Das Leben der Bäuerin hat sich in den letzten 100 Jahren rasant verändert. Viele Bäuerinnen mussten ihre Höfe aufgegeben, andere haben sich behauptet. Es ist die Geschichte einer Emanzipation, nicht nur als Frau, sondern auch als Bäuerin innerhalb unserer Gesellschaft. (BR 2022) Autorin: Julia Zantl
Credits
Autor/in dieser Folge: Julia Zantl
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Johannes Hitzelberger, Michael Hafner, Beate Himmelstoß
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Matthias Eggert
Das Manuskript zur Folge gibt es HIER.
Im Interview:
Sabine Schindler (Kreisbäuerin Schwandorf);
Carola Wimschneider (Tochter von Anna Wimschneider);
Simone Helmle (Dr.; promovierte und habilitierte Soziologin);
Barbara Steinberger (Landwirtin)
Linktipps:
Eine sehenswerte Dokumentation über den Beruf Bäuerin finden Sie in der ARD Mediathek (Online bis 01.03.2024):
Beruf Bäuerin - 100 Jahre FrauenGeschichte
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Hier gibt es eine weitere spannende Folge von radioWissen:
Anna Wimschneider - Naturalismus auf Niederbayerisch
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLER:
(Traktorgeräusch…) Barbara Steinberger fährt mit einem GPS betriebenen Traktor Düngemittel aus. Was auf der Straße noch Zukunftsmusik ist, ist in modernen Agrarbetrieben gelebte Realität. Barbara muss nicht mehr lenken. Der Boardcomputer berechnet, wann der Traktor auf dem Feld wendet, um in den richtigen Abständen zu düngen. Eine riesige Arbeitserleichterung, denn Barbara kultiviert auf diesem Feld so genannte Sonderkulturen wie Margeriten zur Samenvermehrung. Daher gibt es keine Fahrrinnen, nach denen sie sich ohne GPS einfach orientieren könnte.
1 BABI STEINBERGER:
(Traktorgeräusch…) bei unseren Sonderkulturen bauen wir keine Fahrgassen. Und deswegen ist es für uns eine extreme Erleichterung, weil wir eben die Spuren anlegen und mit einem Düngestreuer oder mit der Spritze ist es halt für uns so viel einfacher, weil wir von Haus aus wissen, wo müssen wir jetzad mit einer Arbeitsbreite von 24 Meter fahrn? Weil früher haben wir das Ganze dann manuell ausgesteckt mit flexible Stecker, damit wir halt wissen, wo mir fahrn und das sparen wir uns so!
ERZÄHLER:
Barbara hat Landwirtschaft studiert und wird in den nächsten Jahren den elterlichen Betrieb im niederbayerischen Leibelfing übernehmen. Außerdem arbeitet sie in Teilzeit als Produktmanagerin in einem großen Landtechnikunternehmen. Und als Lebenspartner hat sie sich keinen Landwirt, sondern einen Steuerberater ausgesucht.
Entscheidungsmöglichkeiten, von denen eine Bäuerin vor 100 Jahren nur hätte träumen können. Eine Bauerstochter wurde entweder Magd oder Bäuerin durch Heirat. Kaum eine entkam diesem Schicksal.
Barbara hingegen hat sich bewusst und nach reiflicher Überlegung für den Beruf entschieden.
Als „Bäuerin“ würde sie sich allerdings nicht bezeichnen.
2 BABI STEINBERGER:
I dad mi als Landwirtin bezeichnen. Unter Bäuerin versteh ich wirklich eher wie es damals war, also z.B. meine Oma, die würde ich als Bäuerin bezeichnen und Landwirtin find I unterstreicht eher des Moderne. Also I dad mi ned als Bäuerin bezeichnen.
ERZÄHLER:
Barbara Steinberger ist mit ihrer Meinung nicht allein. Nur jede zweite Landfrau in Bayern, die in einer Studie 2019 befragt wurde, würde sich selbst als „Bäuerin“ bezeichnen. „Bäuerin“ ruft bei vielen teils negative Assoziationen hervor wie: „altbacken“, „kein Beruf“ oder „aussterbend“. 86% der Befragten nehmen das Ansehen der Bäuerin im Vergleich zu anderen Berufen als niedrig wahr. Und fast alle schmerzt es, dass das Image ihres Berufs so schlecht sei. Ein Blick ins Agrarlexikon verrät folgendes über den Begriff Bauer bzw. Bäuerin:
ZITATOR:
Traditionelle Bezeichnung für Landwirte/Landwirtinnen. Sie wird heute weiterhin benutzt, weil sie in der Bevölkerung fest verankert ist. Sie erinnert auch an den früheren Stand der Bauern.
