SWR Kultur lesenswert – Literatur
Obwohl ich vor vielen Jahren weggegangen bin, habe ich die Orte, die ich bewohnt habe, nie verlassen, oder aber sie sind es, die mich immer begleiten, ich höre den Mispelbaum, höre das Pfeifen der Gräser, Domingas Warnung 'Vorsicht der Wind Menina, Vorsicht der Wind'.Quelle: António Lobo Antunes – Am anderen Ufer des Meeres
Die Lastwagen fuhren in Quela ein, ich gab den Soldaten den Befehl, in Schussposition auszusteigen, die Offiziere und die höheren Dienstgrade vorn, in einer Art Halbmond vor dem Hüttendorf, ich ließ die Bazooka zu mir bringen, seitlich davon zwei Maschinengewehre, während zwei Flugzeuge über den Bäumen auftauchten.Im Wechsel der Romankapitel reden die drei Protagonisten weder miteinander, noch zu irgendjemand sonst. Sie reden vor sich hin, gleichsam ins Leere - ein perfektes Bild der Einsamkeit. Im Bewusstseins- und Redestrom ihrer Monologe vermischen sich einschneidende und alltägliche Momente ihres Lebens, Vergangenheit und Gegenwart unablässig. Vorgefunden hat Antunes diese komplexen emotional geprägten Erzählmuster in seiner viele Jahre ausgeübten Praxis als Psychiater. Seine Figuren beherrschen nicht den Stoff ihres Lebens sondern werden von ihm beherrscht, sie sind ihm ausgeliefert. Dieses Erzählverfahren hat Antunes zu höchster Kunst entwickelt. Unverkennbar wird das selbstversunkene Monologisieren dieser Menschen angetrieben von Verletzungen und Verlusten aber auch von schal gewordenen Triumphen. Die Grundmelodie des Ganzen wird von Melancholie bestimmt.Quelle: António Lobo Antunes – Am anderen Ufer des Meeres
Wozu mich auf ein Schiff zurück zum anderen Ufer des Meeres begeben, wo ich dort schon niemanden mehr kenne, denn nach so vielen Jahren ist Lissabon natürlich anders, Häuser und Straßen, keine Ahnung, wie sie jetzt aussehen, Leute auf den Fußwegen oder, besser gesagt, Fremde, die mich nicht beachten.Antunes portugiesische Passionsgeschichten handeln von der Gefangenschaft des Menschen in der erdrückenden „Ordnung der Dinge", wie er einen seiner früheren Romane nannte, das heißt in der Ordnung ihrer seelischen Prägungen, ihrer sozialen Stellung und der historischen Verhältnisse. Mit unerbittlicher Konsequenz hat Antunes die Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms weiterentwickelt zu einem Medium nationaler Befindlichkeiten und Traumata, die sich aber über Portugal hinaus ebenso gut auf die menschliche Existenz überhaupt beziehen lassen. Den Nobelpreis hat er bislang nicht bekommen. Aber die Anerkennung für sein großartiges Werk, für das auch dieser neue Roman stehen kann, ist ihm gewiss.Quelle: António Lobo Antunes – Am anderen Ufer des Meeres