Der tägliche Podcast über Geschichte von der Antike bis heute, über Europa und die Welt, über die Geschichte der Menschheit: 15 Minuten zu historischen Persönlichkeiten und Erfindungen. Von George Washington bis Rosa Luxemburg, vom Büstenhalter bis Breaking Bad.
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Ein Freiheitskämpfer. Ein früher Faschist, sagen andere. Am 8.10.1354 wird der Volkstribun Cola die Rienzo ermordet, nachdem er dem verfallenen Rom zu neuer Größe verholfen hatte...
Einfach ist es nicht, die historische Rolle von Cola di Rienzo zu bewerten. Für Richard Wagner, der den italienischen Gastwirtssohn zur Titelfigur seiner Oper macht, ist di Rienzo ein Freiheitskämpfer mit guten Absichten, der den Intrigen seiner Gegner und seiner eigenen Volksverbundenheit zum Opfer fällt. Historiker sehen in ihm heute eher einen Populisten, der das Elend der Bevölkerung ausnutzt, um mit autokratischen Mitteln seine Macht auszubauen.
Der Aufstieg des Volkstribunen beginnt mit der Analyse der Zustände, in die er hineingeboren wird. Als Cola di Rienzo im Jahr 1313 in Rom das Licht der Welt erblickt, hat seine Heimatstadt viel von ihrem Glanz als einstige Hauptstadt der Welt eingebüßt. Weite Teile des Stadtgebiets sind entvölkert, Monumente wie der Circus Maximus verfallen. Di Rienzo ergreift den Notar-Beruf - und setzt sich ein Ziel. Das lautet: "Make Rome great again!"
Mit Hilfe der Kirche steigt er zum einflussreichen Politiker auf, stürzt 1347 die adlige Senatsherrschaft und versucht, als selbsternannter Tribun eine volksnahe, an alte römische Traditionen anknüpfende Herrschaft zu errichten. Doch sein Plan scheitert, als das Volk und die Wirtschaftsbosse von Rom ihm die Gefolgschaft versagen. Ende 1347, nach nur sieben Monaten, flieht di Rienzo aus der Stadt und führte ein Eremitendasein in den Bergen.
Unerwartet bekommt er 1354 eine zweite Chance, in Rom für Ordnung zu sorgen - die er letztlich mit dem Leben bezahlt. Cola di Rienzo regiert selbstherrlicher denn je, bis er schließlich vollkommen isoliert ist. Am 8. Oktober 1354 wird er von einer aufgebrachten Volksmenge regelrecht massakriert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Ihren Ursprung hat die Scouting-Bewegung in England. In Deutschland wird aus zuerst losen katholischen Sankt-Georgs-Gemeinschaften 1929 ein Pfadfinder-Bundesverband.
In der Weimarer Zeit wird die Bündische Jugend vielfach umworben. Ihre Gruppen spiegeln alle politischen Strömungen der Zeit wider - von extrem rechts bis ganz links. Auch die Kirchen wollen Einfluss gewinnen und gründen Ableger. Erste katholische Pfadfindergruppen entstehen 1928 parallel an verschiedenen Orten.
Am 7. Oktober 1929 schließen sich diese losen Gruppen in Altenberg im Bergischen Land zur Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) zusammen. Der heldenhafte Drachentöter Sankt Georg wird ihr Symbol. Doch die Eigenständigkeit währt nicht lange. Ab 1933 beginnt die Gleichschaltung der Bündischen unter die Hitler Jugend. Ab 1938 ist der katholische Jugendbund verboten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg machen sich die Pfadfinder wieder auf den Weg. 1947 zählen die Georgsritter 10.000 Mitglieder, heute sind es 80.000 - und die Wartelisten lang. Die DPSG gehört zu den Gründern des Dachverbandes "Ring der Pfadfinderverbände".
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Fast 58 Millionen Tagesdosen Ritalin werden jedes Jahr in Deutschland verschrieben. Ausgangsdiagnose: ADHS. Seit seiner Zulassung am 6.10.1954 stellt sich die Frage: Ist das Medikament Fluch oder Segen?
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen immer mehr Wirkstoffe, die auf die Nervenzellen des Gehirns Einfluss nehmen. Dem jungen Chemiker Leandro Panizzon gelingt 1944 in einem Labor der Schweizer Firma CIBA einen neuen Wirkstoff zu synthetisieren: Methylphenidat.
Auch Panizzons Gattin versucht das Mittelchen. Sie hat den Namen Marguerite, Spitzname Rita, und nimmt es zur Verbesserung ihres Tennisspiels, weil sie sich damit besser auf ihre Aufschläge konzentrieren kann. Ihr zu Ehren nennt man das Präparat Ritalin. 1954 lässt CIBA es sich patentieren.
Ritalin kommt bei gesteigerter Ermüdbarkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, depressiver Verstimmungen, bei Antriebsarmut und bei Narkolepsie zum Einsatz. Schon in den 1930er Jahren stellt man fest, dass Amphetamin unruhige Kinder von jetzt auf gleich aufmerksamer macht, ohne sie zu sedieren. Methylphenidat ist zwar selbst kein Amphetamin, wirkt aber ähnlich.
Ritalin und andere Psychostimulanzien stellen sich in klinischen Tests als wirkungsvoll und auch langfristig sicher in der Anwendung heraus. Die Diagnose stellen erfahrene Fachärzte und approbierte Therapeuten. Denn eine Manipulation des Hirnstoffwechsels stellt trotz allem einen massiven Eingriff dar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
Am 5.10.1979 feiert "Apocalypse Now" Deutschlandpremiere. Der Film zeigt eindrucksvoll den Wahnsinn des Vietnamkriegs und bleibt bis heute ein filmisches Meisterwerk.
Vor und während der Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" ahnt wohl niemand, dass hier ein filmisches Meisterwerk entsteht. Viele berühmte Schauspieler wie Jack Nicholson, Clint Eastwood oder auch Robert Redford sagen im Vorfeld ab. Hauptdarsteller Martin Sheen ist zu dieser Zeit ein kleiner TV-Star und dem Alkohol verfallen.
Sheen bekommt die Rolle des Captain Willard, der in Vietnam auf besondere Mission geht. Er wird beauftragt, Colonel Kurtz ausfindig und unschädlich zu machen. Kurtz gilt als abtrünnig und wahnsinnig. In seinem eigenen diktatorischen Reich im Dschungel vernichtet er alles, was ihm nicht in den Kram passt.
Die Drehbedingungen sind schrecklich. Hitze und Mücken machen die Arbeit zur Tortur. Ein Taifun zerstört ein Großteil des Equipments. Das Warten auf Ersatz und die Langeweile sorgen für schlechte Laune am Set, und es kommt noch schlimmer. Martin Sheen erleidet einen Herzinfarkt und ist sieben Wochen außer Gefecht gesetzt. Die Kosten für den Film explodieren. Coppola geht davon aus, durch seine Kassenschlager Der Pate I und II genug Geld für dieses Projekt zu haben. Irrtum. Die Szenen sind aufwendig.
Die Strapazen werden belohnt, der Film wird mehrfach ausgezeichnet: Goldene Palme, Oscars, Golden Globe. Der Film wird als einer der besten überhaupt gefeiert. Mit der Premiere von "Apocalypse Now" zeigt sich auch, dass der Song "The End" der Doors über Abschied in der Liebe für einen martialischen Anti-Kriegsfilm taugt und dass Francis Ford Coppola ein begnadeter Filmemacher ist, der deshalb wieder zu Geld für neue Projekte kommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Als der Verleger Karl Baedeker am 4.10.1859 stirbt, ist sein Name schon ein Synonym für den Reiseführer schlechthin geworden. Steht es nicht im "Baedeker", dann lohnt es nicht die Anreise.
Karl Baedeker wird am 3. November 1801 in Essen geboren. Der Sohn eines Buchhändlers absolviert eine Ausbildung im väterlichen Geschäft, studiert Geschichte und Philosophie in Heidelberg und macht in Berlin eine Buchhändlerlehre.
Mit 25 Jahren gründet er am 1. Juli 1827 eine eigene Buchhandlung in Koblenz. Bald bemerkt Baedeker, dass sich dort das Buch "Die Rheinreise von Mainz bis Köln. Ein Handbuch für Schnellreisende. Von Johann August Klein" extrem gut verkauft.
Baedeker erkennt das Potenzial, kauft nach dem Tod von August Klein die Rechte an dessen Handbuch und bringt 1835 eine Neuauflage heraus. Vier Jahre später hat er den Reiseführer nach seinen eigenen Ideen komplett überarbeitet und legt damit den ersten richtigen Baedeker vor: Rheinreise.
Baedekers Maxime: Überprüfe alles, wenn nötig doppelt! Dafür wird er bald berühmt. In der englischen Übersetzung von Jaques Offenbachs Oper "Pariser Leben" heißt es, Könige und Parlamente könnten sich irren - nicht aber Herr Baedeker.
Als Karl Baedeker am 4. Oktober 1859 in Koblenz stirbt, haben seine zahlreichen Reiseführer schon einige Neuauflagen erlebt. Sein Sohn Fritz führt das erfolgreiche Unternehmen weiter, verlegt es nach Leipzig und bringt schließlich die Bände heraus, die den Baedeker endgültig weltweit berühmt machen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Es ist ein Meilenstein in der Art, wie wir Musik konsumieren - und vielleicht der größte Diebstahl in der Geschichte der Unterhaltungselektronik. Die ganze Wahrheit hat Akio Morita am 3.10.1999 mit ins Grab genommen.
Akio Morita wächst im Japan der Vorkriegszeit auf. Geboren wird er 1921 als ältestes von vier Kindern einer wohlhabenden Familie. Seiner Mutter ist es zu verdanken, dass der kleine Akio schon früh die Liebe zur Musik und gutem Sound entdeckt. Sie hört leidenschaftlich gern auf einem alten Grammophongerät Schallplatten der klassischen europäischen Meister.
Als Akio Morita kurz vor dem Abschluss seines Physikstudiums steht, befindet sich Japan mitten im Zweiten Weltkrieg. In einer Forschungsgruppe trifft er den 13 Jahre älteren Ingenieur und Geschäftsmann Masaru Ibuka . Mit ihm gründet er nach dem Krieg die Firma mit dem unaussprechlichen Namen Tokyo Tsushin Kogyo, das spätere Sony.
Ibuka und Morita orientieren sich dabei von Anfang an in Richtung Westen. Sony will seine Produkte weltweit vermarkten. 1955 bringen sie ihr erstes Transistorradio heraus. Der erste größere Erfolg des noch jungen Unternehmens.
Anfang der 70er Jahre gibt es einen Wandel auf dem Weltmarkt der Unterhaltungselektronik. Die japanischen Unternehmen, die bis dahin eher zu den USA und Europa aufgeschaut haben, übernehmen jetzt die Führung. Und 1979 - 33 Jahre nach der Gründung des Unternehmens - erlebt Sony den Durchbruch und bis dahin größten Erfolg: die Erfindung des Walkmans. Damit trifft Sony den Nerv der Zeit. Der Walkman verkauft sich von Anfang an in rasanter Geschwindigkeit. Und wird zum Super-Hit.
Anfang der 80er Jahre schwimmt Sony auf einer Welle des Erfolgs. Der Konzern entwickelt ein Highlight nach dem anderen - die Digitalkamera Mavica, die CD mit mobilem Player und später auch die erste Playstation. Sony steigt auch ins Film- und Musikgeschäft ein.
Zwischen 2007 und 2020 muss Sony starke Umsatzeinbußen hinnehmen. Doch das erlebt sein Gründer nicht mehr. Akio Morita stirbt am 3. Oktober 1999 in Tokio an den späten Folgen eines Schlaganfalls.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hanna Immich:
Ihr Fokus liegt auf dem Forschungsfeld Frau und Familie. Ihre Männerstudien kann die Soziologin Helge Pross nicht mehr vertiefen. Sie stirbt am 2.10.1984, mit 57 Jahren.
Helge Pross prägt die gesellschaftspolitischen Reformen der 1970er und 80er Jahre in Deutschland. Mit kritischem Blick erforscht die Soziologin die Lebenswirklichkeit von Hausfrauen, die Bildungschancen von Mädchen und das Rollenbild von Männern. Mit ihren Ergebnissen formt sie die öffentliche Debatte - fast immer als einzige Frau unter Männern.
Die Publizistin und Soziologin lebt selbstbestimmt und emanzipiert. Dabei wächst die Düsseldorferin, geboren 1927 als Helge Agnes Nyssen, mit dem Frauenbild der Nationalsozialisten auf.
Als erste Frau in ihrer Familie beginnt sie 1946 ein Studium. Unterstützt und ermutigt wird sie von ihrem Vater, der seine Tochter vor der "Abhängigkeit der Ungelernten" bewahren will. 1950 promoviert Helge und heiratet Harry Pross. Doch die Ehe hält nur vier Jahre. "Sie wollte eine berühmte Soziologin werden. Sie ist es als Helge Pross auch geworden; aber da waren wir längst voneinander geschieden", schreibt der Publizistikwissenschaftler später in seiner Autobiografie.
Am 2. Oktober 1984 stirbt Helge Pross mit nur 57 Jahren an Krebs. Wer heute ihre Texte, Kolumnen, Forschungsarbeiten und Studien liest, hat aber kaum das Gefühl, in der Vergangenheit zu wühlen. Denn vieles, was sie damals erforschte und forderte, ist noch immer nicht erreicht.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Als Monika Ihns und Judy Andersen wegen Mordes vor Gericht stehen, macht die Presse aus ihrer Liebe einen Skandal. Für die Frauenbewegung wird der Prozess zum Wendepunkt.
Anfang der 1970er Jahre gründen sich überall in Deutschland Schwulen- und Lesbengruppen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Im Gegensatz zur männlichen ist weibliche Homosexualität zwar nicht verboten, aber in den Siebzigern gesellschaftlich ein großes Tabu. Und nicht nur Homosexualität, auch die Gleichberechtigung von Frauen wird nur zögerlich akzeptiert. Gewalt in der Ehe ist Privatsache, Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand.
Das muss auch Marion Ihns erfahren. Als sie sich von ihrem Mann Wolfgang scheiden lassen will, willigt dieser nicht ein. Jahre später lernt Marion Ihns bei einem Besuch in Dänemark die zehn Jahre jüngere Judy Andersen kennen - und lieben. Doch Wolfgang verweigert ihr weiterhin die Scheidung. Wenig später ist er tot, getötet von einem Auftragsmörder.
Doch für die eigentliche Tat interessiert sich kaum jemand, der Mörder wird schnell zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Stattdessen wird die lesbische Liebe der Frauen zum Skandal. Die Boulevardpresse macht aus dem Mordprozess einen "Lesben-Prozess". Lange bevor er überhaupt losgeht, macht die BILD-Zeitung schon Stimmung. Die Texte sind voller homophober Klischees. Die Berichterstattung eskaliert mit dem Prozessauftakt im Sommer 1974.
Doch die Frauen der Bundesrepublik lassen sich die Diffamierung nicht gefallen. Der Prozess wird zum Schlüsselereignis der Frauenbewegung. Während des Prozesses kommt es zu Protesten und Tumulten vor und auch im Gerichtssaal.
Am 01. Oktober 1974 werden beide Frauen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess macht Gewalt gegen Frauen zu einem Kernthema der zweiten Frauenbewegung und regt unter anderem Alice Schwarzer dazu an, die "Emma" zu gründen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Laura Dresch:
Nach ihrer Gründung am 30.9.1919 wurde die Technische Nothilfe im Deutschen Reich zur Streikbekämpfung eingesetzt. Erst später kam der Schwenk zum Katastrophenschutz.
"Treu helfen wir" – ein Versprechen, das das Technische Hilfswerk (THW) seit seiner Gründung 1950 prägt. Doch hinter diesem modernen Selbstbild verbirgt sich eine tiefere Geschichte, die in den Wirren der Weimarer Republik beginnt und bis heute nachhallt.
Die Technische Nothilfe (TN) wird nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen und agiert meist im Dienst des Staates: in Zeiten politischer Unruhen, als Streikbrecher oder Schützer lebenswichtiger Infrastrukturen. Während des Zweiten Weltkriegs unter der SS sogar im Bereich ziviler Luftschutz. Nach dem Krieg wird die TN von den Alliierten verboten, doch 1950 entsteht das THW – in klarer Abgrenzung zur umstrittenen Vergangenheit.
Statt politischer Einsätze steht seit seiner Neugründung der humanitäre Zivil- und Katastrophenschutz im Vordergrund. Mittlerweile zählt das THW zu den wichtigsten Akteuren und setzt dabei vor allem auf freiwillige Helfer, die weltweit im Einsatz sind, um bei Naturkatastrophen, Großschadensereignissen oder humanitären Krisen zu unterstützen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
Für das Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. wird Vera Figner zu lebenslanger Haft auf der Schlüsselburg verurteilt. Nach 20 Jahren kommt sie frei - und ist es dennoch nicht.
"Sie werden gewiss verstehen, meine Herren: Es ist besser, die Leibeigenschaft von oben abzuschaffen, als zu warten, bis sie sich selbst von unten abschafft." So begründet der russische Zar Alexander II. 1861 die Abschaffung des jahrhundertealten, grausamen Systems der Leibeigenschaft. Die Reformen helfen den Bauern jedoch kaum.
Vera Figner ist damals 9 Jahre alt. Sie wächst mit drei Schwestern und zwei Brüder in einer adligen, wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie auf. Sie liest sehr viel, vor allem sozialkritische Romane über das schwere Los der russischen Bauern. Beim Studium in der Schweiz gerät sie in revolutionäre Zirkel. Zusammen mit hunderten jungen Intellektuellen zieht sie bis in die entlegensten Dörfer Russlands, um den Bauern zu helfen.
Doch der "Gang ins Volk scheitert" am Misstrauen der Bauern. Die Geheimpolizei von Zar Alexander II. reagiert mit Massenverhaftungen und öffentlichen Schauprozessen. Und die revolutionäre Bewegung antwortet ebenfalls mit Gewalt.
Eine Handvoll Revolutionäre gründet das Exekutivkomitee der Narodnaja Volja ("Volkswille"). Mit dabei ist Vera Figner. Drei Attentate der Gruppe auf den Zaren misslingen, das vierte kostet Alexander II. das Leben. Vera Figner wird 1884 zu lebenslanger Zwangsarbeit in der berüchtigten Festung Schlüsselburg verurteilt. 1904 wird sie begnadigt und unter Polizeiaufsicht in den hohen Norden ans Weiße Meer verbannt. 1917 wird sie amnestiert und leitet noch viele Jahre das "Komitee zur Hilfeleistung für befreite Sträflinge und Verbannte".
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Ihre Karriere startet als Sexsymbol und französische Filmikone - zuletzt macht die am 28.9.1934 geborene Brigitte Bardot immer wieder mit radikalem Tierschutz und Ausflügen ins rechte Lager von sich reden.
Brigitte Anne-Marie Bardot wird am 28. September 1934 in Paris geboren - in viel Wohlstand und wenig Wohlwollen. Der Vater Ingenieur und Industrieller, die Mutter einer Dame der Gesellschaft, herrisch und hartherzig, die jüngere Schwester vermeintlich hübscher. Brigitte leidet und lutscht Daumen.
Mit 15 Jahren posiert das damals noch brünette Mädchen als Fotomodell für das Cover des Frauenmagazins "Elle". Schon bald ist sie ein gefragtes Mannequin und auf der Leinwand zu sehen. Ihren Durchbruch hat sie 1956 als laszive Lolita im Film "Und immer lockt das Weib".
Doch bereits Anfang der 1960er-Jahre keimt in Brigitte Bardot eine neue Rolle, die der Tierschützerin. 1973 - nach mehr als 40 Filmen - zieht sich die Schauspielerin vollständig aus dem Filmgeschäft zurück. Tiere werden zu ihrer Lebensaufgabe: Ob Walfang, Stierkämpfe, Tiertransporte - ihre Stiftung agiert seit Jahrzehnten weltweit.
Sie provoziert auch mit reaktionärer Polemik. Rassistische Äußerungen richten sich beispielsweise gegen muslimische Einwanderer, deren rituelles Schlachten sie als barbarisch beklagt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Herzog Wilhelm V. wird von seinem durstigen Hofstaat ruiniert. Bier als Teil der Entlohnung treibt ihn in den Ruin. Die Lösung: ein eigenes Hofbräuhaus.
Herzog Wilhelm V. von Bayern steht gegen Ende des 16. Jahrhunderts kurz vor dem Staatsbankrott. Sein Hofstaat ruiniert ihn. 600 Mägde und Knechte, Schreiber, Berater, Leibwachen. Die fressen ihm nicht nur die Haare vom Kopf, sondern sie saufen ihn in die Pleite. Denn Bier ist Teil der Entlohnung, in Bayern ein Grundnahrungsmittel. Freibier für alle am Münchner Hof. Täglich.
Mit den unteren Chargen wird der Herzog noch fertig. Die müssen sich mit Dünnbier aus dem Kloster zufriedengeben. Besonders kostspielig sind aber die höheren Herrschaften. Die feinen Herren und Damen bestehen auf einer Premium-Marke, auf das gute Starkbier aus Einbeck, Niedersachsen.
550 Kilometer weit muss es herangekarrt werden. Durch Zölle und Transport steigt der Preis auf etwa das Dreifache. Also beschließt Herzog Wilhelm am 27. September 1589: Wir machen uns das Luxus-Bier selbst - in einer hofeigenen Braustätte, dem Hofbräuhaus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Auf seinen Bildern ist das Leben ein leuchtend bunter, endloser Sommertag. Sein eigenes Leben endet viel zu früh. Am 26.9.1914 stirbt August Macke mit nur 27 Jahren.
August Macke ist vielfältig: Er ist Reisender, Vermittler zwischen Künstlergruppen, Ehemann und Vater. Vor allem aber ist Macke einer der bedeutendsten deutschen Maler des Expressionismus.
Obwohl Betrachterinnen und Betrachter - selbst wenn sie keine Kunstkenner sind - Mackes Werke sofort erkennen, ist er nicht auf einen Stil festgelegt. Er malt idyllische Bilder von Spielzeug und Kindern im Garten. Gleichzeitig gibt es Werke, in denen er sich mit der Zersplitterung der Welt um ihn herum beschäftigt. Eines aber haben fast alle seine Bilder gemein: Sie leuchten von Weitem. Denn es gibt kaum einen Künstler, dessen Bilder in so freundlichen und positiven Farben erstrahlen wie die von Macke.
Geboren wird August Macke 1887. Sein Talent zur Malerei zeigt sich früh und er scheut kein Risiko: Er schmeißt die Schule, um mit 17 Jahren an die Düsseldorfer Kunstakademie zu gehen - aber die ist ihm zu altmodisch. Doch er findet
Menschen, die an sein Talent glauben. Letztlich wird die moderne französische Malerei zu seiner Lehrmeisterin.
Macke schafft in kürzester Zeit ein Werk von enormem Umfang. Aber es bleibt unvollendet. Denn der Künstler wird nur 27 Jahre alt. Am 26.09.1914, nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wird August Macke auf dem Schlachtfeld in Frankreich getötet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Johann Strauß Vater (gestorben am 25.9.1849): Walzerkönig und Marketing-Profi. Sein erbitterter Kampf mit Johann Strauß Sohn um die Vormachtstellung freut den Boulevard.
Johann Baptist Strauß musiziert schon als Kind im Wirtshaus seines Vaters. Nach dem frühen Tod seiner Eltern macht er auf Drängen seines Vormunds eine Lehre als Buchbinder. Dort entdeckt er die Lust am Geigenspiel, beginnt kurz darauf, Lieder zu schreiben und in Orchestern zu spielen.
Strauß wird innerhalb kurzer Zeit zur führenden Figur der Wiener Unterhaltungsmusik. Das liegt zum einen an seiner unverwechselbar temperamentvollen Bühnenpräsenz. Er hat aber auch Talent: Fürs Musizieren und dafür, Werbung für sich und seine Musik zu machen.
Auch im Ausland wird er gefeiert. Allein in England gibt Strauß knapp 80 Konzerte. Doch hinter der erfolgreichen Fassade knirscht es im privaten Leben des nervösen, leicht reizbaren Komponisten gewaltig. Er verlässt seine Frau und beginnt mit seinem Sohn, selbst ein erfolgreicher Musiker, einen Streit um die musikalische Vormachtstellung in der Familie.
Kurz vor seinem Tod schreibt Johann Strauß, genannt Johann Strauß Vater, sein wohl bekanntestes Stück: den Radetzky-Marsch. Am 25. September 1849 stirbt er mit nur 45 Jahren an einer heute harmlosen Infektionskrankheit: Scharlach.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Die Entdeckung des größten angelsächsischen Schatzes wurde am 24.9.2009 bekanntgegeben. Dem Entdecker brachte er große Belohnung - und den Fluch des Goldes.
Das ist der Traum eines jeden Hobby-Archäologen: Der arbeitslose Sondengänger Terry Herbert entdeckt auf einem Acker in Staffordshire im Sommer 2009 den bisher größten Schatz aus der angelsächsischen Zeit. Mithilfe eines 14 Jahre alten Metalldetektors findet er über 3.500 einzelne Objekte, darunter aufwendig dekorierte Schwertgriffe, Helm-Teile und sogar Kreuze.
Insgesamt besteht der Fund aus fünf Kilogramm Gold und 1,3 Kilogramm Silber.
Fünf Tage buddelt Herbert auf dem Acker eines Bauern, der ihm dies eher widerwillig erlaubt hat, dann ruft er Archäologen hinzu. Die sind sich sicher, die Objekte stammen aus dem 7. Jahrhundert nach Christus. Am 24. September 2009 wird die Entdeckung des Sensationsfundes bekanntgegeben. Die Nachricht geht um die Welt, denn der Fund ist ein Meilenstein für die britische Archäologie und Geschichtsschreibung. Die Stücke bringen Licht in eine geheimnisvolle Zeit - zwischen dem Ende des römischen Reiches und der Landung von Wilhelm des Eroberers.
Allerdings gibt es bis heute viele offene Fragen: Sind es Trophäen eines hohen Kriegsherrn oder stammt der Schatz aus einer großen Plünderung? Auch darüber, wie das Edelmetall unter die Erde gelangte, lässt sich bislang nur spekulieren. Der Schatz von Staffordshire selbst ist inzwischen restauriert, katalogisiert und ausgestellt - in Museen in Birmingham und Stoke-on-trent.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Die Köchin Mary Mallon (geboren am 23.9.1869) erlangte als erste gesunde Typhus-Dauerausscheiderin in den USA traurige Berühmtheit. 26 Jahre wurde sie insgesamt isoliert.
Als alle Mitreisenden außer ihr erkrankt sind, steht fest: Mary Mallon, die am 23. September 1869 geboren wurde, ist eine sogenannte Dauerausscheiderin. Sie trägt das Typhus-Bakterium in sich, ohne selbst zu erkranken. Aber sie kann andere infizieren. Ihr Recht auf persönliche Freiheit spielt nun keine Rolle mehr. Die US-Behörde stuft die irische Einwanderin als Gefahr für die Allgemeinheit ein, die Angst vor Typhus ist groß. Kurzerhand wird die Köchin auf die Quarantäne-Insel North Brother Island im East River gebracht.
Dort wird Mary Mallon zum Versuchsobjekt. Anfangs werden ihr Urin, ihr Stuhl und ihr Blut fast täglich auf Typhus-Erreger getestet. Sie soll neue Medikamente ausprobieren und sich die Gallenblase entfernen lassen. Mary Mallon klagt gegen ihre Verbannung – und verliert. Dabei ist sie längst nicht die einzige symptomfreie Überträgerin von Typhus. In New York sind 1918 schon 70 Personen bekannt. Doch Mary Mallon ist die Einzige, die man einsperrt. Als sie 1938 in der Isolation stirbt, hat sie als "Typhoid Mary", als "Typhus-Mary", traurige Berühmtheit erlangt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Der Friede von Basel beendet am 22.9.1499 den Schweizerkrieg – ein frühes Beispiel für das, was heute "asymmetrische Kriegsführung" heißt.
Über den Namen wird bis heute gestritten: Schwabenkrieg nennen ihn die Schweizer, Schweizerkrieg die Deutschen. Unstrittig ist, dass die bäuerlichen Eidgenossen die hochgerüsteten Kämpfer des Königs bei der Schlacht in Dornbach besiegen. Dem Krieg vorausgegangen ist ein langes Gerangel um die Vorherrschaft im Südwesten des Reiches.
Schließlich erklärt aus Mainz König Maximilian I. der Eidgenossenschaft den Reichskrieg. Vor Konstanz lässt er sein stattliches Heer und die Truppen seiner Verbündeten aufziehen. Da seine Kriegskasse aber leer ist, schickt er einen Teil seine Ritter westlich zur Plünderung der kleinen, aber reichen Stadt Solothurn.
Das wollen die Einwohner freilich nicht so hinnehmen. Und so stürmt am 22. Juli 1499 eine Horde junger Schweizer auf die königlichen Truppen bei Dornbach zu. Das Kämpfen hatten die Dorfjungen in blutigen Streits mit Nachbardörfern gelernt, während die Gegner das Kriegshandwerk zur hohen Kunst des Adels entwickelt haben. Doch waren die Adeligen erst einmal vom Pferd, waren sie in ihren starren Rüstungen leicht zu schlagen.
So nehmen die edlen Schwaben vor der geballten Streitlust der schweizerischer Knaben Reißaus. Maximilian I. muss sich geschlagen geben. In seinem Auftrag lässt er Mönche noch einmal nachfragen, ob er wohl seine Toten vom Schlachtfeld holen kann. Die Antwort der Schweizer ist schroff: "Die Edlen müssen bei den Bauern liegen." Zwei Monate nach der Schlacht, am 22. September 1499, wird in Basel der Schweizer-/Schwabenkrieg offiziell beendet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
Leonard Cohen wird am 21.09.1934 geboren - und lebt ein Leben voller Brüche: Ein früher Erfolg mit einer einzigartigen Stimme, ein bemerkenswerter Dienst im Krieg - und eine tiefe Rastlosigkeit in den persönlichen Beziehungen.
Leonard Cohen beginnt seine musikalische Karriere vergleichsweise spät, nachdem er bereits als Schriftsteller Erfolge feiert. Ermutigt von der Folk-Sängerin Judy Collins wagt er sich mit Anfang 30 selbst ans Mikrofon und legt mit Songs wie "Suzanne" den Grundstein für eine Karriere, die ihn zu einer Ikone der Melancholie und Reflexion macht.
Seine Musik ist von einer tiefen Spiritualität und einem ständigen Ringen mit den großen Fragen des Lebens geprägt. Persönliche Erfahrungen und universelle Themen wie Liebe, Verlust, Sehnsucht und Erlösung spielen eine zentrale Rolle. Geboren und aufgewachsen in Montreal, prägt ihn auch seine jüdische Herkunft.
Die Komplexität des menschlichen Seins drückt er in einfachen, aber kraftvollen Worten und Melodien aus. Sein Werk bleibt zeitlos und wird auch in Zukunft Menschen berühren, die in seiner Musik Trost, Verständnis und vielleicht auch ein wenig Licht finden – in den Rissen, durch die das Licht hindurchscheint.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Fast 2.000 Jahre ignoriert die katholische Kirche Judentum und Islam. Am 20.9.1974 entsteht im Bistum Köln die erste "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen".
Im September 1974 gründet Kardinal Josef Höffner die "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen", die heute als "Fachbereich für interreligiösen Dialog" bekannt ist. Als Plattform für Begegnungen, Austausch und soziale Unterstützung ist die Einrichtung wegweisend und setzt ein starkes Zeichen für das Miteinander der Religionen.
Dieser Schritt hat seinen Ursprung im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das einen tiefgreifenden Wandel in der katholischen Kirche markiert. Erstmals wird eine Öffnung gegenüber anderen Religionen, insbesondere dem Judentum und später auch dem Islam, eingeleitet und der Grundstein für den interreligiösen Dialog gelegt.
Das Erzbistum Köln leistet mit dem Fachbereich Dialog schon früh Pionierarbeit, und zeigt seit nun über 50 Jahren, dass der interreligiöse Austausch und das Miteinander der Religionen unverzichtbare Instrumente für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Marek Edelman kämpft beim Aufstand des Warschauer Ghettos und steht auch nach dem Krieg als Arzt in Polen für die Freiheit ein. Sein Geburtstag am 19.09.1919 allerdings ist nur Spekulation.
Seine Eltern gehören zu den Juden Osteuropas und müssen vor den Bolschewiki fliehen. Darum ist nicht überliefert, wann und wo Marek Edelman zur Welt kommt. Geboren wird er vermutlich zwischen 1919 und 1922, wahrscheinlich in Gomel im heutigen Belarus.
Als die Deutschen 1939 Polen überfallen, lebt Edelman in Warschau. Er muss wie andere Jüdinnen und Juden in das Ghetto ziehen, dass die Nationalsozialisten einrichten und mit einer Mauer umschließen. Geschätzt werden 400.000 Menschen auf weniger als zweieinhalb Prozent der Stadtfläche zusammengepfercht.
Als im Februar 1942 die ersten Nachrichten von einem Vernichtungslager das Ghetto erreichen, beschließen Edelman und andere, sich nicht ohne Widerstand in den Tod führen zu lassen. Es konstituiert sich das Kommando der Jüdischen Kampforganisation. Im April 1943 greifen SS und Wehrmacht an. Knapp vier Wochen kann sich der Widerstand halten. Dann steckt die SS Haus um Haus in Brand. Nur wenige können durch die Kanalisation entkommen, darunter auch Marek Edelmann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Friedrich Harkorts Maschinenfabrik war die Keimzelle der Ruhrindustrie. Und Harkort selbst eine schillernde Gestalt: Pionier, Freigeist - und Produktpirat...
Seine Leidenschaft ist der technische Fortschritt: Als der Unternehmer Friedrich Harkort in englischen Technik-Zeitungen Dampfmaschinen sieht, hat er den Wunsch, solche Maschinen in Westfalen zu bauen. Im Frühjahr 1819 kann er zusammen mit dem Bankier Heinrich Kamp die Burg Wetter als Fabrikgelände erwerben.
Im September des Jahres geht die "Mechanische Werkstätte Harkort & Co" in Betrieb. Bald stellt er Dampfmaschinen für die Wasserhebung und Kohleförderung in Bergwerken sowie für Spinnereien und Tuchfabriken her. Den Stahl dafür stellt er bald selbst her: Er baut auf der Burg ein Walzwerk und einen Hochofen. So können in Wetter Eisenbahnschienen, Räder für Eisenbahnen und auch die Achsen für die Kohlewagen hergestellt werden.
15 Jahre lang entwirft und produziert Friedrich Harkort in Wetter alle möglichen Produkte aus Eisen. Doch er kümmert sich immer mehr um andere Produkte und vernachlässigt die "Mechanische Werkstätte". Darum drängt ihn sein Kompagnon Kamp 1834 schließlich aus dem Betrieb. Später geht die "Mechanische Werkstätte" in der "Deutschen Maschinenfabrik AG" auf, der Demag. Noch heute werden in Wetter an der Ruhr Maschinen gebaut.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
Im Jahr 284 kommt Diokletian an die Macht - gewaltvoll wie viele vor ihm. Doch dann beendet er das im Römischen Reich herrschende Chaos und schafft einen starken Staat.
