Der tägliche Podcast über Geschichte von der Antike bis heute, über Europa und die Welt, über die Geschichte der Menschheit: 15 Minuten zu historischen Persönlichkeiten und Erfindungen. Von George Washington bis Rosa Luxemburg, vom Büstenhalter bis Breaking Bad.
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Er will Chorsänger werden. Tänzer. Schauspieler. Stattdessen wird er Märchendichter. Seine Märchen bringt er zu Papier, als würde er sie erzählen – und wird weltberühmt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Gehorsam Menschen Stromstöße verabreichen: Wie weit gehen wir? Psychologe Stanley Milgram (gestorben 20.12.1984) veränderte die klassische Vorstellung von Gut und Böse.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Der Zirkus Knie ist eine Schweizer Institution - und einer der ältesten seiner Art. Gegründet wird er vom Sohn des Leibarztes von Kaiserin Maria Theresia.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Legendäre Filmszene: Ein Mann läuft panisch durch in ein Maisfeld und wird aus einem Sprüh-Flugzeug beschossen. Am 18.12.1959 startet Hitchcocks Film im deutschen Kino.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Kultur statt Kinder und ein skandalöser Glaubenswechsel: Christina lebt nach ihren Regeln. Am 17.12.1644 übernimmt sie die Regierung und plant dabei schon ihre Abdankung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Einst königliche Residenz, heute fast vergessen: Der Tuilerienpalast in Paris. Untergegangen im Feuersturm der Revolution. Seine Überreste sind über die ganze Welt verstreut.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Napoleon ist schwer verliebt, trotzdem löst er am 15.12.1809 mit einer offiziellen Zeremonie die Ehe zu Kaiserin Joséphine. Ihre besondere Beziehung bleibt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Fast sieben Jahrzehnte lang teilte die US-kontrollierte Kanalzone das mittelamerikanische Land. Am 14.12.1999 geht der Panamakanal mit einem Festakt an Panama zurück.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Am 13.12.1974 bereiten sich die Gläubiger der Herstatt-Bank auf eine Versammlung in Köln vor. Bekommen sie ihre Ersparnisse zurück, mit denen die Banker gezockt hatten?
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Die Entscheidung vom 12.12.1979 folgt der alten römischen Logik: Willst du Frieden, bereite den Krieg vor. Die Bundesregierung zerbricht auch an der Frage der Stationierung von Atomraketen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Reinartz:
Zehn Jahre klaut ein Mitarbeiter Bücher im Wert von 40 Millionen Euro aus der Königlichen Bibliothek. Erst Jahrzehnte später, im Dezember 2004, ist der Fall endgültig abgeschlossen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Julia Schäfer:
Als er die Lösung fand, fühlte sich Max Born wie ein Seefahrer nach langer Irrfahrt. Der Physik-Nobelpreis als Anerkennung ließ bis zum 10.12.1954 lange auf sich warten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Als falsche Königing Beatrix, als "Hurz"-Perfomer, als Bestseller-Autor vom Jakobsweg, als Junge, der mal an die frische Luft muss: Hape Kerkeling gehört zu den beliebtesten Komikern der Deutschen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Fritz Schaefer:
Sein bestes Werk, so der italienische Komponist Verdi: Sein im Dezember 1899 gegründetes "Haus des Ausruhens", in dem Musikschaffende im Alter auf Gleichgesinnte treffen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Holger Noltze:
Der erste Bundespräsident thematisiert die Nazi-Verbrechen, spricht in seiner Rede vom 7.12.1949 von deutscher "Kollektivscham" und entschärft die Kollektivschuld-These.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Kaffee, Kuchen - und ostasiatische Kampfkunst: Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in London am 6.12.1909 machen sich die "Suffragetten", Aktivistinnen fürs Frauenwahlrecht, fit für ihren Kampf.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Vor 540 Jahren, genau am 5.12.1484, besiegelt Papst Innozenz VIII. ein Unheil bringendes Schreiben. Als so genannte Hexenbulle wird es in die Geschichte eingehen.
Mit den Worten "Summis desiderantes affectibus", was so viel bedeutet wie "In unserem sehnlichsten Wunsch", fordert Papst Innozenz VIII. die konsequente Bekämpfung von Zauberei und Hexerei. Am 5. Dezember 1484 erlässt er dazu ein Dokument, das die Grundlage für zahllose Hexereiprozesse in Europa bildet.
Das Papstschreiben richtet sich direkt an die Kirche und fordert alle Geistlichen auf, die Arbeit der Inquisitoren bei der Jagd nach Hexen und Hexern zu unterstützen. Es ist der Auftakt zu einer dunklen Ära der Verfolgung, in der düstere Abhandlungen über Hexerei, wie der berüchtigte "Hexenhammer" des Inquisitors Heinrich Kramer, weite Verbreitung finden.
Kramer nutzt die Bulle, um vor allem gegen Frauen vorzugehen und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Ideologie hinter den Hexenprozessen gefestigt wird. Eine Welle von Verdächtigungen und Anklagen ist die Folge, die Prozesse vor weltlichen Gerichten arten in einen Hexenwahn mit erfolterten Denunziationen aus. Bis zu 50.000 Menschen sterben im Zuge der Hexenverfolgung in Europa - meist Frauen, die verbrannt, geköpft oder auf andere grausame Weise getötet werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Nie war das Osmanische Reich größer als unter Süleyman. Im Abendland sorgt er für die Türkenfurcht, der "Schrecken Europas" erhält hier aber auch den Beinamen "der Prächtige".
Er ist ein Mann der Superlative: Süleyman I., Sultan des Osmanischen Reiches, vereint das Schwert eines Feldherrn mit der Feder eines Dichters. Unter seiner Regentschaft erlebt das Reich im 16. Jahrhundert seine größte Ausdehnung – vom Herzen Europas bis in den Nahen Osten.
Die Eroberung Bagdads im Jahr 1534 markiert dabei einen entscheidenden Triumph. Die alte Hauptstadt der Abbasiden wird nach blutigen Kämpfen den schiitischen Safawiden entrissen, die zuvor sunnitische Heiligtümer geschändet hatten. Süleyman, der von seinen Zeitgenossen in Europa "der Prächtige" und in seiner Heimat "der Gesetzgeber" genannt wird, lässt die Stadt wieder aufbauen und sichert sie als eines der wichtigsten Zentren seiner Herrschaft.
Doch sein Erbe reicht weit über militärische Siege hinaus: Süleyman schafft ein Gesetzeswerk, das das Osmanische Reich jahrhundertelang prägt, und verleiht Istanbul mit prächtigen Bauten ein unverwechselbares Antlitz.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Grausame Piraten, Ärzte mit gespaltener Persönlichkeit, entführte Söhne aus den Highlands - sie bevölkern die Romane von Robert Louis Stevenson. Die entstehen in Teilen auf Samoa in der Südsee. Hier stirbt Stevenson am 3.12.1894.
Er ist ein Reisender, ein Chronist der Abenteuer und ein Mann, der sich nie mit Konventionen zufriedengibt: Robert Louis Stevenson. Bekannt für Klassiker wie "Die Schatzinsel" und "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" hinterlässt der schottische Autor ein Leben voller Geschichten – und Geschichten voller Leben.
Stevenson wächst in Edinburgh auf, geplagt von einer schweren Lungenerkrankung und dem strengen Glauben seiner puritanischen Kinderfrau. Doch weder seine schwache Gesundheit noch die Erwartungen seiner Familie, wie sein Vater und Großvater Leuchtturmbauer zu werden, können seinen Drang nach Freiheit und Kreativität zügeln.
Seine Werke spiegeln diese Rastlosigkeit wider: Stevensons Literatur ist geprägt von Abenteuerlust und philosophischer Tiefe, vom Spiel mit Moral und Identität und zeugen von seiner unerschöpflichen Neugier auf die Welt und das, was den Menschen ausmacht. Mit seiner Familie verschlägt es ihn schließlich in die Südsee, wo er sein letztes Zuhause findet. Hier schreibt er an einem seiner ehrgeizigsten Werke, bis er 1894 plötzlich stirbt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Der Protest einer Nigerianerin eskaliert nach dem 2.12.1929 zum Krieg tausender Frauen gegen die britische Kolonialherrschaft. Die gerät stärker ins Wanken als je zuvor.
Ab 1861 erobern die Briten Nigeria. 1914 erklären sie das westafrikanische Land zur Kolonie. Weil ihre Gewinne nicht so hoch ausfallen, wie sie erwartet haben, müssen die Einheimischen auch noch Steuern bezahlen. Das betrifft nur die Männer und zunächst nur jene im Norden Nigerias. Doch 1928 sind auch die Männer in den südöstlichen Provinzen rund um das Niger-Delta an der Reihe - ungeachtet erster Proteste.
Im November 1929 bringt eine Volkszählung das Fass zum Überlaufen. Es verbreitet sich das Gerücht, auch Frauen würden künftig besteuert - woher die Frauen das Geld nehmen sollen, ist unklar. Frauen-Gruppen verlangen eine schriftliche Erklärung, dass sie steuerfrei bleiben.
Am 2. Dezember 1929 wird der örtliche Vertreter der Kolonialverwaltung des Dorfes Oloko seines Amtes enthoben und inhaftiert, um die Lage zu beruhigen. Doch das passiert nicht. Mehrere tausend Frauen nehmen an Großdemonstrationen teil, bewaffnet mit Palmwedeln und Zweigen. Die Proteste gipfeln im Massaker von Egwanga: Mehr als 2.000 Frauen sind gekommen, um für ihre Forderungen zu kämpfen. Mehr als 30 Frauen werden von Soldaten erschossen.
Es werden Untersuchungen eingeleitet. Nach ihrem Abschluss müssen viele britische Vertreter ihren Hut nehmen. Die einheimischen Frauen bekommen mehr Rechte. Organisierten Protest von Frauen gibt es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder. Auch nachdem Nigeria ab 1960 unabhängig ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Der heutige Adventskranz ist jung: Seit den 50er Jahren ist er das Symbol für die Vorweihnachtszeit. Am 1. Dezember 1839 hängt Johann Hinrich Wichern den ersten hölzernen Ring mit 24 Kerzen auf.
Der Theologe Johann Hinrich Wichern gründet 1833 in Hamburg das "Rauhe Haus". Dort sollen verarmte und verhaltensauffällige Kinder eine Ausbildung erhalten. Vor allem aber will Wichern ihnen den christlichen Glauben näher bringen.
Damit die Jugendlichen das Licht der Geburt Jesus erfahren, hängt Wichern 1839 ein Wagenrad mit 24 Kerzen im Gebetsraum auf. Jeden Tag zünden sie eine Kerze mehr an und jeden Tag wird es heller. "Brennt der volle Kranz mit allen 24 Lichtern, dann ist er da, der heilige Christ in all seiner Herrlichkeit", so Wichern.
Vom Rauhen Haus aus verbreitet sich der Kranz in den folgenden Jahren in andere protestantische Einrichtungen. Erst 1925 soll erstmals ein Adventskranz in einer katholischen Kirche in Köln erblickt worden sein. Allerdings nur noch mit vier Kerzen für die vier Adventssonntage, dafür mit Tannengrün geschmückt - so, wie der Adventskranz seinen Weg in deutsche Wohnzimmer findet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Hans Krása ist auf dem besten Weg, einer der führenden Komponisten im 20. Jahrhundert zu werden. Die Nationalsozialisten beenden seine Karriere und nehmen ihm das Leben.
Hans Krása wird am 30. November 1899 in Prag geboren. Finanzielle Sorgen kennt die Familie nicht. Krása lernt Klavier und Geige bei führenden Prager Musikern. Mit elf Jahren komponiert er ein erstes Orchesterstück, etwas später ein Streichquartett. Krásas Karriere verläuft im Eiltempo. Für seine Oper "Verlobung im Traum" wird er 1933 mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis ausgezeichnet.
Es ist eines von nur zwei Werken, das Krása für die Opernbühne komponiert. Die Kinderoper "Brundibár", schreibt er 1938 für einen Wettbewerb des tschechoslowakischen Bildungsministeriums. Dieser findet wegen des Kriegsausbruchs keinen Sieger. Stattdessen erlangt "Brundibár", ursprünglich ein hoffnungsvolles Werk über den Sieg des Guten über das Böse, im Konzentrationslager Theresienstadt traurige Berühmtheit.
Nachdem Krása 1942 wegen seiner jüdischen Wurzeln dorthin deportiert wird, führt er die Kinderoper unter den erbärmlichen Lagerbedingungen mehr als 50 Mal auf. In einem Propagandafilm zeigen die Nazis "Brundibár" als Beleg für das "lebendige Kulturleben" in Theresienstadt.
Krása selbst ist seit seiner Deportation ein gebrochener Mann. Dennoch gibt er nicht auf, organisiert Konzerte und komponiert weitere Werke. Bis im Oktober 1944 Theresienstadt mit einem Schlag nahezu verstummt. Hans Krása wird zusammen mit vielen weiteren Musikerkollegen nach Auschwitz verlegt und dort ermordet – da ist er noch keine 45 Jahre alt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Friedrich Koenig hieß der deutsche Erfinder der dampfgetriebenen Zylinderpresse. Die Schnelligkeit des Drucks war revolutionär. Am 29. November 1814 wurde "The Times" erstmals mit der Schnellpresse gedruckt.
Was heute im britischen Parlament besprochen wird, ist bei der Londoner "Times" schon am nächsten Morgen zu lesen - bei den anderen Zeitungen dagegen erst am übernächsten Tag. Dank der Schnellpresse brechen für das Blatt goldene Zeiten an und in ganz Europa boomt der Zeitungsmarkt: Es ist der Beginn der Massenblatt-Ära.
Die technische Revolution ist zugleich der Höhepunkt im Leben von Friedrich Koenig. Denn der 1774 in Eisleben als Sohn eines Bauern geborene Unternehmer ist der Erfinder dieser buchstäblichen "Zeit-Spar-Maschine".
Schon 1802 kommt der junge Koenig auf die Idee mit der neuen Druckpresse, doch anfangs will davon niemand etwas wissen. Erst John Walter von der "Times" erkennt 1814 die Zeichen der Zeit und bestellt zwei der Doppelzylinderdruckpressen. Damit verschafft der Verleger seiner Zeitung einen entscheidenden Vorsprung gegenüber der Konkurrenz.
Die Original "Times"-Schnellpresse ist etwa 3,50 Meter lang, knapp zwei Meter hoch und komplett aus Metall. Das Auftragen der Druckerschwärze besorgt die Maschine selbstständig mit Färbewalzen. Mit mehr als 1.000 Bogen pro Stunde ist Koenigs Apparat viermal so schnell wie die herkömmlichen handbetriebenen Druckapparate - bei halbem Personaleinsatz.
In diesem Zeitzeichen erzählt Stephan Beuting:
F.W. von Steuben (gestorben am 28.11.1794) wird vermutlich wegen seiner Homosexualität aus dem preußischen Militär entlassen. Dann spielt er eine entscheidende Rolle im US-Unabhängigkeitskrieg...
