SWR Kultur lesenswert – Literatur
Was ist das: die Wahrheit!? Ich verstehe es völlig, wenn mir jemand sagt, also gestern hast Du mich wirklich angelogen. Aber: Was Die Wahrheit ist, da hab ich keine Ahnung. Es scheint mir aber wo das Wort DIE WAHRHEIT auftaucht, dass derjenige Mensch, der von der Wahrheit spricht, immer seine Privatphilosophie darunter mit einschiebt und sagt: Da es so und so ist, müssen wir es eben so machen, nicht wahr?Neben seinem Hauptwerk „Wider den Methodenzwang“ galten „Wissenschaft als Kunst“ und „Erkenntnis für freie Menschen“ als Feyerabends bekannteste Bücher. Mit ihren griffigen Thesen und Polemiken gegen die Allmacht wissenschaftlicher Institutionen rüttelten sie am Selbstverständnis einer eurozentrierten Weltsicht.Quelle: Paul Feyerabend
Also es hat wirklich etwas von einer Show. Das Problem ist nur, dass man das sehr schwer in eine schriftliche Form transferieren kann, weil es einfach sehr von der Spontaneität und manchmal sicherlich auch von der Gestik und Mimik lebt, die wir natürlich nicht rekonstruieren können. Da haben wir keinen Zugang dazu. Das heißt also, davon haben wir nicht so viel hinüberretten können in unserer Edition. Aber wir haben natürlich auch alles dafür getan, dass dieser Text nicht in einen Friedhof verwandelt wird.Quelle: Michael Hagner
Sie können und sollen mich immer unterbrechen, wenn Sie sich danach fühlen. Und was ich noch sagen möchte: Bei der Diskussion sollte eigentlich jeder, der teilnimmt, darunter auch ich, Abstand zu seinen Gefühlen halten. Das gelingt mir nicht immer. Ich stürze mich da ins Kampfgetümmel wie ein Wilder.In seinen Vorlesungen ist Feyerabend auf der Höhe seines Ruhmes, und dabei nicht unumstritten in seiner Art, sich lässig zu inszenieren. Er ist Kult, aber kein Guru, da Feyerabend sich keiner Schule verpflichtet fühlt und auch keine ins Leben gerufen hat. Mitte der 1980iger Jahre ist die Zeit kurz vor der Tschernobyl-Katastrophe, das Ende des Kalten Krieges bahnt sich an, und das Internetzeitalter steht vor der Tür. Fragen der Klimakatastrophe, und Kritik an einem arroganten und selbstgefälligen Eurozentrismus spielen in diesem Vorlesungs-Zyklus eine zentrale Rolle. Aber auch Fragen der Ethik, wie Feyerabend am Beispiel von Tierversuchen emotional diskutiert.Quelle: Paul Feyerabend
Nehmen wir Tierversuche. Ein von mir sehr geliebter Mensch ist von einer schweren Krankheit bedroht. Es scheint von einer großen Wahrscheinlichkeit zu sein, dass wenn man einen bestimmten Tierversuch anstellt, der dieses Tier umbringt und diese Person eben rettet. Vor solch eine Entscheidung möchte ich die Leute gestellt sehen, nicht im Allgemeinen. Ich bin gespannt wie ein Antivivisektionist, wie die Leute sich da entscheiden werden. Ich würde mich für die geliebte Person entscheiden, was denn sonst.Quelle: Paul Feyerabend
Ein Beispiel ist die Frage, die in den 1980er Jahren ein großes Thema war: der Saure Regen, der den Tod der Wälder hervorruft. Und da sagt er: Ja, jetzt haben wir diese Diagnose, und die Grünen haben vollkommen recht. Aber natürlich darf man nicht erwarten, dass jetzt sich die Politik erst einmal umstellt und dass da also Gesetze gemacht werden und diese Situation versucht wird zu verändern. Es sei denn, wenn ökonomische Interessen davon betroffen sind. Das heißt, dass also erst, wenn es quasi den Leuten an den Geldbeutel geht, erst wenn eine unmittelbare Beeinträchtigung der sozialen, ökonomischen Situation droht, dann kommt es zu Veränderungen. Das heißt, Feyerabend sieht sehr klar, dass Grüne Politik ohne ökonomische Grundlagen und ohne diesen Faktor überhaupt nicht realistisch ist.Quelle: Michael Hagner
Ich glaube, man kann Feyerabend nicht in Anspruch nehmen, dafür, dass die Astrologie ganz toll ist, dass die Homöopathie ganz toll ist, dass die Regentanz ganz toll sind. Das ist ein Missverständnis, sondern es ist eher die Frage: Was aus welcher Position heraus kritisieren wir da eigentlich? Müssen wir uns nicht erst einmal an die eigene Nase fassen und schauen Welche Arten von Wissen bieten wir den Menschen an? Und was haben die eigentlich davon? Er sagt: Wir müssen diese Vorteile untersuchen, wir müssen schauen, was bringt es und was bringt es nicht. Und wenn wir irgendwelchen Leuten, die nur eine Erkältung haben, gleich Antibiotika geben, dann schaden wir ihnen. Ganz einfach.So erleben wir in den rekonstruierten Texten der Züricher Vorlesungen einen streitbaren, polemischen Philosophen, den wir beim Denken, Formulieren, Assoziieren beobachten können. Kein Wissenschaftsfeind spricht da, sondern ein Denker, dem fest gemauerte Theorien und Ideologien suspekt waren. Paul Feyerabend war ein leidenschaftlicher Freigeist und Aufklärer, der nach Wissens-Alternativen suchte, auch wenn sie dem Wissensbetrieb nicht gefielen. Es lohnt sich anhand der wiederentdeckten Vorlesungen Feyerabend als einen streitbaren und unbequemen Hochschullehrer kennenzulernen, der mit ätzendem Witz auf Probleme aufmerksam gemacht hat, die heute genauso aktuell sind wie 1985.Quelle: Michael Hagner