Ein Mittel gegen Lyrismen. Halten wir das Licht, besonders das honigfarbene Licht, von unseren Augen fern. Nur die Fakten, Mann – keine malerischen Effekte. Wir sind hier, um Verbrechen aufzulisten. Die Stadt ist ein Netz von schematischen Darstellungen. Versuchen wir, ein paar Nadeln in die Karte zu stecken.Dieses Vorhaben scheitert – glücklicherweise. Der Titel „Der Fall Brooklyn“ greift ganz bewusst auf juristisches Vokabular zurück. Lethem zeigt, wie Jugendliche in Brooklyn in den 1970er-Jahren, die er selbst dort erlebt hat, in einem Umfeld selbstverständlicher Kriminalität aufwachsen. Überfälle, Diebstähle, Drohungen und Machtkämpfe unter rivalisierenden Gangs sind der Normalfall. Lethem kennt die Sprüche, die Gesten, das Distinktionsgehabe bis ins kleinste Detail. Und er erzählt davon in einem swingenden, mitreißenden Tonfall, ohne den Ernst der Lage zu verharmlosen. Für die Straßenkriminalität und die Raubüberfälle unter den Jugendlichen wählt Lethem das Bild des Tanzes: Ein streng choreographierter Ablauf von Blicken, Bewegungen und Dialogen, von dem abzuweichen beinahe ein Vergehen ist und den nur die Jugendlichen untereinander verstehen:Quelle: Jonathan Lethem – Der Fall Brooklyn
Die Eltern werden es nie wirklich kapieren. Was draußen vor sich geht. Wie sich der Tanz wirklich anfühlt. Die Worte, die gesprochen werden, und das, was gemeint ist, die Bedeutung, die hinter den Worten der Straße lauert.Und weil das so ist, gilt für jeden Einzelnen da draußen auf der Straße: „Schütz dich selbst. Niemand anderes tut es für dich. Entwickle Methoden." Staat, Polizei, Hausbesitzer oder Behörden sind hier keine Autoritäten. Im Gegenteil: Sie sind Player im großen Getriebe, das Lethem in seinen Beschreibungen offenlegt. Auch die Mafia mischt natürlich kräftig mit. Und in einem Sprung in die zweite Hälfte der 1990er-Jahre wird beschrieben, welche Auswirkungen die restriktiven Polizeimaßnahmen unter Bürgermeister Giuliani hatten. Dass es trotz aller Härten auch zu kuriosen Situationen kommt, versteht sich: Da ist beispielsweise der Kunde eines Optikers, der regelmäßig einen dunklen Fleck auf seiner Brille moniert. Da sind Berichte von missglückten Überfällen, allen voran der kuriose Fall, in dem ein Pizzadieb scheitert, weil sein Opfer das Stück einfach schnell aufisst, woraufhin der fassungslose Täter empört protestiert, dass das so nicht gehe. Da ist aber auch die Geschichte der beginnenden Gentrifizierung des Stadtteils in Person eines angeblichen Millionärs, der eines der alten Häuser kauft, aufwendig renoviert und dort einzieht.Quelle: Jonathan Lethem – Der Fall Brooklyn
Es gab die, die abgehauen sind, und die, die geblieben sind; ich war einer von denen, die geblieben sind. Mehr will ich nicht verraten. Ich will lieber nicht deutlicher werden. Sagen wir einfach, ich bin für immer unter ihnen. Schwarzen, Braunen, Weißen, Jungen, Mädchen. Den Erinnerern und den Vergessern. Ich gehöre zu ihnen. Ich liebe sie zu sehr, um mehr sagen zu wollen.Eine Liebeserklärung an die Stadt. Manchmal nostalgisch, nie verklärend – und exzellent geschrieben: „Der Fall Brooklyn“ zeigt Jonathan Lethem endlich wieder in Bestform. Ein Stadtteil, der immer im Schatten des glamourösen Manhattan lag, wird zur Bühne für einen Reigen aus Träumen, Ängsten und sozialen Verwerfungen. Und was es mit den zersägten Münzen der beiden Vierzehnjährigen auf sich hat, wird hier selbstverständlich nicht verraten.Quelle: Jonathan Lethem – Der Fall Brooklyn