Es ist das Jahr 284 n. Chr.: Das Römische Reich befindet sich, von Chaos und Machtkämpfen erschüttert, in einer tiefen Krise. Zahlreiche Usurpatoren wechseln in rascher Folge. Bürgerkriege und Intrigen bestimmen den Alltag, und das riesige Imperium scheint kaum noch regierbar.
Inmitten dieses Chaos tritt Diokletian auf die Bühne. Ursprünglich ein Militärbefehlshaber, nutzt er seinen Einfluss geschickt, um die Gunst seiner Truppen zu gewinnen und den Kaiserthron zu erobern. Doch anders als viele seiner Vorgänger verfolgt Diokletian einen Plan.
Statt sich in endlosen Machtkämpfen zu verlieren, setzt er auf eine umfassende Reform des Reiches. Er erkennt, dass ein einziger Herrscher nicht mehr in der Lage ist das gesamte Imperium zu kontrollieren. Daher teilt er die Macht auf: Gemeinsam mit seinem Verbündeten Maximianus regiert er das Reich und führt später sogar eine Viererherrschaft ein, die sogenannte Tetrarchie. Diese Struktur ermöglicht eine effizientere Verwaltung und stärkere Kontrolle über die weit verstreuten Provinzen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
Am 16.9.1979 erscheint "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang. Der erste Rap-Hit der Geschichte bringt Hip-Hop aus New York in die Welt und prägt die Popkultur bis heute.
In den 1970er-Jahren erobert ein neuer Sound die Straßen von New York. Die Musik-Revolution ereignet sich in den Stadtteilen, die mehrheitlich von Schwarzen bewohnt werden. Die Sounds kommen aus Boxen, von Mischpulten und Plattenspielern. DJs scratchen, sampeln und loopen.
Sogenannte MCs - Master of Ceremonies - heizen das Publikum mit Ansagen an: Rapper erzählen Geschichten, reimen und spielen mit Sprache. Doch den kraftvollen Musikstil gibt es jahrelang nur live, niemand aus der Szene nimmt Rap-Platten auf. Das ändert sich am 16. September 1979, als die Single "Rapper‘s Delight" der Sugarhill Gang erscheint.
In den USA werden bis zu 50.000 Einheiten pro Woche verkauft, weltweit sind es 14 Millionen Stück. Vor allem in Europa ist die Single wochenlang in den Charts. Der Siegeszug von Rap und Hip-Hop beginnt mit diesem Track. Es ist allerdings umstritten, ob es sich wirklich um die allererste Rap-Aufnahme handelt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Hunderttausende gehen gegen die Abstimmung am 15.09.2004 auf die Straße, Jäger dringen ins britische Parlament ein. Das Verbot kommt trotzdem - beendet aber nicht die Fuchsjagd...
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit kündigt der britische Premierminister Tony Blair 2001 an, im Parlament über die Zukunft der Jagd mit Hunden abstimmen lassen - ohne Fraktionszwang. Auf die Ankündigung folgen eine hitzige Debatte und Großdemonstrationen mit bis zu einer halben Million Menschen.
Die Stimmung in den Tagen vor der Abstimmung ist aufgeladen. Vor dem Parlamentsgebäude kommt es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und einer wütenden Menge von Jagdbefürwortern. Am Tag der Abstimmung, dem 15. September 2004, dringen fünf Jagd-Fans in das Parlamentsgebäude ein und gelangen ungehindert bis in den Sitzungssaal.
Die Sitzung im Unterhaus wird nach diesem Vorfall zwar unterbrochen, die Abstimmung kann aber noch am selben Tag stattfinden. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten stimmen für den "hunting act". Damit sind in England, Wales und Schottland Hetzjagden mit Hunden verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Seinen ersten Ton gibt Hans Clarin am 14.9.1929 von sich. Bei seiner Geburt. Später wird er vor allem mit seiner Synchronstimme bekannt. Ist aber auch Schauspielkünstler.
Seine Stimme ist sein Markenzeichen, besonders in der Hörspielwelt. Hans Clarin, eine der markantesten Stimmen Deutschlands. Ob als Gespenst "Hui Buh" oder als der freche Kobold "Pumuckl" – Clarins unverwechselbare Art hat Generationen geprägt.
Dabei hat Clarin ursprünglich eine ganz andere Richtung eingeschlagen: Der Sohn eines Marineoffiziers, geboren als Hans Joachim Schmid, will Sänger werden. Doch Selbstzweifel lassen ihn den Plan aufgeben. Nach einem kurzen Abstecher in die Landwirtschaft findet Clarin schließlich seine Berufung als Schauspieler und Sprecher.
Seine Karriere beginnt in den 1950er Jahren an den Münchner Kammerspielen, wo er früh sein Talent für skurrile Rollen entdeckt. Ob als "Zwerg Nase" in seinem ersten Film oder als Puck im "Sommernachtstraum" – Clarin bezaubert in zahlreichen Rollen, im Fernsehen wie auf der Bühne.
Stets mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang, einer fantasievollen Art und Sinn für Humor. Selbst nach seinem Tod lebt seine Stimme weiter, dank moderner Technik sogar in neuen Pumuckl-Folgen – ein berührendes Erbe eines Künstlers, der die Grenze zwischen Realität und Fantasie stets aufs Schönste verwischt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Schönberg beeinflusst die Geschichte der Musik wie kaum ein anderer: Er revolutioniert mit der Zwölftontechnik die Musik und bewahrt zugleich traditionelle Strukturen.
Arnold Schönberg ist ein österreichischer Komponist, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Emanzipation der Töne sorgt: Er entwickelt eine Kompositionsmethode, in der zwölf Töne nur aufeinander bezogen werden. Das bringt ihm in der Fachwelt viel Ruhm und Nachfolger ein.
Aber auch an Feinden mangelt es nicht: In Europa kritisiert man ihn erst als Neu-Töner, dann wird er als Jude verfemt. In den USA, wohin er 1933 von Berlin aus emigriert, zählen materielle Werte mehr als geistige. Doch Schönberg lässt sich dadurch nicht von seinem Weg abbringen: Ein Angebot aus Hollywood lehnt er ab, weil er es hasst, wenn man ihm in die Partituren hineinpfuscht, wie es beim Film üblich ist.
Er komponiert auch nicht nur zwölftönig: "Immer war in mir der Wunsch lebendig, zum früheren Stil zurückzukehren; und von Zeit zu Zeit gebe ich diesem Verlangen nach." Deshalb komponiert er einmal auch ganz unmodern für ein Hochschulorchester im Stil der Wiener Tradition.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Er schafft die Sklaverei ab, wird als Freiheitskämpfer verehrt, aber auch als machtbesessener Despot verachtet. Am 12.09.1974 wird der letzte Kaiser Äthiopiens gestürzt.
Der 1892 als Tafari Makonnen geborene Selassie ist der letzte Kaiser einer jahrtausendealten Dynastie - ein schillernder Monarch, verliebt in Pomp und Selbstdarstellung. Mit gerade einmal 38 Jahren besteigt er den äthiopischen Thron und stößt etliche Modernisierungen nach europäischem Vorbild an: So erlässt er etwa die erste geschriebene Verfassung, die das Land zu einer konstitutionellen Monarchie macht, und verbietet die Sklaverei.
Die Reformen werden beendet, als 1935 das faschistische Italien Äthiopien überfällt und Selassie ins britische Exil geht. Sechs Jahre später aber kehrt er auf seinen Thron zurück. Als geschickter Taktiker nähert sich Selassie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dem Westen an.
Doch während er in der Welt verehrt wird, wächst im eigenen Land der Unmut gegen ihn und seine absolutistische Herrschaft: Die Bodenreform kommt nicht voran, Soldaten fordern bessere Bezahlung und Studierende rebellieren gegen Bevormundung. Die jahrelange Auseinandersetzung mit Eritrea und eine verheerende Hungersnot belasten den Staatsapparat zusätzlich.
Nach einem Militärputsch muss Haile Selassie am 12. September 1974 abdanken. Ein knappes Jahr später stirbt er - vermutlich wurde er im Schlaf mit einem Kissen erstickt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Der englische Seefahrer Henry Hudson sucht eine kürzere Route nach Asien. Er scheitert, und die Suche kostet ihn sogar das Leben. Doch was er entdeckt, ist ungeheuer wertvoll.
Manahatta ist das Stammesgebiet der Lenape. Die hügelige Insel liegt an einem Fluss, den die Europäer später Hudson River nennen. Die indigenen Nordamerikaner leben schon seit Generationen dort, als am 11. September 1609 der Brite Henry Hudson bei ihnen auftaucht.
Eigentlich sucht er in niederländischem Auftrag einen Schiffsweg durch das Polarmeer nach China. Hudson ist nicht der erste Europäer auf Manahatta, aber er ist der erste, der genaue Aufzeichnungen von diesem Gebiet anfertigt. Der Brite ist begeistert: "Noch nie habe ich meinen Fuß auf ein Stück Land gesetzt, das sich besser zum Ackerbau eignete."
Schon bald verbreitet sich in Amsterdam die Kunde von der scheinbar neuen Welt, in der es Felle, Holz und Getreide in Hülle und Fülle geben soll. 1624 erreichen die ersten niederländischen Siedler Manahatta. An der Südspitze der Insel, die heute Manhattan heißt, entsteht das Fort Neu Amsterdam.
40 Jahre lang bleibt die Siedlung auf der Insel Manahatta in holländischer Hand. Dann erobern die Engländer Neu Amsterdam und benennen es um - in New York. Henry Hudson ist da schon lange tot - verschollen im Ewigen Eis.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Émilie du Châtelet - französische Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und frühe Vorreiterin weiblicher Emanzipation. Sie stirbt am 10.9.1749 mit nur 42 Jahren.
Sie schätzen und lieben sich: Émilie du Châtelet und Voltaire teilen das Interesse an Metaphysik und moderner Naturphilosophie. Sie diskutieren die Werke des englischen Physikers Isaac Newton. In einem französischen Schloss an der Luxemburger Grenze richten die beiden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts "Die kleine Akademie" ein: Namhafte Wissenschaftler besuchen den Barockbau und diskutieren über Wissenschaft. Dabei ist Émilie du Châtelet seit jungen Jahren verheiratet. Mit ihrem Mann führt sie gewissermaßen eine offene Ehe.
15 Jahre lang leben Voltaire und Émilie du Châtelet auf Schloss Cirey. Sie erweitern das Château um eine Bibliothek, die 10.000 Bände umfasst und sich mit dem Buchbestand der Pariser Akademie messen kann. Die Schlosshalle lassen sie zu einem Physiklabor umbauen. 1740 veröffentlicht Émilie ihr Hauptwerk "Wissenschaftliche Einführung in die Physik" - zunächst anonym, weil sie eine Frau ist.
Mit dem Lehrbuch erregt Émilie du Châtelet schließlich internationale Aufmerksamkeit. Sie wird zur Symbolfigur der weiblichen Gelehrten. In verschiedenen Kommentaren findet sie klare Worte zur Frauenfrage. "Ich würde Frauen an allen Menschenrechten teilhaben lassen, insbesondere an den geistigen." Am 10. September 1749 stirbt die Wissenschaftlerin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Als eine der ersten Frauen studierte Rosa Schapire (geboren am 9.9.1874) Kunstgeschichte. Sie war emanzipiert, intellektuell und lebte für den aufkommenden Expressionismus.
"Schauderhaft", "Wahnsinnig", "Aufdringlich grell" - so urteilt die etablierte Kritik über den Expressionismus. Rosa Schapire dagegen erkennt die Kraft und die Tiefe in den Werken der jungen Männer, die sich 1905 in Dresden zur Künstlergruppe "Brücke" zusammengeschlossen hatten.
Als Frau ist sie im expressionistischen Milieu eine Ausnahmeerscheinung: Sie ist weder Muse noch Modell oder Ehefrau, sondern steht den Künstlern unabhängig gegenüber. Sie vermittelt deren Werke an Käufer und Museen und macht sie in Aufsätzen und Rezensionen bekannt.
Geboren wird Rosa Schapire am 9. September 1874 in Brody als vierte von fünf Töchtern einer jüdischen Familie. Sie wächst in einem weltoffenen, toleranten Elternhaus auf, später setzt sie sich konsequent für die Rechte von Frauen ein.
Aus ihrem beruflichen Interesse entstehen enge Freundschaften, die Künstler danken ihr für ihren Einsatz mit Bildern, Grafiken und Schmuck. 1939 besitzt Schapire eine Sammlung von mehr als 600 Werken. Besonders Karl Schmidt-Rottluff trifft sie mit seiner Kunst bis ins Innerste. Mit ihm bleibt Rosa bis zu ihrem Tod verbunden. Sie stirbt mit knapp 80 Jahren in der Eingangshalle der Tate Gallery. So wie sie es sich immer wieder gewünscht hat: "Nicht einen Tag länger leben als ich arbeiten kann."
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Die Bürger von Florenz kommen aus dem Staunen nicht heraus. Michelangelos Statue von David ist ein Quantensprung in der Skulpturenarbeit - und bis heute ein Wunderwerk.
Es ist der 8. September 1504, als die Bürger von Florenz ehrfürchtig vor dem Palazzo Vecchio stehen und zum ersten Mal den Blick auf Michelangelos David erhaschen. Die monumentale, 5,17 Meter hohe Marmorstatue zeigt den biblischen Helden nicht als triumphierenden Sieger, sondern in einem Moment gespannter Erwartung: Die Schleuder über die Schulter gelegt, den Stein fest in der Hand, bereit, sich seinem übermächtigen Gegner Goliath zu stellen.
Ursprünglich ist die Statue für das Dach des Doms vorgesehen. Eine Kommission, darunter Leonardo da Vinci und Botticelli, beschließt jedoch, sie an einem würdigeren Ort aufzustellen – vor dem Palazzo Vecchio, dem politischen Zentrum der Stadt.
Dort wird die Statue des David zu einem Symbol für den Stolz und die Unabhängigkeit der Republik Florenz, und über 300 Jahre lang trotzt er Wind und Wetter, bevor er in die Galleria dell'Accademia verlegt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
Gala Dalí, geboren am 7.9.1894, ist kein hübsches Püppchen an der Seite eines Künstlers. Sie ist ein Mythos, Muse und Managerin.
Gala Dalí, in Paul Éluards Gedichten wird sie zur Göttin stilisiert, in Dalís Gemälden als Madonna und Traumvision dargestellt. Geboren in Russland, unter dem Namen Jelena Dmitrievna Diakonova, führt ihr außergewöhnlicher Lebensweg sie durch die intellektuellen Kreise Europas. Früh erkennt sie, dass Schönheit, Charisma und Selbstinszenierung mächtige Werkzeuge sind.
In einer Zeit, in der Frauen oft auf die Rolle der stillen Unterstützerin reduziert werden, tritt Gala selbstbewusst auf und nimmt nicht nur Einfluss auf den kreativen Prozess: Mit scharfem Geschäftssinn und großer Entschlossenheit hilft sie Dalí, sich in der Kunstwelt zu etablieren und sorgt dafür, dass sein exzentrisches Image weltweit bekannt wird.
Gala und Salvador Dalí werden zu einer einzigartigen öffentlichen Persona, in der Kunst und Leben nahtlos ineinander übergehen. Ihr Zusammenspiel von künstlerischer Inspiration und geschicktem Management macht sie zu einem legendären Paar, das bis heute die Vorstellung von der idealisierten Verbindung zwischen Künstler und Muse prägt. Dabei bewegen sie sich stets im Spannungsfeld zwischen Mythos und Realität.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Fast vollständig blind ist Luise Nordmann bei ihrer Geburt am 06.09.1829. Sie lernt singen und bringt sich das Harfenspiel bei - und zieht mit dem Instrument durch die Berliner Hinterhöfe, um gegen ihre Armut anzugehen.
Als "Harfenjule" wird die Straßenmusikerin Luise Nordmann im kaiserlichen Berlin bekannt. Ihr Markenzeichen sind ein abgegriffener Strohhut und eine große Harfe auf ihrem Rücken. So zieht die halbblinde Frau durch die Hinterhöfe von Schöneberg, das im 19. Jahrhundert noch am Rand von Berlin liegt. Gebannt lauschen die Großstadtproletarier ihrer Musik. Zum Dank werfen diejenigen, die selbst nichts haben, ihr Geldstücke runter. Almosen, die Luise Nordmann dringend braucht, um sich und ihre kranke Schwester zu versorgen.
Ihren Ehemann und die Kinder hat Luise Nordmann da schon verloren. Einzig die Musik ist ihr geblieben, um über die Runden zu kommen. Dabei hat sie Glück im Unglück: Ein russischer Offizier hat sie als Kind singen gehört und bezahlte ihr Gesangsunterricht. Und ein Professor für Augenheilkunde operierte sie, sodass sie zumindest schemenhaft sehen kann. Zwei Helfer, die sie vor noch größerem Elends bewahren. Zur Legende wird sie vor allem durch Heinrich Zille, der sie mehrmals mit Harfe in den Elendsvierteln von Berlin zeichnet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Die meisten Deutschen erledigen ihre Einkäufe heute im Supermarkt - doch das war nicht immer so: In den ersten Supermarkt traute sich 1949 zunächst kaum jemand hinein...
Der Andrang in dem neuen Supermarkt ist zunächst verhalten: Die Menschen sind an ihren Metzger, ihren Bäcker und die Bedienung im Tante-Emma-Laden gewöhnt. Dort konnten sie beim Einkauf zwar Wünsche äußern, die Macht über Zuteilung und Qualität der Waren lag aber beim Verkäufer hinter der Theke. Das soll sich mit den Selbstbedienungsgeschäften ändern. Hier darf die Kundin selbst durch die Regale stöbern, die Waren in die Hand nehmen und aussuchen.
Die Idee kommt aus den USA, dem Mutterland des Konsums und dem Land, wo der Kunde König ist. Die neue Art des Einkaufs müssen die Deutschen erst lernen, viele sind skeptisch. Sie fühlen sich wie Diebe, die Waren nehmen, ohne sie vorher zu bezahlen und damit durch den Laden laufen. Doch die Hemmungen halten nicht lange an. Mit den steigenden Einkommen im Aufschwung der 1950er Jahre sprießen überall im Land Supermärkte - und der Tante-Emma-Laden hat allmählich ausgedient.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Bis zu seinem 40. Lebensjahr verschreibt sich Anton Bruckner ganz der Orgelmusik – und sattelt dann auf Sinfonien um. Seine Vorbilder Beethoven und Wagner vereint er allen Kritikern zum Trotz in seinem eigenen Werk.
In Wien bezeichnen die Kritiker seine Werke als "unnatürlich" und "aufgeblasen", doch Anton Bruckner lässt sich davon nicht beirren. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts.
Mit seiner einzigartigen Fähigkeit, die sinfonische Tradition Beethovens mit der modernen Musiksprache Wagners zu verbinden, schafft er monumentale Werke, die bis heute faszinieren.
Geboren am 4. September 1824 in Ansfelden, beginnt Bruckner seine musikalische Laufbahn zunächst in der Kirchenmusik, bevor er sich in der Mitte seines Lebens der Sinfonik zuwendet. Trotz seines schwierigen Charakters und der oft harschen Kritik bleibt er seiner künstlerischen Vision treu.
Bruckner schreibt neun Sinfonien. Beginnend meist mit stillen, mystischen Klängen, zeichnen sie sich durch kraftvolle Steigerungen und eine enorme Ausdruckskraft aus. Heute zählt Bruckner zu den wichtigsten Vertretern der Romantik.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Statt der Königin trug die Mätresse Diane de Poitiers (geb. 3.9.1499) bei feierlichen Anlässen die Kronjuwelen an der Seite des französischen Königs Heinrich II.
Als Geliebte und Favoritin von König Heinrich II. übt Diane de Poitiers großen Einfluss am Hofe aus. Sie ist bekannt für ihre Schönheit, die sie mit Disziplin und strengen Ritualen pflegt. Noch berühmter ist ihr politisches Geschick und ihre Fähigkeit, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen.
Trotz des Altersunterschieds von fast 20 Jahren ist ihre Beziehung zu Heinrich II. mehr als nur eine Liebesaffäre. Diane versteht es, ihre Position geschickt zu nutzen, sichert sich beträchtliche Ländereien und Titel und mischt sich in politische Entscheidungen ein.
Mit dem Tod Heinrichs II gerät Dianes Einfluss ins Wanken. Katharina von Medici übernimmt die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn, den neuen König.
Diane, lange Zeit die mächtigste Frau am Hof, muss sich zurückziehen. Anders als viele Mätressen vor ihr wird sie nicht enteignet, muss aber das prächtige Schloss von Chenonceaux gegen das weniger bedeutende Schloss Chaumont eintauschen.
Diane de Poitiers bleibt eine angesehene und wohlhabende, jedoch keine einflussreiche Frau. Im Alter von 66 Jahren stirbt sie auf ihrem Schloss von Anet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Polarlichter leuchten fernab der Pole, Telegrafen spielen verrückt, Stromleitungen brennen. Ursache ist ein Himmelsereignis: der bisher stärkste registrierte Sonnensturm.
Am 2. September 1859 steht Richard Christopher Carrington wie gewohnt in seinem Garten und schaut durch sein Teleskop. Schon seit 1853 zeichnet der Engländer systematisch seine Beobachtungen auf der Sonnenoberfläche auf. Plötzlich sieht er zwei Aufhellungen an einer Sonnenflecken-Gruppe, die er noch nie zuvor gesehen hat. Aber schon wenige Minuten später ist das außergewöhnliche Schauspiel vorbei.
Carrington ist nicht der einzige, der an diesem Tag staunt. In Caracas, Honolulu und Athen ist der Himmel von Polarlichtern erleuchtet, die – wie er Name schon sagt – gewöhnlich nur in nördliche Regionen zu sehen sind. Und als die Lichter in vollem Glanz erscheinen, spielen die Telegraphen verrückt: Die einen verschicken Meldungen, ohne dass sie an Batterien angeschlossen sind, bei den anderen entzündet sich ein Papier, das die Signale aufzeichnet.
Die Vermutung liegt nahe, dass die merkwürdigen Ereignisse mit dem Blitzen zusammenhängen, die Carrington beobachtet hat. Dieser mahnt zunächst mit akademischer Zurückhaltung, dass "eine Schwalbe noch keinen Sommer machen". Doch bald schon ist klar, dass er eine Sensation dokumentiert hat. Es ist zum ersten Mal, dass auf der Erde massive Einflüsse gesehen werden, die eindeutig auf die Sonne zurückzuführen sind.
Seine Beobachtungen gehen als Carrington Event in die Wissenschaftsgeschichte ein und begründen die Sonnenforschung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Ein US-Wissenschaftler will 1934 herausfinden, warum sich Menschen früh den Nazis angeschlossen haben. Er verspricht 125 Reichsmark für den glaubwürdigsten Aufsatz begeisterter Hitler-Anhänger - und die schreiben gerne drauflos...
Das Preisausschreiben um die beste Nazi-Geschichte wird nicht etwa von der NSDAP ausgeschrieben. Es findet unter der Schirmherrschaft der New Yorker Columbia University statt. Die Idee dahinter: Der US-Forscher Theodore Abele will mit den persönlichen Geschichten die Amerikaner über Nazi-Deutschland informieren. Auf einer Deutschlandreise hatte er bemerkt, dass viele Hitler-Anhänger nach dessen Machtübernahme gerne über ihre schon lange währende Gesinnung plaudern.
"Jede Person, unabhängig von Geschlecht oder Alter, die vor dem 1. Januar 1933 Mitglied der nationalsozialistischen Partei war oder mit der Bewegung sympathisiert hat, kann an diesem Wettbewerb teilnehmen." So erscheint der Aufruf im Frühsommer 1934 in verschiedenen NSDAP-Parteiblättern, für die beste Nazi-Geschichte winken 125 Reichsmark.
Zum Einsendeschluss am 1. September 1934 werden 683 Beiträge eingeschickt. Sie zeigen, dass Arbeiter und Adelige, Krankenschwestern und höhere Töchter zu den frühen Nationalsozialisten zählen. Triumphierend beschreiben die Hitler-Anhänger, wie sie in den 20er Jahren verlacht und ausgegrenzt worden sind, aber niemals an der Mission Hitlers gezweifelt haben. Ihre Nazi-Begeisterung resultiert aus einer Kränkung über den verlorenen Krieg, der Sehnsucht nach einem starken Führer, die Angst vor einem sozialen Abstieg, völkischen Fantasien – und einem tiefen Antisemitismus.
Als Theodore Abel 1938 sein Buch "Why Hitler came into Power" herausbringt, ist das Interesse an den Geschichten jedoch gering. Längst ist den US-Amerikanern klar, dass Nazi-Deutschland zu einer großen Bedrohung geworden ist und Krieg in der Luft liegt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Wie kam es zum Abzug dieser gigantischen Armee aus Ostdeutschland, mit dem bis zur Wende niemand gerechnet hätte – und warum ist das heute noch wichtig?
Bis heute wird Michail Gorbatschow in Deutschland und den USA dafür gefeiert, dass er während der Wende die Panzer zurückgehalten hat. Dabei geht es dem Präsidenten der Sowjetunion weniger um die deutsche Einheit als um die Rettung seines eigenen Landes. Gorbatschow hofft, dass er durch eine neue Offenheit (Glasnost) und den Umbau des Systems (Perestroika) den Kern seines Imperiums bewahren kann.
Immerhin: Michail Gorbatschow ebnet den Weg für die deutsche Wiedervereinigung. Dazu gehört auch, dass die russischen Truppen möglichst schnell und reibungslos das Gebiet der ehemaligen DDR verlassen. Über Altlasten, Bodenverseuchungen und private Geschäfte der Russen mit Inventar wird dabei oft hinweggesehen.
Am 31. August 1994 ist es dann so weit. Fünf Jahrzehnte nachdem die sowjetische Armee das Gebiet des damaligen Deutschen Reiches erreicht hat, verlassen russische Soldaten wieder Deutschland. "Sie gehen nicht als Besatzung, sie gehen als Partner, sie gehen als Freunde", sagt Bundeskanzler Helmut Kohl während der feierlichen Abschiedszeremonie in Berlin. Deutsche und Russen stünden jetzt am Anfang einer neuen guten Zusammenarbeit.
Der russische Präsident Boris Jelzin betont ebenfalls, er vertraue auf das vereinte, erneuerte Deutschland. Russland dürfe von Europa nicht abgekoppelt werden.
Ein Festakt voller Zuversicht für ein friedliches Miteinander beider Seiten. Doch es kommt anders, drei Jahrzehnte später, hat Wladimir Putin die Ukraine überfallen und es herrscht eisige Kälte zwischen Deutschland und Russland.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Der Start ist holprig – doch dann wird das US-Space-Shuttle "Discovery" zur Legende der NASA-Raumfahrt.
Bis heute war das Space Shuttle der bislang einzige für bemannte Raumflüge eingesetzte Raumfährentyp. Mit 39 Missionen ist die Discovery das am häufigsten eingesetzte Space Shuttle in der Geschichte der NASA. Robust und zuverlässig meistert das Weltraumfahrzeug all seine Aufgaben – vom Jungfernflug am 30. August 1984 bis zur letzten Landung am 9. März 2011. Dann ist Schluss: Nach knapp 240 Millionen absolvierten Flugkilometern wird die Discovery in den Ruhestand geschickt.
Benannt ist die Discovery nach einem der Schiffe, mit denen James Cook den Pazifik befahren und 1778 Hawaii entdeckt hat. Und genau wie ihr schwimmender Namensvetter schreibt auch die US-Raumfähre Geschichte: Sie ist das Space Shuttle, mit dem sowohl nach der Challenger-Katastrophe 1986 als auch nach der Explosion der Columbia 2003 die bemannte Raumfahrt wieder aufgenommen wird. Im April 1990 schauen Millionen Menschen dabei zu, wie die Discovery das zwölf Tonnen schwere Weltraumteleskop "Hubble" ins All hievt.
Die Discovery hebt aber auch ab, um Politik zu machen. Mit Sergei Krikaljow hat sie 1994 zum ersten Mal einen Kosmonauten an Bord. Ein Jahr später ist sie die erste US-Raumfähre, die sich der russischen Station "Mir" bis auf wenige Meter nähert. Beides soll die Kooperation der einstigen Gegner im Orbit demonstrieren.
Mittlerweile ist die Reise der Discovery zu Ende und das Space Shuttle ein Ausstellungsstück: Die alte Weltraumdame lässt sich im Smithsonian Museum in Washington bestaunen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Aus der Gosse zum Superstar: Mit ihrer Debüt-LP "Definitely Maybe" katapultiert sich "Oasis" am 29.8.1994 in den Pop-Olymp. Sänger Liam und Gitarrist Noel Gallagher bekommt der Ruhm schlecht.
Nicht Elvis, nicht die Beatles, nicht Michael Jackson: Es ist das Debütalbum "Definitely Maybe" von Oasis, das sich in seiner ersten Marktwoche häufiger verkauft als jedes andere zuvor in den britischen Charts. Die Platte erscheint am 29. August 1994 - und macht die fünf einfachen Jungs aus Burnage über Nacht zu Stars.
Herz und Seele von Oasis sind zwei Brüder, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Noel und Liam Gallagher. Sie können nicht miteinander und brauchen sich doch. Ihre offen ausgetragenen Querelen sorgen für großen Unterhaltungswert und steigern gleichzeitig ihre Bekanntheit. In kürzester Zeit wird Oasis zu einer der erfolgreichsten Bands des 20. Jahrhunderts - dabei geht ihr Einfluss weit über das musikalische hinaus.
Auf ihrem Höhepunkt spielt Oasis 1996 in Knebworth vor insgesamt 250.000 Menschen an zwei Tagen, die BBC überträgt live. Es ist die Blüte des Britpop, ein Wochenende für die Geschichtsbücher. Aber nach dem Rausch kommt der Kater für die Gallagher-Brüder. Der plötzliche Ruhm, das Geld und die Versuchungen überfordern Noel und Liam zusehends.
2009 verlässt Noel Gallagher die Band im Streit. Kurz darauf löst sie sich auf - und kündigt erst kurz vor dem Jubiläum der Debüt-LP eine Wiedervereinigung an. Was bis dahin bleibt, ist der Soundtrack einer Generation - und die Erinnerung an die richtige Band zur richtigen Zeit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jonas Colsman:
Wenn ein Mörder für den Tod eines anderen Menschen büßt, wer büßt für den Mord an ganzen Volksgruppen? Die Frage bewegt Raphael Lemkin bis zu seinem Tod am 28.8.1959.
In Berlin steht 1921 ein Armenier vor Gericht, der einen Türken auf offener Straße erschossen haben soll. Das Opfer war einer der Organisatoren des Völkermords an den Armeniern ein paar Jahre zuvor durch das Osmanische Reich. Durch den Prozess erfährt eine breite Öffentlichkeit von den mehr als 1,5 Millionen Armeniern, die durch Zwangsräumungen und Todesmärsche ums Leben kamen.
Und der Prozess zeigt eine Lücke im internationalen Gesetz auf, die den Jurastudenten Raphael Lemkin im seinerzeit polnischen Lemberg nicht mehr loslässt: "Die Ermordung eines Individuums ist ein Verbrechen. Ist es dagegen kein Verbrechen, mehr als eine Million Menschen zu töten?"
Raphael Lemkin reist in den 1930er Jahren mit Vorschlägen für ein internationales Gesetz zum Schutz von Minderheiten zu mehreren europäischen Konferenzen: Endlich sollen Volksgruppen vor der Vernichtung durch die eigene Regierung geschützt werden. Vergeblich. Lemkin selbst muss als polnischer Jude vor den Nationalsozialisten fliehen und rettet sich in die USA. Im Gepäck hat er Dokumente, die Hitlers systematische Vernichtung der Juden juristisch beweisen sollen.
Raphael Lemkins Hartnäckigkeit zahlt sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg aus: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen nimmt 1948 einstimmig ein Gesetz zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord an. Raphael Lemkin geht als Vater der Völkermord-Konvention in die Geschichte ein.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Heidi Kabel, geboren am 27.81914 in einem gutbürgerlichen Haushalt an der Große Bleichen. In dieser Straße wird sie später zum Star: auf der Bühne des Ohnsorgtheaters.
Heidi Bertha Auguste Kabel kommt am 27. August 1914 in Hamburg in derselben Straße zur Welt, in der 22 Jahre später der Bibliothekar Richard Ohnsorg eine Bleibe für seine Niederdeutsche Bühne findet. Heidis Vater leitet eine Druckerei, die Mutter erzieht Heidi mit strenger Hand. Dazu gehört, dass die Kinder keine Gefühle zeigen dürfen. Heidi Kabel sieht es später als Vorteil, weil sie gelernt habe, sich zusammenzunehmen.
Die Eltern wollen, dass sie Konzertpianistin wird. Doch sie entscheidet sich fürs Theater. 1933 hebt sich am Theater von Richard Ohnsorg zum ersten Mal der Vorhang für sie. 1938 feiert sie ihre Filmpremiere mit "Ein Mädchen geht an Land". Nach dem Krieg übernimmt ihr Ehemann Hans Mahler das Ohnsorg-Theater und die beiden starten mit ihrem Mundart-Theater durch.
Mit Kittelschürze und Kopftuch spielt sich Heidi Kabel ins kollektive Gedächtnis von Generationen. Schrullig, derbe und kratzbürstig inszeniert sie den Typus der forschen norddeutschen Nachkriegsfrauen, als Hausmeisterin, Mutter und Schwiegermutter, als Giftspritze, Krawallschachtel, Hausdrache und Tratschtante. Fernseh-Übertragungen aus dem Ohnsorg-Theater erreichen oft Einschaltquoten von 80 Prozent. Zu den Klassikern gehören "Vater Philipp", "Die Kartenlegerin" und "Tratsch im Treppenhaus".
Am Silvesterabend 1998, mit 84 Jahren, verabschiedet sich die Volksschauspielerin auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters von ihrem Publikum. 2010 stirbt Heidi Kabel in Hamburg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Faustin Soulouque kann weder lesen noch schreiben. Die politische Elite betrachtet ihn als Marionette - bis er sich am 26.08.1849 zum Kaiser von Haiti ausrufen lässt.
Geboren wird Faustin Soulouque 1782 auf einer Plantage in Haiti, seine Eltern sind beide Sklaven. Elf Jahre später wird die Sklaverei abgeschafft. Die Macht erlangen aber künftig nicht die zahlenmäßig dominierenden Schwarzen, sondern die Haitianer mit je einem schwarzen und weißen Elternteil. Sie wurden früher aus der Sklaverei befreit, gelten als gebildeter.
Auch der Schwarze Faustin Soulouque lernt weder lesen noch schreiben, kann aber beim Militär Karriere machen. Im Unabhängigkeitskampf gegen die französische Kolonialmacht steigt er zum General auf. 1847 wählt ihn der Senat zum Präsidenten von Haiti. Durch seinen in der Armee gezeigten Gehorsam gilt der 64-Jährige als besonders geeignet für die gängige "Stellvertreterpolitik". Dabei sucht sich die hellhäutigere politische Elite einen Schwarzen, den sie wie eine Marionette führen kann.
Bei Faustin Soulouque geht die Strategie jedoch nicht auf. Im April 1848 ordnet der Präsident an, einen Teil der bisherigen politischen Führungsriege brutal zu eliminieren. Ein Jahr später, am 26. August 1849, lässt er sich vom Senat zum Kaiser ausrufen. Für seine Krönungsfeierlichkeiten greift Faustin I. tief in die Staatskasse. Er ordert eine Krone in Paris und legt sich nach französischem Vorbild einen eigenen Hofstaat an.
