SWR Kultur lesenswert – Literatur
Dass ein solcher König der geistigen Welt, wie es Unseld damals war, in der Erstbegegnung mit einem neuen Autor so entschieden erdig auf seine Physis und deren Vitalität hinweist, mit einer im bürgerlichen Kontext so ungewöhnlich deplatzierten Geste (…), das war ein Hinweis auf die immense Spannung von Unselds Naturell, die ihm in so einzigartig reicher Weise Zugang zu den unterschiedlichsten Welten, Ideen und vor allem eben Menschen ermöglicht hat.Rainald Goetz‘ Unseld-Würdigung ist zu finden in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Ideengeschichte“, die – pünktlich zum hundertsten Geburtstag – dem „Unternehmen Unseld“ gewidmet ist. Goetz zeigt damit schlaglichtartig die Spannweite dieses Mannes, der im Suhrkamp-Verlag zwischen den Portalfiguren Hermann Hesse und Bertolt Brecht alles unterbrachte, was Rang und Namen hatte. Max Frisch, Martin Walser, Uwe Johnson und Hans Magnus Enzensberger machte er zu seinen engsten Beratern. Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas, Niklas Luhmann und später Peter Sloterdijk prägten mit ihren Schriften das Land, in dem es ohne die edition suhrkamp kein 1968 gegeben hätte.Quelle: Stephan Schlak, Jan Bürger - Zeitschrift für Ideengeschichte Herbst 2024: Unternehmen Unseld
Bei der ersten Audienz / sah ich immer nur / Unselds Uhr / aus Verlegenheit / ging der Blick beiseite / von der Statur / des großen Verlegers / zum Handgelenk / in dieser Sternstunde / war es die Uhr / an Unselds Arm / die mich beruhigte / wie der solide MannDie Bedeutung Unselds für die deutsche Nachkriegsgeschichte ist gar nicht hoch genug anzusetzen. Unseld wurde zum geistigen Patron einer ganzen Epoche und war zugleich ein umtriebiger Geschäftsmann. Linke schmähten ihn als Kapitalisten, der aus Büchern mit kapitalismuskritischer Theorie Rendite erwirtschafte. Doch für Unseld waren geistiger Einfluss und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze. Mit dem Tod Peter Suhrkamps 1959 zum Verlagsleiter aufgestiegen, verwandelte er den kleinen Suhrkamp-Verlag zielstrebig ein florierendes mittelständisches Unternehmen, dessen Umsatz 1990 an der hundert Millionen-Marge kratzte. Dabei verstand sich der Verleger immer auch als Förderer und finanzieller Rückhalt seiner Autoren, die er, wenn es sein musste, auch ein Leben lang unterstütze – so wie Wolfgang Koeppen mit seiner legendären Schreibblockade, wohl wissend, dass dessen nächster Roman niemals fertig und vielleicht noch nicht einmal angefangen werden würde.Quelle: Stephan Schlak, Jan Bürger - Zeitschrift für Ideengeschichte Herbst 2024: Unternehmen Unseld
Wissen Sie, dass ich am Morgen, beim Aufstehen, glücklich bin, wieder einen Tag, einen Arbeitstag vor mir zu haben?… schrieb er im Februar 1966 an den „lieben Max Frisch“, nachdem sein Schweizer Star-Autor ihm harsch die Meinung gegeigt und ein zunehmendes „Primat des Kommerziellen“ beklagt hatte. Unseld konnte jedoch für sich in Anspruch nehmen, nicht bloß einzelne Bücher, sondern ganze Werke zu verlegen. Frischs Vorwurf setzte er sein verlegerisches Credo entgegen:Quelle: Siegfried Unseld – Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002
Der Verlag, jedenfalls der Verlag, den ich mir denke, mein Verlag, ist eben keine Firma, keine Agentur für Literaturverwertung, da bin ich, Sie haben ganz recht, Romantiker genug.Unselds Antwort an Frisch ist einer von hundert Briefen, die die beiden Herausgeber Ulrike Anders und Jan Bürger in der Bibliothek Suhrkamp vorlegen. Die „Hundert Briefe“ sind ein verschwindend kleiner Prozentsatz des Gesamtkonvoluts, das angeblich mehr als 50.000 Exponate aus mehr als einem halben Jahrhundert umfasst. Die kleine Auswahl bildet Unselds Lebenslauf vom Verlags-Lehrling in Ulm 1947 bis zum Tod des Patriarchen im Jahr 2002 ab, zeichnet ein intellektuelles Panorama und deutet die Verlagsgeschichte an. Als literarisches Großepos sind Unselds Briefe noch zu entdecken, auch wenn die Korrespondenzen mit Uwe Johnson, Peter Handke, Thomas Bernhard und Wolfgang Koeppen bereits in umfangreichen Einzelausgaben vorliegen. Neben dem Briefwerk erhebt sich mit Unselds seit 1970 geführter „Chronik“ ein weiteres Text-Gebirge, das von seiner unfassbaren Produktivität und Umtriebigkeit zeugt. Tag für Tag hat Unseld hier alle Begegnungen, Gedanken, Pläne, Ereignisse, Privates, aber vor allem Geschäftliches festgehalten. Die Begründung dafür lieferte er 1976 selbst:Quelle: Siegfried Unseld – Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002
Indem ich diese Chronik schreibe, beurteile, bewerte ich das unmittelbar Vergangene, durch Auswahl oder durch meine Sicht. Ich halte das in der Chronik Geschriebene für die Geschichte des Verlages fest, damit der Hintergrund der Vorgänge nicht verloren gehe. (…) Nichts ist für mich so mächtig wie die Macht des Geschriebenen.Die Chronik gehört heute zum Bestand des Siegfried Unseld Archivs, dem wohl umfangreichsten Nachlass, der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach erschlossen wird. Zu Unselds Hundertstem wird sie nun online frei zugänglich.Quelle: Siegfried Unseld – Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002
Es wäre jetzt schöner, säßen wir uns gegenüber, mit oder ohne Wein, lieber mit.Quelle: Siegfried Unseld – Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002
Erfolg: das war oft harte Arbeit, aber im Ganzen bedeutete es doch Freude, Glück. Wer Erfolg hat, wird immer einsamer. Man kann Freundschaften empfinden, aber die Zahl derer, auf deren freundschaftliche Empfindung man zu vertrauen glaubt, schrumpft.Eine dieser Freundschaften, an der er über alle Differenzen hinweg festhielt, verband ihn mit dem späteren amerikanischen Außenminister Henry Kissinger, seit er im Jahr 1955 das von ihm geleitete „International Seminar“ in Harvard besucht hatte.Quelle: Siegfried Unseld – Hundert Briefe. Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002