder bei extrem seltenen Ereignissen entstanden.
Die Meinung änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als geologische Untersuchungen zum Beispiel im Nördlinger Ries in Süddeutschland zeigten, dass das Gestein dort so gewaltigen Kräften ausgesetzt war, die nur beim Einschlag eines Objekts aus dem All entstehen konnten. Dann fand man in den frühen 1990er Jahren den Chixulub-Krater in Mexiko der vor 65 Millionen Jahren entstand und konnte zeigen, dass die Folgen dieser Kollision ein Massensterben verursacht haben bei dem unter anderem die meisten Dinosaurier verschwunden sind. Man akzeptierte, dass Asteroideneinschläge auf der Erde während ihrer ganzen Geschichte vorkommen und vorgekommen sind und mit diesem neuen Blick auf die Dinge fand man auch in Vredefort eindeutige Hinweise auf einen außerirdischen Ursprung.
Aus der "Kryptoexplosionsstruktur" wurde der "Vredefort-Einschlagskrater". Im Gestein der Umgebung fand man "Strahlenkegel", also Bruchflächen mit einer ganz speziellen Form die nur bei den enorm hohen Drücken entstehen die ein Asteroideneinschlag zustande bringt. Im Jahr 2014 wurde eine spezielle Form von Gestein entdeckt, dass sich bildet wenn Magma aus dem Erdinneren langsam abkühlt. Eine Datierung zeigte ein Alter von 2,02 Milliarden Jahren - genau so alt wie der Vredefort-Krater selbst. Das Gestein muss sich also gebildet haben, als nach dem Einschlag dort ein regelrechter Lavasee gebrodelt hat.
Heute können wir halbwegs rekonstruieren was damals passiert ist. Ein Brocken aus dem All mit einem Durchmesser von 10 bis 15 Kilometer muss auf die Erde geprallt sein. Das sagt sich so einfach, aber was bei so einem Ereignis tatsächlich passiert ist für uns eigentlich unvorstellbar. Quasi in Sekunden wurde ein Krater mit mindestens 100 Kilometer Durchmesser und 40 Kilometer Tiefe ausgehoben. Ein Stück der Erde, 100 Kilometer weit und 40 Kilometer tief wurde aus dem Planeten geschlagen, oder besser gesagt: Schlagartig pulverisiert! In das entstandene Loch könnte man mehr als vier Mount Everests übereinanderstapeln! Und wenn man einen Deckel drauf legen wollte, müsste der mehr als doppelt so groß wie die Insel Mallorca sein! Dieses gewaltige Loch blieb aber nicht lange bestehen sondern verformte sich rasch. In Folge 220 habe ich ja schon ausführlich über die Entstehung von Einschlagskrater gesprochen. Der ursprüngliche Krater stürzte weiter in sich zusammen und wurde immer größer. Das durch die enormen Kräfte verformbar gemachte Gestein federte quasi zurück, ein bisschen so wie die Wasseroberfläche nachdem man einen Stein hinein geworfen hat. In der Mitte bildete sich ein Zentralberg der von ringförmigen Hügelketten umgeben ist. Als alles vorbei war, muss der endgültige Krater fast 300 Kilometer durchmessen haben, mit einer Fläche so groß wie Bayern!
Wenn damals an Land irgendwelche nennenswerten Lebewesen gelebt hätten, hätten sie dieses Ereignis nur schwer überstanden. Es war einer der gewaltigsten Asteroideneinschläge auf der Erde von denen wir wissen. Selbst in Grönland und Russland hat man noch Material gefunden das damals in Südafrika in die Luft geschleudert worden ist. Aber zum Glück war das Leben damals winzig und vor allem im Ozean. Und hat dort weiter Sauerstoff produziert. Die Erde hat diesen Treffer ebenfalls weggesteckt und im Laufe der Zeit haben Erosion und neue geologische Ablagerungen den Krater abgeschliffen und verdeckt. Heute kann man ihn nur noch aus der Luft erkennen oder wenn man vor Ort mit geologischen Kenntnissen und genauen Blick spazieren geht.
Wir haben Glück, dass wir den Vredefort-Krater überhaupt untersuchen können. Viele kleinere Krater die sich in der Vergangenheit der Erde gebildet haben sind durch die Erosion komplett verschwunden. Und viele ältere Krater als Vredefort ebenfalls obwohl in der noch tieferen Vergangenheit der Erde vermutlich noch größere Brocken auf unseren Planeten gefallen sind. Derzeit bleibt Vredefort aber noch an der Spitze, zumindest was die Größe angeht. Er ist der größte bekannte Einschlagskrater der Erde und immerhin noch der zweitälteste. Erst im Januar 2020 hat man in Westaustralien die fast nicht mehr erkennbaren Überreste eines Asteroideneinschlags gefunden, der vor 2,2 Milliarden Jahren stattgefunden haben muss. Im Gegensatz zu Vredefort ist dort aber wirklich nichts mehr zu sehen. Man hat ihn nur anhand von Gesteinsproben identifizieren können; aus der Luft oder auf Satellitenbildern sieht man gar nichts. Im Gegensatz zu Vredefort der trotz seines Alters von oben betrachtet immer noch recht beeindruckend ist. Und uns eindrucksvoll daran erinnert, dass wir in einem dynamischen Sonnensystem leben wo ab und zu sehr große Steine vom Himmel fallen können.
Sternengeschichten Folge 418: Milkomeda und die galaktische Kollision
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um ein Himmelsobjekt das noch gar nicht existiert. Von dem wir aber wissen, dass es in der Zukunft existieren wird. Nicht nur das: Wir werden sogar ein Teil davon sein. Also nicht "wir" im Sinn von "wir Menschen". Uns wird es in dieser Zukunft mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr geben. Aber die Erde, die Sonne und das Sonnensystem. Und die gehören zur Milchstraße, zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne. Die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, gibt es seit circa 10 Milliarden Jahren. Aber sie hat ein Ablaufdatum.
Auch Galaxien bewegen sich. Sie ziehen sich gegenseitig an; bewegen sich umeinander und aufeinander zu. Und sie können miteinander zusammenstoßen. Sie verschmelzen miteinander und zwei zuvor einzelne Galaxien bilden zusammen eine neue. Genau das wird mit unserer Milchstraße passieren. Sie wird mit ihrer Nachbargalaxie zusammenstoßen. Das klingt dramatisch. Das ist auch dramatisch. Aber es dauert noch ein bisschen bis es soweit ist. Und uns wird dabei mit ziemlicher Sicherheit nicht viel passieren.
Aber es ist ein ziemlich spannender Vorgang und den schauen wir uns deswegen ein bisschen genauer an. Und klären zuerst einmal die Ausgangssituation. Galaxien sind nicht gleichförmig im Universum verteilt. Sie bilden Gruppen, die "Galaxienhaufen". Die Gruppe, zu der wir gehören, trägt den unspektakulären Namen "Lokale Gruppe" und ich hab in Folge 371 ausführlich darüber gesprochen. Sie besteht aus ein paar hundert Galaxien; die meisten davon sind aber eher kleine Zwerggalaxien. Nur zwei sind wirklich große, quasi ausgewachsene Sternensysteme: Unsere Milchstraße und die Andromedagalaxie. Welche von beiden größer ist, ist immer noch nicht absolut klar. Früher dachte man, dass die Andromedagalaxie ein bisschen mehr Masse hat als die Milchstraße; neuere Forschung hat gezeigt, dass vermutlich doch unsere Milchstraße massereicher ist. Aber auf jeden Fall sind beide sehr groß und einandern vergleichsweise nahe. Sieht man von ein paar winzigen Zwerggalaxien ab, ist die Andromedagalaxie unser galaktischer Nachbar mit einem Abstand von 2,5 Millionen Lichtjahren. Und sie kommt auf uns zu.
Das mag für manche seltsam klingen. Denn man hört ja immer wieder, dass sich alle Galaxien im Universum voneinander entfernen, da der Kosmos sich ja seit dem Urknall immer weiter ausdehnt. Und das stimmt auch. Allerdings nur für sehr, sehr große Abstände. Wenn wir die Galaxien in anderen Galaxienhaufen betrachten, dann bewegen die sich tatsächlich alle von uns fort. Aber innerhalb unserer lokalen Gruppe liegen die Dinge anders. Hier ist die Gravitationskraft zwischen den einzelnen Galaxien stark genug, um die Gruppe trotz der Expansion des Universums zusammenzuhalten. Und manche der lokalen Galaxien bewegen sich aufeinander zu. So wie die Andromeda und Milchstraße: Aus unserer Sicht bewegt sich die Andromedagalaxie mit 110 Kilometern pro Sekunde auf uns zu.
Das heißt aber nicht unbedingt dass es auch eine Kollision geben muss. Denn die Andromeda bewegt sich nicht nur auf uns zu; es gibt auch eine seitliche Bewegung. Es kann also auch sein, dass die beiden Galaxien einfach aneinander vorbei fliegen. Um das zu klären, muss man genau diese seitliche Bewegung messen, was schwierig ist. Viel schwieriger als nur die sogenannte Radialgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit mit der sie auf uns zu kommt. Die kann man recht einfach messen; über den sogenannten "Dopplereffekt". Darüber hab ich auch schon oft gesprochen: Wenn sich eine Lichtquelle auf uns zu (oder von uns weg) bewegt, dann ändert sich die Frequenz - also die Farbe - des Lichts, die wir beobachten. Genau so wie sich auch die Tonhöhe einer Schallquelle ändert, wenn sie sich auf uns zu oder von uns weg bewegt (wie man bei jedem Einsatzfahrzeug hören kann). Das Licht der Sterne in der der Andromeda können wir gut auf diesen Effekt untersuchen. Um aber auch die seitliche Bewegung zu messen, müssen wir die Position der Sterne dort extrem genau bestimmen und auf Veränderungen im Laufe der Zeit untersuchen.
Und "extrem genau" heißt hier wirklich EXTREM genau. Man muss Veränderungen der Sternpositionen messen, die nur ein paar Tausendstel eines Pixel der Kamera des Hubble-Weltraumteleskops entsprechen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es aber im Jahr 2012 gelungen, die seitliche Geschwindigkeit der Andromeda zu messen. Sie liegt bei 17 Kilometer pro Sekunde und das ist zu wenig, um eine Kollision zu vermeiden. In 3,9 Milliarden Jahren werden die beiden Galaxien miteinander kollidieren. Aber: Was bedeutet das Wort "Kollision" wenn es um zwei Galaxien geht? Definitiv nichts, wo irgendwas aufeinander kracht; nichts, wo tatsächlich physische Objekte miteinander kollidieren.
Es ist einfach viel zu viel Platz zwischen den Sternen! Und es ist verdammt schwer, das irgendwie zu veranschaulichen. Wenn wir die gewaltige große Sonne mit ihrem Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer auf die Größe eines Tischtennisballs schrumpfen, dann wäre in diesem Maßstab der uns nächstgelegene Stern immer noch 1100 Kilometer weit weg. Und die gesamte Milchstraße immer noch 30 Millionen Kilometer groß. Ok, im Zentrum einer Galaxie stehen die Sterne dichter beieinander als in den Außenbereichen wo sich die Sonne befindet. Aber selbst wenn man das berücksichtigt, stehen - im Tischtennisballmodell der Galaxie - die Sterne im Schnitt mehr als 3 Kilometer weit auseinander. Und das gilt für die Andromeda genau so. Wir haben also zwei Objekte, die im Wesentlichen aus leerem Raum bestehen in dem sich ab und zu mal ein Stern befindet. Eine "Kollision" ist also eher ein "Durchdringen"; die Chance dass da tatsächlich zwei Sterne physisch zusammenstoßen ist also so enorm gering, dass man sie getrost ignorieren kann.
Ich habe vorhin gesagt, dass die beiden Galaxien in 3,9 Milliarden Jahren kollidieren werden. Damit ist gemeint, dass die beiden Zentren der Galaxien weniger als 80.000 Lichtjahre voneinander entfernt sind. Das hat man einfach so definiert, weil irgendwas muss man ja definieren. Die Kollision ist damit aber nicht vorbei. Die beiden Galaxien werden einander durchdringen und sich wieder voneinander entfernen. Aber nicht weit, denn durch ihre gegenseitige Anziehungskraft haben sie sich abgebremst. 2 Milliarden Jahre nach der ersten Begegnung, also in knapp 6 Milliarden Jahren von heute an, werden sie sich erneut treffen und dann miteinander verschmelzen. Aus den beiden Spiralgalaxien wird eine elliptische Galaxie entstehen, also ein gewaltiger kugelförmiger Haufen aus Sternen.
In dieser fernen Zukunft wird es keine Menschen mehr geben. Wir werden dabei nicht zusehen können und nicht in dieser neuen Galaxie leben. Aber wir haben sicherheitshalber schon mal einen Namen für sie gefunden: Die Astronomen Thomas Cox und Abraham Loeb haben in einer Arbeit aus dem Jahr 2007 den Namen "Milkomeda" für die verschmolzene Galaxie gewählt und der ist geblieben.
Unsere Sonne hat eine längere Zukunft vor sich als die Menschheit. Sie wird noch circa 6 Milliarden Jahre lang existieren und die Verschmelzung von Milchstraße und Andromeda durchaus miterleben. Ihr Schicksal ist allerdings noch nicht völlig klar. Selbstverständlich werden durch die Kollision die Bahnen und Positionen der Sterne ordentlich durcheinander geschleudert. Computersimulationen zeigen, dass wir dabei mit ziemlicher Sicherheit ein wenig nach außen rücken. Momentan befinden wir uns ja knapp 26.000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt. Nach der Verschmelzung werden wir ein Stück weiter vom Zentrum der neuen Galaxie entfernt sein. Es kann allerdings auch sein, dass wir deutlich weiter draußen landen, mehr als 50.000 Lichtjahre oder noch weiter. In 12 Prozent der Fälle sind wir bei den Simulationen auch komplett aus der Galaxie geworden worden. Für die Erde spielt das alles aber keine große Rolle. Denn einerseits wird das Sonnensystem selbst bei all dem nicht verändert; die Erde und die anderen Planeten werden weiterhin ihre Runde um die Sonne ziehen - egal wo die sich gerade rumtreibt. Und andererseits ist die Erde dann sowieso komplett unbewohnbar geworden. In den späteren Phasen ihres Lebens wird die Sonne deutlich heißer brennen als jetzt und die Temperaturen auf der Erde werden zum Zeitpunkt der Galaxienkollision schon weit über den lebensfreundlichen Werten liegen.
Es gibt übrigens doch etwas, was bei dieser Kollision tatsächlich zusammenstoßen wird. Sowohl unsere Milchstraße als auch die Andromedagalaxie haben in ihrem Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch. Dass in der Milchstraße ist circa 4 Millionen Sonnenmassen schwer; bei Andromeda sind es 100 Millionen Sonnenmassen. Nach der Verschmelzung werden diese beiden gewaltigen Objekte einandern im Zentrum der neuen Galaxie umkreisen. Ungefähr 17 Millionen Jahre lang, während der sich beiden schwarzen Löcher immer näher kommen und schließlich zusammenstoßen und zu einem noch gewaltigeren schwarzen Loch zu verschmelzen.
Die Milkomeda-Galaxie wird das absolut dominierende Objekt der lokalen Gruppe sein. Ansonsten gibt es dort ja nur noch Zwerggalaxien. Mit der Ausnahme der "Dreiecksgalaxie" M33. Die hat immerhin noch circa 5 Milliarden Sterne und ist 60.000 Lichtjahre groß. Momentan ist sie 3 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Und nach der Entstehung von Milkomeda wird sie diese neue Riesengalaxie als Satellit umkreisen. Obwohl es auch sein könnte, dass sie schon schon vorher mit der Milchstraße verschmilzt oder in den Wirren der Kollision komplett aus der Lokalen Gruppe rausgeworfen wird. So genau lässt sich das nicht vorhersagen. Was auf jeden Fall klar ist: In allerfernster Zukunft, irgendwann in weit mehr als 100 Milliarden Jahren, werden alle anderen Galaxien der Lokalen Gruppe mit Milkomeda verschmolzen sein. Dann wird dort nur noch eine enorme Riesengalaxie sein; scheinbar allein im Universum. Alle anderen Galaxien der anderen Galaxienhaufen werden sich dann mit der Expansion des Kosmos so weit entfernt haben, dass wir sie nicht mehr sehen können. Aber "uns" wird es dann sowieso nicht mehr geben. Und einen Namen für die "letzte Galaxie des Universums" haben wir uns übrigens auch noch nicht ausgedacht…
Sternengeschichten Folge 417: Fluor und sein astronomisches Geheimnis
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das chemische Element Fluor. Was vielleicht nicht unbedingt nach Astronomie klingt. Aber höchst astronomisch ist, wie wir noch hören werden. Im Alltag treffen wir das Fluor meistens im Badezimmer, nämlich dann wenn wir uns die Zähne putzen. Denn das Fluor kann unseren Zahnschmelz härter machen und vor Karies schützen. Was super ist, aber nicht Thema der Folge. Denn damit das hilfreiche Fluor seine Arbeit machen kann, muss es erstmal in die Zahnpastatube gelangen. Was jetzt nicht so schwer ist; in der Erdkruste ist Fluor das 13häufigste chemische Element. Da kommt es so gut wie immer gebunden vor, also in Kombination mit anderen Elementen, zum Beispiel in Form von Flussspat oder Fluorkieselsäure. Das erste Mal chemisch isoliert, also quasi in Reinform entdeckt hat das Element der französische Chemiker Henri Moissan im Jahr 1886, wofür er dann 1906 auch den Chemie-Nobelpreis bekommen hat. Da hat man also gewusst, dass es so ein chemisches Element gibt und seine Eigenschaften erforschen können. Die fundamentale Frage wurde aber immer noch geklärt: Wo kommt das Zeug her?