Politisch regiert Faustin I. immer brutaler, selbst ehemalige Weggefährten lässt er verschwinden. 1859 ist Schluss damit. General Fabre Nicolas Geffrard putscht mit 6.000 Soldaten gegen den Kaiser, der daraufhin nach Jamaika fliehen muss.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Schriftstellerin, Dichterin, Meisterin des Scherenschnitts: Adele Schopenhauer ist weit mehr als die Schwester des berühmten Philosophen. Am 25.8.1849 stirbt sie in Bonn.
Adele Schopenhauer hat Glück. Ihre Mutter Johanna führt einen Salon, in dem sich die geistige Elite der Weimarer Klassik trifft. So lernt die junge Adele unter anderem Bettina von Arnim, Wilhelm Grimm, die Schlegels, Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdy und viele mehr kennen.
Dazu gehört auch Johann Wolfgang von Goethe. Der Dichter und Adele verstehen sich bestens. Er bildet sie als Vorleserin und Schauspielerin mit aus und führt sie in die Literatur ein. Das Mädchen wächst heran zwischen klassizistischen und romantischen Idealen, lernt Italienisch, Französisch, Englisch, musiziert, malt, stickt und entdeckt ihr Talent für den Scherenschnitt.
Später schreibt Adele Märchen, Novellen, Gedichte und Romane – doch alles mit mäßigem Erfolg. Erst als Reisende in Rom und Florenz erobert sie sich einen Platz in der patriarchalischen Welt. Sie diskutiert auf Augenhöhe mit Männern über Literatur, Kunst und Naturwissenschaften.
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Am 24.08.1919 verunglimpfen seine Gegner den jüngst vereidigten Reichspräsidenten Ebert mit einem Skandalfoto. Politik mit Bademode - das wird noch heute gern gemacht.
1919 wird in Deutschland die erste parlamentarische Demokratie gegründet. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird zu ihrem Repräsentanten gewählt und am 21. August auf die neue Verfassung vereidigt. Am selben Tag wird die Ausgabe der "Berliner Illustrierten Zeitung" verteilt, die eigentlich erst drei Tage später erscheinen soll.
Auf der Titelseite wird der neue Würdenträger zwar nicht nackt, aber doch ungehörig unbekleidet seinem Volk präsentiert wird. Man sieht Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) in der damals keineswegs üblichen Badehose in der Ostsee stehen. Die Resonanz ist enorm. Ein Mann in Badekleidung gilt damals als äußerst unschicklich.
Das Foto wird als Postkarte tausendfach verschickt. Dazu kommen Karikaturen, Fotomontagen, Spottverse und Lieder. Bei Eberts öffentlichen Auftritten schwenken kaisertreue Gegner rote Badehosen. Sie nutzen das Ebert-Foto zur Herabwürdigung des Präsidenten und der jungen Demokratie, die mit ihm baden geht.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Von Israel aus erobert Ephraim Kishon mit seinem feinsinnigen Humor die Herzen der Deutschen, wird gar ihr Lieblingsschriftsteller. Zur Welt kommt er in Ungarn am 23.8.1924.
Erst stolzer Ungar. Dann verfolgter Jude. Schließlich entschiedener Israeli. Ein Schicksal, das in vielem typisch ist für das 20. Jahrhundert und das in Budapest beginnt. Denn dort wird Ephraim Kishon am 23. August 1924 geboren. Doch wie wird der Holocaustüberlebende zeitweise der beliebteste Autor der Deutschen?
Wohl weil der Satiriker Geschichten schreibt über mehr oder weniger normale Menschen, zwar mit exotischem Flair, aber gezeichnet wie die Nachbarn von nebenan. Sie schlagen sich herum mit Bürokraten, Waschmaschinen, Kindern und Ehefrauen und den Tücken des Alltags.
Alles ins Groteske übersteigert, heiter, komisch, nie bösartig und einfach brillant. Israel wird darin nicht nur zu einem Land wie andere auch – man kann, man darf darüber sogar lachen! Auch als Deutscher - ohne jedes schlechte Gewissen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Mitten am Tag wird eines der bedeutendsten Gemälde des Expressionismus gestohlen. Den Dieben geht es nicht um Munchs Meisterwerk, trotzdem verändert der Raub Museen.
Es ist ein Sonntagmorgen im August, als die beiden bewaffneten Männer in den Saal des Osloer Museums stürmen, in dem "Der Schrei" und die "Madonna" von Edvard Munch hängen. Die Besucher - Touristen - die sich darauf gefreut hatten, zwei Meisterwerke im Original zu sehen, finden sich in einem Albtraum wieder. Sie werden mit vorgehaltener Waffe zu Boden gezwungen.
Wenige Stunden später findet die Polizei einen kaputten Bilderrahmen und das Fluchtauto. Von den Tätern keine Spur, aber jede Menge Fragen: Warum stahlen sie zwei so berühmte Gemälde? Verkaufen lassen sich solche Werke nicht. Einzig Lösegeld kann man damit erpressen. Aber wofür? Oder für wen?
Die Bilder kann die Polizei erst zwei Jahre nach dem Raub sicherstellen. "Der Schrei", den Munch auf Pappe gemalt hatte, ist in keinem guten Zustand. Zwei Jahre dauert die Restaurierung. 2008 kann das berühmte Bild erstmals wieder ausgestellt werden. Der Raub des "Schrei" hat ein Umdenken in Sachen Sicherheitskonzept in Museen bewirkt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Der Berliner Polizist Ernst "Buddha" Gennat ist ein Schwergewicht der Kriminalistik, Leiter der ersten deutschen Mordinspektion. Der Kommissar vom Alexanderplatz stirbt am 21.8.1939.
Er ist ein Mann mit Ausstrahlung: Ernst Gennat, der Chef der Berliner "Mordinspektion", wird wegen seiner stoischen Ruhe "Buddha" genannt - und wegen seiner Leibesfülle. Diese bringt ihm von weniger respektvollen Zeitgenossen auch den Spitznamen "Der volle Ernst".
Gennats Leidenschaft für Kuchen ist in der ganzen Stadt bekannt. Seine Sekretärin platziert in seinem Büro am Alexanderplatz täglich Berge von Kuchen, von denen der Kommissar bei Besprechungen immer auch seinen Kollegen ein Stück anbietet.
Sein Erfolg basiert jedoch auf neuartigen Arbeitsweisen: Seine 1926 gegründete Abteilung ist ausschließlich für Todesfallermittlungen zuständig. Spezialisten ermitteln nun systematisch mithilfe der "Zentralen Mordkartei", die Gennat anlegen lässt. Dadurch können Zusammenhänge erkannt und aus Fehlern gelernt werden.
Das Schwergewicht unter den deutschen Kriminalisten stirbt an Magenkrebs, wenige Tage vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Gegründet hat ihn ein Migrant - ein Franzose in Hamburg. Er wusste wie man Speiseeis zubereitet und eröffnete am 20. August 1799 in der Hansestadt den Alsterpavillon.
Hamburg ist auch immer eine Stadt der Einwanderer. Und so sucht hier 1799 Vicomte Quatre Barbes, ein französischer Adliger, Zuflucht vor der Verfolgung in Frankreich. In der Freien und Hansestadt Hamburg gefällt es ihm so gut, dass er unbedingt ein Kaffee-Lokal am Wasser gründen möchte. Und so entsteht hier der "Franzosen-Pavillon", in dem sich betuchte Emigranten mit ihren Hamburger Freunden treffen.
Zur Eröffnung gibt es Champagner, Kuchen, Kaffee und Eis. Man sagt, der noch auf Pfählen errichtete erste Pavillon sei Deutschlands erste Eisdiele gewesen.
Im Laufe der Zeit kommen und gehen nicht nur die Betreiber, auch das Gebäude selber wird mehrfach abgerissen und wieder aufgebaut - meist prunkvoll und herrschaftlich. Hier verkehren Menschen, die den besser gebildeten und wohlhabenderen Schichten angehören. So gilt es unter den vielen Passagieren der großen Überseedampfer etwa als Muss, dieses Café besucht zu haben. Selbst Heinrich Heine setzt dem Alsterpavillon ein literarisches Denkmal. Später gastieren hier internationale Spitzenorchester.
1942 wird der Pavillon während eines Bombenangriffs zerstört. Er wird zwar später wieder aufgebaut, doch das einst berühmteste Kaffeehaus Europas wird nie wieder zu seinem alten Glanz zurückfinden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Cäsars Ziehsohn gelingt, woran der scheiterte: Augustus stürzt die Republik und stirbt am 19.08.0014 als erster römischer Kaiser - weil er einen Fehler Cäsars vermeidet.
Octavians Aufstieg zum ersten römischen Kaiser der Antike beginnt als Adoptivsohn Julius Cäsars. Nach dessen Ermordung 44 v. Chr. tritt der 19-Jährige Cäsars Erbe an, teilt die Macht aber zunächst mit Marcus Antonius und Aemilius Lepidus.
Octavian macht sich einen Namen als Feldherr und Kämpfer gegen die Piraterie. Mit klugen innen- und außenpolitischen Schachzügen und dank geschickter Klientelpolitik sichert er sich bald die uneingeschränkte Macht in Rom.
Als ihm der Senat am 16. Januar 27 v. Chr. den Ehrentitel "Augustus" (der Erhabene) verleiht, beginnt seine Regierungszeit als Kaiser, die er allerdings nicht im Sinne einer despotischen Alleinherrschaft versteht. Bis zu seinem Tod am 19. August 14 n. Chr. regiert er im Einklang mit den republikanischen Traditionen Roms.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Eine Frau verbrennt sich an McDonald’s-Kaffee, die Kette soll 2,9 Millionen Dollar zahlen. Der Fall wird zum Vorbild für US-Prozesse mit horrenden Schadenersatzsummen.
Das Unglück geschieht, als die 79-jährige Stella Liebeck Milch und Zucker in ihren Kaffee geben will. Auf dem Parkplatz einer McDonald‘s-Filiale verschüttet sie im Auto ihren gerade gekauften Kaffee. Die Folge: Verbrennungen dritten Grades, acht Tage Krankenhausaufenthalt, zwei Jahre medizinische Behandlung und Kosten von 20.000 Dollar.
Für Stella Liebeck ist klar: Verantwortlich ist die Firma McDonald’s, denn die serviere ihren Kaffee deutlich heißer als marktüblich. Und warne außerdem nicht ausreichend vor dieser Gefahr. Und Liebeck ist nicht allein. Schon in über 700 anderen Fällen haben sich Kunden wegen Verbrennungen durch McDonald’s-Kaffee beschwert.
Eine Geschworenen-Jury spricht Liebeck Schadenersatz zu: 2.860.000 Dollar. Doch in der Berufung wird die Summe deutlich reduziert. Am Ende steht ein Vergleich, dessen Höhe nicht veröffentlicht wird. Bis heute funktioniert das US-Schadenersatzrecht im Wesentlichen wie zu Stella Liebecks Zeiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Es gilt als das berühmteste, einflussreichste und kommerziell erfolgreichste Jazz-Album: Die Platte "Kind of Blue" des Jazz-Trompeters Miles Davis erscheint am 17.8.1959.
Manhattan, 2. März 1959: Ein Montagnachmittag im Columbia-Tonstudio an der 30. Straße. Der Bandleader und Trompeter Miles Davis bringt seinen Musikern nur ein paar flüchtige Notizen mit - auf losen Zetteln. Dann geht es los mit der Aufnahme zu einem Stück, das noch nicht einmal einen Titel besitzt.
Zwei Mal unterbricht der Produzent die Aufnahme, dann spielen Pianist Bill Evans und Kontrabassist Paul Chambers das Intro, das das berühmteste Album der Jazz-Geschichte einleitet: "Kind of Blue".
Weil Miles Davis und seine Musiker bei der ersten Aufnahmesession nicht fertig werden, braucht es eine zweite. Am 22. April 1959 sind dann alle fünf Stücke für die Jazz-Platte fertig. Nur wenige Wochen später wird das Album veröffentlicht: am 17. August 1959.
In diesem Zeitzeichen erzählt Stefan Mau:
Das erste Smartphone ist das Apple i-Phone, oder? Nicht ganz, denn der Urahn aller Smartphones heißt "IBM Simon" und kommt am 16.8.1994 auf den amerikanischen Markt.
Zeitreise: Anfang der 1990er-Jahre sind Telefonzellen selbstverständlich, Wählscheiben üblich und schnurlose Festnetztelefone der letzte Schrei. Doch die rasende Entwicklung von der Rechenmaschine über den PC bis zum ersten Laptop zeigt, wie viel Freiheit mobile Lösungen bringen.
In Deutschland wird gerade das Telefonieren im Auto und beim Gehen auf der Straße populär. Also warum nicht Mobiltelefon und Computer zusammenbringen? Der US-Computerhersteller IBM, spezialisiert auf Rechenmaschinen, sucht gerade nach neuen Ideen und lässt seinem Entwicklungslabor freie Hand.
Der Elektronik-Ingenieur Frank Canova in Florida hat die zündende Idee: "Ich habe mich damals gefragt, wie eine Telefontastatur auf einem Screen aussehen würde." Die Lösung liegt für ihn in der Touchscreen-Technologie, damals kaum genutzt und sehr fehleranfällig. Mit seinem Team macht er einen Prototyp zum marktreifen Produkt, das von Mitsubishi Consumer Electronics produziert und der Telefonfirma BellSouth am 16. August 1994 auf den Markt gebracht wird.
Doch es werden nur 50.000 "IBM Simons" verkauft. Nach weniger als einem Jahr ist Schluss. Das Internet ist noch nicht so ausgebaut, dass das erste Smartphone der Welt sein Potenzial nutzen kann. Zudem kostet das Gerät 1.000 Dollar, wiegt ein Pfund und muss nach einer Stunde aufgeladen werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
In Schweden wird Stieg Larsson als Aufklärer gegen Rechtsextremismus bekannt. Den sensationellen Erfolg seiner Millennium-Trilogie kann er nicht mehr erleben.
"Verblendung", "Verdammnis", "Vergebung" - so heißen die drei Bände von Stieg Larssons "Millennium-Trilogie". Seit 2004 sind die drei Bücher weltweit mehr als 100 Millionen Mal verkauft worden.
Dahinter steckt keine kalkulierte Verlagsstrategie, sondern das Werk eines Autodidakten und Hobbyautors, der mit Mitte 40 ohne jede professionelle Hilfe seinen ersten Krimi schreibt. Es sind 2.150 Seiten zwischen Fantasie und Faktenfetischismus, gepaart mit verblüffender Souveränität in der Plotgestaltung und einem eigenwilligen Humor.
Der Antrieb dafür ist eine persönliche Mission des Autors: der Kampf gegen Rechtsradikalismus. Larsson gilt in Schweden als führender Experte auf diesem Gebiet. 1991 hat er dazu das Sachbuch-Standardwerk "Extremhögern" veröffentlicht. Wegen seines Engagements erhält er immer wieder anonyme Drohungen.
Doch Larsson lässt sich nicht einschüchtern - und hält mit dem ungesunden Lebensstil eines Workaholics dagegen: zu viel Zigaretten, Kaffee und Bier. Im Herbst 2004, kurz vor seinem publizistischen Erfolg, stirbt der Autor nach einem Herzinfarkt. Gerade ist er 50 geworden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Mehr Recht auf weniger Kleidung: Die Anhänger der Nacktbadekultur in der DDR rebellieren gegen Badehosen- und Bikini-Bekleidete. Und das mit teils rüden Methoden.
Nacktbaden gehört für viele DDR-Bürger zum gängigen Urlaubsvergnügen. 1982 erscheint sogar ein FKK-Reiseführer - dieser weist rund 40 offizielle Strände für Freikörperkultur aus. Doch diesen selbstverständlichen Umgang mit dem textilfreien Planschen gab es nicht immer.
Im Jahr 1954 tobt im Arbeiter- und Bauernstaat ein regelrechter Kulturkampf um das Für und Wider von Badebekleidung. Angeblich gipfelt der Konflikt darin, dass die Angezogenen überfallen und zwangsweise entkleidet werden. Das Ende vom Lied: Am 14. August 1954 tritt ein generelles Nacktbadeverbot für die gesamte Ostseeküste in Kraft.
Es folgt ein Sturm der Entrüstung. DDR-Bürger beschweren sich bei der Obrigkeit und schreiben an die Medien. Kultusminister Johannes R. Becher kontert mit dem pathosschweren Ausbruch: "Habt Mitleid! Zeigt Erbarmen! Schont die Augen der Nation!" Doch die Wahrheit ist: Unter den Nudisten befinden sich auch etliche SED-Mitglieder und sogar hochrangige Staatsbeamte.
Unter diesen Umständen ist es unmöglich, weiter auf das Nacktbadeverbot zu bestehen - und so wird es nach nur zwei Jahren wieder aufgehoben. Natürlich leise, schließlich trifft die SED ihre Entscheidungen immer im fantasierten Bewusstsein der Unfehlbarkeit. Berichtigungen passen da nicht ins Bild. Doch zumindest in diesem einen Punkt überwindet die DDR ihre Kleinbürgerlichkeit - und an der Ostsee heißt es fortan wieder: Sommer, Sonne, FKK.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Es ist die größte von vier Schlachten, in denen die Tiroler 1809 für ihre Freiheit und die Zugehörigkeit zu Österreich kämpfen. Kein Sieg, aber Napoleons Truppen müssen zurückweichen.
Für die meisten ist "Bergisel" heute vor allem mit Skispringen verbunden. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts schreiben hier die Tiroler Geschichte. Nationalheld Andreas Hofer und die Seinen kämpfen auf dem etwa 750 Meter hohen Bergrücken im Süden Innsbrucks für die Freiheit Tirols. Der Hintergrund: Seit 1805 gehört das Gebirgsland zu Bayern und damit zum französischen Machtbereich. Es soll zu einem modernen, aufgeklärten und absolutistischen Staat umgeformt werden. Doch die meisten Tiroler wollen nur eins: zurück nach Österreich, zu dem sie seit dem 14. Jahrhundert fast ununterbrochen gehörten.
Im Verlauf des Jahres 1809 wird Hofer zu einem der führenden Köpfe des Aufstands. Er und seine Mitstreiter mobilisieren Schützen und den Landsturm in ganz Tirol. Nach der ersten Schlacht am Bergisel im April 1809 befreien sie Innsbruck für kurze Zeit. Ende Mai kommt es dort erneut zu Kämpfen, bei denen die Bayern große Verluste erleiden.
Als Napoleon vom Rückzug der Bayern erfährt, stellt er 20.000 Mann ab, um mit den rebellischen Tirolern endgültig abzurechnen. So kommt es am 13. August 1809 zur dritten und größten Bergiselschlacht, an deren Ende Napoleons Truppen erneut zurückweichen müssen. Für zwei Monate sitzt Hofer sogar als Regent in Innsbruck - bis es zwischen Frankreich und Österreich zum "Frieden von Schönbrunn" kommt.
Für Hofer ist das Verrat und es führt ihn wenig später in die vierte Schlacht am Bergisel. Diesmal siegen die Franzosen. Hofer versteckt sich in den Bergen, wird aber verraten. Auf Befehl Napoleons wird er 1810 in Mantua hingerichtet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
1845 bricht John Franklin mit zwei Schiffen zur Nordwestpassage auf - eine Reise ohne Wiederkehr. Der erste Tote der Expedition ist John Torrington. Am 12.8.1984 wird versucht, seine Todesursache zu klären.
Im Mai 1845 bricht Sir John Franklin mit 129 Seeleuten und zwei Schiffen von London auf, um endlich die Nordwest-Passage zu durchqueren. Alle früheren Expeditionen sind bei der Suche nach einem Seeweg vom Atlantik über den Nordpol in den Pazifik am Packeis gescheitert.
Da die beiden Schiffe Verpflegung für drei Jahre an Bord haben, werden sie zunächst nicht vermisst. Erst 1848 schickt die englische Admiralität eine Suchexpedition los - ohne Erfolg. Weitere Expeditionen folgen. Erste Spuren werden schließlich 1850 in der Arktis gefunden: Überreste von Schiffsgegenständen, Kleiderfetzen und Konservendosen.
Wenig später werden drei Grabsteine entdeckt. Darauf stehen die Namen von John Torrington, John Hartnell und William Braine. Alle drei jungen Männer sind demnach 1846 gestorben, also wenige Monate nach dem Aufbruch der Franklin-Expedition. Warum?
1984 wollen kanadische Wissenschaftler die Frage beantworten. Sie bergen am 12. August zunächst die Überreste von John Torrington für eine Autopsie. Sie glauben, die Todesursache gefunden zu haben: eine Bleivergiftung, hervorgerufen durch die Nahrung aus den bleiverlöteten Konserven. Doch das erweist sich später als nicht schlüssig.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Komik und Tragik kann Robin Williams als Schauspieler hervorragend verbinden. Privat kämpft der Weltstar mit schweren Krankheiten. Im Alter von nur 63 Jahren geht er aus dem Leben.
Seine Karriere beginnt der Schauspieler Robin Williams als Stand-up-Comedian. Mitte der 1970er-Jahre erhält er die Hauptrolle in der TV-Show "Mork vom Ork". Darauf folgen kleinere Rollen in Filmen - bis Williams 1988 seinen Durchbruch hat: In "Good Morning Vietnam" spielt er einen Radiomoderator, der im Vietnamkrieg bei einem US-Soldatensender die Truppen vor Ort aufheitern soll.
In dieser Filmrolle kann Williams seine Qualitäten als Schauspieler und sein Improvisationstalent als Komiker zeigen. Das eröffnet ihm neue Möglichkeiten. Mit "Club der toten Dichter" kommt er 1989 endgültig in Hollywood an. Doch mit dem Ruhm kommen für Williams die Probleme. Er leidet unter dem Konkurrenzdruck und trinkt zu viel.
Williams schafft zwar den Entzug und knüpft mit Familienfilmen wie "Mrs. Doubtfire" und "Hook" an alte Erfolge an. Doch 2006 folgt ein Rückfall in die Alkoholsucht. Nach einer weiteren Therapie dreht Williams weitere Filme, aber die Blockbuster bleiben aus. 2014 wird bei ihm Parkinson festgestellt. Am 11. August des Jahres wird der 63-Jährige tot aufgefunden. Die Umstände lassen auf Suizid schließen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Amy Zayed:
Er erfand eine Rock-Ikone: die "Strat". Die weltberühmte E-Gitarre, die den Sound der Blues-, Rock- und Popmusik für immer geprägt hat. Leo Fender wurde am 10. August 1909 geboren.
Der 1909 in Kalifornien geborene Clarence Leo Fender begeistert sich schon auf der Highschool für elektrotechnische Tüfteleien. 1938 eröffnet der gelernte Buchhalter ein Radiogeschäft, in dem er auch Lautsprecheranlagen, Gitarren und Verstärker repariert. Bald beginnt Fender selbst, Gitarrenverstärker und elektrische Gitarren zu bauen und gründet 1946 die Fender Electric Instruments Manufacturing Company.
Die sogenannten "Hawaii-Gitarren" haben noch einen Resonanzkörper mit F-Löchern wie eine Geige und werden im traditionellen Instrumentenbau mit fest verleimten Hälsen handgefertigt. Fender jedoch experimentiert mit einer völlig neuartigen Bauweise, einer brettartigen, aus Massivholz gesägten Gitarre mit angeschraubtem Hals - ohne Resonanzraum und Schallloch.
Als er 1950 die erste Fender Broadcaster in "Solid-Body"-Bauweise vorstellt, lacht ihn die Konkurrenz aus. Doch das als "Kanupaddel" und "Fliegenklatsche" verhöhnte Brett wird zur ersten kommerziell erfolgreichen E-Gitarre der Welt. 1954 folgt mit der weiterentwickelten Fender Stratocaster die bis heute meist kopierte Gitarre der Welt. Superstars wie Jimi Hendrix, Eric Clapton oder Pink Floyds David Gilmour schwören auf ihre "Strat".
Keinen der Musiker, die auf seinen Gitarren Rockgeschichte schreiben, lernt Fender persönlich kennen. Er ist kein Partygänger, raucht und trinkt nicht. Bis ins hohe Alter tüftelt er daran, die Gitarren, Bässe und Verstärker, die seinen Namen tragen, zu verbessern. Ein Jahr nach seinem Tod im März 1991 wird Clarence Leo Fender in die "Rock and Roll Hall of Fame" aufgenommen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christopher Heimer:
Weltweit bekannt ist Tove Jansson für ihre Geschichten und Zeichnungen rund um die Mumin-Trolle. In Finnland ist die Zeichnerin und Autorin dazu eine Ikone und Wegbereiterin der queeren Community.
Was Pippi Langstrumpf für Schweden, sind die Mumins für Finnland: Die rundlichen weißen Trolle, die ein wenig an Nilpferde erinnern, sind wohl Finnlands bekanntesten Kinderfiguren. Für ihre Erfinderin, die Zeichnerin und Autorin Tove Jansson, sind die Geschichten zunächst eine Flucht vor Krieg und Gewalt.
Die am 9.8.1914 geborene Malerin und Zeichnerin Tove Jansson feierte gerade ihre ersten Erfolge, als im November 1939 die Russen in Finnland einmarschieren. Mit dem Winterkrieg beginnen schreckliche Jahre: Ihre Freunde kämpfen an der Front, in ihrer Geburtsstadt Helsinki heulen ständig die Sirenen. Jansson entwirft die Mumins und ihre eigene Märchenwelt.
Die witzig-versponnenen Mumin-Familie lebt zusammen mit anderen Kreaturen in einem grünen Tal, umgeben von Bergen. Aufkommende Bedrohungen und Probleme werden stets von der Mutter souverän gelöst. Als Vorbild gilt Janssons eigene Mutter, die liebevoll die Kinder aufzieht und die Familie mit ihrer Arbeit als Grafikerin zusammen hält. Ihr Vater ist Bildhauer, exzentrisch und häufig unterwegs.
Insgesamt schreibt Tove Jansson neun Bücher über die Mumins, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt werden. Auch ihre große Liebe, die Grafikerin Tuulikki Pietilä, ist unschwer in den Geschichten als Too-Ticki zu erkennen. Die sagt in einer Mumin-Geschichte einmal den bemerkenswerten Satz: "Alles ist sehr ungewiss, und das finde ich beruhigend."
In diesem Zeitzeichen erzählt Christine Kopka:
Es ist die Promi-Trennung des 9. Jahrhunderts: König Lothar II. will zu seiner Geliebten Waldrada, ist aber mit Theutberga verheiratet. Es mischen sich ein: der Papst und machthungrige Onkel. Am 8.8.869 stirbt Lothar.
Als der fränkische König Lothar II. im Jahr 857 seine kinderlose Ehefrau Königin Theutberga verstößt, um seine Geliebte Waldrada zu heiraten und seinen unehelichen Sohn als Nachfolger einzusetzen, greifen die Chronisten empört zu Feder und Pergament und halten alle schmutzigen Details für die Nachwelt fest.
Die pikante Angelegenheit ist hochumstritten und zieht weite Kreise. Theutberga und ihre Familie wehren sich gegen die Kränkung. Bischof Hinkmar von Reims lehnt eine Trennung strikt ab. Viele Adlige hingegen unterstützen den König. Seine Brüder und Onkel wiederum spekulieren darauf, dass die Trennung des Königspaares – das keinen legitimen Erben hat – ihnen in die Hände spielt und sie Teile von Lothars Gebiet übernehmen können.
Der Papst Nikolaus I. höchstpersönlich verlangt, dass Lothar sich von Waldrada fernhält, solange die Angelegenheit nicht endgültig geklärt ist. Aber auch die Autorität des Papstes stimmt Lothar II. nicht um. Noch bevor der König seine Angelegenheit zu einem guten Ende führen kann, stirbt er am 8. August 869 nach seinem Besuch beim Papst auf dem Heimweg in Piacenza, wo er beigesetzt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
55 Meter trennten die Türme des World Trade Centers. Philippe Petit überwindet den Abgrund auf einem illegal gespannten Hochseil - in 415 Metern Höhe. Es ist das künstlerische Verbrechen des Jahrhunderts.
"Mein erster Schritt war furchterregend. Die Luftdichte ist anders. Manhattan ist nicht mehr unendlich", erinnert sich Philippe Petit später. Mehr als 400 Meter unter ihm gehen die New Yorker gerade zur Arbeit und können kaum glauben, was sie sehen: Zwischen den Türmen des noch nicht einmal ganz fertig gestellten Word Trade Centers tänzelt ein Mann auf einem Drahtseil.
Für Philippe Petit sind seine spontanen Zuschauer nicht größer als Stecknadelköpfe. Aber herunterschauen kann er nicht – jede Unachtsamkeit würde ihn das Leben kosten. Dabei kennt er sich aus mit kühnen Aktionen: Der Franzose ist bereits auf einem dünnen Geflecht zwischen den Türmen von Notre-Dame in Paris und den Pfeilern der Harbour Bridge in Sydney flaniert. Als der Akrobat vom Bau des World Trade Centers hört, ist ihm sofort klar, dass er nach New York muss.
Über Monate plant Philippe Petit seinen, wie er es nennt, Coup, der ihn berühmt machen wird. Dazu verschafft er sich als Journalist, Monteur, Industrieunternehmer unzählige Male Zutritt zu den Zwillingstürmen. Zusammen mit Freunden misst er aus, erstellt Zeitpläne und schmuggelt die tonnenschwere Ausrüstung ins neue Prestige-Gebäude der USA.
Am frühen Morgen des 7. August 1974 ist es soweit. Philippe Petit spaziert mit seiner 35 Kilo schweren Balancestange ohne jede Sicherung zwischen den Türmen hin und her. Nach einer Dreiviertelstunde ist Schluss. Polizisten stürmen die Plattform und nehmen Philippe Petit fest. Das ist ihm egal, sein Name für immer mit dem World Trade Center verbunden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Er revolutionierte die Archäologie: Statt wild in der Erde zu wühlen und Schätze zu suchen, trug er sie schichtweise ab und berücksichtigte Bodenverfärbungen. Am 6. August 1859 wurde Carl Schuchhardt geboren.
Wer war der größte deutsche Archäologe? Nicht etwa Heinrich Schliemann mit seinem "Schatz des Priamos" in Troja. Für Archäologin Anne Viola Sievert vom Museum August Kestner in Hannover ist es Carl Schuchhardt.
Er reformiert die Archäologie: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt er eine neue Grabungsmethode, die heute noch immer Gültigkeit hat. Sein Vorgehen bei Grabungen im wiederentdeckten Römerlager in Haltern: Zunächst entfernt er die Humusschicht und erzeugt eine ebene Fläche, das sogenannte Planum. Darauf zeichnen sich ehemalige Gruben als dunkle Verfärbungen ab.
Beim Graben nach weiteren Bodenschichten können vertikale Schnitte angelegt werden. Im Schnitt eines Planums ist zu sehen, wie weit sich beispielsweise eine Bodenverfärbung von der Oberfläche weiter nach unten zieht. Auf diese Weise werden auch ehemalige Pfosten von Holzbauten sichtbar, deren Erdlöcher Spuren hinterlassen haben.
Solche "Pfostenlöcher" ermöglichen es, Rückschlüsse auf die Anordnung und Architektur ehemaliger Bauten zu ziehen. 1904 informiert Schuchhardt den Kaiser über seine Erkenntnisse und sagt: "Nichts ist dauerhafter als ein ordentliches Loch." Darüber amüsiert sich Wilhelm II. so sehr, dass er einen Lachanfall bekommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Geburtsstätte einer der berühmtesten Ikonen der USA war eine Werkstatt in Paris. Am 5.8.1884 wurde in New York der Grundstein für den Sockel der Freiheitsstatue gelegt.
"Liberty Enlightening the World" - so lautet der offizielle Name und die weltweite Botschaft der grünen Frauen-Statue im Hafen von New York. Das 46 Meter hohe Original steht seit 1886 im New Yorker Hafen und gehört zu den meistbesuchten Monumenten der Welt. Doch ihre Geburtsstätte ist eine Werkstatt in Paris.
Während amerikanische Nord- und Südstaatler bis 1865 im Bürgerkrieg über die Deutungshoheit des Begriffs Freiheit streiten, kommt eine Gruppe französischer Liberaler auf der anderen Seite des Atlantiks bei einem Festbankett nahe Paris zusammen. Sie entwickeln die Idee, 1876 den USA zum 100. Unabhängigkeitstag eine Freiheitsstatue zu überreichen.
Der Zeitplan wird zwar nicht eingehalten, der Bau des Monuments ist aber dennoch wie geplant ein Gemeinschaftsprojekt: Der Bildhauer Frédéric Bartholdi konstruiert die Statue in Paris, die Amerikaner finanzieren den Sockel auf der Insel Bedloe‘s Island in der Bucht von New York. Der Grundstein für die Errichtung der Freiheitsstatue wird 1884 gelegt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Ein Hahn legt ein Ei – das bringt für die Menschen im Spätmittelalter die göttliche Ordnung durcheinander. Der Hahn muss auf den Scheiterhaufen, 1474 in Basel...
Für die Menschen im 15. Jahrhundert verhält sich dieser Hahn widernatürlich wie ein Huhn. Und als die Basler nach der Hinrichtung den Hahn aufschneiden und weitere Eier entdecken, entzünden sie den Scheiterhaufen. Die Menschen hegen den Verdacht, der Hahn sei des Teufels und aus den Eiern könnten Mischwesen schlüpfen, denen man nachsagt, sie hätten den tödlichen Blick.
Im späten Mittelalter ist die weltliche und geistliche Ordnung getragen von Verwaltung, vom römischen Recht und von Gerichten. Von der Rechtswissenschaft erhoffen sich die Menschen die Lösung aller Probleme, damit die Ordnung erhalten bleibt – die auch mit Macht zu tun hat.
Wenn also ein Tier etwas tut, das dieser Ordnung widerspricht oder so ungewöhnlich ist, dass es für Unruhe in der Bevölkerung sorgt, kommt es zum Prozess. Das Tier wird zum Rechtssubjekt, ihm wird Willensfreiheit, Motiv und Böswilligkeit unterstellt. Damit kann es beschuldigt, angeklagt und verurteilt werden.
Aber wie war das eigentlich mit dem Hahn und dem Ei? Hätten die Basler 1474 beim Aufschneiden des Hahnes richtig nachgesehen, hätten sie keine zwei Hoden gefunden. Sie hätten links in der Bauchhöhle einen Eierstock entdeckt und rechts so etwas wie einen zurückgebildeten Eierstock. Denn dieser Hahn war in Wirklichkeit ein Huhn. Eine physische Anomalie, die bei Hühnern gelegentlich vorkommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Sie schreibt von einer lesbischen Schulleiterin in der Provinz, nimmt auch sonst kein Blatt vor den Mund: Vor über 100 Jahren schreibt Colette "Autofiktion" - und revolutioniert so die französische Literatur. Am 3.8.1954 stirbt Colette.
Sidonie-Gabrielle Claudine Colette polarisiert 1900 schon mit ihrem ersten Roman "Claudine erwacht". Er handelt von einem störrischen jungen Mädchen der 1880er-Jahre in einem kleinen Dorf in Burgund, von einer lesbischen Schulleiterin, die gleichzeitig eine Geliebte und ein Verhältnis mit einem verheirateten Arzt hat - sowie von allerhand verderbten Klassenkameradinnen.
