SWR Kultur lesenswert – Literatur
Der Patient in der Suite Nr. 7 saß auf dem Hometrainer und schwang seine Hinterbacken.Tatsächlich ist dies der einzige Satz, den die puppenhaft ins Groteske verzerrte Figur von sich gibt. Denn mit Putins Russland hatte Sorokin, der seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs nun dauerhaft in Berlin lebt, bereits 2006 ungeheuer hellsichtig in „Der Tag des Opritschniks“ abgerechnet. Bereits mit diesem Buch wurde Sorokin zu einem der wortmächtigsten Oppositionellen. Auch sein Doktor Garin ist ein Widergänger. Hatte er in dem Roman „Der Schneesturm“ noch Menschen gegen eine rätselhafte Krankheit impfen wollen, die jeden Infizierten zum Zombie macht, so ist er hier eine Art Wunderheiler mit einem magischen Elektroschocker, den auch die Mitarbeiter genießen dürfen. Die Hypermodernität dieses Romans allerdings ist eine ganz eigene. Hier wird die Form der russischen Erzählung aus dem 19. Jahrhundert in eine postmoderne Vielfalt überführt, die klassische Abschweifung zum linearen Stilmittel und keine der Fragestellungen aufgelöst.
≫Guten Morgen, Wladimir!≪, begrüßte Garin ihn.
≫Ich war’s nicht≪, brummte Wladimir, ohne aufzuhören.
≫Wie haben Sie geruht?≪
≫Ich war’s nicht.≪
≫Wünsche?≪
≫Ich war’s nicht.≪Quelle: Vladimir Sorokin – Doktor Garin
Wladimir rutschte schweigend zur Tischmitte. Er lüftete seinen durchtrainierten, gepflegten, mithilfe chinesischer Arzte schon mehrmals gelifteten Hintern und erstarrte. Zuerst erklang eine Art dumpfes Grunzen, das rasch in ein drohendes Knurren überging, sich in ein lautes Knattern verwandelte und noch mal und noch mal knatterte, bis diesem gepflegten Hintern plötzlich ein Zischen entfuhr, in dem man einzelne Laute ausmachen konnte, die an ein menschliches Flüstern erinnerten, aber dieses Zischen wurde immer schauerlicher, nahm kein Ende und versiegte so lange nicht, bis alle am blauen Tisch wie betäubt waren.Großartig allerdings, wie Sorokin immer wieder aus der Absurdität der Verwandlung reale Bezüge aufblitzen lässt. Wenn Garin zum Beispiel in die Gefangenschaft von merkwürdigen Mutanten gerät, die er Zottelorks nennt, und damit die Beschreibung des Gulags gekonnt persifliert, oder wenn er den Leser am Schluss in eine sibirisch anmutende raue Wildnis führt. Was er dort findet, ist aber nicht die vielbeschworene russische Seele, sondern die Vereinigung mit seiner verlorenen Geliebten. Nicht ganz im Wortsinn, aber doch immer noch hoch erotisch.Quelle: Vladimir Sorokin – Doktor Garin