Und natürlich ist für das Fundament immer die Astronomie zuständig. Denn abgesehen von Wasserstoff und Helium muss jedes chemische Element irgendwo bei der Kernfusion im Inneren eines Sterns beziehungsweise durch andere astronomische Prozesse erzeugt werden. Also auch das Fluor. Bevor wir aber zur Astronomie kommen schauen wir nochmal kurz auf das Fluor selbst und das Periodensystem der Elemente. Dort finden wir das Fluor mit der Ordnungszahl 9. Weil es 9 Protonen in seinem Atomkern hat und die benachbarten Elemente sind Kohlenstoff, mit 6 Protonen; Stickstoff mit der Ordnungszahl 7, Sauerstoff mit Ordnungszahl 8 und auf der anderen Seite Neon mit der Ordnungszahl 10. So weit, so ordentlich. Jetzt schauen wir auf die Liste mit den häufigsten chemischen Elementen im Universum. Wasserstoff ist natürlich auf Platz 1, Helium auf Platz 2 - für diese beiden Elemente braucht man keine Sterne, die sind direkt beim Urknall selbst entstanden und deswegen auch so häufig. Auf Platz 3 kommt Sauerstoff, auf Platz 4 Kohlenstoff, auf Platz 5 finden wir Neon. Auf Platz 6 steht Eisen und auf Platz 7 finden wir Stickstoff. Dass Eisen so häufig ist, ist auch interessant - aber eine ganz eigene Geschichte die ich ein anderes Mal erzählen werden. Auf jeden Fall sehen wir, dass die ganzen Nachbarelemente von Fluor alle in den Top 7 auftauchen. Aber das Fluor schafft es nicht mal in die Top 20. In unserem Sonnensystem gibt es fast 5000 mal mehr Kohlenstoff als Fluor. Sauerstoff ist fast 9000 mal häufiger und selbst das obskure Neon ist noch fast 1500 mal häufiger. Was ist da los?
Nun, zuerst einmal können wir feststellen, dass der Prozess der Fluor herstellt offensichtlich nicht sehr effektiv ist. Im Inneren von normalen Sternen läuft die Fluor-Produktion tatsächlich eher spärlich. Dort wird ja vor allem Wasserstoff zu Helium fusioniert. In den Spätphasen eines normalen Sterns kriegt man dann aus dem Helium per Fusion noch Sauerstoff oder Kohlenstoff. Aus Kohlenstoff kann man Neon oder Natrium fusionieren; aus Sauerstoff kriegt man Silicium und daraus dann Eisen. Aber Fluor kommt bei diesen Reaktionen nicht vor. Zumindest nicht bei den üblichen Reaktionen was bedeutet, dass die Produktion von Fluor unüblich sein muss.
Im wesentlichen hat man drei hauptsächliche und verschiedene Möglichkeiten und Orte im Verdacht, das Fluor des Universums herstellen zu können. Zuerst einmal wären da die sehr großen Sterne. Also Sterne, die am Ende ihres Lebens bei einer gewaltigen Supernova explodieren können. Die zweite Möglichkeit wären AGB-Sterne, also Sterne mit ein wenig geringerer Masse als die Sterne vom ersten Punkt, die sich am Ende ihres Lebens aufblähen und in deren Gasschichten jede Menge unterschiedliche Kernreaktionen stattfinden können. Und dann gibt es als drittes noch die Möglichkeit von Novae. Also ein Sterne die Helligkeitsausbrüche zeigen die nicht ganz so super sind wie die bei Supernovae. Die lasse ich jetzt aber mal aus, weil diese Möglichkeit sehr hypothetisch ist und es auch keine Beobachtungsdaten dazu gibt.
Schauen wir uns dafür die AGB-Sterne nochmal genauer an. Diese Dinger sind ziemlich komplex; noch komplexer als ein normaler Stern, der schon ziemlich komplex ist. Es handelt sich dabei um Sterne die so viel Masse haben wie unsere Sonne beziehungsweise ein bisschen weniger oder mehr. Die ganze Geschichte der AGB-Sterne hebe ich mir für eine andere Folge auf. Aber es geht auf jeden Fall um das, was in der Spätphase des Lebens so eines Sterns passiert. Unsere Sonne, die derzeit noch in der Mitte ihres Lebens steht, fusioniert in ihrem Kern Wasserstoff zu Helium. Nur dort ist es heiß genug dafür. Irgendwann wird im Kern der Wasserstoff ausgehen, dann fällt - wie ich schon oft erzählt habe - der Strahlungsdruck der Fusion weg. Der Stern fällt dann unter seinem eigenen Gewicht ein wenig in sich zusammen, wodurch es in seinem Zentrum heißer wird als vorher. So heiß, dass jetzt auch das Helium fusionieren kann. Und weiter außen wird es jetzt heiß genug, dass der dortige noch nicht fusionierte Wasserstoff auch fusioniert werden kann. Wir haben jetzt also einen Stern, in dessen Zentrum Helium fusioniert wird und in einer weiter außen liegenden Schale findet Wasserstofffusion statt. Das Spiel setzt sich fort; aus dem Helium im Kern wird Sauerstoff und Kohlenstoff, die auch wieder fusioniert werden können. Die Heliumfusion wandert ein Stück nach außen; die Wasserstofffusion noch weiter raus. Wir kriegen also einen Stern, der aus verschiedenen Schalen besteht in denen verschiedenen Fusionsreaktionen stattfinden. Bei all diesen Reaktionen entstehen alle möglichen Reaktionsprodukte. Es fliegen alle möglichen Atomkerne und Bruchstücke von Atomkernen durch die Gegend. Und wenn die richtigen Teilchen auf die richtige Weise zusammentreffen, gibt es Fluor.
Genau so wie man Fluor in solchen Sternen machen kann, kann man es aber auch wieder zerstören. Wenn die richtigen - oder in unserem Fall dann eher die falschen - Teilchen auf ein Fluoratom treffen, dann wandelt es sich in ein anderes Element um. Wenn das Fluor also nicht rechtzeitig aus dem Inneren des Sterns in die oberflächennahen Regionen kommt, aus denen es ins All hinaus geschleudert werden kann, bringt uns das nicht weiter. Die besten AGB-Sterne für die Fluor-Produktion haben circa die dreifache Sonnenmasse, recht viel mehr als 4 oder weniger als 2 Sonnenmassen sollten es nicht sein.
Neben den AGB-Sternen habe ich vorhin auch noch Supernova-Explosionen erwähnt. Auch da fliegen jede Menge Teilchen und Atome mit sehr viel Wumms durch die Gegend was zur Produktion ungewöhnlicher chemischer Elemente führen kann, wie ich ja auch schon in Folge 412 erklärt habe. Was bei einer Supernova-Explosion auch noch in großer Menge entsteht sind Neutrinos. Diese Elementarteilchen entstehen immer und überall bei Kernreaktionen in Sternen und anderswo im Universum; der Kosmos ist voll mit ihnen. Wir merken aber nichts davon, weil sie so gut wie nie mit normaler Materie in Wechselwirkung treten. In jeder Sekunde fliegen Billiarden von Neutrinos durch unseren Körper, ohne das wir das davon mitkriegen. Aber wenn man wirklich, wirklich, wirklich viele Neutrinos auf vergleichsweise kleinem Raum hat - wie zum Beispiel bei einer Supernova-Explosion - und noch dazu jede Menge passende chemische Elemente, dann können spannende Dinge passieren. Denn ab und zu kann so ein Neutrino DOCH mit einem Atomkern in Wechselwirkung treten. Dann schubst es - vereinfacht gesagt - ein Proton aus einem Neon-Atom und das Resultat ist Fluor. Denn - wie ich zu Beginn gesagt habe - Neon hat 10 Protonen im Atomkern; Fluor hat 9 davon.
Das wirklich spannende an der Neutrino-Geschichte haben die amerikanischen AstronomInnen Catherine Pilachowski und Cameron Pace im Jahr 2015 herausgefunden. Sie haben Sterne nach Fluorwasserstoff abgesucht. Das ist ein extrem giftiges Gas das wir hier auf der Erde zum Beispiel verwenden, um Benzin herzustellen. Aber wir finden es auch im All, denn einerseits ist Fluor ein chemisches Element das sich extrem gern mit anderen Elementen verbindet und andererseits ist Wasserstoff ja überall im Kosmos. Wenn irgendwo Fluor produziert wird, dann ist es also keine schlechte Idee nach Fluorwasserstoff zu suchen. Das giftige Gas wurde in 51 Sternen entdeckt; mehr als die Hälfte der Sterne die untersucht wurden. Das war eine überraschend große Menge, denn die Sterne, die Pilachowski und Pace untersucht haben, waren normale Sterne, keine AGB-Sterne oder Supernova-Explosionen. Das Fluor das dort vorhanden ist, muss also schon vorher irgendwo anders produziert worden sein. Mit so viel Fluor wie bei der Studie gefunden wurde, hat man aber damals nicht gerechnet. Damals dachte man, dass man die Menge an Fluor im Universum durch die Produktion in AGB-Sternen erklären kann und ohne die Neutrinos bei Supernova-Explosionen auskommt. Mit den neuen Daten war das aber nicht mehr vereinbar; es muss auch noch andere Fluorquellen geben: Eben die Supernova-Explosionen.
Das Fazit dieser Geschichte: Wir wissen immer noch nicht genau wo das Fluor herkommt. Später durchgeführte Untersuchungen haben bestätigt, dass es auf jeden Fall mehrere unterschiedliche Quellen braucht. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Was aber auch überraschend gewesen wäre. Und irgendwie ist es auch cool zu wissen, dass wir unsere Zahnpasta und unsere - hoffentlich! - gesunden Zähne zum Teil der Tatsache zu verdanken haben, dass vor langer Zeit fern im Universum große Sterne explodiert sind und dabei geisterhafte Neutrinos genau die Atome produziert haben, die wir uns auf die Zahnbürste schmieren…
Sternengeschichten Folge 416: Der Schlangenträger und das 13. Sternzeichen
"NASA-Sensation: Deshalb ist Ihr Sternzeichen falsch" - das war der Titel eines Artikels in einem Online-Magazin aus dem Jahr 2016. 2019 konnte man in der Zeitung "Cosmopolitan" lesen: ""13 Sternzeichen?! Hast du in Wahrheit ein ganz anderes?". Immer wieder taucht die Geschichte vom "13. Sternzeichen" auf. Da geht es zwar um Astrologie, also nicht um Wissenschaft. Der Hintergrund ist aber aus astronomischer Sicht durchaus interessant.
Fangen wir mal mit den Grundlagen an. Beziehungsweise fangen wir nicht mit den Grundlagen an. Denn das hier ist ja schließlich kein Podcast über Astrologie. Und in Folge 155 der Sternengeschichten habe ich schon ausführlich über den Unterschied zwischen Astrologie und Astronomie gesprochen und warum Astrologie kompletter Unsinn ist, könnt ihr in Folge 23 nachhören. Was aber im Zentrum der Astrologie steht und auch das zentrale Thema dieser Folge ist, das sind die Sternzeichen.
Auch wenn man nicht an Astrologie glaubt, wird man vermutlich sein Sternzeichen kennen. Und wissen, dass es 12 Stück davon gibt. Je nach dem Tag an dem man geboren wurde, ist man Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische, Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage oder Skorpion. Was man auch oft glaubt, selbst wenn man kein Astrologie-Fan ist: Dass das Sternzeichen dadurch bestimmt wird, an welcher Position die Sonne zum Zeitpunkt der Geburt am Himmel gestanden ist. Als ich geboren wurde, war die Sonne gerade im Löwen zu sehen, also bin ich Löwe. Denn immerhin gibt es ja auch ein offizielles Sternbild das "Löwe" heißt und das man sich am Himmel anschauen kann.
Das Problem: Das stimmt nicht. Also nicht, dass es ein Sternbild "Löwe" gibt. Das stimmt schon. Aber als ich am 28. Juli 1977 geboren wurde, ist die Sonne dort nicht zu finden gewesen. Die war im Sternbild Krebs. Aus astrologischer Sicht ist das aber egal, denn der Himmel der Astrologie hat nichts mit dem realen Himmel der Astronomie zu tun. Zumindest heute. Früher war das anders und dieses Früher müssen wir uns ein wenig genauer anschauen, wenn wir das mit dem 13. Sternzeichen verstehen wollen.
Vor allem müssen wir nochmal kurz den Unterschied zwischen "Sternbild" und "Sternzeichen" betrachten, den ich in Folge 48 schon genauer erklärt habe. Der früher noch nicht existiert hat. Menschen haben immer schon zum Himmel geschaut und die hellen Punkte der Sterne zu Figuren angeordnet. Die ältesten dieser Figuren die wir heute noch kennen und zum Teil auch noch verwenden sind mehr als 2000 Jahre alt und stammen aus Babylonien. Die Menschen die damals den Himmel genau beobachtet haben, haben festgestellt, dass es da eine bestimmte Region gibt, die sich von anderen Regionen unterscheidet.
Wenn man zum Beispiel die Sonne jeden Tag zu Mittag betrachtet und ihre Position am Himmel notiert, dann wird man merken, dass das nicht immer die selbe Position ist. Kein Wunder, denn heute wissen wir ja, dass sich die Erde um die Sonne herum bewegt und wir sehen daher auch die Sonne im Laufe eines Jahres immer vor einem anderen Hintergrund. Damals dachte man, dass sich die Sonne um die Erde herum bewegt und deswegen immer woanders zu sehen ist. In unserem Fall kommt es aber auf das gleiche heraus: Die Sonne scheint im Laufe eines Jahres einen Kreis um die Erde herum zu beschreiben. Auf dieser Kreisbahn scheint sich die Sonne entlang einer Linie zu bewegen, die man "Ekliptik" nennt. In Wahrheit ist die Ekliptik die an den Himmel projizierte Bahn der Erde. Auf jeden Fall aber folgt daraus, dass die Sonne im Laufe eines Jahres sich nicht irgendwo und überall am Himmel rumtreiben kann. Sondern nur dort, wo sich die Ekliptik befindet.
Genau das ist auch schon den Babyloniern aufgefallen und deswegen waren für sie die Sternfiguren besonders interessant, die genau am Weg der Sonne gelegen sind. Denn immerhin ist die Sonne unbestritten der wichtigste Himmelskörper für uns Menschen; sie macht das Leben auf der Erde erst möglich. In fast allen frühen Kulturen ist die Sonne als Gottheit verehrt worden und deswegen ging man auch davon aus, dass die Sterne am Himmel die den Weg der Sonne säumen, irgendwie besonders sein müssen.
Von allen Sternbildern am Himmel wurden ein paar ganz besonders betrachtet. Weil sie - zum Teil - nach Tieren benannt wurden, heißen sie auch "Tierkreiszeichen" und es sind genau die Sternbilder, die in der astrologischen Deutung als Sternzeichen bezeichnet worden sind. Früher waren also Sternzeichen einfach nur eine besondere Gruppe unter allen Sternbildern des Himmels. Im Laufe der Zeit haben wir am Himmel aber immer wieder mal umsortiert. Lange hat es keine einheitlichen Regeln gegeben, verschiedene Kulturen haben zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Sternbilder geschaffen. Und später haben verschiedene Forscher ihre ganz eigenen Systeme gebastelt um die Sterne in Bilder einzuteilen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts hat man da ein System reingebracht und die Internationale Astronomische Union hat ein für alle Mal 88 offizielle Sternbilder am Himmel festgelegt. Mehr als die Hälfte davon sind alte Sternbilder, die wir aus der Antike übernommen haben; darunter auch die zwölf Sternbilder die in der Astrologie die Sternzeichen bilden. Für jedes Sternzeichen gibt es also ein passendes Sternbild am echten Himmel. Und die zwölf Sternbilder des Tierkreises sind auch tatsächlich genau die, die entlang der Ekliptik zu finden sind.
Nur: Es sind nicht alle Sternbilder, die entlang der Ekliptik zu finden sind. Dort liegen nicht nur die Sternbilder, deren Namen wir aus dem Zeitungshoroskop kennen. Sondern auch eines, das dort nicht aufscheint: Ophiuchus, der "Schlangenträger". Auch dieses Sternbild gibt es schon lange, es gehört zu den alten Sternbildern der Antike. Man hat es damals aber ignoriert und nicht zu den Tierkreiszeichen bzw. zu den Sternzeichen gezählt. Vermutlich, weil man "12" einfach als die schönere Zahl betrachtet hat; da ließ sich mythologisch viel mehr reininterpretieren. Und auch mathematisch war es viel praktischer, die Ekliptik einfach in 12 Abschnitte zu teilen und nicht in 13. "13" ist eine Primzahl; "12" dagegen eine Zahl die man durch 1, 2, 3, 4, 6 und 12 teilen kann, was zum Rechnen immer angenehm ist.