Schnell lernt Colette, dass sich mit Skandalen gutes Geld verdienen lässt. Sie tritt zusammen mit ihrer Gönnerin und Intimfreundin, der nur Männerkleidung tragenden hochadeligen Missy, halbnackt im Moulin Rouge auf und küsst sie auf offener Bühne. Die Pantomime wird polizeilich verboten. Wohlgemerkt: wir schreiben das Jahr 1907.
1910 folgt ein Berufswechsel: Colette wird Journalistin bei der seriösen Tageszeitung "Le Matin", wagt sich als erste Passagierin in ein Flugzeug, verfasst Kolumnen, Kritiken und Gerichtsberichte, heiratet Baron Henry de Jouvenel, einen der Chefredakteure, und schreibt unermüdlich weiter. Immer nur von dem, was sie sieht, kennt, erlebt.
Mit ihren scheinbar leichthin geschriebenen psychologischen Werken und ihrem locker gelebten Leben erobert sie die Herzen der Franzosen. Sie gilt als Wunder- und Naturkind der Literatur. Frankreich ernennt sie als erste Frau zum Offizier der Ehrenlegion. Als sie am 3. August 1954 nach Jahren schwerer Krankheit stirbt, erhält sie, wiederum als erste Frau, ein Staatsbegräbnis. Über sechstausend Trauergäste defilieren an ihrer Bahre vorbei.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Am 2.8.1939 wird die Studioaufnahme des Liedes "Lili Marleen" der Sängerin Lale Anderson fertig. Erst ein Flop - dann wird das Lied durch einen Zufall ein Welterfolg.
Den Text zu "Lili Marleen" schreibt 1915 der Infanterist Hans Leip. Der junge Mann ist erfüllt von düsterer Todesahnung: Am nächsten Tag soll seine Einheit an die Karpatenfront verlegt werden. Dabei ist er gerade in zwei Mädchen verliebt: Die blonde Lili und die dunkle Marleen. Das Gedicht landet 1937 in seiner ersten Lyriksammlung. Dort entdeckt es die Sängerin Lale Andersen, die auf der Suche nach Liedern für ihr Bühnenprogramm ist.
1939 wird das Gedicht vertont und aufgenommen. Das "Lied eines jungen Wachtpostens" ist zunächst ein Ladenhüter. Erst mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien taucht es 1941 aus der Versenkung auf. In Belgrad wird ein Soldatensender aufgebaut, der die Front mit der Heimat verbinden soll.
Auch "Lili Marleen" landet dort auf dem Plattenteller. Schnell entwickelt sich ein wahrer Hype: Der Sender Belgrad richtet eine abendliche Grußsendung ein, die er immer um kurz vor 22 Uhr mit dem Lied beendet. So wird der wehmütige kleine Schlager zur Verbindung zwischen den Soldaten und den Lieben daheim.
Doch auch bei den alliierten Soldaten wird das Lied ein großer Erfolg. Als es ihnen nicht gelingt, den Song zu unterdrücken, beschließen sie, ihn zu kapern und eigene Versionen herauszubringen. Besonders berühmt wird die Fassung von Marlene Dietrich, die es vor den GI’s an der Westfront singt. "Lili Marleen" wird der erste deutsche Millionenseller.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Der Wandel des Berliner Zoos: Von der Faszination des Tieres als fremde Kreatur zur modernen Schutzeinrichtung und Tieren als Botschafter für den Naturschutz.
Die Eröffnungs-Inventur des Zoos Berlin im Hochsommer 1844 dauert nicht sehr lange. Der Tierbestand ist noch dünn: "Fünf Kängurus. 46 Stück kleine Singvögel. Wasserschildkröten und Goldfische. Drei Nordische Füchse. Zwei Dachse, aus hiesiger Gegend. 24 verschiedene Affen, die böseren im Käfig, die verträglicheren im Freien" sind auf vier Seiten aufgelistet.
Die heute seltsam erscheinende Einteilung in gute und böse Wesen könnte man allerdings auch auf die Zoo-Besucher anwenden. Darauf deuten unmissverständlich einige Verbotsschilder hin: Die Tiere sollen nicht mit Stöcken oder Regenschirmen gepiesakt werden oder dürfen kein mitgebrachtes Futter bekommen.
In den ersten Tiergärten sind auch nicht nur Tiere zu sehen. In sogenannten "Völkerschauen" werden Menschen aus fernen Ländern "ausgestellt". In Berlin zum Beispiel eine Gruppe "Feuerländer" aus Südamerika.
Früher ist in den Zoos tatsächlich die Faszination für das einzelne Individuum wichtig: Das Tier, die Kreatur, das Fremde. Heute ist der Auftrag ein anderer. Es geht um den Schutz bedrohter Tierarten. Selbstverständlich immer von Menschen bedroht, die Natur bedroht sich eigentlich nie selbst. Zoo-Besucher sollen in ihrem naturwissenschaftlichem Engagement gestärkt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Am 31.7.1944 startet er von Korsika auf einen Aufklärungsflug. Und: in den Tod. Dass sein Ruhm als Autor des "Kleinen Prinzen" unsterblich machen wird, ahnt er wohl nicht.
Die Umstände des Todes von Antoine de Saint-Exupéry sind bis heute ungeklärt. Der Schriftsteller ist am 31. Juli 1944 mit einer zweimotorigen Lockheed P-38 auf einem Aufklärungsflug über dem Mittelmeer unterwegs, als seine Maschine vor Marseille abstürzt. Ist die Ursache es ein technischer Defekt? Oder hat ihn ein deutscher Jagdflieger vom Himmel geholt?
Seine Flugleidenschaft prägt jedenfalls sein Werk. Auch beim Schreiben des "Kleine Prinzen" greift er auf seine Erlebnisse als Pilot zurück, etwa auf seinen Absturz in der Wüste und die Rettung durch Nomaden. Sein Biograf Joseph Hanimann sagt, Saint-Exupéry sei nur Schriftsteller geworden, weil er geflogen sei und das Fliegen schriftstellerisch nachbereitet habe: "Das eine ging bei ihm nicht ohne das andere."
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Eugène Schueller ist der Erfinder eines Haarfärbemittels, das weniger schädlich für Haare und Kofhaut ist. Am 30. Juli 1909 gründet er L'Oréal - der heute mit Abstand größte Kosmetikkonzern der Welt.
Am 30. Juli 1909 gründet der Chemiker Eugène Schueller in Paris eine kleine Firma, aus der sich L’Oréal entwickelt, heute der weltweit größte Beauty-Konzern. Schuellers innovative Haarfärbemittel revolutionieren die Branche und legen den Grundstein für ein Imperium, das mittlerweile Produkte von Marken wie Lancôme, Armani und Garnier vertreibt.
Schönheit, was bedeutet das eigentlich? Diese Frage beschäftigt die Menschheit seit jeher und ist eng verbunden mit der Manipulation des äußeren Erscheinungsbildes. L’Oréal hat über die Jahrzehnte hinweg diesen Drang nach äußerer Schönheit erkannt und geformt.
Es gibt auch ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Konzerns. Der Gründungsvater von L'Oréal sympathisiert in den 30er Jahren mit den Nationalsozialisten und dem Vichy-Regime. Vom Konzern wird das bis heute als "Privatsache der Familie" abgetan.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Am 29.7.1899 endet die erste Haager Friedenskonferenz: Den Frieden sichern konnte sie nicht, sie regelte den Krieg. Trotzdem ist die Konferenz bedeutsam - bis heute.
Den Haag, im Sommer des Jahres 1899: In der prachtvollen Umgebung des Huis ten Bosch, der Sommerresidenz der jungen Königin Wilhelmina von Oranien-Nassau, versammeln sich Diplomaten aus aller Welt zu einer historischen Zusammenkunft.
Die Konferenz resultiert in drei wichtigen Abkommen: eines zur friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten, eines zu den Gesetzen und Gebräuchen des Landkrieges und eines zur Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg.
Es ist die erste von vielen Friedenskonferenzen, ein Meilenstein in der Geschichte des internationalen Rechts und der Diplomatie. Ein Vorbote der Moderne, mit einer aktiven zivilen Öffentlichkeit und einer frühen Form der Medienberichterstattung.
Diese erste Versammlung legt den Grundstein für zukünftige internationale Bemühungen um Frieden und Sicherheit. Obwohl hier eigentlich nicht Frieden verhandelt, sondern Kriege geregelt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Aenne Burda hat ein großes Ziel: Sie will das Leben der deutschen Nachkriegsfrauen schöner und eleganter machen. Mit Schnittmustern für Kleider.
Ihre Rolle als Verlegerin beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeiten sind schwierig, das Leben ist grau und eintönig. Doch Aenne Burda hat eine Idee: ein Modemagazin mit praktischen Schnittmustern, das den Frauen ermöglicht, ihre eigene Kleidung zu nähen.
Im Januar 1950 erscheint die erste Ausgabe von "Burda Moden" mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren. Ein gewagtes Unterfangen, das zum Erfolg wird – weltweit. In den 1980er Jahren erscheint das Blatt als erste westliche Zeitschrift in Russland – ein Erfolg, der bis in die Politik nachhallt.
Aenne Burda wird am 28. Juli 1909 geboren. In der von Männern dominierten Verlagswelt geht sie ihren eigenen Weg. Mit ihrer Vision und ihrem Engagement revolutioniert und demokratisiert sie die Modewelt. Ihr Ziel ist klar: den Frauen der Nachkriegszeit Schönheit, Eleganz, Kreativität und ein Gefühl von Selbstvertrauen zu geben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Kritiker rühmen Ferruccio Busonis Virtuosität: "Es gibt gute Pianisten und es gibt große Pianisten. Und es gibt Busoni." Doch der Klassik ist der Komponist und Dirigent zu modern, der Moderne zu klassisch.
Als unermüdlicher Künstler reist er um die Welt, um mit seinem virtuosen Klavierspiel und seinen Kompositionen Geld zu verdienen. Doch Ferruccio Busoni ist weit mehr als nur ein Musiker. Er ist eine universelle Künstlerfigur, die die Traditionen der Renaissance in die moderne Musik überträgt.
Ferruccio Busoni wird 1866 in Empoli, Italien geboren. Er lebt für die Kunst und gestaltet sein Leben als ein Gesamtkunstwerk, wie es der Komponist Wolfgang Rihm beschreibt: "Kunst und Leben als Einheit, die komponierte Existenz."
Busonis musikalisches Erbe umfasst nicht nur seine eigenen Werke, sondern auch seine tiefgehenden Interpretationen und Bearbeitungen von Bach, Chopin und Mozart. Seine Kompositionen zeichnen sich durch intellektuelle Tiefe und technische Brillanz aus, wie etwa die "Fantasia contrappuntistica", eine Vollendung von Bachs unvollendeter "Kunst der Fuge".
Obwohl Busoni in der deutschen Musikkultur verwurzelt ist, prägen ihn seine italienischen Wurzeln ebenso wie seine internationale Karriere. Er ist ein Grenzgänger zwischen den Kulturen und Epochen, stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Nur mit großer Anstrengung entgeht König Heinrich am 26.07.1184 dem Absturz in eine Jauchegrube. Viele Menschen sterben in der Kloake. Was ist damals in Erfurt los?
Ein König im konfliktreichen Mittelalter muss gut vermitteln können. Dafür ist der junge Heinrich VI. bestens ausgebildet. Sein erster Job führt ihn nach Erfurt. Denn in Thüringen bekriegen sich 1184 zwei hohe Reichsfürsten. Der Erzbischof von Mainz besitzt Erfurt und weite Landesteile. Der Landgraf von Thüringen macht sie ihm streitig, auch mit Gewalt.
Am Ende des diplomatischen Ringens um einen Kompromiss steht die Versammlung aller Parteien. Man trifft sich wahrscheinlich in der Propstei des Marienstifts, um den Fall abzuschließen. Geschätzt bis zu 100 Männer stapfen am 26. Juli die Treppen hoch. Viele mit Rüstungen und Schwertern. Der König und die Streithähne sitzen in einem Fenstererker, damit sie über den anderen thronen und sich ungestört besprechen können.
Doch dann brechen Balken und der Holzboden im oberen Stockwerk stürzt unter der Last der Menge nach unten. Ritter in ihren Rüstungen, Tische und Stühle, Schränke, Balken, Bretter, alles stürzt in die gewaltige Jauchegrube, die sich unten im Gebäude befindet. Wie viele Männer genau in den Fäkalien versinken und sterben, ist nicht überliefert. Geschätzt kommen 50 bis 100 Menschen ums Leben. König Heinrich VI. gehört nicht zu den Opfern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Im Kerker schrieb Friedrich von der Trenck mit seinem eigenen Blut Spottgedichte zwischen die Zeilen einer Bibel: nur eine Episode im abenteuerlichen Leben des Offiziers und Revolutionärs, der am 25.7.1794 in Paris hingerichtet wurde.
Friedrich von der Trenck ist ein preußischer Offizier und Abenteurer, dessen Leben von radikalen Ansichten und ständigen Konflikten mit der Obrigkeit geprägt ist. Geboren 1727 in Königsberg, dient er bereits mit 18 Jahren im Garderegiment Friedrichs II.
Trenck ist ein rastloser Geist, der es versteht, aus jeder Lage eine dramatische Geschichte zu machen. In seinen Memoiren schreibt er von spektakulären Ausbrüchen aus preußischen Festungen und den darauffolgenden abenteuerlichen Fluchten. Sie machen ihn europaweit bekannt.
In seinen Schriften wettert er gegen die Willkür der absolutistischen Herrscher und für demokratische Ideen. Doch sein radikaler Ton und sein unbändiger Egoismus bringen ihm viele Feinde ein. In Paris wird er zunächst als Held der Revolution gefeiert, doch die politischen Wirren und Verdächtigungen bringen ihn schließlich ins Gefängnis.
Am 25. Juli 1794 wird Friedrich von der Trenck in Paris hingerichtet, nur drei Tage bevor die Schreckensherrschaft der Jakobiner endete.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Mitten im Kalten Krieg streiten zwei der mächtigsten Männer der Welt - über Einbauküchen. Am 24.7.1959 liefern sich Richard Nixon und Nikita Chruschtschow die legendäre "Küchendebatte".
Mitten im Kalten Krieg scheint es auf einmal Tauwetter zu geben. Nach dem Tod Stalins im März 1953 steht Nikita Chruschtschow an der Spitze der Sowjetunion. Viele hoffen seither auf Entspannung zwischen den beiden Supermächten.
Schon im Juni 1959 gibt es eine erste sowjetische Industrieausstellung in New York. Einen Monat später eröffnet am 24. Juli 1959 die amerikanische Landesausstellung im Moskauer Sokolniki-Park. Dort treffen US-Vizepräsident Richard Nixon und der sowjetische Partei- und Regierungschef Chruschtschow aufeinander. Es geht um die Frage: Welches System ist das bessere? Der Sozialismus oder der Kapitalismus?
Für Chruschtschow ist klar: "Lasst uns wetteifern, wer die meisten Güter für die Menschen produzieren kann. Dieses System ist besser und wird gewinnen." Nixon ist da ganz anderer Ansicht - und präsentiert Chruschtschow beim Rundgang durch die Ausstellung eine moderne amerikanische Einbauküche.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Eigentlich sind es nur drei Skelette, aber sie haben Köln mit Pilger-Tourismus reich gemacht. Am 23.7.1164 kamen die Reliquien der heiligen drei Könige nach Köln.
In der Bibel oder ihren Übersetzungen gibt es die ein oder andere Ungenauigkeit. So auch bei den Heiligen Drei Königen. Im Matthäus Evangelium werden sie als "Magoi" bezeichnet, was später fälschlicherweise in "Magier" übersetzt wird. Tatsächlich meint Matthäus wohl den Stamm der Mager, einer Priesterkaste aus Persien.
Der Stern führt sie zu Jesus in der Krippe, sie huldigen ihm und beschenken ihn. Danach verliert sich ihre Spur, bis ihre angeblichen Überreste Jahrhunderte später nach Mailand gelangen.
Dort haben die Reliquien der Heiligen Drei Könige eine ganze Weile ihre Ruhe. Bis Kaiser Barbarossa 1162 die widerspenstigen norditalienischen Staaten auf Linie bringen will und vor Mailand steht. An seiner Seite der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel.
Mailand wird eingenommen und geplündert. Da Barbarossa mit Reliquien nicht viel anzufangen weiß, vermacht er diverse Knochen dem treuen Kölner Erzbischof. Darunter angeblich auch die der Heiligen Drei Könige. Rainald von Dassel erkennt schnell, was man mit den Gebeinen anstellen kann.
Kaum sind die Reliquien in Köln, da strömen auch schon die ersten Pilger herbei. Und obwohl ihr Erzbischof schon bald nach der Reliquien-Übergabe wieder aufbricht - seine großartige Gabe werden ihm die Kölner nie vergessen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Am 22.7.1884 wurde Fredericka Mandelbau, Kopf des organisierten Verbrechens in New York, verhaftet: Wie kam es zum Aufstieg und Fall der Meisterhehlerin?
1850 entsteigt die 25-jährige Fredericka Mandelbaum mit ihrem Mann Wolfe dem elenden Unterdeck eines Auswandererschiffes. Die Mandelbaums kommen aus Deutschland und lassen sich direkt in Kleindeutschland nieder, der mit 50.000 Bewohnern größten Einwanderer-Enklave New Yorks.
In Deutschland verdienen die Mandelbaums ihren kargen Lebensunterhalt als Hausierer, als Verkäufer wiederverwerteten Mülls. Auf die gleiche Art versuchen sie es auch in Kleindeutschland. Ihre Aufstiegschancen sind damit äußerst überschaubar.
Doch Fredericka Mandelbaum baut eine kriminelle Organisation auf, mit der sie zu ungeheurem Reichtum gelangt. Von ihrem kleinen Kurzwarenladen in Manhattan aus organisiert sie ihre kriminellen Aktivitäten in New York und darüber hinaus in den gesamten USA, Mexiko, Kanada und bis nach Europa.
Bis 1884 wächst ihre Organisation zur größten kriminellen Vereinigung New Yorks. Am 22. Juli 1884 endet mit ihrer Festnahme Mandelbaums kriminelle Karriere in New York. Im Gefängnis aber landet sie nicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Sein Spitzname war "der Kannibale", weil er seine Gegner "mit Haut und Haaren fraß". Seine sportlichen Leistungen waren spektakulär: Am 21. Juli 1974 gewann Eddy Merckx zum 5. Mal die Tour de France.
Eddy Merckx, der beste Radrennfahrer seiner Zeit. Fünf Mal siegt er bei der Tour der France, das letzte Mal am 21. Juli 1974. Dieses Kunststück gelingt vor ihm nur Jacques Anquetil. In seiner bis heute beispiellosen Karriere gewinnt Merckx auch fünf Mal den Giro d`Italia, die Vuelta a España und 19 Radklassiker.
Das Jahr 1969 markiert den Beginn der Ära Eddy Merckx - im Guten, wie im Schlechten. Vor seinem ersten haushohen Sieg bei der Tour de France steht der Giro d`Italia auf dem Rennkalender. Merckx gewinnt vier Etappen und führt in der Gesamtwertung. Doch dann wird er positiv auf verbotene Substanzen getestet. Merckx wird bis zum 1. Juli gesperrt. Kein Start bei der Tour de France.
Einen Publikumsmagneten wie Merckx möchte man natürlich bei der Tour haben. Nach einigen negativen Tests wird die Sperre aufgehoben. Die anschließende Tour gewinnt der Belgier unangefochten.
Im Mai 1978 erklärt Eddy Merckx auf Anraten seiner Ärzte seinen Rückzug aus dem Rennsport. Der "zweite König" von Belgien, wie ihn seine Landsleute nennen, tritt ab, wie er früher am Berg antritt: Schnörkellos konsequent, nur aufs Ziel fokussiert, dabei aber ein fairer Sportsmann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Kinder und Kinobesucher lieben Dinosaurier. Erfunden hat den Begriff der Naturforscher Richard Owen. Bekannt wurde er vor allem durch seinen prominenten Streit mit Charles Darwin.
Das 19. Jahrhundert ist eine spannende Zeit für die Naturwissenschaften. Vieles ist in den Jahrzehnten zuvor entdeckt worden, aber noch viel mehr gilt es zu enträtseln.
Richard Owen wird am 20.07.1804 im nordenglischen Lancaster geboren. Mit 16 geht er in die Lehre bei einem Chirurgen. Er interessiert sich vor allem für die Anatomie, also den Aufbau des menschlichen Körpers. Später wechselt er an das St. Bartholomew's Hospital in London, kurz darauf wird er in das Königliche Chirurgenkolleg aufgenommen.
Von der Britischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft wird er beauftragt, alle Reptilienfossilien, die in Großbritannien jemals gefunden wurden, zu beschreiben und zu systematisieren. Darunter sind auch die Überreste von drei gigantischen Reptilien.
Owen erkennt, dass die Knochen Merkmale aufweisen, die bei keinem lebenden Reptil zu finden sind. Er hat es mit einer völlig neuen Gruppe von Reptilien zu tun und nennt sie "Dinosaurier" - wörtlich übersetzt: "schreckliche Echsen".
Während Owen zum anerkannten Experten für Anatomie und Zoologie aufsteigt, nimmt auch die Karriere eines anderen Mannes Fahrt auf: Charles Darwin. Anders als Owen treibt es Darwin hinaus in die Welt. Mit Darwins Evolutionstheorie kann der religiöse Owen nichts anfangen - mehr noch: er bekämpft sie verbissen.
Unter Wissenschaftlern gehört Owen schon bald zum alten Eisen. Als Museumsmensch leistet er jedoch weiterhin Großes: Jahrelang setzt er sich intensiv für die Gründung eines Naturhistorischen Museums in London ein, dessen erster Direktor er nach der Eröffnung 1881 wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Öffentliche Toiletten sind eine zivilisatorische Errungenschaft. Und sie erzählen viel über das Patriarchat, die Gleichberechtigung von Frau und Mann und Unterschiede zwischen arm und reich.
Wo und wann die allererste öffentliche Toilette der Geschichte gestanden hat - das weiß niemand so genau. Vielleicht in Mesopotamien, 2400 vor Christus. Archäologen haben dort im Nordpalast von Ešnunna sieben nebeneinanderliegende, in Stein gemeißelte Löcher gefunden. Für die kann es nur eine Erklärung geben: Hier konnte, wer musste.
Den Römern wird sogar eine regelrechte Latrinenbesessenheit nachgesagt. "Stille Orte" sind Latrinen dabei nicht: Hier wird Handel betrieben, werden Verträge beschlossen. Getreu der heute bekannten Redensart: "Ich geh mein Geschäft machen."
Aber nicht nur auf den Latrinen werden Geschäfte gemacht. Latrinenbetreiber sammeln und verkaufen den Urin als Mittel zur Gerbung von Leder. Das Geschäft ist so einträglich, dass der römische Kaiser Vespasian sogar eine Latrinensteuer einführt. Auf den Protest seines Sohnes soll Vespasian ihm das eingenommene Geld unter die Nase gehalten und entgegnet haben: "Pecunia non olet - Geld stinkt nicht." Bis heute nennen die Franzosen ihre öffentlichen Toiletten "Vespasiennes".
Mit dem Zerfall des Römischen Reiches ist auch die gehobenere Klokultur dahin. Im Mittelalter erleichtert man sich hinter einem Busch oder in einer Hausecke. Um 1800 bieten "mobile Abtrittsanbieter" ihre Dienste an - Buttenweiber oder Buttenmänner mit zwei Eimern, in die man gegen einen kleinen Obolus sein Geschäft verrichten kann. Auch hier wird der Urin dann wieder gewinnbringend etwa an Färber verkauft.
Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich in europäischen Großstädten wie Paris und London die Kanalisation durch. Am 19. Juli 1839 gibt der Polizeipräsident von Paris bekannt: "Ich habe versuchsweise auf dem Boulevard Montmartre und dem Boulevard des Italiens die Errichtung von Plakatsäulen mit Innen-Urinal-Ständen gestattet." Für Frauen entstehen erst 1902 rund ein Dutzend "Notdurft-Chalets".
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Wieso brach der Große Brand Roms in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 64 n. Chr. aus? War es Kaiser Nero? Oder gar die Christen? Was ist Wahrheit und was nur Propaganda?
Die Straßen sind eng in Rom, die Flammen haben leichtes Spiel: Eine Woche lang wüten im Juli des Jahres 64 verheerende Flammen in der Stadt. Viele Menschen sterben, das ist gewiss. Wie viele, ist nicht überliefert. Das Feuer zerstört wertvolle Bau- und Kunstwerke, auch Wohnhäuser und Werkstätten. Doch warum brach es aus, war es Brandstiftung?
Aber wer könnte ein Interesse an dem zerstörerischen Brand haben? Etwa Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, letzter Kaiser der julisch-claudischen Dynastie? Nero ist sicherlich kein Engel - aber ein Brandstifter ist er auch nicht. Er hätte sich mit dem Brand vor allem selbst geschadet. Das Feuer ist unterhalb seines eigenen Palastes ausgebrochen, sein eigener Besitz ist stark gefährdet.
Zu Beginn der Feuersbrunst ist Nero zwar nicht in der Stadt. Es ist aber gut belegt, dass er sich, als er die Nachricht vom Brand hört, sofort nach Rom aufmacht und die Löscharbeiten organisiert. Er lässt seine Parks für diejenigen öffnen, die vor dem Feuer flüchten, und Behelfsbauten für die vielen Obdachlosen errichten. Er ordert Nahrungsmittellieferungen aus Ostia und senkt den Getreidepreis.
Beim Volk ist Nero, der lieber Sportler oder Künstler als Kaiser geworden wäre, beliebt. Bei den Senatoren hingegen weniger. Nach Neros Tod beschließt der Senat denn auch, sein Andenken zu verdammen. Vielleicht haben deshalb fast 2.000 Jahre nach dem Brand von Rom die meisten Menschen einen gefährlichen und brutalen Irren vor Augen, wenn sie an Nero denken.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Am 17.7.2014 stirbt Eric Garner nach einer brutalen Festnahme. Elfmal ruft er "I can't breathe" - vergeblich. Die Worte werden zum Symbol der Black-Lives-Matter-Bewegung.
Der 17. Juli ist ein Sommertag in Staten Island, dem südlichsten Stadtteil von New York. Eric Garner lehnt an einer Hauswand, als ihn die Polizei anspricht. Er soll unversteuerte Zigaretten verkauft haben. Garner ist zwar polizeibekannt, wurde schon mehrfach wegen kleinerer Delikte verhaftet. Doch an diesem Nachmittag geht er nur spazieren.
Der Afroamerikaner misst mehr als 1 Meter 90 und wiegt fast 160 Kilogramm. Er hat etliche gesundheitliche Probleme, ist ständig krank. Im Verlauf des Gesprächs mit den Beamten beteuert er immer wieder, nichts getan zu haben, bittet sie, ihn in Ruhe zu lassen - vergebens. Vier Beamte versuchen schließlich, ihn zu Boden zu bringen. Einer von ihnen ist Daniel Pantaleo.
Pantaleo würgt Garner im Verlauf des Handgemenges so sehr, dass dieser am Boden liegend nur noch röcheln kann: "I can’t breathe, I can’t breathe." Wenig später verstummt er. Eric Garner erstickt.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Seinen eigenen Streifen Land in Afrika hat Adolf Lüderitz durch einen Betrug deutlich vergrößert - der Anfang vom Genozid an Herero und Nama. Wie soll man heute an ihn erinnern?
Adolf Lüderitz, ein Name, der heute kontrovers diskutiert wird: Der deutsche Kaufmann und Kolonialpolitiker, trägt maßgeblich zur Gründung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika bei.
Geboren am 16. Juli 1834 in Bremen, tritt Lüderitz nach einer Ausbildung im Ausland zunächst in das väterliche Tabakunternehmen ein. Doch sein Abenteurergeist und seine Goldgräbermentalität führen ihn schließlich nach Südwestafrika.
Durch fragwürdige Landkäufe und betrügerische Verträge legt er die Grundlage für die deutsche Kolonialherrschaft. Seine Unternehmungen finden ein abruptes Ende, als er 1886 während einer Expedition im Süden der Kolonie verschwindet. Seine Leiche wird nie gefunden.
Die rund 30-jährige deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika ist geprägt von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, die 1904 in den Aufständen der Herero und Nama und deren brutaler Niederschlagung gipfelt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Isa Vermehren ist die erste Frau, die das Wort zum Sonntag spricht. Die Nonne und Schauspielerin erreicht damit viele Menschen. Sie stirbt am 15.7.2009 in Bonn.
Isa Vermehren kommt 1918 in Lübeck zur Welt. Sie ist das Kind einer wohlhabenden Senatorenfamilie - protestantisch, liberal, weltoffen. Ihr Vater ist Jurist, die Mutter Journalistin. Gemeinsam mit ihren zwei Brüdern verbringt sie eine unbeschwerte Kindheit. 1933 erlebt sie dann jedoch den ersten gravierenden Einschnitt in ihrem Leben: Sie fliegt von der Schule, weil sie sich weigert, die Hakenkreuzfahne zu grüßen.
Ohne Abschluss reist die 15-jährige nach Berlin. Im Gepäck hat sie ihr Akkordeon, das sie - nach einer ihrer früheren Kinderschwestern - "Agathe" nennt. Vermehren und "Agathe" machen Karriere im Kabarett. Nebenbei nimmt sie Schallplatten auf und spielt in UFA-Filmen neben Stars wie Rudolf Platte oder Brigitte Horney.
Doch dann wird Vermehren in den Krieg geschickt: Sie und "Agathe" sollen die Truppe hinter der Front bei Laune halten. 1944 wird die Sängerin plötzlich verhaftet. Ihr Bruder, der kürzlich in den diplomatischen Dienst eingetreten war, ist zu den Briten übergelaufen. Die ganze Familie wird in "Sippenhaft" genommen. Isa Vermehren kommt ins KZ - sie überlebt.
Nach dem Krieg ändert sie ihr Leben radikal und wird Nonne. Als Schwester Isa kennen sie viele Fernsehzuschauer: Bis Mitte der 1990er Jahre präsentiert Vermehren regelmäßig in der ARD "Das Wort zum Sonntag". Isa Vermehren stirbt am 15. Juli 2009 im Alter von 91 Jahren. Und "Agathe"? Die steht bis heute im Haus der Geschichte in Bonn.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Minutiös schreibt Louis Barthas das Grauen auf, das er als Korporal im Ersten Weltkrieg gesehen hat. Doch der einfache Handwerker glaubt nicht, mit intellektuellen Autoren mithalten zu können. Erst sein Enkel gibt die Erinnerungen als Buch heraus.
Es ist Winter 1914/15, als Louis Barthas, ursprünglich ein einfacher Küfer aus dem sonnigen Südwesten Frankreichs, in den Schützengräben liegt und beginnt, seine Erlebnisse festzuhalten.
Barthas ist kein typischer Soldat. Mit 35 Jahren, verheiratet und Vater von zwei Söhnen, wird er im August 1914 eingezogen. Als überzeugter Pazifist und Sozialist steht er dem Krieg kritisch gegenüber.
In den Tagebüchern schreibt er über die brutalen Kämpfe, das harte Leben in den Schützengräben und die unmenschlichen Befehle der Vorgesetzten. Er reflektiert über die Sinnlosigkeit des Krieges, die Verzweiflung und Angst. Aber er berichtet auch von zwischenmenschlichen Begegnungen mit deutschen Soldaten, von Momenten der Menschlichkeit und seinen Visionen von Frieden und Brüderlichkeit.
Barthas Erlebnisse, die er auf über 1.700 Seiten festhält, bleiben zunächst unbeachtet. Erst 1977, lange nach seinem Tod, werden sie veröffentlicht. Der unverfälschte Einblick in das Leben eines einfachen Soldaten im Ersten Weltkrieg wird zum Bestseller und Mahnmal - und hat auch heute nichts von seiner Aktualität verloren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Kunst und Courage: Mit riesigem Selbstbehauptungswillen wird die Mexikanerin Frida Kahlo zu einer der einflussreichsten Malerinnen aller Zeiten.
Frida Kahlo gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen aller Zeiten. Ihre Selbstporträts mit Blumenkranz und Monobraue erzielen Millionenpreise. Dabei dient die Kunst für Kahlo in erster Linie dazu, ein Leben voller Höhen und Tiefen zu verarbeiten. Ihre Werke lesen sich wie ein Tagebuch.
Die 1907 geborene Frida ist ein wissbegieriges Mädchen mit unbändigem Bewegungsdrang. Doch sehr früh schon muss sie erfahren, dass der menschliche Körper auch ein Gefängnis sein kann. Mit 18 Jahren schließlich verändert ein schwerer Busunfall ihr Leben für immer: Sie erleidet einen dreifachen Bruch der Wirbelsäule, ihr rechtes Bein war elfmal gebrochen und der Fuß verdreht. Dass sie den Unfall überlebt, grenzt an ein Wunder. Allein und gefesselt an ihr Krankenbett beginnt Kahlo sich selbst zu porträtieren.
Zurück im Leben lernt sie den Maler Diego Rivera kennen und lieben. Nach der Hochzeit verwandelt sich Kahlo: Sie wird - wie ihr Mann - glühende Kommunistin, trägt folkloristische Kleider, Ketten und Ohrschmuck. Ihr dunkles Haar schmückt Frida mit Blumen und Bändern, wird so selbst zu einem Kunstwerk. Uneingeschränkt glücklich wird sie aber nicht. Ihre Ehe ist turbulent, ihr Mann hat zahlreiche Affären, zudem erleidet Kahlo drei Fehlgeburten, die sie oft in ihrer Kunst thematisiert und verarbeitet.
1938 hat Frida Kahlo in New York und Paris ihre ersten Einzelausstellungen und wird zur gefeierten Künstlerin. Privat ist sie auf einem Tiefpunkt, flüchtet in Alkohol. Auch ihr Körper wird immer schwächer. Als die Ärzte versuchen, vier Rückenwirbel mit einem Metallstück zu verbinden, werden die Schmerzen so unerträglich, dass Kahlo morphiumsüchtig wird. Das Bild "Die zerbrochene Säule" von 1944 drückt ihre Qualen aus.
Am 13. Juli 1954, stirbt die berühmteste Malerin Lateinamerikas. Ihrem Tagebuch vertraut sie an: "Ich hoffe nie wiederzukehren."
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Am 12.7.1679 genehmigt König Charles II. das Gesetz. Auch wenn es vor allem Adlige vor der Geiselhaft des Königs bewahren soll - es gilt für jeden Bürger Englands.
"Habeas Corpus" ist lateinisch und heißt: "Du mögest den Körper haben". Diese eher kryptische Formulierung ist der Name eines 1679 erlassenen Gesetzes, das noch heute als Meilenstein in der Geschichte der Menschen- und Freiheitsrechte gilt.
Hintergrund: Im England des 17. Jahrhunderts ist es üblich, dass so mancher nicht genehme Untertan willkürlich verhaftet und abgeurteilt wird - und zwar im Namen des Königs. Denn dessen Herrschaft gilt als gottgewollt.
Diesem unmoralischen Treiben will das Parlament, in dem Adlige und reiche Bürger das Sagen haben, einen Riegel vorschieben. Es zwingt König Charles II. ein Gesetz zu unterzeichnen, und so tritt am 12. Juli 1679 die Habeas-Corpus-Akte in Kraft.
Kein Untertan der englischen Krone darf diesem Gesetz zufolge ohne gerichtliches Verfahren in Haft gehalten werden. Es fordert, einen Beschuldigten innerhalb von drei Tagen einem Richter vorzuführen. Auch darf er nicht mehr einfach ins Ausland verlegt, oder zweimal wegen desselben Delikts verhaftet werden. Damit kann der König nicht länger Verhaftungen per Sonderbefehl durchsetzen.
