Katja Riemann im Gespräch
Nina Wolf: „Nebel und Feuer“: Im Nachwort verraten Sie, eigentlich sollte Ihr erster Roman ganz anders heißen…
Katja Riemann: Das Buch ist geschrieben worden über einen relativ langen Zeitraum unter dem Arbeitstitel „Die Welt brennt“, dann haben wir uns umentschieden. Weil wir überzeugt waren, das sei nicht besonders verkaufsträchtig in Zeiten wie diesen.
Und ich bin sehr glücklich mit dem neuen Titel.
Nina Wolf: Die Welt brennt, das ist auch der Zustand von Johaenne. Sie steht im Mittelpunkt Ihres Romans, und ihre Welt ist auseinander gebrochen. Was ist Johaenne für eine Figur?
Katja Riemann: Sie ist Musikerin. Vermutlich macht sie so etwas wie Jazz, ist Bassistin und Frontfrau einer Band, und der Mann ist aus ihrem Leben verschwunden, ohne ein Wort, als hätte es ihn niemals gegeben. Und als hätte es sie als Paar und die Liebe nie gegeben. Als hätte man quasi mit einem magischen Trick viele Jahre aus dem Leben radiert und da ist eine Leerstelle.
Das, was mich interessiert, auch mit den anderen Figuren, die dann dazu stoßen, ist zu überprüfen, wie man mit dem Verlust, mit dem Kummer und dem ohnmächtigen Schmerz, wo man auf mich sich selbst zurückgeworfen ist, umgeht.
Vier Frauen, die sich auch partiell gar nicht kennen, kommen in ein sogenanntes freiwilliges, digitales Detox in einem Haus auf dem Land. Sie wissen nicht, dass um sie herum die Welt tatsächlich brennt.
Vier Frauen, viele Geschichten
Nina Wolf: Eine Schicksalsgemeinschaft, Ayo, Jay, Shenmi, Johaenne, das sind ganz unterschiedliche Frauen, ganz unterschiedliche Lebensgeschichten, die Sie da erzählen. Sie kommen aus unterschiedlichen Milieus und Kulturen. Was hat Sie an den Perspektiven interessiert?
Katja Riemann: Ayo ist in Johaennes Band. Sie ist in Nigeria geboren, und ihre Mutter hat sie mit zwölf Jahren nach Deutschland geschickt, zum Bruder der Mutter, und gesagt: ,Klassische Musik, das können die Deutschen. Darum musst du nach Deutschland, um dort zu studieren.‘
In der Recherche für Ayo interessierte mich zu schauen, wieviel POC in Deutschland in der Klassischen Musik am Klavier gibt es eigentlich.
Dann gibt es Shenmi, eine Hongkong-Chinesin, gerade erst seit einem Jahr in Berlin. Sie hat Hongkong verlassen, weil die Ohnmacht über den Verlust ihrer Schwester, ihr die Luft abgeschnürt hat. Sie macht auch eine Entdeckungsreise zu ihrer eigenen Sexualität. Dann gibt es Jamal, genannt Jay. Aus Essen, eine Deutsche mit libanesischen Eltern. Sie ist verheiratet mit einem sehr aufbrausenden Mann.
Wenn Sie mich fragen, warum diese Figuren, dann hat das wahrscheinlich auch immer damit zu tun, was man als Schreibende, als Autorin abbilden will. Auch, was die eigene Lebensrealität ist.
Also, ich reise viel, ich fühle mich verbunden mit unterschiedlichen Kulturen, von denen ich bereichert werde. Und ich glaube, dass das eben auch eine Reflektion und Spiegelung unserer Zeit ist, die ja so angegriffen wird, in einer globalen, vielseitigen Gemeinschaft. In Deutschland, dem zweitgrößten Einwanderungsland der Welt.
Ich glaube, da war ein Bedürfnis, eine Gesellschaft oder eine Gruppe zu erzählen, wo wir mal diese Narrative ändern. Eine bunte Vielfältigkeit von Leuten, die wahnsinnig in Verbindung gehen können: Über ihre eigenen Geschichten und vor allem über ihren Humor und ihre Fähigkeit, Zuneigung auszuüben.
Ein dystopischer Roman?
Nina Wolf: Was ist denn der Zustand der Welt im Roman?
Katja Riemann: Das, was erfunden ist, ist eine globale Herausforderung: ein Nebel, der sich auf die Welt gelegt hat. Dazu passieren Feuer und Heuschreckenschwärme. Ich frage, wie umgegangen wird mit solchen Katastrophen. Wie das als feindselig betrachtet wird, aber auch ein Erkenntnisgewinn sein könnte. Oder sollte.
Nina Wolf: Haben Sie eine Dystopie geschrieben?
Katja Riemann: Ja, das ist eine gute Frage. Da sind Sie nicht der Erste, die mich das fragt. Ich würde sagen Nein und mich dagegen wenden, dass es eine dystopische Geschichte ist. Weil es natürlich sehr modern ist, Dystopien zu schreiben, weil, dann müssen wir uns nicht tatsächlich mit dem auseinandersetzen, was unsere Realität ist, wo uns das Wasser bis zum Halse steht. Das ist dann der schöne Grusel, quasi das Tanzen auf dem Vulkan.
Der Zustand der Welt, von dem ich berichte, ist ausschließlich basierend auf Realitäten. Da hab ich nichts erfunden. Das habe ich nur verdichtet und zeitgleich spielen lassen.
Freundschaften und Familien
Nina Wolf: Die Frauen haben bewegte Lebensgeschichten. Sie finden Kraft in ihrer gegenseitigen Freundschaft, die aus dieser schicksalshaften Zusammenkunft entsteht. Weibliche Freundschaften, wollten Sie das erzählt?
Katja Riemann: Ja, ganz sicherlich. Na ja, es muss gar nicht nur weibliche Freundschaft sein. In diesem Fall ist das jetzt halt so.
Aber unser Leben ist so kurz. Wir sind alle hier gemeinsam drin in einer Gesellschaft und in einer Gemeinschaft. Es geht viel besser, wenn man das gemeinsam auch leistet. So, wie man sich interessiert für eine andere Person, so wird sich auch zurück interessiert für dich.
Individualistisch zu sein ist wunderbar. Trotzdem brauchen wir die Gemeinschaft, die nicht zwingend eine Familie sein muss. Der Mikrokosmos einer Gesellschaft, das ist die Familie. Aber wenn wir ganz ehrlich sind: in der Familie, entsteht ja auch wahnsinnig viel Tumult, Trubel und Mord. Darum geht es bei mir eben: Nicht um eine Familie, sondern um Menschen, die sich füreinander interessieren.