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Jungs, die Könige sein wollen: Oliver Lovrenskis Roman „bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“

10 min • 28 mars 2025

Oliver Lovrenski im Gespräch

Kristine Harthauer: Du bist dieses Jahr auf der Leipziger Buchmesse, wahrscheinlich nicht Deine erste Buchmesse, aber Deine erste in Leipzig. Worauf freust Du Dich? Oliver Lovrenski: Ich war schon auf einigen Buchmessen mit meinem Roman, aber noch nicht in Deutschland. Ich war auch noch nicht oft in Deutschland, deswegen freue ich mich sehr, das wird schön.

Leben außerhalb der Gesellschaft

Kristine Harthauer: Die Leipziger Buchmesse ist bekannt dafür, dass es eine Messe für die Leser ist, es gibt mehr als 2000 Veranstaltungen und Lesungen. Die Figuren in deinem Roman hingegen sind keine Bücherwürmer. Sie heißen Marco, Jonas, Arjan und Ivor, die vier leben in Oslo, aber nicht in den schönen, reichen Stadtteilen - was sind das für Jungs, was treibt sie um?  Oliver Lovrenski: Die Figuren sind sehr unterschiedlich. Marco kommt aus Somalia, Arjan aus Indien, Ivor hat kroatische Wurzeln. Sie sind mulikulturell, haben verschiedene Religionen, aber gleichzeitig fallen sie aus der Gesellschaft raus, sie leben am Rande dessen, was als normal gilt. Sie leben in dieser Welt voller Gewalt, Drogen und Kriminalität. Und was mein Buch so besonders macht, ist, dass es kein Kriminalroman oder ein Gangsterroman ist. Es geht um die Menschen, man lernt sie als Menschen kennen: Man spürt die Liebe zwischen ihnen und was sie antreibt, ihren Hunger danach, ein wertvoller Mensch zu werden, nützlich zu sein. Und natürlich geht auch ums Geld und den Status und größer und stärker zu werden. Aber eigentlich wollen die Jungs aufwachen mit dem Gefühl, gebraucht zu werden. Sie werden von Jungs zu Männern und finden heraus, was es heißt, erwachsen zu sein.

König oder Mann?

Kristine Harthauer: Ja, aus den Jungs werden Männer. In einer Szene treffen die Jungs auf einen Alkoholiker, der sagt zu ihnen: „Mann werden ist schöner als König werden.“ Was für Männer wollen diese Jungs sein? Oliver Lovrenski: Ich glaube, das wissen sie gar nicht. Und woher soll man das auch wissen, wenn man 16 Jahre alt ist und du von nichts eine Ahnung hast, oder? Das Zitat ist aus einem kroatischen Gedicht oder Buch, ich bin mir da nicht mehr sicher. Aber da drin steckt ein wahrer Kern, den junge Menschen hören sollten, in diesem Fall die Jungs: Es ist ein großer Unterschied, ob du ein König oder ein Mann werden willst. Und es ist viel schöner ein Mann zu werden, der Verantwortung übernimmt, ehrlich ist und integer. Ich glaube, ein paar der Jungs in meinem Buch fangen auch an, das zu verstehen, aber es dauert. Und wenn du 16 bist, wer will da nicht König sein? Eigentlich will niemand ein Mann sein, der eine Hypothek hat und Kinder und Verantwortung trägt. Alle wollen König sein, aber das geht nicht. Es geht ein paar Jahre gut und dann bricht alles auseinander. Und Könige werden ersetzt.

Kurzfristiges Glück steht über allem

Kristine Harthauer: Am Ende aber sagt Ivor, dass er immer noch König werden will. Er gibt das nicht auf. Dabei hat er ja andere Träume: Boxer werden oder Anwalt. Oder dass er auf einen Hof in Kroatien zieht mit Pferden und Kühen und ohne Handyempfang. Aber er entscheidet sich anders und geht den Weg als Drogendealer in den harten Stadtteilen Oslos. Wovor flieht er, warum ist dieser Weg für ihn einfacher als der „normale“? Oliver Lovrenski: Weil man für den normalen Weg kurzfristige Opfer bringen muss, um langfristig erfolgreich zu sein. Aber in dem Umfeld, in dem Ivor lebt, zählt der kurzfristige Erfolg. Und dazu kommt, dass niemand um ihn herum langfristig denkt und er sich deswegen nicht schlecht fühlen muss. Deswegen ist es wichtig, mit wem man sich umgibt, weil diese Menschen einen beeinflussen. Sie setzen die Maßstäbe. Um da rauszukommen, muss man sich mit klugen, verantwortungsvollen Menschen umgeben. Aber es ist tragisch für viele dieser Jungs, dass sie eben in diesem Umfeld bleiben, was ihnen sehr schadet. Und ich verstehe Ivor: Ich bin heute Morgen aufgewacht mit lauter verpassten Anrufen von meiner Agentin und meinem Verlag und ich dachte mir, oh mein Gott, warum nehme ich nicht einfach das Geld von meinem Buch und ziehe auf eine Farm in Kroatien und werfe mein Handy weg? Dieser Wunsch, vor der Verantwortung zu fliehen, kommt und geht bei mir, aber er ist immer da. Ich habe mich für dieses Leben entschieden und werde nicht weglaufen. Kristine Harthauer: Du gehst den langen Weg. Oliver Lovrenski: Genau, der langfristige Weg zahlt sich mehr aus, aber man muss akzeptieren, dass so das Leben ist und es immer wehtut. Ich kenne so viele Leute, die sich für den schnellen Erfolg entschieden haben. Sie genießen ein paar gute Jahre und für den Rest ihres Lebens sind sie aber gebrochen.

