Als Fatma ihren zukünftigen Ehemann vorgestellt bekommt, will sie ihn nicht heiraten. Auch die Mutter ist dagegen, doch der Onkel überredet sie. Diese Heirat sei die Gelegenheit für Fatma und ihre Brüder, der Armut zu entkommen, denn der Ehemann wolle sie mit nach Deutschland nehmen, wo er Arbeit habe. Die junge Frau beugt sich dem Familienbeschluss und muss schnell feststellen, dass dies nicht das Land ist, wo es „fliegende Kutschen, singende Kühe und tanzende Flüsse“ gibt, wie es an einer Stelle des Romans „Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter heißt. Bis zuletzt glaubt die in Anatolien gebliebene Familie, Fatma pflücke „die deutsche Mark wie Birnen von den Bäumen“.
Der Lyriker und Verleger Dinçer Güçyeter beschreibt die Geschichte einer Familie über drei Generationen: angefangen bei der Nomadentochter Hanife über deren Tochter Fatma, die nach Deutschland geht und dort ihren Sohn Dinçer zur Welt bringt. Er erzählt vom Finden einer neuen Heimat, das mit dem Finden einer großen Teekanne verbunden ist, beschreibt, wie sich Fatma zwischen der harten Arbeit in einer Auto-Zulieferfabrik und der Kneipe ihres Mannes aufreibt, um die Familie versorgen zu können. Er berichtet in schonungslosen, klaren Sätzen von untreuen Männern, alten Ehrvorstellungen und den Frauen, die darunter leiden. Er erzählt von dem, was passiert, wenn die sogenannten Gastarbeiter sich kaputt gearbeitet haben, und was es heißt, als Junge ein Leben gegen die Erwartungen der Familie führen zu wollen.
Wir haben mit Dinçer Güçyeter über die eigene Familiengeschichte und die Stimmen- und Formenvielfalt seines Buchs gesprochen, über den Platz von Schriftstellern mit türkischen Wurzeln in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und den wilden Entschluss, einen eigenen Verlag zu gründen.
Abschließend stellen wir noch ein neues Literaturrätsel, verraten die Lösung aus dem Oktober und natürlich auch, wer diesmal unseren Buchpreis gewonnen hat.
„Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter auf der Website des Mikrotext Verlags
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