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Nutztierställe im Wandel - Eine Frage der Haltung

23 min • 15 november 2023

Ställe für Nutztiere haben sich in den letzten 100 Jahren stark verändert. Früher waren sie einfach und selbst gebaut, heute sind Ställe ausgefeilte High-Tech-Anlagen. Was erzählt uns der Stall über das Verhältnis von Mensch und Tier? (BR 2022) Autorin: Silke Wolfrum

Credits
Autor/in dieser Folge: Silke Wolfrum
Regie: Silke Wolfrum
Es sprachen: Christian Baumann, Beate Himmelstoß
Technik: Wnfried Messmer
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Dr. Veronika Settele, Universität Bremen, Autorin von „Revolution im Stall“ und „Geschichte der Fleischarbeit“;
Prof. Dr. Wilhelm Pflanz, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

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Literaturtipps:

Veronike Settele (2022): Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfngen bis heute. C.H. Beck.

Veronike Settele (2020): Revolution im Stall. Landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland 1945 – 1990. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATORIN:

Vertikalfutterverteiler mit Volumendosierung

Ovulationssynchronisation mit terminorientierter Besamung

Mechanisierung der Stalldungwirtschaft

K (gespr. Kay) per H

SPRECHER:

Wer Tiere im Stall hielt, musste sich in den letzten 70 Jahren jede Menge Technik- und Management-Kenntnisse aneignen. Die guten alten Zeiten, als der Bauer oder die Bäuerin noch liebevoll eine überschaubare heterogene Tierherde individuell betreuten, sind längst vorbei. Aber: Gab es sie überhaupt jemals? War früher wirklich alles besser?

O-TON 1 Wilhelm Pflanz

Also in der Stallhaltung geht es den Tieren heute sicher besser als früher.

Im Sommer war das gut, vor allem, weil die Tiere auch fast alle Auslauf und Weidezugang hatten. Wenn Sie in der Wintersituation die Ställe anschauen: Die hatten manchmal keine Lüftung. Das waren kleine Tropfsteinhöhlen, weil so ein Tier auch Feuchtigkeit entwickelt, also über Wasserdampf und so weiter. Und das heißt, es war oftmals Anbindehaltung. Also da sind wir heute sicherlich weiter.

O-TON 2 Veronika Settele

Gleichzeitig waren die Umgangsformen, ja, also ich würde einfach nicht sagen für die Tiere früher besser. Also ich wehre mich gegen jede Form von Agrarromantik. Dazu habe ich jetzt in den Quellen wenig gefunden, was dazu Anlass gäbe. Also das Leben war karg, die Tierhaltung war anstrengend, sie war schmutzig und sie hatte nicht so das beste Standing. Es war kein attraktiver Beruf, als Knecht in einem Kuhstall Kühe zu melken.

SPRECHER:

Prof. Dr. Wilhelm Pflanz von der Hochschule für Landwirtschaft Weihenstephan-Triesdorf und die Historikerin Dr. Veronika Settele von der Uni Bremen sind sich einig: Weder für Mensch noch Tier war das Leben im Stall früher ein Zuckerschlecken. Wobei mit „früher“ die Zeit bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gemeint ist, denn dann erst vollzieht sich in den ost- wie westdeutschen Ställen das, was Veronika Settele in ihrer preisgekrönten Dissertation „Revolution im Stall“ nennt. 

O-TON 3 Veronika Settele

Und auch ist es dann nicht so zu imaginieren, dass alle Ställe gleich wurden zwischen 1950 und 90, aber dass doch im Wesentlichen eine starke Angleichung stattfand, wohingegen eben Ställe, also einfach Räume, in denen Tiere gehalten waren, sich sehr stark unterschieden, bevor industrialisierte oder rationelle Arbeitstechniken eingeführt worden waren.