Die harten Seiten Oslos

Kristine Harthauer: Du bist in Oslo nicht im selben Umfeld wie Deine Figuren aufgewachsen, aber Du kennst Leute aus dieser Gegend. Wo hast Du Deine Romanfiguren gefunden? Oliver Lovrenski: Die Figuren sind alle fiktiv, aber ich kenne dieses Umfeld aus meiner Jugend und aus der Schulzeit. Um mich herum war das immer präsent, der Alkohol- Drogenmissbrauch, Gefängnisse und die Gewalt, mich hat das nicht betroffen, aber die Menschen um mich herum.

Freundschaft steht über der Familie

Kristine Harthauer: Die Freundschaft zwischen den vier Jungs steht über der Familie. Gibt es diese Art von Freundschaft nur, wenn man in so instabilen Verhältnissen wie Ivor und seine Freunde aufwächst? Oder ist dieser Art von Freundschaft universell? Oliver Lovrenski: Ich glaube, diese Art von Freundschaft existiert eigentlich nicht, für niemanden. Diese Freundschaft ist der Teil im Buch, den ich am meisten glorifiziere oder romantisiere. Sie ist zwar nicht perfekt, aber Menschen sind nie so loyal oder so gut. Und ich würde sagen, in diesen, wie Du sagtest, instabilen Verhältnissen, betrügen sich die Menschen mehr als woanders. Du kannst dort deinen Freunden weniger vertrauen und es steht viel mehr auf dem Spiel. Den Menschen geht es viel schlechter und sie sind viel verzweifelter. Deswegen spiegelt die Freundschaft im Buch nicht wirklich die Realität wider. Es ist eher so, als würde man die besten Seiten rauspicken. Kristine Harthauer: Was ist mit Oslo? Ist es so schlimm wie Du es in Deinem Buch beschreibst? Oliver Lovrenski: Diese Gegend, die von Drogen und Kriminalität durchzogen ist, ist so wie ich es in meinem Buch beschreibe. Und es ist gerade sogar schlimmer, denn ich habe das Buch vor ein paar Jahren angefangen zu schreiben. Diese Gegend ist nur ein Teil von Oslo. Was darin passiert, betrifft die Leute außerhalb dieser Gegend nicht, oder zumindest noch nicht - aber das kann sich ändern, denn die Lage wird schlimmer. Wenn man als junger Mensch in bestimmen Teilen Oslos aufwächst, ist es schwer, sich davon nicht beeinflussen zu lassen, weil es Teil der Jugendkultur ist. Aber Oslo ist eine sichere Stadt, es ist nicht wie in Schweden. Aber in den letzten 10, 20 Jahren hat sich etwas bei den jungen Leuten verändert.

Sehnsucht nach einem Bauernhofleben

Kristine Harthauer: Oliver, wie hast Du mit dem Schreiben angefangen? Oliver Lovrenski: Es ist einfach passiert, ich habe einfach angefangen über Dinge zu schreiben, die ich erlebe. Und dann habe ich verstanden, dass das ein Buch werden könnte. Ich habe als Kind sehr viel gelesen und weiß, welche Kraft Bücher haben. Und in Norwegen hatte niemand bisher über dieses Umfeld geschrieben. Ich habe gedacht, dann mache ich das halt, weil ich die Sprache kenne und die Gefühle und weiß, was dort passiert. Ich war 17, 18 als ich mit dem Schreiben angefangen habe und es war nicht so, dass ich mir wirkliche viele Wege offenstanden. Und es hat schließlich geklappt. Ich habe zwei Jahre für das Buch gebraucht und nachdem es erschienen ist, war ich müde vom Schreiben und habe gesagt, dass ich damit aufhöre. Aber ich mag es, zu schreiben und mache erst mal weiter. Nur nach dem nächsten Buch werfe ich wahrscheinlich mein Handy weg und ziehe doch auf eine Farm. Ich liebe es, zu schreiben, aber ich liebe es auch, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich liebe es, dass ich die Möglichkeit habe, all das zu tun, es ist ein bisschen verrückt. Aber das ist nichts für mich. Ich werde andere Entscheidungen treffen, um etwas mehr Ruhe zu bekommen. Ich lese gern und packe mir viele Bücher ein und schalte das Internet aus. Und es wird immer noch okay sein. Kristine Harthauer: Auf einer Farm kannst Du trotzdem weiterschreiben. Oliver Lovrenski: Das stimmt schon und es geht sogar besser, das ist toll, eigentlich will ich auch nicht anderes machen.
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