Die Astrologie und die Astronomie haben sich damals gemeinsam entwickelt. Bzw. gab es damals einfach keinen Unterschied; man hat den Himmel betrachtet, hat probiert die Bewegung der Planeten zu verstehen und zu verstehen, was es mit diesen ganzen leuchtenden Dingern auf sich hat. Und ein Weg, wie man probiert hat Sinn in die Angelegenheit zu bringen, war es, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde aufzustellen; eine Verbindung zwischen dem, was oben im "Reich der Götter" abgeht und unten mit dem Schicksal der Menschen. Heute wissen wir, dass es so eine Verbindung wie sie die Astrologie behauptet nicht gibt. Wo die Sonne und die Planeten am Himmel zu sehen sind, hat absolut keinen Einfluss auf unser Schicksal. Die Astronomie hat im Laufe der Zeit immer mehr über das reale Universum rausgefunden; die Astrologie ist das, was von damals noch übrig geblieben ist wenn man all die echten wissenschaftlichen Erkenntnisse abzieht. Die Astrologie hat daher auch alle Entdeckungen und Reformen ignoriert die im Laufe der Zeit gemacht worden sind. Der Himmel der Astrologie ist ein komplett fiktiver Himmel der nichts mit dem realen Himmel zu tun hat.
Zwischen Ende November und Mitte Dezember kann man die Sonne im Sternbild des Schlangenträgers finden. Laut Astrologie ist jemand, der in diesem Zeitraum geboren wurde aber vom Sternzeichen her ein Schütze. Die Astrologie teilt die Ekliptik immer noch in 12 gleich große Abschnitte denen die zwölf antiken Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Am realen Himmel sind die realen Sternbilder aber unterschiedlich groß und die Sonne verbringt unterschiedlich viel Zeit in ihnen. Und eben auch ein paar Wochen im Sternbild Schlangenträger. Was aus astrologischer Sicht komplett egal ist - wenn man sich sowieso ein von der Realität komplett unabhängiges System aufbaut, dann kann man auch das ignorieren. Und aus astronomischer Sicht ist es gewissermaßen auch egal. Denn einerseits ist die Astrologie wissenschaftlich gesehen sowieso Unsinn. Und andererseits ist die Sache mit den Sternbildern und Sternzeichen zwar historisch interessant. Aber ein Sternbild ist ja kein reales Objekt im Universum. Die Sterne die ein Sternbild formen gehören ja nicht zusammen. Wir sehen sie nur zufällig von der Erde aus genau so an unserem Himmel stehen. In Wahrheit sind manche von ihnen nahe der Sonne, manche sind weit weg. Würden wir den Himmel von irgendeinem anderen Planeten im Universum aus betrachten, würden wir dort auch völlig andere Sternenkonstellationen sehen.
Die Figuren der Sternbilder existieren nur in unserer Vorstellung. Das macht sie für uns nicht weniger interessant; genau das macht das Universum ja erst menschlich. Wir brauchen all die Geschichten am Himmel um mit der unvorstellbaren Größe und Unmenschlichkeit des realen Universums klar zu kommen. Man muss sich aber definitiv keine Sorgen darüber machen, das "falsche Sternzeichen" zu haben. Die Astrologie hat nichts mit der Realität zu tun; wer gerne ein anderes Sternzeichen haben möchte, kann sich einfach selbst etwas passendes ausdenken. Anregungen für die eigene Fantasie sollte man am Himmel mehr als genug finden.
Sternengeschichten Folge 415: Die Nacht in der der Mond verschwand
"In der fünften Nacht des Monats Mai schien der Mond hell am Abend. Danach wurde sein Licht Stück für Stück immer schwächer so dass es komplett verschwunden war als die Nacht begann. Es war so komplett ausgelöscht, das weder das Licht noch der Himmelskörper oder sonst irgendwas vom Mond sichtbar war. Und so ging es weiter bis fast zum nächsten Tag, als der Mond wieder hell und voll schien."
Das steht genau so in der Peterborough Chronicle, einer Chronik zur englischen Geschichte aus dem 12. Jahrhundert. Beziehungsweise steht das dort natürlich nicht genau so; es steht dort in englisch geschrieben oder noch genauer gesagt, es steht dort auf mittelenglisch, also der Version des Englischen die man im 12. Jahrhundert in Angelsachsen gesprochen hat ("England" oder gar "Großbritannien" gab es damals noch nicht). Aber es soll heute ja nicht um Sprachwissenschaft gehen oder Geschichte. Sondern um Astronomie. Und da fragt sich der eine oder der andere vielleicht, was da jetzt so besonders an diesem Zitat ist. Da hat halt eine Mondfinsternis stattgefunden; warum die Aufregung?
Ja, warum die Aufregung? Tatsächlich beschreibt der unbekannte Chronist hier eine Mondfinsternis. Der Eintrag bezieht sich auf das Jahr 1110 und - wie wir heute immer noch problemlos berechnen können - fand am 5. Mai 1110 eine Mondfinsternis statt, die von Europa aus sichtbar war. Aber wer schon mal eine Mondfinsternis gesehen hat wird merken, dass an dem Text irgendwas seltsam ist. Wenn die Erde genau zwischen Sonne und Mond steht und der Erdschatten den Mond verdunkelt: Dann wird er nicht völlig finster. Ein wenig Sonnenlicht wird noch durch die Atmosphäre der Erde hindurch in Richtung Mond gestreut. Vor allem der rote Anteil des Lichts, weswegen der Mond nicht dunkel ist, sondern rötlich leuchtet - wie ich auch schon ausführlich in Folge 295 der Sternengeschichten erzählt habe.
Der Chronist hat sich aber extra bemüht darauf hinzuweisen, dass das Licht des Mondes komplett ausgelöscht war. Es war kein Licht des Mondes zu sehen; auch nicht der verdunkelte Mond. Es war gar nichts zu sehen. "Und?", denkt sich jetzt vielleicht wieder die eine oder der andere. Dann war es halt bewölkt. Das kommt vor, vor allem in England… Der Chronist hat aber im folgenden Text noch hinzugefügt: "Die ganze Nacht über war der Himmel sehr klar und die Sterne schienen überall am Himmel sehr hell".
Also: Klarer Himmel, eine Mondfinsternis - aber eine Mondfinsternis die so eigentlich nicht vorkommen sollte. Es war eine "dunkle Finsternis", was ein wenig unsinnig klingt. Aber weil eine Mondfinsternis eben normalerweise nicht dunkel ist, macht dieser Begriff durchaus Sinn. Übrigens gibt es eine eigene Skale mit der man die Dunkelheit einer Mondfinsternis klassifizieren kann. Sie wurde nach dem französischen Astronom André Danjon benannt und heißt demnach "Danjon-Skala". Die Helligkeit der Finsternis (ja, tut mir leid - aber das kann man nicht anders ausdrücken) wird dabei durch eine Zahl L beschrieben die Werte zwischen 0 und 4 annehmen kann. Bei L=4 hat man eine Mondfinsternis bei der der Mond orange erscheint, mit einem sehr hellen, fast schon bläulichen Rand. Bei L=3 kriegt man eine eher hellrote Mondscheibe zu sehen, bei L=2 ist der Mond dunkelrot und bei L=1 fast schon grau-bräunlich. Bei einem Wert von L=0 ist der Mond dann quasi unsichtbar.
Wie hell eine Finsternis erscheint hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, zum Beispiel davon, wie zentral der Schatten der Erde auf den Mond trifft. Wenn der Mond vom Erdschatten quasi nur gestreift wird, dann ist er heller als sonst. Aber, wie ich vorhin schon gesagt habe, selbst wenn der Erdschatten ganz zentral auf den Mond trifft, dann sollte immer noch ein bisschen Sonnenlicht durch die Erdatmosphäre in Richtung Mond gelenkt werden so dass er nicht komplett finster erscheinen kann. Wie das passiert hängt vom Zustand der Atmosphäre ab. Zum Beispiel davon, wie staubig sie gerade ist.
Staub, selbst wenn die Staubteilchen enorm klein sind, können einen großen Einfluss auf das Licht haben. Vor allem dann, wenn das Licht eine große Strecke durch die Atmosphäre zurück legen muss. Das kann man leicht selbst beobachten: Wenn die Sonne mittags hoch am Himmel steht, kommt ihr Licht senkrecht auf die Erde und bewegt sich senkrecht durch die Atmosphäre hindurch. Wenn das Sonnenlicht dagegen morgens oder abends seinen Weg zu uns zurück legt, hat es eine wesentlich längere Strecke durch die Atmosphäre vor sich weil es jetzt quasi nicht von oben sondern "von der Seite" kommt und sehr viel länger durch die dichten, bodennahen Schichten der Lufthülle hindurch muss. Also genau dort, wo sich auch der meiste Staub befindet. Ein bisschen Staub ist immer in unserer Atmosphäre und der hindert das Licht an der Ausbreitung. Wie er das genau tut hängt von der Wellenlänge des Lichts ab, also von seiner Farbe. Kurzwelliges, blaues Licht wird am einfachsten gestreut und kreuz und quer in alle Richtungen abgelenkt. Das langwelligere rötliche Licht kommt leichter durch und deswegen erreicht uns morgens und abends mehr rotes Licht von der Sonne als blaues. Darum können Sonnenauf- und untergänge auch so schön orange/rot leuchten während das Sonnelicht mittags grell weiß ist: Hier sind noch alle Farben drin und mischen sich zu weiß.
Wenn man sich den Sonnenuntergang in einer Gegend anschaut in der sehr viel Schmutz und Staub in der Luft ist, in großen, schmutzigen Städten zum Beispiel, dann ist dieser Effekt besonders stark. Dann wird das rote Leuchten des Sonnenuntergangs ganz besonders intensiv. Und wenn genug Staub in der Luft ist, dann wird das ganze noch extremer. Wenn wir dann eine Mondfinsternis haben, dann wird kaum noch Sonnenlicht in Richtung der verdunkelten Mondscheibe gestreut und wir kriegen eine dunkle Finsternis.
Nur: Wo kommt dieser Staub her? Im Angelsachsen des 12. Jahrhunderts wird sich die industrielle Luftverschmutzung ja eher in Grenzen gehalten haben. Es gibt aber noch andere Quellen und das sind Vulkane! Die brechen immer wieder mal aus und spucken dabei jede Menge Staub in die Luft. Ist der Vulkanausbruch stark genug, dann kann sich der Staub über weite Teile der Atmosphäre verteilen. Und dann kann genau das passieren, was in der alten Chronik beschrieben wird: Man beobachtet einen klarer Himmel mit leuchtenden Sternen. Aber wenn dann eine Mondfinsternis stattfindet, muss das Licht der Sonne durch staubige Bereiche der Atmosphäre hindurch, schafft das nicht und die Finsternis bleibt unerwartet dunkel.
Die Beobachtung einer dunklen Finsternis ist ein gutes Indiz dafür, dass zu dieser Zeit irgendwo auf der Erde ein Vulkan ausgebrochen ist. Nur: Wo genau? Diese Frage hat im April 2020 eine Gruppe von Wissenschaftler aus der Schweiz, Frankreich, England und Irland beschäftigt. Sie haben alte Texte nach Hinweisen auf dunkle Finsternisse durchsucht. Und dann ihren Blick von den Büchern weg und Datenbanken zugewandt. Datenbanken in denen Informationen über Eisbohrkerne und Baumringe gespeichert waren. Beides sind hervorragende Möglichkeiten etwas über den Zustand der Atmosphäre in der Vergangenheit zu erfahren. Wenn es irgendwo auf der Erde ordentlich staubt, dann landet der Staub auch auf dem Eis. Jedes Jahr im Winter entsteht eine neue Eisschicht und wenn es sich um eine Gegend handelt in der das Eis nicht auftaut - wie in den Polarregionen der Erde - dann kriegt man so ein wunderbares Archiv. Man muss nur noch die Staubschicht finden, die Eisschichten abzählen und schon weiß man, wann es staubig war. Im Eis wird natürlich auch immer Luft eingeschlossen und auch die kann man noch Jahrhunderte und Jahrtausende später analysieren und so herausfinden, was da so alles passiert ist. An den Baumringen wiederum kann man ablesen, wie die Temperaturen in der Vergangenheit waren. Je nach Klima wachsen die Bäume schnell oder langsam, sind die Ringe dick oder dünn. Und so ein Vulkanausbruch mit all dem Staub sorgt auch, wenn er groß genug ist, für eine globale Abkühlung.
Aus all diesen Daten haben die Forscher rekonstruieren können, dass es im Jahr 1108 im Sommer enorm kalt war, viel kälter als lange Zeit davor oder danach. Und sie stellten fest, dass die Menge an Schwefelstaub in der Atmosphäre in der Mitte des Jahres 1108 anstieg und bis zum Ende des Jahres noch weiter wuchs. Und in der Mitte des Jahres 1110 gab es dann noch eine weiteren Anstieg von Schwefel. Was nichts anderes bedeutet als: Zwischen 1108 und 1110 müssen mehrere Vulkanausbrüche stattgefunden haben. Welcher Vulkan dafür verantwortlich ist, ist unbekannt. Aber auch hier gibt es Hinweise in alten Texten. Auf der japanischen Insel Honshū, circa 150 Kilometer von Tokio entfernt befindet sich der 2568 Meter hohe Asama. Es handelt sich dabei um einen der aktivsten Vulkane der Region und in der Vergangenheit sind jede Menge Ausbrüche aufgezeichnet worden. Unter anderem im Tagebuch eines Adeligen aus dem 12. Jahrhundert der von einer Eruption im August 1108 berichtet. Aus seinen Beschreibungen kann man schließen, dass die Sache durchaus gewaltig war und die Menge an Staub würde reichen um das zu erklären, was man in den Baumringen und Eisbohrkernen gesehen hat. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein so aktiver Vulkan mit einer Eruption nicht zufrieden ist. Aus der jüngeren Vergangenheit des Asama kennen wir etwa Ausbrüche in den Jahren 2009, 2008, 2004, 2003, 1983, 1982, und so weiter. Immer wieder ist der Vulkan mehrmals im Abstand weniger Monate oder Jahre ausgebrochen. Es ist daher absolut plausibel dass er auch zwischen 1108 und 1110 ausgebrochen ist und den Staub in die Atmosphäre der Erde gepustet hat der die dunkle Finsternis am 5. Mai 1110 verursacht hat.
Diese Geschichte ist nicht unbedingt revolutionär. Sie ändert nicht unser Weltbild; sie verrät uns nichts neues über die fundamentalen Geheimnisse des Kosmos. Aber sie zeigt hervorragend wie wunderbar Wissenschaft funktionieren kann. Ein alter historischer Text; modernes astronomisches Wissen; Eisbohrkerne aus Grönland und jahrhunderte alte Bäume: All das wird kombiniert um die Konsequenzen einer bisher unbekannten Abfolge von Vulkanausbrüchen in Japan zu rekonstruieren. Und gleichzeitig das Rätsel der Nacht zu lösen, in der der Mond verschwunden ist.
Sternengeschichten Folge 414: Terraforming am Mars
Heute geht es um etwas, das in Science-Fiction-Büchern immer wieder gemacht wird. Etwas, das in der Realität noch nie gemacht wurde und etwas, das trotzdem seit Jahrzehnten von der Wissenschaft erforscht wird: Terraforming. So bezeichnet man die absichtliche Umwandlung eines für Menschen unbewohnbaren Himmelskörpers so dass Menschen dort leben können. In unserem Sonnensystem gibt es nur einen Himmelskörper auf dem wir Menschen "einfach so" leben können, also ohne das wir spezielle Vorkehrungen treffen müssen. Nämlich die Erde. Überall sonst, auf dem Mond, auf dem Mars und den ganzen restlichen Planeten, Monden und Asteroiden können wir entweder absolut gar nicht leben oder nur wenn wir massive Schutzmaßnahmen treffen; wenn wir künstliche Habitate bauen, Raumanzüge tragen, alles was wir zum Leben brauchen von der Erde mitbringen, und so weiter.
Das ist unpraktisch, das ist aufwendig und das ist auch teuer. Sieht man mal davon ab, dass wir - ausgenommen die kurzen Ausflüge auf den Mond in den 1960er und 1970er Jahren - sowieso noch nie anderswo als auf der Erde rumgelaufen sind, sind das natürlich deprimierende Aussichten für die Zukunft. Zumindest dann, wenn wir uns die Zukunft so vorstellen wie in der Science Fiction; also eine Zukunft in der wir Menschen eben nicht nur auf der Erde leben. Es ist nicht unrealistisch, dass wir in der Zukunft ein paar Dutzend oder Hundert Menschen in künstlichen und vermutlich unterirdischen Habitaten auf dem Mond oder gar dem Mars unterbringen. Aber etwa den Mars besiedeln, also große Mengen an Menschen in einer halbwegs lebensfreundlichen Umwelt ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen: Das scheint quasi unmöglich.