Der preußische Ex-General Friedrich Wilhelm von Steuben von ist gerade zum wiederholten Male entlassen worden und braucht dringend einen neuen Job.
Auf der anderen Seite des Atlantiks verzweifelt zur gleichen Zeit George Washington an seiner Bauernarmee. Mit diesen ungehorsamen Männern, die zur Erntezeit einfach nach Hause fahren, lässt sich die englische Krone nicht besiegen. Einen preußischen Militärexperten könnten die neu gegründeten Vereinigten Staaten gut gebrauchen - also reist Friedrich Wilhelm von Steuben nach Amerika.
Dort bringt der Preuße die Truppen mit mehr Hygiene, Training und Disziplin so auf Vordermann, dass sie am Ende sogar die Engländer besiegen. Friedrich Wilhelm von Steuben avanciert zum amerikanischen Kriegshelden. Nach seinem Tod am 28. November 1794 werden Denkmäler errichtet, jedes Jahr zieht zu seinen Ehren eine bunte Parade durch New York.
Heute steht vor allem Steubens sexuelle Orientierung im Blickpunkt und hat ihn ins Zentrum aktueller US-amerikanischer Kulturkämpfe gerückt. Baron Friedrich Wilhelm von Steuben soll Männer geliebt haben, junge Männer. Während die LGBTQ-Szene ihn nun als queeren Militär feiert, der die amerikanische Geschichte mitgeschrieben hat, wollen christlich-konservative Amerikaner seine Denkmäler abreißen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Bertolt Brecht hat den Kapitalismus verachtet - aber schnelle Sportwagen geliebt. Und deshalb sogar einen Werbeslogan für die Marke "Steyr" geschrieben...
Von einem rot-schwarzen Steyr träumt Bertolt Brecht schon lange. Die österreichische Automobilmarke hat Ende der 1920er Jahre eine Strahlkraft wie später Porsche oder Ferrari. Doch zunächst muss sich Brecht mit einem Opel begnügen, mehr gibt sein Budget nicht her. Erst mit dem Erfolg der Dreigroschenoper kann sich der Schriftsteller seinen ersten Steyr leisten. Doch die Gestapo beschlagnahmt sein Auto nur wenige Jahre später zusammen mit seinem Haus.
Im dänischen Exil fährt Brecht einen Ford T - kein Vergleich mit einem Steyr. Er notiert: "Ford hat ein Auto gebaut; das fährt ein wenig laut; es ist nicht wasserdicht; und fährt auch manchmal nicht." Erst als er aus dem Exil zurück nach Berlin kommt, ist Bertolt Brecht wieder mit dem Wagen unterwegs, an dem sein Herz besonders hängt: Am 27. November 1949 kauft er einen gebrauchten, rot-schwarzen Steyr.
Sein Traumauto wird später von der DDR-Polizei aus dem Verkehr gezogen. Ein 15 Jahre altes Auto auf der Straße? Eine Konsumverweigerung gegenüber der heimischen Autoindustrie, nahezu konterrevolutionär.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Bei einem Bootsausflug mit der kleinen Alice Liddell erfindet Lewis Carroll die Geschichte, die später Dalí und die Beatles inspiriert. Am 26.11.1864 übergibt er ihr sein Manuskript.
"Alice’s Adventures Under Ground" - so lautet der ursprüngliche Titel, den Charles Dodgson, besser bekannt als Lewis Carroll, 1864 seiner ersten Version der berühmten Erzählung gibt. Was als spontane Geschichte während eines Bootsausflugs auf der Themse beginnt, wird auf Drängen der zehnjährigen Alice Liddell, Dodgsons junger Zuhörerin, zu einem Manuskript - ausgestattet mit Zeichnungen des Autors selbst.
Die Geschichte der jungen Alice ist weit mehr als ein Kinderabenteuer: Sie sprengt die Regeln viktorianischer Konventionen und belehrender Kinderliteratur. Statt Gehorsam und Moral zeigt Alice Mut, Witz und die Fähigkeit, im Chaos ihren eigenen Weg zu finden. Figuren wie die Grinsekatze, der Hutmacher oder die herzlose Herzkönigin, die absurde Logik und sprachliche Spielereien machen die Geschichte bis heute zu einem literarischen Phänomen.
Im November 1864 überreicht Dodgson der kleinen Alice sein handgeschriebenes Manuskript. Doch dabei bleibt es nicht: Dodgson überarbeitet und erweitert sein Werk. Mit Unterstützung eines befreundeten Schriftstellers veröffentlicht er seine Geschichte 1865 schließlich unter dem Titel, den man bis heute kennt: "Alice’s Adventures in Wonderland".
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Die am 25.11.1829 geborene Schriftstellerin kämpft zeitlebens für die Unabhängigkeit von Frauen. Ihr Engagement finanziert sie selbst, mit unkonventionell verdientem Geld.
Ein geheimnisvolles Buch. Geschrieben von Fritz Arnefeldt. Ein Kriminalroman - Ende des 19. Jahrhunderts ein ganz neues Genre in Deutschland. Im Buch versteckt sind kleine unterschwellige Botschaften, die eigentlich nicht zu einem männlichen Autor passen. Des Rätsels Lösung: Fritz Arnefeldt gibt es gar nicht. Die eigentliche Autorin ist Jenny Hirsch. Schriftstellerin, Redakteurin und Frauenrechtlerin.
Hirsch wird am 25. November 1829 in Zerbst geboren, eine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Ihr Vater ist Kaufmann, die Familie streng jüdisch. Früh beginnt Jenny Gedichte und Geschichten zu schreiben. Unter dem Pseudonym J. N. Heynrichs, ein Anagramm ihres Namens, sendet sie ab und an ihre literarischen Arbeiten an verschiedene Verlage. Unter ihrem richtigen Namen darf sie nicht veröffentlichen, da sowohl der Vater als auch ihre Verwandten in Zerbst ihre schriftstellerischen Ambitionen missbilligen.
Doch aufgeben ist für Hirsch nie eine Option. Sie kämpft - nicht nur für ihre Rechte. Vielmehr wird Hirsch eine der führenden Persönlichkeiten der frühen bürgerlichen Frauenbewegung. Sie ist Mitinitiatorin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Leipzig, die erste Schriftführerin des "Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts" (später Lette-Verein) und Herausgeberin der Zeitschrift "Der Frauen-Anwalt".
Neben all diesem Engagement findet Hirsch auch noch Zeit, um Romane zu schreiben - mit Subtext. So machen sich Frauen in ihren Büchern selbstständig oder werden Ärztin. Allein unter dem Pseudonym Fritz Arnefeldt soll sie 29 Krimis und Erzählungen geschrieben haben, die bis in den USA verkauft wurden. Aber irgendwann geht es nicht mehr. Jenny Hirsch erblindet im Alter und stirbt schließlich mit 72 Jahren in Berlin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Am 24.11.1874 verändert ein Patent die USA und den Wilden Westen: Der Stacheldraht revolutioniert die Viehhaltung - und hat dramatische Folgen für Cowboys und Indianer.
Das Prinzip ist simpel: Zwei lange, ineinander verdrillte Drähte und darin in kleinen Abständen eingearbeitet kurze Drähte, deren Enden angespitzt nach außen abstehen. Eine praktische Erfindung, dieser Stacheldraht: billig zu produzieren, auch auf große Distanzen einfach zu installieren und dabei so wirksam wie kein anderer Zaun. Am 24. November 1874 erhält der Farmer Joseph Glidden aus Missouri für diese Erfindung das US-Patent Nr. 157.124.
Glidden ist nicht der Einzige, der sich an der Entwicklung eines stachelbewehrten Drahtzauns versucht hat. Als Erster hat er jedoch die Idee, die Metalldornen durch Verdrillen zweier Längsdrähte so zu fixieren, dass sie nicht mehr hin und her rutschen können. Mit einer umgebauten Kaffeemühle produziert Joseph Glidden die ersten Meter seiner flexiblen Stahlbarriere, die in kürzester Zeit das Gesicht des amerikanischen Westens grundlegend verändern wird.
In diesem Zeitzeichen erweckt Autor Martin Herzog die Geschichte vom Stacheldraht und dem Ende der Cowboys auf Grundlage historischer Fakten zum Leben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Die Waldsiedlung Wandlitz, fast 30 Jahre exklusiver Wohnort für SED-Politbüromitglieder. Am 23.11.1989 gewährt erstmals eine TV-Reportage der Öffentlichkeit Einblick.
Offiziell existiert die Waldsiedlung Wandlitz nicht. Das Gebiet ist auf keiner Karte verzeichnet. Es ist scheinbar Niemandsland. Die DDR-Öffentlichkeit erfährt nichts von der Siedlung. Intern gilt die Regel: Wer Mitglied oder Kandidat des SED-Politbüros wird, muss nach Wandlitz umziehen. Es reicht also nicht aus, nur Minister oder Vorsitzender einer Blockpartei zu sein.
Im Herbst 1989 versucht das DDR-Fernsehen erstmals, die Siedlung zu besichtigen. Reporter Jan Carpentier fährt mit einem Kamerateam für die Jugendsendung "Elf99" dorthin, wo die politische Macht Ostdeutschlands wohnt. Doch sie werden abgewiesen. Es handele sich um ein militärisch gesichertes Objekt.
Erst zwei Tage später, am 23. November, gibt es den ersten offiziellen Termin zur Besichtigung der Politbürosiedlung. Ein Mensch, der sich als Schmidt vorstellt, führt die Pressevertreter durch ein schon länger leer stehendes Wohnhaus und behauptet, die Einrichtung stamme aus DDR-Produktion. Nur einige Sanitärarmaturen seien importiert worden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Groß, klein, zusammen, getrennt - die deutsche Rechtschreibung ist voller Fallstricke. Mit einer Reform sollte sie vereinheitlicht und vereinfacht werden - mit gemischtem Erfolg.
Fachleute aus der BRD, DDR, Österreich und der Schweiz beraten über viele Jahre, wie die Rechtschreibung einfacher, einheitlicher, verständlicher für Lernende werden kann: 1964 wird das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim gegründet, als wissenschaftliche Einrichtung zur Erforschung der deutschen Sprache.
1987 beauftragt die Kultusministerkonferenz der Länder das Institut, ein Regelwerk zu erstellen. Sieben Jahre später ist es soweit. Vom 22. bis 24. November 1994 treffen sich Wissenschaftlerinnen, Fach-Beamte und Verbände zur Wiener Orthographiekonferenz. Sie empfehlen eine umfassende Rechtschreibreform.
Schließlich beschließt die Kultusministerkonferenz die Einführung der neuen Rechtschreibung zum 1. August 1998. Als die Vorschläge bekannt werden, bricht eine Protestwelle los. Doch das Bundesverfassungsgericht entscheidet: Die Reform ist rechtmäßig und darf bis zum Jahr 2005 in Behörden, Verwaltungen, Schulen und Hochschulen eingeführt werden. Auch sie wird in den folgenden Jahren mehrmals reformiert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Nasreddin Hoca (Todesjahr 1284) begeistert mit seinen humorvollen Geschichten seit Jahrhunderten. Er zeigt, wie Islam und Humor zusammenpassen.
Im Herzen der Türkei, in der mittelanatolischen Stadt Akşehir, steht ein Mausoleum, dessen Tür ein überdimensionales Vorhängeschloss sichert – reinste Ironie, denn ansonsten ist die Grabstätte ringsum frei zugänglich.
Das Grab von Nasreddin Hoca ist mit einem übergroßen Turban aus Marmor geschmückt. Darauf steht: Gestorben 683 Hedschra. Nach christlicher Zeitrechnung also 1284. Ob er aber tatsächlich existiert hat oder nicht, ist nicht bekannt.
Heute geht man davon aus, dass Nasreddin Hoca eine historische Persönlichkeit des 13. oder 14. Jahrhunderts gewesen sein könnte. Damals erscheinen die ersten Nachrichten über ihn. Sie berichten über ein Schlitzohr, das verschmitzt und mit Schläue, manchmal auch frech, die Schwächen der Menschen humorvoll karikiert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Bequem, lustig und auf begrenztem Raum - so stellt sich Thomas Mann sein neues Werk vor. Am Ende ufert die Arbeit so aus wie der Aufenthalt von Hans Castorp im Sanatorium. Im November 1924 kommt das Buch erstmals in den Handel.
Thomas Manns Roman begleitet den jungen Hans Castorp, der seinen kranken Vetter im Berghof besucht. Er will eigentlich nur ein paar Wochen bleiben, doch schon bald verändert sich sein Leben – und das Verständnis von Zeit. In der dünnen Bergluft wird er mit Liebe, Tod und philosophischen Fragen konfrontiert, die ihn bis zum Ersten Weltkrieg begleiten.
Mann verarbeitet in seinem Jahrhundertroman mit präziser Sprache und feiner Ironie sein eigenes Leben. Im Frühsommer 1912 begibt sich der 36-Jährige in die Schweizer Berge, um seine an Tuberkulose erkrankte Frau Katia zu besuchen. Im Sanatorium von Davos begegnet er einer faszinierenden Welt aus Kranken und Genesenden, deren seltsames Verhalten seine Fantasie anregt. Noch lange nach seiner Reise spielt er mit den Eindrücken, und aus diesen keimen die ersten Ideen für seinen großen Roman.
Über Jahre hinweg geschrieben, entfaltet sich "Der Zauberberg" als psychologisches und geistiges Abenteuer, das tief in die Zeitgeschichte der Vorkriegsjahre eintaucht. Es ist ein literarisches Monument über den Wandel der Wahrnehmung und die Komplexität des Lebens, das auch ein Jahrhundert nach seiner Veröffentlichung zum Nachdenken und Staunen anregt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Mit seinem Restaurant "Aubergine" kocht sich Eckart Witzigmann an die Spitze der deutschen Gastro-Szene. Eineinhalb Jahrzehnte lang hält er die höchste Auszeichnung - drei Michelin-Sterne.
Nachdem er sich mit dem Restaurant "Tantris" bereits zwei Guide-Michelin-Sterne erkocht hat, öffnet Eckart Witzigmann 1978 sein Restaurant "Aubergine" in München. Ein Jahr später schon erhält er das größtmögliche Lob: Der Guide Michelin vergibt am 19. November 1979 die höchste Auszeichnung.
Die "Aubergine" erhält als erstes deutsches Restaurant einen dritten Stern. Der 38-jährige Witzigmann ist damit einer der wenigen Nicht-Franzosen, denen das damals gelingt.
Schon in den 1920er-Jahren werden für den Guide Michelin anonyme Tester losgeschickt, sogenannte "Inspektoren", wie sie bis heute heißen. Es sind im weitesten Sinn Leute aus der Gastronomiebranche - Hoteliers, professionelle Köche, Lebensmittelexperten. 1926 wird der Michelinstern eingeführt. Seit 1966 gibt es den Guide Michelin auch für Deutschland. Die Redaktion hat ihren Sitz in Karlsruhe.
Eckart Witzigmann behält seine drei Sterne von 1979 bis 1994, bis das Restaurant zugemacht wird. Im März 1993 wird Witzigmann wegen Kokainbesitzes zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Er verliert die Konzession für die "Aubergine".
