50 Kilometer quer durch ein Gebirgsmassiv: Moderne Tunnelbau-Technik macht es möglich. Doch schon die Römer bahnten sich ihren Weg durch etliche hundert Meter Fels und Gestein - ohne Maschinen und die Hilfe von Geologen. (BR 2019) Autor: David Globig
Credits
Autor dieser Folge: David Globig
Regie: Axel Wostry
Es sprachen: Susanne Schroeder
Technik: Adele Kurdziel
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Prof. Dr. Klaus Grewe, Vermessungsingenieur und Archäologe;
Prof. Kurosch Thuro, Lehrstuhl für Ingenieurgeologie, TU München;
Sebastian Heer, Bahnigenieur und ehemals Teamleiter eines Tunnelbauprojekts der Deutschen Bahn;
David Salameh, Projektmanager, Herrenknecht AG
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Am 15. Oktober 2010 findet in den Alpen ein Ereignis statt, das weltweit für Aufsehen sorgt und so einzigartig ist, dass das Schweizer Fernsehen live davon berichtet. Schauplatz: die Baustelle des Gotthard Basistunnels.
01 ZUSPIELUNG Reportage SF, darüber:
SPRECHERIN:
Einige hundert Bauarbeiter und Offizielle starren wie gebannt auf eine Spritzbeton-Wand. Ein Rumpeln ist zu hören, immer mehr Risse durchziehen die Fläche. Dann brechen die ersten Teile der Wand zusammen und ein riesiger rotierender Bohrkopf wird sichtbar. Jubel brandet auf. Mitten im Fels der Schweizer Alpen sind die Röhren, die die Arbeiter von zwei Seiten aus ins Gestein getrieben haben, exakt aufeinander gestoßen. Der erste Durchbruch für den 57 Kilometer langen Gotthard Basistunnel ist geschafft.
GERÄUSCH Hammer und Meißel, darüber:
SPRECHERIN:
Tunnel sind keine Bauwerke unserer Zeit. Die Anfänge reichen zurück bis zu den Menschen der Frühkulturen.
Sie haben mit primitiven Werkzeugen bereits Stollen und Kammern gegraben. Die ersten Tunnel im eigentlichen Sinne entstanden dann in der Antike. Angelegt mit Hammer, Meißel und Schaufel.
Eine wichtige Rolle spielte dabei anfangs das Wasser, erklärt der Vermessungsingenieur und Archäologe Klaus Grewe.
02 O-TON Grewe:
"Es beginnt mit den sogenannten Quanaten. So heißen die Tunnel, die die alten Iraner schon gebaut haben - wahrscheinlich schon 1000 vor Christus -, um Oasen und Siedlungsplätze mit Wasser zu versorgen. Da musste man Wasservorkommen weit entfernt erforschen und dann dieses Wasser heranbringen. Und dazu baute man Tunnel in einer ganz speziellen Technik, dass man nämlich in gewissen Abständen Schächte anlegte und von der Sohle der Schächte aus einen Vortrieb zum nächsten Schacht machte und sich so dann langsam auf einen Schacht vorarbeitete, den man am Anfang angelegt hatte, um zu erkunden wo überhaupt Wasser im Boden vorhanden ist."
SPRECHERIN:
Alle paar Dutzend Meter entstand so eine Art umgedrehtes T: ein Schacht, der in die Tiefe führte; und von dem aus nach zwei Seiten jeweils ein Querstollen angelegt wurde. Irgendwo zwischen den Schächten trafen die Querstollen aufeinander und bildeten schließlich eine durchgehende Verbindung.
AKZENT
SPRECHERIN:
Die Wasserversorgung sollte auch der Hiskia-Tunnel von Jerusalem sicherstellen, der etwa 700 vor Christus gegraben wurde.
Vermutlich ist er das erste Tunnelbauwerk, für das sich Menschen – anders als bei den Quanaten - von zwei Seiten aus durch einen Berg gearbeitet haben. Das geschah nicht einfach aufs Geratewohl.
