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Tarnen und Täuschen - Alles Natur

24 min • 22 februari 2024

Tiere und Pflanzen haben erstaunliche Überlebenstricks entwickelt: Manche täuschen vor, gefährlich zu sein, obwohl sie es nicht sind. Andere locken potenzielle Partner und ahnungslose Opfer mit falschen Signalen in die Falle. Der Einfallsreichtum der Natur ist erstaunlich, wenn es um Täuschen und Tarnen, um Mimikry und Mimese, geht. Iska Schreglmann im Gespräch mit dem Biologen Thassilo Franke. (BR 2022)

Credits
Autorin dieser Folge: Iska Schreglmann
Es sprachen: Iska Schreglmann im Gespräch mit Dr. Thassilo Franke
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Thassilo Franke, Biologe am BIOTOPIA Lab in München 

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Dr. Thassilo Franke

Die Wespe ist ein schönes Beispiel. Die hat diese typische, schwarz-gelb geringelte Warntracht, die man in der Natur sehr häufig findet.

Dann geht das große Maul auf und saugt diesen armen Fisch ein. Dann wird eben der Jäger zum Gejagten und gefressen.

Es gibt auch viele Betrüger, die so tun, als wären sie giftig.

Sprecherin

Alles Natur, Tarnen und Täuschen. Iska Schreglmann im Gespräch mit dem Biologen Thassilo Franke.

Iska Schreglmann

Den anderen hinters Licht zu führen, das kennen wir aus der Welt der Menschen ja wirklich zu genüge. Hinterhältige Tricks sind aber auch bei Tieren und Pflanzen sehr verbreitet. Sie existieren auf unserem Planeten ja schon wesentlich länger als wir und haben die Mimikry, also das Täuschen und Tarnen, im Lauf der Jahrmillionen perfektioniert. Dr. Thassilo Franke wird uns gleich faszinierende und teils auch etwas bizarre Beispiele vorstellen. Herr Franke, Sie haben hier auf dem Tisch im Studio schon eine ganze Reihe von Dingen ausgebreitet, über die wir im Lauf der Sendung sprechen werden und die, ehrlich gesagt, erst einmal etwas kurios anmuten.

Dr. Thassilo Franke

Ja, also, ich habe ein paar Sachen mitgebracht. Zum einen ist da ein aggressives Putzmittel und dann zwei Warnschilder, ganz deutlich schwarz, gelb gefärbt, einen Angelköder und - das ist eigentlich das schönste Exponat, was hier heute auf dem Tisch liegt - das ist ein Balk, also ein präparierter Vogel, ein ausgestopfter Vogel. Und zwar handelt sich hierbei um einen Ziegenmelker.

Iska Schreglmann

Das müssen wir beschreiben. Wenn ich jetzt nicht wüsste, dass es ein Vogel ist, würde ich sagen, es ist ein Stück große Baumrinde und wenn man es anfasst, merkt man natürlich, dass es ganz ganz weich ist. Das sind Federn.

Dr. Thassilo Franke

Ja, das ist ganz weiche Baumrinde und genau das will der Vogel damit auch erreichen. Wir haben es hier mit einem sehr schönen Beispiel von Krypsis zu tun, also Tarnung oder auch somatolyse Körperauflösung, so nennt man das in der Wissenschaft. Das ist ein in Vogel, der ganz ausgezeichnet getarnt ist. Und sie sehen auch diese Bänderung, diese rindenartige Bänderung auf dem Gefieder, die geht auch in eine gewisse Richtung, hat also eine Längsrichtung, in der sie verläuft. Und wenn der Vogel ruht, dann setzt er sich auf einen grob berindeten, horizontalen Ast. Er setzt sich nie quer drauf. Er setzt sich immer längst drauf, was für Vögel eher ungewöhnlich ist, normalerweise sitzen Vögel quer auf einem Ast. Der sitzt immer längst auf einen Ast, damit man ihn eben für so einen kleinen Stumpf hält, der von diesem Ast absteht.

Iska Schreglmann

Von der Farbe her ist es wirklich auch exakt so, wie eine marmorierte Baumrinde, also sämtliche Brauntöne von dunkelbraun bis zu hellbeige, würde ich sagen.

