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Melanie Raabe – Der längste Schlaf

5 min • 9 februari 2025
Mara hat prophetische Träume. Sie träumt etwas und kurze Zeit später passiert dies wirklich. Diese Gabe ist mehr Fluch als Segen, denn eines Tages träumt sie sogar den tödlichen Unfall ihrer Eltern, der dann tatsächlich eintritt.
Ich hatte schon immer sehr lebendige Träume gehabt, wie wohl die meisten Kinder, aber irgendwann geschahen Dinge, die eben nicht normal waren.

Quelle: Melanie Raabe – Der längste Schlaf

Das ist schon lange her. Inzwischen ist Mara Lux eine bekannte Schlafforscherin und lebt in London. Obwohl sie auf neurowissenschaftlicher Ebene sehr viel über das Phänomen Schlaf weiß, schläft sie selbst schlecht.

Beunruhigend realistische Träume

Und dann sind auch die Träume wieder da. Mara träumt von ihrer Nachbarin, die plötzlich fliegen kann. Zunächst ist sie amüsiert, doch als sie am nächsten Morgen ihre Wohnung verlässt, sind unten auf der Straße viele Menschen versammelt.
Vor dem Eingang flackert Blaulicht und jetzt sehe ich auch die Polizisten, die auf dem Gehweg stehen. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Ein ganz, ganz schlechtes, dunkles, zähes, klebriges Gefühl. Die hübsche junge Frau aus dem ersten Stock wird auf mich aufmerksam und kommt zu mir. „Es ist Mrs. Jones“, sagt sie mit belegter Stimme. „Sie ist aus dem Fenster gesprungen, heute Nacht. Oder besser in den frühen Morgenstunden. Ist das nicht schrecklich?“

Quelle: Melanie Raabe – Der längste Schlaf

Ein merkwürdiges Angebot

Mara ist schockiert. Am Abend wird sie sich einen gehörigen Rausch verpassen, weil sie weiß, dass Alkohol die Traumschlafphasen, den so genannten REM-Schlaf, unterdrückt. Gesund ist das nicht, auch das weiß sie. Aber es ist gerade zu viel los. Denn da ist noch diese merkwürdige E-Mail von einem Notar: Ein ihr unbekannter alter Mann möchte ihr ein Herrenhaus in Deutschland schenken. Keine Verpflichtungen, nur ein riesiges Haus in sogar annehmbaren Zustand. Mara zögert, macht sich dann aber doch auf den Weg, um es sich wenigstens einmal anzusehen. Als sie in dem kleinen Ort namens Limmerfeld ankommt, erkennt sie die Gassen wieder – aus einem Traum. Parallel zu Mara und ihren Abenteuern erzählt Autorin Melanie Raabe noch eine zweite Geschichte:
Ich erinnere mich an das Gefühl des Laufens, so leicht, so frei. Ich erinnere mich, wie ich einen Blick über meine Schulter warf und sah, dass Kai mir dicht auf den Fersen war. Ich erinnere mich, dass ich dachte, dass ich nicht vergessen durfte, ihm zu sagen, dass er später beim Abendbrot auf keinen Fall erzählen sollte, dass wir im Wald gewesen waren, denn der Wald war verboten. Im Wald gab es einen alten Steinbruch und alte Schächte und all diese Dinge, vor denen Mama uns gewarnt hatte, seit wir klein waren. Ich erinnere mich, wie ich den Blick wieder nach vorne richtete, früh genug, um die morschen Planken vor mir zu sehen, nicht früh genug, um rechtzeitig innezuhalten. Und dann der Fall. Und dann die Hoffnung, Kai möge es geschafft haben, möge nicht ebenfalls in den alten Brunnen gestürzt sein. Und dann die Erkenntnis, dass wir beide hier gefangen waren.

Quelle: Melanie Raabe – Der längste Schlaf

Chantal Busse gehört zu jenen Schauspielerinnen, die ihre junge Stimme problemlos einem zehnjährigen Mädchen geben können und natürlich dennoch über das ganze gestalterische Repertoire verfügen, um ihrer Lesung die nötige Tiefe zu geben, Emotionen zu transportieren und Atmosphäre zu erzeugen. Hier ist offenbar ein großes Unglück geschehen.

Erwachende Erinnerungen an ein Unglück in Kindheitstagen

Das Mädchen wird es schaffen, aus dem Brunnenschacht zu klettern, um Hilfe für seinen bewusstlosen Bruder zu holen. Wie aber hängt diese Geschichte mit der von Mara zusammen? Diese hat sich inzwischen entschieden, die Schenkung anzunehmen und verbringt eine angemessen gruselige Nacht in dem verlassenen, aber komplett eingerichteten Haus, das ein seltsames Eigenleben entwickelt. Immer wieder geht das Licht an und Mara wird das Gefühl nicht los, nicht allein zu sein. Am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, oder?
Jetzt noch eine lange Dusche und ein ordentliches Frühstück und ich bin schon wieder ganz die Alte. Während ich noch das Badezimmer im Obergeschoss betrete, streife ich mir bereits das T-Shirt, in dem ich geschlafen habe, über den Kopf und… Mir entfährt ein kleiner, erstickter Schrei, als ich den Spiegel über dem Waschbecken sehe. Mein roter Lippenstift liegt im Waschbecken, die Verschlusskappe auf dem Boden. Jemand hat mir mit ihm eine Botschaft auf den Badezimmerspiegel geschrieben.

Quelle: Melanie Raabe – Der längste Schlaf

„Ich sehe dich“, steht da. „Siehst du mich?“ Nicht gerade beruhigend. Autorin Melanie Raabe versteht ihr Handwerk. Nichts einfacher als einer jungen Frau nachts in einem leerstehenden Haus das Fürchten zu lehren, aber sie schafft es zudem, die Atmosphäre ganz langsam von bedrohlich in freundlich zu drehen, Verfolgte und Verfolger tauschen die Rollen. Schauspielerin Sithembile Menck vollzieht all das stimmlich mit. Gekonnt wechselt sie zwischen der selbstbewussten Forscherin zur verunsicherten jungen Frau und zurück, unterscheidet im Tonfall zwischen Traum und Wirklichkeit und hält die Spannung bis zuletzt. Einzig ein paar kleine grammatikalische Fehler im Text sind etwas ärgerlich, da hätten Lektorat oder Regie besser aufpassen müssen. Dennoch: „Der längste Schlaf“ ist ein gelungenes Hörbuch für alle, die es gerne mit dem Übersinnlichen aufnehmen – zum entspannten Hinübergleiten in die Nachtruhe ist es allerdings nicht zu empfehlen.
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