SWR Kultur lesenswert – Literatur
Sie trug ein hellgelbes ärmelloses Kleid mit schwachem Blümchenaufdruck, es war peinlich sauber, wie wir später sahen, wenn auch nicht neu, und sie drehte sich ein paar Mal zu uns um, als ahnte sie, dass wir ihretwegen gekommen waren.Wie lernen Eltern und Kind sich kennen und lieben? Was bedeutet es, wenn dieses Kind von einer anderen Frau geboren wurde, dazu in einem anderen Land, es zunächst keine gemeinsame Sprache gibt und das alles für Außenstehende ganz offensichtlich ist?Quelle: Ulrike Draesner - zu lieben
Ah, adoptiert“, sagt man zu mir. Ein „nur“ schwingt mit. Das Zweiteklassegefühl stellt sich ein. „Aus Sri Lanka“, sage ich. Mein Gegenüber sagt: „Ach deswegen.“ Ich nehme an, er oder sie meint unser „diverses“ Äußeres. Jetzt ist es erklärt.: „Nur adoptiert.“Draesner widerlegt dieses „nur“ auf knapp 350 Seiten eindringlich. Es geht um Überwindung von anfänglicher Fremdheit mit Liebe, Mut und Zutrauen. Auch das Kind hat Angst. So duldet Mary lange keine Berührung von der Frau, die ihre Mutter werden will und wird.Quelle: Ulrike Draesner - zu lieben
Mary ließ sich gern Dinge zeigen. Wir schwitzten und führten vor, wir waren erschöpft und grinsten, wir sprangen durch den Sand, und die Flöhe bissen uns in Füße und Waden. Wir wurden angelächelt, sie winkte uns zum Abschied vom Arm einer Helferin.Auch formal ist dieses Buch von Ulrike Draesner (wieder) hochspannend. Auf dem Cover steht Roman – allerdings ist das Wort durchgestrichen, beinhaltet also das „Ja“ und das „Nein“, und tatsächlich ist „zu lieben“ beides, autobiographische Erzählung UND Roman. Im Text finden sich ebenfalls ab und zu durchgestrichene Sätze oder Worte, die von der Suche nach dem passenden Ausdruck zeugen sowie am Beginn einzelner Kapitel aus Buchstaben und Worten geformte Vignetten, zum Beispiel eine Fahne aus den Worten schwarz rot gold.Quelle: Ulrike Draesner - zu lieben
Hunter sagte, ich sollte erwachsen sein. Sagte es leise, wie nebenbei, als wäre es nichts. Während er es sagte, verlor ich seine Augen, ich meine, sie wurden leer, es war, als spiegelte ich mich nicht mehr in ihnen, als rutschte ich an ihm ab. Ich rutschte aus ihm heraus.Dieses Buch trifft ins Herz, so dicht, so unmittelbar ist es erzählt, doch immer wieder wechselt die Autorin den Ton, analysiert, reflektiert, fragt: In welcher Gesellschaft wollen wir leben – mit welchem Familienbild? Das Thema Mutterschaft ist ein großes in den Neuerscheinungen dieses Herbstes, hier wird es auf noch einmal andere Weise erzählt. Eine ebenso schmerzhafte wie beglückende Lektüre:Quelle: Ulrike Draesner - zu lieben
Ich sage: „Mary ist meine Tochter.“ Es ist ein sehr genauer Satz. Mein genauester Satz. „Ever“, würde Mary sagen. „Dein genauester Satz, Mama, ever.“ Wir haben ihn uns erlebt. Wir erleben ihn uns jeden Tag.Quelle: Ulrike Draesner - zu lieben