Dr. Thassilo Franke

Wenn man ihn so auf dem Boden liegen sehen würde, also zwischen Blättern oder Kiefernnadeln zum Beispiel, oder altem abgestorbenem Gras, dann wäre er auch vollkommen unsichtbar. Und natürlich fragt man sich dann, warum macht der Vogel so was. Warum tarnt er sich überhaupt zu gut? Warum hat er das überhaupt nötig?

Iska Schreglmann

Also wer hat es auf ihn abgesehen?

Dr. Thassilo Franke

Wer hat es auf ihn abgesehen, genau. Am gefährlichsten ist eigentlich sein Leben, wenn er auf dem Boden sitzt und sein Ei ausbrütet, weil, dann kommt er ja wirklich mit Ratten im Begegnung mit Mardern, Wieseln und dergleichen. Aber Gefahr droht auch aus der Luft, zum Beispiel vom Habicht oder sogar von Vögeln wie Krähen, die, wenn die ihn - so einen relativ kleinen, also nicht sonderlich groß, der ist vielleicht wie groß, kann man sagen, das der ist…?

Iska Schreglmann

Naja, länger als Ihre Hand würde ich sagen.

Dr. Thassilo Franke

20 Zentimeter ungefähr, würde ich sagen ist er von der Schnabelspitze bis zur Schwanzspitze. Ist also wirklich kein besonders großer Vogel. Und wenn der natürlich da mit auffälligem Gefieder auf dem Boden sitzen würde, würde der natürlich sofort erbeutet werden.

Iska Schreglmann

So, jetzt haben wir aber über eine klassische Tarnung gesprochen. Also dieser Vogel sitzt auf einem Baumstamm auf der Rinde, beziehungsweise auf dem Boden, und kann so schwer entdeckt werden von Fressfeinden. Jetzt gibt's aber Tiere, die noch ganz andere Tricks auf Lager haben, um Fressfeinde zu Narren.

Dr. Thassilo Franke

Ein Trick ist zum Beispiel vorzugeben, etwas zu sein, etwas Gefährliches zu sein, was man aber in Wirklichkeit nicht ist. Und da gibt es auch schöne Beispiele aus der Vogelwelt, und zwar bei höhlenbrütenden Vögeln kennt man das. Auch in der heimischen Vogelfauna, zum Beispiel unsere Meisen können das sehr gut machen, wenn sich jetzt ein Raubtier zum Beispiel einer Baumhöhle nähert oder in ein Vogelhaus rein schaut. Man kann es auch selber, sollte es aber nicht probieren, aber wenn man es täte, wenn man doch mit dem Finger reingehen würde, da würde die Blaumeisen-Mutter, die auf dem Gelege sitzt und brütet, dann laut fauchen, und dieses Zischen, dieses Fauchen, hört sich genauso an wie das Zischen einer Schlange. Und nachdem ja der Beutegreifer, der von außen in die Höhle eindringen will, im Dunkeln der Höhle nichts sieht, aber dieses Zischen hört, kriegt er es mit der Angst zu tun, weil ja so ein kleines Wiesel auch von einer Schlange überwältigt werden kann und sucht sofort das Weite.

Iska Schreglmann

Nun haben wir über verschiedene Täuschungsmanöver schon gesprochen, und es gibt dafür auch wissenschaftliche Begriffe, also akustische Mimikry, zum Beispiel, Schreck Mimikry oder auch Bates’sche Mimikry.