MUSIK Decesive Minds (LC-05908; EAN/GTIN: 5055312813263) 0’18

SPRECHER:

In den Wirtschaftskrisen und Weltkriegen der vergangenen Jahrzehnte hatten die Menschen so viel Mangel erfahren, dass der Landwirtschaft einmütig das klare Ziel gesetzt wurde: Schluss mit der Not. Her mit dem Fleisch. Denn Fleisch gehört zum guten Leben!

O-TON 4 Wilhelm Pflanz

Das war gesellschaftlicher Konsens. Und deshalb hat sich die Landwirtschaft hier auch so entwickelt. Also es war ja nicht irgendwie von den Landwirten selber, sondern es hat die Politik, das hat die Wissenschaft, also meine Zunft, das haben wir gemeinsam entwickelt.

SPRECHER:

Ideen zur Produktivitätssteigerung gab es schon längst, sie wurden nur von den Landwirten kaum angenommen. Das änderte sich jetzt. Denn: Es fehlte an Arbeitskräften. Eimer schleppen, Ställe ausmisten, Karren schieben, das alles ist harte Handarbeit und Stallgeruch war keineswegs attraktiv. Also wanderten viele Arbeitskräfte in die Industrie ab, in der höhere Löhne, bessere Arbeitszeiten und Perspektiven winkten.

O-TON 5 Veronika Settele

Und diese Gemengelage führte nun in ein agrarpolitisches Programm, das versuchte, daraus das Beste zu machen, also den Bau von Ställen anzuregen, in denen mit wenig menschlicher Arbeitskraft viel Fleisch erzeugt werden konnte.

MUSIK Elliptyk News (LC-10483) 0’15

SPRECHER:

Eine bahnbrechende technische Innovation und enorme Arbeitserleichterung war hier die Melkmaschine, die zwar schon Ende des 19. Jahrhunderts erfunden worden war, sich aber erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts flächendeckend durchsetzte. 

O-TON 6 Veronika Settele

Während der Marketingkampagnen zur Einführung der Melkmaschine gab es die Messzahl. Die gibt es immer noch, aber sozusagen da ist sie aufgekommen so Kühe pro Stunde also K/h und mit dieser Kennzahl wurde versucht, Rinderhalter zum Kauf einer Melkmaschine zu überzeugen.

SPRECHER:

Per Hand konnten 6 – 8 Tiere pro Stunde gemolken werden, mit der Melkmaschine wurden daraus 50 bis 75 Kühe.

Wichtig war jetzt, mit der Maschine umgehen zu können. Das war alles andere als leicht. Immer wieder durchkreuzten Euter-Entzündungen die Pläne der Produktivität. Die Zitzen der Kühe passten nicht zur Maschine. Das führte einerseits dazu, dass man die Maschinen verbesserte, andererseits glich man die Kühe den technischen Notwendigkeiten an: 

Durch gezielte Züchtung wurden sie melkmaschinentauglich. Ein Prozess, der sich in der Tierhaltung stets wiederholen sollte: Neue Techniken verursachen neue Probleme. Man reagiert mit wieder neuer Technik, inklusive Zucht und Gentechnik. Dem zu Grunde liegt ein enormer Fortschrittsglaube.

MUSIK Elliptyk News (LC-10483) 0’15

Hielt man früher Rinder auch als Zugtiere und Düngelieferanten, wurden sie jetzt ausschließlich Produzenten von Milch und Fleisch. Ihr Kot wurde dabei mit Aufkommen des Kunstdüngers zum Problem.

O-TON 7 Veronika Settele

Weil eben die Aufstallung der Tiere zunehmend einstreulos wurde. Also es war kein Mist mehr, der mit Stroh vermengt war, sondern eben eine reine konzentrierte Version der Exkremente. Und heute haben wir ein Gülleproblem. Wohin mit der Gülle? Die Nitratbelastung steigt, die Eutrophierung der Gewässer ist nicht mehr beherrscht, durch eben die Konzentration vieler Tiere auf wenig Raum.