03a O-TON Grewe:
"Man sieht im Tunnel sehr deutlich, dass man immer wieder Richtungskorrekturen vorgenommen hat. Und das bedeutet, dass man gemessen haben muss. Man hat also in gewissen Abständen, nach ein paar Metern Vortrieb, immer nachgemessen, wo bin ich eigentlich. Und wenn man falsch war, hat man korrigiert und es in eine andere Richtung weiter vorgetrieben. Dann wieder kontrolliert, bis man sich endlich gefunden hat, getroffen hat."
SPRECHERIN:
Auf den letzten Metern konnten sich die Tunnelarbeiter dabei jeweils am Geräusch der Werkzeuge im anderen Tunnelabschnitt orientieren. Irgendwann standen sich die beiden Arbeitstrupps tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
03b O-TON Grewe:
"Und darüber gibt es sogar eine Inschrift, die im Tunnel angebracht war: Man war sehr stolz, dass man das geschafft hatte. Und damit kann dieser Hiskia-Tunnel als der erste Großtunnel der Geschichte gelten."
SPRECHERIN:
Wobei sich das Bauwerk, trotz seiner Länge von mehr als 500 Metern, geradezu bescheiden ausnimmt im Vergleich zu einem Tunnel, der gut 100 Jahre später, also im sechsten Jahrhundert vor Christus auf der Insel Samos entstand. Der durquerte einen über 200 Meter hohen Berg. Darüber berichtete sogar der griechische Historiker Herodot ganz begeistert.
In seinen Augen war das, was die Bewohner von Samos geschaffen hatten, eines der gewaltigsten Bauwerke in ganz Griechenland.
ZITATOR:
"Sie gruben einen Tunnel, der am Fuße des Berges beginnt und zu beiden Seiten Öffnungen hat. Seine Länge beträgt sieben Stadien."
SPRECHERIN:
Nach heutigem Maß sind das etwa 1040 Meter: mehr als jeder andere Tunnel zu dieser Zeit. Und wieder einmal ging es dabei um die Wasserversorgung.
ZITATOR:
"Durch seine ganze Länge ist ein anderer Kanal geführt, durch den das Wasser in Röhren zur Stadt geleitet wird; es kommt aus einer starken Quelle. Baumeister dieses Tunnels war Eupalinos aus Megara, Sohn des Naustrophos."
SPRECHERIN:
Nicht nur durch seine Abmessungen ist dieser Tunnel etwas Besonderes: Eupalinos hatte ihn offenbar vorab ganz genau geplant. Trotzdem wurde es noch einmal spannend: nämlich in dem Moment, als sich die Tunnelbauer, die von beiden Seiten aus begonnen hatten, in der Mitte des Berges treffen sollten. Klaus Grewe.
05 O-TON Grewe:
"Eupalinos wendet ein ganz intelligentes Verfahren an, um sich wirklich zu treffen. Er hat nämlich in dem Moment, wo er sich eigentlich hätte treffen müssen, so ein bisschen Angst bekommen, es könnte nicht gelingen und er wäre dann der Blamierte gewesen. Und deswegen erfindet er etwas ganz Tolles, was nachher auch die Römer noch angewandt haben, nämlich einen, ich nenne das so, einen finalen Versicherungshaken. Das heißt, er stellt auf einer Seite den Vortrieb ein und auf der anderen Seite fährt er nicht geradeaus weiter vor, sondern macht einen Schlenker, so wie eine Sichel. Sichelförmig fährt er um den Treffpunkt herum und stößt dann von der Seite auf das Gegenbaulos. Und damit musste er sich eigentlich zwangsläufig immer treffen. Das war das Geniale des Eupalinos."
SPRECHERIN:
Noch heute ist das Bauwerk über die gesamte Länge begehbar – nachdem Archäologen es in den 1970er Jahren freigeräumt haben.
Spätestens seit Eupalinos hatten die Tunnelbaumeister der Antike sämtliche mathematischen, technischen und organisatorischen Grundlagen beisammen, die selbst riesige Vorhaben ermöglichten.