Eine zu harte Strafe finden manche. Der Gault&Millau - neben dem Guide Michelin ein weiterer einflussreicher Restaurantführer - adelt Eckart Witzigmann auch deshalb mit dem Titel "Koch des Jahrhunderts", um seine außerordentliche Klasse herauszustellen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Kyoto, die alte Kaiserstadt, war und ist das kulturelle Zentrum Japans: Hier entstanden die schönsten Tempel und die schachbrettartige Architektur der Stadt. 794 wurde Kyoto zur Hauptstadt Japans ernannt.
Kyōto, die historische Kaiserstadt Japans, zieht mit ihren jahrhundertealten Tempeln und Teehäusern Besucher aus aller Welt in ihren Bann. Doch wer genau hinsieht, entdeckt weit mehr als nur schöne Fotomotive: Kyōto ist Japans kulturelles Herz und war einst Mittelpunkt der politischen Macht.
Im Jahr 794 entscheidet Kaiser Kanmu, seine Residenz nach Heian-kyō - das heutige Kyōto - zu verlegen. Diese Entscheidung begründet nicht nur eine neue Hauptstadt, sondern auch eine Epoche kultureller Blüte, die bis heute nachhallt.
Nach chinesischem Vorbild ist Kyōto als Schachbrettstadt angelegt, um die gesellschaftlichen Strukturen abzubilden. Der Rang einer Person bestimmt, wie weit ihr Wohnort von der Residenz des Kaisers im Norden entfernt ist. Auch Tempel, Schreine und die Nähe zur Natur spielen bei der Konstruktion der Stadt eine zentrale Rolle.
In Kyōto leben alte Traditionen bis heute weiter. Ob Handwerkskunst, Räucherstäbchenläden oder Süßigkeiten aus Bohnen, für die Japan berühmt ist: Die Stadt vereint Vergangenheit und Gegenwart in einmaliger Weise. Ein Besuch in Kyōto ist wie eine Zeitreise an einen Ort, an dem die Seele des Landes spürbar bleibt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Die Konservendose, eine nützliche Erfindung, die sich vielleicht ewig hält. Wir verdanken sie dem französischen Koch Nicolas Appert, geboren am 17.11.1749.
Nicolas Appert, französischer Koch mit Erfindergeist, revolutioniert vor über 200 Jahren die Art, wie wir Lebensmittel haltbar machen – eine Leistung, die ihm den Titel "Wohltäter der Menschheit" einbringt.
Seine Idee: Nahrung luftdicht verschließen und schonend erhitzen zu können. Für die damalige Zeit klingt das zunächst wie ein Experiment aus einer anderen Welt. Doch genau diese Technik perfektioniert er mit einfachen Küchenutensilien in seiner kleinen Werkstatt nahe Paris.
Apperts Werdegang ist ebenso faszinierend wie seine Erfindung. Vom jüngsten Sohn eines Gastwirtes entwickelt er sich zum Hofkoch und später zu einem innovativen Unternehmer. Seine Erkenntnisse über die Haltbarmachung von Lebensmitteln entspringen auch der drängenden Frage, wie man Soldaten im Feld mit Nahrung versorgen kann.
So baut er nicht nur die erste Konservenfabrik, sondern legt auch den Grundstein für die moderne Ernährung, die noch heute auf seinen Prinzipien basiert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Havanna wird in der Bucht Puerto de Carenas 1519 gegründet, ist viele Jahre spanische Kolonie und kurzzeitig sogar von den Briten besetzt. Die bewegte Geschichte findet sich bis heute überall in der Stadt wieder.
Havanna wird gleich dreimal gegründet, in der Bucht Puerto de Carenas - dem heutigen Hafen von Havanna - dann am 16. November 1519. Die spanischen Eroberer brauchen die Stadt "San Cristóbal de La Habana" als Stützpunkt für ihre Silberflotten. Am Anfang ist es ein armseliges Nest aus Hütten und staubigen Straßen. Aufgrund der strategisch günstigen Lage wird Havanna jedoch schnell zur wichtigsten Hafenstadt in der Karibik. 1552 löst sie das im Süden der Insel gelegene Santiago de Cuba als Hauptstadt ab.
Später steigt Havanna durch Zucker und Tabak zur reichsten Stadt der Karibik auf. Der Wohlstand wächst aber nur bei der kleinen Schicht der Herrschenden - die meisten Menschen leben weiter in Elend und Armut. Ende des 19. Jahrhunderts ist Havanna berühmt als die "Perle der Karibik", in den 1950er Jahren als El Dorado für die Mafia und vergnügungssuchende US-amerikanische Touristen.
Heute ist Havanna eine zweigeteilte Stadt: Die renovierte Altstadt mit vielen alten Kolonialbauten und funktionierender Infrastruktur. Und der ganze Rest, der aufgrund von Krisen und Mangelwirtschaft allmählich in sich zusammenfällt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Es ist ein gnadenloser Akt, als Nordstaaten-General Shermann am 15.11.1864 die Stadt Atlanta niederbrennen lässt - und ein Wendepunkt im US-Bürgerkrieg.
Der US-amerikanische Bürgerkrieg beginnt im April 1861 klein und begrenzt. Doch dann eskalieren Scharmützel zu Schlachten, die Zahl der Toten und Verwundeten geht in die Zehntausende. Im Kampf geht es mit Gewehr, Revolver und Bajonett oft Mann gegen Mann.
Im April 1864 schreibt Ulysses S. Grant, Oberbefehlshaber der Unions-Armeen, an General William T. Sherman, dass es jetzt darum geht, Joseph Eggleston Johnstons Konföderierte Armee zu zerschlagen, so weit wie möglich ins Feindesland vorzurücken und dabei möglichst viele der feindlichen Kriegsressourcen zu zerstören.
Sherman gilt als "harter Hund" und tut, wie ihm geheißen. Er marschiert gegen Atlanta, durchtrennt bei seinem Vormarsch die Lebensadern der Stadt, zerstört Transportwege und Gleise, die er unbrauchbar machen lässt. "Sherman-Schlips" nennen seine Leute die grotesk verbogenen Schienen.
Bisher war die Zivilbevölkerung weitgehend vom Krieg verschont geblieben. Doch Shermans Strategie zielt jetzt auf eine Demoralisierung der Bürger des Südens - abgesegnet von höchster Stelle.
Am 1. September 1864 rückt die letzte bei Atlanta stationierte Südstaatenarmee unter John Bell Hood aus der Stadt ab. Doch Sherman ist noch nicht fertig mit Atlanta. Am 15. November 1864 lässt der General die Stadt in Flammen aufgehen.
Die Zerstörung Atlantas gilt als ein Wendepunkt des Krieges. Der Brand führt den Südstaaten die kommende Niederlage vor Augen, General Sherman fühlt sich in seiner brutalen Strategie bestätigt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Am 14.11.1889 startet die unerschrockene Reporterin Nellie Bly ein abenteurliches Wettrennen um die Welt - in einer Zeit, in der andere Journalistinnen nur mit männlicher Begleitung auf die Straße gehen.
Nellie Bly ist im ausgehenden 19. Jahrhundert eine sogenannte Stuntreporterin, das ist eine ziemlich abfällige Bezeichnung für das, was sie tatsächlich tut: Sie arbeitet als Undercover-Journalistin, um soziale Ungerechtigkeit aufzudecken; die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik zum Beispiel oder Skandale im Gesundheitssystem.
Ende des Jahres 1888 hat sie aber eine ungeheuerliche Idee: Sie will es Phileas Fogg gleichtun, dem Helden aus Jules Vernes Welterfolg "In 80 Tagen um die Welt". Ihr New Yorker Verleger Joseph Pulitzer hält Blys Idee für völlig abwegig. Schließlich ist sie eine Frau.
Nachdem Blys Idee zunächst abgebügelt wird, darf sie ein Jahr später doch starten. Unversehens wird das Unternehmen zum Wettrennen, denn das Konkurrenzblatt "Cosmopolitan" schickt mit Elizabeth Bisland in entgegengesetzter Route ebenfalls eine Frau auf Weltreise.
Das Rennen um die Welt bleibt bis zuletzt spannend. Während das Schiff von Elizabeth Bisland von den Stürmen im Nordatlantik aufgehalten wird, kämpft der Zug von Nellie Bly mit dem Schnee im mittleren Westen.
Nellie Bly umrundet die Welt in 72 Tagen, sechs Stunden und elf Minuten. In New York wird sie von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt und von einer Ecke des Landes zur anderen gefeiert. Als Elizabeth Bisland vier Tage später ankommt, bemerkt es kaum jemand, und es ist fast niemand da, um sie zu begrüßen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Vietnam, Afghanistan, Irak - der Journalist und Reporter Peter Arnett ist auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt fast immer dabei. Oft ist er in Lebensgefahr.
"Es gibt Geschichten, für die man sein Leben riskieren muss", sagte einst Peter Arnett. Drei Jahrzehnte berichtet der gebürtige Neuseeländer für US-Medien von den Kriegsschauplätzen dieser Welt. Seine Feuertaufe erlebt Arnett im Vietnamkrieg. Von 1962 bis 1970 berichtet der Journalist für die Nachrichtenagentur AP von den Fronten in Südostasien. Für seine ungeschminkten Reportagen wird er mit dem Pulitzerpreis geehrt.
1980 gründet Ted Turner mit CNN den weltweit ersten reinen Nachrichtenkanal und holt den erfahrenen Reporter zum Fernsehen. Mit seinen Reportagen aus Bagdad bringt Arnett 1991 den Irakkrieg in die Wohnzimmer der Welt - und CNN den Durchbruch im Newsgeschäft. Unter anderem schildert der Reporter mit dem schütteren Haar live vom Dach eines Hotels, wie die Bomben und Raketen rings um ihn herum in der irakischen Hauptstadt einschlagen.
Einen Namen macht Arnett sich auch durch seine Interviews etwa mit Saddam Hussein oder 1997 mit dem damals noch weithin unbekannten Al-Qaida-Führer Osama bin Laden. Arnetts Erfolge als Reporter und Kriegsberichterstatter sind unbestritten - ebenso wie seine Eitelkeit. 1999 verlässt er CNN nach einigen Auseinandersetzungen.
Arnett wechselt noch einige Male den Arbeitgeber, ehe er 2007 seine Reporter-Laufbahn im Alter von 73 Jahren beendet. Er zieht sich ins Privatleben zurück und lebt seitdem in Los Angeles.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anja Arp:
Als Dienstwohnung der Kanzler war er ziemlich unbeliebt: der Kanzlerbungalow in Bonn - zu kühl, zu eng, zu wenig Atmosphäre. Am 12. November 1964 wurde er fertiggestellt.
Im ehemaligen Regierungsviertel von Bonn steht der Kanzlerbungalow – ein schlichtes Gebäude, das zwischen Bäumen und Rasenflächen fast unscheinbar wirkt. Doch hinter den bodentiefen Fenstern und Flachdächern wurde ein bedeutendes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte geschrieben. Von 1964 bis 1999 diente der Bungalow als Wohn- und Empfangsort der Bundeskanzler, die hier in schlichter, offener Architektur wegweisende Entscheidungen trafen und hochrangige Gäste willkommen hießen.
Entworfen vom Architekten Sep Ruf, spiegelt das Gebäude Ludwig Erhards Wunsch nach einem demokratischen und modernen Bau wider: Keine Pracht, sondern Transparenz und Bescheidenheit, inspiriert von den Prinzipien des Bauhaus. Die Innenräume – geprägt von Glas und minimalistischem Design – geben Politik und Prominenz einen nüchternen Rahmen.
Doch die Kanzler haben unterschiedliche Ansichten über das Gebäude: Während Erhard und Schmidt den puristischen Stil schätzen, passt Helmut Kohl das Interieur seinem Geschmack an und gestaltet den Bungalow zum seinem ganz persönlichen Machtzentrum um.
Heute steht der Kanzlerbungalow unter Denkmalschutz und kann von der Öffentlichkeit besichtigt werden – ein Ort, an dem sich deutsche Architektur und politische Geschichte lebendig vereinen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ulli Schäfer:
Der Versandhandel überlebt einen Krieg und die Ölkrise, nicht aber den Tod seines Gründers. Am 11.11.2009 ist Quelle insolvent. Dabei funktioniert die Geschäftsidee bis heute.
In der Essener Grugahalle herrscht am 11. November 2009 gähnende Leere. Nur rund ein Dutzend der 10.000 Quelle-Gläubiger verlieren sich im Saal. Für Insolvenzverwalter Klaus-Hubert Görg ist der Auflösungsakt nur noch eine Formalie. Das Aus für das traditionsreiche Versandunternehmen hat Görg schon Wochen zuvor in der Quelle-Heimatstadt Fürth angekündigt. 4.000 Mitarbeiter und 1.000 Beschäftigte bei Zulieferern und Dienstleistern verlieren ihren Job. Dabei hat alles so vielversprechend angefangen.
1927 gründet Unternehmer Gustav Schickedanz die Firma "Gustav Schickedanz Kurzwaren en gros", aus der der innovative Versandhandel Quelle hervorgeht. Umsatz und Gewinne wachsen rasch. Zeitweise liegt der Quelle-Katalog praktisch in jedem deutschen Haushalt. Das Konzept geht über Jahrzehnte auf. Quelle trotzt dem vorübergehenden Berufsverbot des Firmengründers, der Ölkrise und der aufkommenden Konkurrenz durch Neckermann und Otto.
Doch der Internethandel schwächt Quelle nachhaltig. Hinzu kommt die Fusion mit dem kriselnden Kaufhaus-Konzern Karstadt 1999, zu dessen Rettung ein dreistelliger Millionenbetrag die Konten wechselt. Daher verschont Insolvenzverwalter Görg Karstadt 2009 - im Gegensatz zu Quelle.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Am 10.11.1759 wird der große Dichter und Dramatiker Friedrich Schiller in Marbach am Neckar geboren. Rebellion und die Suche nach Freiheit und Freude bestimmen sein Leben und Werk.
Geboren wird Johann Christoph Friedrich Schiller am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, im Herzogtum Württemberg, einem der deutschen Kleinstaaten. Sein Vater Johann ist Arzt beim Militär, die Mutter Elisabetha entstammt einer Bäckerfamilie. Der Ton in der Familie ist rau. Der Vater gilt als autoritär.
In die Ausbildung des Schülers Friedrich Schiller mischt sich schon bald der Herzog persönlich ein. Carl Eugen von Württemberg befiehlt, dass der Junge mit 13 Jahren ins Internat der Fürstenakademie zieht. Dort studiert er zunächst Jura und später Medizin.
Tagsüber steckt er im Drill, nachts aber liest er: Goethes Werther, der gerade erschienen ist, Shakespeare oder Gedichte des populären Friedrich Klopstock. Bald dichtet Schiller selbst angeregt, lernt Goethe kennen und wird zum Autor der Freiheit. In Werken wie "Die Räuber" und "Wilhelm Tell" schreibt er über die Rebellion.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Nur etwas Rost am Zünder verhindert die Explosion einer Bombe der "Tupamaros West-Berlin" am 9.11.1969 Die Spur der Täter führt in den Nahen Osten, die DDR - und zum Verfassungsschutz.