Dazu muss man sich den Mars nur mal ansehen. Die durchschnittliche Temperatur dort beträgt minus 60 Grad Celsius. Der Luftdruck auf dem Mars ist mehr als hundert Mal geringer als der Luftdruck auf der Erde und das bisschen "Luft" auf dem Mars besteht fast komplett aus Kohlendioxid. Auf dem Mars gibt es also so gut wie nichts, das man einatmen kann und das WAS man einatmen könnte, würde uns umbringen, wenn wir es tatsächlich einatmen. Die Temperatur auf dem Mars ist viel zu gering als dass dort flüssiges Wasser existieren könnte, weswegen dort auch keine Pflanzen wachsen oder irgendeine andere Art von Leben existieren kann. Ein paar Mikroorganismen vielleicht, die irgendwo tief im Marsboden stecken - aber definitiv keine Menschen.
Der Mars ist eine trockene, eiskalte Wüste die noch dazu völlig ungeschützt der gefährlichen kosmischen Strahlung aus dem All ausgesetzt ist, da der Planet im Gegensatz zur Erde kein Magnetfeld und keine dicke Atmosphäre hat, die davor Schutz bieten könnte. Der Mars ist also in seinem derzeitigen Zustand absolut lebensfeindlich. Das zu ändern ist genau das, was das Ziel von "Terraforming" ist.
Sieht man von diverser früher Science-Fiction-Literatur ab, dann findet man die erste echte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema in einem Fachartikel aus dem Jahr 1961 in dem der berühmte Astronom Carl Sagan sich darüber Gedanken gemacht hat, wie man die Atmosphäre der Venus lebensfreundlicher gestalten kann. 1973 schrieb Sagan dann auch einen Artikel über mögliche Methoden den Mars zu terraformen. In den 1970er Jahren hat auch die NASA einige Studien zu dieser Frage durchgeführt und danach diverse andere Forscherinnen und Forscher.
Es würde zu weit führen, all das im Detail zu besprechen. Aber im Prinzip kann man beim Terraforming des Mars zwei grundlegende Phasen unterscheiden. Zuerst einmal muss man den Planeten irgendwie aufwärmen. Die Temperatur muss auf jeden Fall über den Gefrierpunkt des Wassers gehoben werden; ohne flüssiges Wasser auf der Oberfläche wird es nichts mit dem Terraforming. Und dann muss man die Zusammensetzung der Atmosphäre so verändern, dass sie für uns Menschen atembar ist.
Wie wärmt man einen Planeten auf? Vorschläge gibt es genug: Man könnte zum Beispiel riesige Spiegel im Weltall montieren um damit Licht und Wärme zum Mars zu leiten. Carl Sagan schlug 1973 vor, dunkles Material - also zum Beispiel Ruß oder Staub - von der Erde zum Mars zu transportieren und dort auf die Polkappen zu werfen. Die bestehen aus Eis - nicht nur aus gefrorenem Wasser sondern vor allem aus gefrorenem Kohlendioxid. Beides ist aber weiß und kann Licht daher recht gut reflektieren. Würde man es schaffen, die Polkappen dunkel zu färben, dann würden sie das Sonnenlicht absorbieren können und würden sich aufwärmen. Das Kohlendioxid würde auftauen, gasförmig werden und die Atmosphäre würde dichter. Eine dichte Atmosphäre aus Kohlendioxid würde - wie wir hier auf der Erde ja gerade erleben - einen Treibhauseffekt starten der zu einer Erwärmung des ganzen Planeten führt. Den gleichen Effekt könnte man auch erreichen, wenn man irgendwelche dunklen Algen auf dem Eis der Marspole wachsen lassen könnte. Oder einfach ein paar Asteroiden auf den Mars werfen könnte. So ein Asteroid enthält auch jede Menge gefrorenen Stoffe die sich beim Einschlag in der Marsatmosphäre verteilen würden. Vor allem Wasserdampf - ebenfalls ein starkes Treibhausgas - würde so in die Marsatmosphäre gelangen und zu einer Erwärmung führen.
Wir könnten es auch mit noch stärkeren Treibhausgasen probieren. Dazu gehören etwa die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe oder FCKWs. Die kennen wir als die Gase, die in den 1980er Jahren die Ozonschicht der Erde ruiniert haben. Sie sind aber nicht nur schlecht für die Ozonschicht, sondern auch extrem starke Treibhausgase; viel stärker als Kohlendioxid, Methan, Wasserdampf oder alles was es da sonst noch so gibt. FCKWs entstehen aber nicht natürlich; wir müssten sie künstlich erzeugen und zum Mars bringen. Und das in enormen Mengen: Man schätzt, dass mindestens 40 Millionen Tonnen davon nötig sind um die Temperatur so weit zu erhöhen, dass die CO2-Gletscher der Marspole gasförmig werden. 40 Millionen Tonnen! Das ist dreimal so viel wie wir hier auf der Erde zwischen 1972 und 1992 produziert haben. Und abgesehen, dass wir kein Raumfahrzeug haben das auch nur annähernd in der Lage ist, solche Mengen an Material von der Erde zum Mars zu bringen würden diese 40 Millionen Tonnen - die wir sowieso nicht produziert bekommen - nicht mal reichen. Denn im Laufe der Zeit bauen sich die FCKWs wieder ab und man müsste jedes Jahr fast 200.000 Tonnen von dem Zeug nachliefern.
Aber tun wir mal so, als könnten wir den Mars irgendwie weit genug aufwärmen. Dann haben wir eine Atmosphäre die ein wenig dichter ist als jetzt. Und Menschen könnten vielleicht sogar ohne Druckanzug auf der Oberfläche des Mars rumlaufen. Aber diese Atmosphäre würde immer noch fast komplett aus CO2 bestehen. Wie kriegen wir das sortiert? Wir Menschen brauchen Sauerstoff zum Atmen; wir brauchen außerdem irgendein Gas wie Stickstoff, das uns nicht schadet und das den Großteil der Atmosphäre ausmachen kann, denn eine reine Sauerstoffatmosphäre wäre ebenfalls nicht sonderlich praktisch für Lebewesen. Sauerstoff ist ein Element das chemisch sehr gerne und schnell und oft mit anderen Elementen reagiert. Darum brennen Dinge ja auch so gut, wenn viel Sauerstoff in der Nähe ist. In einer reinen Sauerstoffatmosphäre würde es ständig brennen und auch aus diversen anderen biologisch-chemischen Gründen ist es nicht gut wenn wir zuviel davon haben.
Auf dem Mars gibt es zwar jede Menge Gase, die derzeit noch irgendwo gefroren als Eis oder im Gestein eingeschlossen rumliegen. Die gasförmig würden, wenn der Mars wärmer wird. Aber ob es auch genug dieser Gase gibt, so dass am Ende eine brauchbare Atmosphäre für uns daraus wird, wissen wir nicht. Je nach Schätzung reicht es oder reicht es nicht. Und es wäre sehr überraschend, wenn auf dem Mars plötzlich exakt die chemische Zusammensetzung auftaut die wir zum Leben brauchen. Das wird mit Sicherheit nicht so sein. Wir müssen selbst dafür sorgen, zum Beispiel in dem wir den Mars mit Pflanzen besiedeln, die in der Lage sind das CO2 in Sauerstoff umzuwandeln und so für einen dauerhaften Nachschub sorgen.
Schauen wir uns so einen Terraforming-Prozess mal an. Stellen wir uns vor, wie kriegen FCKWs auf dem Mars oder schaffen es vielleicht sogar, die direkt am Mars zu produzieren. Um den Mars so weit aufzuwärmen dass das gefrorene CO2 dort gasförmig wird, braucht es Energie. Ungefähr so viel Energie wie 10 Jahre an kontinuierlicher Sonnenstrahlung dort liefern kann. Könnte man diese 10 Jahre Sonnenenergie komplett nutzen, hätte man danach jede Menge CO2 in der Atmosphäre, die obersten 10 Meter des Marsbodens aufgetaut, ebenso wie eine circa 10 Zentimeter dicke Schicht aus Wassereis, die mit dieser Energie flüssig werden könnte. Aber natürlich kann man die Sonnenenergie nicht komplett nutzen. Wenn man von 10 Prozent nutzbarer Sonnenenergie ausgeht - was durchaus ambitioniert ist - dann würde es 100 Jahre dauern. Was aber nur der Anfang ist, man muss schon noch ein bisschen mehr Wärme in den Mars pumpen. Allein für das Aufwärmen des Mars muss man also ein paar Jahrhunderte einplanen. Und das gilt nur, wenn es dort überhaupt ausreichend CO2 gibt! Wenn wir den Mars um 20 Grad aufwärmen, reicht das, um das CO2 aufzutauen das in den Polen und im Boden steckt. Wenn das ausreichend viel CO2 ist, dann kann der einsetzende Treibhauseffekt dafür sorgen, dass der Mars immer wärmer wird. Reicht es nicht, dann muss man noch irgendwie mit Chemie, mit Bakterien oder anderen Methoden dafür sorgen, dass im Marsgestein gebundenes CO2 gasförmig wird. So oder so dauert diese Phase ein paar hundert bis ein paar tausend Jahre. Jetzt könnte man dort Pflanzen ansiedeln, die aus dem CO2 Sauerstoff machen. Pflanzen sind aber nicht so wahnsinnig effizient dabei Energie zu verwerten. Das heißt die Sauerstoffproduktion würde sehr lange dauern. Bis eine für Menschen atembare Atmosphäre entstanden wäre, müssten ein paar zehntausend bis hunderttausend Jahre vergehen.
Den Mars zu terraformen ist also prinzipiell nicht unmöglich. Es gibt kein Naturgesetz das dagegen spricht. Aber es würde extrem lange dauern. Es wäre kein nachhaltiger Prozess, da der Mars ein kleiner Planet ist und eine dichte Atmosphäre nicht dauerhaft halten kann. Egal welche Methoden wir einsetzen, wir müssten sie immer wieder einsetzen. Sieht man mal davon ab, dass so ein Terraforming absurd aufwendig, komplex und teuer wäre, dann scheint es kaum vorstellbar, dass wir Menschen so ein Projekt das mindestens ein paar Jahrtausende dauert, irgendwie hinbekommen. Wir kriegen es ja nicht mal hin, die Zusammensetzung der Atmosphäre auf der Erde zu korrigieren. Die haben wir mit dem menschengemachten CO2 in nur 150 Jahren ruiniert und um den so verursachten Klimawandel abzuwenden bzw zu korrigieren würden wir "nur" ein paar Jahrzehnte brauchen. Aber nicht einmal das schaffen wir ordentlich - es ist also zweifelhaft ob das Terraforming des Mars irgendwann etwas anderes sein wird als Science Fiction.
Und dann stellt sich auch die Frage: Sollten wir das überhaupt machen? Noch haben wir kein Leben auf dem Mars entdeckt. Aber es ist nicht unmöglich, dass da doch noch irgendwo Mikroorganismen leben. Und deren Welt würden wir durch ein Terraforming komplett zerstören. Haben wir das Recht, einen kompletten Planeten umzugestalten? Denn selbst wenn auf dem Mars überhaupt nichts lebt, ist er doch eine eigene Welt und eine einzigarte Welt die es so kein zweites Mal im Universum gibt. Vielleicht sollten wir lieber darüber nachdenken, wie wir diese Welt erforschen und verstehen können, anstatt sie kaputt zu machen.
Sternengeschichten Folge 413: Wie die Sonne nicht leuchtet
In dieser Folge der Sternengeschichten erfahrt ihr, wie die Sonne nicht leuchtet. Wie die Sonne ihre Energie produziert habe ich ja schon in den Folgen 168 und 169 erklärt; sehr ausführlich. Sie tut das durch Kernfusion, aber darum soll es ja heute nicht gehen. Sondern darum, wie sie ihre Energie nicht produziert. Und nein, das ist bei weitem keine so blöde Idee für ein Thema wie es klingt. Denn es hat erstaunlich lange gedauert bis wir herausgefunden haben, wie unser Stern funktioniert und auch wenn der Weg dorthin voll mit falschen Ideen ist, ist es ein sehr interessanter Weg auf dem man jede Menge lernen kann.
Die Sonne gehört ja zu den Himmelskörpern die man nicht erst extra entdecken muss. Übersehen kann man sie ja kaum wenn sie tagsüber unsere Welt erleuchtet. Aber mehr als dass da ein helles Licht am Himmel ist, das sich über diesen Himmel bewegt und immer wieder für eine gewisse Zeit verschwindet, wusste man lange Zeit nicht. Schon gar nicht, was die Ursache für ihr Licht ist. Zuerst - also in vorhistorischer Zeit; also in der Zeit vor ein paar Tausend Jahren die wir Bronzezeit oder Steinzeit nennen, musste man sich darauf beschränken, den Lauf der Sonne am Himmel der Erde zu verstehen. Dass es in Wahrheit gar nicht die Sonne ist die sich bewegt sondern die Erde, die sich um ihre Achse dreht, wusste damals niemand und es konnte auch niemand wissen. Man konnte nur das wissen, was man direkt sehen konnte. Und das war die Bewegung der Sonne am Himmel, die sich wunderbar dafür eignete, einen Überblick über die Zeit zu behalten. Auch darum soll es heute aber nicht gehen; wie das funktioniert hat, habe ich schon mal in Folge 89 erzählt.
Ein bisschen später, also um die Zeitenwende vor knapp 2000 Jahren herum stellte man im antiken Griechenland erste Vermutungen über die Größe zur Sonne und ihre Distanz zu Erde auf. Meistens waren die Resultate dieser Überlegungen weit von der Realität entfernt - aber immerhin fing man mal damit an, sich solche Gedanken zu machen und die Sonne als Objekt zu betrachten und nicht als Manifestation der Götter.
Und hier treffen wir auf Anaxagoras. Der Mann mit dem Namen der klingt wie aus einem Harry-Potter-Roman war ein griechischer Philosoph der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte. Er war einer der ersten, der das Universum ohne Rückgriff auf Götter zu erklären versuchte. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen stellte er sich die Sonne schockierenderweise nicht als Gottheit vor. Sondern als einen Stein. Einen sehr großen Stein; größer als die Peloponnes, also die griechische Halbinsel die Athen gegenüber liegt. Sie hat eine Fläche von circa 22.000 Quadratkilometer; ungefähr ein Viertel der Fläche von Österreich, ein Drittel der von Bayern oder die Hälfte der Fläche der Schweiz. Was aus damaliger Sicht wie ein wirklich großer Stein gewirkt haben muss. Und dieser Stein müsste glühendheiß sein, deswegen würde die Sonne leuchten. Das klingt ein wenig absurd, aber Anaxagoras war - zumindest was diese eine Sache angeht - quasi der erste Sonnenphysiker. Er wollte erklären wie die Sonne leuchtet und hat dafür nicht auf irgendeine religiöse-magische Erklärung zurückgegriffen, sondern auf ein natürliches Phänomen das er auch in seinem Alltag beobachten konnte- Dass er damit völlig daneben lag, schmälert seine Leistung ein wenig. Aber nicht viel. Man muss sich erst einmal trauen, so einen Gedanken zu haben - in einer Zeit, in der es allen anderen als vollkommen normal erscheint dass das leuchtende Ding am Himmel eine Gottheit ist, braucht man viel kreativen Erklärungswillen um sich eine andere Ursache auszudenken. Und gefährlich war es außerdem: Anaxagoras wurde angeklagt, weil er die Göttlichkeit der Sonne in Frage stellte und zum Tode verurteilt. Einflußreiche Freunde konnten ihn davor bewahren; aber er wurde verbannt und ins Exil geschickt - bis zu seinem Tod konnte Anaxagoras nicht mehr nach Athen zurück kehren.
In der Zeit nach der Antike ist jede Menge passiert. Forscher haben Sonnenflecken beobachtet; haben darüber spekuliert ob sich die Sonne um die Erde bewegt oder die Erde um die Sonne; sie haben darüber nachgedacht wie weit die Sonne weg ist, ob dort Götter oder Geister wohnen, und so weiter. Aber so interessant diese Geschichte sind - wir wollen uns mit der Energie der Sonne beschäftigen. Und springen daher gleich in die Neuzeit. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts stellte Johannes Kepler seine Gesetze zur Bewegung der Planeten auf. Und kurz danach veröffentlichte Isaac Newton seine revolutionäre neue und mathematische Beschreibung der Welt, inklusive dem Gravitationsgesetz. Damit konnte Newton auch die Masse der Sonne berechnen. Zumindest im Prinzip. Er konnte auf jeden Fall das Verhältnis zwischen Erdmasse und Sonnenmasse bestimmen; um den absoluten Wert zu berechnen, also um sagen zu können dass die Masse der Sonne so und so viel Kilogramm beträgt hätte Newton den genauen Wert der Gravitationskonstante kennen müssen. Das ist eine Zahl die die Stärke der Gravitationskraft beschreibt; die man aber damals noch nicht gut bestimmen konnte. Newton musste also schätzen und er hat sich leider ein wenig verschätzt. Aber immerhin fing man langsam an, der Realität näher zu kommen. Die Sonne musste sehr viel größer und sehr viel schwerer als die Erde sein. Sie musste außerdem vermutlich ein Stern sein. Oder andersherum: Die vielen leuchtenden Punkte am Nachthimmel mussten ähnliche Objekte wie unsere Sonne sein - nur eben weiter weg weswegen wir sie schwächer leuchten sehen. Aber warum die Sonne leuchtet wusste man immer noch nicht so wirklich.
