SWR Kultur lesenswert – Literatur
Werden wir sterben?10 Jahre alt ist der Sohn – und genauso lange irrt der Vater mit ihm durch die kaputte Welt. Das geht aus einem Brief hervor, den der Vater im Comic auseinanderfaltet. Es ist der Abschiedsbrief der Mutter, die ihren Sohn kurz nach der Katastrophe entbunden hat. Sie hatte keine Hoffnung, menschenwürdig in dieser zerstörten Welt zu leben und erschoss sich. Nun irrt der Vater mit der Pistole durch die Welt und hat noch genau zwei Kugeln übrig.
– Irgendwann schon.
– Und was… würdest Du machen, wenn ich sterben würde?
– Dann würde ich auch sterben wollen.Quelle: Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy
Geht´s? Dir ist kalt, mh?Cormac McCarthy lässt in seinem Roman „Die Straße“ abwechselnd Vater und Sohn von ihrer Odyssee erzählen. Manu Larcenet streicht den Text des gut 250-Seiten Romans radikal zusammen. Sprache ist in dieser unmenschlichen Umwelt kein facettenreiches Kommunikationsmittel, das Grauen ist unaussprechlich. Vater und Sohn haben keine Namen und unterhalten sich fast ausschließlich über Praktisches. Umso bedrohlicher werden die kleinsten Wendungen in der kargen Kommunikation.
– Ja. Können wir anhalten?Quelle: Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy
Ich versuche, ein Feuer zu machen. Gib mir die Streichhölzer.Im Roman bezeichnen sich Vater und Sohn als diejenigen, die „das Feuer bewahren“. Damit meint Cormac McCarthy, dass sie trotz aller Widrigkeiten ein moralisch integres Leben führen. Das wird bei all dem Hunger und dem Schrecken immer wieder auf die Probe gestellt. Als der Sohn von einem Kannibalen gefangen wird, befreit ihn der Vater mit einem Kopfschuss. Die halb verhungerten Menschen, die sich andere Kannibalen in einem Keller als Vorratslager halten, werden dagegen von Vater und Sohn nicht befreit, aus Angst, Aufmerksamkeit zu erregen.
– Ich… Ich hab sie verloren, Papa.
– Was?
– Ich hab sie verloren, ich weiß nicht wann. Ich wollte es Dir nicht sagen, tut mir leid, Papa.Quelle: Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy
Papa?Und dann werden sie auch noch beraubt. Alles Hab und Gut, das die beiden in einem Einkaufskorb den weiten Weg bis ans Meer geschoben haben, die Konserven, die sie in mühevoller Arbeit zwischen Leichen und anderen grausigen Funden zusammengeklaubt haben, um zu überleben, ist nach der ersten Nacht am Meer weg. Wie ein Wahnsinniger sucht der Vater nach dem Dieb, flitzt von der Deckung eines Autos über die Straße, findet einen verlotterten Mann mit dem Einkaufswagen - und rächt sich.
– Mmh?
– Was sind unsere langfristigen Ziele?
– Wo hast Du das denn her?
– Das hast Du gesagt.
– Wann?
– Vor langer Zeit.
– Und was war die Antwort?
– Das weiß ich nicht mehr.
– Ich auch nicht.Quelle: Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy
Das Messer runter… Zieh dich aus, alles runter – und zwar schnell… Leg alles in den Wagen.In einem Anfall von Wut und Verzweiflung hat der Vater seinen Vorsatz vergessen, moralisch integer zu bleiben. Will man in so einer Welt wirklich überleben? Cormac McCarthy gibt darauf keine Antwort. Stattdessen zeigt er den Niedergang aller Menschlichkeit in einer zerstörten Welt. Als der Roman vor knapp 20 Jahren erschien, vermuteten viele Kritiker, dass McCarthy die Folgen des Klimawandels (beschrieben/aufgezeigt) hat. Heute erscheint das noch wahrscheinlicher. Manu Larcenet hat die Sprache des Romans in eindrückliche und zeitgemäße Bilder des Grauens verwandelt, mit facettenreichen Grauschattierungen. Das ist keine erbauliche Sommerlektüre, sondern ein postapokalyptisches Meisterwerk.
– Mach das nicht.
– Die Schuhe auch. Ich verhungere.. Du hättest dasselbe getan. Du weißt, ohne Kleider verrecke ich.
– Du wolltest uns töten. Ich lass Dich genauso zurück, wie Du uns.Quelle: Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy