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Etel Adnan – Hochbranden

4 min • 24 februari 2025
Regen. Salzwasser. Wellen. Schon die ersten Bilder – oder sollte man sagen Elemente? – in Etel Adnans Band „Hochbranden“ ziehen einen hinein in das evokative Universum dieser Dichterin und Denkerin. Es sind sinnstiftende, da programmatische Bilder. Denn wie Wellen und das Meer kräuseln sich in diesem Band auch die Gedanken und Überlegungen in einer unendlichen Bewegung. 
Regen kehrt zum Klang seines Ursprungs zurück, wenn die Nacht sich ausbreitet; über dem Land ist die Nacht so lang wie die verlassenen Straßen einer Stadt ... oder der Weg zu fernen Galaxien. 

Quelle: Etel Adnan – Hochbranden

Erkundungen über das Sein 

Tatsächlich ist „Hochbranden“ eine tiefgründige Erkundung von grundlegenden Fragen des Seins: Was ist Identität? Was ist Realität? Wo sind die Grenzen unserer Wahrnehmung und unseres Selbst? Der Band ist zusammengesetzt aus einem längeren Prosa-Gedicht und einem dreiteiligen Zyklus mit dem Titel „Gespräche mit meiner Seele“. Was die Texte eint, ist die fragmentarische Form des philosophischen Aphorismus. 
Niemand weiß, woraus das Leben entspringt, aber es entspringt, wie die Realität aus einem Heidegger-Buch. Normalerweise sehe ich einen Teppich auf dem Boden, Stühle, wahrscheinlich einen Hund, ganz einfach. Und wahrscheinlich alles falsch.  

Quelle: Etel Adnan – Hochbranden

Immer wieder versinnbildlicht Adnan mit solch unerwarteten Wendungen: Es gibt keine eindeutigen Antworten auf die großen existentiellen Fragen. Im Gegenteil: Fast lustvoll bricht die Autorin mit der Illusion, es gäbe so etwas wie ein letztes Wissen. 

Spirituelle Gelassenheit, kindliche Neugier 

Spirituelle Gelassenheit ist deshalb in diesen Texten ebenso zu vernehmen wie Adnans lebenslang ungetrübte, fast kindlich anmutende Neugier auf alles, das sie umgibt: vom Nebel im geliebten San Francisco bis zum Mond am fernen Horizont. Zugleich ist nichts darin reine Abstraktion: Etel Adnan war bereits 93 Jahre alt bei Erscheinen des Bandes. Alles, worüber sie schreibt, ist durchtränkt von den Erfahrungen ihres langen Lebens. Dazu zählt auch das Nachdenken über den Tod: 
Wir spüren nur zu gut dieses Hochbranden einer Angst in der Obskurität der Organe, diese Obskurität, diesen inzestuösen Schmerz.  

Quelle: Etel Adnan – Hochbranden

Das Grenzenlose denken. Denken ohne Grenzen 

Adnan weiß um diesen Schmerz. Aber indem sie sich selbst in den endlosen Seins-Kreislauf von Vergehen und Werden einwebt, verweigert sie dem Tod die Macht über sich und ihr Denken. Dieses Denken ist grenzenlos – wie die Gezeiten. Überhaupt: Grenzen zu überwinden ist tief in die Poetik von Etel Adnan eingeschrieben.  
Berge steigen in uns auf, wie es die Sprache tut, machen aus der Analogie einen wesenhaften Teil des Denkens (somit des Daseins). Daher sind Berge Sprachen und Sprachen sind Berge. Wir sprechen beides.  

Quelle: Etel Adnan – Hochbranden

Diese Grenzenlosigkeit erlaubt es Adnan auch, Poesie und politische Realitäten mühelos miteinander zu verbinden. So lässt sie mit nur wenigen Worten das Bild einer scheinbaren Idylle in die Versehrungen einer Welt münden, die von Krieg und Vertreibung heimgesucht ist. 
Züge zu nehmen, ist beruhigend: Ihr gleichmäßiger Rhythmus durchdringt die Landschaften, die sie durchqueren, während viele Flüchtlinge, die am Rande von Kriegen leben, diesen Rhythmus in ihren Adern tragen. Aber in einer Stadt anzukommen, ist eine andere Geschichte: Es bedeutet, Kriegsherren in die Arme zu laufen, die ganze Ortschaften niedergemäht haben. 

Quelle: Etel Adnan – Hochbranden

Und doch: „Hochbranden“, von Klaudia Ruschkowski in ein glasklares Deutsch übertragen, spendet Trost: Denn auch Etel Adnans Liebe zu allem Seienden ist: grenzenlos. Wer sich mit ihr auf Reise begibt, ist gerüstet für eine ungekannte Zukunft. 
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