Die Habeas-Corpus-Akte zieht Kreise weit über England hinaus. Sie findet als grundlegendes Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit Eingang in die amerikanische Verfassung. Anschließend kommt sie über Frankreich im 19. Jahrhundert auch nach Deutschland.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Schotten lieben die Freiheit - vor allem aber die Unabhängigkeit von England. Einer der frühesten Vertreter dieses Freiheitskampfes ist Robert Bruce, der noch heute besungen wird.
Die Schlacht von Bannockburn im Jahr 1314 ist der entscheidende Wendpunkt im Unabhängigkeitskampf Schottlands. Der Anführer dieser Schlacht ist der Adlige Robert the Bruce.
Geboren am 11. Juli 1274 steht der junge Schotte zunächst - so wie sein Vater - auf der Seite und im Dienst des englischen Königs. Doch es bahnt sich ein Konflikt zwischen England und Schottland an. Dieser eskaliert, als der englische König Edward I. versucht, seinen Herrschaftsbereich auf Schottland auszudehnen.
Der charismatische Krieger William Wallace, genannt "Braveheart", schart Bürger, Bauern und Gutsbesitzer um sich und kämpft für die Freiheit Schottlands. Doch er verliert - den Aufstand und sein Leben. Nach Wallaces Tod übernimmt Robert the Bruce den schottischen Unabhängigkeitskampf, der anfangs auch ein innerschottischer Bürgerkrieg ist. Nach und nach bringt er den Adel auf seine Seite und wird 1306 als Robert I. the Bruce zum König von Schottland gekrönt.
Mit Glück und strategischem Geschick gelingt es Robert I. ein von englischen Truppen besetztes Castle nach dem anderen zu erobern. Die Zahl seiner Anhänger wächst stetig. 1314 führt Robert seine Truppen dann in die Entscheidungsschlacht von Bannockburn. Obwohl das englische Heer dreimal so groß ist, gehen Roberts Schotten als Sieger hervor. Sechs Jahre später verfassen und unterzeichnen 51 schottische Earls und andere Adlige die schottische Unabhängigkeitserklärung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam stand zeitlebens ein für das Ideal einer freien Gesellschaft. Am 10.7.1934 wurde er im KZ Oranienburg von der SS ermordet.
Erich Mühsam fällt auf. Zum einen äußerlich, mit seinem Zottelbart, dem gebückten Gang, seinem Gehstock und dem Schlabberhut. Zum anderen aber auch künstlerisch: Mühsam schreibt, dichtet, trägt vor, diskutiert und engagiert sich politisch. Er schaut mit einem Blick in die Welt, der sich oft als Weitblick herausstellt, manchmal aber auch als verschwommener Traum.
Mühsam wird in Berlin geboren, wächst in Lübeck auf und wird zunächst wie sein Vater Apotheker. Mit 22 Jahren fasst er schließlich den Entschluss sein Leben ganz der literarischen Kunst zu widmen. Er tritt in Kneipen, Kabaretts und Cafés auf. Er schreibt und gibt eigene Zeitschriften heraus. Ab 1911 etwa den Kain, eine Zeitschrift für Menschlichkeit, benannt nach dem Brudermörder aus der Bibel.
Angst kennt Mühsam nicht. 1919 steht er bei der Ausrufung der Münchner Räterepublik in der ersten Reihe, spottet noch nach der NS-Machtübernahme über Adolf Hitler. Ende Februar 1933 wird Mühsam verhaftet. Für den Anarchisten, Diktatur-Gegner und Juden folgen fast 17 Monate Tortur in Gefängnissen und Konzentrationslagern.
Am 10. Juli 1934 wird Mühsam von einem SS-Sturmbannführer aufgefordert, sich selbst zu erhängen. So berichten es andere Häftlinge. Erich Mühsam weigert sich, er will nicht seinen eigenen Henker spielen. In dieser Nacht wird er im KZ Oranienburg ermordet - im Alter von 56 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Ann Radcliffe (geboren am 9.7.1764) hat Generationen das Gruseln gelehrt - bis heute. Trotz ihres großen Erfolgs zog sie sich früh aus der Öffentlichkeit zurück.
Es ist die Langeweile, die die am 9. Juli 1764 geborene Ann Radcliffe dazu bewegt, zu schreiben. Mit 23 Jahren hatte sie den Juristen William Radcliffe geheiratet. Arbeiten darf sie als Frau nicht, selbst Handarbeiten werden - wie der Rest der Hausarbeit - von den Bediensteten erledigt.
Weil Kinder ausbleiben, greift Ann Radcliffe zur Feder und schreibt Schauerromane, Gothic Novels. Das Genre ist Ende des 18. Jahrhunderts beim Publikum besonders beliebt. Die Leser suchen Ablenkung von der Wirklichkeit, die geprägt ist durch die gesellschaftlichen Umwälzungen der Industrialisierung.
In den 1790er-Jahren wird Radcliffe zur ersten Bestseller-Autorin der Literaturgeschichte. Für "The Mysteries of Udolpho" und "The Italian" bekommt sie 500 und 800 Pfund Sterling. Im damaligen Literaturbetrieb, der zudem klar von Männern dominiert wird, sind das für Autorinnen zuvor unerreichte Honorare.
1797, mit 33 Jahren und auf der Höhe ihres Erfolgs, hört Radcliffe plötzlich auf zu schreiben und zieht sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Die Gerüchteküche brodelt - auch weil ihr Leben ebenso geheimnisumwittert ist, wie das der Heldinnen in ihren Schauerromanen. Man erzählt sich, sie sei wahnsinnig geworden.
Die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbringt Radcliffe zurückgezogen mit ihrem Mann und den geliebten Hunden in London. 1823 stirbt sie im Alter von 58 Jahren an einer Lungenentzündung. Was sie zurücklässt, sind ihre Romane - die viele weitere Generationen von Grusel-Schriftstellern beeinflussen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Als Vertreter der "Neuen Frankfurter Schule" prägt der Karikaturist Chlodwig Poth den kritischen Humor in Deutschland. Am 8.7.2004 stirbt er nach fast 60 Schaffensjahren.
Als Chlodwig Poth im Berliner Luftschutzbunker 1945 eine HJ-Truppe karikiert, wäre mit 14 Jahren seine Karriere fast vorbei gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hat. Doch er kommt mit einem Rüffel vom NS-Blockwart davon. Gleich nach dem Krieg greift Poth wieder zum Stift und bietet seine bissigen Zeichnungen im Osten und Westen an - wobei der Osten gerne den Westen bloßgestellt wissen will und der Westen den Osten. Kein Problem für Poth, als guter Beobachter kann er ohne Mühen die Schwachstellen beider Seiten mit Stift und Papier offenlegen.
Auch das Kunststudium absolviert er in Ost und West. Dann zieht es Poth von der Spree an den Main, wo sich Satiriker zur "Neuen Frankfurter Schule" zusammenschließen. Poth gründet dort 1962 zusammen mit Kollegen wie Hans Traxler oder Kurt Halbritter das Satiremagazin "Pardon". Gleich die zweite Ausgabe, in der Poth den Springer-Verlag als Anstifter eines 3. Weltkriegs darstellt, bringt den Skandal - und Durchbruch. Springer versucht die Auslieferung des Heftes zu verhindern, Pardon wird in der ganzen BRD bekannt.
Später ist Poth einer der Gründer von "Titanic", dem bis heute bedeutendsten deutschen Satiremagazin. Seine Kolumne "Last Exit Sossenheim" wird zu einer er populärsten in den 1990er Jahre. Pointiert und bissig stellt Poth das Leben am Rand von Frankfurt - und übertragen auch am Rand der Gesellschaft dar. Sein Zeichenstil: Gegen den Strich, die Figuren sind zerzauselt. Die Texte lang und krakelig handgeschrieben - keine leichte Kost für die Lesenden.
Am 8. Juli 2004 stirbt Chlodwig Poth an einem Krebsleiden - nach ziemlich genau 60 Schaffensjahren als "Langstreckensatiriker", wie die Freunde der Neuen Frankfurter Schule ihn posthum ehrenvoll betiteln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Vor 50 Jahren, am 7.7.1974, wird Deutschland zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister. Auch musikalisch war die WM bemerkenswert. Eine Stilkritik aus einer Zeit, als Fußball wirklich noch eine schöne Nebensache war...
Die Fußball-WM 1974 schreibt viele sportliche Geschichten. Die Wichtigste: Deutschland wird am 7. Juli zum zweiten Mal Weltmeister. Da wären aber auch noch die erste WM-Teilnahme Australiens oder der neu geschaffene Wanderpokal, den Pele zur Eröffnung feierlich an Uwe Seeler überreicht.
Weltmeisterschaften haben aber auch immer eine politische Seite. So auch 1974, als sich erstmals die Nationalmannschaft der DDR für eine WM in Westdeutschland qualifiziert. Außerdem gibt es Streit um eine geplante Pepsi-Werbung und gleich vier Präsidenten: Hatten die Eröffnungsfeier noch Gustav Heinemann (BRD) und Stanley Rous (FIFA) zelebriert, waren es beim Schlussakt bereits ihre Nachfolger Walter Scheel (BRD) und Joao Havelange (FIFA).
Man kann sich einer WM aber auch musikalisch nähern. Von der Big Band der Bundeswehr, über die WM-Fanfare, die den offiziellen Teil einläutet, bis hin zur Schlussfeier mit den Fischer-Chören. Hörenswert ist auch, welche Probleme der Auftritt des Sängers und DDR-Stars Frank Schöbel verursacht…
In diesem Zeitzeichen erzählt Axel Naumer:
Freie Liebe für alle: Magnus Hirschfeld - schwul, Sozialist, Pazifist, Jude - gründet am 6. Juli 1919 in der Aufbruchstimmung der Weimarer Republik das "Institut für Sexualwissenschaft".
Die Idee zu einem wissenschaftlichen Institut, das sich sämtlicher sexueller Themen annimmt, hat Magnus Hirschfeld schon als junger Mann im Kaiserreich. Der Berliner Arzt ist selbst schwul und erlebt, wie Homosexuelle durch Skandale und Erpressungen gebrochen werden und in der Folge häufig Suizid begehen. Die im Kaiserreich strafrechtlich verfolgte Homosexualität ist für Hirschfeld schlicht eine "angeborene Sexualkonstitution, ein drittes Geschlecht".
Mit der Aufbruchstimmung im Berlin der Zwanziger Jahre, seinem gesellschaftlichen Ansehen und seinen finanziellen Mitteln kann Magnus Hirschfeld am 6. Juli 1919 seinen Traum verwirklichen: Er gründet das Berliner Institut für Sexualwissenschaft. Die Einrichtung soll dem "menschlichen Liebesleben in biologischer, medizinischer, ethnologischer, kultureller und forensischer Hinsicht" dienen.
In einer großen Villa finden nun eine Bibliothek, Sammlungen, Forschungsprojekte, Beratungs- und Therapieangebote ihren Platz. Menschen aus vielen Ländern und allen Schichten kommen hierher, um sich über Empfängnisverhütung oder Geschlechtskrankheiten zu informieren.
Dann wird der Ton in der Medizinwissenschaft immer deutschnationaler, Hirschfelds liberale Sexualforschung hat bald keine Chance mehr. Die Nationalsozialisten übernehmen. Magnus Hirschfeld ist in Paris, als 1933 sein Institut von Nazi-Studenten geplündert und ein Großteil der einzigartigen Bibliothek auf den Scheiterhaufen geworfen wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Veronika Bock:
Bis er am 05.07.1854 verbrennt, spielt der Schachtürke, eine Holzpuppe mit Turban, besser Schach als menschliche Gegner. Zauberei, heißt es. Bis der Trick auffliegt.
Heute ist Künstliche Intelligenz in aller Munde. Künstlich geschaffene Objekte, die Dinge tun, die bislang Menschen vorbehalten waren. Die gab es schon im 18. Jahrhundert, und schon damals haben sie für Furore gesorgt – und Debatten über Original und Fälschung entfacht.
Auch am Hof der österreichischen Kaiserin Maria Theresia ist das Interesse für technische Spielereien groß – der Adel will schließlich unterhalten werden.
Also kreiert der ambitionierte Hof-Sekretarius Wolfgang von Kempelen 1769 eine Maschine, die mit ihrem Gegenüber Schach spielt. Die menschengroße Puppe trägt passend zum damaligen Zeitgeist ein orientalisches Gewand und Turban.
Aufgezogen wird der "Schachtürke" mit einem großen Schlüssel. Während des Spiels hebt er seine Hand, greift nach einer Schachfigur auf dem Brett und setzt sie auf ein anderes Feld. Ihrem menschlichen Spielpartner ruft die Puppe im passenden Moment sogar auf Französisch "Échec! Échec!" ("Schach!") zu. Nicht nur der Adel ist entzückt. Mit dem "Schachtürken" könnte die Beziehung Mensch-Maschine in eine neue Ära gehen, so die Optimisten.
Dass in der Schrankkonstruktion ein Mensch sitzen könnte, darüber wird bereits von Beginn an spekuliert. Auch US-Schriftsteller Edgar Allan Poe besucht während einer US-Tour eine Vorstellung und ist überzeugt, dass hier keine Maschine Schach spielt.
Die Aura des Geheimnisvollen kann sich der "Schachtürke" dennoch über Jahrzehnte bewahren. Dann steht fest: Die Maschine ist "getürkt" und avanciert zum Namensgeber künftiger Fälschungen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Die am 04.07.1879 geborene Lasch setzt sich für eine freie Wissenschaft ein - gegen alle Hindernisse, die ihr als Frau und Jüdin im frühen 20. Jahrhundert begegnen.
Agathe Lasch erblickt in Berlin das Licht der Welt, als eines von fünf Kindern einer jüdischen Familie. Agathe wird - wie zwei ihrer Schwestern - Turnlehrerin. Doch schnell stellt sie fest: Das reicht ihr intellektuell nicht. Sie ist hungrig nach Wissen und vor allem nach Produktivität.
1906 legt sie in Berlin die Abiturprüfung ab, will studieren. Doch das dürfen Frauen in Preußen zu der Zeit nicht. Also immatrikuliert sie sich in Heidelberg. Schon 1909 wird Lasch mit einer Studie über die "Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts" promoviert. Ein Jahr später erscheint die Doktorarbeit in erweiterter Form als Buch. Die Resonanz in Fachkreisen ist überwältigend. Eine Stelle im deutschen Wissenschaftsbetrieb aber bleibt Agathe Lasch verwehrt.
Anders in den USA. Dort arbeitet sie sechs Jahre am Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania. 1914 bringt sie die "Mittelniederdeutsche Grammatik" heraus, bis heute ein Grundlagenwerk zur Erforschung des Mittelniederdeutschen.
1917 zieht sie zurück nach Deutschland, arbeitet zunächst in Hamburg als "wissenschaftliche Hilfsarbeiterin". 1923 wird ihr an der Hamburger Universität als erster Frau der Professorentitel verliehen - eine Ehre ohne Konsequenzen, denn den Ruf auf eine Professorenstelle bekommt sie erst im Dezember 1926.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ändert sich aber auch das Leben Agathe Laschs. 1934 muss sie ihren Posten räumen und darf als Jüdin bald auch die Universität nicht mehr betreten. Im Juli 1942 werden Agathe Lasch und ihre beiden Schwestern nach Riga deportiert und dort am 18. August 1942 ermordet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Der junge Herzl wollte alle Wiener Juden taufen lassen, dann ließ ihn der Antisemitismus in Europa umdenken. Am 03.07.1904 starb er als Wegbereiter des jüdischen Staats.
Ein frommer Jude ist Theodor Herzl in seinen jungen Jahren nicht. Er geht nie in die Synagoge und isst lieber Sachertorte als "gefilte Fisch". Doch in Israel wird er heute noch gefeiert als Wegbereiter eines jüdischen Nationalstaats.
Herzl hat offenbar ein oder mehrere Erweckungserlebnisse. So wird er während seiner Studentenzeit in Wien mit Antisemitismus konfrontiert und auf der Straße wüst beschimpft. Entscheidend ist aber vermutlich in den 1890er Jahren der Justizskandal um den französischen Hauptmann Alfred Dreyfus. Dabei erkennt Herzl, dass dieser Antisemitismus, den er schon in Budapest und Wien erlebt hat, nun auch in Frankreich – und damit überall – möglich ist. Für ihn ist klar: Die Juden brauchen ihren eigenen Staat, um dem Antisemitismus zu entkommen.
Zunächst wird er für seine Idee zwar ausgelacht. Doch der erste Zionistenkongress in Basel, in dem er Juden aus aller Welt seinen Plan skizziert, wird ein riesiger Erfolg. Innerhalb weniger Monate ist Herzl ein weltweit bekannter Mann, reist in den nächsten Jahren zu Unterredungen mit den politischen Größen seiner Zeit.
Obwohl er ein Buch "Der Judenstaat" schreibt, stellt sich Herzl eher ein jüdisches Gemeinwesen als einen Staat vor. Eine Art Kollektiv, in dem das Beste aus Europa übernommen werden soll, zum Beispiel im Bereich der Kultur. Die Araber in Palästina hält Herzl in der Mehrzahl für unzivilisiert – ein rassistischer Blick, der von der in Europa damals üblichen kulturellen Überheblichkeit zeugt. Herzl ist aber überzeugt davon, dass die europäischen Juden im Staate Zion Kulturarbeit leisten würden.
Zwei Jahre vor seinem Tod mit nur 44 Jahren beschreibt Herzl in seinem Roman "Altneuland" seinen Traum von einem Staat ohne Militär, in dem Juden und Nichtjuden völlige Gleichheit genießen, in dem auch die Araber begeistert sind von einem jüdischen Gemeinwesen. Dabei wird deutlich: Theodor Herzl ist kein Staatsmann. Er ist ein Visionär. Und Vertreter einer Utopie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Kolumbien träumt bei der Fußball-WM 1994 vom Titel. Doch dann kommt das frühe Aus - auch wegen Andrés Escobars Eigentor. Wenige Tage später wird er ermordet.
Anfang der 1990er Jahre gilt Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, als die gefährlichste Stadt der Welt. Das berüchtigte Kartell um Drogenboss Pablo Escobar geht mit Gewalt gegen alle vor, die sich ihm in den Weg stellen.
Im Fußball zeigt sich ein anderes Kolumbien: jung, erfolgreich, voller Hoffnung. 1993 sichert sich das Land seinen Platz bei der WM in den USA im Folgejahr. Dort will Kolumbien der Welt zeigen, dass die Zeit der Negativ-Schlagzeilen vorbei ist.
Doch es kommt anders. Als das Auftaktspiel verloren geht, kippt die Stimmung in Kolumbien. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen die Gastgeber USA erhält das Team Morddrohungen aus der Heimat. Das Spiel wird zur Tragödie. Andrés Escobar, der Abwehrspieler von Atlético Nacional aus Medellín, leitet mit seinem Eigentor die Niederlage ein. Kolumbien ist am Boden. Und auf der Suche nach einem Schuldigen für das frühe Ausscheiden.
Drei Tage nach dem Ausscheiden reist Andrés Escobar zurück in seine Heimatstadt Medellín - entgegen allen Warnungen. Was dann in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1994 genau geschieht, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Klar ist: Auf dem Parkplatz einer Bar eskaliert ein Streit. Ein Mann zieht eine Waffe, es fallen sechs Schüsse. Sie treffen Andrés Escobar.
Der Schock im Land über die Tat ist groß. Über 100.000 Menschen begleiten seinen Trauerzug, auch Präsident Gaviria würdigt den ermordeten Fußballspieler. Ein Tatverdächtiger wird später wegen Mordes verteilt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Bastian Kaiser:
Die am 01.07.1804 geborene Sand trägt Hosen, männliche Pronomen und Männernamen. Sie verfasst 180 Werke. Als Sozialistin setzt sie sich für ein freieres Frankreich ein.
George Sand wird am 1. Juli 1804 als Aurore Amantine Lucille Dupin geboren. Väterlicherseits stammt sie aus adligem Hause, aber ihre Mutter ist eine einfache Vogelhändlerin aus dem Volk. Als der Vater stirbt, ist Aurore gerade vier Jahre alt.
Die adlige Großmutter nimmt das Kind zu sich auf das Landschloss Nohant. Die Mutter bleibt in Paris und bekommt das Kind nur bei gelegentlichen Besuchen zu Gesicht.
George Sand wird eine der berühmtesten und umstrittensten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. In Männerkleidung kämpft sie für die Gleichstellung der Frau und hinterlässt mit 180 Bänden ein vielschichtiges literarisches Werk.
Auch ihre Liebesbeziehungen tragen zu ihrer Berühmtheit bei. So ist sie viele Jahre mit Frédéric Chopin liiert. In dieser Zeit entsteht mit dem Buch "Ein Winter auf Mallorca" über eine gemeinsame Reise dorthin eines ihrer literarischen Meisterwerke.
Oft wird ihr Leben vor allem auf diese Beziehungen zu berühmten Männern und auch Frauen verkürzt, doch George Sand ist von Anfang an hochbrisant und politisch. In ihren Büchern erobern Frauen sich verbotene Freiräume, wird freie Liebe gelebt oder es werden Menschen als Frauen geboren, aber als Männer aufgezogen.
In ihren letzten Jahren pflegt sie ihre tiefe Freundschaft zu Gustave Flaubert. Die Korrespondenz der so unterschiedlichen Freunde ist ein anrührendes Zeitzeugnis sowie ein Dokument der Kunstgeschichte. Als George Sand im Juni 1876 stirbt, heißt es von Victor Hugo: "Ich trauere um eine Tote und grüße eine Unsterbliche!" Ihr enger Freund Flaubert schreibt nur: "Sie fehlt mir."
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayı:
Am 30.6.1794 wird eine junge Bauerntochter in den dichten Wäldern Südfrankreichs tot aufgefunden, grausam zugerichtet - von einem Riesen-Wolf? Etwa 100 weitere Opfer folgen und ein Schreckensmythos entsteht...
Mitte des 18. Jahrhunderts versetzt eine mysteriöse Kreatur die Menschen im abgelegenen Gévaudan in Angst und Schrecken. Diese Region im Süden Frankreichs, geprägt von dichten Wäldern und schroffen Felsen, ist Schauplatz einer grausamen Serie von Angriffen. Innerhalb von drei Jahren werden hier mehr als 100 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, Opfer einer Bestie, deren wahre Natur bis heute Rätsel aufgibt.
Augenzeugen berichten von einer Mischung aus Wolf, Leopard und Bär. Der Fantasie – und Angst - scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Regierung und Kirche nutzen die Panik, um ihre Macht zu festigen. Dragoner und Jäger werden entsandt, der Bischof von Mende erklärt, die Bestie sei eine Strafe Gottes.
Erst drei Jahre später gelingt es dem örtlichen Jäger Jean Chastel schließlich, ein ungewöhnlich großes Tier zu erlegen. Die Angriffe hören auf, doch das Mysterium bleibt: War es ein übergroßer Wolf, ein hybrides Raubtier oder sogar das Ergebnis menschlicher Intrigen?
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Kratzer:
Heinrich der Zänker hatte ihn zuvor in seiner Hand, es geht um die Macht im Reich. Da ist Otto III. drei Jahre alt. Am 29.6.984 wird er an seine Mutter übergeben.
Ende des 10. Jahrhunderts sind die Zeiten unruhig. Kaiser Otto II. will wenigstens für die Zukunft etwas Gutes auf den Weg bringen. Deshalb lässt er in Verona seinen kleinen Sohn zum König wählen: Otto III.
Ohne Vater und Mutter tritt der Kleine in Begleitung zweier Erzbischöfe die Reise gen Norden an. Weihnachten 983 wird der Dreijährige in Aachen zum König gekrönt und gesalbt. Doch dann bringt ein Bote aus Rom die Nachricht vom Tod Ottos II.
Es ist ein Rätsel, warum die Mutter Theophanu nicht zu ihrem Sohn eilt. Stattdessen geht Heinrich der Zänker als nächster männlicher Verwandter selbstverständlich davon aus, dass der kleine König unter seine Fittiche gehört. Vielleicht hegt er aber auch die Hoffnung, auf diesem Weg irgendwann selbst König zu werden.
Die Ottonen hingegen wollen die Nachfolge des ältesten Sohnes durchsetzen: Auf Otto den I. folgt sein ältester Sohn Otto II.. Der lässt seinen Sohn Otto III. krönen.
Monate später kommt es im thüringischen Rara bei Meiningen zum Showdown. Königshof und Kloster sind überfüllt von den Anhängern Theophanus und Adelheids, die alle dem Kind-König die Treue geloben und bereit sind, dafür zu kämpfen. Heinrich der Zänker kommt ebenfalls mit einer großen Zahl Getreuer, muss aber einsehen, dass er einen militärischen Konflikt nicht gewinnen kann und übergibt Otto III. an dessen Mutter.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Bei einer Razzia in einer New Yorker Bar widersetzen LGBTQ-Personen sich der Polizei. Es folgen tagelange Straßenkämpfe - und ein jahrzehntelanger Kampf um Anerkennung.
Wenige Stunden nachdem viele schwule Fans Judy Garland – eine Ikone der queeren Community – zu Grabe getragen haben, treffen sie sich im "Stonewall Inn". Die Bar in der Christopher Street ist eine der wenigen Kneipen für queere Menschen in New York. Dass es überhaupt einen Treffpunkt für queere Menschen gibt, gefällt im konservativen Amerika der 1960er Jahren vielen nicht. Und so kommen auch in der Nacht zum 28. Juni 1969 wieder einmal Polizisten ins "Stonewall Inn", um die Feiernden zu schikanieren. Nichts Neues für die queere Community. Nur diesmal ist die Stimmung in der Bar aufgeheizter.
Und draußen tobt bereits ein Kampf, von dem nicht klar ist, wer genau ihn begonnen hat. Aber in dieser Nacht entlädt sich eine lange aufgestaute Wut. Steine und Flaschen fliegen auf Polizisten und es gelingt den Demonstrierenden, Gefangene aus den Polizeitransportern zu befreien. Es sind vor allem queere Latinos und Schwarze, die genug haben von den oft rassistischen, schwulenfeindlichen Drangsalierungen der Polizei.
Die Unruhen in der Christopher Street ziehen sich über mehrere Tage hin, immer mehr Menschen schließen sich den Protesten an. Es ist die Geburtsstunde für eine weltweite LGBTQ+-Bewegung für Gleichberechtigung und Akzeptanz – ein Kampf, der bis heute anhält.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Am 27.6.1859 wird Mildred Hill geboren: die Musiklehrerin, die ein Morgenlied für einen Kindergarten komponiert. Als Geburtstagssong "Happy Birthday" erobert es von Kentucky aus die Welt.
Die Schwestern Mildred J. Hill und Patty Smith Hill arbeiten im "Louisville Experimental Kindergarten". Was heute weltweit als "Happy Birthday to You" bekannt ist, komponiert Musiklehrerin Mildred ursprünglich als Begrüßungslied für den Kindergarten. Patty schreibt den ursprünglichen Text "Good Morning to All".
Ein Jahr später ergibt es sich bei einer Geburtstagsfeier, dass Patty das Lied in das heute gesungene Happy Birthday umtextet. Das Lied geht um die Welt, denn es ist betörend einfach - bis auf eine kleine Stelle.
Es ist der für Selten- oder Hobbysänger gefürchtete Oktavsprung, der Sprung über acht Töne beim dritten "Happy Birthday" im Liedchen. An ihm scheitert das melodische Ständchen oftmals und wird ziemlich schräg.
Derartige Probleme hat die Schauspielerin Marilyn Monroe 1962 hörbar nicht, als sie dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy das Ständchen ins Mikrophon haucht.
Nach dem Tod der Schwestern Hill sichern sich nacheinander zwei Musikverlage die Rechte an dem Stück und verlangen Geld für die öffentliche Nutzung zum Beispiel in Filmen oder Werbung.
Erst 2015 wird das Lied gerichtlich zum Allgemeingut erklärt, das jeder kostenfrei verwenden darf. Der Musikverlag Warner Chappell willigt in einen Vergleich ein und zahlt 14 Millionen Dollar an diejenigen zurück, die das Lied öffentlich genutzt hatten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Ein Märchen - oder ein Mord? Oder reden wir über junge Auswanderer? Das Zeitzeichen geht der Geschichte um den legendären Rattenfänger von Hameln nach...
Die Geschichte geht so: Ein Mann kommt nach Hameln, vertreibt auf Wunsch der Bürger mit seiner Flöte Ratten und Mäuse aus der Stadt. Doch statt ihm wie versprochen zu entlohnen, jagen sie den Fremden weg. Der rächt sich und kommt am 26. Juni 1284 zurück in die Stadt. Nur dieses Mal zieht er mit seiner Flöte keine kleine Nager in seinen Bann, sondern verschwindet mit 130 Kindern auf Nimmerwiedersehen durch das Osttor der Stadt.
Über den Wahrheitsgehalt der Legende wird seit Jahrhunderten spekuliert. Die einen sind Anhänger der Vertuschungs-Theorie: Die Jugend der Stadt habe zu ausschweifend gefeiert und musste gezüchtigt werden. Dabei sei es entweder zu geplanten Morden oder einem ungewollten Unglück gekommen. Andere vermuten eine freiwillige Auswanderung gen Osten, wie sie seinerzeit nicht unüblich war.
Doch bis heute fehlen klare Beweise, die Indizienlage ist dünn. Steckt hinter dem Rattenfänger ein jahrhundertealter Cold Case oder nur heiße Luft? Wie auch immer, Hameln lebt ganz gut vom Mythos des Rattenfängers.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Als Musiker und Tänzer setzt er neue Maßstäbe, wird zum Weltstar - und zur tragischen Skandalfigur. Am 25.6.2009 stirbt Michael Jackson durch ein Narkosemittel.
Michael Jackson, der außergewöhnliche Musiker, der begnadete Tänzer, der Jahrhundertkünstler, der King of Pop. Aber eben auch: die tragische Skandalfigur. Immer wieder stehen Vorwürfe im Raum, Michael Jackson habe Minderjährige missbraucht.
Weil Michael und seine Geschwister ungewöhnlich musikalisch sind, gründet der Vater 1964 das Trio "The Jackson Brothers". Als Michael und Marlon zwei Jahre später dazu kommen, nennt der Vater die Gruppe in "The Jackson Five" um. Da ist Michael sieben Jahre alt.
Jackson wird der King of Pop. Mit dem Album "Thriller" macht er sich unsterblich. Entspannung findet Jackson auf seiner Neverland Ranch, einem elf Quadratkilometer großen Areal bei Los Angeles. Dorthin lädt er auch immer wieder Kinder ein. Seit Anfang der 90er gibt es Missbrauchsvorwürfe, ein erster Fall wird außergerichtlich beigelegt. 2005 muss sich Michael Jackson wegen Kindesmissbrauch und weiteren Anklagepunkten vor Gericht verantworten, er wird in allen Punkten freigesprochen. US-Medien berichten immer wieder, Jackson habe Schweigegeld in Millionenhöhe an Familien mutmaßlicher Opfer gezahlt.
In den Nullerjahren wird es still um Michael Jackson. Die Konzertreihe "This is it" soll der Abschied von der Bühne und seinen Fans sein. Doch Jackson wird diese Konzerte nicht mehr spielen. Er stirbt am 25. Juni 2009, achtzehn Tage vor dem ersten Auftritt. Sein Leibarzt Conrad Murray hatte ihm gegen seine Schlafstörungen das Narkosemittel Propofol in viel zu hoher Dosis verabreicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Der römische Kaiser Vespasian (gestorben am 23. oder 24.6.79 n.Chr.) ist überzeugt: "Geld stinkt nicht – selbst wenn es aus Urin stammt." So erhebt er kurzerhand eine Pinkelsteuer, um den Aufbau des zerstörten Roms voranzutreiben.
Nach Neros Tod stürzt das römische Weltreich ins Chaos. Rom selbst ist noch vom großen Brand zerstört, drei Kaiser halten sich nur wenige Monate. Das ist die Stunde von Titus Flavius Vespasianus. Der Sohn eines Zöllners hat sich als Feldherr einen Namen gemacht, war jedoch beim alten Kaiser Nero in Ungnade gefallen, weil er während dessen stundenlangen Gesangsvorträgen eingeschlafen sein soll.
Vespasian entgeht nur der Todesstrafe, weil Nero einen starken Heerführer braucht, der einen Aufstand der Juden in Judäa zerschlägt. Gemeinsam mit seinem Sohn Titus macht sich Vespasian auf den Weg. Aus der Ferne verfolgt er auch die politischen Kämpfe in Rom. Schließlich dient man ihm das Kaiseramt an. Vespasian kehrt nach Rom zurück und bringt zum Amtsantritt Getreide aus Ägypten und Nordafrika – ein Segen für die hungernde Bevölkerung.
Dann macht sich der neue Kaiser an den Wiederaufbau der Stadt. Er lässt das zerstörte Kapitol wieder aufbauen und initiiert das Kolosseum, das heutige Wahrzeichen der Stadt. Das Geld dafür hat unter anderen sein Sohn Titus in Jerusalem geplündert. Und Vespasian ist als Sohn eines Zöllners ein versierter Steuereintreiber, der in seiner zehnjährigen Amtszeit das Finanzsystem auf Vordermann bringt. Titus Flavius Vespasian stirbt am 24. Juni 79 im Alter von knapp 70 Jahren vermutlich an Ruhr.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Der berühmte Fluch mit dem "Arschlecken" ist Goethes Erfindung - aber das historische Vorbild für den Bühnenhelden gibt es tatsächlich: Ritter Götz mit der eisernen Hand.
Götz von Berlichingen - der um 1480 auf Burg Jagsthausen geboren wird - ist für seine Kämpfe berühmt-berüchtigt. In seinen Lebenserinnerungen nennt er sie im Titel: "Meine Fehden und Handlungen". Fehden sind Gefechte und Raubzüge, um auf eigene Faust Recht durchzusetzen. Fühlt sich ein Hof oder eine Familie benachteiligt oder übervorteilt, so bezahlt sie nicht selten einen Ritter, der die Beschuldigten bekämpft.
Zu einem solchen Gefecht kommt es auch am 23. Juni 1504. Götz ist Anfang 20. Zwischen Bayern und Franken ist ein Erbstreit entbrannt: der Landshuter Erbfolgekrieg. Es kommt zu einer großen militärischen Auseinandersetzung. Götz kämpft auf der Nürnberger Seite. Doch deren Geschütz schießt plötzlich auf die eigenen Leute - und Götz verliert die rechte Hand.
Sieben Monate lang wird er gepflegt und bekommt schließlich eine Prothese aus Metall: die eiserne Hand. Damit beginnen seine Fehden erst richtig. Obwohl sie eigentlich bereits gesetzlich verboten sind. Das kümmert Götz aber jahrelang nicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Fritz Haarmann tötet Anfang der 1920er-Jahre in Hannover mindestens 24 Menschen. Die Polizei ermittelt lange schlampig, verhaftet wird Haarmann nur durch einen Zufall.