Dr. Thassilo Franke

Also wenn bei uns von Mimikry die Rede ist, ist eigentlich fast immer von der Bates‘schen Mimikry die Rede. Bates‘sche Mimikry heißt sie, weil sie von einem Naturforscher namens Bates entdeckt wurde. Henry Walter Bates war ein ganz begnadeter Naturforscher, und dabei ist ihm aufgefallen, dass eine Gruppe von Schmetterlingen völlig aus dem Rahmen fiel. Er hat viele Schmetterlinge gefangen, aber die sind meistens weggeflogen. Wenn er sich angepirscht hat, sind sie dann in die Baumkronen rauf oder haben sich im Schatten des Waldes versteckt. Aber eine Gruppe, die flog unbeirrt, ganz langsam, gaukelnd durch die Gegend und hat sich von ihm nicht beeindrucken lassen, hat sich auch ganz leicht fangen lassen. Er hat sich die dann angeschaut und hat gemerkt, dass sie so einen faulen Geruch verströmen und ist dann auf die Idee gekommen: Okay, die haben auch sehr auffällige Flügel, Zeichnungen, die sind mit Sicherheit giftig. Durch ihre bunte Farbe und ihren langsam gaukelten typischen Flug zeigen Sie Vögeln: Vorsicht, ich bin giftig.

Iska Schreglmann

Und welche Farben sind das dann?

Dr. Thassilo Franke

Das sind meistens orange-, schwarz- und gelbfarben bei diesen Schmetterlingen und diese giftigen Schmetterlinge, die gehören in die Familie der Glasflügler. Das sind Edelfalter. Und von denen weiß man auch heute, dass die ausgesprochen giftig sind. Was ihm aufgefallen ist, und zwar erst beim genaueren Hinschauen, erst als er die Falter in der Hand hatte, dass es noch andere gab, die exakt genauso aussahen, aber zu einer ganz anderen Schmetterlings-Verwandtschaft gehörten. Und bei diesen giftigen Faltern handelt es sich um Edelfalter. In unserer heimischen Schmetterlingsfauna gehört da zum Beispiel das Tagpfauenauge rein und bei der anderen Schmetterlingsgruppe, die genauso aussah, bei der handelt es sich um Weißlinge. Vielleicht ist jedem der Kohlweißling ein Begriff.

Iska Schreglmann

Ich denke schon. Das ist ja einer der häufigsten Falter bei uns.

Dr. Thassilo Franke

Und das ist eine ganz andere Schmetterlings-Verwandtschaft, also Edelfalter und Weißlinge sind überhaupt nicht verwandt. Und das hat ihn stutzig gemacht. Also im Endeffekt hat er Paare gefunden von diesen Edelfaltern, diesen giftigen und dem völlig ungiftigen Weißling, die exakt gleich aussagen. Und da hat es dann Klick gemacht und er hat gesagt okay, alles klar ist ja logisch, der eine, der ist ein Betrüger, der tut einfach so, als ob er giftig wäre. Also, er bedient sich dieser Warnsignale, des anderen, der wirklich gefährlich ist und vermeidet dadurch, von einem Vogel gefressen zu werden.

Iska Schreglmann

Für diese Strategie gibt es ja im Tierreich noch mehrere Beispiele, wenn wir an dieses schwarz-gelb gestreifte Muster der Wespen denken.

Dr. Thassilo Franke

Ja genau. Also im Endeffekt auch, was wir vorhin bei den Schmetterlingen hatten, diese auffälligen Flügel Zeichnungen. Da haben wir es mit Warnsignalen zu tun. Aposematische Zeichnung nennt man das in der Wissenschaft, also gefährlich. Jeder, der so aposematisch gezeichnet ist macht eigentlich darauf aufmerksam, dass er gefährlich ist. Aber nicht jeder…

Iska Schreglmann

Die einen sind ja auch gefährlich, nämlich die Wespen.

Dr. Thassilo Franke

Genau, die Wespe ist ein schönes Beispiel. Die hat diese typische, schwarz-gelb geringelte Warntracht, die man in der Natur sehr häufig findet. Es gibt zum Beispiel Schmetterlingsraupen, die auch schwarz-gelb geringelt sind, wie der Jakobskrautbär, den man vielleicht kennt. Das ist ein Schmetterling, dessen Raupe sich gefährliche Giftstoffe ihrer Nahrungspflanze zu eigen machen. Pyrrolizidinalkaloide heißen die, die sind im Jakobskreuzkraut enthalten. Das ist eine ganz gefährliche, giftige Pflanze, die auch von der Landwirtschaft bekämpft wird, weil sich eben Weidevieh auch daran vergiften kann. Und dieser Raupe macht eben dieses Gift nichts aus, aber sie lagert das Gift in ihrem Körper ein und wird dadurch extrem giftig. Und vor dieser Giftigkeit warnt sie mit dem gleichen Signal, wie die Wespe vor ihrer Giftigkeit warnt.