Wilhelm Herschel, der große Astronom der im 18. Jahrhundert den Planeten Uranus entdeckt hat, war der Meinung, die Sonne wäre erstens eine Kugel mit fester Oberfläche, zweitens relativ kühl und würde nur deswegen leuchten, weil sie von einer Schicht aus leuchtenden Wolken umgeben ist. Darüber hinaus war er der Meinung, die Sonne wäre bewohnt, wie ich in Folge 333 erzählt habe. Warum die Wolken leuchten, konnte er aber auch nicht erklären. Damals schwirrten jede Menge aus heutiger Sicht seltsame Ideen durch die Welt. Vielleicht enthalten alle Dinge irgendeinen mysteriösen "Wärmestoff" der von den Strahlen der Sonne aktiviert wird. Und dort wo viel Wärmestoff vorhanden ist, wird es heiß; wo es weniger davon gibt, bleibt es kühl. Die Anhänger dieser Theorie bezweifelten stark, dass es auf der Sonne heiß ist oder dass da gar irgendeine Art von Feuer brennen würde. Andere hatten die Idee, dass die Sonne eine elektrische Kugel ist, also quasi eine Glühlampe, die den Strom für ihr Leuchten durch ihre schnelle Bewegung durchs All erzeugt. Auch hier wäre die Sonne eher kalt und kein "Feuer". In einem physikalischen Nachschlagewerk aus dem Jahr 1798 konnte man damals lesen "Das Beste ist also wohl, aufrichtig zu gestehen, daß man von der Beschaffenheit, dem Stoffe und der Bewohnbarkeit des Sonnenkörpers gar nichts zu sagen wisse.".
Tja. Dann kam das 19. Jahrhundert und es kamen der Physiker Gustav Robert Kirchhoff und der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen. Zwischen 1857 und 1863 entwickelten die beiden in Heidelberg das, was wir heute "Spektralanalyse" nennen. Also eine Methode, wie man Licht so untersuchen kann um herauszufinden, aus welchem Material das besteht, was das Licht aussendet und - unter anderem - welche Temperatur dieses Material haben muss. In der Realität ist es natürlich ein wenig komplizierter. Aber Kirchhoff und Bunsen stellten auf jeden Fall fest, dass das Sonnenlicht aus einer heißen, glühenden Umgebung kommen muss. Und stellten sich die Sonne als festes oder flüssiges, extrem heißes Objekt vor dessen glühende Oberfläche wir leuchten sehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte man die Sonne dann auch im Teleskop immer genauer beobachten; unter anderem die Sonnenflecken. Und aus der Untersuchung ihrer Bewegung konnte man feststellen: Die Sonne muss gasförmig sein.
Also eine sehr große, sehr schwere, sehr heiße Kugel aus Gas. Das ist schon ein wenig besser als ein glühender Stein der so groß wie eine griechische Halbinsel ist. Aber die Frage nach der Energie bleibt immer noch offen. Der deutsche Arzt Julius Robert Mayer hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine ziemlich gute Idee. Mayer war zwar Arzt - aber trotzdem einer der ersten, der den so enorm wichtigen "Ersten Hauptsatz der Thermodynamik" formuliert hat. Der in seiner einfachsten Version besagt: Energie muss immer erhalten bleiben. Energie kann sich zwar von einer Form in eine andere Form umwandeln. Aber nicht einfach verschwinden. Diese Idee wandte er auch auf die Sonne an und behauptete: Ständig fallen Asteroiden, Kometen und anderer Kleinkram in die Sonne. Diese Objekte sausen mit hohem Tempo durchs Sonnensystem. Sie haben also jede Menge Bewegungsenergie. Wenn sie auf die Sonne treffen, dann kann diese Bewegungsenergie nicht einfach verschwinden. Sie muss umgewandelt werden und zwar in Wärmenergie. Genau deswegen ist die Sonne so heiß und genau deswegen leuchtet sie auch!
Das ist keine blöde Idee. Die Sonne könnte so leuchten; wir wissen, das Asteroideneinschläge jede Menge Wärme produzieren. Aber damals wusste man auch noch nicht, wie alt die Sonne eigentlich ist. Und damit wusste man auch nicht, wie viel Energie die Sonne eigentlich benötigt. Wenn die Sonne nur ein paar tausend Jahre alt ist, dann kann man sich theoretisch auch eine gigantische Kugel aus Kohle vorstellen die halt zufällig durch irgendwas angezündet worden ist und seitdem vor sich hin brennt. Wenn die Sonne viel älter ist, braucht man allerdings eine Energiequelle die länger durchhält als ein bisschen Kohle. Mayers Theorie mit den Meteoriten könnte eine sehr alte Sonne jedenfalls nicht ausreichend mit Energie versorgen. Genau so wenig wie eine andere, ebenfalls nicht so blöde Idee, die von verschiedenen Leuten geäußert wurde; insbesondere aber von Hermann von Helmholtz und William Thompson, dem Lord Kelvin - beides sehr berühmte Physiker des 19. Jahrhunderts. Das Prinzip wird deswegen auch Kelvin-Helmholtz-Kontraktion genannt. Auch dabei geht es um die Umwandlung von Bewegungsenergie in Wärme: Wenn eine große Masse unter ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammenfällt, dann wird dabei Wärmeenergie frei. Das war für Kelvin die einzige plausible Energiequelle für die Sonne. Er hatte Daten über die Wärmemenge in der Erde benutzt um das Alter unseres Planeten abzuschätzen. Und ging davon aus, dass Erde und Sonne ungefähr gleich alt sein müssen. So kam er zu dem Ergebnis, dass die Sonne höchstwahrscheinlich ein paar Dutzend Millionen Jahre alt ist. So lange leuchtet keine chemische Energiequelle; also keine Verbrennung. Egal was man anzünden würde, nichts würde so lange brennen. Wenn die Sonne aber eine große Gaskugel ist und unter ihrem eigenen Gewicht langsam immer kleiner wird, würde das ausreichend Energie für ein paar Millionen Jahre liefern.
Was richtig ist. Der Effekt existiert; wir beobachten das zum Beispiel bei den Gasplaneten Jupiter und Saturn die genau mit diesem Mechanismus Wärme produzieren. Aber für die Sonne reicht es nicht. Denn die ist viel älter; genau so wie die Erde. Kelvin wusste damals noch nichts über die Radioaktivität des Gesteins im Inneren der Erde, die ebenfalls Wärme produziert. Deswegen war seine Schätzung falsch und radioaktive Methoden machten es dann im frühen 20. Jahrhundert möglich, das Alter der Sonne deutlich nach oben zu korrigieren.
Und im 20. Jahrhundert kam dann auch die Person, die uns endlich erklären konnte, wie die Sonne leuchtet. Albert Einstein und mit ihm die berühmteste Formel der Welt: E=mc². Energie und Masse können ineinander umgewandelt werden. Durch die Fusion von Atomkernen kann man Energie freisetzen, wie ich in Folge 363 der Sternengeschichten genauer erklärt habe. Und genau das macht die Sonne: Sie hat jede Menge Kerne von Wasserstoffatome und genau die fusioniert sie zu Helium. Kernfusion erzeugt JEDE MENGE Energie und die Sonne hat genug Wasserstoff um Milliarden Jahre lang damit zu leuchten. Ganz gelöst war das Problem aber immer noch nicht. Denn damit die Kernfusion funktioniert muss die Temperatur im Inneren der Sonne hoch genug sein. Das war sie aber nach allem was man damals wusste nicht.
Es brauchte auch noch die zweite große wissenschaftliche Revolution; ebenfalls mit ausgelöst durch Albert Einstein: Um die Energiequelle der Sonne zu verstehen war auch noch die Quantenmechanik nötig. Und ein komplett absurdes Phänomen das "Tunneleffekt" genannt wird. Den erkläre ich jetzt nicht im Detail. Aber die Kurzversion geht so: Wenn zwei Wasserstoffatome aufeinander treffen und nicht schnell genug sind, prallen sie einfach voneinander ab. Aber nicht immer! Weil laut Quantenmechanik ein Teilchen eben eigentlich kein Teilchen ist, sondern immer auch ein bisschen eine Welle (oder genauer gesagt: Halt weder Welle noch Teilchen sondern etwas, was keinen konkreten Ort hat), kann es sein, dass es doch mit der Fusion klappt. Man kann sich das so vorstellen wie eine Wand, die überwunden werden muss, damit zwei Atome fusionieren können. Sind die Atome schnell genug, können sie über die Wand hüpfen und sich treffen. Sind sie zu langsam, dann prallen sie von der Wand ab. Aber weil so ein Atom eben keinen konkreten Ort hat sondern immer ein bisschen durch die ganze Gegend "verschmiert" ist, ist es immer auch ein bisschen schon hinter der Wand. Das klingt schwer vorstellbar, ist aber so. Genau das besagen die Gesetz der Quantenmechanik und die sind im Experiment mehr als gut bestätigt. In unserem Bild würde das bedeuten: Wenn ein Atom oft genug auf die Wand zufliegt, wird es irgendwann einmal nicht zurückprallen sondern einfach durchfliegen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist enorm gering. Im echten Leben könnte man zum Beispiel einen Ball länger gegen eine Wand werfen als das Universum alt ist und hätte trotzdem so gut wie keine Chance, dass er irgendwann glatt durchgeht. Bei Atomen stehen die Chancen ein bisschen besser und vor allem gibt es in der Sonne ENORM VIELE Atome. Es passiert zwar nicht oft, aber bei so vielen Atomen ist immer eines dabei, bei dem es gerade klappt, obwohl es eigentlich zu langsam für eine Fusion wäre. In Summe reicht das, um ausreichend viele Atome fusionieren zu lassen, um die Sonne zum Leuchten zu bringen. Das konnte man 1929 nachweisen - komplett gelöst war die Sache aber immer noch nicht.
Denn es gibt verschiedene Wege wie man durch Kernfusion Energie produzieren kann. Auch hier spare ich mir die Details. Aber man wusste zwar, dass die Sonne Energie aus Kernfusion bezieht. Aber nicht, wie genau sie das tut, also auf welchem Weg und mit welchen Zwischenschritten sie aus Wasserstoff Helium macht. Man kannte die Möglichkeiten die in Frage kommen - wusste aber nicht, welche davon in der Sonne stattfand. Dazu hätte man ins Innere der Sonne schauen müssen, was nicht möglich war. Bis zu den 1960er Jahren: Da gelang es das erste Mal, Neutrinos zu messen, die aus dem Inneren der Sonne zur Erde gelangt waren. Neutrinos sind Elementarteilchen die ua bei Fusionsreaktionen erzeugt werden. Aber enorm schwer zu messen sind, wie ich in Folge 103 erklärt habe. Als man sie dann in den 1960er und 1970er Jahren doch messen konnte, konnte man auch zwischen den verschiedenen Fusionswegen unterscheiden. Die verschiedenen Arten der Kernfusion produzieren unterschiedliche Neutrinomengen und jetzt wusste man endlich, was in der Sonne abläuft (die Proton-Proton-Reaktion, aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Vollständig geklärt ist die Sache immer noch nicht; es gibt noch das eine oder andere offene Detail. Aber im großen und ganzen haben wir ein recht gutes Verständnis davon wie die Sonne ihre Energie produziert. Zu sehen, wie lang dieser Weg war, ist aber dennoch instruktiv. Heute ist es Standardwissen, dass die Kernfusion die Energiequelle der Sonne ist. Aber die längste Zeit über haben wir genau das NICHT gewusst. Noch in den 1960er Jahren konnten wir nicht genau sagen, warum die Sonne leuchtet! Das kann man ruhig im Gedächtnis behalten. Das Wissen das uns heute selbstverständlich erscheint, mussten wir dem Universum meist mühsam entreißen…
Von nichts kommt nichts. Alles was es gibt muss irgendwo entstehen. Das gilt immer und auch für das Universum. Die spektakuläre astronomische Entstehungsgeschichte von Dingen wie Gold und Silber sind daher heute das Thema in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Arrokoth klingt nach Science Fiction. Ist aber ein Asteroid. Den wir sogar besucht haben. Quasi aus Zufall und der Weg dorthin hat durchaus was sciencefictionartiges. Alles über den coolen Asteroiden erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Der Physik-Nobelpreis 2020 wurde für die Entdeckung des supermassereichen schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße verliehen. Dabei hat die Untersuchung der Bewegung von Sternen in unmittelbarer Nähe des Lochs eine wichtige Rolle gespielt. Einen dieser Sterne habe ich in meinem Buch "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" beschrieben und zur Feier des Nobelpreises veröffentliche ich dieses Kapitel aus dem Hörbuch zum Buch als Bonus-Episode des Podcasts. Viel Spaß damit! (Und hört euch auch gerne nochmal Folge 306 der Sternengeschichten an, da habe ich die Story noch ein wenig ausführlicher erzählt)
Das Buch gibts hier (und überall sonst auch wo es Bücher gibt): https://amzn.to/2Ncyalh Das Hörbuch ist hier erhältlich (und überall sonst wo es Hörbücher gibt): https://amzn.to/2Vsyqho
Wo sind die Aliens? Das ist nicht nur ne Frage sondern sogar ein Paradoxon. Weil wir eigentlich merken sollten dass sie da sind, wenn sie da sind. Wo sind sie also, wenn es sie gibt? Oder hat sie der "Große Filter" weggefiltert? In der neuen Folgen der Sternengeschichten geht es um das "Fermi-Paradoxon"
Uranus steckt mitten in der literatischen Welt von William Shakespeare. Seine vielen Monde haben von dort ihre Namen bekommen. Und wir können von den Monden jede Menge darüber lernen, was man entdecken kann, wenn man nur genau schaut. Hört ihr der neuen Folge der Sternengeschichten.
Die Schwache Kernkraft ist irgendwas mit Radioaktivtät. Mehr kriegt man abseits der Fachliteratur selten erklärt. Es gibt aber enorm viel zu erzählen. Weil die schwache Kraft enorm wichtig für uns ist. Könnt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten erfahren.
Die beiden Raumsonden Pioneer 10 und 11 haben nicht nur das erste Mal Jupiter und Saturn besucht. Sondern uns auch vor ein höchst rätselhaftes Rätsel gestellt: Warum bleiben sie nicht auf ihre Bahn? Die Antwort erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Alte Folgen der Sternengeschichten und ein neuer Podcast über das Universum
Hallo liebe Freundinnen und Freunde der Sterne und der Sternengeschichten. Bevor es morgen wie jeden Freitag eine neue Folge gibt, wollte ich mich kurz mit einem Service-Hinweis melden. In letzter Zeit werde ich immer wieder gefragt, was denn mit den alten Folgen der Sternengeschichten los ist. Die seien teilweise nicht mehr abrufbar. Das stimmt und das stimmt nicht. Es kommt ganz darauf an, wie ihr den Podcast hört. Im Juli 2020 wurde Folge Nummer 400 der Sternengeschichten veröffentlicht. Danach gab es bei manchen Apps Probleme, neue Folgen abzurufen. Weil manche nicht damit klar kommen, wenn ein Podcast mehr als 400 Folgen enthält. Ich musste daher das System so umstellen, dass immer nur die 300 aktuellsten Folgen verfügbar sind. In dem Fall sieht man die alten Folgen tatsächlich nicht mehr. Wenn das bei euch auch so ist, lässt sich das Problem aber einfach lösen. Ihr müsst dann nur den Feed ändern, über den ihr den Podcast abonniert habt. Vom alten Feedburner-Feed auf die neue Adresse https://sternengeschichten.podigee.io/feed/mp3 Dort sind weiterhin alle Folgen verfügbar.
Wenn ihr jetzt verwirrt seid, weil ihr nicht wisst, was das mit dem Feed soll, dann hört ihr den Podcast vermutlich über eine App wie Spotify, Apple Podcasts oder Deezer und müsst euch um gar nichts kümmern weil da alles automatisch geht und auch dort alle Folgen verfügbar sind; ebenso wie auf dem Sternengeschichten-Kanal auf YouTube. Es gibt allerdings auch Podcast-Anbieter über die man die Sternengeschichten hören kann, auf die ich keinen Einfluss habe, Podbean zum Beispiel. Die verwenden immer noch den alten Feed und ich kann dort nicht auf den neuen Feed umstellen. Sorry.
Es sind aber sämtliche Folgen der Sternengeschichten vorhanden; keine Sorge. Das wird auch weiterhin so sein. Und wer gerne noch mehr noch länger etwas über das Universum erzählt bekommen möchte kann einfach mal den neuen Podcast "Das Universum" anhören. Der erscheint seit Juni jeden zweiten Dienstag. Die Astronomin Ruth Grützbauch und ich plaudern darin jeweils circa eine Stunde über das, was im Universum so abgeht. Und beantworten vor allem eure Fragen zur Astronomie. Den Podcast könnt ihr überall dort hören, wo ihr Podcasts hört. Alle weiteren Informationen dazu gibt es unter dasuniversum.at. Viel Spaß damit und viel Spaß mit der nächsten Folge der Sternengeschichten.