"Es ist kein Vergnügen, einen Menschen zu töten. Es ist ein Grauen", sagt Fritz Haarmann bei einer Vernehmung. Und er sagt auch: "Man macht es leichter, wenn man liebt." Der Serienmörder tötet immer wieder junge Männer, die er attraktiv findet und an denen er sexuell interessiert ist. Als mitten in Hannover Schädel und Leichenteile gefunden werden, bezeichnen die Medien den unbekannten Täter als Monster, Werwolf und Vampir. Doch diese Bezeichnungen passen nicht zu dem Auftreten des Mannes, der lange unentdeckt mordet. Haarmann ist im Alltag freundlich und humorvoll - und so sympathisch, dass seine Opfer ihm offenbar zunächst vertrauen.
1924 liefert der Prozess gegen Haarmann über Monate hinweg weltweit Gesprächsstoff. Serienkiller sind schon damals sehr gefragt. Was für die Opfer und die Hinterbliebenen großes Leid ist, wird für andere zum wohligen Grusel. Fritz Haarmann wird für 27 Morde angeklagt und für 24 zum Tode verurteilt. Am 15. April 1925 wird er geköpft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Für ihre Schriften und ihr Engagement erhält sie als erste Frau den Friedensnobelpreis, den Alfred Nobel auf ihr Wirken hin stiftet. Von Suttner stirbt am 21.06.1914.
Ihre bedeutende Schrift "Die Waffen nieder!", schildert eindrucksvoll die Schrecken des Krieges und wird 1889 veröffentlicht. Sie wird zu einem Grundpfeiler der internationalen Friedensbewegung und die Autorin selbst zu einer Vorkämpferin revolutionärer Ideen.
Bertha von Suttner, geboren 1843 in Prag, ist eine herausragende Schriftstellerin und eine engagierte Pazifistin. Sie wächst in einer aristokratischen Familie auf und entwickelt schon früh ein tiefes Interesse an Literatur und gesellschaftlichen Fragen.
Von Suttner ist nicht nur Autorin, sondern auch eine unermüdliche Aktivistin. Sie gründet mehrere Friedensgesellschaften und setzt sich vehement für die Abschaffung des Krieges ein. Doch nicht als Revolutionärin, als Rote Bertha, wie sie von manchen genannt wird. Vielmehr glaubt sie an Veränderung und Weiterentwicklung. Und dafür schließt sie Bündnisse und knüpft Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten.
Den Ersten Weltkrieg kann sie trotzdem nicht verhindern. Bertha von Suttner stirbt kurze Zeit vor dessen Ausbruch 1914.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Vor tausenden Jahren entsteht die Pest in Zentralasien und verbreitet sich in verheerenden Pandemien über den Globus. Alexandre Yersin entdeckt schließlich ihren Erreger.
Das Wort Pest kommt aus dem Lateinischen und bezeichnet Seuchen, die ausbrechen, viele Opfer fordern und wieder vorbeigehen. Die erste Pest-Pandemie ist die justianische Pest im 6. Jahrhundert nach Christus - benannt nach dem damals regierenden Kaiser Justinian. Die genaue Opferzahl ist umstritten, er könnten bis zu 50 Millionen Menschen gestorben sein.
Im 14. Jahrhunderts rafft die Pest etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die Ärzte wissen damals noch nichts von Bakterien und Viren. Impfungen und Antibiotika sind noch unbekannt. Die Erkrankten müssen vor den Toren der Stadt in Seuchenhäusern leben. Der letzte große Pestausbruch in Europa findet zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Marseille statt. Danach verschwindet die Seuche von diesem Kontinent. Der Grund dafür ist bis heute unbekannt. Die Angst aber bleibt, weil die Krankheit weiterhin existiert.
Im 19. Jahrhundert will man das Problem wissenschaftlich lösen. Im Juni 1894 schicken die Franzosen den gebürtigen Schweizer Alexandre Yersin, der bei Louis Pasteur gelernt hat, nach Hongkong, wo der Pesterreger aktiv ist. Dort entdeckt er "Yersinia Pestis" - das Bakterium, das heute seinen Namen trägt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Julia Schäfer:
Für das Taktik-Spiel im Team sind Shooter wie das am 19.06.1999 erschienene Counter-Strike beliebt. Neu ist seitdem der Fokus auf Diversität - zumindest bei manchen.
Ein Mausklick, das Spiel beginnt. Die Anspannung ist greifbar, wenn die virtuelle Welt von Counter Strike zum Leben erwacht.
Das Computerspiel Counter Strike erscheint 1999 ursprünglich als Modifikation des legendären Spiels Half-Life. Zwei Teams, die Terroristen und die Anti-Terror-Einheiten, stehen sich in taktischen Gefechten gegenüber. Gut und Böse, Schwarz und Weiß - Grauzonen gibt es hier nicht.
Das Spiel besticht durch seine realistische Darstellung von Waffen und den hohen Anspruch an die Spielenden. Jeder Schritt, jede Entscheidung kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Seit seiner Veröffentlichung macht Counter Strike eine enorme Entwicklung durch: Es entwickelt sich von einem Spiel für Hardcore-Gamer zum Mainstream-Phänomen und bringt sogar eine eigene eSport-Szene hervor, in der Teams weltweit um Titel kämpfen.
Für seine Spieler ist Counter Strike mehr als nur ein Spiel; es ist ein soziales Erlebnis und ein fesselndes Hobby, das Millionen Menschen weltweit verbindet, seine Faszination ungebrochen, und die Spannung bleibt – Schuss für Schuss.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Kaum ein deutscher Philosoph hat so intensiv erforscht, wie öffentlicher Streit und Diskurse in der Bundesrepublik funktionieren. Auch mit 95 Jahren analysiert Jürgen Habermas messerscharf aktuelle Geschehnisse.
Außerparlamentarische Opposition, Friedensbewegung, Rechtsextremismus, Kriegseinsätze der Bundeswehr, Asylrecht, Putins Ukraine-Krieg - die Debatten, in die sich Jürgen Habermas einmischt, spiegeln die Geschichte der alten und neuen Bundesrepublik.
Als öffentlicher Intellektueller versucht er, Diskurse auf eine Auseinandersetzung um das bessere Argument auszurichten. Habermas hat den Anspruch, dass Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfasst: Ein Hauptziel von ihm ist es, den Kapitalismus zu zähmen. Er beabsichtigt damit auch, über die Mechanismen der Gesellschaft aufzuklären.
Geprägt wird Habermas in Frankfurt am Main: Als Assistent von Theodor W. Adorno setzt er sich am "Institut für Sozialforschung" mit ökonomischen Theorien auseinander, mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds und mit dem Marxismus. Habermas wird zum Kopf der zweiten Generation der sogenannten Frankfurter Schule.
Sein Denken ist anschlussfähig für die nächste Generation der Kritischen Theorie, die ein ökologisches Zukunftsdenken entwickelt. Für Habermas ist klar: Für den Erhalt und die Weiterentwicklung von Sozialstaat und liberaler Demokratie muss auch weiterhin gekämpft werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
In nur vier Monaten bringt Sören Kierkegaard seine Freiheitsphilosophie zu Papier. Der Kern: Eigene Entscheidung erzeugt immer ein Gefühl der Angst. "Der Begriff Angst" erscheint dann unter Pseudonym - und beeinflusst andere Denker maßgeblich.
Søren Kierkegaard argumentiert vom Standpunkt der einzelnen menschlichen Existenz aus. Es geht ihm um die Realisierung menschlicher Lebensmöglichkeiten, die von Angst begleitet sind. Dadurch entdeckt er die negative Existenzerfahrung als eine Grundlage der Philosophie.
Sein Werk "Der Begriff Angst" - veröffentlicht unter Pseudonym - ist eine religionsphilosophisch-psychologische Schrift. Sie wird zwar von der dänischen Presse ignoriert. Aber sie inspiriert die Nachwelt: zum einen Existenzphilosophen wie Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Albert Camus; zum anderen Vordenker der Psychologie wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.
Kierkegaards Analysen existenzieller Angst ziehen Jahrzehnte später viele Leserinnen und Leser in ihren Bann. Umstritten aber ist das Heilmittel gegen die Angst, das er anbietet. Denn das sei der sogenannte "Sprung" in den wahren Glauben an Gott, der Erlösung bedeute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Sein "Ulysses" macht den Schriftsteller James Joyce weltberühmt. Der Roman spielt in Dublin an nur einem Tag: dem 16.5.1904, bis heute jährlich als "Bloomsday" gefeiert.
Er gehört zu den prägenden Schriftstellern des letzten Jahrhunderts: James Joyce gibt der modernen Literatur entscheidende Impulse. Sein Hauptwerk, "Ulysses", sprengt alle Grenzen des Bisherigen und öffnet eine neue Welt.
Der Roman spielt am 16. Juni 1904 - aus einem autobiografischen Grund: An diesem Tag findet das erste Treffen zwischen Joyce und Nora Barnacle statt, die später seine Frau wird. Der irische Schriftsteller verewigt den Tag in Dublin in seinem 1.000-Seiten-Roman, der an einem einzigen Tag spielt: Der Anzeigen-Eintreiber Leopold Bloom schlendert durch Dublin.
Der "Bloomsday", der 16. Juni, wird bis heute temperamentvoll gefeiert, in Dublin und überall auf der Welt, wo man den Autor und sein Werk verehrt und bewundert. Auch wer den Roman nicht oder nicht zu Ende gelesen hat, darf mitfeiern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Einen sportlichen Fußball-Wettstreit auf europäischer Ebene zu organisieren: Das war der Traum der Gründerväter der UEFA. Inzwischen muss vor allem die Kasse stimmen, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Seit ihrer Gründung 1954 hat sich die UEFA zu einem der größten Sportverbände der Welt entwickelt, mit 55 Mitgliedsländern und zahlreichen internationalen Wettbewerben.
Doch die Anfänge sind bescheiden. Die treibenden Kräfte hinter der Gründung sind vor allem die Franzosen, allen voran der Schiedsrichter und ehemalige Spieler Henri Delaunay. Zusammen mit dem Italiener Ottorino Barassi und dem Belgier José Crahay verfolgt Delaunay das Ziel einer europäischen Fußball-Union. Im November 1953 genehmigt die FIFA die Bildung kontinentaler Konföderationen. Am 15. Juni 1954 wird die UEFA offiziell in Basel gegründet - und findet zunächst kaum Beachtung in der Öffentlichkeit.
Heute ist die UEFA ein milliardenschwerer Verband, der trotz aller Kontroversen eine zentrale Rolle im Weltfußball spielt. "We must never forget: European football is a unique story, is a success story" sagt ihr aktueller Präsident Aleksander Ceferin. Die UEFA ist eine Erfolgsgeschichte, nicht nur sportlich, sondern vor allem auch wirtschaftlich.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ulli Schäfer:
Helmut Kohls Idee über ein Museum zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ab 1945 bis in die Gegenwart löste heftige Kritik aus. Doch es wurde ein Publikumsmagnet.
Musik liegt in der Luft: Deutschlandhymne, DDR-Hymne und Europahymne zu einem symbolträchtigen Klangteppich verwoben. Die musikalische Inszenierung von Peter Herbolzheimer unterstreicht die historische Tragweite des Augenblicks.
Am 14. Juni 1994 wird in Bonn das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland feierlich eröffnet. Helmut Kohl fordert bereits 1982 in seiner ersten Rede als Bundeskanzler ein solches Projekt, das ein neues Kapitel in der deutschen Erinnerungskultur aufschlagen soll.
Das Haus der Geschichte ist bewusst nicht als traditionelles Museum konzipiert. Es soll vielmehr ein lebendiges Forum für die Auseinandersetzung mit der Geschichte Deutschlands nach 1945 bieten. Von Anfang an steht die Vermittlung der jüngeren deutschen Geschichte im Vordergrund - von der Nachkriegszeit über die Teilung Deutschlands bis zur Wiedervereinigung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Der Footballstar beteuert bis zum Tod: Er habe seine Exfrau Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman nicht ermordet. Ein Gericht spricht ihn frei, eines verurteilt ihn.
Einst gefeierter American-Football-Star, Werbeikone und Schauspieler, bekannt und verehrt von Millionen: O.J. Simpson. Doch sein Ruhm nimmt eine tragische und kontroverse Wendung.
In der Nacht auf den 13. Juni 1994 werden Simpsons Ex-Frau Nicole Brown und ihr Freund Ronald Goldman in Browns Haus ermordet und grausam zugerichtet. Der Fall erregt weltweit Aufsehen, vor allem weil der tatverdächtige Simpson wenige Tage später in aller Öffentlichkeit in einem weißen Ford Bronco flieht und verfolgt wird.
Im anschließenden, medial hochstilisierten Prozess, wird der berühmte Sportler trotz überwältigender Indizien freigesprochen. Im Zivilprozess 1997 wird Simpson jedoch zu einer Zahlung von 33,8 Millionen US-Dollar verurteilt – eine Summe, die die Opferfamilien nur zum Teil erhalten.
Am 11. April 2024 verstirbt O.J. Simpson im Alter von 76 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Seine Geschichte bleibt eine der schillerndsten und zugleich düstersten Episoden der modernen US-amerikanischen Justizgeschichte. Sie wirft bis heute Fragen nach Macht, Einfluss und Gerechtigkeit auf.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Was damals kaum einer ahnt: Es ist der Beginn des längsten Auslandseinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie kam es dazu und wie ist die Lage heute?
Als im Sommer 1999 deutsche Panzer in den Kosovo einrücken, werden sie mit Beifall empfangen. Hunderte stehen an den Straßen, um das deutsche Militär willkommen zu heißen.
Mehrere tausend Bundeswehrsoldaten machen sich auf den Weg. Es ist der Beginn des längsten Auslandseinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundeswehr soll im Rahmen von KFOR, der “Kosovo Force”, Sicherheit im Kosovo schaffen und so die Kosovo-Albaner vor Vertreibung und Ermordung durch die Soldaten des jugoslawischen Machthabers Slobodan Milošević schützen.
Der Einsatz ist schon Monate vor dem Einrücken politisch höchst umstritten: Ab März 1999 bombardiert die NATO 78 Tage lang Ziele in Jugoslawien - ohne UN-Mandat, für viele Völkerrechtler völkerrechtswidrig. Der Einsatz der Bundeswehr im Juni 1999 am Boden des Kosovo erfolgte allerdings völkerrechtskonform mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrats.
2008 erklärt sich der Kosovo für unabhängig - was Serbien nicht anerkennt. 2023 eskaliert erneut die Gewalt zwischen der serbischen Bevölkerung und den Kosovo-Albanern im Norden des Kosovo. Die KFOR muss einschreiten - mehr als 90 Soldaten werden verletzt. Die Folge: Die internationale Schutztruppe soll wieder aufgestockt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Nikolaus Steiner:
Ein neapolitanischer Pizzabäcker soll eine Majestät bekochen. Sein in Italiens National-Farben belegter Teigfladen soll Königin Margherita vorzüglich gemundet haben. Eine nette Geschichte...
Raffaele Esposito ist eine Ikone unter den Pizzabäckern. Vor 135 Jahren soll er in Neapel die erste Pizza Margherita aus dem Ofen gezogen und so den Grundstein des Ruhms des runden Teigfladens nach neapolitanischer Art gelegt haben. So die Legende.
Eine beliebte Version dieser Geschichte ist diese: Im Juni 1889 weilen Umberto I. und seine Gemahlin Margherita neapoletanischen Palazzo Capodimonte. Ihre Majestät, die Königin Margherita, stets verwöhnt von französischer Küche und dieser überdrüssig, verspürt Appetit - ausgerechnet auf Pizza.
Der stadtbekannte Pizzabäcker Esposito backt vorsichtshalber drei Pizzen. Eine mit Schmalz, eine mit Sardellen, die dritte mit Tomatensauce, Mozzarella-Käse und einem Zweig Basilikum - Grün-Weiß und Rot, wie die italienische Flagge.
Eine angeblich königliche Bestätigung, dass die Pizza köstlich mundet, stellt sich später als Fake heraus.
Tatsächlich besucht das Herrscherpaar im Sommer 1889 Neapel. Nach der Bevölkerungsexplosion im 17. Jahrhundert leben in der süditalienischen Großstadt viele Menschen unter ärmlichsten Bedingungen und buchstäblich auf der Straße von der Hand in den Mund.
Demnach ist die Pizza zunächst nichts anderes als schnelles billiges Essen für die Unterschicht. Fastfood für die armen Lazzaroni in den schmutzigen Gassen. Streetfood, über das Landsleute aus anderen Teilen der Nation eher die Nase rümpfen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Geboren in bittere Armut im Süden der USA, erblindet mit sieben Jahren, wird Ray Charles der "Father of Soul". Er hat Musikgeschichte geschrieben und ein dramatisches Leben gelebt.
Was wäre wohl aus dem kleinen Ray ohne das Klavier in Wiley Pittmans "Red Wing Café" geworden? Später erzählt Ray Charles, der "Father of Soul", von seinen ersten Begegnungen mit der Musik, die zu seinem Lebensinhalt wird. Er habe alles Stehen und Liegen gelassen und sei in das Café gelaufen. Wiley Pittman bringt ihn in kleinen Schritten zum Klavier.
Im Jahr 1937 steht Aretha Robinson allein mit dem mit sieben Jahren erblindeten Sohn Ray. Der andere Sohn ist im Alter von vier Jahren vor Rays noch sehenden Augen ertrunken.
Die Mutter verdient nur wenig Geld als Wäscherin und hat keine Hilfe für den Jungen. In der Baptistengemeinde singt Ray im Chor. Hier wird er seine Stimme finden, seinen Klang.
Mit der von der Mutter vermittelten Zähigkeit geht Ray Charles seinen Weg, wird zum "Vater des Soul". Mit 40 schon ein amerikanisches Denkmal, das sich aber auch beinahe selbst zerstört: Jahrelang drückt er Heroin.
Ray Charles trotzt allen Widrigkeiten. Bei einer seiner vielen Ehrungen gibt er einen kleinen Einblick in sein Erfolgsrezept: "Wenn Sie glauben, Talent zu haben, arbeiten Sie daran."
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Der Anschlag vom 9.6.2004 und die Ermittlungen, bei denen die Opfer als Täter verdächtigt und fremdenfeindliche Motive ausgeschlossen werden, hinterlassen tiefe Wunden.
118 Geschäfte gibt es auf der Keupstraße, Mehrfamilienhäuser, Kindergärten, eine Moschee, Juwelierläden und zahlreiche Restaurants. Eine Straße, die lebt. Die Keupstraße ist multikulti - und genau das wird den Menschen hier im Sommer 2004 zum Verhängnis. Unmittelbar vor dem Friseursalon Özcan geht eine Nagelbombe hoch. Deponiert auf einem abgestellten Fahrrad.
Genauso schlimm wie der Anschlag selbst ist für die Betroffenen, dass sie selbst zu Verdächtigen werden, die Ermittler gehen von einer Milieustraftat aus. Ein fremdenfeindliches oder terroristisches Motiv schließen sie vorschnell aus.
"Türkenmafia", "Drogenkrieg", heißt es in der Presse, der abschätzige Begriff der "Dönermorde" kursiert in den Boulevardmedien. Die Polizei löst eine Großfahndung gegen unbekannt aus. Neben dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt wird der Verfassungsschutz eingeschaltet.
Sieben Jahre lang wird der Anschlag den Betroffenen angelastet. Erst nach der Selbstenttarnung der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im November 2011 und der Veröffentlichung von Bekennervideos durch ihr Mitglied Beate Zschäpe werden die Bewohner der Kölner Keupstraße entlastet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Der erste Belegungstest eines ABC-sicheren Hochbunkers in Dortmund sorgt für viel Presserummel. Die 144 freiwilligen Teilnehmer wirken zu Beginn erstaunlich heiter.
Der Zweite Weltkrieg ist gerade erst zu Ende, als die Menschheit in den Kalten Krieg taumelt - das Horrorszenario eines Atomkriegs kann niemand ausschließen. USA und UdSSR mit ihren jeweiligen Verbündeten drohen sich gegenseitig mit der nuklearen Vernichtung.
In Westdeutschland beginnt man Ende der 1950er-Jahre mit dem Neubau und der Restaurierung von Bunkern. Wie dem Sonnenbunker in der Dortmunder Innenstadt. Der oberirdische Schutzraum wird zum ersten ABC-sicheren Bunker Deutschlands für die Zivilbevölkerung ausgebaut, soll also Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren bieten. Am 8. Juni 1964 beginnt der erste Belegungstest.
144 Menschen werden in dem Betonklotz für 144 Stunden eingeschlossen. 144 Stunden, das sind sechs Tage und sechs Nächte, die jene Mädchen, Frauen, Jungen und Männer in diesem Bunker verbringen sollen. Rund 300 D-Mark bekommt jeder Teilnehmer, der den Versuch durchhält. Eine Belohnung, die über künstliches Licht, gefilterte Luft, Dosennahrung und die übrigen Anstrengungen des Tests hinwegtrösten soll.
Der letzte Tag des Tests entickelt sich zu einer Art Volksfest. Angehörige, Schaulustige und Atomwaffengegner versammeln sich vor dem Eingang des Sonnenbunkers. Es gibt Wiedersehens-Szenen als habe man sich Ewigkeiten nicht mehr gesehen oder als kämen die Bunkertestpersonen gerade von der ersten, höchst gefahrvollen Reise zu einem anderen Stern zurück.142 von 144 Versuchspersonen haben den Test bis zum Ende durchgestanden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Einen Ausweg aus der Krise: Den bietet Rudolf Steiner, der Erfinder der Waldorfpädagogik und anthroposophischen Medizin, mit seiner am 7.6.1924 beginnenden Vortragsreihe.
Rudolf Steiner hält Anfang Juni 1924 eine Vortragsreihe, die zur Geburtsstunde der biologisch-dynamischen Landwirtschaft wird. Mehr als 100 Landwirte versammeln sich auf einem Gut nahe Breslau, um Steiners innovativen Ideen zu lauschen. Sein Ansatz, der tief in esoterischen Konzepten verwurzelt ist, zielt darauf ab, die Landwirtschaft durch spirituelle und kosmische Erkenntnisse zu revolutionieren.
Steiner postuliert: Der ideale Bauernhof ist ein autarker Organismus, der alle notwendigen Ressourcen selbst produziert. Diese Vision steht im starken Kontrast zur industrialisierten Landwirtschaft seiner Zeit, die durch den Einsatz von Kunstdünger und Maschinen geprägt ist– und in der Krise steckt.
Rudolf Steiner ist vieles: Philosoph, Esoteriker, Hellseher, Erfinder von Waldorfpädagogik, Eurythmie und anthroposophischer Medizin aber auch: landwirtschaftlicher Laie. Trotzdem finden seine Ideen schnell Anhänger. Später wird daraus Demeter hervorgehen, das heute weltweit für seine biologisch-dynamische Landwirtschaft bekannt ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Mit seiner im Juni 1944 erschienenen Habilitation über autistische Kinder setzt er jahrzehntelang Akzente in der Autismus-Forschung. Heute ist der Kinderarzt umstritten.
"Kleine Professoren" nennt Hans Asperger Kinder mit autistischen Zügen - wegen ihrer speziellen Interessen und Fähigkeiten. Er erkennt die Besonderheiten und betont immer wieder, dass diese Kinder anders, aber nicht weniger wertvoll seien.
Hans Asperger, der österreichische Heilpädagoge und Kinderarzt, ist vielen durch die nach ihm benannte Diagnose des Asperger-Syndroms bekannt. Seine Forschungen legen den Grundstein für das Verständnis von Autismus.
Seine Habilitationsschrift wird 1944 veröffentlicht. In ihr beschreibt der Arzt detailliert die emotionalen und sozialen Schwierigkeiten autistischer Kinder und setzt wichtige Akzente in der Autismus-Forschung.
Aspergers Vermächtnis hat jedoch auch dunkle Seiten. Er soll während der NS-Zeit Kinder zur Tötung in die NS-Euthanasieanstalt "Am Spiegelgrund" überwiesen haben. Diese und weitere Enthüllungen werfen ein kontroverses Licht auf einen Mann, der lange Zeit als empathisch und eher als Widerständler gilt. Wie weit geht diese Verstrickung in die nationalsozialistische Medizin und macht ihn das letztlich zum Mitläufer oder gar Mittäter?
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Karl der Große gilt als Erfinder eines geeinten Europas. Doch Vorsicht: In seinen Methoden war er nicht zimperlich, nur in zwei Jahren seiner Regentschaft führte er keinen Krieg.
Anfangs muss sich der Frankenkönig Karl noch vom Klerus in Rom bitten lassen, gegen die Langobarden in den Krieg zu ziehen. Doch dann bricht Karl, der seit seiner Kindheit auf Kriegsführung gedrillt ist, mit seinem Heer Richtung Alpen auf. Wenig später ist der Langobarden-König Desiderius in seiner Hauptstadt Pavia eingeschlossen und muss nach neun Monaten kapitulieren. Am 5. Juni 774 kann sich der Frankenkönig Karl zum König der Langobarden erklären. Aufatmen in Rom!
Dort wird König Karl auf den Stufen von St. Peter von Papst Hadrian freudig empfangen. Der ganze Klerus ruft ihm entgegen: "Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Zum ersten Mal erscheint nun in Rom der Beiname, der untrennbar mit dem berühmtesten mittelalterlichen Herrscher verbunden ist: Karl der Große.
Auch wenn es weitere 26 Jahre dauern wird, bis Karl zum Kaiser gekrönt wird, der Sieg über die Langobarden dehnt sein Reich weiter aus: Der umtriebige König unternimmt Feldzüge in Spanien, in Bayern, gegen die Slawen, Hunnen und die Dänen. Und 30 Jahre lang führt er immer wieder Krieg gegen die verschiedenen Sachsenstämme.
Am Ende formt der Kaiser, der 814 in Aachen stirbt, ein europäisches Großreich. Historiker Matthias Becher warnt jedoch davor, Karl den Großen als Vorbild für ein europäisches Bündnis zu sehen: "Die Methoden etwa, mit denen Karl der Große Europa geeint hat, die wollen wir uns ja ganz sicherlich nicht zu eigen machen."
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Es beginnt als Trauerfeier für einen beliebten Politiker, wird zum Massenprotest für gesellschaftliche Öffnungen - und endet im gewaltsamen Vorgehen des Militärs gegen das eigene Volk. Das Massaker auf dem Tian'anmen-Platz schockt die Welt.
Mitte Mai besucht Michael Gorbatschow China. Die Parteiführung hätten den Mann, der in Osteuropa mit den Begriffen Perestroika und Glasnost eine Lawine losgetreten hat, gerne auf dem Platz des Himmlischen Friedens empfangen. Doch der Tian’anmen, auf dem Mao einst die Volksrepublik China ausgerufen hat, ist seit Wochen von Demonstrierenden besetzt. Vor allem Studierende fordern mehr politische Mitbestimmung, Freiheit und Gerechtigkeit, Hunderte von ihnen sind inzwischen in einen Hungerstreik getreten.
Die westlichen Medien, die eigentlich über Gorbatschows Besuch berichten wollten, tragen nun die Bilder der Demonstranten in die Welt. Die chinesische Parteispitze wird nervöser und ringt mit ihrer Haltung. Tolerieren oder eingreifen? Das Staatsfernsehen strahlt sogar ein Treffen zwischen Ministerpräsident Li Peng und Studierenden aus.
Doch aller Protest, alle internationale Aufmerksamkeit sind am Ende vergebens. In der Nacht auf den 4. Juni 1989 rollen die Panzer durch die Pekinger Innenstadt. "Unter den Toten und Verletzten sind überwiegend Studenten, aber auch Frauen und Kinder und Greise", berichtet die Tagesschau. Schätzungen zufolge sterben bei der Militäraktion rund 3.000 Menschen.
In der Folge öffnet sich China wirtschaftlich, steigt zur weltweiten Exportnation auf. Die nach dem Massaker vom Westen initiierten Sanktionen versanden angesichts der wirtschaftlichen Gewinnaussichten in China. Die Parteispitze selbst tabuisiert die Ereignisse vom 4. Juni 1989 bis heute. Kein chinesisches Schulbuch berichtet darüber, Gedenkfeiern sind streng verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Zum ersten Mal werten Wissenschaftler weltweit gemeinsam und erfolgreich Messdaten des Himmelsereignisses aus und prägen damit internationale Wissenschaftskooperation.
Nur sehr selten stehen Erde, Venus und Sonne exakt in einer Reihe. Von unserem Blickwinkel aus wandert die Venus dann über die Sonnenscheibe, mit bloßem Auge als kleiner schwarzer Punkt zu sehen. Im 18. Jahrhundert findet dieser sogenannte Venustransit zwei Mal statt: 1761 und 1769.
Die Astronomen glauben, dass sich aus der präzisen Transitdauer die Entfernung Erde-Sonne berechnen lasse und damit die Größe des Sonnensystems. Daraus ließe sich wiederum die Distanzen zwischen den Planeten ausrechnen. Das hätte praktischen Nutzen: Positionen auf See wären genauer bestimmbar – für den Seehandel von unschätzbarem Nutzen.
Das einzige Problem daran ist: Hunderte von Astronomen müssen den kurzen Moment gleichzeitig beobachten, von so viel verschiedenen Positionen wie möglich. Deshalb entsteht eine internationale Kooperation von Forschern – trotz Siebenjährigen Krieg, der auf fast allen Kontinenten und Meeren zwischen England und Frankreich und ihren Verbündeten tobt.
Doch ein optisches Phänomen lässt die rund 200 Forschern weltweit verzweifeln. Deshalb bleiben die Messungen hinter den Erwartungen zurück. Für den nächsten Transit am 3. Juni 1769 standardisieren alle ihre Instrumente und Messverfahren. Mit Erfolg: Sie errechnen aus den Rohdaten fast den heute gültigen Wert der Distanz Erde-Sonne, der "Astronomischen Einheit", von rund 150 Millionen Kilometern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Berlin Anfang der 30er: Tausende strömen in Hanussens (geboren am 2.6.1889) Vorstellungen, er hat beste Kontakte zu den Nationalsozialisten - dabei ist er Jude.
"Was ist Magie? Die Menschen in dem Glauben an das Wunderbare nicht zu stören, sondern zu bestärken", notiert Erik Jan Hanussen, der als Wahrsager auftritt. Für ihn sitzen im Publikum "Schwachköpfige, Wundersüchtige, Hysteriker, vor allem aber doch Kinder". Sein Geschäftsmodell funktioniert bestens.
Hanussen berät die Polizei bei Kriminalfällen, aber auch Privatleute bei Lebensentscheidungen, Wetten, Finanzfragen und Liebesdingen. Ab 1930 gibt er seine eigene Hanussen-Zeitung heraus, verkauft magische Ketten, Amulette und eine Schönheitscreme. Seine "Prophezeiende Schallplatte" enthält Vorhersagen für die ganze Welt.
Das alles bringt ihm ein Vermögen ein. Hanussen residiert in Berlin in seinem "Palast des Okkultismus". Auf seiner Yacht "Ursel IV" feiert er Partys mit Prominenz aus Politik, Film, Theater. Hanussen spendet viel Geld an die Nationalsozialisten und bekommt dafür den Schutz der SA. Doch 1932 veröffentlicht der Journalist Bruno Frei Beweise, dass Hanussen tatsächlich "Hermann oder Chaim Steinschneider" heißt - und Jude ist. Das kostet Hanussen nach der Machtübernahme der Nazis das Leben - wohl auch, weil er während seiner ausschweifenden Feste Dinge über hochrangige Nationalsozialisten erfährt, die niemand wissen soll.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Der russische Komponist Michail Glinka ist überzeugt: "Das Volk schafft die Musik - der Komponist arrangiert sie nur!" Damit begründet er eine eigenständige russische klassische Musik - und seinen eigenen Weltruhm.
Die Familie Glinka bringt mehrere Diplomaten, Dichter und Wissenschaftler hervor. Der berühmteste von ihnen aber ist Musiker: Michail Glinka. Er wird als zweites von 13 Kindern am 1. Juni 1804 nahe Smolensk im Westen Russlands geboren. Als Aristokratensohn erhält er eine umfassende Bildung.
Im Frühjahr 1830 kommt Glinka nach Deutschland und reist von da aus vier Jahre lang in Europa umher. Dabei lernt er unter anderem die Komponisten Mendelssohn und Berlioz kennen. Mit dem Franzosen freundet er sich an: "Das Schönste, was mir je passiert ist, war sicherlich die Begegnung mit Berlioz."
Mit 30 Jahren kehrt Glinka nach Russland zurück und schreibt seine erste Oper "Ein Leben für den Zaren". Sie macht ihn schlagartig bekannt und begründet die Periode einer eigenständigen russischen Musik. Michail Glinka ist auch der Verfasser von Orchestermusik, Klaviermusik, Chorwerken und Liedern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Am 31.05.1669 macht der britische Marinebeamte den letzten Eintrag in sein Tagebuch. Es gehört zu den wichtigsten Quellen über das Leben im London des 17. Jahrhunderts.
Samuel Pepys, geboren 1633 in London, ist vielen als akribischer und humorvoller Chronist des 17. Jahrhunderts bekannt. Über neun Jahre hinweg führt er ein Tagebuch über sein Leben als Musiker, Schriftsteller, Künstler – und berüchtigter Frauenheld. Eigentlich ist Pepys Staatssekretär im englische Marineamt. In mehr als 3000 Seiten hält er seinen Alltag detailliert fest, von banalen Alltagsbeobachtungen bis hin zu bedeutenden historischen Ereignissen wie der Pest und dem Großen Brand von London.
Seine Einträge beginnen oft unspektakulär, werden aber schnell pikant. Auch humorvolle und selbstironische Einträge fehlen nicht: "Gelübde abgelegt, diese Woche keinen Wein mehr zu trinken. Heute dieses Gelübde gebrochen, worüber ich sehr traurig bin."
Pepys’ Tagebuch ist eine Fundgrube für Historiker: Die Aufzeichnungen geben einen intimen Einblick in Pepys Leben, aber auch die Gesellschaft. Und sie lassen den Leser eintauchen in das London der 1660er Jahre - eine Welt voller Widersprüche, Leidenschaft und Wandel.
Am 31. Mai 1669 verfasst Samuel Pepys den letzten Eintrag. Danach lebt er noch über 30 Jahre - nur schreibt er nicht mehr darüber. Oder wurden die fehlenden Bände bisher nur nicht gefunden?
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Seine ersten professionellen Auftritte als Musiker absolviert Benny Goodman in kurzen Hosen - und verdient so viel, dass sein Lehrer neidisch wird. Der Durchbruch für seine Swing-Musik kommt aber erst viel später.
Den Höhepunkt seiner Karriere bildet das legendäre Konzert in der Carnegie Hall 1938. Geboren wurde der Musiker am 30. Mai 1909 in einem Armenviertel von Chicago, als neuntes von zwölf Kindern. Seine Eltern, jüdische Emigranten aus dem russischen Zarenreich, hatten in der Neuen Welt auf ein besseres Leben gehofft.
Goodman zeigt schon früh außergewöhnliches Talent auf der Klarinette und tritt bereits mit dreizehn Jahren als professioneller Musiker auf und widmet sich bald ganz der Musik.
In den 1930er Jahren bringt Benny Goodman mit seiner Band und den Arrangements von Fletcher Henderson, die maßgeblich den Sound der Swing-Ära prägten, frischen Wind in die Musikszene. Goodmans Auftritte werden zu einem Symbol der Swing-Ära, in der Jazz die Pop-Musik der Zeit ist und für einen Moment die Sorgen der Great Depression vergessen lässt. Sein Erfolg im Palomar Ballroom in Los Angeles im Jahr 1935 markiert den Beginn des nationalen Swing-Fiebers.
