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Menschenrecht Bildung nur für Geimpfte? | Von Camilla Hildebrandt

13 min • 10 september 2021

Wissenschaft und Lehre sind frei – so das Grundgesetz in Deutschland und auch in Österreich. Doch für einige Studenten in Österreich gilt bereits 1G, nur Geimpfte dürfen studieren. In Deutschland setzt sich immer mehr 3G durch. Was passiert mit unserem hoch gepriesenen Bildungssystem? Wo sind die Verfassungsrechtler, wenn es um diese Regeln geht?

Ein Kommentar von Camilla Hildebrandt.

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, so Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes in Österreich. Doch für Studenten an der Medizinischen Universität Innsbruck gilt ab dem Wintersemester die 1G-Regel, Erstsemestrige dürfen am klinischen Lehrbetrieb nur vollständig geimpft teilnehmen. Für die Hauptuni gilt die 3G-Regel. „Wir glauben, dass das für angehende Mediziner zumutbar ist“, begründet Rektor Wolfgang Fleischhacker gegenüber dem ORF die Entscheidung (1).

Auch der Rektor der Uni Salzburg, Hendrik Lehnert, plädiert für die 1G-Regelung. Diese sei einfacher zu kontrollieren. In der Johannes Kepler Universität Linz wird derweil an der Einführung von farbigen Kontrollbändern gearbeitet, so eine Mitteilung der Universität vom 3. September (2):

„Dadurch kann der 3G-Check bei Lehrveranstaltungen und Prüfungen schnell erfolgen. Um den Aufwand zu reduzieren, können Personen, welche über einen langfristigen Nachweis einer lediglich geringen epidemiologischen Gefahr (insbesondere Impfung) verfügen, ein länger geltendes Armband bekommen.“

In Deutschland ist die Situation ähnlich. Von Seiten der Hochschulrektorenkonferenz heißt es (3):

„Die Hochschulen richten sich auf unterschiedliche Szenarien ein, die sich weitgehend an der 3G-Regel orientieren (vollständig geimpft, genesen oder getestet), wie sie Bund und Länder am 10. August 2021 auch ihren 'Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie' zugrunde gelegt haben. (…) Bei einer Verschärfung der pandemischen Situation ist eine flächendeckende Rückkehr zu rein digitalen Formaten notwendig.“(4).

Viele deutsche Universitäten schicken derzeit Informationen zum Wintersemester 2021/22 an die Studenten, denn es soll wieder Präsenzunterricht geben. Aber der Grundton lautet: entweder ihr lasst euch impfen, oder ihr müsst jeden Tag einen teuren Test aus eigener Tasche zahlen. So schreibt zum Beispiel die Hochschule Darmstadt per Email:

„Sie haben es in der Hand! Lassen Sie sich impfen, dann sind Sie weitestgehend vor COVID-19 geschützt, müssen sich nicht mehr testen lassen, haben ungehinderten Zutritt zur Hochschule und sparen am Ende Geld, denn wenn die Regelungen z.B. für die Gastronomie so bleiben wie zurzeit, brauchen Sie auch für jeden Kneipenbesuch einen Schnelltest, für den Sie ab Oktober Geld bezahlen müssen.“

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt spricht es deutlich aus (5): "Die wichtigste Voraussetzung für den Präsenzbetrieb ist eine möglichst hohe Impfquote bei den Studierenden." Und Jonathan Dreusch, Vorstandsmitglied des „Freien Zusammenschluss von Studentinnenschaften“ (FZS), einem Dachverband von rund 90 Studierendenvertretungen aus ganz Deutschland, sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (6):

„Unsere aktuelle Position ist es, dass Präsenzveranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene und Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, angeboten werden sollten“. Wer sich nicht impfen lassen wolle, gefährde seine Kommilitoninnen und Kommilitonen, so Dreusch. Ist das die neue Solidarität?

René Blaszevic, 29, Student an der Technischen Universität in Berlin, kennt keinen Kommilitonen, der nicht geimpft ist. Aus Angst vor Covid-19? Nein, das Hauptargument der Meisten sei: keine Tests und Reisebeschränkungen mehr:

„Eine Studentin meinte, sie sei zwar sehr skeptisch, aber letztlich habe sie ja auch andere Impfungen mitgemacht, also was soll’s. Ich selbst werde mich nicht impfen lassen. Ich lasse mich seit circa zwanzig Jahren gegen gar nichts mehr impfen, und mir geht es gut damit. Selbst wenn ich mich normalerweise regelmäßig impfen lassen würde, wäre ich spätestens nach den aggressiven Kampagnen sämtlicher Regierungen stutzig geworden.“

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“

Was passiert momentan mit unserer so hoch gepriesenen Bildung, unserem deutschen Bildungssystem, mit der Generation und den Nachfolgenden, die studieren, sich bilden wollen? Artikel 5 (7) des deutschen Grundgesetzes garantiert: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Wo aber ist die Verfassung, wo sind die Verfassungsrechtler, wenn es um die 3G-Regel geht? Sie ducken sich weg, sind plötzlich nicht mehr zuständig.

Für ungeimpfte Studenten bedeutet 3G, ab 11. Oktober 2021 jeden Tag einen Test aus eigener Tasche zu zahlen. Ein Antigen-Test wird voraussichtlich zwischen achtzehn und vierzig Euro kosten, wie der MDR berichtet (8). Wenn man die Kosten dafür beispielsweise in Spanien, wo es nie kostenlose Bürgertests gab, betrachtet, scheint das realistisch. Ein Antigentest kostet dort aktuell mindestens 35,- Euro. Eine Woche Studium wird folglich ab Oktober 2021 für Ungeimpfte rund zweihundert Euro kosten. Wer kann das bezahlen? Und inwiefern steht diese „3G-Entscheidung“ für Hochschulen im Einklang mit dem Grundgesetz? Gar nicht.

Für Egzon Balaban, der in Osnabrück Wirtschaftspsychologie studiert, geht es aber nicht nur um die finanzielle Seite, und die Tatsache, dass in Zukunft voraussichtlich nur Studenten mit finanziellem Rückhalt die Uni besuchen können:

„Wer einer bestimmten Gruppe von Menschen das Recht auf Bildung verwehrt, beziehungsweise es ihr erheblich erschwert, davon Gebrauch zu machen, der handelt diskriminierend. Für mich ist nicht die entscheidende Frage, ob man sich impfen lassen möchte oder nicht, sondern, ob man für oder gegen die Diskriminierung von Ungeimpften, und somit Mitläufer oder kein Mitläufer ist. Ich kann mich glücklich schätzen, sowohl bei mir in der Heimat, als auch in Osnabrück einen Kreis zu haben, der die Impfentscheidung von mir und anderen respektiert.“

Für ihn steht fest, dass er ab Oktober 2021 kein Geld für den dann kostenpflichtigen Schnelltest ausgeben wird. „Kein normaler Student kann sich den Test mehrmals pro Woche leisten, und ich empfinde es zudem höchst unsolidarisch. Das bedeutet, ich werde nur mit den Skripten von zu Hause aus lernen, ohne Präsenzlehre.“

René Blaszevic aus Berlin meint: „Sollten die Universitäten tatsächlich auf Präsenzbetrieb umstellen und diesen nur noch unter 3G-Bedingungen zulassen, werde ich das Studium vorerst pausieren. Ich weigere mich, dieses System mitzutragen.“

„Menschen den Zugang zu Bildung zu verwehren, heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht vorzuenthalten“ ... hier weiterlesen:https://apolut.net/menschenrecht-bildung-nur-fuer-geimpfte-von-camilla-hildebrandt


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