Die Existenz schwarzer Löcher war lange Zeit nur eine Hypothese. Dann hat man Cygnus X-1 entdeck: Das erste uns bekannte echte schwarze Loch! Die Entdeckung war nicht leicht, wie ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten erfahren könnt.
Der Himmel hat alles. Auch ne Krone. Und nicht nur eine, sondern sogar zwei! Was es in den Sternbildern von nördlicher und südlicher Krone zu erleben gibt, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der Mars von intelligenten Wesen bewohnt. Dachten zumindest viele Wissenschaftler. Und beobachteten sogar die Bauwerke dieser Zivilisation. Was hinter den "Marskanälen" steckt erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Jeder kennt Nikolaus Kopernikus. Jeder weiß, was er gemacht hat. Wirklich? Vielleicht auch nicht. Oder nicht alles… Zur Sicherheit erzähle ich in den Sternengeschichten noch einmal genau, wie dieser Mann unser Weltbild verändert hat. Und warum.
Mit Atombomben durchs Weltall fliegen! Klingt absurd, ist aber technisch machbar. Und wäre der einzige wirklich machbare Weg den wir momentan hätten um zu anderen Sternen zu fliegen. Mehr dazu erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Ein Magnetar ist keine Comicfigur. Sondern eine ganz besonders seltsame Art von Himmelskörper. Ein toter Stern mit einem extrem starken Magnetfeld der sehr extreme Sachen macht. Was da genau abgeht erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Könige braucht man eigentlich nicht. Königliche Astronomen auch nicht. Es gibt sie aber seit 1675 in England. Warum die Monarchie dort Astronomie braucht und was die Hofastronomen so getrieben haben erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Nicht ärgern wenn es mal regnet! Anderswo im Sonnensystem fallen Schwefelsäure, Bleisulfid oder Diamanten vom Himmel! Unser Wetter ist eigentlich ganz cool, wie es anderswo aussieht erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Welche Form hat das Universum? Eine wichtige Frage - für deren Antwort man ein mehr als 2000 Jahre altes Problem lösen und parallele Linien verstehen muss. Warum das so schwer ist, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Tiefseeastronomie klingt nach Quatsch. Ist es aber nicht. Man kann das Universum tatsächlich vom Grund des Ozeans aus erforschen. Wie das geht und was man da lernen kann erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Chemie ist keine Astronomie aber das chemische Element Technetium ist Astronomie pur. Wir können es künstlich herstellen, in der Natur kommt es aber ausschließlich in fernen Sternen vor. Warum? Erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Statistik in der Astronomie klingt potentiell langweilig. Ist es aber natürlich nicht. Sondern enorm wichtig, zum Beispiel wenn man herausfinden will, wo unser Platz im Universum ist. Darum gibt es in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast jede Menge Stellarstatistik.
Der Hintergrund sieht nie so spannend aus wie der Vordergrund. Es sei denn man schaut ganz genau hin. Und in der Astronomie ist es enorm wichtig, den Hintergrund zu kennen. Was man da (nicht) sehen kann, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Merkur ist der Winzling unter den Planeten. Und notorisch vernachlässigt. Dabei ist er in vielen Dingen Rekordhalter und höchst außergewöhnlich. Was es über den sonnennächsten Planeten zu erzählen gibt und was der Mittwoch damit zu hat erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Polsprung klingt gefährlich. Ist es aber gar nicht. Welche Pole da eigentlich springen und wohin und was Bakterien mit der ganzen Sache zu tun haben, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Phaeton war schon weg, als er so was ähnliches wie entdeckt wurde. Im 19. Jahrhundert dachte man, zwischen Mars und Jupiter die Trümmer eines zerstörten Planeten gefunden zu haben. Was da tatsächlich passiert ist erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Wenn ihr das nächste Mal zum Mond schaut, sagt mal "Danke!". Denn wir verdanken dem Mond sehr viel. Er hat zwar keinen Einfluss auf Gartenarbeit, Hausputz oder die Frisur. Aber auf das Klima der Erde und wie er das macht erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Lang lebe Hubble! Das Weltraumteleskop ist eines der produktivsten Instrumente der Wissenschaft und hat unseren Blick auf das Universum revolutioniert. Deswegen schauen wir in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast nicht durch sondern auf das Teleskop!
Im Jahr 1054 erschien ein "Gaststern" am Himmel. Sein Besuch war aber nur kurz. Und was er hinterlassen hat, haben wir erst Jahrhunderte später entdeckt und verstanden. Was genau dieser "Krebsnebel" ist erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Heute vor 30 Jahren, am 24. April 1990 ist das Hubble-Weltraumteleskop ins All geflogen. Es hat die Astronomie wie kein anderes wissenschaftliches Instrument revolutioniert und uns einen völlig neuen Blick auf den Himmel geschickt. Die fantastischen Bilder des Kosmos die Hubble gemacht hat sind Teil des kollektiven Gedächtnisses der Menschheit geworden. Deswegen veröffentliche ich - quasi als Geburtstagsgeschenk - das Kapitel über Hubble aus meinem (Hör)Buch "Die Geschichte des Universums in 100 Sternen". Und die reguläre Folge 389 des Sternengeschichten-Podcast wird sich dann in aller Ausführlichkeit dem Hubble-Teleskop widmen.
Asteroiden gibt es viele. Und alle haben ihre eigene Geschichte. Eine ganz besonders schöne kann man über Hygiea erzählen, benannt nach der Göttin der Gesundheit. Was die so am Himmel treibt, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Die Berge des ewigen Lichts und Krater mit ewiger Dunkelheit: Das findet man an den Polen des Mondes. Was dort sonst noch so los ist und warum wir dringend den Nord- und Südpol des Mondes erforschen sollten, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Treffen sich zwei Planeten… So fängt kein Astronomie-Witz an. Das Treffen von Jupiter und Saturn am Himmel ist Thema der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast und warum das berichtenswert ist erfahrt ihr, wenn ihr zuhört!
Wie verdammt noch mal funktioniert die Gravitation?! Das würden wir alle wirklich gerne wissen. Das seltsame Graviton-Teilchen steckt mitten drin in dieser Frage, wie ich in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast erzähle.
Schwarze Löcher haben keine Haare! Aber vor der kosmischen Glatze muss man keine Angst haben. Wieso die Haarigkeit von Himmelskörper enorm faszinierend ist erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Tethys ist cool. Immerhin ist er ja auch ein Eismond des Saturn, da muss man cool sein. Der Mond ist aber auch enorm faszinierend, wie ich in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast erzähle.
Asteroideneinschläge sind fies! Aber nicht nur, weil sie große Löcher in den Boden machen. Sondern auch weil sie für eine enorme Abkühlung der Erde sorgen können. Das nennt sich "Impaktwinter" und ist das Thema der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Am 30. Juni 1908 gab es in der sibirischen Taiga eine gewaltige Explosion die man noch hunderte Kilometer weit entfernt spüren konnte. Bis heute ist die Ursache nicht einwandfrei geklärt. Aber was man weiß, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast
Manche Sterne sind ungewöhnlich. Ok, ALLE Sterne sind ungewöhnlich; ein Stern ist alles andere als gewöhnlich. Aber manche sind wirklich ungewöhnlich und genau das macht sie enorm interessant. Warum das so ist erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Der Weltraum ist äußerst schlecht ausgeschildert. Da steht kein Schild, das seinen Anfang markiert. Und es ist überraschend schwer zu definieren wo der Weltraum beginnt. Wie und ob man das überhaupt tun kann, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Wenn die Venus was kann, dann leuchten! Sie leuchtet als Abendstern, sie leuchtet als Morgenstern und sie leuchtet manchmal auch sehr mysteriös. Oder nicht. Was es über das Licht der Venus zu sagen gibt, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Der "Planet der Liebe" ist eine höllische Welt. Enorm heiß mit einem außer Kontrolle geratenen Klima. Warum die Atmosphäre der Venus so mies drauf ist und ob dort vielleicht doch etwas leben kann erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Ionentriebwerke klingen nach Science Fiction. Sind aber real und durchaus enorm praktisch, wenn man im Weltall von A nach B fliegen will. Was mit den Ionen abgeht und welche Rolle Star Wars bei der ganzen Sache spielt erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Früher war alles anders! Da gab es auch noch mehr Planeten im Sonnensystem. Zum Beispiel Amphititre, der dafür gesorgt hat, dass Uranus und Neptun heute so komisch sind. Vielleicht zumindest - was wir wirklich über diesen "neunten Planeten" wissen erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Bis 1992 war das Sonnensystem hinter Neptun zu Ende. Wir wussten nichts von all den faszinierenden Himmelskörpern die sich so fern der Sonne herumtreiben. Dann aber entdeckte man 1992 QB1 und alles hat sich geändert. Was genau? Erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Andere Sterne werden nicht nur von Planeten umkreist. Sondern unter anderem auch von Kometen. Die sind viel kleiner, aber wir können sie trotzdem entdecken. Durch den Staub den sie produzieren und wie das geht erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Die Lokale Gruppe gibt's nicht bei Facebook. Wir sind aber trotzdem alle Mitglied! Denn so heißt die Gruppe von Galaxien zu der auch unsere Milchstraße gehört. Wer da noch mit dabei ist und warum die Gruppe so einen öden Namen hat, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Kataloge sind nicht sexy. Zumindest Sternkataloge nicht. Aber auch wenn lange Tabellen mit Daten und Zahlen langweilig klingen, sind diese Kataloge enorm wichtig für die moderne Astronomie. Was man damit anstellen kann, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Frohe Weihnachten! Wünsch ich ganz besonders als Astronom. Den hinter der Religion steckt ein astronomisches Fundament: Den Grund warum wir Ende Dezember Weihnachten feiern finden wir draußen im Weltall! Wo genau erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Nicht wir Menschen sind schuld am Klimawandel sondern die Sonne und die kosmische Strahlung! Das wünschen sich zumindest viele Menschen - ob wir aber unser schlechtes Gewissen wirklich so leicht los werden können erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Wie heiß kann es eigentlich werden? Es gibt einen absoluten Nullpunkt der Temperatur. Aber gibt es auch eine maximal mögliche Temperatur? Eine knifflige Frage die am Fundament unseres Wissens rührt, wie ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten erfahren könnt.
Im Weltall ist es kalt. Aber nicht so kalt wie es theoretisch sein könnte. Wo der absolute Nullpunkt liegt und wieso nichts kälter werden kann, selbst wenn man es wirklich gern wollen würde, erfahrt ihr heute in den Sternengeschichten.
Wird Kernfusion uns alle retten? Vielleicht. Aber nicht in nächster Zeit und sicher nicht vor dem Klimawandel. Denn bis ein kommerziell einsetzbares Kernfusionskraftwerk fertig ist, wird noch sehr viel Zeit vergehen. Wie der Plan aussieht und wo die Probleme liegen erfahrt ihr heute in den Sternengeschichten.
Wir probieren seit mehr als 50 Jahren einen Kernfusionsreaktor zu bauen der unseren Energiebedarf stillen kann. Bis es so weit wird es aber sicher mindestens nochmal so lange dauern. Wo die Probleme liegen erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Dank Kernfusion leuchten die Sterne. Aber wie, warum und wieso überhaupt? Was läuft bei einer Kernfusion wirklich ab; wieso kommt da Energie raus und können wir das aich hier auf der Erde ohne Sterne machen? Die Antworten gibt es in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Nur wer das Unsichtbare sieht, kann das Universum verstehen. Deswegen hat die Astronomie nicht nur immer größere Teleskope gebaut sondern auch Instrumente die Licht sehen können, das für unsere Augen unsichtbar ist. Das Spitzer-Weltraumteleskop ist eines davon und hat uns den Kosmos auf völlig neue Art gezeigt. Wie und was es gesehen hat, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Wer darf das Hubble-Teleskop benutzen? Wer kann zu den großen Sternwarten in der chilenischen Wüste reisen und damit arbeiten? An Beobachtungszeit an den modernen Instrumente der Astronomie zu kommen ist kompliziert. Wie es geht erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Ist Astronomie die älteste Wissenschaft? Was ist "Wissenschaft" überhaupt und welche Arten von Wissenschaften gibt es? In der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts geht es im Eiltempo einmal quer durch die Geschichte der Wissenschaft - und wir klären, ob die Astronomie wirklich am Anfang steht
Im frühen Universum gab es Galaxien die wie grüne Erbsen aussehen. Und sie haben das "dunkle Zeitalter" des Kosmos beendet. Wie sie das getan haben und war die Dinger aussehen wie Erbsen, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Anlässlich der Verleihung des Physik-Nobelpreis 2019 gibt es eine Sonderfolge. Und zwar eine Hörprobe aus dem Buch "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" von mir, gelesen von mir. Das Kapitel handelt vom Stern 51 Pegasi, bei dem im Jahr 1995 der erste Exoplanet entdeckt wurde, also der erste Planet der nicht die Sonne sondern einen anderen Stern umkreist. Für diese Entdeckung wurden die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz 2019 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Das Buch gibts hier (und überall sonst auch wo es Bücher gibt): https://amzn.to/2Ncyalh Das Hörbuch ist hier erhältlich (und überall sonst wo es Hörbücher gibt): https://amzn.to/2Vsyqho
Wer mich live über die Sterne reden sehen und hören will, kann das an diesen Terminen tun:
15.10.19: Hochheim am Main (Buchhandlung Eulenspiegel) : https://www.eulenspiegelbuch.de/veranstaltungen/florian-freistetter-eine-geschichte-des-universums-100-sternen
16.10.19: Köln (MINT Festival): https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender/mint-die-geschichte-des-universums-100-sternen-mit-florian-freistetter
19.10.19: Frankfurt (Open Books): http://www.openbooks-frankfurt.de/termin/florian-freistetter-eine-geschichte-des-universums-in-100-sternen/
24.10.19: Kirchheim u. Teck (Buchhandlung Zimmermanns): https://zimmermanns.buchhandlung.de/shop/magazine/136540/eine_geschichte_des_universums_.html
25.10.19: Essen (Bürgermeisterhaus): https://allevents.in/essen/eine-geschichte-des-universums-in-100-sternen/200017720220851
08.11.19: Wien (Thalia W3): https://www.thalia.de/shop/home/veranstaltungen/showFiliale/6411/?p=3#PagerTop
09.11.19: Wien (Buch Wien): http://www.buchwien.at/programm2019/?topic=event&eventid=36815
10.12.19: Heidelberg (DAI): https://dai-heidelberg.de/de/veranstaltungen/florian-freistetter-2-28202/
Mehr Termine unter: http://www.florian-freistetter.de/termine.html
Wenn man das Universum richtig gut sehen will, dann braucht man Teleskope mit Löchern. Die Technik nennt sich "Interferometrie". Und sie hat die Aufnahme des ersten Bilds eines schwarzen Lochs möglich gemacht. Wie das geht erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Schwarze Löcher kann man nicht sehen. Aber weil die Astronomie sehr super ist, kann man es doch. Was man sehen kann, was nicht und wie man das sieht was man sehen kann, erfahrt ihr in der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Sternengeschichten… habt ihr nun schon seit fast 7 Jahren und 356 Folgen lang gehört. Und keine Sorge - ihr werdet sie auch noch viele Jahre weiter lang hören können. Mir gehen die Themen zumindest so schnell nicht aus. Aber was ich in all den Jahren nicht gemacht habe ist das, was ich jetzt mache: Nämlich mich ausnahmsweise mal direkt an euch Hörerinnen und Hörer zu wenden!
Hallo also alle zusammen! Ich werd euch auch gar nicht zu viel erzählen. Ich möchte euch nur auf etwas hinweisen. Und wer sich jetzt fragt: Wie, kommt jetzt da etwa Werbung? dem muss ich antworten: Ja! Aber nochmal: Keine Sorge. Die Sternengeschichten waren werbefrei und kostenlos und sie bleiben werbefrei und kostenlos. Die Werbung die ich heute mache ist Werbung für mich selbst. Denn vielleicht wissen viele von euch nicht, dass ich neben dem Podcast hier auch noch ganz viele andere Sachen mache? Ich mache auch noch andere Podcasts, schreibe ein Internet-Blog, ich schreibe eine Wissenschaftskolumne bei Spektrum der Wissenschaft, ich schreibe Zeitungsartikel, ich habe eine Astronomie-Serie auf Instagram, ich trete mit dem Wissenschaftskabarett "Science Busters" überall im deutschsprachigen Raum im Theater auf, ich halte Vorträge und ich schreibe Bücher. 10 Stück mittlerweile und um das neue Buch geht es.
Das ist ab 23. September 2019 im Handel erhältlich. Es heißt "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" und ich rede deswegen in meinem Podcast darüber weil es thematisch dem Sternengeschichten-Podcast sehr ähnlich ist. Ich habe mir von den unzähligen Sternen im Universum 100 Stück ausgesucht und 100 Geschichten erzählt. Natürlich - und so wie ihr das aus meinem Podcast gewohnt seid - nicht nur einfach nur Geschichten über die Sterne selbst. Es geht um alles!