Bis zu seinem letzten Tag bleibt Benny Goodman der Musik treu. Als er am 13. Juni 1986 stirbt, liegt seine Klarinette neben ihm – ein passendes Ende für den "King of Swing", der die Welt des Jazz für immer verändert hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Am 29.5.1953 stehen der Sherpa Tenzing Norgay (1914 geboren) und der Neuseeländer Edmund Hillary als erste Menschen auf dem Mount Everest, dem Dach der Welt.
Sie sind die zwei ersten Menschen, die es dort hinauf schaffen: Für den Touristen Edmund Hillary, der aus Neuseeland kommt, heißt der Berg "Mount Everest", benannt nach einem Briten. Für den Bergführer und Träger Tenzing Norgay, der aus Nepal stammt, heißt der Berg "Chomolungma", das bedeutet "Göttinmutter der Erde".
Die Nachricht der Erstbesteigung des höchsten Berges der Erde im Jahr 1953 macht weltweit Schlagzeilen. Der Mount Everest wird zum Sehnsuchts- und später auch zum Profilierungsziel einer nicht enden wollenden Flut von Bergtouristen.
Ein Aufstieg führt entlang von Fixseilen inmitten von Hunderten ungeborgener Leichname. Die Sherpas verdienen zwar am Tourismus. Viele von ihnen sind gut bezahlte Fachkräfte oder schon selbst Unternehmer. Aber die Arbeit ist lebensgefährlich. Nach wie vor tragen vor allem sie die schwersten Lasten und das höchste Risiko.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
Nietzsche liebäugelt mit Chemie und Musik, entscheidet sich dann aber doch für eine Philologie-Professur. Am 28.05.1869 hält er seine Antrittsvorlesung in Basel.
Friedrich Nietzsche ist weder promoviert noch habilitiert. Aber er hat sich bereits einen Namen mit seinen Veröffentlichungen Fachzeitschriften gemacht. Darum interessiert sich die finanzschwache Universität Basel für ihn. Als neuer Lehrstuhlinhaber für griechische Sprache und Literatur ist Nietzsche einfach preiswerter als ein namhafter Kollege.
Bereits in seiner Antrittsvorlesung lässt Nietzsche keinen Zweifel daran, wohin es ihn zieht: "Philosophie ist geworden, was Philologie war." Seinem Erkenntnisdrang lässt er freien Lauf: "Meine Methode ist, für eine einzelne Tatsache zu erkalten, sobald der weitere Horizont sich zeigt."
Mit seinen zwei Idole, dem Moralphilosophen Arthur Schopenhauer und dem Komponisten Richard Wagner, bricht Nietzsche bald - und findet sich selbst. Er verwandelt sich vom Philologen zum Philosophen. Die Voraussetzung für seinen posthumen weltweiten Ruhm.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Joseph Roth gehört zu den größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts - und zu den rätselhaftesten. Ein brillanter Schreiber, ein Alkoholiker, ein Rastloser, der aus vier Koffern lebt.
"Ein Ostjude auf der Suche nach Heimat" - so fasst Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki das Leben von Joseph Roth zusammen. Mit 19 verlässt Roth seine galizische Geburtsstadt Brody und ist ab diesem Zeitpunkt unterwegs: Wien, Berlin und Paris sind die wichtigsten Stationen, dazu kommen unzählige Reisen.
Unterwegs schreibt er als Reporter Reiseerzählungen mit Anspruch: "Mich liest man mit Interesse. Ich mache keine 'witzigen Glossen'. Ich zeichne das Gesicht der Zeit." Das gilt auch für seine Romane. Etwa das "Spinnennetz", eine hellsichtige Analyse des aufziehenden Nationalsozialismus.
Aus der mehr oder weniger freiwilligen Rastlosigkeit wird 1933 eine erzwungene Flucht – vor den Nazis, die Roth ganz oben auf der Liste ihrer Gegner führen. Zermürbt von Flucht und Exil, zerstört durch viel zu viel Alkohol, stirbt er am 27. Mai 1939 in einem Pariser Armenhospital.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Der am 26.05.1919 geborene Rubén González entscheidet sich kurz vor dem Ende seines Medizinstudiums doch für ein Leben am Klavier. Er macht kubanische Musik weltberühmt.
Eigentlich will Pianist Rubén González mit 77 Jahren seinen Ruhestand genießen. Doch es kommt anders. Der US-amerikanische Gitarrist Ry Cooder und Produzent Nick Gold reisen für ein Crossover-Projekt zwischen kubanischen und westafrikanischen Musikern nach Havanna. Da die Afrikaner nicht eintreffen, springen kurzerhand andere klangvolle Namen ein - unter ihnen Ibrahim Ferrer, Eliades Ochoa, Omara Portuondo und eben Rubén González.
Buena Vista Social Club, wie man in Kuba sagt, gehen auf Welttournee und füllen die Konzertsäle von New York bis Amsterdam. Als 1998 der Dokumentarfilm von Wim Wenders in die Kinos kommt, sind González und Co. auf dem Höhepunkt ihrer zweiten, späten Karriere.
Seit seiner Kindheit sitzt der am 26.05.1919 geborene Rubén Gonzaléz täglich am Klavier. Trotzdem will er nach der Schule zunächst Arzt werden. Doch 1940 bricht er sein Medizinstudium ab und lebt fortan nur noch für die Musik. Er wird zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Pianisten Kubas. Er gilt als Mann mit den seidenen Händen, dem Gefühl für Rhythmus und Harmonie. Und er ist der Pianist, der den kubanischen Son weiterentwickelt.
Auch mit 81 Jahren tourt die Piano-Legende noch mit dem Buena Vista Social Club um die Welt. Zum letzten Mal tritt er zwei Jahre später in Mexiko und Kuba noch einmal öffentlich auf. Rubén González stirbt im Dezember 2003 in seinem Haus in Havanna.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Heute gilt sie - nicht ganz zurecht - als Ikone der LGBTQ-Community. Rosa Bonheur (gestorben am 25.5.1899) malte brillante Tierporträts, von den man damals glaubte, Männer hätten sie gemalt...
Rosa Bonheur ist die Tiermalerin des 19. Jahrhunderts. Die gefeiertste und reichste französische Künstlerin ihrer Zeit, die erste, die den Ritterorden der Ehrenlegion bekommt. Und sogar die erste Frau überhaupt, die man zum Offizier dieses Ordens ernennt. Eine hübsche Person, auffallend durch kurze Haare und weite dunkle Kostüme - obwohl Frauen doch eigentlich komplizierte Aufsteckfrisuren tragen und sich in Korsetts und Krinolinen zu zwängen haben.
Rosa Bonheur will die Einzigartigkeit der Tiere darstellen, ihr Wesen, fast ihre Psychologie. In jahrzehntelangen anatomischen Studien, Tausenden von Skizzen, arbeitet Rosa Bonheur ein Leben lang an diesem Ideal. Manchmal hart am Kitsch, aber meist unsentimental realistisch. Anfangs im Rock, aber sehr schnell in den nicht nur bequemeren Hosen, für die sie extra eine polizeiliche Genehmigung braucht. Erneuerbar alle sechs Monate.
Weltruhm erlangt Rosa Bonheur 1853 mit ihrem "Pferdemarkt", einer wie ein Schlachtgemälde aufgebauten bewegten Szene mit malträtierten und rebellierenden schweren Ackergäulen. Gekauft wird es für 268.000 Goldfrancs vom amerikanischen Multimillionär Vanderbilt. Er schenkt es dem neuen Metropolitan Museum of Art. Einhellig schließt die Kritik auf das "männliche Genie" der Künstlerin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Endet jede Show mit einem tödlichen Sturz? Das glaubt der vierjährige György, aus dem einmal George Tabori werden soll - frenetischer Drehbuchschreiber, Stückeautor, begnadeter Schriftsteller und der Theaterkönig von Wien und Berlin.
Wie lautet der kürzeste deutsche Witz? "Auschwitz". Da, wo für viele der Spaß aufhört, macht George Tabori einfach weiter. Mit schwarzem Humor und politisch völlig unkorrekt nutzt der jüdische Journalist, Autor und Theatermacher seine Kunst zeitlebens auch dazu, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.
Sarkasmus ist dabei Taboris Strategie, die eigene Lebenstragödie auszuhalten: Am 24. Mai 1914 als György Tabori in Budapest geboren, lebt der wortgewandte Künstler im Laufe seines Lebens in 17 Ländern. Sein Vater und große Teile seiner jüdischen Familie werden in Auschwitz ermordet. Tabori selbst überlebt den Holocaust in Großbritannien.
Für sein Schaffen erhält der Theatermann zahlreiche Preise - unter anderem darf er 1992 als erster nichtdeutschsprachiger Autor den Georg-Büchner-Preis entgegen nehmen. 2007 stirbt George Tabori im Alter von 93 Jahren in Berlin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Acht Monate arbeiten 65 Frauen und Männer in Bonn am Grundgesetz. Dieser Parlamentarische Rat will die Verfassung eines Rechtsstaats schaffen - mit nüchterner Sprache und hehren Zielen.
Am 23. Mai 1949 endet mit der feierlichen Verkündung und Unterzeichnung des Grundgesetzes zu Bach´scher Orgelmusik die Arbeit des Parlamentarischen Rates. Ein dreiviertel Jahr zuvor sind in den Westdeutschen Landtagen 65 Frauen und Männer gewählt und nach Bonn entsandt worden. Sie sollen die Verfassung für einen Rechtsstaat ausarbeiten. Aus den ursprünglich geplanten drei Monaten werden schließlich acht.
Am vierten Jahrestag der Kapitulation, dem 8. Mai 1949, verabschiedet der Parlamentarische Rat kurz vor Mitternacht das Grundgesetz mit 53 gegen zwölf Stimmen. Vier Tage später wird es von den drei westlichen Alliierten bestätigt und danach von den westdeutschen Landtagen ratifiziert.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes sind nicht nur von der Geschichte und dem Leitsatz "Nie wieder" geprägt. Sie sind auch von der Sorge getrieben, die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht weiter zu vertiefen. Zeitgleich entsteht in der DDR ebenfalls eine Verfassung, die für vier Jahrzehnte gilt.
"Grundrechte sind weder rechts noch links. Sondern Grundrechte sind schlicht fundamental für den demokratischen Rechtsstaat. Und das ist der Satz, der für mich über den Feierlichkeiten zum Grundgesetzjubiläum steht", erklärt Heribert Prantl, Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anja Arp:
Am 22.5.1979 wird Stefan Heym in der DDR wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt. Dem Schriftsteller sollten Grenzen aufgezeigt werden. Grenzen - ohnehin Heyms zentrales Thema.
Schon als Schüler veröffentlicht er 1931 in einer Chemnitzer Zeitung ein Anti-Kriegs-Gedicht. Damals noch unter seinem richtigen Namen Helmut Flieg. Daraufhin fliegt er vom Gymnasium, studiert Journalistik in Berlin, schreibt in linken Zeitungen - und landet als Feind auf der schwarzen Liste der Nazis. Als Hitler an die Macht kommt, veröffentlicht Flieg nur noch unter dem Pseudonym Stefan Heym und flieht erst nach Schlesien, von dort aus zu Fuß über die Berge nach Prag.
Später emigriert er weiter in die USA und kehrt im Krieg als amerikanischer Soldat zurück. Im besetzten Deutschland arbeitet er als Militärjournalist am Aufbau einer freien Presse mit, kehrt dann aber in die USA zurück. 1948 erscheint sein Kriegsroman "The Crusaders". Als in den USA die McCarthy-Ära beginnt, kehrt er zurück nach Europa, nach Ost-Berlin. In der DDR versteht er sich als "kritischer Marxist".
Schon mit SED-Parteichef Walter Ulbricht bekommt Heym Ärger wegen seiner unangepassten Kommentare. Seit den 1960er-Jahren lehnt die Zensur immer mehr Bücher von Heym ab. 1976 organisiert Heym mit anderen den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. 1979 rechnet er in seinem Roman "Collin" mit dem Stalinismus ab. In der DDR darf das Buch nicht erscheinen. Weil Heym es im Westen drucken lässt, wird er am 22.05.1979 wegen Devisenvergehen verurteilt und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen.
Nach dem Fall der Mauer macht Heym eine kurze politische Karriere. Er stirbt am 16. Dezember 2001 bei einer Vortragsreise in Israel.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Am 21.5.1919 wird Jakob Reumann der erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens. So wird das "Rote Wien" geboren: ein Reformprojekt, das die Stadt bis heute prägt.
Am Ende des Ersten Weltkriegs ist Wien in Not - eine überfüllte Stadt mit schlechter Versorgungslage. Die Menschen versuchen, sich selbst zu versorgen, sich auch selbst um Wohnraum zu kümmern. Sie bauen sich am Stadtrand Hütten und legen große Gärten an.
Bis 1919 gilt in Österreich das Kurienwahlrecht: Ob und wer wählen darf, hängt unter anderem von der Steuerleistung ab. Das ändert sich mit der Wahlrechtsreform. Am 4. Mai 1919 finden bei der Gemeinderatswahl in Wien erstmals allgemeine und gleiche Wahlen statt. Dabei erzielen die Sozialdemokraten mit 54,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Der Gemeinderat wählt Jakob Reumann zum Bürgermeister. Das rote Wien ist geboren.
Zum Programm der neuen Stadtregierung zählt unter anderem kostenlose medizinische Versorgung, Bildungsreformen sowie die Schaffung von Wohnraum. Zentral dabei: Es sollen nicht nur Wohnungen für Menschen geschaffen werden, sondern Lebensräume. Das hat nicht nur in Wien Konsequenzen: Die eher traditionell und konservativ denkende Landbevölkerung schaut so skeptisch nach Wien, dass Wien und Niederösterreich sich trennen. Wien wird zum unabhängigen Land in Österreich und kann eigene Gesetze und eigene Steuern erheben - etwa die Wohnbausteuer.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Mit ihrem humoristischen Talent ist Gilda Radner einer der Stars der TV-Show "Saturday Night Live". Den Humor verliert sie auch nicht, als bei ihr Krebs diagnostiziert wird.
Im Leben von Gilda Radner sind Komödie und Tragödie immer eng verknüpft. Als Tochter eines wohlhabenden Hotelmanagers ist sie ein aufgekratztes, gut gelauntes Mädchen. Trotzdem findet sie schwer Anschluss, denn durch die Umzüge der Familie wechselt sie oft die Schule - und sie wird immer wieder wegen ihres Gewichts gehänselt.
Mit zehn Jahren erhält sie Diätpillen, die heftige Stimmungsschwankungen verursachen. Ihr Kindermädchen rät ihr: "Wenn sie sagen, dass du fett bist, mach einen Witz darüber und lach. Mach du den Witz, bevor sie darauf kommen." Auch als ihr Vater an einem Tumor stirbt, ist für den Teenager Humor ein Weg, um mit der Trauer umzugehen.
"Meine Comedy war immer dazu gedacht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen", sagt sie später. "Ich benutzte Comedy, um die Kontrolle über mein Leben zu halten." Doch für den Umgang mit ihrer Bulimie muss sie auf ärztliche Hilfe zurückgreifen - und weist sich selbst ins Krankenhaus ein.
Als sie den Schauspieler Gene Wilder heiratet, geht es ihr gut wie nie zuvor. Doch schon bald hat sie mit Schmerzen zu kämpfen: Sie hat Krebs. Auch diesen Kampf nimmt sie mit ihrer eigenen Waffe auf: dem Humor.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Die Grube Messel in Hessen wird 1983 Fundort von etwas, das mit der öffentlichen Präsentation am 19.5.2009 zur Weltsensation wird: ein Primatenfossil, 47 Mio. Jahre alt.
Mitten in Deutschland, auf halbem Weg zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main, ist ein ganz besonderes Fenster in die Vergangenheit zu finden. Die Grube Messel. Etwa einen Kilometer im Durchmesser und rund 60 Meter tief ist die Grube eine sehr ergiebige Fundstelle für Fossilien, die auch besonders gut erhalten sind. Eines dieser Fossilien wird vor 15 Jahren zum weltweiten Medienstar.
Am 19. Mai 2009 stellen der norwegische Paläontologe Jørn Hurum und sein Team der Weltöffentlichkeit die Sensation im New Yorker Museum für Naturgeschichte vor.
Ausgegraben wird das Fossil in der heutigen UNESCO-Weltnaturerbestätte Grube Messel schon 1983 - also über ein Vierteljahrhundert vor seiner öffentlichen Präsentation. Die Politik hat zu diesem Zeitpunkt den wissenschaftlichen Wert der stillgelegten Ölschiefergrube noch nicht erkannt und will sie zur Mülldeponie umfunktionieren.
Bis es soweit ist, dürfen auch Hobby-Forscher auf dem Gelände nach Fossilien suchen. Einer von ihnen findet die Schieferplatte, in der sich ein versteinertes Primatenskelett verbirgt. Die Wissenschaftler geben ihrer Entdeckung den lateinischen Namen "Darwinius masillae". Einen Spitznamen hat das Fossil auch. Jørn Hurum hat es zu Ehren seiner Tochter "Ida" getauft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Giovanni Falcone (geboren am 18.5.1938) war der wichtigste Mafia-Jäger. Er bewies, dass man die Mafia wohl nicht besiegen, aber bekämpfen kann. Dafür zahlte er mit seinem Leben.
Im Frühjahr 1992 stellt die Mafia dem Richter Giovanni Falcone eine Falle: In einem Abwasserkanal unter der Autobahn 29 vom Flughafen Punta Raisi nach Palermo werden in Höhe der Kleinstadt Capaci 500 Kilogramm Sprengstoff versteckt. Der Mafia-Jäger ist seit den 1980er-Jahren der Star-Jurist Italiens. Mittlerweile arbeitet er im Justizministerium in Rom an einer Reform des Strafvollzugs.
Wenn der Richter das nächste Mal heim nach Sizilien kommt, soll die Bombe hochgehen. Das ist am 23. Mai 1992 der Fall: Das Auto der drei vorausfahrenden Leibwächter wird von der gewaltigen Explosion 60 Meter hoch in die Luft geschleudert. Falcones Fahrzeug kracht in den Bombenkrater. Der Richter stirbt im Krankenhaus. Er wird 53 Jahre und fünf Tage alt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Wie können ungarische Juden vor der Vernichtung gerettet werden? Ein Hilfskomitee setzt im April/Mai 1944 auf Verhandlungen mit der SS. Ein Resultat der Gespräche ist der "Kasztner-Zug".
Der Holocaust in Ungarn verläuft in einem enormen Tempo: Am 19. März 1944 marschiert die deutsche Wehrmacht das Land ein und schon gut einen Monat später, am 28. April, verlässt der erste Zug mit ungarischen Juden Budapest in Richtung Auschwitz. Innerhalb von acht Wochen werden 438.000 von ihnen dorthin deportiert.
Dagegen stemmt sich das Komitee für Rettung und Hilfe, das seit 1941 versucht, Juden aus den Konzentrationslagern und Ghettos ins sichere Ausland zu bringen. Das Komitee nimmt Kontakt zur SS auf: zu Adolf Eichmann, dem Organisator der Judenvernichtung. Es kommt zu einem Versprechen: 10.000 Lastwagen gegen eine Million Juden.
100.000 Juden will Eichmann als "Vorschuss" freilassen, falls Vertreter der vermeintlichen "jüdischen Weltmacht" eine Zusage für den Deal unterschreiben. Am 17. Mai 1944 macht sich deshalb Joel Brand als Komitee-Vertreter nach Istanbul auf. Derweil verhandelt Rezsö Kasztner in Ungarn weiter mit Eichmann.
Schließlich fährt der sogenannte Kasztner-Zug mit 1.684 ungarischen Juden Ende Juni 1944 los - aber nicht wie ausgemacht in die Schweiz, sondern nach Bergen-Belsen. Dort gibt es auf Weisung von SS-Chef Heinrich Himmler 30.000 "Austauschjuden", die als Geiseln für mögliche "Geschäfte" mit den Westalliierten dienen sollen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Peter Meisenberg:
Am 16.5.1974 wurde Tito als jugoslawischer Staatspräsident auf Lebenszeit bestätigt. Er war Kämpfer, Landesvater, Unterdrücker, Jetset-Mensch... eine Jahrhundertfigur.
Josip Broz, genannt Tito, wird 1892 in Kumrovec, einem Dorf an der kroatisch-slowenischen Grenze, geboren und wächst in einer kinderreichen Bauernfamilie auf. Während des Ersten Weltkriegs gerät er in russische Kriegsgefangenschaft und kommt dort mit sozialistischen Ideen in Kontakt. Im Zweiten Weltkrieg führt er die Partisanen im Kampf gegen die deutsche Besatzung und gegen nationale Gruppen, die Jugoslawien in den Bürgerkrieg treiben.
Nach dem Krieg gründet Tito ein sozialistisches Jugoslawien, später versucht er das Land zwischen den politischen Blöcken in Ost und West zu positionieren. Seine Herrschaft ist von strenger Kontrolle geprägt, er erlaubt aber auch eine gewisse Liberalisierung, die Reisefreiheit und Meinungsvielfalt zulässt. 1974 wird er zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit ernannt.
Titos Tod im Jahr 1980 hinterlässt ein Machtvakuum, das die kommunistische Partei nicht füllen kann. Der Slogan "Brüderlichkeit und Einheit" entpuppt sich als Illusion, und in den 1990er Jahren zerbricht Jugoslawien in einem blutigen Bürgerkrieg.
Heute ist Titos Erbe ambivalent. Die Figur spaltet immer noch: Für manche ist er der Held, der Jugoslawien vereint, für andere der Diktator, der das Land ins Unglück stürzt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Die am 15.05.1759 geborene Paradis spielt nur nach Gehör. Trotzdem tourt sie als gefeierte Pianistin durch Europa und wird zur Wegbereiterin für die Blindenbildung.
Im Wien des 18. Jahrhunderts ist sie eine Ausnahmeerscheinung, eine blinde Pianistin, die die Herzen Europas erobert. Maria Theresia Paradis, geboren 1759, ist eine wahre Meisterin am Klavier. Ihr Talent führt sie auf eine bemerkenswerte Konzertreise durch Europa.
Ihr Motto "Wer die Musik nur durch die Ohren jagt, ist mehr Gaukler als Musiker" spiegelt sich in allen Bereichen des Lebens der Pianistin wider: In ihrer Hingabe zur Musik, ihrer akribischen Disziplin beim Üben, ihrer Art, Schüler zu unterrichten, und ihrer kontinuierlichen Suche nach tieferem Verständnis. Sie hört Musik nicht nur, sondern erlebt sie mit ganzen Sinnen. Sie fühlt die Tasten, memoriert Strukturen und entwickelt Techniken, um sich musikalische Werke vorzustellen. Dies zeigt sich auch in ihrer Offenheit gegenüber neuen Ideen und Technologien, wie dem speziell für sie entwickelten Druck-Setzkasten, der es ihr ermöglicht, Briefe und Noten zu schreiben.
Die tiefgehende Auseinandersetzung mit der Musik macht Paradis zu einer außergewöhnlichen Musikerin und Lehrerin, deren Leidenschaft weit über das bloße Spielen von Noten hinausgeht. Sie stirbt 1824 im Alter von 64 Jahren. Ihre Werke sind größtenteils verloren gegangen, doch ihre Geschichte bleibt eine Quelle der Inspiration.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Am 14.5.1919 stirbt Henry John Heinz. Der "Vater des Ketchups" war ein Marketing-Genie: "Wenn es nicht Heinz ist, ist es auch nicht Ketchup." Sein Ketchup wird zur Grundlage einer der größten Lebensmittel-Dynastien der USA.
Henry John Heinz ist der Mann hinter Heinz-Ketchup, einer der bekanntesten Marken der Welt. Geboren 1844 in der Nähe von Pittsburgh als ältestes von acht Kindern deutscher Einwanderer, zeigt sich schon früh sein Talent für den Handel: Schon im Alter von 12 Jahren verkauft er eingelegtes Gemüse und Meerrettich an lokale Händler.
1869 gründet er dann sein erstes Unternehmen: Heinz Noble & Company. Der Börsencrash 1873 zwingt ihn in die Insolvenz, aber er baut sein Geschäft wieder auf. Er konzentriert sich auf Produkte wie Ketchup, Essig und eingelegtes Gemüse. Für seinen Erfolg setzt er neben guter Qualität auf Verpackung und innovative Werbung: die noch heute verwendete "57 Varieties"-Kampagne stammt von ihm.
Henry John Heinz stirbt 1919, aber sein Vermächtnis lebt weiter: Sein Heinz-Ketchup ist auch heute weltweit bekannt. Und auch sein Motto ist heute noch genauso aktuell wie damals: "Tue eine gewöhnliche Sache ungewöhnlich gut."
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Funktionär Paul Merker wird in der DDR verhaftet, verhört und verurteilt - weil er sich für Entschädigungen für Holocaust-Überlebende einsetzt. Erst spät und im Stillen wird er rehabilitiert.
Die DDR nähert sich dem Thema Holocaust künstlerisch, politisch und juristisch. Doch von Entschädigungen für Holocaust-Überlebende will sie nichts wissen. Paul Merker tritt als einziges hochrangiges SED-Mitglied für die Rechte der jüdischen NS-Opfer und ihrer Nachkommen ein.
Er favorisiert die sogenannte Wiedergutmachung, also die Rückerstattung geraubten jüdischen Vermögens. Deshalb fällt er in Ungnade. Wegen vermeintlicher "Agententätigkeit" nimmt ihn die Stasi Ende November 1952 fest. Der Prozess findet nach zweijähriger Untersuchungshaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und dauert nur zwei Tage. Das Urteil fällt Ende März 1955: acht Jahre Zuchthaus.
Doch dann wird Paul Merker bereits im Januar 1956 aus der Haft entlassen. Wenige Wochen später hält Stalins Nachfolger Chruschtschow seine Geheimrede über Stalins Verbrechen. Dasselbe DDR-Gericht, das Paul Merker zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, spricht ihn ein Jahr später in einer neuen Verhandlung frei, ohne dass sich die Beweislage geändert hat.
Eine politische Rehabilitierung erfolgt allerdings nicht. Die Medien verschweigen den Freispruch. Als Paul Merker am 13. Mai 1969 stirbt, veröffentlicht die SED einen Nachruf, ohne seine Haft zu erwähnen. In den 1970er-Jahren ziert sein Porträt eine DDR-Briefmarke.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
"Haben Sie Allergien?" Die Frage ist im Restaurant inzwischen selbstverständlich. Den Namen Allergie hat der Wiener Arzt Clemens von Pirquet erfunden, dem vor allem das Wohl von Kindern am Herzen lag. Fünfmal war er für den Medizin-Nobelpreis nominiert. Fünfmal hat er ihn nicht bekommen.
Piquet studiert in Wien, Königsberg und Graz. Dort gehört Theodor Escherich zu seinen Lehrern, damals der bekannteste Kinderarzt der k. u. k. Monarchie. Nach der Promotion im Jahr 1900 geht Pirquet zur weiteren Ausbildung nach Berlin an die Charité zu Otto Heubner, einer weltweit geschätzten Kapazität auf dem Gebiet der Pädiatrie.
Pirquet beschäftigt sich zunächst mit Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Masern und Tuberkulose, dann mit Fragen der Impfung. Dabei stößt er gemeinsam mit seinem Kollegen Béla Schick auf das Phänomen der sogenannten Serumkrankheit.
Den beiden Wissenschaftlern fällt auf, dass Patienten, die mit einem Serum etwa gegen Diphtherie geimpft worden waren, oft stärker mit Krankheitssymptomen reagieren, wenn sie ein weiteres Mal mit diesem Serum in Berührung kommen. Die Reaktionsfähigkeit des Organismus hat sich also verändert. 1906 entwickelt Pirquet daraus seinen Allergiebegriff und zählt zu den Pionieren der Allergieforschung.
Die Nobelpreisfanfare erklingt nie für Clemens von Pirquet, obwohl er fünfmal für den wichtigsten Wissenschaftspreis nominiert ist. Er ist ein Tausendsassa mit zahlreichen Forschungsinteressen. Dennoch ist er für das Nobelkomitee eher weniger interessant, weil er nie eine einzelne bahnbrechende Entdeckung nachweist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Gezwirbelter Bart, ein Ozelot an der Leine - der spanische Künstler Salvador Dalí versteht es, aufzufallen. Begeistert mit Bildern von zerfließenden Uhren. Und sagt von sich selbst: Ich gelte nur als gut, weil die anderen noch schlechter sind.
Der spanische Maler Salvador Dalí pflegt seine Exzentrik. Mit weit aufgerissenen Augen, einem nach oben gezwirbelten Schnurrbart und dem eleganten Gehstock spielt Dalí vor Journalisten den irren Künstler, der auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn wandelt.
Ein ganz anderer ist Salvador Dalí in seinem Dorf Cadaqués, an der Costa Brava gelegen. Hier verbringt er beinahe sein ganzes Leben, malt viele Stunden am Tag und pflegt Freundschaften mit einfachen Menschen.
Mit 25 Jahren trifft Salvador Dalí die Frau, mit der er sein restliches Leben verbringen wird. Gala und Salvador Dalí heiraten. Gala ist nicht nur seine Muse, sondern auch seine Managerin, die knallhart Preise aushandelt und die Kunst ihres Mannes gewinnbringend vermarktet.
Salvador Dalís Werke sind von einer tiefgründigen ausbalancierten Schönheit, altmeisterlich gemalt. Der Katalane ist einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts. Er stirbt im Januar 1989 mit 84 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Am 10.5.1924 wird Hoover Chef des FBI. Um die USA zu schützen, schreckt er vor nichts zurück. So wird er zum womöglich mächtigsten Amerikaner des 20. Jahrhunderts.
John Edgar Hoover ist nicht bloß ein hoher Beamter, er ist einer der mächtigsten Amerikaner, viele behaupten: der mächtigste Amerikaner des 20. Jahrhunderts. Ab 1924 leitet er fast 50 Jahre lang das Federal Bureau of Investigation (FBI) und baut es zu seinem persönlichen Machtzentrum aus.
Hoover formt aus einer kleinen Abteilung des Justizministeriums eine hochprofessionelle Polizeibehörde: Er führt wissenschaftliche Standards ein, systematische Spurensicherung, ballistische Untersuchungen von Schusswaffen und Projektilen, und sorgt für eine umfassende Ausbildung seiner Agenten.
Hoover ist aber auch verantwortlich für einige der schlimmsten und ungeheuerlichsten Machtmissbräuche. Er ist besessen von der Jagd auf vermeintliche Kommunisten. Hoover bricht Regeln, um Leuten habhaft zu werden, die er als staatsfeindlich ansieht. Er besitzt Akten längst nicht nur über Kriminelle, sondern auch über Politiker, Regierungsangestellte, über Filmstars, Wissenschaftler - und nutzt die Informationen zur Einschüchterung.
Hoover erlebt als FBI Direktor acht Präsidenten. Fast alle spielen irgendwann mit dem Gedanken, Hoover zu feuern. Keiner traut sich. Lyndon B. Johnson fasst es kurz zusammen: "Auf jeden Fall ist es besser, ihn im Zelt zu haben und er pinkelt raus, als vor dem Zelt, und er pinkelt rein."
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Am 9.5.1949 wird Billy Joel in einem New Yorker Vorort geboren und früh von den Eltern zum Klavierunterricht genötigt. Basis für eine Weltkarriere als Pianist und Sänger.
Billy erweist sich schon früh als musikalisch talentiert. Der Junge hängt aber auch mit New Yorker Straßengangs ab, beteiligt sich an kleinen Diebstählen und Prügeleien ohne Ende. Mit einem Highschool-Abschluss wird es so nichts. Der erbosten Mutter erklärt der junge Mann: "Ich gehe dann eben nicht zur Columbia University - ich geh‘ dann zu Columbia Records …"
Bis zum musikalischen Durchbruch dauert es etwas. Schließlich gelingt dieser 1977 aber mit der LP "The Stranger" und dem Mega-Hit "Just the Way You Are" .
Es folgen viele weitere Hits, die bis heute ihren Stammplatz in den Rotationslisten der wichtigsten Popsender haben. 160 Millionen Tonträger hat Joel mittlerweile verkauft - mehr als Bob Dylan, Bruce Springsteen oder U2.
2014 erklärt Billy Joel, er wolle kein weiteres Studioalbum veröffentlichen. Er habe alles gesagt und wolle keine Musik veröffentlichen, die nicht gut sei.
Doch er ändert seine Meinung: Am 1. Februar 2024 veröffentlicht er mit "Turn the Lights Back On" doch wieder einen neuen Song. Im Video dazu altert er am Piano durch die Jahrzehnte: Vom jugendlichen Heißsporn zum weißbärtigen Glatzkopf, der am 9. Mai 2024 seinen 75. Geburtstag feiert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Am 8.5.1944 werden Mitglieder der Widerstandsgruppe "Europäische Union" hingerichtet. Sie haben gegen das Hitlerregime gekämpft und für ein besseres Leben ohne Hass.
In seinem letzten Brief an seine Frau schreibt Georg Groscurth: "Liebe, gute, treue Anneliese, nun ist es soweit: In einer halben Stunde wird das Urteil vollstreckt." Der Arzt gehört zusammen mit dem Zahnarzt Paul Rentsch, dem Architekten Herbert Richter und dem Chemiker Robert Havemann zur Widerstandsgruppe "Europäische Union".
Die Gruppe ist gut vernetzt. Richter arbeitet im Stab von Hermann Göring, Groscurth behandelt den "Führer"-Stellvertreter Rudolf Heß. Das Insiderwissen nutzen sie, um Juden und Zwangsarbeitern zu helfen. Ihr großes politisches Ziel: Sie wollen die Nazi-Diktatur durch einen menschlichen Marxismus ersetzen, der persönliche Freiheit garantiert, Einzelstaaten überwindet und ein vereinigtes Europa schafft.
Doch die Gruppe wird enttarnt. Richter, Groscurth und Rentsch werden am 8. Mai 1944 hingerichtet. Nur der Chemiker Robert Havemann entkommt der Guillotine, weil seine Forschungen als kriegswichtig gelten. Insgesamt kommen 40 Mitglieder und Anhänger der Europäischen Union vor den Volksgerichtshof. 14 werden zum Tode verurteilt.
Nach Kriegsende lebt Havemann in der DDR und macht zunächst als Professor und Volkskammer-Abgeordneter Karriere. Mit den Jahren macht die politische Realität aus dem überzeugten Sozialisten einen Oppositionellen der DDR – und die Erinnerung an die "Europäische Union" verschwindet aus der ostdeutschen Gedenkkultur. Auch in der BRD werden die Widerstandskämpfer zunächst nicht gewürdigt, sondern als kommunistische Gruppe abgetan. Erst nach der Wiedervereinigung wird die "Europäische Union" allmählich als Widerstandsgruppe anerkannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Am 7.5.1934 bezahlt ein Taucher den Fund der Riesenperle angeblich mit seinem Leben. Legenden über ihren Ursprung steigern ihren Preis - Experten bezweifeln ihren Wert...
Die Erzählung geht so: Einst lebt eine Meerjungfrau in der riesigen Muschel, die die Perle Allahs hervorbringt. Durch ihren plötzlichen Verlust aber wird das Gleichgewicht des Meeres gestört, und die Meerjungfrau versucht seitdem, die Perle zurückzugewinnen. Andere berichten, die Perle gehöre dem Propheten Mohammed. Jahrhundertelang soll sie an einem heiligen Ort versteckt sein, bevor sie verloren geht.