ERZÄHLER:
Das Berufsbild „Bäuerin“ hat sich in den letzten 100 Jahren stark gewandelt. Harte körperliche Arbeit, hohe Kindersterblichkeitsrate und Kampf gegen Hunger waren keine Seltenheit. Vor allem in Bayern, wo es schon immer viele kleine Höfe gab, waren die Bauern oft Selbstversorger und kamen gerade so über die Runden.
Eine der bekanntesten Bäuerinnen erblickte 1919 im Landkreis Rottal-Inn das Licht der Welt: Anna Traunsbuger. Als Anna Wimschneider wurde sie später berühmt. Ihre Lebenserinnerung „Herbstmilch“, welche sie in den 1980er Jahren aufschrieb, ist das vielleicht authentischste und persönlichste Zeugnis einer Bäuerin ihrer Zeit und wurde zu einem ungeahnten Erfolg.
Die gleichnamige Verfilmung von Joseph Vilsmaier heizte den Rummel an. Monate lang blieb „Herbstmilch“ auf Platz 1 der Spiegel Bestsellerliste.
Ihre Erzählung beginnt mit dem traumatischen Erlebnis ihrer Kindheit.
MUSIK: „Wintersonnwende“ – CD80466#002 – (0:36)
ZITATORIN, aus Herbstmilch, S.7:
Wir warteten. Dann zogen wir die Stiege hinauf in die obere Stube. Es begegneten uns zwei Männer in weißen Kitteln. Zwei Nachbarinnen standen da, und der Vater und alle weinten. Die Mutter lag im Bett, sie hatte den Mund offen und ihre Brust hob und senkte sich in einem Röcheln. Im Bettstadl lag ein kleines Kind und schrie, was nur rausging. Wir Kinder durften zur Mutter ans Bett gehen und jedes einen Finger ihrer Hand nehmen.
ERZÄHLER:
Anna war gerade einmal acht Jahre alt, als ihre Mutter im Kindsbett starb. Sie war das vierte von neun Kindern und die älteste Tochter und musste von nun ab die Hausarbeit übernehmen: Einheizen, Kochen, Wäsche mit der Hand waschen und sich um ihre kleineren Geschwister kümmern. Wenn alle im Bett waren, flickte Anna die durchlöcherte Wäsche der Großfamilie, bevor sie selbst Schlafen gehen durfte. Oft fielen ihr schon vorher die Augen zu. Morgens stand Anna um 5 Uhr auf, macht Frühstück für den Vater und die älteren Brüder, melkte die Kühe und versorgte schließlich die kleinen Geschwister, bevor Sie selbst in die Schule gehen konnte.
MUSIK: „Wintersonnwende“ – CD80466#002 – (0:24)
ZITATORIN, aus Herbstmilch, S. 23
„So kam ich immer zu spät. Der Lehrer hatte viel Verständnis, aber der Pfarrer nie. Der schimpfte mich jeden Tag, weil ich nicht zur Schulmesse kam. Er sagte, ich müsse eben früher aufstehen, meine Brüder kämen ja auch.“
ERZÄHLER:
Anna ging nur fünfeinhalb Jahre in die Schule und wurde dann wegen der Notlage am Hof befreit.
Annas älteste Tochter, Carola Wimschneider, erinnert sich noch gut daran, dass ihre Mutter gern länger in die Schule gegangen wäre und einen Beruf erlernt hätte.
3 CAROLA WIMSCHNEIDER: (09:51)
Sie wollte immer Krankenschwester werden. Der Wunsch hat sich für Sie nie erfüllt. Ja. Inoffiziell muss man sagen, weil sie hat ja dann die alten Leute in Schwarzenstein am Hof, den Onkel Albert, Tante Linie und Onkel Otto. Die hatte sie dann über Jahre hin zur Pflege, und da hat sie den Beruf ausreichend ausüben können. Ja, aber eben dieses offizielle Krankenschwester-lernen, das hat sich für sie nicht erfüllt.