Urknall, Quantengravitation, schwarze Löcher, außerirdisches Leben, der Himmel der Bronzezeit, der Himmel der fernen Zukunft, Teleskope, Planeten, Lasersterne, Klimawandel, Geschichte, Kunst, Kultur und ganz viele Menschen von der Antike bis in die Gegenwart.
Es ist eine Reise einmal quer durchs Universum, von Anfang bis zum Ende. Und ich würde mich freuen, wenn sie euch gefällt. Wenn euch die Geschichten in meinem Podcast gefallen haben, dann werden euch die in meinem Buch auch gefallen. Ihr könnt es überall dort kriegen wo man Bücher bekommt. Und wenn ihr weiterhin lieber hören wollt anstatt zu lesen, dann freut es mich euch mitteilen zu können, dass es das komplette Buch auch als Hörbuch gibt. Alle 100 Kapitel und vorgelesen von mir. Das kriegt ihr überall dort wo man Hörbücher kriegt.
Wer Lust hat, mich in echt und persönlich über das Buch erzählen zu sehen; mit ein paar Experimenten und anderen special effects, der kann das in den nächsten Wochen tun. Und zwar in Hochheim, Köln, Frankfurt, Kirchheim bei Stuttgart, Essen, Wien und Heidelberg. Die Termine findet ihr auf meiner Homepage - florian-freistetter.de
Vielen Dank fürs Zuhören! Am Freitag geht es wieder weiter mit einer neuen Folge der Sternengeschichten.
Der Doppelstern 70 Ophiuchi ist eigentlich recht unscheinbar. Aber stand trotzdem mehr als 100 Jahre lang im Mittelpunkt einer Kontroverse. Immer wieder glaubte man dort, Planeten entdeckt zu haben. Die es aber nicht gab. Warum und warum nicht erfahrt ihr in der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Der erste Planet eines anderen Sterns den wir entdeckt haben, umkreiste einen toten Stern und war selbst auch eher geisterhaft. Trotzdem haben die "Pulsarplaneten" die Astronomie enorm beeinflusst. Warum, das hört ihr heute im Sternengeschichten-Podcasts.
Durch die Zeit zu reisen wäre schon cool. Und wie das tatsächlich möglich ist, hat Kurt Gödel schon vor 70 Jahren rausgefunden. Ist aber leider dann doch nicht so einfach, wie ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts erfahren könnt.
Energie, quasi kostenlos. Ohne großen Aufwand, ohne große Kosten und alles sauber und nachhaltig. Das verspricht die "Kalte Fusion". Ob die Versprechungen aber auch gehalten werden können, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Ganz in der Nähe des galaktischen Zentrums befindet sich die Heimat der großen Moleküle. Wie es dort aussieht, was das mit der Entstehung des Lebens zu tun hat und warum die Moleküle gerade dort so gerne wohnen, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Haben wir die Gravitation falsch verstanden? Muss sie modifiziert werden und löst das vielleicht auch das Problem der dunklen Materie? Und was hat es mit MOND auf sich? Antworten gibt es in der in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Es gibt kein berühmteres schlechtes Foto der Erde als den "Pale Blue Dot". Kaum zu erkennen, hat dieses Bild der Erde doch die Menschen inspiriert wie kein anderes. Warum das so ist erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Wir werden unser Sonnensystem so schnell nicht verlassen können. Aber 2017 ist ein Ding aus einem anderen Sonnensystem zu uns gekommen! Was das war und warum es das getan hat, erfahrt ihr in der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Am 21. Juli 1969 sind die ersten Menschen auf dem Mond gelandet. Aber was haben sie dort getrieben und wie sind sie wieder zurück auf die Erde gekommen? Die zweite Hälfte der historischen Apollo-11-Mission ist das Thema der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Am 21. Juli 1969 hat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten. So viel wissen alle, aber was ist eigentlich davor passiert? Der Flug von Apollo 11, vom Start bis zur Landung ist in allen Details Thema der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcast.
Wie viele Monde hat die Erde? Eine sehr blöde Frage, könnte man meinen. Es lohnt sich aber darüber nachzudenken. Denn so dumm ist die Frage gar nicht, wie ihr in der heutigen Folge des Sternengeschichten-Podcasts hören könnt.
Auch der Mond hat seine eigene Geografie. Die heißt dort aber Selenografie. Und war sehr lange sehr konfus, weil es keine einheitlichen Regeln und Karten gab. Bis Mary Adela Blagg Ordnung am Mond geschaffen hat, wie ihr in der heutigen Folge des Sternengeschichten-Podcasts erfahren könnt.
Alle kennen Neil Armstrong und Buzz Aldrin, die beiden ersten Menschen die auf dem Mond herum spaziert sind. Der dritte Mann bei dieser Mission aber war Michael Collins. Und den sollte man auch kennen, denn sein Leben war spannend und seine Arbeit enorm wichtig. Deswegen handelt die heutige Folge des Sternengeschichten-Podcasts von ihm.
Unsere Erde, das Sonnensystem und die Milchstraße sind Teil einer kosmischen Struktur die "Laniakea" genannt wird. Das bedeutet "der unermessliche Himmel" und ist eine absolut passende Beschreibung für diesen Supergalaxienhaufen. Worum es sich genau handelt erfahrt ihr heute im Sternengeschichten-Podcast.
Das Wort "Asteroid" bedeutet "sternählich". Dabei haben Asteroiden mit Sterne gar nix zu tun. Warum die Felsbrocken im All trotzdem so heißen wie sie es tun und warum man sie lange Zeit "Planet" genannt hat, erfahrt ihr heute im Sternengeschichtenpodcast.
Der Mond ist super. Man kann dort flüssige Teleskope aufstellen. Und ihn sogar selbst als gigantisches Teleskop verwenden. Wie das funktioniert und was man dann sehen kann, erfahrt ihr huete im Sternengeschichten-Podcast.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Astronomie eine ganz andere Wissenschaft als heute. Und Dinge wie Mauerquadrant oder Mittagsrohr waren ihre wichtigsten Instrumente. Was man damit angestellt hat, erfahrt ihr in der neuen Folge des Sternengeschichten-Podcasts.
Wissenschaft ist universell. In Amerika gibt es keine anderen Naturgesetze als in Australien; die Astronomie funkioniert in Europa genau so wie in Afrika. Aber im 20. Jahrhundert kamen deutsche Physiker auf die Idee eine "Deutsche Physik" zu entwickeln. Das war nicht nur Quatsch, sondern auch gefährlich, wie ihr in der heutigen Folge des Sternengeschichten-Podcast hören könnt.
Wer sich am Himmel orientieren will, muss den Stern Capella finden können. Wie das geht und warum es sich lohnt diesen Stern zu kennen erfahrt ihr heute im Sternengeschichten-Podcast.
Die astronomische Version der Chemie ist simpel. Es gibt nur Wasserstoff, Helium und Metalle. Warum das so ist und warum es durchaus sinnvoll ist das Universum so zu betrachten, erfahrt ihr heute im Podcast.
Im Namen der Raumfahrt haben wir jede Menge Tiere mit Raketen ins All geschickt. Und dabei in die Luft gespringt, ersticken lassen oder anderweitig umgebracht. Und wenn man die Tiere schon so mißhandeln muss, dann sollte man auch ihre Geschichte erzählen…
Wir Astronomen schauen uns alles an! Auch die radioaktive Strahlung der Sterne. Das nennt sich Gammaastronomie ist mindestens genau so cool wie es klingt!
Messier 87 ist die Galaxie in deren Zentrum das schwarze Loch sitzt, von dem das erste Mal ein Bild gemacht werden konnte. Aber auch der Rest der Galaxie ist durchaus interessant. Sie zeigt uns einen Blick auf unsere eigene, ferne Zukunft.
Die Sonne ist so wie die Erde und dort leben Leute! Davon waren Astronomen früher tatsächlich lange Zeit überzeugt. Warum das, zumindest aus damaliger Sicht, nicht komplett absurd war (und was all die Astrologen auf Jupiter treiben) ist das Thema heute im Sternengeschichten-Podcast.
Ab und zu leuchtet der Mond irgendwie komisch. Glauben wir zumindest. Warum es am Mond ab und zu seltsame Lichterscheinungen gibt ist immer noch ungeklärt. Aber vielleicht hat Vulkanismus was damit zu tun. Mehr dazu gibt's heute im Podcast.
Vollmond kennt jeder. Aber gibt es auch eine Vollerde? Und was hat die Vollvenus mit Galileo Galilei und der Revolution unseres Weltbilds zu tun? In der heutigen Folge des Sternengeschichten-Podcast geht es um die Phasen der Himmelskörper!
Der älteste Stein der Erde liegt auf dem Mond. Beziehungsweise jetzt nicht mehr, weil wir ihn von dort wieder zurück auf die Erde gebracht haben. Was es mit den Migrationsmeteoriten auf sich hat, erfahrt ihr heute im Podcast.
Die markanten Sterne der Plejaden haben die Menschen schon seit Jahrtausenden beschäftigt. Früher haben wir uns Geschichten über Götter, Dämonen und Helden über sie erzählt. Heute finden wir dort wissenschaftliche Kontroversen und vielleicht ganz neues Wissen. Mehr dazu gibt es heute im Sternengeschichten-Podcast.
Kann Licht müde werden? Das haben zumindest die Wissenschaftler behauptet, die nicht akzeptieren wollten, dass sich das Universum ausdehnt. Worum es bei der "Lichtermüdung" geht und warum Licht doch nicht müde wird, erfahrt ihr heute im Podcast.
Sterne gehen auf und unter wie die Sonne. Nur scheinbar natürlich, weil die Erde sich um ihre Achse dreht. Manche Sterne sind aber immer zu sehen. Sie sind zirkumpolar und was das bedeutet und wieso der Polarstern ein großes Glück für uns ist, erfahrt ihr heute im Podcast.
Planeten entstehen aus Staub. Bis aber aus dem Staub ein ausgewachsener Planet geworden ist, dauert es ein wenig und wir wissen noch nicht genau, wie das läuft. Was wir wissen, erfahrt ihr aber heute in den Sternengeschichten.
Kosmische Strings sind die Stellen im Kosmos, an denen unser Universum ein wenig kaputt ist. Es sind Reste aus der Zeit unmittelbar nach dem Urknall. Und wir könnten enorm viel von ihnen lernen. Falls es sie überhaupt gibt…
Ostfriesland gehört nicht zu den Hotspots der astronomischen Forschung. Vor 400 Jahren arbeiteten dort aber zwei Astronomen und machten eine unerwartete Entdeckung bei der Beobachtung der Sonne. Was sie genau gesehen haben, erfahrt ihr heute im Podcast.
Wir wohnen in einer Galaxie mit Spiralarmen. Aber wie viele von den Dinger gibt es, wo liegen sie und wie sind sie verbunden? Das ist erstaunlich schwer zu beobachten, wenn man mitten drin sitzt. Das, was wir wissen, erzähle ich heute im Podcast.
Das Sonnensystem hat acht Planeten. Aber irgendwo muss sich auch noch ein Planet Nummer Neun verstecken. Wir haben ihn noch nicht entdeckt, aber gute Hinweise auf seine Existenz. Welche das sind, erfahrt ihr heute im Podcast.
Das Sonnensystem ist von einer enormen Wolke umgeben, in der sich Billionen von Kometen befinden. Woher wir das wissen, obwohl wir von dieser Wolke bis jetzt noch nichts gesehen habe, erfahrt ihr heute im Podcast.
Es ist kalt, wir müssen streuen! Die gestreute Scheibe ist eine Region fern der Sonne und gestreut wurden dort Asteroiden. Aber warum und wie ist unbekannt. So wie noch sehr viel mehr über diese dunkle Ecke des Sonnensystems. Was man weiß, erzähl ich heute im Podcast.
Der Mond hat eine Rückseite und alleine das ist schon bemerkenswert! Warum es eine Seite gibt, die man von der Erde aus nie sehen kann und warum es wichtig ist, das wir sie uns trotzdem ansehen, hört ihr in der neuen Folge des Podcasts.
Die kosmische Strahlung kommt zwar aus dem Weltall, betrifft uns aber auch ganz direkt hier auf der Erde. Sowohl positiv als auch negativ und wie genau, erfahrt ihr heute im Podcast.
Kosmische Strahlung klingt nach Esoterik. Ist aber Wissenschaft noch dazu ziemlich wichtige Astronomie. Was es damit und dem "Oh-Mein-Gott-Teilchen" auf sich hat, erfahrt ihr heute im Podcast.
Was treibt der kleine Prinz am Himmel? Er beschäftigt sich mit Asteroiden, was sonst? Heute geht es in den Sternengeschichten um ein ganz besonders Asteroidenpaar.
Eris ist eine ferne, kalte Welt am Rand des Sonnensystems. Wir wissen noch viel über diesen Himmelskörper. Aber genug um zu wissen, dass sich die Erforschung lohnt. Mehr gibt's heute im Podcast.
"S2" ist ein ziemlich doofer Name für einen Stern. Aber kaum ein Stern ist so faszinierend wie S2! Er bewegt sich direkt außerhalb des riesigen schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße. Und wir haben enorm viel von ihm gelernt. Mehr gibt es heute im Sternengeschichten-Podcast.
Sternengeschichten Folge 283: Alles dreht sich
Alles dreht sich! Nicht nur, wenn man betrunken ist oder auf dem Kinderkarusell sitzt. Alles im Universum dreht sich! Alle Planeten drehen sich um ihre Achse. Alle Monde rotieren. Alle Asteroiden und Kometen. Alle Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen bewegen sich auch um ihren Stern herum. Alle Sterne drehen sich. Alle Sterne bewegen sich um das Zentrum ihrer Galaxie herum. Galaxien rotieren. Alles dreht sich - aber warum? Das liegt an der Drehimpulserhaltung.
Fangen wir am Anfang an. Zumindest mal am Anfang der Entstehung unseres Sonnensystems. Wie es sich für Anfänge gehört, war es damals noch gar nicht da. Auch nicht die Sonne. Es gab nur eine große Wolke aus Gas und Staub. Eine wirklich große Wolke, viele Lichtjahre groß! Die Gasmoleküle und Staubteilchen in dieser Wolke haben sich bewegt. Denn alles muss sich im Universum bewegen. Alles wird ja durch die Gravitationskraft von allem anderen beeinflusst, ein Stillstand ist da nicht möglich. Das wäre höchstens dann möglich, wenn es nur ein einziges Objekt im ganzen Universum geben würde und dann wäre der Begriff der Bewegung ja sowieso bedeutungslos, weil das Wort keinen Sinn macht, wenn man nicht dazu sagen kann, in Bezug auf was sich etwas bewegt. Aber für unser Universum trifft das sowieso nicht zu, denn hier gibt es ja offensichtlich sehr viel Zeug. Und das bewegt sich.
Die Gasteilchen der riesigen Wolke bewegen sich also. Einige vielleicht schneller, die meisten aber vergleichsweise langsam. Wir dürfen uns keine herumwirbelnden Gasströme vorstellen. Die interstellaren Wolken sind keine "Wolken" wie wir sie von unserem irdischen Himmel kennen. Wir finden dort nur ab und zu mal ein Gasatom, aus unserer Sicht sähe das Innere so einer Wolke wie ein perfektes Vakuum aus. Aber die Wolke ist eben enorm groß und insgesamt sind dort jede Menge Atome. Und die bewegen sich langsam durch die Gegend.
Und wenn sich nichts ändert, dann bleibt alles so. Aber in der Wolke aus der unser Sonnensystem entstanden ist, hat sich etwas geändert. Die Gasteilchen dort wurden ein wenig gestört. Vielleicht weil ein Stern in der Nähe vorbei gezogen ist und mit seiner Gravitationskraft die Wolke ein bisschen durchgewirbelt hat. Vielleicht ist auch ein anderer Stern in der Nähe explodiert und hat so für eine Störung gesorgt. Wie auch immer: In einer bestimmten Region der Wolke sind die Gasteilchen ein wenig näher zusammengerückt als vorher. Es ist ein "Klumpen" entstanden und weil dort mehr Teilchen versammelt waren als anderswo in der Wolke, hat dieser Klumpen nun mehr Gravitationskraft auf seine Umgebung ausgeübt als der Rest der Wolke. Noch mehr Gas aus der Wolke bewegte sich in Richtung Klumpen, was eine noch stärkere Gravitationskraft bedeutet, und so weiter. Kurz gesagt: Die Wolke fing an zu kollabieren.
Und jetzt sind wir wieder bei der Drehimpulserhaltung. Der Drehimpuls ist - simpel gesagt - die Menge an Rotationsenergie die in einem System steckt: Wie schnell und wie stark rotiert das Zeug, aus dem das System besteht. Im Sonnensystem steckt ein Teil der Drehenergie zum Beispiel in der Rotation von Sonne, Planeten, Monden, Asteroiden um ihre jeweiligen Achsen. Ein Teil der Drehenergie steckt aber auch in der Bewegung all dieser Himmelskörper um die Sonne. Und selbst jedes kleine Staubteilchen, dass sich um die Sonne bewegt, trägt einen kleinen Teil zum gesamten Drehimpuls des Sonnensystems bei.