Iska Schreglmann

Gut. Das heißt das macht ja dann in dem Fall auch Sinn, dass der Vogel diese Raupe nicht frisst.

Dr. Thassilo Franke

Und da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an, nämlich, man muss überlegen, woher weiß der Vogel überhaupt das schwarz-gelb gefährlich ist?

Iska Schreglmann

Ist das Erfahrung?

Dr. Thassilo Franke

Genau. In diesen sauren Apfel muss jeder junge Vogel irgendwann mal beißen, dass er tatsächlich so ein schwarz-gelb geringeltes, saftiges Insekt, sich schnappt und dann eben mit dem Giftstachel in Berührung kommt und gestochen wird, dort sich elend fühlt oder die giftige Raupe frisst und dann erbrechen muss und eine fürchterliche Magenverstimmung hat. Und diese Erfahrung lehrt dann diesen Vogel, den naiven Vogel - man spricht von naiv, also bevor er diese Erfahrungen gemacht hat, weil es eben nicht angeboren ist und das merkt er sich dann von dem Zeitpunkt an und meidet eben alles, was diese Signal-Zeichnungen vorweist. Und das ist im Regelfall auch vernünftig. Aber in manchen Fällen ist es eben überflüssig, weil es gibt eben auch viele Betrüger innerhalb der Tiere, die so tun, als wären sie giftig. Man denke an die Schwebfliege. Das ist das klassische Beispiel, was auch in jedem Schulbuch drinsteht. Die Schneepflüge ist auch schwarz-gelb gestreift, ist vollkommen harmlos, hat keine Giftstoffe. Wäre eigentlich ein wunderbarer Leckerbissen, aber die Amsel, die einmal eine Wespe gefressen hat, die macht einen weiten Bogen um die Schwebfliege, weil sie gar nicht erst ausprobieren will, ob die nicht auch stechen kann. Das ist einfacher dann eben weiterzufliegen und sich eine schwarze Fliege zu schnappen.

Iska Schreglmann

Und da gibt es auch einen bekannten Forscher, einen Biologen, der genau diese Strategie entdeckt hat, nämlich Fritz Müller. Fritz Müller, der vor 200 Jahren geboren wurde und in Wirklichkeit Johann Friedrich Theodor Müller hieß.

Dr. Thassilo Franke

Ja, früher waren diese langen Namenskolonnen sehr in Mode. Er hat beobachtet, beobachtet, beobachtet, und er hat alles aufgeschrieben. Er hat dann irgendwann Charles Darwins Buch „Die Entstehung der Arten“ gelesen, war vollkommen fasziniert davon und hat dann eigentlich eifrig Daten gesammelt, Fakten gesammelt und hat die in Briefen immer wieder an Darwin kommuniziert. Und darunter waren eben auch solche Beobachtungen an Schmetterlingen, wo ihnen aufgefallen ist, dass nicht, wie Bates es gesagt hat, es ungiftige Schmetterlinge gibt, die sich der gleichen Warnzeichnungen wie giftige bedienen, sondern dass es auch verschiedenste, nicht näher miteinander verwandte, giftige Schmetterlinge gibt, die mit der gleichen Warntracht werben, die nicht verwandt sind, und das nennen wir heute Signalnormierung. Also, es ist eigentlich in der Technik weit verbreitet, aber dass es so etwas auch im Tierreich gibt, das ist zum ersten Mal Fritz Müller aufgefallen.

Iska Schreglmann

Und doch nicht nur im Tierreich. Wenn ich mich jetzt hier umschaue und zu unseren Requisiten gucke, die hier auf dem Studiotisch vor uns ausgebreitet liegen, da gibt es ja auch einige signale Leuchtfarben aus unserer menschlichen Welt. Also jetzt diese Putzmittelflasche hier zum Beispiel, die ein auffälliges gelb-schwarzes Etikett trägt.