MUSIK: „Knechtl“ – C141555#013 – (0:07)
4 SIMONE HELMLE0:09:40:
Frauen hatten in dieser Zeit eigentlich kaum Chance auf Bildung. Sie haben oft ein bisschen lesen gelernt, ein bisschen rechnen gelernt. Wenn sie nicht Mägde geblieben sind, sondern verheiratet wurden, muss man, glaube ich, fast noch sagen, dann sind sie sozusagen: war Kinder bekommen, den Hof sichern, aber auch für die Arbeitskräfte sorgen, den Haushalt zusammenhalten und in der Sozialgemeinschaft funktionieren.
ERZÄHLER:
Dr. Simone Helmle ist habilitierte Sozialwissenschaftlerin und hat Gartenbau studiert. Sie hat sich intensiv mit der Geschichte der Bäuerin in Bayern beschäftigt – auch aus soziologischer Perspektive.
5 SIMONE HELMLE0:09:40:
So als Einzelperson, so wie wir Frauen uns heute sehen und das ist ja auch das, was Anna Wimschneider sehr eindrücklich schildert, kamen Frauen damals eigentlich nicht vor. Das galt aber für alle Menschen auf dem Hof. Also dieses „ich“, was wir heute kennen, was uns ja auch antreibt, was wir ständig reflektieren, über was wir unsere Persönlichkeitsreife oder -Entwicklung auch definieren, das gab es in bäuerlichen Familien, vor 100, 120 oder 50 Jahren so eigentlich nicht. Das war eine Sozialgemeinschaft.
ERZÄHLER:
Eine Sozialgemeinschaft, die das eigene Überleben sicherte, aber aus der es auch kaum ein Entkommen gab.
Für Anna war klar, um den Hof des Vaters zu verlassen, muss sie einen heiratswilligen Mann finden. Und sie hatte Glück, mit 18 Jahren traf sie ihren Albert. Doch schon wenige Wochen nach der Hochzeit 1939 wurde er in den 2. Weltkrieg eingezogen. Und so fand sich Anna auf dem Hof ihres Mannes wieder mit vier alten Leuten, darunter einer Schwiegermutter, der sie nicht gut genug war.
Im Sommer ging ihr Alltag noch früher los.
MUSIK: „Wintersonnwende“ – CD80466#002 – (0:36)
ZITATORIN aus Herbstmilch, S. 91:
„Um zwei Uhr morgens mußte ich aufstehen, um zusammen mit der Magd mit der Sense Gras zum Heuen zu mähen. Um sechs Uhr war die Stallarbeit dran, dann das Futtereinbringen für das Vieh, im Haus alles herrichten und wieder hinaus auf die Wiese. Ich musste nur laufen. Die Schwiegermutter stand unter der Tür und sagte, lauf Dirndl, warum bist du Bäuerin geworden? Sie aber tat nichts.“
ERZÄHLER:
Anna war während des Krieges einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt wie viele andere Bäuerinnen. Die Männer waren an der Front und kamen nur selten zum sogenannten Fronturlaub nach Hause. So mussten die Frauen sich um den Haushalt und gleichzeitig um die harte Feld- und Stallarbeit kümmern. Als Anna auch noch schwanger war, erkämpfte sie sich einen sogenannten „Betriebshelfer“ bei der Kreisbauernschaft, der von nun ab mitarbeitet.
1944 waren fast die Hälfte aller Beschäftigten in der Landwirtschaft Zwangsarbeiter.
6 SIMONE HELMLE0:09:40:
In der Nazizeit, nicht ganz einfach letztendlich darüber zu reden, aber in der Propaganda ist die Frau, insbesondere die Bäuerinnen, aber auch die Frauen im ländlichen Raum sehr stark überhöht worden. Also man hat es eben so propagiert, dass diese Frauen gesünder, stabiler, belastbar sind. Und das war in der jüngeren Geschichte das erste Mal, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit eine sehr starke Aufmerksamkeit bekommen haben, also wirklich ambivalent zu betrachten. Teil der Propaganda, aber eben auch Teil der Aufmerksamkeit.
ERZÄHLER:
In der Nachkriegszeit hat Deutschland vor allem ein Anliegen: die Ernährungssicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten und die Wirtschaft anzukurbeln. Die Bäuerinnen leisten dazu einen beträchtlichen Teil.
7 SIMONE HELMLE:
Ich war jetzt selbst wirklich noch einmal erstaunt zu sehen, dass eben in den 50er Jahren dreifach so viele Frauen in der Landwirtschaft gearbeitet haben wie Männer. Das geht eben auf die Berufstätigkeiten, die Zuerwerbe der Männer zurück. Und dass die Frauen eben insbesondere in den kleineren Höfen wie so eine Art Subsistenz-Landwirtschaft gemacht haben.
ERZÄHLER:
Dr. Simone Helmle hat vor allem ab der Nachkriegszeit die Bäuerinnen-Studien und die Landwirtschaftlichen Wochenblätter durchforstet. In den 50er Jahren war vor allem die Überlastung der Bäuerinnen und die Landflucht ihrer Töchter ein großes Thema. Dr. Helmle fasst es in ihrem Buch „Bäuerinnen, Versorgerinnen, Botschafterinnen“ so zusammen :
ZITATOR, S. 86:
„Bäuerin darfst Du mir einmal nicht werden! Sei der Ratschlag, welchen die Bäuerinnen ihren Töchtern mitgäben. Als wichtigste Ursache der Abwanderung der weiblichen Dorfbewohner wurde die überarbeitete Mutter und ihre „ständige Übermüdung und Freudlosigkeit“ angesehen.
ERZÄHLER:
Das waren auch die großen Themen, denen sich die 1948 gegründete Landfrauengruppe im Bauernverband annahm. In den 50er und 60er Jahren gründeten die Landfrauen die Bäuerinnenschule, das Erholungsheim in Oberammergau und den Bäuerlichen Hilfsdienst. Doch die Abwanderung vieler junger Frauen in städtische Regionen konnten sie nicht abwenden. Auch Anna Wimschneider riet ihren Töchtern einen anderen Beruf zu erlernen. Carola erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihrer Mutter mitteilte, wofür sie sich entschieden hatte.
8 CAROLA WIMSCHNEIDER 10:30:
Wie ich ihr das erzählt hab, da saß sie im Stall bei einer Kuh. Und da hab i gsagt: Mutti, I lern Krankenschwester und dann hat sie auf der Stelle den Kopf an die Kuh hingelegt und hat angefangen zu weinen. Des hat sie soo gfreit.
MUSIK: „Knechtl“ – C141555#013 – (0:07)
ERZÄHLER:
Währenddessen vollzog sich ein rasanter Strukturwandel in Bayern - nach dem Motto „Wachsen oder Weichen“. Dank des technischen Fortschritts konnten die Bauern nun immer mehr Nahrungsmittel produzieren, mussten auf der anderen Seite jedoch in teure Technik investieren. Summen, die nicht alle stemmen konnten oder wollten. So nahm die Zahl der Betriebe kontinuierlich ab. Während es 1950 in Deutschland noch ca. 2 Millionen Bauernhöfe gab, waren davon 1970 fast nur 1 Millionen übrig. Auch die Wimschneiders fällten schließlich die Entscheidung aufzuhören: 1971 verpachteten sie ihre Grundstücke und gaben auf. Ihr Buch „Herbstmilch“ endete Anna Wimschneider mit den Worten:
MUSIK: „Wintersonnwende“ – CD80466#002 – (0:14)
ZITATORIN:
„Wenn ich noch einmal zur Welt käme, eine Bäuerin würde ich nicht mehr werden.“
ERZÄHLER:
Doch die 70er Jahre waren auch eine Zeit des Umschwungs. In München tobten die Studentenrevolten. Die Landwirtschaft stand wegen schädlicher Einträge in Boden, Gewässer und Luft in der Kritik und die Umweltbewegung erstarkte.
