SWR Kultur lesenswert – Literatur
Ich war glücklich. Ich dachte, den Höhepunkt meines Lebens erreicht zu haben. Nie hätte ich etwas Derartiges zu hoffen gewagt. Wie auch? Keine Frau vor mir hatte je ein derartiges Gebäude ersonnen. Ich weiß nicht einmal, ob eine Frau jemals gewagt hatte, davon zu träumen.… sinniert die Romanheldin beim feierlichen Spatenstich der Villa, die sie im Auftrag des Abtes Elpidio Benedetti entworfen hatte. Dass dieser später behaupten wird, die Villa sei ein Werk von Plautillas Bruder gewesen, konnte sie zu dem Zeitpunkt nicht ahnen. Im Roman figuriert Elpidio auch als ihr heimlicher Geliebter und macht dabei eine ziemlich schäbige Figur. Aber nicht nur von ihm wird die Künstlerin zurückgesetzt, weil sie eine Frau ist.Quelle: Melania G. Mazzucco – Die Villa der Architektin
Bei jedem Schritt laufe ich Gefahr, dass mich eine Kutsche überfährt und mich plattdrückt wie eine Pizza. Denn ich stehe mit offenem Mund da und bestaune die Kutschen. Nur wer eine Kutsche besitzt, ist in Rom wer. Ich habe noch nie in einer gesessen, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, von oben herab die Straße zu betrachten und die Armen, die zu Fuß gehen. Vielleicht gerade so, wie wenn ich die Ameisen betrachte, die am Boden in Reih und Glied marschieren.Ihr Lebtag lang wird Plautilla unter einer doppelten Ungerechtigkeit leiden: jener der niederen Herkunft und jener des Frauseins in einer Welt, die für Frauen nur die Rollen der Gebärerin oder der Nonne vorsieht. Für die Männer, die ihre Zuneigung erwecken, kommt sie als Braut nicht infrage, weil sie keine Mitgift zu bieten hat. Zugleich scheint ihre künstlerische Berufung ein Eheleben auszuschließen. So umweht diese Romanheldin eine zutiefst melancholische Aura: Ihre Zeit verdammt sie dazu, weder ihre Ambitionen noch ihr Gefühlsleben vollends zu verwirklichen.Quelle: Melania G. Mazzucco – Die Villa der Architektin