06 O-TON Grewe:
"Die Römer haben es natürlich, wie immer, ein bisschen übertrieben. Sie haben beispielsweise einen Tunnel angelegt, um dem Fuciner See einen Hochwasserschutz zu gewähren. Der Fuciner See ist in Mittelitalien, hat keinen natürlichen Abfluss. Und es gab immer bei Schneeschmelzen und starkem Regen Hochwasser, die das Land um den Fuciner See herum überfluteten. Und so haben schon die Marser, die da siedelten, haben schon dem Caesar in den Ohren gelegen: Bau uns doch einen Tunnel, damit das Wasser abfließen kann, wenn es ansteigt. Und Claudius macht es dann. So um 50 nach Christus baut Claudius einen Tunnel. Und der ist sechs Kilometer lang und hat Bauschächte von über 120 Metern Tiefe. Also ein gewaltiges Bauwerk, was natürlich auch ein Prestigeobjekt für den Kaiser war."
SPRECHERIN:
Alles immer noch in Handarbeit, nur mit Hammer, Meißel und Schaufel.
Der tägliche Baufortschritt war deshalb in den einzelnen Tunnelabschnitten wahrscheinlich nicht besonders groß. Immerhin haben die Archäologen hierfür Anhaltspunkte.
07 O-TON Grewe:
"Es gibt einen Tunnel, in dem hat man nach den Tagesschichten Markierungen angebracht. Und man kann danach sehen, dass man im durchaus festen Stein, also im Sandstein, pro Tag etwa 30 Zentimeter schaffte. Also für einen Tunnel, der zwei Meter hoch und 1,20 m breit war, ist das schon eine Leistung. Man kann sich ausrechnen, wie lange man dann für einen Kilometer braucht."
SPRECHERIN:
Trotzdem ist der Claudius-Tunnel am Fuciner See nach rund elf Jahren fertig.
Allerdings: mit dem Römischen Reich endete die Blütezeit des Tunnelbaus erst einmal. Während des gesamten Mittelalters entstanden, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine Tunnel von Bedeutung. Gebaut wurden höchstens kürzere Angriffs- oder Fluchtstollen unter Wehranlagen hindurch. Erst in der Neuzeit begann man wieder, "richtige" Tunnel zu planen. Und ab dem 17. Jahrhundert lernten die Tunnelbauer, auch unter Tage ein wirkungsvolles Hilfsmittel einzusetzen: Schwarzpulver.
GERÄUSCH Sprengung unter Tage
SPRECHERIN:
Die Möglichkeit, festes Gestein zu sprengen, erleichterte und beschleunigte die Arbeit immens; und die Sprengtechnik erlaubte auch größere Tunnel.
Mit der industriellen Revolution und dem Siegeszug der Eisenbahn setzte schließlich ein wahrer Boom beim Tunnelbau ein.
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
Im 19. Jahrhundert machte die Technik gewaltige Fortschritte: Stützende Schildkonstruktionen wurden entwickelt, die man langsam vorschieben konnte.
Sie schützten die Arbeiter, die den Tunnel vorantrieben, vor nachrutschendem Gestein und herabfallenden Felsbrocken. Druckluftbetriebene Bohrmaschinen hielten Einzug unter Tage. Alfred Nobel erfand das Dynamit. Eisenbahntunnel von zehn, 15 Kilometer Länge entstanden.
Doch je größer die Vorhaben wurden, desto deutlicher wurde auch, dass man schon vorher möglichst genau wissen sollte, auf welches Gestein man da tief unter der Erde trifft – und wie es sich verhält.
Solche Fragen können Fachleute wie Kurosch Thuro beantworten, Professor für Ingenieurgeologie. Er lehrt an der Technischen Universität München.
09 O-TON Thuro:
"Vor so einem Tunnelprojekt wird der Aufbau des Gebirges oder des Untergrundes sehr genau untersucht. Dafür gibt's auch Standards oder Vorschriften, wie man das tun soll. Und wenn das ordentlich gemacht wird und nach den Regeln der Technik erfolgt, dann weiß man eigentlich auch, was einen erwartet."
SPRECHERIN:
Dazu erkunden die Experten erst einmal die Oberfläche über dem künftigen Tunnel. Welche Gesteine sind dort zu finden? Oft gibt es bereits geologische Karten, die aber meist noch ergänzt und in einen kleineren Maßstab überführt werden müssen. Dann folgt ein erster Blick in die Tiefe – und zwar ein indirekter Blick. Etwa mit seismischen Verfahren. Denn Schallwellen sind in unterschiedlichen Gesteinen unterschiedlich schnell unterwegs. Und an Gesteinsgrenzen werden sie auf ganz charakteristische Weise reflektiert, gebrochen und gestreut.
