Einen Roman von Martin Suter zu besprechen, ist eine Herausforderung. Nicht weil die Sprache so schwer zu fassen wäre. Und nicht weil Inhalt, Plot und Figurenkonstellation zu kompliziert wären, um sie angemessen darstellen zu können.
Ganz im Gegenteil. Suter verzichtet weitgehend auf ästhetische Wagnisse. Der Stil des Autors lebt von der Verknappung, von einfachen Sätzen, von fernsehtauglicher Dialogprosa, man könnte auch sagen: dem bewussten Verzicht ausgestellter Literarizität.
Alles ist Inhalt
Die Romane Suters sind vor allem eines: gut gebaute Geschichten mit Themen, die gerade im Schwange sind. Aber weil in diesen Büchern die wendungsreiche Entfaltung des Stoffs im Mittelpunkt steht, sollte man auch möglichst wenig darüber verraten.
Ansonsten könnte man sich die Lektüre sparen. Die Figuren kommen zumeist aus dem gehobenen Bürgertum; es geht um Geld, um guten bzw. schlechten Geschmack, um Identitätskrisen.
Natürlich dreht sich auch alles um die Liebe, um unerfüllte Sehnsüchte und die Erfahrung, dass sich Menschen gerne imaginäre Masken aufsetzen, um sich und andere zu täuschen. Der trügerische Schein ist ein Zentralthema in Suters Werk, so auch im neuen Roman „Wut und Liebe“:
Das glaube ich nicht.
Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe
So lautet dann auch der erste Satz des Buchs, den Noah ausspricht und den er später noch einmal wiederholt, damit allen klar ist, dass es sich um eine Art Leitmotiv in dem Text handelt.
Der mittellose Künstler kann partout nicht glauben, dass seine Freundin Camilla mit ihm Schluss machen möchte. Sie liebt ihn zwar noch, aber nicht das Leben, das er ihr bieten kann. Sie wünscht sich einen Alltag ohne finanzielle Sorgen. Doch dafür verkaufen sich Noahs Werke einfach zu schlecht. Was beide gleichermaßen wütend macht.
Eine Million für einen Mord
Mit dem Gefühl, ein Versager zu sein, geht Noah dann auch in eine Kneipe namens „Blaue Tulpe“.
Bevor er sich besaufen kann, lernt er die 65-jährige Betty kennen, die ebenfalls in schlechter Stimmung ist, hat sie doch in mehrfacher Hinsicht mit Herzproblemen zu kämpfen. Vom Kardiologen hat sie gerade erfahren, dass ihr Kammerflimmern nicht mehr zu therapieren sei. Außerdem leidet sie darunter, dass ihr Mann Pat so früh gestorben ist.
Er sei von einem ehemaligen Geschäftskollegen in den Tod getrieben worden, behauptet Betty. Am liebsten würde sie Peter Zaugg, den miesen Kerl, ermorden lassen.
Wenn Sie jemanden kennen, der das sauber und zuverlässig erledigt, melden Sie sich. Aber es muss ein Profi sein. Es ist mir die Hälfte von dem wert, was mir Pat hinterlassen hat.
Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe
Eine Million ließe die kränkliche Dame springen, wenn der verhasste Mann, der ihren Gatten drangsaliert habe, vor ihr „abkratzt“. Noah ist alles andere als ein Killer, aber als ordentlicher Schweizer Reservist hat er ein Gewehr im Schrank, und so legt er sich nach ein paar weiteren Rückschlägen auf dem Kunstmarkt doch auf die Lauer.
Wie jeden Tag um diese Zeit kundschaftete Noah die Joggingstrecke von Peter Zaugg aus. Der rannte jeden Wochentag um die gleiche Zeit los, aber das Problem war: Er variierte die Strecke.
Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe
Wütend sind die Liebenden in diesem Roman
Nicht nur Noah, sondern auch Camilla ist auf der Jagd. Zwar findet sie für den Übergang einen vermögenden Mann, doch der ist verheiratet und macht auch nur leere Versprechen. Getrieben von wachsender Unzufriedenheit wird Camilla ausgerechnet in der Unternehmensberatung von Peter Zaugg einen Job annehmen.
Die
Plot Points der Geschichte erfolgen nun in immer kürzeren Abständen. Plötzlich geht es um Scheinfirmen und Schwarzgelder in Übersee. Der Betrug in den Beziehungen spiegelt sich in der unternehmerischen Kriminalität. Dabei zeigen sich die Charaktere auch von anderen Seiten.
Bösewichter entpuppen sich bald als treue Seelen, Freundinnen zeigen ihre Manipulationskünste. Wütend sind die Liebenden in diesem Roman, dessen zentrale und etwas pädagogische Botschaft lautet:
Gegen Wut hilft Liebe.
Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe
Es gehört zu den schriftstellerischen Fähigkeiten von Martin Suter, aus einem Kalenderspruch eine ausgetüftelte Geschichte zu entwickeln.
Amüsant ist zudem, wie in diesem Roman, der durch stilistische Schmucklosigkeit besticht, über Kunst gesprochen wird. Verkäuflich werden Noahs Werke, als er seine Motive in einen rätselhaften Nebel eintaucht. Das ist so absurd wie realitätsnah, und damit eine kleine Stichelei gegen den Kunstbetrieb.
Die wichtigen Fragen aber lauten: Gibt es ein
Happy End für Noah und Camilla? Was ist mit der Wut der beiden? Und wie lässt sich Bettys abgrundtiefer Hass erklären? Selbstverständlich werden diese Fragen im Roman beantwortet, nur nicht in dieser Rezension. Das wäre dann wirklich ein Spoiler.