Dies sind nur zwei der vielen Geschichten und Legenden, die sich um die Perle Allahs ranken. Am 7. Mai 1934 geschieht der Zufallsfund: Die Perle wird von Tauchern vor der philippinischen Insel Palawan entdeckt. Diese beeindruckende Perle, bis heute, eine der größten natürlichen Perlen der Welt, wiegt etwa 6,35 Kilogramm und hat einen Durchmesser von fast 24 Zentimetern.
Seitdem liefert sie Inspiration für zahlreiche Legenden. Als Symbol für Macht und Einfluss, so heißt es, streben Herrscher und Krieger nach der Perle, um sich Stärke und Schutz zu sichern. In anderen Erzählungen bringt sie Unglück und Verderben über ihre Besitzer. Immer aber steht sie beispielhaft für die seltene Schönheit und die Wunder der Natur.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Sie trägt ihren Mann buchstäblich auf Händen - durch die Manege: Katharina Brumbach (geboren am 29.4.1884), gefeierter Star in der "größten Show der Welt" in den USA.
Das Zirkusleben wird Katharina Brumbach in die Wiege gelegt: Sie wird am 6. Mai 1884 in die niederbayerische Zirkusfamilie Brumbach geboren. Die Eltern arbeiten beide als Kraftakrobaten und vererben der Tochter einen kräftigen Körperbau. Zudem entwickelt sich das Mädchen zur geschickten Kämpferin und tritt früh vor Publikum auf.
Als sie 16 Jahre alt ist, lobt der Vater ein Preisgeld von 100 Goldmark aus für denjenigen, der seine Tochter im Ringkampf besiegt. Der schmächtige Max Heymann lässt sich auf den Kampf ein, geht gnadenlos unter, aber macht Katharina auf dem Boden liegend einen Heiratsantrag. Sie nimmt an und schleudert bald ihren kleinen Mann durch die Manege.
Eine Frau, die es wagt, sich nicht mehr elfengleich an den Mann zu schmiegen, sondern diesen durch Luft wirbelt, torpediert das dominierende Frauenbild. Hunderttausende Menschen in den USA wollen die "stärkste Frau der Welt" sehen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Der Mann mit der Pauke, späte Kiffer-Ikone, humorvoller Kritiker der bräsigen Wirtschaftswunder-BRD: Wolfgang Neuss (gestorben am 5.5.1989) war ein herausragender Satiriker.
Geboren 1923 in Breslau, macht er in den 1950er und 60er Jahren durch seine messerscharfe Satire und seinen humorvollen Stil auf sich aufmerksam. Obwohl Neuss vor allem für seine Bühnenauftritte und kabarettistischen Beiträge bekannt ist, umfasst sein Werk weit mehr als nur oberflächliche Unterhaltung.
Schon als junger Mann, geprägt von den Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs, entwickelt Neuss eine kritische Sicht auf Politik und Gesellschaft. Seine frühen Erfahrungen führen dazu, dass er stets eine anti-autoritäre Haltung einnimmt, die seine Kunst durchdringt. Ernste gesellschaftliche Themen werden auf humorvolle Weise in seine Stücke eingeflochten.
Seine Vielseitigkeit zeigt sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch in seinen zahlreichen Filmrollen. In mehr als 25 Filmen, darunter "Das Wirtshaus im Spessart" und "Die Halbstarken", beweist er seine Fähigkeit, die unterschiedlichsten Charaktere zu verkörpern.
Neuss' Engagement geht jedoch über die Unterhaltungsindustrie hinaus – zeitlebens lehnt er traditionelle Rollenbilder und gesellschaftliche Normen ab, setzt sich aktiv für soziale Gerechtigkeit ein und unterstützt politische Bewegungen, die sich für Gleichberechtigung und Frieden einsetzen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Inge Braun:
4. Mai 1884, USA: Die Schwarze Lehrerin Ida B.Wells nimmt im Zugabteil für Damen Platz - doch das ist nur für weiße Frauen. Ihren Rauswurf lässt sie sich nicht gefallen.
Als Ida B. Wells 1862 geboren wird, lebt ihre Familie noch in Sklaverei. Drei Jahren später feiern die Eltern ihre Freiheit, bauen sich eine Existenz auf und sorgen dafür, dass ihre Tochter eine gute Schulausbildung bekommt – und das nötige Selbstbewusstsein, um für ihre Rechte einzustehen.
Ihre erste Schlagzeile erzeugt Ida B. Wells, als sie sich am 4. Mai 1884 in ein Damenabteil der Bahn setzt, das in den Augen der Bahnmitarbeiter weißen Frauen vorbehalten ist. Das Zugpersonal zerrt die Lehrerin mit Gewalt raus, doch Wells erstreitet später 500 Dollar Schadenersatz vor Gericht.
Und Ida B. Wells kämpft weiter, denn die Hoffnung der Schwarzen auf Gleichberechtigung nach dem Ende der Sklaverei wird nicht erfüllt. Der Rassismus gipfelt in Lynchjustiz, durch die tausende Schwarze willkürlich getötet werden. Ida B. Wells schreibt über die Ungerechtigkeit, das kostet sie ihren Job als Lehrerin. Doch sie gibt nicht auf und sorgt als Journalistin dafür, dass die Gräueltaten auch im Ausland bekannt werden und so der Druck auf die USA erhöht wird, gegen die Lynchmorde aktiv zu werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Offiziell gab es den Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze nie – aber 429 Menschen ließen ihr Leben bei dem Versuch, vor der DDR-Diktatur zu fliehen. Einer der Verantwortlichen: Erich Honecker.
Selbst Mauerbau, Stacheldraht-Zäune und Selbstschussanlagen halten DDR-Bürger nicht ab, in den Westen zu fliehen. Das will die SED verhindern und setzt auf rigide Überwachung. Für die rund 1.500 Kilometer lange innerdeutsche Grenze werden rund 50.000 Grenzsoldaten benötigt, die meisten von ihnen sind Wehrpflichtige.
Ein Schwerpunkt ihrer Ausbildung liegt in Schießübungen. Und auch wenn es keinen "offiziellen Schießbefehl" gibt, so wird den Rekruten unmissverständlich klargemacht: Auf Flüchtlinge, Landsleute, sollen die Grenzbewacher – als letztes Mittel – mit ihren Waffen feuern.
Am 3. Mai 1974 bekräftigt SED-Generalsekretär Erich Honecker im Nationalen Sicherheitsrat, es seien "die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen". Eine fatale Anweisung: Mehr als 400 Menschen kommen bei Fluchtversuchen ums Leben. Sie werden erschossen, ertrinken oder von Minen und Selbstschussanlagen getötet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Vor jeder Premiere war er krank vor Nervosität: Dabei war Giacomo Meyerbeer schon zu Lebzeiten ein Star-Komponist und Erfinder der "Großen Oper". Am 2.5.1864 stirbt er in Paris.
Am 5. September 1791 wird er bei Berlin als Jakob Meyer Beer in eine großbürgerliche jüdische Familie geboren. Später zieht er den zweiten Vor- und den Nachnamen zu Meyerbeer zusammen.
Die Bildungschancen des jungen Meyer sind gut. Er wird ausschließlich von Privatlehrern unterrichtet, sein musikalisches Talent fördern die Eltern gezielt. Meyerbeer reüssiert als Pianist, zielt aber früh auf eine Karriere als Komponist für die Oper. In Italien kann er seine ersten Werke platzieren, wo er seinen Vornamen zu Giacomo italianisiert.
In Paris erfindet er zusammen mit Dramatiker und Theaterprofi Eugène Scribe das Genre der Grand Opéra neu, damals die Blockbuster des Musiktheaters. Für seine Leistungen wird er in Frankreich und Deutschland mit Orden und Titeln geehrt.
In die Musikgeschichte geht Meyerbeer ein als das "ängstliche Genie" – hochnervös vor jeder Premiere, um das Wohlwollen von Presse und Publikum besorgt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Holger Noltze:
Was ist wirklich passiert im verregneten Teutoburger Wald? Die Legende der Schlacht von Varus gegen "Hermann" wurde oft erzählt - die Wahrheitssuche ist akribische Forschung...
Auf dem Weg ins Winterlager gerät die römische Armee im Jahr 9 nach Christus in eine Falle: Die Germanen unter der Führung von Arminius haben die Besatzer in unwegsames Gelände gelockt, das sie nur auf kleinen Pfaden durchquerten können. Wald, Moor und Felsen lassen es nicht zu, dass die Soldaten ihre gewohnte Formation einnehmen können, so dass die Germanen nun attackieren können.
Nach drei Tagen im Kampf sind die Römer aufgerieben und ihr Anführer Varus stürzt sich – verzweifelt über die demütigende Niederlage – in sein Schwert. Arminius, der später als Hermann eingedeutscht wird, avanciert zum Helden. So will es die Legende um die Varusschlacht.
Historiker indes rätseln seit Jahren, ob sich der Kampf zwischen den Römern und Germanen tatsächlich so zugetragen haben könnte. Dank neuster Technologie liefern ausgegrabene Fundstücke neue Hinweise über die Varusschlacht, den Helden Arminius und die Frage, ob die Römer in eine Falle gelockt oder in einer Stellung angegriffen wurden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Die erste deutsche Bierbraumeisterin brachte ihrer sauerländer Familien-Marke erstaunlichen Erfolg: Rosemarie Veltins. Sie starb am 30.4.1994 im Alter von nur 56 Jahren.
Im Dorf Grevenstein bei Meschede im Sauerland steht seit 1824 eine kleine Landbrauerei, die der Familie Veltins gehört. Viele Jahre lang heißen die Brauherren Clemens, Carl oder Anton. Das ändert sich, als 1964 Rosemarie Veltins das Unternehmen übernimmt.
Ihre kleine Brauerei ist zu diesem Zeitpunkt von großen Bierproduzenten aus Ruhrgebiet umgeben. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, die vor allem Export-Biere verkauft, lässt Rosemarie Veltins nur Pils brauen. Mit dieser Besonderheit hat sie Erfolg: Zunächst beträgt der Jahresausstoß knapp 200.000 Hektoliter, 30 Jahre später sind es zwei Millionen Hektoliter. Rosemarie Veltins wird nun überall "die Bierkönigin" genannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Es ist der 29.04.1899: Der "rote Teufel" Camille Jenatzy tritt zu einem Duell auf der Straße an. Sein Ziel: Die damals magische Grenze von 100 km/h mit dem Auto knacken.
Schaulustige der besonderen Art versammeln sich auf den staubigen Straßen von Achères, einem Vorort von Paris, um Zeugen eines spektakulären Ereignisses zu werden: es sind neugierige Automobilisten. Sie sind angereist für das Autorennen, das den legendären "roten Teufel" Camille Jenatzy zur Legende machen sollte.
Jenatzy, ein charismatischer Belgier mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik und Abenteuer, ist bereits eine bekannte Persönlichkeit in der aufstrebenden Welt des Motorsports. Seine Liebe zur Geschwindigkeit und sein unerschrockener Mut machen ihn zu einem Symbol für Innovation und Kühnheit unter den Rennfahrern seiner Zeit.
Beim Duell in Achères mit seinem Dauerkonkurrenten am 29.4.1899 knackt Jenatzy die damals magische Grenze von 100 Stundenkilometern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Bei der berühmtesten Meuterei der Seefahrts-Geschichte war manches nicht wie in der Legende: Kapitän Bligh war kein Tyrann, und Fletcher Christian nicht mal der Anführer der Meuterer...
Es ist das Jahr 1789: die Besatzung des britischen Schiffes HMS Bounty rebelliert gegen ihren Kapitän William Bligh. Das Ereignis ist inzwischen zur Legende geworden und liefert Stoff für unzählige Romane und Kinofilme und prägt nach wie vor die Vorstellung vieler Menschen über das Leben auf See.
Wachoffizier Fletcher Christian wird zum berühmten Meuterer – Kapitän William Bligh zum tyrannischen Bootsführer, der seine Mannschaft drangsaliert. Deswegen, so die Erzählung, hätte sie am Ende gegen ihren Kapitän gemeutert. Doch vieles über Christian, Bligh und die Meuterei gehört ins Reich der Legenden. Sehr wahrscheinlich ist Fletcher Christian nicht einmal der Anführer der Meuterei. Und Bligh nachgewiesenermaßen kein tyrannischer Kapitän.
Als die Meuterer am 28. April 1789 Bligh und 17 treue Männer in einem winzigen Boot im Südpazifik aussetzen, war es Bligh, dem sie ihre Rettung nach 48 Tagen auf See verdanken. Er ist zu seiner Zeit einer der besten Navigatoren der Welt. Diese Überlebensfahrt gehört bis heute zu einer der außergewöhnlichsten Leistungen in der Geschichte der Seefahrt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Die neue Übergangsverfassung Südafrikas vom 27.4.1994 bedeutet eine historische Wende. Bis heute kämpft das Land mit den Folgen des rassistischen Systems.
Im Februar 1990 wird Nelson Mandela nach fast drei Jahrzehnten aus dem Gefängnis entlassen. Dieses Ereignis symbolisiert den Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika. Als Führer des "African National Congress" (ANC) kämpft Mandela gegen die rassistische Politik der Apartheid und setzt sich nach seiner Freilassung für Verhandlungen ein, die zu den ersten demokratischen Wahlen führen werden.
Die historischen Wahlen vom 27. April 1994 schließen das dunkle Kapitel der Apartheid. Mandela verkörpert als erster demokratisch gewählter Präsident wie kein anderer die Hoffnung auf Versöhnung und Einheit des Landes.
Doch wie kann die tiefe soziale und wirtschaftliche Ungleichheit als Folge der jahrzehntelangen Apartheidpolitik überwunden werden? Auch wenn die neuen demokratischen Institutionen eine Grundlage für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit schaffen, bleiben Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen bestehen.
Programme der Regierung zur sozialen Entwicklung und wirtschaftlichen Integration sind erste Schritte, die beachtliche Fortschritte erzielen. Als Vertreter afrikanischer Interessen, aber auch als Fürsprecher der Menschenrechte und des Friedens in der Welt spielt Südafrika auch auf internationaler Ebene eine zunehmend wichtige Rolle. Nach 50 Jahren rassistischer Trennungspolitik ist der Weg aber noch lang.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammüller:
Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein hat unser Denken bahnbrechend verändert. Sein Leben ist wenig glücklich, aber in jeder Hinsicht außergewöhnlich.
Ludwig Wittgenstein ist ein einflussreicher österreichischer Philosoph, der für seine Beiträge zur Logik, Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes bekannt ist. Wittgenstein, der aus einer wohlhabenden Wiener Familie stammt, spendet ein Großteil seines Erbes an Künstler und lebt fast schon asketisch. Er arbeitet zeitweise als Volksschullehrer, im Ersten Weltkrieg dient er als einfacher Soldat.
Beeinflusst von namhaften Denkern wie Bertrand Russell, veröffentlicht der exzentrische Wissenschaftler zwei bedeutende Werke: „Tractatus Logico-Philosophicus“ (1921) und „Philosophische Untersuchungen“ (1953, posthum). Wittgenstein ist fasziniert von der Frage nach dem Wesen der Sprache und ihrer Beziehung zur Wirklichkeit. In seinem Frühwerk argumentiert er, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen unserer Welt sind.
Die Person Wittgensteins ist so facettenreich wie sein Forschungsgebiet: Er ist getrieben, eigensinnig, schwer depressiv und zeitlebens suizidgefährdet. Gleichzeitig ist er genial, charismatisch und ein brillanter Kopf. Sein privates Glück findet er erst gegen Ende seines Lebens in der Begegnung mit Ben Richard.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Die Nelkenrevolution in Portugal am 25.4.1974 beendet die bislang am längsten dauernde Diktatur Europas mit einem friedlichen Militärputsch. Am Ende siegt die Demokratie.
In der Nacht zum 25. April 1974 geht ein Lied über den katholischen Rundfunk in Lissabon: "Grândola, Vila Morena". Es ist das verabredete Signal für den Militärputsch der "Bewegung der Streitkräfte", einem Zusammenschluss regimefeindlicher Offiziere.
Als sie die Hauptstadt Lissabon besetzen, steckt die begeisterte Bevölkerung den Soldaten rote Nelken in die Gewehrläufe. Der Umsturz nach 47 Jahren Faschismus verläuft weitestgehend unblutig. Regierungstreue Truppen schießen allerdings auf unbewaffnete Demonstranten, vier davon sterben.
Einer der wichtigsten Oppositionspolitiker während der Diktatur ist Mário Soares. 1970 verlässt er Portugal und geht ins Exil. Am 28. April 1974, drei Tage nach der Nelkenrevolution, kommt Soares zurück nach Lissabon. Er begleitet federführend den Gang Portugals in die Demokratie. Nach den ersten Präsidentschaftswahlen nach der Diktatur stellt die sozialistische Partei unter Soares die Regierung,
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Rubinich:
Am 24.4.1974 erschüttert die Verhaftung des DDR-Spions die BRD. Zwei Wochen später tritt Willy Brandt zurück. War Günter Guillaume aus Sicht der Stasi eine Top-Quelle?
Es ist einer der bedeutendsten Spionagefälle der deutschen Geschichte und liest sich fast wie Fiktion: Am 24. April 1974 wird Günter Guillaume verhaftet. Als Maulwurf hat der ostdeutsche Agent sich bis in die höchsten politischen Kreise der Bundesrepublik Deutschland eingeschleust und schließlich als persönlicher Referent Willy Brandts gedient.
Die Enthüllung von Guillaumes Doppelleben löst einen politischen Skandal aus. Obwohl Brandt betont, nichts von Guillaumes Tätigkeiten gewusst zu haben, übernimmt er die politische Verantwortung für den Skandal und tritt im Mai 1974 von seinem Amt als Bundeskanzler zurück.
Die Verhaftung hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Ost und West. Sie führt zu einem erheblichen Vertrauensverlust zwischen den beiden deutschen Staaten und erschwert die Bemühungen um eine Annäherung und Entspannungspolitik.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Ein kurioser Mini-Staat entsteht am 23.4.1949 in der Eifel: "Bollenien" nennt man bald die belgische Verwaltungszone. "Hauptstadt" ist ein Dörfchen bei Aachen...
Vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, am 23. April 1949, annektiert Belgien einen schmalen Streifen entlang der deutsch-belgischen Grenze. Dazu zählen unter anderem der Aachener Stadtteil Bildchen, die Gemeinde Losheim, Hemmeres und einige Höfe im Monschauer Stadtteil Kalterherberg. Das neue Gebiet ist ein 20 Quadratkilometer großer Flickenteppich, den die 1.000 Einwohner Bollenien nennen – nach dem Militärverwalter der neuen Zone, General Paul Bolle.
Unglücklich sind die Bollenier nicht über ihre neue Staatszugehörigkeit. Die belgische Regierung lässt Telefon- und Stromanschlüsse verlegen, Häuser anstreichen und eine Brücke über die Our bauen. Und im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der neuen Zone noch keine Fahrprüfungen. Wer 18 Jahre alt ist, darf Auto fahren.
Als Bollenien neun Jahre später wieder zurück an die Bundesrepublik fallen soll, weigern sich einige vehement gegen den neuerlichen Wechsel der Staatszugehörigkeit – unter anderem mit einem Protest-Telegramm an Kanzler Konrad Adenauer.
In diesem Zeitzeichen erzählen Markus Harmann und Joachim Heinz:
103 Jahre alt wurde Rita "la professoressa" Levi-Montalcini, Entdeckerin des Nervenwachstumfaktors. Zur Welt kam die Medizin-Nobelpreisträgerin am 22.4.1909 in Turin.
Rita Levi-Montalcinis Entdeckungen auf dem Gebiet der Neurobiologie gelten als bahnbrechend. Die herausragende italienische Neurologin und Zellbiologin wird am 22. April 1909 in Turin geboren und wächst in einer wohlhabenden jüdischen Familie auf.
Gemeinsam mit Stanley Cohen erhält Levi-Montalcini 1986 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors (NGF), einem Botenstoff, der das Wachstum von Nervenzellen stimuliert. Dies revolutioniert das Verständnis für Entwicklung und Funktion des Nervensystems und hat weitreichende Auswirkungen auf die Neurobiologie und die Medizin im Allgemeinen.
"La professoressa", wie sie in Italien bewundernd genannt wird, ist eine unerschrockene Pionierin, die trotz der Hindernisse, mit denen sie als Frau und Jüdin während des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs in Italien konfrontiert ist, unermüdlich für wissenschaftliche Erkenntnisse kämpft. Sie sagt: "Im Leben sollte man niemals nachgeben, sich dem Mittelmaß hingeben, sondern sich aus jener Grauzone herausbewegen, in der alles Gewohnheit und passive Resignation ist. Man muss den Mut haben, zu rebellieren." Und dies tut sie, bis zu ihrem Tod mit 103 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Am 21.4.1989 startet der "Game Boy" mit bereits veralteter Technik - und trotzdem verändert er die (Videospiel-)Welt: Spielen wird überall und jederzeit möglich.
Der "Game Boy" ist lange Zeit weltweit die meistverkaufte Spielkonsole. Und das, obwohl seine technische Ausstattung schon bei der Markteinführung 1989 sehr zu wünschen übrig lässt. Während die Konkurrenz fast zeitgleich mit großzügigen Farbbildschirmen und deutlich komplexerer Grafik aufwarten kann, besitzt der "Game Boy" nur einen grün-schwarzen Mini-Monitor.
Auch der Hauptprozessor ist bei seinem Einbau in das Gerät bereits 15 Jahre alt. Er wird Ende der 1980er-Jahre eigentlich nur noch für die Steuerung von Wasch- und Nähmaschinen verwendet.
Aber diese reduzierte technische Ausstattung ist für den "Game Boy" kein Nachteil. Im Gegenteil: Handhelds – Spielkonsolen, die nicht an den Fernseher gekoppelt werden müssen, sondern überall hin mitgenommen werden können – sind damals eine Innovation. Der Game Boy punktet gegenüber Konkurrenzprodukten mit der viel längeren Batterielaufzeit und dem verhältnismäßig günstigen Preis - so wird er zum Massenprodukt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Fritz Schaefer:
Die Tat von zwei Schülern in Littleton im US-Bundestaat Colorado erschütterte die USA. Eine Tragödie, die als Wendepunkt in der Geschichte der Vereinigten Staaten gilt.
Eric Harris und Dylan Klebold müssen sich monatelang vorbereitet haben: Laut Polizeibericht betreten sie um 11.14 Uhr ihre Schule und schießen um sich. Zunächst in der Cafeteria, dann gehen der 17- und 18-Jährige in die Bibliothek. In weniger als einer Stunde töten sie zwölf Schülerinnen und Schüler und einen Lehrer. Danach erschießen sie sich selbst.
Die Menschen in den USA und der ganzen Welt sind geschockt. Der damalige Präsident Bill Clinton ahnt schon kurz nach der Tat: "Wir kennen noch nicht alle Gründe für diese Tragödie, und vielleicht werden wir sie auch nie ganz verstehen." Er soll Recht behalten. In der Folge wird jedes Detail im Leben der Täter analysiert. Gewaltverherrlichende Musik und so genannte Ego-Shooter-Computerspiele geraten ebenso wie die laxen Waffengesetze der USA als mögliche Treiber für den Amoklauf in Verdacht.
Viele der ersten Spekulationen werden später widerlegt, aber bis heute beschäftigen sich Forschende mit den Vorfällen an der Columbine High School, um die Täter besser zu verstehen und so zu verhindern, dass es Nachahmer gibt. Auch der 19-Jährige, der 16 Menschen und sich selbst 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt tötet, hat zuvor zu Columbine recherchiert – genauso wie der 17-jährige Amokläufer von Winnenden.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Er entdeckte Udo Jürgens. Er zog die Fäden im Hintergrund des Mediengeschäfts und der Schlagerbranche: Hans Rudolf Beierlein, geboren am 19.4.1929.
Der Gourmet und Frankreichliebhaber Hans R. Beierlein pflegt mit allergrößter Sorgfalt seine Kontakte zur französischen Musikelite, schafft es auch, Deutschland-Tourneen für die französischen Top-Stars zu organisieren.
Der Kritik, dass er keine Ahnung von Musik habe, begegnet Beierlein mit der pragmatischen Antwort, es sei seine Aufgabe, aus Musiknoten Banknoten zu machen.
Udo Jürgens und Hans R. Beierlein begegnen sich 1963 das erste Mal. Da ist Udo Jürgens ziemlich mutlos. Seine Platten verkaufen sich nicht, er möchte nicht mehr singen, nur noch komponieren. Beierlein erkennt sofort das große Potenzial des Klagenfurters und nimmt ihn unter seine Fittiche. Udo Jürgens gewinnt 1966 den Grand Prix Eurovision de la Chanson. Es ist der Start seiner Weltkarriere.
2014 verkauft Hans R. Beierlein die Rechte an allen 6.000 Musiktiteln seines Musikverlags Montana und zieht sich ins Private zurück. Im August 2022 stirbt er mit 93 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Täglich judenfeindliche Parolen: Das ist Aufgabe der "Orient-Redaktion", die im April 1939 im Auftrag der Nationalsozialisten ihre Arbeit aufnimmt. Die Propaganda wirkt.
Die fremden Klänge, die der deutsche Radiosender bringt, sind nicht für das heimische Publikum gedacht. Sie beschallen den arabischen Raum von Nordafrika bis in den Nahen Osten.
Sie zielen besonders auf Palästina, wo Muslime damals fürchten, Juden könnten einen eigenen Staat errichten, wenn die Mandatsmacht Großbritannien abgezogen wird. Ein Regionalkonflikt, den die nationalsozialistischen Machthaber mithilfe judenfeindlicher Hetze im Kurzwellenradio anheizen.
In Königs Wusterhausen, knapp 40 Kilometer südlich von Berlin, besitzen die Nationalsozialisten den leistungsstärksten Kurzwellensender der Welt. Sie sind in der Lage, Radioprogramme um den halben Globus zu funken.
Mit enormem Aufwand lassen Hitlers oberster Propagandist Joseph Goebbels und Reichspressechef Otto Dietrich die sogenannte "Orient-Redaktion" einrichten. 80 Mitarbeiter werden verpflichtet, Texter, Übersetzer, Sprecher – türkische, persische und vor allem Arabisch-Muttersprachler.
Die antisemitische Hasspropaganda verschwindet mit Kriegsende aus dem Äther. Einen Nachhall hat sie bis heute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Ausgerechnet Stalins Erbe, der selbst Teil von Stalins Terrorapparat war, räumte mit den Verbrechen seiner Genossen auf. Geboren wurde er 1894 als Sohn eines armen Bauern.
Ausgerechnet der politische Erbe Stalins, Nikita Chruschtschow, der selbst Teil des stalinistischen Terrorapparates war, räumt mit den Verbrechen seiner Genossen auf und betreibt die Entstalinisierung.
Mit 15 Jahren wird der ungebildete Bauernsohn Chruschtschow Bergmann, später Gewerkschaftsfunktionär. An der Moskauer Arbeiter-Akademie gelangt er in Stalins Dunstkreis. Im Zweiten Weltkrieg ist Chruschtschow Parteichef der Ukraine. Bei Kriegsende wird er einmal mehr zum Schlächter im Auftrag Stalins. Er ist verantwortlich für die Rache an wirklichen oder vermeintlichen Kollaborateuren.
Gegen den Rivalen USA schaffen die Sowjets 1957 im Weltraum mit dem Satelliten Sputnik einen Etappensieg. Real und verbal rüstet Chruschtschow mächtig auf. Doch wirtschaftlich können die Sowjets nicht mithalten. Und in der Kuba-Krise beweist Chruschtschow, dass er keinen Krieg will und in letzter Minute die Einigung mit US-Präsident Kennedy sucht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Für seine Serumtherapie gegen Diphterie erhält der Mediziner Emil von Behring 1901 den Nobelpreis. Am 16. April 1914 eröffnet er die Behringwerke Marburg und Bremen.
Mit dem japanischen Arzt und Bakteriologen Kitasato Shibasaburō und dem deutschen Mediziner und Forscher Paul Ehrlich entwickelt der deutsche Mediziner, Immunologe, Serologe und Unternehmer Emil Behring Arzneimittel gegen die Diphtherie. Nach dem Erhalt des ersten Nobelpreises für Physiologie oder Medizin wird er von Kaiser Wilhelm II. geadelt und heißt von da an Emil von Behring.
1914 kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden Kaufleute in Bremen auf Behring aufmerksam. Behring hat gerade auf einem Kongress seine Arbeiten zu einem vorbeugenden Diphtherieimpfstoff vorgestellt.
Am 16. April 1914 werden in Bremen und Marburg die Behringwerke eröffnet.
Für die Entwicklung eines Gegengiftes gegen den Wundstarrkrampf (Tetanus) wird Behring in der Presse als "Retter der Kinder" und als "Retter der Soldaten" gerühmt. Tetanus ist bis dahin eher als Tierkrankheit bekannt, aber verunreinigte Erde in den Schützengräben sorgt dafür, dass allein in den ersten Kriegsmonaten über 1.600 Soldaten an Wundstarrkrampf sterben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Kontakt zu Kunst steigert die Lebensqualität - davon ist Karl Ernst Osthaus überzeugt. Viele Ideen setzt der 15.4.1874 geborene Kunstmäzen in seiner Heimatstadt Hagen um.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts will Karl Ernst Osthaus mit seinem Erbe von drei Millionen Mark – heute wären das ungefähr 30 Millionen Euro - die Welt verändern. Sein Ziel ist "die kulturelle Hebung des industriellen Westens".
Diese Aufgabe soll durch mehrere Institute erfüllt werden. Eine dieser Institutionen ist das Folkwang-Museum, das der Bankierssohn 1902 in Hagen gründet und das sich heute in Essen befindet.
In Hagen gründet Osthaus außerdem eine Malschule, das "Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe", eine Zentrale für Design-Wanderausstellungen, den Folkwang-Verlag. Und er hat noch weitere Pläne.
Ein Heilsbringer ist Osthaus allerdings nicht. Er ist antisemitisch eingestellt und gehört entsprechenden Gruppierungen an. 1916 wird er zum Militär eingezogen, erkrankt an Tuberkulose und wird beurlaubt. Schließlich stirbt Osthaus 1921 in einem Lungensanatorium in Meran mit nur 46 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Berit Hempel:
Das Insektenvernichtungsmittel DDT gilt in den 60ern als Wunderwaffe. Rachel Carsons (gestorben am 24.4.1964) "Der stumme Frühling" warnt vor den Gefahren - mit Erfolg.
Sie gilt als eine der Wegbereiterinnen der Umweltbewegung. Die Biologin Rachel Carson macht sich Anfang der 1960er-Jahre die mächtige Chemieindustrie der USA zur Feindin.
Ihr Sachbuch "Silent Spring" ("Der stumme Frühling") erscheint im Sommer 1962. Darin zeigt die Wissenschaftlerin auf: Dort wo Pestizide eingesetzt worden sind, haben die Vögel aufgehört zu singen. Der gedankenlose massive Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln auf den Feldern - aber auch in Gärten und innerhalb der Häuser - ist keineswegs harmlos. Seit Jahren recherchiert die Biologin zu den Folgen des Einsatzes des Insektenvernichtungsmittels DDT auf Menschen und Umwelt.
US-Präsident John F. Kennedy liest das Buch und setzt eine wissenschaftliche Kommission ein, um die Vorwürfe zu untersuchen. Die Folge: In den USA wird DDT schließlich verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Als der "Vater der Atombombe", J. Robert Oppenheimer, die Wasserstoffbombe ablehnt, muss er vor der US-Atomkommission erscheinen. Die Anhörung beginnt am 13.4.1954.
Im Jahr 1942 starten die amerikanische Regierung und das Militär ein geheimes Atomforschungsprojekt. Sie übertragen J. Robert Oppenheimer die wissenschaftliche Leitung. Der Physiker wird zum "Vater der Atombombe". Seine Erfindung trägt wohl zum Ende des 2. Weltkriegs auch in Japan bei - und sie kostet 1945 mehr als 200.000 Menschen das Leben.
Oppenheimer begreift, dass er maßgeblich dazu beigetragen hat, die Welt grundlegend und für immer zu verändern. Er versucht daraufhin, die wissenschaftliche und politische Kettenreaktion zu stoppen und spricht sich deutlich gegen den Bau der Wasserstoffbombe aus - und damit gegen die Weiterentwicklung der tödlichen Technologie.
Diese Haltung bringt Oppenheimer Ärger ein. Am 13. April 1954 beginnt eine Anhörung vor der US-Atomkommission - dem Physiker wird unter anderem vorgeworfen, mit dem Kommunismus zu sympathisieren. Nach vier Wochen zermürbender Verhöre wird er aus allen geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen.
Zwar wird diese Untersuchung Ende 2022 offiziell für fehlerhaft erklärt und aufgehoben, für Oppenheimer kommt das jedoch zu spät. Er stirbt bereits im Februar 1967.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Im Widerstand verbunden: am 12.4.1944 wehren sich in den Cevennen 120 Franzosen und Deutsche gemeinsam und erfolgreich gegen 2.000 SS-Männer und Vichy-Polizisten.
Die südfranzösischen Cevennen sind ein besonderer Ort des 2. Weltkriegs. Denn hier kämpfen Deutsche auf beiden Seiten: Als Besatzungstruppen und gegen die Besatzer.
Es ist der 12. April 1944, als rund 2.000 gut bewaffnete Männer von SS und Vichy-Polizei auf der Bergkette versuchen, die Résistance zu stellen. Ziel ist das Ausbildungslager "Picharlerie". In dem abgelegenen Gehöft haben sich 120 weit schlechter ausgestattete Maquisarden - wie sich die zivilen Widerstandskämpfer nennen - verschanzt.
Sie nutzen ihre Ortskenntnis, um die Besatzer und ihre französischen Hilfstruppen in eine Falle zu locken. Deren schweres Gerät ist im unwegsamen Gelände keine Hilfe; die Angreifer erleiden hohe Verluste. Fast alle Widerstandskämpfer können dagegen in der Nacht durch die feindlichen Reihen entkommen; sie haben nur drei Tote zu beklagen.
Sechs Wochen später sind die Nazi-Truppen bei der "Bandenbekämpfung" erfolgreicher: Es gelingt ihnen bei La Parade fast 70 Maquisarden einzukreisen - und später brutal zu ermorden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Am 11. April 1909 trafen sich rund 60 Familien auf den Sanddünen nördlich von Jaffa und gründeten Tel Aviv Heute gilt die Stadt als weltoffene Metropole.
Eine alte Fotografie zeigt die Sanddünen nördlich von Jaffa: Mitten in den Dünen, dicht gedrängt, steht eine Gruppe von Menschen im Kreis. Die Frauen tragen schwarze Röcke, die Männer Anzug und Melonenhut, dazwischen Kinder. Es sollen der Legende nach genau 60 Familien sein, die sich am 11. April 1909 dort treffen.
Der Grund: Der zionistische Verein Achusat Bait - zu deutsch: Hausbaugesellschaft - hat rund neun Hektar Dünengelände von einem arabischen Scheich gekauft. Die Fotografie hält jenen Augenblick fest, als Akiva Arieh Weiss die Parzellen unter den Mitgliederfamilien der Achusat Bait verlost.
Das Ziel: Es soll eine Gartenstadt gebaut werden, die aus schindelgedeckten Häusern mit kleinen Gärten besteht - eine neue Stadt mit breiten, sauberen, ruhigen Straßen als Gegenmodell zur überfüllten und lauten Hafenstadt Jaffa.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach: