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Richard Sennett – Der darstellende Mensch | Buchkritik

4 min • 12 februari 2025
„Die ganze Welt ist Bühne und alle Fraun und Männer bloße Spieler.“ So heißt es bei Shakespeare und so steht es gleich auf den ersten Seiten von Richard Sennetts neuem Buch mit dem Titel „Der darstellende Mensch. Kunst, Leben, Politik“. Das klingt nach einer systematischen Studie zum Thema Rollenspiel und Präsentation, doch über solche Erwartungen setzt sich der betagte Autor souverän und ziemlich unbesorgt hinweg.  

Schauspiel und Ritual 

In lockerer Folge lässt Sennett zunächst vor allem eigene Bühnen- und Kunsterfahrungen seit den 1960er Jahre Revue passieren. Er erinnert sich an New Yorker Tanzexperimente in Parks und auf Gebäudedächern oder an eine Shakespeare-Inszenierung von todgeweihten AIDS-Patienten, an der er die Differenz zwischen Bühnenperformance und religiösem Ritual festmacht. 
In der Aufführung lag eine kreative Trotzhaltung gegenüber dem Tod, in dem vom Priester angebotenen Ritual dagegen eine tröstliche Hinnahme des Todes. In mir selbst bestand ein unbehagliches Nebeneinander dieser beiden Wege, dem Tod zu begegnen.

Quelle: Richard Sennett – Der darstellende Mensch

Sennetts essayistisch-erzählerischer Stil kennt keinen Soziologenjargon, und das ist gut so. Weniger schön ist es, dass seine Schlussfolgerungen in diesem Buch oft so nebulös wie hier ausfallen.  

Theatergeschichte und andere Themen 

Sennett umkreist sein Thema des menschlichen Darstellungswillens anhand von zahlreichen Anekdoten, Beispielen und Überlegungen, die meist mit theatralen Bühnenereignissen zu tun haben. Daneben referiert er Ideen von Hannah Arendt, bei der er studiert hat, von Roland Barthes, mit dem er befreundet war oder Norbert Elias, mit dem er durch New Yorker Straßen spazierte.   Zweifellos beweist der Autor bei all dem große Belesenheit, wenn er etwa die allmähliche Verlagerung der öffentlichen Schauspiele von den Plätzen und Straßen der Antike in feste Spielorte wie das Teatro Olimpico im Vicenza der Renaissance nachzeichnet. Aber vieles von dem, was er hier ausbreitet, ist geläufiger Wissensstoff der Theatergeschichte, der keine neuen Erkenntnisse mit sich bringt.  

Die „bösartigen Darbietungen“ der Politik 

Im Vorwort verweist Sennett auf zwei prominente Demagogen, die gerade die „Bühne der Öffentlichkeit“ beherrschten, als er mit der Arbeit an diesem Essay begann. Er schreibt: 
Donald Trump in den USA und Boris Johnson in Großbritannien sind geschickte Darsteller. Bei bösartigen Darbietungen dieser Art werden allerdings dieselben Ausdrucksmittel eingesetzt wie bei anderen Ausdrucksformen. 

Quelle: Richard Sennett – Der darstellende Mensch

Das ist kurz und ungenau und da es nirgendwo weiter ausdifferenziert wird, schlichtweg nichtssagend. Andere historische Großdarsteller wie Lenin, Hitler oder Mao kommen überhaupt nicht vor, genauso wenig wie der Kurzschluss zwischen Führern und ihrer Gefolgschaft im Populismus. Das heißt, die Politik wird nur im Buchtitel genannt, ist aber im übrigen praktisch ein Totalausfall.  Kurzum, der Fehler dieses Buches liegt in seiner Konstruktion. Die Ausgangsfrage des Essays, „wie hohe Kunst Bedeutung für das alltägliche Leben erlangen könnte“, gerät bald aus dem Blick. Greifbare Antworten darauf finden sich jedenfalls in diesen sprunghaft aneinandergereihten Reminiszenzen und Reflexionen eines Soziologen nicht. Richard Sennett hat schon großartige Bücher geschrieben, dieses gehört leider nicht dazu.  
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