Dr. Thassilo Franke

Ja, das ist eine Flasche mit einem Putzmittel, die davor warnt, dass die Flüssigkeit da drin ätzend ist. Ich bin heute früh auch schon so einem Warnzeichen begegnet, und zwar ich habe, bevor ich hier ins Studio kam, einen Antigen-Schnelltest gemacht. Und da ist ja häufig so ein kleines Plastiktütchen mit drin, wo man dann eben diesen mit Nasenschleim durchsetzten kleinen Tupfer entsorgen kann.

Iska Schreglmann

Ich glaube jeder weiß, was Sie meinen…

Dr. Thassilo Franke

Und da steht nämlich hier ein wunderschönes - schauen Sie mal, sehen Sie was da drauf ist?

Iska Schreglmann

Ja, Biohazard - Das ist auch ein Symbol, schwarz auf neongelbem Hintergrund. Das davor warnen soll, dass man das eben nicht anfassen soll. Und hier ist auch noch ein ausgedrucktes Schild, was vor Radioaktivität warnt, das kennt wahrscheinlich auch jeder dieses schwarze Dreieck auf neongelbem Grund.

Dr. Thassilo Franke

Genau das sind Warnzeichen. Immer diese gelbe Farbe, die schwarze Beschriftung. Das ist die Signalnormierung, zum Beispiel, für Warnzeichen.

Iska Schreglmann

Wobei man sagen muss, dass wir Menschen einen entscheidenden Vorteil haben gegenüber den Tieren, weil wir nicht erst Radioaktivität erleben müssen oder scharfe Putzmittel, um die Feststellung zu machen, dass wir davon lieber die Finger lassen sollten, sondern wir vertrauen dieser Signalnormierung.

Aber es gibt ja auch noch ganz andere Arten der Abschreckung nicht durch Optik, sondern zum Beispiel durch Gerüche.

Dr. Thassilo Franke

Ja, es gibt auch eine olfaktorische Mimikry, nennt man das. Da ist wahrscheinlich noch ziemlich viel zu erforschen. Man hat sich am Anfang immer eher auf diese optischen Reize, weil wir Menschen eben auch Augentiere sind, konzentriert. Aber es gibt auch Gruppen von Lebewesen, die alle gefährlich sind und mit ähnlichen Düften auf ihre Gefährlichkeit aufmerksam machen. Also ich denke, dass da die Marienkäfer zum Beispiel Beispiel sind. Das kennt ja jeder, der schon mal Marienkäfer in der Hand gehalten hat, dass der dann einen sehr intensiven, typischen Marienkäfer-Geruch verströmt. Und das ist eine Substanz, Coccinidin heißt die, die diesen Geruch ausmacht. Der Marienkäfer gibt sie über seine Fußgelenke ab. Man nennt das Reflexbluten. Dann kommt diese orangene Flüssigkeit raus, und es machen eben sehr, sehr viele verschiedene, nicht unbedingt nah miteinander verwandte Marienkäferarten. Und auch dieser charakteristische Duft könnte eine Art Müller‘sche Mimikry sein, dass sie eben durch diesen penetranten Marienkäfer-Geruch zusätzlich zu ihrer schwarz-roten Warntracht noch auf ihre Giftigkeit aufmerksam machen.

Iska Schreglmann

Also Abschreckung ist das eine. Aber es gibt auch das andere, umgekehrte, man möchte jemanden anlocken, die sogenannte Lockmimikry.

Dr. Thassilo Franke

Das wäre dann die dritte Form. Das ist die aggressive, die Peckham‘sche Mimikry, benannt nach dem Ehepaar Elisabeth und George Peckham. Die haben früher an Spinnen gearbeitet, und die haben das sehr ausführlich beschrieben. Aber es ist auch vorher schon Wissenschaftlern bekannt gewesen, dass es das gibt, dass eben Tiere tricksen, um ihrer Beute habhaft zu werden. Ich glaube, das bekannteste Beispiel was jeder kennt, ist dieser Tiefseeanglerfisch, dessen vorderster Rückenflossen-Strahl enorm verlängert ist und der ähnlich wie so eine Angelrute funktioniert und vorne vor dem zähnestarrenden Maul des Fisches dann einen einleuchtenden Köder in die Dunkelheit der Tiefsee hängt und hin und her bewegt. Und wenn dann eben ein kleiner Fisch vorbeikommt und diesen leuchtenden Punkt zieht, dann hält er das für eine leuchtende Qualle oder eine leuchtende Garnele. Und sobald der Fisch da reinbeißen will, dann geht das große Maul von dem Tiefseeangler auf und saugt diesen armen Fisch ein. Dann wird eben der Jäger zum Gejagten und dann eben selbst gefressen. Das wäre jetzt ein Täuschungsmanöver, wo wir von Lockmimikry sprechen. Vorher haben wir jetzt die ganze Zeit über Schreckmimikry gesprochen, wo man abgeschreckt wird. Aber das ist ein Beispiel für Lockmimikry.