Der Drehimpuls hängt von drei Dingen ab: Welche Masse hat das Ding, das sich dreht? Welche Ausdehnung hat das Ding, das sich dreht bzw. wie groß ist der Abstand des Dings von dem Punkt, um den es sich dreht? Und: Wie schnell dreht sich das Ding? Betrachten wir jetzt nochmal unsere Gaswolke. Die Bewegung der einzelnen Gasteilchen kann man auch als Drehung interpretieren. Aus Sicht eines Beobachters, der sich im Zentrum der Wolke befindet, bewegen sich alle Teilchen wenn auch langsam und unregelmäßig, irgendwie um das Zentrum herum. Die Bewegung jedes Teilchens trägt zum gesamten Drehimpuls der Wolke bei. Jetzt kollabiert unsere Wolke. Das heißt, ihre Ausdehnung wird kleiner. Ihre Masse bleibt aber gleich; die Teilchen rücken ja nur näher zusammen, verschwinden aber nicht. Wenn die Masse gleich bleibt und die Ausdehnung kleiner wird und der gesamte Drehimpuls gleich bleiben muss, dann gibt es dafür nur eine Möglichkeit: Die Drehgeschwindigkeit muss schneller werden!
Genau das passiert auch: Je weiter die Wolke kollabiert; je dichter der Klumpen wird, desto schneller wird sich das Material dort um das Zentrum des Klumpens bewegen. Irgendwann ist der Klumpen dann so dicht, dass er zu einem Stern geworden ist. Und dieser Stern dreht sich um seine Achse. Er kann gar nicht anders, weil der Drehimpuls der ursprünglichen Wolke erhalten bleiben muss. Man kann das auch leicht mal selbst ausprobieren. Setzt euch auf einen Drehstuhl oder -hocker und dreht euch, mit ausgestreckten Armen. Wenn ihr die Arme dann dicht an den Körper zieht, macht ihr das gleiche wie die Wolke. Ihr "kollabiert" quasi, werdet kleiner und dichter. Und genau wie die Wolke werdet ihr euch dann auch schneller drehen.
Und genau deswegen rotieren auch die Planeten. Sie entstehen aus dem Material der Wolke, das nicht zum Stern wurde. Dieses ganze Zeug ist ebenfalls näher an den Stern gerückt; ist ebenfalls viel dichter als zuvor in der Gaswolke. Und hat dadurch ebenfalls angefangen, schneller zu rotieren. Der Stern ist nun von einer Scheibe aus Material umgeben. Es ist deswegen eine Scheibe, weil die Erhöhung der Rotationsgeschwindigkeit zu einer Abplattung geführt hat. Man kann sich das so vorstellen: In der Wolke haben sich die Teilchen in alle drei Raumrichtungen bewegt. Der gesamte Drehimpuls der Wolke lässt sich durch eine Drehung der Wolke in einer bestimmten Ebene beschreiben; übrig bleibt dann eine Auf- und Ab-Bewegung der Teilchen, bei der sie während ihrer Drehung um das Zentrum der Wolke immer wieder diese Ebene durchstoßen. Solange die Wolke eine große Wolke ist und viel, viel Platz zwischen den Teilchen, tut sich nicht viel. Aber wenn die Wolke kollabiert und die Teilchen näher zusammenrücken, kommt es immer wieder zu Kollisionen. Jedes Mal wenn ein Teilchen von oben nach unten bzw. unten nach oben durch die Drehebene wandert und dabei mit einem anderen Teilchen kollidiert, verliert es ein wenig der Bewegungsenergie der Auf-und-Ab-Bewegung. Im Laufe der Zeit haben sich so alle Teilchen innerhalb der Drehebene angeordnet. Wir haben eine Scheibe, die den Stern umgibt. Eine Scheibe, in der sich das ganze Zeug um den Stern herum bewegt und auch diese Drehenergie muss erhalten bleiben, wenn sich das Material nun dort zusammenklumpt um größere Objekte zu bilden. Deswegen drehen sich auch die Planeten die so entstehen. Sie bewegen sich um den Stern und sie rotieren um ihre Achse.
Alles dreht sich und schuld daran ist die Drehimpulserhaltung. Aber wo kommt eigentlich die Drehimpulserhaltung her? Wer sagt, dass Drehimpuls niemals verloren gehen kann? Das sagt Emmy Noether. Beziehungsweise sagt es eigentlich das Universum selbst. Die Drehimpulserhaltung ist ein fundamentales Naturgesetz. Aber die deutsche Mathematikern Emmy Noether hat erklärt, wie solche Erhaltungsgrößen mit den grundlegenden Eigenschaften des Universums zusammenhängen. Über das Leben und das nach ihr benannte "Noether-Theorem" habe ich schon in Folge 182 der Sternengeschichten ausführlich erzählt. Noether hat festgestellt: “Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße.” Das klingt tiefsinnig und das IST auch tiefsinnig. Und man muss sehr lange in Ruhe darüber nachdenken um zu verstehen, was damit gemeint ist. Mit Symmetrie meint Noether hier etwas, das man bei einem physikalischen System verändern kann, ohne das sich etwas ändert. Es macht zum Beispiel keinen Unterschied, ob ich ein Experiment heute, morgen oder in 20 Jahren durchführe. Den Naturgesetzen ist mein Terminkalender völlig egal; sie verhalten sich immer gleich und verändern sich nicht. Diese Symmetrie nennt man "Homogenität der Zeit"; es gibt aber auch eine, die sich "Isotropie des Raums" nennt. Damit ist gemeint, das bei den Naturgesetzen keine Richtung des Raums irgendwie besser oder wichtiger ist als die anderen beiden. Alle Richtungen sind gleichwertig und deswegen ist es zum Beispiel auch egal, ob ich ein physikalisches Experiment mache und dabei nach Norden schaue oder etwa nach Osten. Solche Symmetrien führen nun, wie Noether festgestellt hat, dazu, dass sich eine bestimmte Größe im System nicht ändern kann. Bei der Isotropie des Raums ist das genau der Drehimpuls. Eben weil es keine besondere Richtung im Raum gibt, kann sich die Menge an Rotationsenergie nicht plötzlich ändern und muss erhalten bleiben.
Es ist schwer, sich das wirklich vorzustellen. Ich probiere es mal mit einem etwas schiefen Vergleich. Stellen wir uns eine unendlich ausgedehnte, absolut flache Ebene vor. Egal wo auf dieser Ebene wir uns befinden, alles sieht immer gleich aus und alles verhält sich immer gleich. In meiner Tasche habe ich eine Handvoll Murmeln und schmeisse sie an unterschiedlichen Orten der Ebene auf den Boden. Egal wo ich das tue: Die Zahl der Murmeln die ich danach von der Ebene aufsammle, ist immer genau so groß wie die Zahl der Murmeln, die ich vorher weggeworfen habe. Man könnte sagen: Die Murmelzahl bleibt immer erhalten und sie bleibt deswegen immer erhalten, weil die Ebene eine Symmetrie besitzt; weil es hier völlig egal ist, WO ich stehe und mein Murmelexperiment ausführe. Jetzt stellen wir uns eine Ebene vor, die irgendwo ein Loch hat. Wenn nun bei meinem Experiment ein paar der Murmeln in dieses Loch fallen, ist die Murmelzahl nicht mehr erhalten. Und sie ist es deswegen nicht, weil die Ebene jetzt keine Symmetrie mehr besitzt. Weil es nicht mehr egal ist, WO ich mein Experiment durchführe.
So ähnlich ist es auch mit dem Drehimpuls und der Isotropie des Raums. Die Richtung spielt keine Rolle und deswegen ist der Drehimpuls immer erhalten. Alles dreht sich im Universum. Weil es keine besondere Richtung gibt.
Sternengeschichten Folge 182: Emmy Noether und die Erhaltungssätze der Physik
Emmy Noether war eine der bedeutensten deutschen Mathematikerinnen und hat auch in der theoretischen Physik fundamentale Erkenntnisse gewonnen. Trotzdem hört man über ihr Leben und ihre Arbeit viel weniger, als es eigentlich angemessen wäre. In der Öffentlichkeit interessiert man sich zwar generell - leider - wenig für Mathematiker und Mathematikerinnen und es gibt hier viel weniger berühmte und allgemein bekannte Namen als in anderen Wissenschaftsdisziplinen. Aber wenn es jemand verdient hätte, überall bekannt zu sein, dann Emmy Noether.
Sie wurde am 23. März 1882 in Erlangen geboren. Ihr war Vater Mathematiker an der dortigen Universität; sie selbst war aber trotzdem in ihrer Kindheit und Jugend eher wenig an der Mathematik interessiert. An der "Höheren Töchterschule" von Erlangen die sie besuchte, wurde auf Mathematik auch kein besonderer Wert gelegt. Ihre erste Ausbildung schloss Emmy Noether im Jahr 1900 als Lehrerin für Englisch und Französisch ab.
1903 durften Frauen endlich auch an bayrischen Universitäten studieren. Noether schrieb sich an der Uni Erlangen ein und ging dort ihrem spät erwachten Interesse an der Mathematik nach. Schon 1907 promovierte sie und war damit die zweite deutsche Frau überhaupt, die an einer deutschen Universität einen Abschluss in Mathematik erlangte. Die erste war Marie Gernet an der Universität Karlsruhe, die nach ihrer Dissertation allerdings keine Laufbahn in der Forschung verfolgte.
Emmy Noether aber tat das und war bei ihrer Arbeit extrem erfolgreich. Sie wurde nach Göttingen eingeladen, das damals weltweit führende Zentrum der mathematischen Forschung um dort gemeinsam mit Felix Klein und David Hilbert zu arbeiten. Noether wollte sich an der Universität Göttingen auch habilitieren und traf dabei auf die Widerstände, die Frauen in der Wissenschaft damals ständig zu schaffen machte. Der Großteil der Fakultät war gegen die Habilitation von Noether. Frauen hätten an einer Universität nichts zu suchen und wenn sie schon unbedingt studieren mussten, dann sollten sie nicht auch noch die Möglichkeit haben, eine akademische Karriere zu verfolgen. David Hilbert, einer der bedeutensten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, verteidigte Noethers Antrag, unter anderem mit den Worten: "Eine Fakultät ist doch keine Badeanstalt".
Schließlich stimmten die Kollegen der Göttinger Fakultät zu; habilitiert wurde Noether aber trotzdem nicht. Das war an preussischen Universität untersagt und das zuständige Ministerium weigerte sich, eine Ausnahme zuzulassen. Noether konnte zwar Vorlesungen an der Uni Göttingen halten, musste sie aber unter Hilberts Namen ankündigen - und bezahlt wurde sie dafür natürlich ebenfalls nicht.
Erst nach dem ersten Weltkrieg wurden Frauen zur Habilitation zugelassen und Emmy Noether konnte sich 1919 als erste Frau Deutschlands in Mathematik habilitieren. Eine Professur bekam sie allerdings erst 1922 und bezahlt wurde sie für ihre Lehre erst ab 1923. 10 Jahre später übernahm die Nazis die Macht in Deutschland und der Jüdin Noether wurde die Lehrerlaubnis wieder entzogen. Sie ging in die USA und arbeitete dort als Gastprofessorin, bevor sie am 14. April 1935 viel zu früh an den Folgen einer Operation verstarb.
Angesichts der Schwierigkeiten denen sie als Frau im Wissenschaftsbetriebs des frühen 20. Jahrhunderts gegenüber stand und ihres kurzen Lebens hat sie ein erstaunlich umfangreiches und vielfältiges Werk hinterlassen.
Noethers Leistungen in der Mathematik sind anschaulich nur schwer zu erklären. Sie hat sich vor allem mit der Algebra beschäftigt. Vereinfacht gesagt ist das die grundlegende Disziplin, in der es um das Lösen von Gleichungen mit Unbekannten geht. Die Art von Gleichungen die man aus der Schule kennt und in der immer irgendwo ein "x" vorkommt, das man bestimmen muss. Noethers Arbeit war aber natürlich sehr viel spezieller und komplexer als das, was man in der Schule lernt - ihr Arbeitsgebiet heißt nicht umsonst "abstrakte Algebra". Dabei geht es um bestimmte Strukturen die so ähnlich funktionieren wie die Grundrechenarten, dabei aber viel allgemeiner gefasst sind. Zum Beispiel "Ringe" - aber jetzt genau zu erklären, was Ringe in der Mathematik sind, würde zu weit führen. Noether hat auf diesem Gebiet auf jeden Fall so grundlegende Arbeit geleistet, dass heute in dieser Disziplin das Adjektiv "noethersch" existiert und Ringe bzw. andere algebraische Strukturen mit bestimmten Eigenschaften beschreibt. Genau so gibt es den Noetherschen Normalisierungssatz, die Noethersche Ordnung, den Noetherschen Raum, den Noetherschen Modul, den Satz von Lasker-Noether über die Primärzerlegung von noetherschen Ringen, und so weiter. Noether hat sich neben der Algebra auch mit der Topologie beschäftigt; mit hyperkomplexen Zahlen, mit der Galoistheorie und vielen anderen Themen.
Ganz besonders bekannt ist sie aber für ihren Beitrag zur theoretischen Physik. Einer der Gründe, aus denen Noether damals von Hilbert und Klein nach Göttingen eingeladen wurde, war die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die mathematischen Methoden die Einstein dafür verwendete waren genau das damalige Spezialgebiet von Noether und Hilbert hoffte, dass sie ihm bei einem Problem helfen konnte, auf das er gestoßen war. Seiner Meinung nach verletzte die allgemeine Relativitätstheorie den in der Physik so wichtigen Energieerhaltungssatz. Also begann Noether sich mit Erhaltungsgrößen zu beschäftigen und fand das, was heute als Noether-Theorem bekannt ist.
Die Details sind auch hier sehr kompliziert, aber die grundlegende Aussage lässt sich auch hier in einem Satz zusammenfassen: "Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße."
Eine "Symmetrie" ist in diesem Zusammenhang - vereinfacht gesagt - alles was man mit einem physikalischen System anstellen kann, ohne dabei dessen Verhalten zu ändern. Wenn man zum Beispiel irgendein Experiment durchführt, dann sollte es keine Rolle spielen, ob man dieses Experiment in Wien oder in Berlin durchführt. Die physikalischen Gesetze sind da wie dort die selben und die Transformation von einem Ort zum anderen beeinflusst das Ganze nicht. In der Physik nennt man das die "Homogenität des Raums" und sie stellt genau so eine Symmetrie dar, wie Noether sie untersuchte. Eine andere Symmetrie wäre die Homogenität der Zeit: Es spielt keine Rolle, ob man ein Experiment Montags, Dienstags oder Donnerstag in 100 Jahren durchführt. Oder die "Isotropie des Raums", die besagt, das die Richtung im Raum keine Rolle spielt.
Diese drei Symmetrien sind anschaulich verständlich, aber Noether hat ihr Theorem viel allgemeiner gefasst. Wenn man ein System aus Gleichungen hat und diese Gleichungen auf eine Art und Weise transfomieren kann, so dass sich vielleicht das Aussehen der Gleichungen ändert, aber nicht das Verhalten das sie beschreiben: Dann stellt diese Transformation eine Symmetrie dar. Und wenn es in einem System aus Gleichungen eine solche Symmetrie gibt, dann gibt es immer auch eine ganz konkrete Größe, die sich nie ändert und immer erhalten bleiben muss, egal was passiert.
Bei den physikalisch anschaulichen Beispielen von vorhin sind das die aus dem Physikunterricht bekannten Erhaltungsgrößen: Aus der Homogenität der Zeit folgt die Erhaltung der Energie, aus der Homogenität des Raums die Erhaltung des Impulses und aus der Isotropie des Raums die Drehimpulserhaltung.
Das Noether-Theorem spielt aber auch in vielen anderen Bereichen eine Rolle. In der modernen Teilchenphysik erklärt es zum Beispiel Erhaltungsgrößen wie die elektrische Ladung. Albert Einstein war äußerst begeistert von Noethers Arbeit; und nach ihrem Tod schrieb er in der New York Times, dass sie das "bedeutenste kreative mathematische Genie" sei, dass "seit der Einführung der Hochschulbildung für Frauen" aufgetreten ist und sie in einem "Bereich der Mathematik das die begabtesten Mathematiker seit Jahrhunderten beschäftigt hat, neue Methoden von enormer Bedeutung entdeckt hat". Einstein stand mit seiner Meinung über Noether nicht alleine da; sie wurde von so gut wie allen Kollegen in den höchsten Tönen gelobt. Der Mathematiker Norbert Wiener schreib zum Beispiel über sie: "Frau Noether ist die größte Mathematikern die jemals lebte, die größte zeitgenössische Wissenschaftlerin irgendeiner Disziplin und eine Forscherin die mindestens mit Marie Curie verglichen werden muss".
Das Noether-Theorem gehört zu den wichtigsten - und außerhalb der Physik leider auch unbekanntesten - Grundlagen der modernen Naturwissenschaft. Emmy Noether gehört zu den wichtigsten - und leider auch außerhalb der Physik und Mathematik unbekanntesten - Wissenschaftlern der Neuzeit.
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