Auch die elektrische Leitfähigkeit des Bodens verrät etwas über Strukturen unter der Oberfläche. Genauso wie Veränderungen des Magnetfelds der Erde und ihres Schwerefelds, also ihrer Anziehungskraft. Die ist über lockerem Gestein oder einem Hohlraum z.B. ein winziges bisschen geringer.
10 O-TON Thuro:
"Der nächste Schritt ist dann erstmal ein Profil zu zeichnen, ein sogenanntes geologisches Profil, wo man eben diesen Gesteins- und Gebirgsverband mal darstellt und sich überlegt, wie die Schichten im Untergrund verlaufen; welche Gesteine grundsätzlich vorkommen, wie sie angeordnet sind, wie ihre Lagerungsverhältnisse sind. Und anhand dieses Schnittes kann man dann schon mal die Problemzonen sehen und sich überlegen, was kann denn für den Tunnelbau Schwierigkeiten bereiten. Der zweite Schritt ist dann: In regelmäßigen Abständen werden Bohrlöcher gemacht, sodass man aus dem Untergrund auch wirklich die Gesteine zu Gesicht bekommt, ..." STIMME OBEN!
SPRECHERIN:
... die dann z.B. im Labor der Technischen Universität München untersucht werden. Etwa daraufhin, wie stark sich die Proben unter Druck verformen. Oder wie leicht sich bei schieferartigen Gesteinen einzelne Schichten voneinander trennen lassen.
11 O-TON Thuro:
"Wir versuchen da, die höchsten und auch die geringsten Festigkeiten herauszubekommen. Die höchsten Festigkeiten zeigen uns an, mit welcher Maschine man da durch fährt; also in Richtung Werkzeug und wie bewältige ich das auch technisch. Die geringsten Festigkeiten sagen mir etwas über die Stabilität aus."
SPRECHERIN:
Diese Daten fließen unter anderem in Computer-Simulationen ein. Die liefern z.B. die Information, wie standfest das Gebirge um den Tunnel herum ist. Davon wiederum hängt ab, ob und wie schnell man die Tunnelröhre beim Vortrieb mit Beton sichern muss - oder mit gebogenen Fertigelementen; und wie dick die endgültige Auskleidung der Röhre sein sollte.
Ob sie ein festes Material wie Granit vor sich haben oder ein weniger festes wie Mergel, das ist den Ingenieuren letztlich egal. Für beides gibt es die passenden Bauverfahren. Problematischer kann es jedoch werden, wenn sich unterschiedliche Gesteine abwechseln.
12 O-TON Thuro:
"Wenn die Festigkeiten sehr stark schwanken, dann hat man eigentlich die Schwierigkeiten, weil man seine Gerätschaften eigentlich drauf einstellen muss."
SPRECHERIN:
Je genauer die Geologen angeben können, durch was für Gesteinsschichten eine Tunneltrasse läuft, desto besser lässt sich der Bau planen und vorbereiten - und desto weniger Überraschungen gibt es.
Z.B. kann es ziemlich unangenehm werden, wenn ein Tunnelbau-Team ohne Vorwarnung auf eine sogenannte Störungszone trifft, betont Kurosch Thuro.
13 O-TON Thuro:
"In Störungszonen kann das Gebirge zerschert, zerbrochen und völlig zermahlen vorliegen. Sie können sich vorstellen, wenn Sie von was Festem in was reinkommen, was also so ist: völlig zerlegt bis hin zum Sand oder sogar noch feiner, und dann rieselt - oder mit Wasser wird es sogar reinfließen in den Hohlraum -, hat man also ganz große Probleme."
SPRECHERIN:
Wenn die Tunnelbauer aber auf solche Störungszonen vorbereitet sind, können sie gut damit umgehen. Auch in einem anderen Bereich ist die Vorarbeit durch Geologen wichtig: beim Grundwasser. Man kann heute zwar problemlos Tunnel unter einem Gewässer und durch grundwasserführende Schichten hindurch bauen – doch das kann sich auf die Umgebung auswirken: weil der Tunnel Wasser ableitet.