SPRECHER:

Bisher kostete das Entmisten der Ställe extrem viel Zeit, Kraft und Personal. Das änderte sich mit der Einführung des Spaltenbodens. Seitdem erledigen diese Arbeit die Tiere selbst, indem sie ihre Exkremente einfach nach unten treten. Dort werden diese dann über Rohre zu einer Dung-Sammelstelle transportiert. Voraussetzung dafür: Kein Stroh mehr im Stall, damit die  Exkremente fließen. „Nichts tragen, was fließen kann!“, lautete ein Motto von damals. 

O-TON 8 Veronika Settele

In der Rinderhaltung haben wir auch so einhergehend mit dem Spaltenboden die Anbindehaltung, also die gab es auch schon davor, sozusagen wurde jetzt nur der Bewegungsradius nochmal eingeschränkt, damit sichergestellt ist, dass die Tiere über den Spalten abkoten und urinieren, damit sozusagen die Entmistung tatsächlich möglichst rationalisiert werden konnte und man nicht doch mit Schaufel oder Besen unter der Kuh ausmisten musste.

SPRECHER:

Auch in der Schweinehaltung wurde der Spaltenboden Standard. Man erhoffte sich dadurch auch mehr Platz für noch mehr Tiere. Denn bisher brauchte es einen eigenen Mist-Platz für Schweine. Von Natur aus koten Schweine auf einem Extra-Platz, also nicht da, wo sie liegen. Dieser Mist-Platz fiel nun weg. Ihren so genannten Abortinstinkt konnten die Tiere nicht mehr ausleben. Ihr Bewegungsradius wurde immer geringer. 1975 betrug er für ein Schwein unter 35kg 0,45 Quadratmeter. 

MUSIK Genetic curiosity (LC-92557) 0’58 

Die hohe Konzentration von Schweinen auf geringem Raum brachte jede Menge neuer Probleme. Die Luft wurde so schlecht, dass Schweine erstickten. Also wurden Lüftungssysteme entwickelt, die das verhinderten. Die Enge im Raum führte zu „Stress“. Die Schweine begannen sich gegenseitig aufzufressen, vor allem bissen sie die Schwänze ihrer Artgenossen ab. Die Lösung war nicht mehr Platz für die Tiere, sondern das Abtrennen der Schwänze im Ferkelalter mit einem heißen Messer. Parallel züchtete man stressresistentere Schweine. Ausschlaggebende Kriterien bei allen Lösungsansätzen waren nicht das Tierwohl, sondern Rentabilität und Produktivität, wie Veronika Settele in ihrem Buch „Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfängen bis heute“ immer wieder klar darstellt. 

O-TON 9 Veronika Settele

Weil sich der Gesundheitsbegriff in der Tierhaltung mit ihrer Industrialisierung veränderte und zwar insofern, als dass gesundheitliche Probleme, die die Produktivität nicht beeinträchtigten, zunehmend hingenommen wurden und aber gesundheitliche Probleme, die die Produktivität beeinträchtigten, sehr stark in den Fokus der Tiermedizin rückte, die generell zu einer kontinuierlichen Begleiterin der Tierhaltung wurde.

SPRECHER:

Eine weitere Neuheit im Schweine-Stall: Die Kastenhaltung. Das Problem: Nach der Geburt erdrücken manche Muttersauen beim Hinlegen einige ihrer Ferkel durch ihr bloßes Gewicht. Die Lösung: Die Sau wird in einen Kasten bzw. eine Gitterbox gesperrt, die dies verhindert. Die Ferkel können gefahrlos an den Zitzen saugen, die Aufzuchtszahlen steigen. Die Sau kann sich dabei kaum bewegen und das mehr als die Hälfte ihres Lebens, da Sauen zwei bis dreimal im Jahr Ferkel werfen.