Auch in der Landfrauengruppe tat sich was: Sie erstrittet sich endgültig das Wahlrecht für alle Ortsbäuerinnen. Eine Landfrau erinnerte sich in einem Brief an Dr. Simone Helmle:
ZITATOR:
(aus „Bäuerinnen, Versorgerinnen, Botschafterinnen“, S. 46):
„Einer von den Kollegen, der hat gesagt, „aber liebe gnädige Frau, die Männer wissen doch besser, welche Ortsbäuerin zum Ortsobmann passt und das ist doch bis jetzt gut gegangen.(…) da hab ich mich zu Wort gemeldet und gesagt: „ich verstehe gar nicht, was sie überhaupt für eine Meinung von Frauen haben. Die Frauen sind doch jetzt selbst fähig und können doch selber wählen.“
9 SIMONE HELMLE (2_00:42):
Frauenbewegung, Studentenproteste, eigentlich eine Gesellschaft in Aufruhr und während dieser Zeit läuft eine Debatte, ob die Frauen im Bayerischen Bauernverband in der Lage seien, ihre Vertreterinnen als Ortsbäuerinnen und Kreisbäuerinnen selbst zu wählen. Und das war eine Ungleichzeitigkeit, die man sich größer erst einmal kaum vorstellen kann. Die Frauen haben es durchgesetzt, das erscheint uns aus heutiger Sicht total skurril, ((aber vielleicht steht sie auch wirklich für die Lebensentwürfe, die unterschiedlicher kaum hätten sein können zwischen Frauen die in der Frauenbewegung engagiert waren und den Lebensrealitäten von Frauen, auf Höfen in den 60er Jahren.))
10 CAROLA WIMSCHNEIDER
Die Achtundsechziger Zeit hat bei uns noch keine Rolle gespielt. Aber im Grunde waren immer diese Bäuerinnen die graue Eminenz, die hinten gesteuert haben, die bestimmt haben was wird gekauft? Wie wird der Hof weitergeführt? Was wird als nächstes angeschafft. Die waren nicht Heimchen am Herd, die sich alles gefallen lassen. Sie haben zwar nicht die politische Anerkennung gehabt, aber sie waren in ihrer Rolle durchaus dominant und auch sehr selbstbewusst.
MUSIK: „Stork‘s Walk“ - C158779#108 – (1:03)
ERZÄHLER:
Viele Bäuerinnen, das zeigt die Geschichte, sind einen alternativen Weg zu „Wachsen oder Weichen“ gegangen. So ruhten die Einnahmen der Höfe bereits vor 100 Jahren meist auf mehreren Standbeinen. Wenn möglich hatte man, um Risiko zu streuen, „von jedem etwas“: ein paar Schweine, ein paar Hühner, ein paar Kühe und vielfältigen Anbau. Als die Betriebe immer mehr zu Spezialisierung gezwungen wurden, schauten sie sich nach weiteren Einnahmequellen um.
So vermieteten schon in den 60er Jahren viele Bäuerinnen Fremdenzimmer – in denen zuvor Flüchtlinge untergebracht waren. Bereits 1969 stellte die Landfrauengruppe in mühsamer Recherche ein erstes Adressverzeichnis der Höfe zusammen, welche „Urlaub auf dem Bauernhof“ anboten. Durch den direkten Kontakt mit den Sommerfrischlern entdeckten die Landfrauen in den 70er Jahren auch die Direktvermarktung der Erzeugnisse wieder für sich, welche die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren verboten hatten.
11 SIMONE HELMLE
Das Standbein der Direktvermarktung, das war ja früher also was ganz, ganz klassisches. Andere Vermarktungswege gab es sehr lange Zeit überhaupt nicht. Aber das ist sozusagen in den 70er-Jahren wieder entdeckt worden. Im Ökolandbau total stark, heute mit den Grünen Kisten mit den Abo-Services. viele Höfen, auch konventionellen Höfe haben Automaten, wo Eier, Butter, vakuumiertes Fleisch, Käse, Milch - solche Produkte eben gezogen werden. Heute haben diese ganzen Selbst-Erntefelder Blumen, Erdbeeren eine relativ große Bedeutung. Und hier bei dieser Diversifizierung da waren oft die Frauen die treibenden Kräfte.
ERZÄHLER:
Und die Landfrauen brachten immer öfter eigene Berufe mit in die Betriebe und setzten damit so Impulse.
Heute haben 60 % der Landfrauen einen außerlandwirtschaftlichen Beruf – von der Gärtnerin bis zur Sozialpädagogin. Viele bringen ihr Wissen in den Betrieb ein oder arbeiten nebenbei:
12. OTON: SIMONE HELMLE:
„Heute würde ich sagen, es ist eigentlich nicht die Frage wachsen oder weichen, sondern es ist die Frage des unternehmerischen Geschicks. Und wie gestalte ich den Hof so, dass er zu den Menschen, die den Hof machen, mit den Bedingungen, die der Hof hat - das ist der Naturraum, aber es ist auch das Umfeld, die Nachbarschaften, Kooperationsmöglichkeiten, so dass es zu den Menschen passt, die den Hof machen.
ERZÄHLER
Laut statistischem Landesamt geben zwar weiterhin viele Höfe auf, doch die Anzahl der Betriebe, die auf ökologischen Landbau umsteigen, nehmen zu. Wer heute eine Landwirtschaft übernehmen will, der braucht eine Zukunftsvision, eine Menge Wissen, Kreativität und Leidenschaft für seinen Beruf.
13 SABINE SCHINDLER1 [0:00:36] :
Da fehlt das „-ung“ in der Überschrift also ich glaube, das hängt unmittelbar zusammen. Das ma Bäuerin… des ist nicht, ein Beruf, den ma ausübt, des ist a Lebensmodell.
ERZÄHLER:
Ein Lebensmodell, in das Sabine Schindler, die sich heute gerne Bäuerin nennt, selbst erst noch hineinwachsen musste. Seit 2007 lebt sie auf dem Hof ihres Mannes in Nittenau im Landkreis Schwandorf. Eigentlich ist sie Sozialpädagogin und stammt auch nicht von einem Bauernhof. Doch wie das Schicksal es wollte, verliebte sie sich Hals über Kopf in einen Landwirt.
14 SABINE SCHINDLER [0:14:07] :
Eine Bäuerin zu werden. Ich sag's ganz knallhart. Das war die Vorstellung, nur noch zu Hause sein, genau dieses Klischee „Hausmütterchen“. Und das konnte ich mir 0,0 vorstellen. Ich habe dem Martin zu der Zeit immer gesagt, solltest du mal diesen Nebenerwerbs-Bauernhof vergrößern wollen oder irgendwie einen Stall bauen, dann haue ich ab, und das war zwischen uns ganz klar ausgesprochen. ((Und irgendwann kam er aber dann mit der Idee und mit der Vorstellung, er kann aber nicht leben ohne Bauernhof und er muss Landwirt werden, weil er in seinem anderen Beruf nicht glücklich sein wird. Und dann hat Gott sei Dank, kam jemand vom Landwirtschaftsamt, die uns damals begleitet haben auch mit dem Stallbau beraten haben und der hatte dann die zündende Idee mit dieser Erlebnisbäuerin und ob das nicht als Zusatzqualifikation jetzt als Sozialpädagogin im besonderen eine gute Idee wäre, dass ich das als Nische sozusagen, als meinen Bereich hier auf dem Hof ausüben könnte und der Herr Wagner hat tatsächlich uns damals gerettet als Paar. ))
ERZÄHLER:
Die Zusatzqualifikation zur Erlebnisbäuerin war der Startschuss für Sabines eigene berufliche Laufbahn. Über zehn Jahre führte sie Besucher aller Altersklassen über den Hof und erklärte woher die Lebensmittel kommen, wie die Tiere leben und wie sie arbeitet.
Offiziell nennt sich das „Verbraucheraufklärung“ – ab den 90er Jahren ein großes Thema der Landfrauen.
MUSIK: „Stork‘s Walk“ - C158779#108 – (1:45)
ERZÄHLER:
So fand etwa 1998 fand auch der erste Kindertag auf bayerischen Bauernhöfen statt, schon damals ein unerwarteter Erfolg: 60 000 Kinder besuchten über 1000 Betriebe. Projekte wie „Landfrauen machen Schule“ folgten.
15 SABINE SCHINDLER:
Wir waren ganz gut frequentiert und dadurch ist der Hof wieder lebendig geworden, es hat sich was bewegt und da hat‘s gewuselt. Und das hat uns allen, glaube ich, sehr gut getan.
ERZÄHLER:
Mittlerweile ist Sabine Schindler Kreisbäuerin von Schwandorf. Mit diesem Ehrenamt will sie sich für die Landfrauen, aber auch für die Gesellschaft im Allgemeinen einsetzen. Und damit ist sie nicht allein. Laut einer Studie von 2019 sind fast zwei Drittel der Landfrauen trotz hoher Arbeitsbelastung ehrenamtlich aktiv.
Bäuerinnen - das sind heute Hofmanagerinnen, Landwirtinnen, Sozialpädagoginnen, Bürofachangestellte und vieles mehr. Der Beruf „Bäuerin“, das ist ein Lebensmodell mit vielen Facetten, das die Landfrauen bis heute vor große Herausforderungen stellt - gleichberechtigt mit Zukunftsvision und Leidenschaft für ihren Beruf.