Mein Vati war der Bücherfreund. Ein blasser Mann, der das Wetter mied und Tag und Nacht über seinen Büchern saß. Das heißt, wenn er Zeit hatte, und Zeit hatte er viel. Er liebte seine Bücher mehr als die Menschen, denn die konnten ihm Böses antun. Die Bücher niemals und nie.Kurzversion als Legende Die Geschichte ihres Vaters hat Monika Helfer vor ein paar Jahren schon einmal in dem Roman „Vati“ erzählt. Jetzt liefert sie die Kurzversion als Legende, kondensiert aufs Wesentliche. Das Wesentliche aber sind die Bücher. Der Vater, kriegsversehrt, weil ihm als Soldat Hitlers in Russland ein Bein erfror und amputiert werden musste, verliebte sich im Lazarett in die Krankenschwester. Die beiden heirateten und leiteten nach dem Krieg ein „Kriegsopfererholungsheim“ hoch oben auf der Tschengla. Dort wurden Monika Helfer, ihre Schwester und ihr Bruder geboren. Ein Heidelberger Professor, dessen kriegsbeschädigter Sohn dort dauerhaft unterkam, spendete seine Büchersammlung, die der Vater sorgsam hütete. Zur 2998 Bände umfassenden Bibliothek hatte außer ihm selbst nur die Tochter Monika Zutritt.Quelle: Monika Helfer – Der Bücherfreund
Er zeigte mir, wie man ein Buch richtig aufschlägt, damit der Buchrücken nicht schief und die Fadenheftung nicht versehrt wird. Man nimmt ein Buch aus dem Regal, streicht mit den Fingern beider Hände darüber, dann öffnet man es leicht, steckt die Nase hinein und riecht, und dann erst blättert man und sucht eine Stelle, die man lesen möchte.Quelle: Monika Helfer – Der Bücherfreund
Beim Nachhausegehen fragte er mich aus. Was ich einmal werden möchte. Ich sagte, ich möchte Schriftstellerin werden. Da lachte er und fragte, warum. Ich sagte: „Ich möchte, dass irgendwann mein Name auf einem Buchrücken steht.“Wie wir wissen, hat dieser Wunsch sich erfüllt. Nach Monika Helfers Roman „Vati“ ist auch die Legende vom Bücherfreund ein Vermächtnis, mit dem die Welt der Bücher, der sich der Vater verschrieben hatte, auf ganz andere Weise bewahrt wird. Das Kindheitsparadies – nichts anderes war diese abgelegene Bergwelt mit dem Bücherschatz im Herzen – war wie jedes Paradies nicht von Dauer. Die Mutter starb, das Heim wurde aufgelöst und in ein Hotel umgewandelt, die Familie musste raus, die Bibliothek sollte im Antiquariat verramscht werden. Diesen Gedanken konnte der Vater nicht ertragen und suchte nach einem Weg, um die Bücher, wenigstens die guten, also fast alle, zu retten. Doch wie unterscheidet man gute von schlechten Büchern? Seine Antwort ist einfach: Am Geruch. Bei guten Büchern verwendet der Buchbinder besseres Papier und besseren Leim. Aber natürlich weiß er auch, dass erst die Lektüre wirklichen Aufschluss gibt. Der Vater kann sich von keinem einzigen seiner Bücher trennen.Quelle: Monika Helfer – Der Bücherfreund