O-TON 10 Veronika Settele

Das kann man klar sagen, dass die Intensivierung der Tierhaltung einherging mit einer Verkleinerung des Bewegungsradius der Tiere. Beispiele dafür sind natürlich allen voran die Geflügel-Käfighaltung, also das ist stärkste Verknappung des Bewegungsradius. Es waren Käfige im Einsatz, in denen sich die Tiere nicht einmal mehr richtig umdrehen konnten.

SPRECHER:

Auch Ferkel hielt man übrigens – inspiriert von der Hühnerhaltung - eine Zeit lang in übereinander gestapelten und beheizten Käfigen. Der Raum wurde so optimal genutzt, die Ställe gab es von der Stange.

O-TON 11 Veronika Settele

Das ist auch eine Neuigkeit. Ställe wurden lange Zeit in nachbarschaftlicher Selbsthilfe gebaut, also das Baumaterial wurde organisiert. Und dann wurde aber in Eigenarbeit ein Stall erweitert oder umgebaut. Jetzt gibt es zunehmend vorgefertigte Lösungen und auch nur die versprechen auch die Rationalisierungsvorteile, und das heißt Ställe werden zunehmend nach dem Prinzip wie sozusagen eine Fabrik gebaut. Es gibt eine Halle, und in dieser Halle sind dann vorgefertigte Einrichtungen für die einzelnen Produktionsschritte.

SPRECHER:

Aufbau und Gliederung der Räume veränderten sich auch, weil eine zunehmende Spezialisierung der Tierhaltung aufkam. Abferkel-, Aufzucht-, und Mastställe wurden voneinander getrennt. Während ein Landwirt also früher Kühe, Schweine und Hühner besaß, gab es jetzt welche, die nur Ferkel hielten.

O-TON 12 Veronika Settele

Wobei der wichtigere Trend vermutlich ist, dass die Arbeit am Einzeltier weniger wurde oder zum Erliegen kam und das hinging zu einer Bewirtschaftung der Herde. Also sozusagen es ging weniger um die Bewirtschaftung einzelner Tiere, sondern es ging darum, die Gesamtproduktivität einer Tiergruppe im Blick zu behalten und die möglichst gewinnträchtig zu umsorgen.

MUSIK Calculated momentum (LC-07573; EAN/GTIN: 4020771220021) 0’17 

SPRECHER:

Um Hühner in großen Mengen auf wenig Platz halten zu können, musste erst vitaminisiertes Futter Standard werden. Dieses Futter war die Voraussetzung, Hühner das ganze Jahr rund um die Uhr in Ställen zu sperren.

O-TON 13 Veronika Settele

Solange Hühner rumlaufen mussten und sich aus dem Boden ihre Nährstoffe zusammen picken mussten, begrenzten sie die Größe ihrer Haltung, weil sie sich ungefähr nicht weiter als 40 Meter von ihrem Stall wegbewegten. Und weil eine gewisse Quadratmeterzahl für eben einen ausreichenden Nährstoffbedarf des Huhnes notwendig war. 

SPRECHER:

Waren Hühner-Herden früher auf 200-300 Tiere begrenzt, konnte und kann man sie jetzt zu zig Tausenden halten. Licht- und Temperatur-Anlagen gaukelten den Tieren permanenten Frühling vor und sorgten somit für eine kontinuierlich hohe Eierproduktion. In neben- und übereinander gestapelten Drahtkäfigen stand ein Huhn auf einer Fläche, die kleiner als ein DINA4-Blatt war. Aus der unbedeutenden Hühnerhaltung als Zubrot der Bauersfrau war ein gewinnbringender eigener Unternehmenszweig geworden. 

MUSIK Calculated momentum (LC-07573; EAN/GTIN: 4020771220021) 0’22 

Gerade an der Hühnerhaltung sieht man, wie tradiertes Wissen über den Umgang mit Tieren ersetzt wurde durch eine reine Kosten-Nutzen-Kalkulation. Um neue teure Ställe zu bauen und technisch hochzurüsten, brauchten die Landwirte erstmal Geld. Auch das veränderte die Landwirtschaft.

