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Opfer des eigenen Denkens | Von Rüdiger Rauls

11 min • 25 mars 2024

Ein Kommentar von Rüdiger Rauls.


Seit dem Scheitern der ukrainischen Offensive im Sommer des vergangenen Jahres sind die Meinungsmacher des Westens in Unruhe geraten. Bestimmte zu Beginn des Krieges noch Überheblichkeit die Haltung gegenüber Russland, so geht heute die Angst um. Beides aber sind Ausgeburten eines Denkens, das sich immer weiter von der Wirklichkeit entfernt hat.


 Überheblichkeit und Verzweiflung


"Wenn die EU nicht richtig reagiert und die Ukraine nicht ausreichend unterstützt, um Russland aufzuhalten, sind wir die Nächsten."(1) Das ist die Einschätzung der Lage durch Charles Michel, den Präsidenten des Europäischen Rates. Immerhin handelt es sich bei Michel um einen führenden europäischen Politiker und nicht um einen hinterwäldlerischen Stammtischbruder aus irgendeinem Provinzkaff hinter dem Mond.


Doch mit diesen Befürchtungen steht Michel nicht alleine da, wie die sich überschlagenden Kommentare in den Medien über Russlands Pläne und Putins Absichten belegen. Angesichts des Mangels an Munition, Waffen und Soldaten scheinen alle von Panik ergriffen zu sein, dass die Ukraine dem Vordringen Russlands nicht mehr lange standhalten könnte. Diese Vorstellung von Bedrohung entspringt dem eigenen Denken und Handeln. Denn wo immer ein Gegner des Westens Schwäche zeigt, wird nicht nachgelassen, bis dieser in die Knie gezwungen ist.


Dass natürlich auch Putin und Russland so handeln werden, ist deshalb in den Augen der westlichen Meinungsmacher selbstverständlich. Da der Westen über Jahrzehnte gewohnt war, dass sich sein Denken weltweit durchsetzt und zu einem globalen Maßstab geworden ist, kann es nach seiner Sicht gar nicht anders sein, als dass dieselben Überlegungen auch Russlands Handeln bestimmen. Wie sollte es also anders sein, als dass Putin die Schwäche des Westen nun nutzt, um ihm früheren Wortbruch nun mit doppelter Münzen heimzuzahlen?


Eine Erklärung für die Verbreitung solcher wirklichkeitsfernen Sichtweisen besteht in der bewussten Täuschung der Öffentlichkeit. Eine andere aber, die auch im Kreise der Kritiker weit verbreitet ist, ist die Verblendung. Man will die Wirklichkeit nicht wahrhaben, ist verfangen im eigenen Weltbild. Denn die Kehrseite dieser nun eingetretenen Panik ist die Überheblichkeit des Westens zu Beginn des Krieges, als man Russland als eine Tankstelle mit Atomwaffen belächelte. Panik jetzt wie die Verachtung vorher sind die zwei Seiten derselben Medaille: das Ausblenden der Wirklichkeit...


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Bildquelle: fran_kie/ Shutterstock.com


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