Iska Schreglmann

Und weil sie gerade von Ködern erzählt haben, hier auf dem Tisch vor uns liegt ja auch ein Köder, der allerdings als solcher, finde ich, nicht erkennbar ist. Das ist – ja, zwei fingernagelgroß, würde ich mal sagen, oder lang - und da drangebunden ist so etwas wie eine Vogelfeder. Sie können es besser beschreiben…

Dr. Thassilo Franke

Ja, was sie da in der Hand halten, das habe ich erst vor zwei Wochen vor meinem Patenkind bekommen, also meinem Patensohn. Der ist begeisterter Angler, er ist Fliegenfischer. Beim Fliegenfischen ist es ja so, dass man mit Kunstködern arbeitet, die verblüffende Ähnlichkeit mit Wasserinsekten haben, zum Beispiel Köcherfliegen oder Eintagsfliegen. Beim Angeln wird dann dieser Kunstköder knapp über der Oberfläche hin und her bewegt. Und wenn da eine Forelle von unten diesen Köder sieht, dann verwechselt sie es tatsächlich mit einer Eintagsfliege, springt aus dem Wasser, schnappt nach dem Kunstköder und zack, hängt sie an der Angel und ist auf den Trick hereingefallen.

Iska Schreglmann

Und die Menschen ködern aber nicht nur die Tiere, sondern auch sich gegenseitig. Mir fallen gerade diese Phishing-Mails ein, mit denen Betrüger versuchen, zum Beispiel eine Mail - die sieht dann auch täuschend echt aus - einer Bank zu imitieren, um an die Kontodaten von den ahnungslosen Nutzern zu kommen.

Dr. Thassilo Franke

Das ist ein super Beispiel für aggressive Mimikry bei Menschen. Das ist eigentlich klassisch und die sind zum Teil richtig gut. Also, wenn man mal so eine Phishing-Mail aufmacht, die schaut wirklich aus wie von einer Bank. Da muss man zweimal hinschauen, dass man wirklich sieht, dass man hier im Begriff ist, einer aggressiven Attacke eines Verbrechers auf den Leim zu gehen, wenn man da jetzt sein Passwort zum Beispiel eingeben würde.

Iska Schreglmann

Also, wenn man mal darüber nachdenkt, gibt es ja noch viele andere Beispiele, also die ganzen Fake-Accounts auf den Social-Media-Plattformen oder ja, erschreckenderweise sogar habe ich gesehen aufblasbare Panzer, die wie ein Gummiboot aufgeblasen werden. Und dann denkt der Feind quasi, dass da eine große Armee im Hintergrund steht.

Dr. Thassilo Franke

Solche aufblasbaren Panzer, die gehören schon lange zum militärischen Arsenal unterschiedlichster Kräfte. Zum ersten Mal sind sie aufgetaucht gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, von einem Spezialverband, der dreiundzwanzigsten Special Force der US Army. Und da ging es darum, dass diese Special Force vortäuschen wollte, eine große Truppe darzustellen, obwohl sie nur tausend Mann insgesamt hatte, ungefähr, bisschen mehr waren es, glaube ich. Und die haben dann eben aufblasbare Panzer in Position gebracht und haben dann auf die Art und Weise eine Truppenstärke von ungefähr 30.000 vorgetäuscht und haben so die Wehrmacht dort getäuscht am Ende des Krieges. Man nannte die auch Ghost Army, also Geisterarmee, weil sie zum größten Teil nur aus diesen Attrappen bestand. Das ist aber auch ein Beispiel für aggressive Mimikry, da haben Sie ganz recht.

Iska Schreglmann

Wissenschaftler vermuten das auch Viren und andere Krankheitserreger Mimikry betreiben, um unser Immunsystem zu täuschen.

Dr. Thassilo Franke

Ja, was sie da ansprechen, das ist die sogenannte molekulare Mimikry. Hier ist es so, dass Krankheitserreger, auch Viren, Proteine produzieren, die den Proteinen gleichen, die auch die menschliche Körperzelle erzeugt. Und ein gesundes Immunsystem greift ja normalerweise nicht den eigenen Körper an und nimmt auch Abstand davon, eben diese Krankheitserreger zu vernichten und deswegen können die sich besser durchsetzen. Das kann übrigens aber auch zu Problemen führen, weil manchmal ist es dann so, dass das Immunsystem dann stimuliert ist und dann doch körpereigene Zellen attackiert. Und deswegen kann so eine molekulare Mimikry, wenn es ganz blöd läuft, eben auch zu einer Autoimmun-Antwort führen. Und es sind Fälle bekannt, wo auch Covid19-Verläufe vermutlich von diesem Phänomen der molekularen Mimikry betroffen waren.

Iska Schreglmann

Da wird es natürlich brandgefährlich. Jetzt haben wir über verschiedenste Formen der Täuschung gesprochen in unserem Körper. Wir Menschen untereinander, die Tiere gegenüber den anderen Tieren. Aber es gibt ja auch noch die Welt der Pflanzen.

Dr. Thassilo Franke

Bei den Pflanzen gibt es auch sehr schöne Beispiele. Die sind allerdings noch nicht so lange bekannt. Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe von Blumen, die alle mit dem gleichen Signal auf sich aufmerksam machen, nämlich schöne rosarote Blütenbüschel, die vor Nektar nur so triefen. Das ist der Bergbaldrian, die Waldwitwenblume oder die Taubenskabiose. Und da ist es natürlich so, wenn ein Schmetterling dann einmal so eine Nektarquelle anfliegt, dann prägt er sich die Gestalt ein und geht da mit Vorliebe genau auf die. Und es heißt, er muss nur einmal kosten und hat dann gleich die ganze Gilde für sich entdeckt und fliegt die dann ab und bestäubt die Blüten. Und da gibt es auch einen Trickser, das ist die Kugelorchis. Das ist eine kleine Orchidee, die auch in den Alpen vorkommt, die auch genauso aussieht, aber die jetzt im Unterschied zu den anderen dreien eben keinen Nektar enthält. Und wenn da dann der Bestäuber hinfliegt, dann geht er leer aus, kriegt weder Pollen und Nektar, aber bestäubt trotzdem diese Kugelorchis.

Iska Schreglmann

Gut für die Pflanzen, weniger gut für den Schmetterling. Wobei, wenn es ab und zu passiert, ist es jetzt auch kein Problem.

Dr. Thassilo Franke

Da ist eben das Verhältnis entscheidend. Es muss natürlich so sein, dass das Modell in dem Fall diese Gilde aus drei rosaroten Puschelblumen, die vor Nektar nur so triefen, häufig ist und der Nachahmer in dem Fall die betrügerische Kugelorchis, die muss selten sein. Und dann fällt es dem Schmetterling gar nicht auf, wenn hin und wieder mal so eine Blüte leer ist. Es ist ja auch so, wenn vor ihm schon ein Artgenosse so eine Blüte abgesammelt hat, dann ist die ja auch leer. Also das fällt dann gar nicht so sehr ins Gewicht.

Iska Schreglmann

Also bei Tricksen und Täuschen muss es auch eine gewisse Balance geben. Ganz herzlichen Dank an Doktor Thassilo Franke.

Dr. Thassilo Franke

Ja, gern geschehen, war mir ein Vergnügen.

Sprecherin

Alles Natur. Iska Schreglmann im Gespräch mit dem Biologen Thassilo Franke. Redaktion Bernhard Kastner

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