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Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand

4 min • 4 februari 2025
„Geh Weg“, so wollte der Stuttgarter Journalist Joe Bauer die jüngste Sammlung seiner Kolumnen eigentlich nennen. Glücklicherweise war sein Verleger dagegen. Zwar wäre in „Geh Weg“ die peripatetische Grundeinstellung dieser, wie der Untertitel lautet, „Beobachtungen eines Stadtspaziergängers“ fein angeklungen, zugleich aber die grimmige Abwehrformel „Geh weg!“ kaum überhörbar gewesen. Nun heißt das Buch mit seinen gut 50 Texten „Einstein am Stuttgartstrand“. Mit vollem Recht, denn was Albert Einstein mit Stuttgart beziehungsweise dem eingemeindeten Cannstatt zu tun hat, wird hier ebenso enthüllt wie die Bedeutung von Phil Glass, dem Komponisten des Minimal-Music-Meilensteins „Einstein on the Beach“, für das hiesige Opernhaus.  

Veteran im mentalen Mäandertal 

Auf Joe Bauers Laptop, mit dem er sich am Neckarufer oder in einer Kettenbäckerei mit freiem Blick auf die dysfunktionalen Reste des Stuttgarter Hauptbahnhofs niederlässt, kommt alles zusammen, mal auf kürzestem Weg, mal mit überraschenden Umschweifen. Auf denen kann dann noch ganz viel anderes aufgelesen und in Erinnerung gerufen werden, aus den historischen Tiefen des Stadtraumes wie aus einem mittlerweile 70-jährigen Leben. Als Bauer vor einem Vierteljahrhundert erstmals zu seinen Stadtspaziergängen aufbrach, ging es ihm darum, ganz in guter Lokalkolumnisten-Manier auf die beim automobilen Durchrauschen übersehenen Details der „Großstadt zwischen Wald und Reben, zwischen Hängen und Würgen“ aufmerksam zu machen. Jedoch: 
Als Veteran im mentalen Mäandertal gehe ich heute mehr herum als früher, ohne allerdings noch einmal auf die Idee zu kommen, meine Abwege weiterzuempfehlen. 

Quelle: Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand

Eine gewisse Melancholie macht sich in dieser an vielen Großen geschulten Formulierungskunst bemerkbar, und das hat Gründe, nicht nur, weil mehrere der hier versammelten Texte Nachrufe oder Grabreden auf Weggefährten sind. Seit 26 Jahren schreibt Joe Bauer seine Kolumnen, unterwegs in den Dreckecken wie den Glanzbildchen der Landeshauptstadt ist er als Journalist schon fast doppelt so lang. In dieser Zeit hat sich das ehedem behäbig-bürgerliche und vorbildlich integrationsbereite Stuttgart stark verändert. Zuletzt nicht zum Guten.  

Eher Kundschafter als Müßiggänger 

Die Immobilienspekulation zerstört den öffentlichen Raum, die Pandemiezeit hat ihre Spuren hinterlassen mit der leider von hier ausgehenden Querdenkerei, die Lagerbildung seit Putins Überfalls auf die Ukraine beschäftigt auch den Kolumnisten, der sich im wirklichen Leben seit langem gegen Rechtsextremismus engagiert. Kommt hinzu, dass dem naturgemäß randständigen Typus des „Flaneurs“, auch wenn Bauer ihn eher als „Kundschafter“ denn als privilegierten Müßiggänger definiert, traditionell keine überschäumende Lebensfreude eignet: 
So wunderte ich mich schon als junger Kerl, dass ich überhaupt noch geboren werden konnte. Dieses an sich schon absurde Ereignis brachte mich dazu, ein Leben als Pessimist zu führen. Nur auf diese Art konnte ich zusehen, wie die Stuttgarter Kickers bis in die fünfte Liga abstürzten. Ich habe ihnen das nie krumm genommen, weil sich für einen Pessimisten ‘Oberliga‘ immer noch verdammt glamourös anhört. Wenn du in einer Stadt lebst, in der sie auf dem Marktplatz einen metallenen Foodtruck mit Blumentrögen einzäunen und ,the ratskellerbar‘ nennen, spielst du ohnehin bar jeder Klasse in der Kreisliga. 

Quelle: Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand

Bauers Spottlust ist offenkundig ungebrochen, allen alters- und gesamtsituationsbedingten Verfinsterungen zum Trotz. Auch wenn sie es nicht immer leicht zu haben scheint, sich durchzusetzen. Das liegt nicht nur am erwähnten Pessimismus. Joe Bauer will es nicht dabei belassen, glossierende Bemerkungen über Honoratioren-Ignoranz oder zweifelhaftes Stadt-Marketing, um es mit einem Modewort zu sagen, „abzuliefern“. Gerade in der Frage von Krieg und Frieden ringt er offen um Haltung, wehrt sich gegen die Schublade des „Lumpenpazifismus“, liest Clausewitz, sucht Argumente. An denen kann man sich reiben. In unseren Tagen der oft wohlfeilen Eindeutigkeiten ist das schon viel. 
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