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Arno Geiger – Reise nach Laredo | Buchkritik

5 min • 18 augusti 2024
Karl, Carlos, Charles V, Kaiser des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation, ein Habsburger, bei dem gleich vier Erbreiche zusammenkamen, katholischer Führer des Abendlands zwischen Osmanenkriegen und Reformation.

Ein einsamer, alter Mann, der kein König mehr ist

Dieser Karl interessiert Arno Geiger nicht. Oder jedenfalls nur als Vorleben des Menschen, der schließlich diese seine höchste Position freiwillig aufgab. Was dann? 1556 zog Karl V. sich von seinen Ämtern in ein Kloster im spanischen Cuacas de Yuste zurück. Und dort treffen wir ihn als die zentrale Figur in „Reise nach Laredo“: einen ausgelaugten, mürrischen, von sieben Krankheiten zerfressenen und einsamen alten Mann, der kein König mehr ist. Arno Geiger:
Ich glaube, es ging ihm um seine Person. Er wollte sich selber retten. Das ist mein Karl. Er ordnete sich diesen Ämtern unter und dann sagt er: Schluss, ich mag nicht mehr. Und das sind schwere Kronen, die er da vom Kopf herunternimmt.  

Quelle: Arno Geiger

Er erkennt nur, dass er nichts Wichtiges über sich weiß und dass wenig Zeit bleibt, dahinterzukommen. Manchmal meint er, das Königtum habe ihn verbraucht und besitze weiterhin alle Macht, und er selbst ist abgereist nach Yuste als leerer Knochen.

Quelle: Arno Geiger – Reise nach Laredo

Die Fallhöhe ist kaum zu übertreffen für dieses Thema: das Loslassen nämlich. Das Zurücktreten. Die Frage, was danach kommen kann. Tizian, Karls Hofmaler, von dem mehrere Porträts des Kaisers existieren, hat seine eigene Weisheit dazu, die er seinem Herrscher bei einer Porträtsitzung mitgibt. Der letzte Pinselstrich, meint Geigers Tizian, sei eigentlich immer überflüssig. Und er ist dem Autor da sehr nahe.
Als Künstler muss man eben auch loslassen können, an einem bestimmten Punkt seines Lebens. Also ich bin kein Freund des Überarbeitens /  ... mache dann schon noch diese zwei drei Pinselstriche, aber dann ist das Aufhören wichtig, um die Lebendigkeit des Geschaffenen zu bewahren.

Quelle: Arno Geiger

Karl und Geronimo ergreifen die Flucht

Und dann ist sie da, die Chance für das Neue. Arno Geiger lässt den 58jährigen, todgeweihten Karl, um den sein Hofstaat nur noch abwartend herumschleicht, eines Nachts die Flucht ergreifen. Das ist zwar medizinisch völlig unplausibel und beim Lesen wird man lange im Ungewissen gelassen über den Charakter dieses Ausbruchs, aber am Ende ist der auch ganz unwichtig. Wichtig ist die Freiheit, die Geiger dem pflichtverknöcherten Karl zuwachsen lässt. Gemeinsam mit dem 11 jährigen Geronimo, der nicht weiß, dass er ein illegitimer Sohn des Alten ist – schickt er ihn ins Abenteuer, in gefährliche Schlägereien und brutale Gegenden, sie retten zwei Unschuldige, erreichen die tote Stadt, finden ein Wundertier und eine unheimliche Herberge, bis sie schließlich ans Meer kommen. 
Das ist ein schöner Kontrast, dieser Mann, der immer an Vergangenheit und Zukunft denken muss, und dieser 11jährige, der sich jeden Morgen freut auf das was der Tag bringt.

Quelle: Arno Geiger

Karl sagt sich: So war ich nie, so frei, so unabhängig. Vielleicht könnt ich’s jetzt, für einige Augenblicke, für drei Tage, das wäre immerhin etwas. Kann man Unbeschwertheit lernen? Wird man so geboren? ... Wäre das gut? Will ich tanzen oder kotzen?

Quelle: Arno Geiger – Reise nach Laredo

Die Begegnung mit der Welt hilft dem früheren König

Arno Geiger beantwortet diese Frage im Roman durch den Roman mit JA, Ausrufezeichen! Tanzen, und Kotzen auch. Nicht der Rückzug in Kontemplation und Selbstbefragung, den Karls Beichtvater ihm nahelegt, hilft dem König ohne Krone weiter mit sich selbst, es ist die Begegnung mit der Welt. Das macht die „Reise nach Laredo“ erneut zu einem sehr persönlichen Buch dieses ungewöhnlichen Autors. Man kann das einen historischen Roman nennen, denn er ist ja fraglos im 16. Jahrhundert verortet, historische Figuren treten auf, und Tizians Gemälde lassen sich im Museum anschauen. Aber das Herz dieses Buchs schlägt zeitlos.
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