14 O-TON Thuro:
"Dadurch, dass jeder Tunnel grundsätzlich als Drainage wirkt, beeinflussen wir natürlich den Grundwasserspiegel. Wenn ich den Grundwasserspiegel absenke, können Landwirtschaftsflächen trockengelegt werden oder es können Quellen versiegen. Deswegen wird im Vorfeld auch eine sehr ausführliche Untersuchung hydrogeologischer Art gemacht, um zunächst eine Beweissicherung zu machen: Wo gibt es welche Quellen, wie stark schütten die und so weiter. Und dann wird simuliert, was passiert, wenn ich den Grundwasserspiegel absenke, ..."
STIMME OBEN! BITTE ABNEHMEN!
SPRECHERIN:
... woraus wiederum folgt, wie stark der Tunnelvortrieb das Grundwasser überhaupt beeinflussen darf.
MUSIK, darüber:
ATMO Baustelle, darüber:
SPRECHERIN:
Eine Tunnelbaustelle der Deutschen Bahn in Stuttgart im Jahr 2018. Teamleiter Sebastian Heer steht vor einer groben, grauen Betonwand. Sie soll vorläufig verhindern, dass sich Steine aus dem Fels lösen können.
Von hier aus wollen sich die Tunnelbauer in den Berg vorarbeiten. Etwas abseits steht dafür schon ein Spezialbagger bereit. Der muss sich zunächst durch die provisorische Betonschicht arbeiten, erklärt Sebastian Heer.
15 O-TON Heer:
"D.h., die jetzt hergestellte Wand nach vorne wird wieder aufgebrochen. Es wird ca. ein Meter Gebirge ausgebrochen und das ausgebrochene Gebirge wird dann abtransportiert; und die freigewordenen Bereiche werden dann mit Stahlmatten, Ausbaubögen und Spritzbeton wiederum gesichert. Dieser Prozess wird dann immer wieder wiederholt, ..."
SPRECHERIN:
... damit sich nirgendwo Steine aus der Tunneldecke oder den Wänden lösen können. Graben, sichern, graben, sichern – Meter für Meter. Sobald die Arbeiter in einem freigebaggerten Tunnelabschnitt Ausbaubögen und Stahlmatten befestigt haben, fährt die Betonspritzmaschine heran.
16a ATMO Betonspritze, darüber:
SPRECHERIN:
Aus einer ferngesteuerten, beweglichen Düse schießt flüssiger Beton und bedeckt innerhalb kürzester Zeit die Metallstrukturen. Wobei die graue Masse kaum verläuft und innerhalb weniger Sekunden erhärtet.
Allerdings ist die Spritzbeton-Schicht nur ein erster, vorübergehender Schutz. Damit der Bahntunnel hundert Jahre oder mehr überdauert, bekommt er noch eine Innenschale aus konventionellem Beton. Diese kann auch ganz anderen Kräften standhalten als eine vergleichsweise dünne Spritzbeton-Auskleidung. Gerade im Stuttgarter Raum ist das ein entscheidender Punkt.
17 O-TON Heer:
"Bei normalen Tunnelbauwerken hat man eine Innenschalenstärke von ungefähr 40 cm. Wir haben hier bei unserem Tunnelbauwerk teilweise Innenschalen-Stärken von einem Meter; die einfach erforderlich werden, um den geologischen Randbedingungen Rechnung zu tragen."
SPRECHERIN:
Zu diesen geologischen Randbedingungen zählt auch Anhydrit, ein Mineral, das sich bei Feuchtigkeit zu Gips umwandelt und dabei aufquillt.
Passiert das rund um einen Tunnel, können extreme mechanische Spannungen auftreten, mit denen die Tunnelröhre zurechtkommen muss.
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
Auf vielen Tunnelbaustellen wird nach wie vor mit Bohrhammer, Bagger und Dynamit gearbeitet. Doch bei großen Bahn- und Straßentunnelprojekten kommen seit den 1970er Jahren verstärkt auch riesige Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz. Z.B. beim Bau des Eurotunnels zwischen Frankreich und England. Auch im Gotthard Basistunnel arbeiteten sich insgesamt vier dieser Maschinen durch den Fels.
Die Bohrer sind regelrechte "Tunnelfabriken": mehrere hundert Meter lang, mit einem Stromverbrauch, wie ihn eine Ortschaft mit einigen tausend Einwohnern hat.
ATMO Tunnelbohrmaschine (aus ZUSPIELUNG 01), darüber:
SPRECHERIN:
An der Spitze der "Fabrik" frisst sich der Bohrkopf drehend ins Gestein, erklärt David Salameh.
Er ist Projektmanager bei der Herrenknecht AG, dem weltweit führenden Hersteller von Tunnelbohrmaschinen. Der Bohrkopf kann einen Durchmesser von bis zu 19 Metern haben, also etwa so groß wie ein sechsstöckiges Gebäude.
18 O-TON Salameh:
"Es ist eine große, flache Stahlscheibe, auf der die Werkzeuge dann sitzen. Und diese Werkzeuge sind, bei einem Hartgestein sind das sogenannte Schneidrollen, sind einzelne Rollen, Ringe, die auf der Scheibe angebracht sind. Und diese Ringe drücken sich in den Fels und der Fels platzt dadurch ab."
SPRECHERIN:
Bei jeder Umdrehung sammelt der Bohrkopf das abgeplatzte und zerkleinerte Material ein und lässt es auf ein Förderband im Inneren der Tunnelbohrmaschine fallen. Nächster Arbeitsschritt der "Tunnelfabrik": die Sicherung und Abdichtung der Tunnelröhre. Das geschieht z.B. mit Hilfe von Ringen aus Beton-Fertigteilen, Tübbings oder Tübbinge genannt. <David Salameh.
19 O-TON Salameh:
"Diese Tübbingsegmente sind typischerweise ca. zwischen 1,50 Meter und zwei Meter lang. Für einen kompletten Ring besteht der Ring aus ca. sechs bis acht einzelnen Segmenten, mit einem Gewicht zwischen ca. sechs und zwölf Tonnen pro Stück.
Und diese werden dann in den Tunnel gebracht, in den Bereich der Maschine; und werden dann in der Regel durch einen speziellen rotierenden Arm aufgenommen. Und dieser bringt sie dann in die entsprechende Position, wo sie dann verbaut wird.">
SPRECHERIN:
Das alles passiert im Schutz eines zylinderförmigen Stahlschildes, der direkt hinter dem Bohrkopf der Maschine sitzt.
In einem Arbeitsgang entsteht so die Innenschale des Tunnels. Nur der vordere Teil der Tunnelbohrmaschine bewegt sich durch den nackten Fels.
20 O-TON Salameh:
"Und das hintere Nachlaufsystem fährt auf Rädern praktisch schon im fertig gebauten Tunnel und wird hinten nachgezogen."
SPRECHERIN:
Je nach Gesteinsart "frisst" sich die "Tunnelfabrik" pro Tag bis zu 40, 45 Meter durch das Gebirge – und hinterlässt dabei eine gleichmäßige Betonröhre.
MUSIK, darüber:
SPRECHERIN:
In vielen Ländern spielen Tunnel eine wichtige Rolle in den Verkehrskonzepten für die nächsten Jahre. Aktuell wird z.B. am Brenner Basistunnel zwischen Österreich und Italien gearbeitet.
MUSIK kurz hoch, dann darüber:
SPRECHERIN:
Die erfolgreichen Riesen-Tunnelprojekte der vergangenen Jahrzehnte beflügeln die Phantasie von Planern und Ingenieuren.
So soll an der norwegischen Westküste nördlich von Bergen ein 1,7 Kilometer langer Schiffstunnel entstehen. Groß genug für kleinere Frachter und Kreuzfahrtschiffe, die so einen schwierigen Abschnitt in den norwegischen Gewässern umfahren könnten.
Selbst über einen Eisenbahntunnel unter dem Himalaja hindurch wird nachgedacht: von Tibet in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu.
MUSIK kurz hoch, dann darüber:
SPRECHERIN:
Auch wenn so etwas eher phantastisch klingt: Dank moderner Technologien und mehr als 2000 Jahren Erfahrungen im Tunnelbau sind solche Projekte heute durchaus realisierbar.
MUSIK hoch bis Schluss