O-TON 14 Veronika Settele

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hielt der Kredit Einzug in die Tierhaltung. Und das veränderte natürlich die Konzeption des Unternehmens generell, also weil Kredite, die dann bedient werden wollen, einen Kostendruck auf die Produktion legen. Und das hat sich als wirksamster Anreiz in der Geschichte erwiesen, die Tierhalter zur Rentabilitätssteigerung zu bewegen.

SPRECHER:

Mit der Vergrößerung der Ställe ging auch ein Ortswechsel einher. Im Dorf war für sie kein Platz mehr, also errichtete man Ställe auf der grünen Wiese. Damit wurden lebende Nutztiere für einen Großteil der Bevölkerung unsichtbar. Tote Tiere waren dafür umso präsenter: 1950 konsumierte ein Bürger der Bundesrepublik 37kg Fleisch, 1990 waren es dreimal so viel, 100,2 Kilo

MUSIK Creative percussion (LC-07573; EAN/GTIN: 4020771207756) 0’28

Ein Grund, Mensch und Tier gründlich zu trennen, bestand auch darin, Seuchen im Stall zu vermeiden. Krankheiten konnten schließlich das ganze System zum Einsturz bringen. Der Entzug natürlicher Lebensbedingungen und das Leben auf engstem Raum machen Tiere empfindlich. Die Lösung war auch hier wieder erst einmal: Chemie und Technik. Ein rigides Hygieneregime wurde etabliert.

O-TON 15 Veronika Settele

Das wurde Anfang der 70er-Jahre ausgetüftelt und dann eingeführt, weil Seuchengefahr im Massenstall die größte Bedrohung der Wirtschaftlichkeit wurde. Und durch Infektionsschutzverordnungen und Infektionsschutzgesetze war es beispielsweise dann betriebsfremden Menschen tatsächlich auch verboten, ohne Voranmeldung und ohne Hygieneprozeduren die Ställe überhaupt zu betreten. 

SPRECHER:

Wer einen Schweinestall von innen sehen wollte, musste nun z.B. ab einer bestimmten Viehbestands-Größe desinifizierbare Schuhe und Schutzkleidung anziehen. Es wurden mit Natronlauge gefüllte Durchfahrbecken gebaut, mittels derer auch die Räder der Fahrzeuge desinfiziert werden konnten. 

O-TON 16 Veronika Settele

Also es war nicht so, dass das jetzt eine rund um negative Entwicklung war, die wir betrauern sollten, sondern erst mal ist es auch Produkt gesellschaftlicher Wünsche und Vorstellungen, dass es da zu einer räumlichen Trennung kam, weil gerade Schweinehaltungen zunehmend auch deshalb verschwanden, weil mit jedem Stallneubau innerhalb eines Dorfes eine Bürgerinitiative einherging, die sich gegen den Geruch und gegen den Schweinegestank aus der Massenhaltung sozusagen in Stellung brachte. 

SPRECHER:

Räumliche Trennung, gefüllte Kühlschränke, günstige Preise – das alles führte dazu, dass Fragen um das Tierwohl lange Zeit in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielten. Nur die Hühnerhaltung, Stichwort Hühner-KZ, geriet bereits in den 70ern in die Kritik. Rinder und Schweine kamen erst ab den 90ern in den Blick. 

MUSIK Genetic curiosity (LC-92557) 0’44 

SPRECHER:

Der gesellschaftliche Konsens ist heute ein anderer. Laut einer Umfrage von 2017 möchten drei Viertel der Bevölkerung strengere Gesetze, die eine „artgerechte“ Haltung gewährleisten. Es gibt inzwischen zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die für mehr Tierwohl sorgen sollen. So ist die Hühner-Käfighaltung heute verboten. 2020 wurde die Kastenhaltung von Schweinen mit einer Übergangszeit von 15 Jahren auf wenige Tage verkürzt. Wilhelm Pflanz von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sieht die Entwicklungen positiv.

O-TON 18 Wilhelm Pflanz

In der Hühnerhaltung haben wir sicherlich den größten Umbruch erlebt die letzten 20 Jahren. Das heißt, wir haben hier eine sehr starke Entwicklung zur Bodenhaltung hin und auch zur Bodenhaltung in Kombination mit Freilandhaltung. Und wir sehen das ja heute auch, wenn Sie übers Land fahren, die schönen Hühnermobile. 

SPRECHER:

Ein Hühnermobil ändert im Schnitt alle 14 Tage seinen Platz, in manchen leben 200 Legehennen, in anderen 1500. Nachts werden sie im Stall eingeschlossen, um sie z.B. vor Füchsen zu schützen, tagsüber haben sie Auslauf. 

O-TON 19 Wilhelm Pflanz

Wir haben aber ein voll funktionsfähiges Innenleben in diesem Stall, das heißt da ist eine Fütterungsanlage drin, ein Legenest, Entmistungs- Bereich, Kaltscharr-Raum,  also alles Dinge, die wir sonst immer baulich fest im Stall haben, haben wir hier mobil. Und auch viele konventionelle Betriebe haben sich für so ein Hühnermobil entschieden, weil sie damit unmittelbar auch Zugang haben zu ihren Verbrauchern in unmittelbarer Nähe, das ist ja heute ein großer Trend neben der Ökologisierung der Landwirtschaft eben auch die Regionalisierung

SPRECHER:

Während die Veränderungen in der Geflügel-Haltung v.a. durch Druck von außen kamen, waren es bei der Rinderhaltung eher die Landwirte selbst, die für mehr Tierwohl sorgten. Unter anderem aus einem naheliegenden Grund.

O-TON 20 Wilhelm Pflanz

Gerade im Milchbereich ist es nach wie vor eine Win-win-Situation: Mehr Tierwohl im Kuhstall, wir haben eine höhere Tiergesundheit und die Kühe danken es auch oft mit sehr guten Leistungen. Da gab es ganz wenig gesetzlichen Druck, da gibt es natürlich auch Vorgaben im Rinderbereich, aber hier hat sich die landwirtschaftliche Praxis wirklich viele Lorbeeren verdient.

SPRECHER:

So gibt es heute Laufställe mit Melkrobotern, die der Kuh ermöglichen gemolken zu werden, wann sie es will. Ist der Druck im Euter zu groß, geht sie hin.

O-TON 21 Wilhelm Pflanz

Die Kuh ist somit völlig frei in ihrer Tagesgestaltung, auch das Futtermaterial wird ständig vorgelegt über sogenannte stationäre Grundfutter-Vorlage-Systeme. Gleichzeitig gibt es im Milchvieh-Bereich auch sehr viele Innovationen im Bereich des Position Livestock Farming. Das heißt, wir können heute über Digitalisierung auch den Gesundheitszustand der Tiere überwachen. Die Milchkühe haben zum Beispiel Halsbänder. Damit können wir das Laufverhalten über diese Halsbänder detektieren und können zum Beispiel sehen, wenn die Kuh in die Brunst kommt und solche Dinge oder auch das Wieder-Kauverhalten.

MUSIK Spheres of live (LC-89310) 0’13

SPRECHER:

Nach wie vor werden also Lösungen v.a. über neue Techniken gesucht. Auch in der Schweinehaltung gibt es heute mehr Ställe, in denen die Tiere Auslauf haben oder zumindest Kontakt mit Außentemperaturen.

O-TON 22 Wilhelm Pflanz

Gleichzeitig haben wir auch einen großen Trend hin zu mehr Beschäftigungsmaterial, mehr Raufutter in die Ställe zu bekommen, damit die Tiere einfach sich auch mehr betätigen können, auch Futter suchen können. Hierzu bedarf es natürlich auch Technik. 

SPRECHER:

Zum Raufutter, also rohfaserreichem Futter, passt nicht mehr die herkömmliche Entmistungsanlage, die nur mit flüssigen Exkrementen nicht verstopft. Ebenso braucht es andere Fütterungsanlagen, denn bisher wurde homogeneres Kraft-Futter über Rohrleitungen in den Stall transportiert. Insgesamt hat sich in der Schweinhaltung aber am wenigsten getan, denn: es rechnet sich nicht…

O-TON 23 Wilhelm Pflanz

Also die Tierwohl-Entwicklung ist eine sehr positive Entwicklung. Gleichzeitig müssen wir aber schauen, dass die Landwirte, die Familienbetriebe natürlich es auch schaffen, dann ihre Ställe auch so umzurüsten und es auch ökonomisch schaffen. Also das ist eigentlich hier die Herausforderung. Und da tut man sich etwas schwerer, weil das Schwein vielleicht nicht sofort dieses Mehr an Tierwohl auch in höhere Leistungen umsetzt. Natürlich, es ist dann auch gesünder. Aber das Schwein ist eben auch schon ein relativ gut leistendes Tier. 

SPRECHER:

Wollen die Landwirte weiterhin ökonomisch sein, müssen sie bei Einhaltung der neuen Tierwohl-Regelungen bzw. Wünsche entweder ihren Bestand vergrößern oder sie müssen mehr Geld verlangen. Sie sind aber vom Markt abhängig. Die Lösung sieht Wilhelm Pflanz in weniger Fleisch-Verzehr und dem Sichtbar-Machen ihrer Haltungsformen in Form von Labels.

O-TON 24 Wilhelm Pflanz

Das ist eigentlich der richtige Weg: Weniger Tiere mit höheren Standards und gleichzeitig diese Standards sichtbar gemacht. 

MUSIK Spheres of live (LC-89310) 0’22

SPRECHER:

Alle genannten Trends gelten für die konventionelle wie ökologische Landwirtschaft, die hier eine Vorreiter-Rolle spielt. Mehr Platz, mehr frische Luft, mehr Abwechslung im Stall – das alles ist v.a. in der ökologischen Landwirtschaft gewährleistet.

O-TON 25 Wilhelm Pflanz:

Das heißt, ökologische Betriebe müssen eigentlich zwingend über einen Auslauf respektive Weide verfügen, oftmals eben im Rinder-Bereich. Gleichzeitig haben wir im Innenbereich der Stallungen immer einen hohen Anteil an Festfläche, mindestens 50 Prozent. Und diese Festfläche muss auch eingestreut sein mit einer satten Stroheinstreu, es dürfen maximal 50 Prozent Spaltenböden im Stall sein. Dann muss eben auch die Öko-Tierhaltung über Raufutter verfügen. Das heißt Raufutter zur Beschäftigung, aber auch zur Futteraufnahme.

MUSIK Calculated momentum (LC-07573; EAN/GTIN: 4020771220021) 1’10 

SPRECHER:

Der Anteil der ökologischen Tierhaltung in Deutschland beträgt 10%, bei der Schweinehaltung nur 1%. Vegetarier, Veganer und Flexitarier nehmen zu, aber die Deutschen essen immer noch 20kg mehr Fleisch pro Person und Jahr als der globale Durchschnittsmensch. Vor allem aber: in anderen Ländern des globalen Nordens wird der Hunger nach Fleisch immer größer, allen voran in China:  

O-TON 26Veronika Settele

Da passieren die krassesten Sachen. Also da werden Schweine-Hochhäuser gebaut, die jährlich 2,1 Millionen Schweine in einem Betrieb produzieren können, die eben in Hochhäusern mit Aufzügen und Entmistungs-Robotern gehalten werden. 

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