Ende der 1950er Jahre entsteht in Berlin an der Stelle, wo bis zur Zerstörung in der Reichspogromnacht 1938 eine der größten Synagogen Deutschlands stand, ein neues Jüdisches Gemeindehaus. Ein Zeichen dafür, dass jüdisches Leben nach dem Holocaust in Deutschland wieder aufblühen kann.
Die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander im Land der Täter bekommt am 10. November 1969 einen herben Dämpfer: Eine Reinigungskraft findet im Gemeindehaus eine Bombe, die am Tag zuvor bei einer Gedenkveranstaltung explodieren sollte und nur wegen technischer Defekte kein Blutbad anrichtet.
Hinter dem Anschlag steckt die linke Terrorgruppierung "Tupamaros West-Berlin", deren Mitglieder aus dem Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds kommen. Sie sympathisieren mit den Palästinensern und richten sich gegen Israel und die Eroberung des Gazastreifens, des Westjordanlands und von Ost-Jerusalem. Für die Zeitgenossen ist das ein Schock: Menschen, die politisch links sind und sich der Aufklärung verpflichtet fühlen, hatte man zuvor nicht mit Antisemitismus in Verbindung gebracht.
Der Anschlag auf das Gemeindehaus verschwindet bald aus dem Fokus der Öffentlichkeit, auch weil mit der RAF linker Terror eine neue Dimension erreicht. Erst Jahrzehnte später - nach dem Mauerfall - kommen die Hintergründe zur Bombe im Jüdischen Gemeindehaus ans Licht. Die Fäden reichen von Berlin bis in den Nahen Osten, darin verwickelt sind auch Jassir Arafat, ein Undercover-Mann vom Verfassungsschutz und die DDR-Staatssicherheit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Der Tischler Georg Elser hat sein Attentat auf Hitler minutiös vorbereitet. Am Abend des 8.11.1939 scheitert es nur knapp – durch eine unvorhersehbare Reiseplanänderung.
Es ist ein dichter Nebel, der Adolf Hitler an diesem Tag wahrscheinlich das Leben rettet – und Georg Elser sein Leben kosten wird. Wegen der schlechten Sicht können die Nazi-Oberen am Abend des 8. November 1939 nicht wie geplant mit dem Flugzeug von München nach Berlin reisen, stattdessen müssen sie den Zug nehmen. Die jährliche Rede von Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukellers fällt daher kürzer aus als üblich. Und als die von Georg Elser minutiös geplante Zeitbombe hochgeht, haben Hitler und Goebbels den Saal schon verlassen. Der Attentäter Georg Elser wird ungefähr zur gleichen Zeit an der Schweizer Grenze festgenommen.
Den Entschluss, Adolf Hitler in die Luft zu jagen, hatte Georg Elser bereits ein Jahr zuvor gefasst. Der Tischler sieht bei seiner Arbeit in einer Armaturenfabrik jeden Tag, wie das NS-Regime für den Krieg aufrüstet. Zugleich haben die einfachen Arbeiter immer weniger Rechte: "Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass man nur dadurch etwas verändern kann, dass man die augenblickliche Führung beseitigt, also Hitler, Göring und Goebbels."
Wäre das schlechte Wetter nicht dazwischen gekommen, so hätte Georg Elser womöglich Weltgeschichte schreiben und viel Elend in Europa verhindern können. Der Arbeiter hat immerhin schon 1938, also noch vor Kriegsbeginn, erkannt, dass der Nationalsozialismus nur Unheil bringen wird. Deutlich früher also als andere Widerständler war Georg Elser bereit, sein Leben zu riskieren, um das Nazi-Regime zu stoppen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Kleine und große Schwebewesen bevölkern die Meere. Die erste Expedition zu ihrer Untersuchung organisierte der Meeresbiologe Victor Hensen, der den Begriff Plankton erfunden hat - am 7.11.1889 kehrte sie heim.
Im Jahr 1889 bricht der Kieler Biologe Victor Hensen zu einer außergewöhnlichen Reise auf. Er will erforschen, was wir heute unter dem Namen Plankton kennen: die winzigen, oft unsichtbaren Bewohner des Meeres. An Bord des Dampfers "National" und unterstützt von einem Team aus Zoologen, Botanikern und sogar einem Marinemaler startet Hensen die erste große Planktonexpedition in den Nordatlantik.
An über 120 Stellen nehmen die Forscher Proben und entdecken unzählige Organismen, vom mikroskopischen Phytoplankton bis hin zu Quallen. Dabei entdecken die Forscher hunderte von neuen Arten – so viele, dass die gesammelten Proben noch Jahrzehnte lang analysiert werden.
Hensens Ziel ist es, das Plankton systematisch zu erfassen, um dessen Bedeutung für das Leben im Meer zu verstehen. Eigens von ihm entwickelte, spezielle Netze werden dafür vertikal durchs Wasser gezogen – ein Verfahren, das uns auch heute noch in der Meeresforschung dient.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
Im Herbst 1989 steht die DDR-Führung vor dem Aus: Proteste richten sich auch gegen das Ministerium für Staatssicherheit. Stasi-Chef Mielke lässt darum Akten verschwinden.
Am 6. November 1989 passiert in der DDR etwas Unerhörtes. Der langjährige Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, Erich Mielke, erlässt eine geheime Anweisung zur außerordentlichen Vernichtung von Materialien seines Ministeriums. Die Weisung geht per Rundschreiben an die Kreisdienststellen.
Die Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, finden inzwischen im ganzen Land statt. Die Kreisdienststellen erscheinen Mielke deshalb nicht mehr sicher genug. Brisante Unterlagen über inoffizielle Mitarbeiter oder Überwachungspraktiken sollen vernichtet oder in die Bezirksverwaltungen ausgelagert werden.
Mielke ahnt, dass seine Macht schwindet. Der "Feind" soll keine Spuren finden. Die Spuren des eigenen rechtsstaatswidrigen Handelns sollen beseitigt werden. Tags darauf tritt Mielke als Minister zurück.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Mit einem gewagten Eingriff legt Werner Forßmann den Grundstein für die moderne Herzmedizin. Der Patient: Er selbst. Am 5.11.1929 berichtet er erstmals davon. Und viel später wird er dafür mit dem Medizin-Nobelpreis belohnt.
Am 5. November 1929 erscheint im renommierten Ärzteblatt "Berliner Klinische Wochenschrift" ein Aufsatz von Werner Forßmann. Der Titel lautet "Über die Sondierung des rechten Herzens". Darin schildert der Assistenzarzt, wie er im zurückliegenden Sommer in einem Provinzkrankenhaus im brandenburgischen Eberswalde ein risikoreiches Experiment durchgeführt hat: eine Herzkatheter-Untersuchung am eigenen Körper.
Forßmann legt damit die Grundlage für die Einführung der Herzkatheter-Untersuchung in die klinische Praxis. Doch diese Leistung wird erst Jahre später erkannt. Zunächst wird der Mediziner für seinen Mut nur von der Boulevardpresse gefeiert. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es erst viel später eine entsprechende Resonanz.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Er war beliebt, erfolgreich und verwickelt in die schwerste Krise der CDU: Am 4. November 1999 erlässt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Walther Leisler Kiep wegen Steuerhinterziehung. Und das ist erst der Anfang.
Ende August 1991 auf einem Parkplatz in der Schweiz: CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep und CDU-Steuerberater Horst Weyrauch nehmen einen Koffer entgegen, der eine Million Mark enthält. Es soll sich um eine Parteispende des Waffenhändlers Karl Heinz Schreiber gehandelt haben, so erzählen es die beiden CDU-Männer später. Das Geld taucht dann später auf einem Treuhandkonto der CDU auf und wird verschwiegen.
Gut acht Jahre später wird das Leisler Kiep zum Verhängnis: Am 4. November 1999 erlässt das Amtsgericht Augsburg Haftbefehl gegen ihn. Der frühere CDU-Schatzmeister soll das Geld für die Vermittlung eines Panzergeschäfts der Thyssen AG mit Saudi-Arabien bekommen haben.
Am 5. November 1999 stellt sich Leisler Kiep der Justiz. Seine Aussage bringt
einiges ins Rollen. Es stellt sich schließlich heraus: Unter Parteichef Helmut Kohl existiert ein ganzes System von Auslandskonten und schwarzen Kassen, über das die CDU unter anderem Wahlkämpfe und Parteitage mitfinanziert hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Während in Berlin Tausende bei der Love Parade tanzen, feiern Briten wild und unkontrolliert auf dem Land. Ab dem 3.11.1994 ist das gesetzlich verboten. Aber die Party geht weiter.
Bekannt wird das Gesetz wegen einer Passage über Open-Air-Partys, auf denen Musik läuft, die so definiert wird: "Ihr verübt eine Straftat, wenn ihr verstärkte Musik spielt, die Klänge enthält, die vollständig oder zum Teil charakterisiert sind durch die Ausstrahlung einer Abfolge von sich wiederholenden Beats."
Trotz des Widerstandes konservativer Kreise fahren ganze Karawanen aus den Städten zu den großen Open Air-Events aufs Land. Die Konservative Partei (Tories) entdeckt das Thema für sich.
Der Criminal Justice Act soll die Versammlungsfreiheit einschränken und nicht nur die Raver treffen: Aussteiger, die ihr Leben im Wohnmobil verbrachten, sollen ihr Aufenthaltsrecht auf öffentlichen Flächen verlieren. Menschen, die den Neubau von Straßen blockieren oder eine Fuchsjagd stören, müssen mit empfindlichen Strafen rechnen.
Auf der Straße demonstriert eine bunte Mischung gegen den Criminal Justice Act: Hippies mit Dreadlocks, Raver mit bunten Haaren, Umweltaktivisten und Oppositionspolitiker. Nur erfolgreich ist das Bündnis nicht. Trotz drei großer Demonstrationen zwischen Mai und Oktober wird der Criminal Justice Act am 3.11.1994 im britischen Unterhaus verabschiedet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Werthschulte:
Am 2. November 1929 gründeten 99 Pionierinnen die internationale Pilotinnenvereinigung Ninety-Nines. Doch bis heute sind Frauen im Cockpit weltweit eine Ausnahme.
Privatpilotinnen, Berufsfliegerinnen, Raumfahrerinnen - in der Pilotinnenvereinigung Ninety-Nines sind rund 5.000 Frauen miteinander verbunden. Der Club ist ein weltumspannendes Netzwerk mit Hauptsitz in den USA und Teams in China, Finnland, Indien, Kanada, Nepal, Malawi, Marokko, Polen und Kanada. Auch eine deutsche Sektion gibt es.
Gegründet wird der Zusammenschluss in Long Island im Hangar einer Flugschule. 117 Fliegerinnen mit Lizenz sind eingeladen. 99 Pilotinnen erscheinen - daher der Name Ninety-Nines. Unter den Gründerinnen ist auch eine Deutsche. Thea Rasche, eine der berühmtesten Kunstfliegerinnen der Welt. Die 99erinnen vereinen die besten Fliegerinnen jener Zeit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Wenn über das Hamburger Schanzenviertel berichtet wird, geht es oft um Protest, Krawall – und die Rote Flora. Am 1.11.1989 wird verkündet: "Die alte Flora ist besetzt".
Das Gebäude im Hamburger Schanzenviertel stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es wird ursprünglich als Konzerthaus konzipiert und im Laufe der Zeit als Theater, Varieté, Kino, Lagerhalle und Kaufhaus genutzt. 1988 lässt ein Musical-Produzent das Gebäude bis auf den dekorativen Eingangsbereich abreißen – er will dort ein riesiges Musical-Theater errichten. Gespielt werden soll "Das Phantom der Oper".
Doch Anwohner, Gewerbetreibende und autonome Gruppen wehren sich gemeinsam gegen das Projekt, das ihrer Ansicht nach die Mieten vor Ort in die Höhe treiben würde. Nach zahlreichen Protestaktionen und Anschlägen auf die Baustelle, lassen die Investoren das Projekt fallen.
Diverse Initiativen und Protestgruppen fordern, dass aus den Resten des Flora-Theaters ein Stadtteilzentrum wird. Die Stadt Hamburg erlaubt ihnen die befristete Nutzung und im September 1989 wird die "Rote Flora" offiziell eröffnet. Ab dem 1. November 1989 heißt es dann schließlich: "Die alte Flora ist besetzt". In der Flora will man der Utopie einer Herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft näher kommen, indem man versucht, sie zu leben.
Die Spannungen zwischen Staat und Autonomen nehmen schnell zu. Einer der Höhepunkte der problematischen Beziehung militanter Autonomer zur Gewalt war in Hamburg 2017 während des G20 Gipfels zu erleben, dem Treffen der führenden Wirtschaftsnationen. Es gibt schwere Krawalle, brennende Autos, Plünderungen sowie hunderte verletzte Polizisten und Demonstranten. Polizei und Demoveranstalter geben sich gegenseitig die Schuld, über die Rolle der Roten Flora gibt es unterschiedliche Ansichten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Er brachte den Sound Malis in die Welt, wird als Nationalheld und einer der größten Gitarristen aller Zeiten gefeiert. In der Musik sah Touré seine Berufung jedoch nie.
Er ist das zehnte Kind seiner Mutter, aber er ist das einzige, das überlebt: Am 31. Oktober 1939 wird Ali Farka Touré in Mali geboren. Er wächst mit den Liedern der malischen Griots auf, die von den Mythen am Niger erzählen. Seine erste Gitarre, eine Djurkel, baut Ali Farka Touré aus einem Kuhfell und Pferdehaaren und bringt sich selbst das Spielen bei. Zudem lernt er weitere traditionelle Instrumente.
Die afrikanische Musik inspiriert ihn ebenso wie Albert King, Otis Redding, James Brown oder John Lee Hooker. In seinen Liedern setzt Ali Farka Touré die afrikanische Spielart auf moderne Instrumente wie die E-Gitarre um. Mit dem Pariser Label "SonAfric" bringt er mehrere Platten raus. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, über Mali hinaus findet seine Musik erst kaum Beachtung. Seinen weltweiten Durchbruch verdankt er einem Zufall.
Beim Stöbern in einem Pariser Plattenladen gefallen dem BBC-Moderator Andy Kershaw die Farben auf dem Cover eines Touré-Albums. Der Londoner nimmt die Platte mit und stellt Ali Farka Touré in seiner Sendung auf Radio One vor – die Hörer sind begeistert. Der Blues des Maliers passt perfekt zur aufkommenden "World Music"-Welle Ende der 1980er Jahre - der Gitarrist und Sänger wird zum führenden Musiker der Szene. Für sein Album "Talking Timbuktu" erhält Ali Farka Touré seinen ersten Grammy.
Ein gutes Jahrzehnt lang nimmt Ali Farka Touré erfolgreich Platten auf, gibt weltweit Konzerte und lässt sich als König des Wüsten-Blues feiern. Dann sehnt er sich nach Afrika zurück. Er verschenkt seine Djurkel, die er bis dahin immer bei sich hatte, und zieht sich in sein Heimatdorf zurück. Dort stirbt der Musiker im März 2006 mit 66 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
In der Weimarer Republik kämpft sie gegen das Abtreibungsverbot und gründet später Pro Familia mit: die Ärztin Anne-Marie Durand-Wever, geboren am 30.10.1889 in Paris.
Anne-Marie Durand-Wever sagt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine Frau sollte immer die Wahl haben, ob sie ihre Schwangerschaft tatsächlich austrägt. Sie gehört zu der ersten Riege von Gynäkologinnen in Deutschland. In einer Zeit, wo nur sehr wenige Frauen zum Studium zugelassen werden.
Anne-Marie Durand-Wever kämpft als Ärztin auch in der Zeit der Weimarer Republik in der Sexualreformbewegung und fordert die Streichung des § 218. Sie führt mit anderen Akteurinnen in der Frauenbewegung Debatten und wird mit zur Wegbereiterin der Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung.
1933 schließen die Nationalsozialisten die politisch engagierte Ärztin wegen ihrer konträren Ansichten über Geburtenkontrolle, Verhütung und Sexualerziehung aus der Reichsschrifttumskammer aus. Ihre Schriften landen auf dem Index.
Im Juni 1945 eröffnet Durand-Wever eine neue Praxis in Berlin und engagiert sich auch wieder ehrenamtlich. 1952 wird sie Mitbegründerin von Pro Familia in Kassel und für zehn Jahre auch Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Albert von Rothschild (geb. am 29.10.1844) wird Oberhaupt der Wiener Linie der jüdischen Bankiersfamilie. Sein Reichtum macht ihn zur antisemitischen Projektionsfläche.
Die Wurzeln des Hauses Rothschild reichen zurück bis zu Mayer Amschel Rothschild, geboren 1744 in Frankfurt am Main. Eigentlich will er Rabbiner werden, doch der Vater zwingt ihn ins Geschäft, einen kleinen Laden mit angeschlossener Wechselstube. Viel anderes als Handel und Geldwechsel bleibt Juden zu der Zeit nicht übrig. Denn in die Handwerker-Zünfte dürfen sie nicht, Grund und Boden kaufen auch nicht.
Mayer Amschel Rothschild erkennt früh: Die Zukunft des Bankgeschäftes liegt nicht allein in Frankfurt, sondern in Europa. Seine fünf Söhne werden in verschiedenen Ländern tätig. So gründet sein Sohn Salomon 1821 in Wien die Privatbank S. M. v. Rothschild und wird damit zum Begründer des österreichischen Zweigs der Familie. Da Salomons jüngster Sohn am besten mit Geld umgehen kann, wird dieser nach ihm die Geschäfte fortführen: Albert Salomon Freiherr von Rothschild, geboren am 29. Oktober 1844 in Wien.
Albert hat nicht nur ein Händchen für Geld, sondern auch einen seltsamen Kosenamen: aus "Salomon Albert" wird "Salbert". Er ist es, der die Rothschild-Bank zu wahrer Größe bringt. Im Laufe seines Lebens kauft und baut er insgesamt acht Schlössser in Österreich. Sein Reichtum ist unermesslich, doch persönlich ist er bescheiden - und unglücklich. Er stirbt mit 66 Jahren in Wien als gebrochener Mann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Erasmus von Rotterdam war einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Mit seinem "Lob der Torheit" eckte der Humanist bei vielen Zeitgenossen an, besonders bei Martin Luther.
Es sind die letzten Jahre vor der Reformation. Noch spricht in ganz Europa niemand von Martin Luther. Alle sprechen von Erasmus von Rotterdam. In England, in Frankreich, in Italien, vor allem auch in Spanien ist er das Idol der studierenden Jugend. Keiner weiß wie er, das neue Medium Buchdruck zu nutzen.
Damit Europa zurückfinde "ad fontes", zu seinen besten Quellen, erarbeitet er die großen Werke der Antike, die christlichen und die heidnischen, fast alle neu und lässt sie drucken. So auch das Neue Testament in jener griechischen Urfassung, auf die sich Luther stützen wird. Trotzdem bleibt Erasmus gegenüber Luther, mit dem er eine Korrespondenz unterhält - und der ihn als glitschigen Aal, stinkende Wanze und Hornisse beschimpft -, auf Distanz: Dessen aggressives Vorgehen in Fragen der Religion ist ihm zuwider.
Erasmus wird als unehelicher Sohn eines Priesters in Rotterdam geboren. Seine Eltern sterben an der Pest. Danach wird der 16-Jährige unter die Vormundschaft gebildeter Geistlicher gestellt. Später wird er Priester, verbringt eine Zeit im Kloster und studiert anschließend Theologie.
In seinen Schriften gibt Erasmus von Rotterdam seinen Zeitgenossen Ratschläge für richtiges Benehmen. 1509 schreibt er angeblich in nur einer Woche seine Satire "Lob der Torheit", die anschließend das ganze gebildete Europa begeistert. Hierin stellt Erasmus die ironische These auf, dass nur die Dummheit die Menschen glücklich machen kann - um dabei die Vernunft zu preisen.
Erasmus, der auch "Fürst der Humanisten" genannt wird, gilt als der gescheiteste Mensch seiner Zeit. Im Juli 1536 stirbt Erasmus von Rotterdam in Basel. Er hinterlässt rund 150 Bücher.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
Sein Vorbild ist die Forscherin Jane Goodall. Jahrelang begleitet Heinz Meynhardt aus nächster Nähe eine Wildschweinrotte und gewinnt sensationelle Einblicke in deren Leben. Er stirbt am 27.10.1989.
Bevor Heinz Meynhardt der Chef einer Wildschweinrotte wird, führt er ein bürgerliches Leben im Städtchen Burg in der Nähe von Magdeburg. Zu DDR-Zeiten ist er gelernter Elektromeister und Antennenbauer.
Die Familie Meseberg in Burg fährt jeden Tag um die gleiche Zeit zu einem Militär-Stützpunkt, um Essenreste für ihre Hausschweine abzuholen. Auf dem Weg begegnet ihnen eine Wildschweinrotte. Die wilde Verwandtschaft bekommt auch etwas vom Futter.
Heinz Meynhardt ist fasziniert und will noch mehr über die schlauen Tiere erfahren. Mutig und mit Mais bewaffnet macht er sich zweimal täglich auf den Weg in den Wald, um sich bei den Schwarzkitteln beliebt zu machen.
Die Rotte akzeptiert ihn. Er ist der erste Forscher in Europa, den die Bachen beim Wurf ihrer Frischlinge dulden. Er sitzt am Wurfkessel und prägt die Frischlinge damit auch auf sich. Der Nachwuchs hört jetzt neben den Prägelauten der Mutter auch seine Stimme.
Meynhardt erwirbt im Zusammenleben mit den Borstenviechern so umfangreiche Kenntnisse, dass er ohne Abitur und Studium an der Universität Leipzig seine Doktorarbeit einreicht. Die Arbeit wird auf Herz und Nieren geprüft. Meynhardt bietet allem Paroli und bekommt den Doktor-Titel. Der Elektromeister Heinz Meynhardt ist Doktor der Agrarwissenschaften.
Kurz vor der Wende bricht Meynhardt bei einer Veranstaltung in Frankreich am 27. Oktober 1989 mit nur 54 Jahren am Rednerpult tot zusammen - Hirntumor. Der Freundeskreis "Heinz Meynhardt" setzt ihm in Burg ein Denkmal.
Eine lebensgroße Skulptur neben Wildschweinfiguren und einem Findling mit Gedenkplatte, auf der steht: "Wildschwein ehrenhalber".
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Als er am 26.10.899 stirbt, hat er die Wikinger bezwungen und Britannien geeint. Kein anderer Brite wird "der Große" genannt. Dabei sollte Alfred gar nicht König werden.
Sein genaues Geburtsdatum ist nicht überliefert. Irgendwann im Jahr 848 oder auch 849 kommt Alfred zur Welt, als Sohn des Westsachsenkönigs Æthelwulf und dessen erster Frau Osburga. Doch Alfreds Geschichte beginnt eigentlich schon Jahrzehnte vorher: Mit dem Überfall einer kleinen, fremdartigen Flotte furchterregender Kerle auf England - dem Sturm der Wikinger auf das Kloster Lindisfarne.
55 Jahre nach dem Überfall wird Alfred geboren. Als er mit 20 Jahren König der West-Sachsen wird, ist Britannien in einer gefährlichen Krise. Die Wikinger sind inzwischen so mächtig, dass unter ihren Schwertern drei der vier Reiche Britanniens am Boden liegen. Aber sie kommen mittlerweile nicht mehr zum Plündern aus Skandinavien, sondern sind in England, Irland und Frankreich aktiv. Das macht sie angreifbar.
Die Schlacht von Edington führt 878 schließlich zur Wende. Alfred kann die Wikinger überraschend schlagen. Es ist der Anfang vom Ende des ersten Wikingerzeitalters. Und der hauchdünne, zarte Beginn einer Entwicklung, aus der später ein geeinigtes Großbritannien hervorgehen wird. Alfred stirbt vorher, am 26. Oktober 899, mit 50 oder 51 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Jimi Hendrix, David Bowie und The White Stripes: Sie alle hat der legendäre britische Radio-DJ John Peel (Todestag 25.10.2004) entdeckt oder bekannt gemacht.
Geboren wird der spätere BBC-Starmoderator als Robert Parker Ravenscroft 1939 in der Nähe von Liverpool. Mit 21 Jahren schickt ihn sein Vater, ein Baumwollhändler, zur Ausbildung in die USA. Doch John wird schnell klar, dass ihm Musik wichtiger ist als Baumwolle. Das bringt ihn zum Radio, wo er nachts Musiksendungen moderiert.
1965 kehrt er nach Großbritannien zurück und arbeitet beim illegalen Piratensender Wonderful Radio London. Um unentdeckt zu bleiben, ändert er seinen Nachnamen in Peel. Dann holt ihn die BBC für den neu gegründeten Jugendsender Radio One – und seine Karriere nimmt Fahrt auf.
John Peel begeistert mit seiner ungewöhnlichen Auswahl abseits des Mainstreams bald eine große Fangemeinde. Auch Plattenlabels und Talentscouts vertrauen auf sein Gespür. Nur seine Vorgesetzten bringt der Radio-DJ häufiger ins Schwitzen, weil er sich nicht an Vorgaben hält: Als die BBC einen Song der Punkband "The Sex Pistols" auf den Index setzt, weil er sich gegen die Monarchie richtet, spielt Peel ihn trotzdem.
Auf der Suche nach neuen Bands durchstreift John Peel wöchentlich große und kleine Londoner Plattenläden – und hört sich unzählige Demo-Bänder an. Legendär sind seine "Peel Sessions": Konzerte junger Bands, die live im Radio ausgestrahlt werden. Am 14. Oktober 2004 verabschiedet sich der Moderator in den Urlaub. Es ist seine letzte Sendung: John Peel stirbt am 25. Oktober 2004 in Peru an einem Herzinfarkt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Amy Zayed:
24.10.1944: der Ringer und Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder wird hingerichtet. Wer steckt hinter der Legende, die im Osten verklärt, im Westen fast vergessen wurde?
Werner Seelenbinder wird 1904 in Stettin geboren, zieht dann mit der Familie nach Berlin. Dort betreibt die Mutter einen Krämerladen, während der Vater bald in den Ersten Weltkrieg zieht. Seelenbinder ist früh auf sich selbst gestellt.
Das Nachkriegsleben lässt Seelenbinder keine Zeit, einen Beruf zu erlernen. Mit harter körperlicher Arbeit hält er sich und seine Familie über Wasser. Dabei entdeckt er sein Talent fürs Ringen. Aus dem Arbeiterkind Werner Seelenbinder wird ein Arbeitersportler. Besuche in der Sowjetunion festigen seine politischen Überzeugungen und Seelenbinder tritt in die Kommunistische Partei Deutschlands ein. 1933 erringt er seinen ersten deutschen Meistertitel, verweigert bei der Siegerehrung aber den Hitlergruß.
Seelenbinder ist erfolgreicher Ringer und gleichzeitig Verbindungsmann für die kommunistische Sache in Europa. Er nutzt seine Reisen zu Wettkämpfen ins europäische Ausland, um wichtige Papiere zu schmuggeln und zu überbringen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs intensiviert er seine Untergrundarbeit - und wird 1942 verhaftet. 33 Monate lang versucht die Gestapo, Informationen über die Arbeit des kommunistischen Untergrunds aus ihm herauszuprügeln. In Potsdam wird er schließlich im Eilverfahren zum Tod durch das Fallbeil verurteilt und am 24. Oktober 1944 hingerichtet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Ein deutscher Archäologe macht am 23.10.1994 im Südosten der Türkei eine bedeutende Wiederentdeckung: ein Monumentalbau, viel älter als Stonehenge oder die Pyramiden.
Göbekli Tepe - diesen Namen geben irgendwann in jüngerer Zeit die einheimischen Bauern dem Hügel. "Bauchiger Berg" bedeutet das, oder "Berg mit Nabel" - und er sieht aus der Ferne tatsächlich aus wie ein Bauchnabel.
Wie auf einer Kitschpostkarte steht mitten auf dem Hügel ein einsamer Maulbeerbaum, an dem hunderte kleiner bunter Stoffstreifen im Wind wehen: Geheime Wunschbändchen der einheimischen Frauen.
Anfangs ragen Steinbrocken aus dem Feld heraus, an denen sich die Bauern abmühen. Dabei sind sie nicht zimperlich. Die Brocken sind beim Pflügen im Weg und sollen aus dem Weg geschafft werden.
Der Heidelberger Archäologe Klaus Schmidt sieht mehr in dem Hügel - und lässt graben. Wenige Wochen nach Beginn der Ausgrabungen ist klar: Der Hügel von Göbekli Tepe birgt eine Sensation. Die Monumentalität dieses Platzes erwartet man nicht für die Zeit des zehnten Jahrtausends vor Christus, als die Menschen noch auf der Stufe von Jäger und Sammler-Kulturen sind und gerade erst beginnen, die sesshafte und nahrungsproduzierende Lebensweise zu erlernen.
Jüngst wurden Überreste von Wohngebäuden gefunden, mit zahlreichen Steingefäßen, Feuerstein-Werkzeugen, verkohlten Wildsamen und Gräbern unter den Fußböden der Wohnhäuser. Göbekli Tepe ist demnach kein reiner Kultplatz, sondern auch ein Siedlungsplatz. Und zwar von der ersten Phase an.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Der Kommunist Sartre will sich nicht von einer bürgerlichen Institution auszeichnen lassen, lehnt Preis und Geld ab. Jahre später kommt wieder Bewegung in den Skandal.
Es ist ein Skandal, als Jean-Paul Sartre am 22. Oktober 1964 den Nobelpreis für Literatur ablehnt. Er selbst sagt dazu, er sehe nicht ein, dass ihn fünfzig ältere Herren, die schlechte Bücher schreiben, krönen sollten.
Sartre schreibt dem Sekretär der Schwedischen Akademie, dass er nicht auf der Liste möglicher Nobelpreiskandidaten erscheinen möchte. Dies sei "keine Stehgreifentscheidung" schreibt Sartre acht Tage vor der Bekanntgabe. Der Sekretär aber weilt im Urlaub. Die Entscheidung der Jury ist bereits gefallen.
Am 22. Oktober 1964 ist es so weit: Die Nachricht vom neuen Literaturnobelpreisträger Jean-Paul Sartre geht um die Welt. Wenig später folgt ein weiteres Kommuniqué aus Stockholm mit der Bekanntgabe von Sartres Ablehnung.
Sartre ist sich bewusst, dass 250.000 Kronen Preisgeld, damals umgerechnet 220.000 DM, viel Geld sind. Man hätte es, wie er eingesteht, für die Unterstützung von Bewegungen und Organisationen nutzen können. Er denkt da unter anderem an das Londoner Apartheid-Komitee.
Elf Jahre später hat Jean-Paul Sartres spektakuläre Ablehnung des Literaturnobelpreises ein Nachspiel. Presseagenturen berichten, dass eine briefliche Anfrage bei der Nobelstiftung eingegangen sei, ob er das Preisgeld doch noch erhalten könne.
Sartre dementiert das nachdrücklich und hat den Brief wohl auch nicht selbst geschrieben. Das Geld ist den Statuten der Akademie entsprechend auch längst zurück in die Stiftung geflossen.
Wenig später unterläuft Sartre seine Devise, Ehrungen durch Institutionen prinzipiell auszuschlagen. 1976 nimmt er die Ehrendoktorwürde der hebräischen Universität Jerusalem für sein Engagement gegen den Antisemitismus an.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Gehen oder bleiben? Bis Ende 1939 mussten sich die deutschsprachigen Südtiroler entscheiden: Umsiedeln ins Nazi-Reich oder ihre Kultur aufgeben. Viele hat es zerrissen.
Im Juni 1939 beschließen Rom und Berlin die Umsiedlung so genannter Volksdeutscher aus der zu Italien gehörenden Provinz Südtirol. Auch Ladiner können optieren. Sie sind eine ethnische Randgruppe mit eigener Sprache, hauptsächlich in den Tälern der Dolomiten, aber auch im Trentino und in Venetien.
Am 21. Oktober 1939 werden drei Verträge geschlossen, sie regeln genaue Details. Die betroffenen Menschen, zwischen 200.000 und 250.000, bekommen Zeit bis zum Jahresende, um sich zu entscheiden: bleiben oder gehen.
Dableiben oder gehen - für viele Südtiroler ist das eine Wahl, die sich innerlich zerreist. Man kann sich für Deutschland entscheiden, fürs "Volkstum", wie das damals heißt, fürs Nazi-Reich - und verliert Haus, Hof und die Heimat.
Oder man entscheidet sich fürs Bleiben, was als Bekenntnis zur italienischen Nation gilt. Dann muss man die Muttersprache aufgeben, Kultur und Traditionen verleugnen. Die große Mehrheit, 86 Prozent, stimmt für Abschied und ein neues Leben auf der anderen Seite des Brenners.
Deutschland lockt mit einer besseren wirtschaftlichen Perspektive. Man verspricht den deutschsprachigen Südtirolern das Blaue vom Himmel.
Die meisten, die gehen, kommen aber grad mal bis Innsbruck oder Kufstein, vielleicht noch nach Niederösterreich. Junge Männer werden gleich von der Wehrmacht geholt. Familien bringt man in eilends gebauten Südtirolersiedlungen unter. Und manchmal tatsächlich auf einem Hof. Gedanken an die Vorbesitzer schieben die Umsiedler beiseite. Die an vertriebene Juden auch.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Ob schwanger vom Küssen oder zu viele Schamhaare: Sexualtherapeut Martin Goldstein nimmt ernst, was Jugendliche umtreibt - und bringt der Bravo eine Millionenauflage.
"Sprechstunde bei Dr. Jochen Sommer: Was dich bewegt. Ein Mann von heute spricht mit den'Bravo'-Lesern über ihre Probleme und Sorgen."
Der "Mann von heute" heißt eigentlich Martin Goldstein - und er ist nicht allein. Mit einem dreiköpfigen Team beantwortet der Psychotherapeut aus Düsseldorf so dringliche Fragen wie "Kann man vom Küssen schwanger werden" oder "Ist Onanie schädlich?". Die "Bravo" hat zwar schon vorher eine Aufklärungsrubrik, doch die kommt bei den Jugendlichen nicht an. Sie erhält kaum noch Leserpost.
Goldstein dagegen weiß, wie sein Publikum tickt: Der studierte Mediziner arbeitet in einer Beratungsstelle für Jugendliche, spricht immer wieder mit Schulklassen über Liebe und Sex und schreibt Aufklärungsbücher.
Als die "Bravo" ihn einlädt die Rubrik zu schreiben, ist Martin Goldstein bereit. Die Antworten von ihm kommen an. Von dem Tag an kommen pro Monat 3.000 bis 5.000 Briefe. In den nächsten 15 Jahren avanciert Goldstein unter dem Pseudonym "Dr. Sommer" zum "Aufklärer der Nation".
Obwohl er durch seine "Sprechstunde" für eine rasante Auflagensteigerung sorgt, mag der seriöse Dr. Goldstein die "Bravo" nicht besonders: Das Umfeld aus Kommerz und Starkult bereitet ihm von Anfang an Unbehagen. Er schreibt unter Pseudonym, weil er sich um seinen Ruf sorgt. Doch Goldstein weiß eben auch, dass er auf diesem Weg sehr viele Jugendliche erreichen kann und denen möchte er helfen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Eine Prinzessin ohne Macht, aber mit viel Machtinstinkt. Ein verliebter Thronfolger im benachbarten Königreich: Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón feiern am 19.10.1469 eine folgenreiche Hochzeit...
Was wie ein unbedeutendes Ereignis anmutet, ist ein historisch bedeutsamer Schritt in der Geschichte Spaniens: Die heimliche Hochzeit von Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien im Jahr 1469 ist der Beginn einer entscheidenden politischen Allianz, die die Geschicke Spaniens nachhaltig beeinflusst.
Im Schutz der Nacht schleicht sich der 17-jährige Ferdinand über die Grenze von Aragon nach Kastilien, um die ein Jahr ältere Isabella zu heiraten.
Dabei geht es ihnen weniger um Romantik als um eine strategische Allianz: Die beiden jungen Monarchen vereinen in dieser Nacht nicht nur ihre Territorien, sondern legen auch den Grundstein für ein geeintes Spanien, das den Weg für die Reconquista und die spätere europäische Entdeckung Amerikas ebnet. Die Vereinigung führt zu einer Stärkung der monarchischen Macht - und zu bedeutenden politischen Veränderungen.
Die "Katholischen Könige" regieren fortan mit Entschlossenheit und einem klaren Machtanspruch, der die Geschichte der Neuen Welt für immer verändert und ein ambivalentes Erbe hinterlässt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Lässt sich etwa aus Pipi Gold machen? Der Alchemist Hennig Brand macht im Jahr 1669 buchstäblich erleuchtende Experimente und entdeckt dabei: das Element Phosphor.
Im Jahr 1669 macht der deutsche Apotheker Hennig Brand eine bemerkenswerte Entdeckung, die die Wissenschaft revolutioniert: Phosphor.
Eigentlich auf der Suche nach dem sagenumwobenen Stein der Weisen - einem Symbol für die Verwandlung unedler Metalle in Gold - experimentiert Brand mit einer wenig einladenden Quelle: menschlichem Urin. Durch eine aufwendige Destillationsmethode schafft er jedoch eine substanzielle, leuchtende Masse, die sich selbst entzünden kann und in der Geschichte der Chemie bis heute eine bedeutende Rolle spielt.
Trotz seiner bemerkenswerten Entdeckung und der ersten Nutzung des Phosphors in der Herstellung von Streichhölzern gerät Brand schnell in Vergessenheit. Sein Name taucht erst viel später wieder auf, dank des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der sich auf die Suche nach dem wahren Entdecker macht.
Die Geschichte Brands ist nicht nur die eines chemischen Fortschritts, sondern auch eine von Intrigen und Missverständnissen, die zeigen, wie eng Licht und Schatten in der Geschichte der Wissenschaft miteinander verbunden sind.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Frédéric Chopin gilt als Sänger am Klavier - seine Musik vereint Traurigkeit und traumhafte Leichtigkeit. Nach seinem Tod am 17.10.1849 findet das Herz des Komponisten die letzte Ruhe in seiner Heimat Polen.
Frédéric Chopin, 1810 im polnischen Żelazowa Wola geboren, gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Romantik. Geprägt von Tänzen wie der Mazurka und der Polonaise sind seine Werke tief in der polnischen Volkskultur verwurzelt.
Er schreibt weder Opern noch Sinfonien, doch prägt er die Musikgeschichte nachhaltig. Vor allem seine einzigartigen, feinsinnigen Klavierwerke, die von einer tiefen Emotionalität und einer unvergleichlichen Zartheit geprägt sind. Am besten zur Geltung kommen diese in der Intimität der Pariser Salons.
Chopins musikalische Karriere beginnt früh: Bereits mit sieben Jahren komponiert er seine erste Polonaise. Nach seiner Ausbildung am Warschauer Konservatorium zieht er 1831 nach Paris, wo er den Rest seines Lebens verbringt. In der französischen Hauptstadt findet Chopin nicht nur seine künstlerische Heimat, sondern wird auch von prominenten Zeitgenossen wie Franz Liszt und Robert Schumann geschätzt.
Obwohl Chopin nie nach Polen zurückkehrt, bleibt seine Musik zutiefst von seiner Herkunft geprägt. Seine Werke, darunter die berühmten Nocturnes, Préludes und Etüden, zeichnen sich durch eine intime und oft melancholische Stimmung aus, die seine Sehnsucht nach der Heimat widerspiegelt. Bis zuletzt gilt der Satz des polnischen Dichters Cyprian Kamil Norwid: "Dem Herzen nach ein Pole, dem Talent nach ein Weltbürger". Seine zerbrechliche Gesundheit setzt dem außergewöhnlichen Schaffen eines der größten Komponisten der Romantik viel zu früh ein Ende.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
Ein wirklich witziger Schriftsteller, ein Dandy, ein Rebell im prüden viktorianischen England: Am 16.10.1854 wird Oscar Wilde geboren.
Oscar Wilde stammt aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus, die Mutter ist eine Individualistin, sie nennt sich selbst "Speranza", das heißt Hoffnung. Sie hat literarische Ambitionen, unterhält einen Salon und liebt extravagante Kostüme.
In ihrem Salon begegnet der junge Oscar Künstlerinnen und Schriftstellern. Er studiert zunächst in Dublin, dann in Oxford. Ab 1887 entstehen seine literarischen Meisterwerke: Etwa seine Theaterstücke "Salomé", "Ein idealer Gatte" und "Bunbury - Ernst sein ist alles". Wilde schreibt Essays und sein berühmtes Buch "Das Bildnis des Dorian Gray".
Darin verführt der Dandy Lord Henry Wotton als Mephistogestalt den faszinierend schönen Dorian dazu, seine Jugend rücksichtslos auszuleben und stattdessen sein von einem Maler geschaffenes Bildnis altern zu lassen. Dorian Gray ist bereit, einen hohen Preis für die ewige Jugend zu zahlen. "Dorian Gray" schockiert das damalige England noch auf eine andere Weise: Oscar Wilde lässt im Text Homosexualität mitschwingen.
Er selbst hat zahlreiche Verhältnisse mit jungen Männern. Seine Liebe zu Alfred Lord Douglas aber läutet seinen Untergang ein. Der Vater des Lords beschuldigt Wilde der "Sodomie", wie homosexuelle Handlungen damals diffamierend genannt werden. Oscar Wilde wehrt sich mit einer Ehrenbeleidigungsklage. Ein sinnloses Aufbäumen auf juristisch wackligen Beinen - und erfolglos.
Im Mai 1895 wird Wilde zu zwei Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit wegen "homosexueller Unzucht" verurteilt. Der Genussmensch verschwindet hinter den dicken Mauern des berüchtigten Gefängnisses Reading Gaol. Als Wilde nach zwei Jahren frei kommt, ist er gesundheitlich, finanziell und gesellschaftlich ruiniert, und als Künstler getilgt. Oscar Wilde existiert nicht mehr.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Zum ersten Mal wird 1929 nachweislich ein Countdown verwendet - im Film "Frau im Mond" des deutschen Regisseurs Fritz Lang. Bei echten Raketenstarts wird die Idee dann übernommen...
Im Film "Frau im Mond" von Regisseur Fritz Lang startet die Rakete "Friede" mit einigen Menschen an Bord Richtung Mond. Kurz vor dem Zünden der Triebwerke wird der Bildschirm schwarz und ein Schriftzug erscheint: "Noch zehn Sekunden!" Wenig später dann: "Noch sechs Sekunden!" Ab drei Sekunden vor dem Start ist nur noch die Zahl zu sehen. Am Ende steht in Großbuchstaben das Wort "JETZT". Dann hebt die Rakete ab.
Mit seiner Idee rückwärts bis Null - oder in diesem Fall bis "Jetzt" - zu zählen, erfinden Lang und sein wissenschaftlicher Berater quasi nebenbei einen dramaturgischen Standard, der noch heute bei jedem Raketenstart den Höhepunkt darstellt: Den Countdown. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Stummfilm "Frau im Mond" seine Premiere am 15. Oktober 1929 feiert, also fast 15 Jahre vor dem ersten Flug einer Rakete in den Weltraum.
Bis dahin zählte man in der Science-Fiction-Literatur und auf ersten Testgeländen entweder gar nicht oder einfach bis zu einem festgelegten Zeitpunkt. Doch da wisse das Publikum ja nicht, wann es losgeht, meint Lang. Nur wenn rückwärts gezählt wird, könne Spannung erzeugt werden. Wahre Worte.
Damit ist der Siegeszug des Countdowns nicht mehr aufzuhalten. Spätestens 1969 zählt dann die ganze Welt von zehn bis null herunter, als sich von Cape Canaveral aus drei Männer auf den Weg zum Mond machen. Der Rest ist Geschichte.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Unheimlich schön wirkt er in jeder Rolle, ob als Drag Queen, Dracula oder Hitler: der Schauspieler Udo Kier. Am 14.10.1944 wird er geboren. In einen Bombenangriff hinein.
Udo Kier wird am 14. Oktober 1944 in Köln geboren. Kurz danach gibt es einen Bombenangriff. Auch das Krankenhaus wird getroffen. Kier und seine Mutter haben Glück. Sie werden zwar verschüttet, aber der Mutter gelingt es, sich und den Neugeborenen zu befreien. Kier wächst mit seiner alleinerziehenden Mutter auf.
80 Jahre später hat Udo Kierspe - wie er bürgerlich heißt - Kultstatus als Charakterschauspieler und Trash-Gott.
Zunächst lernt er aber den Beruf des Großhandelskaufmanns und arbeitet bei Ford am Band. Sein Aussehen und die türkisfarbenen, durchdringenden Augen sind wie geschaffen für Hollywood. Bis er dort Erfolg als Schauspieler hat, dauert es aber noch einige Zeit.
Zunächst geht er nach London, schlägt sich dort als Kellner durch und besucht abends die Schauspielschule. Bald spielt er in Horror- und Trash-Filmen mit, die Titel tragen wie "Hexen bis aufs Blut gequält". Kier spielt in Filmen, die mit B-Movie-Ironie vermarktet werden: Zur Kinokarte wird auch mal direkt eine Tüte bei aufkommenden Brechreiz verkauft.
1991 gelingt Udo Kier als "Hans" in "My Private Idaho" an der Seite von River Phoenix und Keanu Reeves der Durchbruch in den USA. Kier wird ein Weltstar und dreht mit großen Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Werner Herzog, Christoph Schlingensief, Gus van Sant, Lars von Trier und Quentin Tarantino.
Anfang der 1990er-Jahre zieht Kier von Köln nach Kalifornien und lebt dort in einem Haus in Palm Springs.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Von der Insel Amrum nach Algerien, von Piraten versklavt und reich zurückgekehrt: Das Leben von Hark Olufs (gestorben am 13.10.1754) liest sich wie ein friesisches Märchen aus 1001 Nacht...
Amrum ist karg. Darum müssen im 18. Jahrhunderte viele Bewohner die Insel verlassen, um über die Runden zu kommen. Die Hälfte der damals knapp 600 Amrumer lebt von der Seefahrt. Dazu gehört auch Hark Olufs, der 1708 geboren wird. Er ist zwölf Jahre alt, als er sich von seinen Eltern verabschiedet und sich zum Schiffsjungen ausbilden lässt.
1724 fährt der 15-jährige Hark auf der "Hoffnung". Der Dreimaster nimmt in Nantes Ladung auf und segelt nach Hamburg. Doch gut 40 Kilometer vor der Südwestspitze Englands wird das Schiff von türkischen Piraten gekapert. Sie schleppen die "Hoffnung" bis nach Algier. Dort wird Hark als Sklave verkauft und landet bei einem Provinzfürsten.
Es ist Kalyan Hassan, der Bey von Constantine. Er schätzt an Hark Olufs offenbar dessen Treue und Begabungen. Nach etwa dreieinhalb Jahren wird Hark zum Schatzmeister ernannt. Er reist mit seinem Herrn durch das Land und treibt Steuern ein.
Als Hark 22 Jahre alt ist, ernennt ihn der Bey zum Befehlshaber der Leibgarde. Mit dem Geld, das er für seine Dienste erhält, kann sich Hark Olufs schließlich freikaufen. 1736 trifft er in Hamburg ein, wo sein Vater auf ihn wartet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Es gab viele Politiker und Prominente, die angeblich bei ihr Rat suchten: Die Wahrsagerin Margaretha Goussanthier, bekannt als die Seherin von Bonn (geboren am 12.10.1899).
Madame Buchela, mit bürgerlichem Namen Margaretha Goussanthier, beginnt ihre Karriere als Wahrsagerin in der frühen Bundesrepublik. Es ist eine Zeit, in der die Gesellschaft mit vielen Unsicherheiten befasst ist.
Auch Politiker nehmen angeblich ihre Dienste in Anspruch. Beweise gibt es dafür allerdings nicht. Das findet alles sehr diskret statt.
In den 1960er- und 1970er-Jahren ist die Buchela die berühmteste Wahrsagerin der Bundesrepublik. Margaretha Goussanthier lebt seit 1961 in Remagen am Rhein.
Das kleine Häuschen vererben ihr zwei dankbare ältere Schwestern, die bei ihr Kundinnen gewesen sind. Sie, die Sintezza, die "Zigeunerin", wie sie sich selbst nennt, ist nun endgültig sesshaft geworden.
Ihren Durchbruch als Seherin von Bonn hat die Buchela, als 1953 der zweite deutsche Bundestag gewählt wird. Umfragen sehen die SPD-Opposition deutlich vorn.
Bundeskanzler Konrad Adenauer bangt um seine Wiederwahl. Doch die Buchela sagt einen Wahlsieg der regierenden CDU voraus - der dann auch tatsächlich eintritt.
Buchela verdient gut mit ihrer Wahrsagerei, oder besser gesagt ihrer "psychologischen Lebensberatung". Sie stirbt am 8. November 1986 im Alter von 87 Jahren. Ihre Beerdigung in Remagen ist ein großes Ereignis. So viele Gäste hat man dort zu einer Beerdigung noch nie gesehen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Ein verheerende Sturmflut zerreißt am 11.10.1634 die damals größte deutsche Nordsee-Insel Strand. Auf der soll sich Jahrhunderte zuvor auch Rungholt befunden haben, das mythische "Altlantis der Nordsee"...
Der Name der einst größten deutschen Nordseeinsel weist auf die Herkunft als ehemaliger Teil der Küste hin: Strand. Sie ist vor der Küste Husums durch mehrere Sturmfluten abgeschnitten vom Festland und durch Deiche befestigt. Im Jahr 1198 wird die Insel erstmals urkundlich erwähnt.
Der Inselboden muss ständig entwässert werden, doch das scheint sich zu lohnen: Die Menschen von Strand sind wohlhabend. Besonders reich sollen die Bewohner der Strander Siedlung Rungholt sein. Deren Übermut führt angeblich 1362 dazu, dass der Pfarrer des Ortes sie verflucht und damit eine schwere Sturmflut heraufbeschwört, die tausende Strander das Leben kostet.
Nach der "Groten Mandränke" ("Der großen Menschenertränkung") von 1362 erlebt die Insel Strand weitere Sturmfluten. Doch die verheerendste trifft sie mitten im Dreißigjährigen Krieg. Und wieder soll ein Fluch daran Schuld sein.
Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottdorf, zu dessen Herzogtum Strand gehört, will auf der Insel zwei Kompanien zum Schutz vor den kaiserlichen Truppen einquartieren. Doch die Strander widersetzen sich. Aus Wut soll der Herzog die aufmüpfigen Inselbewohner verflucht haben.
Am Samstag, den 11. Oktober 1634, wird die Insel von einem mächtigen Sturm und einer Springflut getroffen. Die Menschen flüchten auf die Dächer ihrer Häuser, doch unter der Wucht des Sturms zerbrechen diese oder werden durch aufgewirbeltes Kaminfeuer entzündet.
Wieder sterben tausende Menschen an der Küste Nordfrieslands, mehr als 6.000 allein auf der Insel Strand - zwei Drittel der Strander Bevölkerung. Hinzu kommen über 50.000 Nutztiere, die in den Fluten zugrunde gehen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Herbst 1974: Der plötzliche Wintereinbruch kommt für mehrere Millionen Schwalben unerwartet: Zu geschwächt für ihre Reise nach Süden schauen sie dem sicheren Tod entgegen.
Es ist ungemütlich in Mitteleuropa im Herbst 1974: Ein von Meteorologen und Schwalben gleichermaßen unerwarteter, plötzlicher Einbruch des Winters. Normalerweise machen sich die Vögel zwischen Ende August und Anfang Oktober auf den Weg nach Süden. Zuvor fressen sie Fluginsekten und tanken so die nötige Energie für die lange Reise.
Doch dieses Mal ist die Natur durcheinander. Landwirte melden bei Vogelschützern haufenweise Rauchschwalben und Mehlschwalben, die sich in den Ställen sammeln und nicht losfliegen. Die frühe Kälte hat die Insekten getötet - die Schwalben haben keine Chance, Energiepolster anzulegen. Die ersten Tiere sterben.
Rolf Gogné aus Bruchköbel-Roßdorf bei Hanau gehört damals zu den ersten, die das Ausmaß der Schwalben-Katastrophe erkennen. Er trommelt alle Vogelschützer zusammen, die er kennt. Schließlich spricht sich die Schwalbenrettungsaktion deutschlandweit herum.
Bald starten Flugzeuge von Frankfurt am Main, Echterdingen bei Stuttgart, aus dem Saarland, Baden-Württemberg und der Schweiz. Insgesamt werden wohl fast zwei Millionen Schwalben transportiert. Aber nicht alle Schwalben fliegen in den Süden, manche reisen - etwa von Freiburg aus - per Bahn über die Alpen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Am 9.10.1929 machten Forscher eine verblüffende Entdeckung: Eine Karte aus dem Jahr 1513, die bereits Teile der Welt zeigt, die zu der Zeit noch gar nicht entdeckt waren.
Für Erich von Däniken gibt es nur eine Antwort: Die Weltkarte, die der osmanische Admiral Piri Reis 1513 erstellt hat und auf der scheinbar überraschend detailliert Südamerika und die Antarktis eingetragen sind, muss auf Luftaufnahmen basieren. Nur Außerirdische seien damals in der Lage gewesen, die Küstenlinie aus großer Höhe zu fotografieren.
Doch es gibt auch rationale Erklärungen für viele der Rätsel um die Entstehung der Karte, die nicht komplett erhalten ist. Gezeichnet auf Pergament aus Kamelhaut, zeigt das Fragment auf einer Fläche von 85 mal 60 Zentimetern die Westküsten von Europa und Afrika, den Atlantik und die Ostküste Amerikas.
Auf der Karte sind rund 20 unterschiedliche Karten aufgeführt, die zur Konstruktion dieser Weltkarte beigetragen haben sollen. Unter anderem auch eine angebliche Karte von Kolumbus und anderen weniger bekannten Seefahrern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Ein Freiheitskämpfer. Ein früher Faschist, sagen andere. Am 8.10.1354 wird der Volkstribun Cola die Rienzo ermordet, nachdem er dem verfallenen Rom zu neuer Größe verholfen hatte...
Einfach ist es nicht, die historische Rolle von Cola di Rienzo zu bewerten. Für Richard Wagner, der den italienischen Gastwirtssohn zur Titelfigur seiner Oper macht, ist di Rienzo ein Freiheitskämpfer mit guten Absichten, der den Intrigen seiner Gegner und seiner eigenen Volksverbundenheit zum Opfer fällt. Historiker sehen in ihm heute eher einen Populisten, der das Elend der Bevölkerung ausnutzt, um mit autokratischen Mitteln seine Macht auszubauen.
Der Aufstieg des Volkstribunen beginnt mit der Analyse der Zustände, in die er hineingeboren wird. Als Cola di Rienzo im Jahr 1313 in Rom das Licht der Welt erblickt, hat seine Heimatstadt viel von ihrem Glanz als einstige Hauptstadt der Welt eingebüßt. Weite Teile des Stadtgebiets sind entvölkert, Monumente wie der Circus Maximus verfallen. Di Rienzo ergreift den Notar-Beruf - und setzt sich ein Ziel. Das lautet: "Make Rome great again!"
Mit Hilfe der Kirche steigt er zum einflussreichen Politiker auf, stürzt 1347 die adlige Senatsherrschaft und versucht, als selbsternannter Tribun eine volksnahe, an alte römische Traditionen anknüpfende Herrschaft zu errichten. Doch sein Plan scheitert, als das Volk und die Wirtschaftsbosse von Rom ihm die Gefolgschaft versagen. Ende 1347, nach nur sieben Monaten, flieht di Rienzo aus der Stadt und führte ein Eremitendasein in den Bergen.
Unerwartet bekommt er 1354 eine zweite Chance, in Rom für Ordnung zu sorgen - die er letztlich mit dem Leben bezahlt. Cola di Rienzo regiert selbstherrlicher denn je, bis er schließlich vollkommen isoliert ist. Am 8. Oktober 1354 wird er von einer aufgebrachten Volksmenge regelrecht massakriert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Ihren Ursprung hat die Scouting-Bewegung in England. In Deutschland wird aus zuerst losen katholischen Sankt-Georgs-Gemeinschaften 1929 ein Pfadfinder-Bundesverband.
In der Weimarer Zeit wird die Bündische Jugend vielfach umworben. Ihre Gruppen spiegeln alle politischen Strömungen der Zeit wider - von extrem rechts bis ganz links. Auch die Kirchen wollen Einfluss gewinnen und gründen Ableger. Erste katholische Pfadfindergruppen entstehen 1928 parallel an verschiedenen Orten.
Am 7. Oktober 1929 schließen sich diese losen Gruppen in Altenberg im Bergischen Land zur Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) zusammen. Der heldenhafte Drachentöter Sankt Georg wird ihr Symbol. Doch die Eigenständigkeit währt nicht lange. Ab 1933 beginnt die Gleichschaltung der Bündischen unter die Hitler Jugend. Ab 1938 ist der katholische Jugendbund verboten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg machen sich die Pfadfinder wieder auf den Weg. 1947 zählen die Georgsritter 10.000 Mitglieder, heute sind es 80.000 - und die Wartelisten lang. Die DPSG gehört zu den Gründern des Dachverbandes "Ring der Pfadfinderverbände".
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Fast 58 Millionen Tagesdosen Ritalin werden jedes Jahr in Deutschland verschrieben. Ausgangsdiagnose: ADHS. Seit seiner Zulassung am 6.10.1954 stellt sich die Frage: Ist das Medikament Fluch oder Segen?
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen immer mehr Wirkstoffe, die auf die Nervenzellen des Gehirns Einfluss nehmen. Dem jungen Chemiker Leandro Panizzon gelingt 1944 in einem Labor der Schweizer Firma CIBA einen neuen Wirkstoff zu synthetisieren: Methylphenidat.
Auch Panizzons Gattin versucht das Mittelchen. Sie hat den Namen Marguerite, Spitzname Rita, und nimmt es zur Verbesserung ihres Tennisspiels, weil sie sich damit besser auf ihre Aufschläge konzentrieren kann. Ihr zu Ehren nennt man das Präparat Ritalin. 1954 lässt CIBA es sich patentieren.
Ritalin kommt bei gesteigerter Ermüdbarkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, depressiver Verstimmungen, bei Antriebsarmut und bei Narkolepsie zum Einsatz. Schon in den 1930er Jahren stellt man fest, dass Amphetamin unruhige Kinder von jetzt auf gleich aufmerksamer macht, ohne sie zu sedieren. Methylphenidat ist zwar selbst kein Amphetamin, wirkt aber ähnlich.
Ritalin und andere Psychostimulanzien stellen sich in klinischen Tests als wirkungsvoll und auch langfristig sicher in der Anwendung heraus. Die Diagnose stellen erfahrene Fachärzte und approbierte Therapeuten. Denn eine Manipulation des Hirnstoffwechsels stellt trotz allem einen massiven Eingriff dar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
Am 5.10.1979 feiert "Apocalypse Now" Deutschlandpremiere. Der Film zeigt eindrucksvoll den Wahnsinn des Vietnamkriegs und bleibt bis heute ein filmisches Meisterwerk.
Vor und während der Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" ahnt wohl niemand, dass hier ein filmisches Meisterwerk entsteht. Viele berühmte Schauspieler wie Jack Nicholson, Clint Eastwood oder auch Robert Redford sagen im Vorfeld ab. Hauptdarsteller Martin Sheen ist zu dieser Zeit ein kleiner TV-Star und dem Alkohol verfallen.
Sheen bekommt die Rolle des Captain Willard, der in Vietnam auf besondere Mission geht. Er wird beauftragt, Colonel Kurtz ausfindig und unschädlich zu machen. Kurtz gilt als abtrünnig und wahnsinnig. In seinem eigenen diktatorischen Reich im Dschungel vernichtet er alles, was ihm nicht in den Kram passt.
Die Drehbedingungen sind schrecklich. Hitze und Mücken machen die Arbeit zur Tortur. Ein Taifun zerstört ein Großteil des Equipments. Das Warten auf Ersatz und die Langeweile sorgen für schlechte Laune am Set, und es kommt noch schlimmer. Martin Sheen erleidet einen Herzinfarkt und ist sieben Wochen außer Gefecht gesetzt. Die Kosten für den Film explodieren. Coppola geht davon aus, durch seine Kassenschlager Der Pate I und II genug Geld für dieses Projekt zu haben. Irrtum. Die Szenen sind aufwendig.
Die Strapazen werden belohnt, der Film wird mehrfach ausgezeichnet: Goldene Palme, Oscars, Golden Globe. Der Film wird als einer der besten überhaupt gefeiert. Mit der Premiere von "Apocalypse Now" zeigt sich auch, dass der Song "The End" der Doors über Abschied in der Liebe für einen martialischen Anti-Kriegsfilm taugt und dass Francis Ford Coppola ein begnadeter Filmemacher ist, der deshalb wieder zu Geld für neue Projekte kommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Als der Verleger Karl Baedeker am 4.10.1859 stirbt, ist sein Name schon ein Synonym für den Reiseführer schlechthin geworden. Steht es nicht im "Baedeker", dann lohnt es nicht die Anreise.
Karl Baedeker wird am 3. November 1801 in Essen geboren. Der Sohn eines Buchhändlers absolviert eine Ausbildung im väterlichen Geschäft, studiert Geschichte und Philosophie in Heidelberg und macht in Berlin eine Buchhändlerlehre.
Mit 25 Jahren gründet er am 1. Juli 1827 eine eigene Buchhandlung in Koblenz. Bald bemerkt Baedeker, dass sich dort das Buch "Die Rheinreise von Mainz bis Köln. Ein Handbuch für Schnellreisende. Von Johann August Klein" extrem gut verkauft.
Baedeker erkennt das Potenzial, kauft nach dem Tod von August Klein die Rechte an dessen Handbuch und bringt 1835 eine Neuauflage heraus. Vier Jahre später hat er den Reiseführer nach seinen eigenen Ideen komplett überarbeitet und legt damit den ersten richtigen Baedeker vor: Rheinreise.
Baedekers Maxime: Überprüfe alles, wenn nötig doppelt! Dafür wird er bald berühmt. In der englischen Übersetzung von Jaques Offenbachs Oper "Pariser Leben" heißt es, Könige und Parlamente könnten sich irren - nicht aber Herr Baedeker.
Als Karl Baedeker am 4. Oktober 1859 in Koblenz stirbt, haben seine zahlreichen Reiseführer schon einige Neuauflagen erlebt. Sein Sohn Fritz führt das erfolgreiche Unternehmen weiter, verlegt es nach Leipzig und bringt schließlich die Bände heraus, die den Baedeker endgültig weltweit berühmt machen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Es ist ein Meilenstein in der Art, wie wir Musik konsumieren - und vielleicht der größte Diebstahl in der Geschichte der Unterhaltungselektronik. Die ganze Wahrheit hat Akio Morita am 3.10.1999 mit ins Grab genommen.
Akio Morita wächst im Japan der Vorkriegszeit auf. Geboren wird er 1921 als ältestes von vier Kindern einer wohlhabenden Familie. Seiner Mutter ist es zu verdanken, dass der kleine Akio schon früh die Liebe zur Musik und gutem Sound entdeckt. Sie hört leidenschaftlich gern auf einem alten Grammophongerät Schallplatten der klassischen europäischen Meister.
Als Akio Morita kurz vor dem Abschluss seines Physikstudiums steht, befindet sich Japan mitten im Zweiten Weltkrieg. In einer Forschungsgruppe trifft er den 13 Jahre älteren Ingenieur und Geschäftsmann Masaru Ibuka . Mit ihm gründet er nach dem Krieg die Firma mit dem unaussprechlichen Namen Tokyo Tsushin Kogyo, das spätere Sony.
Ibuka und Morita orientieren sich dabei von Anfang an in Richtung Westen. Sony will seine Produkte weltweit vermarkten. 1955 bringen sie ihr erstes Transistorradio heraus. Der erste größere Erfolg des noch jungen Unternehmens.
Anfang der 70er Jahre gibt es einen Wandel auf dem Weltmarkt der Unterhaltungselektronik. Die japanischen Unternehmen, die bis dahin eher zu den USA und Europa aufgeschaut haben, übernehmen jetzt die Führung. Und 1979 - 33 Jahre nach der Gründung des Unternehmens - erlebt Sony den Durchbruch und bis dahin größten Erfolg: die Erfindung des Walkmans. Damit trifft Sony den Nerv der Zeit. Der Walkman verkauft sich von Anfang an in rasanter Geschwindigkeit. Und wird zum Super-Hit.
Anfang der 80er Jahre schwimmt Sony auf einer Welle des Erfolgs. Der Konzern entwickelt ein Highlight nach dem anderen - die Digitalkamera Mavica, die CD mit mobilem Player und später auch die erste Playstation. Sony steigt auch ins Film- und Musikgeschäft ein.
Zwischen 2007 und 2020 muss Sony starke Umsatzeinbußen hinnehmen. Doch das erlebt sein Gründer nicht mehr. Akio Morita stirbt am 3. Oktober 1999 in Tokio an den späten Folgen eines Schlaganfalls.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hanna Immich:
Ihr Fokus liegt auf dem Forschungsfeld Frau und Familie. Ihre Männerstudien kann die Soziologin Helge Pross nicht mehr vertiefen. Sie stirbt am 2.10.1984, mit 57 Jahren.
Helge Pross prägt die gesellschaftspolitischen Reformen der 1970er und 80er Jahre in Deutschland. Mit kritischem Blick erforscht die Soziologin die Lebenswirklichkeit von Hausfrauen, die Bildungschancen von Mädchen und das Rollenbild von Männern. Mit ihren Ergebnissen formt sie die öffentliche Debatte - fast immer als einzige Frau unter Männern.
Die Publizistin und Soziologin lebt selbstbestimmt und emanzipiert. Dabei wächst die Düsseldorferin, geboren 1927 als Helge Agnes Nyssen, mit dem Frauenbild der Nationalsozialisten auf.
Als erste Frau in ihrer Familie beginnt sie 1946 ein Studium. Unterstützt und ermutigt wird sie von ihrem Vater, der seine Tochter vor der "Abhängigkeit der Ungelernten" bewahren will. 1950 promoviert Helge und heiratet Harry Pross. Doch die Ehe hält nur vier Jahre. "Sie wollte eine berühmte Soziologin werden. Sie ist es als Helge Pross auch geworden; aber da waren wir längst voneinander geschieden", schreibt der Publizistikwissenschaftler später in seiner Autobiografie.
Am 2. Oktober 1984 stirbt Helge Pross mit nur 57 Jahren an Krebs. Wer heute ihre Texte, Kolumnen, Forschungsarbeiten und Studien liest, hat aber kaum das Gefühl, in der Vergangenheit zu wühlen. Denn vieles, was sie damals erforschte und forderte, ist noch immer nicht erreicht.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Als Monika Ihns und Judy Andersen wegen Mordes vor Gericht stehen, macht die Presse aus ihrer Liebe einen Skandal. Für die Frauenbewegung wird der Prozess zum Wendepunkt.
Anfang der 1970er Jahre gründen sich überall in Deutschland Schwulen- und Lesbengruppen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Im Gegensatz zur männlichen ist weibliche Homosexualität zwar nicht verboten, aber in den Siebzigern gesellschaftlich ein großes Tabu. Und nicht nur Homosexualität, auch die Gleichberechtigung von Frauen wird nur zögerlich akzeptiert. Gewalt in der Ehe ist Privatsache, Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand.
Das muss auch Marion Ihns erfahren. Als sie sich von ihrem Mann Wolfgang scheiden lassen will, willigt dieser nicht ein. Jahre später lernt Marion Ihns bei einem Besuch in Dänemark die zehn Jahre jüngere Judy Andersen kennen - und lieben. Doch Wolfgang verweigert ihr weiterhin die Scheidung. Wenig später ist er tot, getötet von einem Auftragsmörder.
Doch für die eigentliche Tat interessiert sich kaum jemand, der Mörder wird schnell zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Stattdessen wird die lesbische Liebe der Frauen zum Skandal. Die Boulevardpresse macht aus dem Mordprozess einen "Lesben-Prozess". Lange bevor er überhaupt losgeht, macht die BILD-Zeitung schon Stimmung. Die Texte sind voller homophober Klischees. Die Berichterstattung eskaliert mit dem Prozessauftakt im Sommer 1974.
Doch die Frauen der Bundesrepublik lassen sich die Diffamierung nicht gefallen. Der Prozess wird zum Schlüsselereignis der Frauenbewegung. Während des Prozesses kommt es zu Protesten und Tumulten vor und auch im Gerichtssaal.
Am 01. Oktober 1974 werden beide Frauen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess macht Gewalt gegen Frauen zu einem Kernthema der zweiten Frauenbewegung und regt unter anderem Alice Schwarzer dazu an, die "Emma" zu gründen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Laura Dresch:
Nach ihrer Gründung am 30.9.1919 wurde die Technische Nothilfe im Deutschen Reich zur Streikbekämpfung eingesetzt. Erst später kam der Schwenk zum Katastrophenschutz.
"Treu helfen wir" – ein Versprechen, das das Technische Hilfswerk (THW) seit seiner Gründung 1950 prägt. Doch hinter diesem modernen Selbstbild verbirgt sich eine tiefere Geschichte, die in den Wirren der Weimarer Republik beginnt und bis heute nachhallt.
Die Technische Nothilfe (TN) wird nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen und agiert meist im Dienst des Staates: in Zeiten politischer Unruhen, als Streikbrecher oder Schützer lebenswichtiger Infrastrukturen. Während des Zweiten Weltkriegs unter der SS sogar im Bereich ziviler Luftschutz. Nach dem Krieg wird die TN von den Alliierten verboten, doch 1950 entsteht das THW – in klarer Abgrenzung zur umstrittenen Vergangenheit.
Statt politischer Einsätze steht seit seiner Neugründung der humanitäre Zivil- und Katastrophenschutz im Vordergrund. Mittlerweile zählt das THW zu den wichtigsten Akteuren und setzt dabei vor allem auf freiwillige Helfer, die weltweit im Einsatz sind, um bei Naturkatastrophen, Großschadensereignissen oder humanitären Krisen zu unterstützen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
Für das Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. wird Vera Figner zu lebenslanger Haft auf der Schlüsselburg verurteilt. Nach 20 Jahren kommt sie frei - und ist es dennoch nicht.
"Sie werden gewiss verstehen, meine Herren: Es ist besser, die Leibeigenschaft von oben abzuschaffen, als zu warten, bis sie sich selbst von unten abschafft." So begründet der russische Zar Alexander II. 1861 die Abschaffung des jahrhundertealten, grausamen Systems der Leibeigenschaft. Die Reformen helfen den Bauern jedoch kaum.
Vera Figner ist damals 9 Jahre alt. Sie wächst mit drei Schwestern und zwei Brüder in einer adligen, wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie auf. Sie liest sehr viel, vor allem sozialkritische Romane über das schwere Los der russischen Bauern. Beim Studium in der Schweiz gerät sie in revolutionäre Zirkel. Zusammen mit hunderten jungen Intellektuellen zieht sie bis in die entlegensten Dörfer Russlands, um den Bauern zu helfen.
Doch der "Gang ins Volk scheitert" am Misstrauen der Bauern. Die Geheimpolizei von Zar Alexander II. reagiert mit Massenverhaftungen und öffentlichen Schauprozessen. Und die revolutionäre Bewegung antwortet ebenfalls mit Gewalt.
Eine Handvoll Revolutionäre gründet das Exekutivkomitee der Narodnaja Volja ("Volkswille"). Mit dabei ist Vera Figner. Drei Attentate der Gruppe auf den Zaren misslingen, das vierte kostet Alexander II. das Leben. Vera Figner wird 1884 zu lebenslanger Zwangsarbeit in der berüchtigten Festung Schlüsselburg verurteilt. 1904 wird sie begnadigt und unter Polizeiaufsicht in den hohen Norden ans Weiße Meer verbannt. 1917 wird sie amnestiert und leitet noch viele Jahre das "Komitee zur Hilfeleistung für befreite Sträflinge und Verbannte".
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Ihre Karriere startet als Sexsymbol und französische Filmikone - zuletzt macht die am 28.9.1934 geborene Brigitte Bardot immer wieder mit radikalem Tierschutz und Ausflügen ins rechte Lager von sich reden.
Brigitte Anne-Marie Bardot wird am 28. September 1934 in Paris geboren - in viel Wohlstand und wenig Wohlwollen. Der Vater Ingenieur und Industrieller, die Mutter einer Dame der Gesellschaft, herrisch und hartherzig, die jüngere Schwester vermeintlich hübscher. Brigitte leidet und lutscht Daumen.
Mit 15 Jahren posiert das damals noch brünette Mädchen als Fotomodell für das Cover des Frauenmagazins "Elle". Schon bald ist sie ein gefragtes Mannequin und auf der Leinwand zu sehen. Ihren Durchbruch hat sie 1956 als laszive Lolita im Film "Und immer lockt das Weib".
Doch bereits Anfang der 1960er-Jahre keimt in Brigitte Bardot eine neue Rolle, die der Tierschützerin. 1973 - nach mehr als 40 Filmen - zieht sich die Schauspielerin vollständig aus dem Filmgeschäft zurück. Tiere werden zu ihrer Lebensaufgabe: Ob Walfang, Stierkämpfe, Tiertransporte - ihre Stiftung agiert seit Jahrzehnten weltweit.
Sie provoziert auch mit reaktionärer Polemik. Rassistische Äußerungen richten sich beispielsweise gegen muslimische Einwanderer, deren rituelles Schlachten sie als barbarisch beklagt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Herzog Wilhelm V. wird von seinem durstigen Hofstaat ruiniert. Bier als Teil der Entlohnung treibt ihn in den Ruin. Die Lösung: ein eigenes Hofbräuhaus.
Herzog Wilhelm V. von Bayern steht gegen Ende des 16. Jahrhunderts kurz vor dem Staatsbankrott. Sein Hofstaat ruiniert ihn. 600 Mägde und Knechte, Schreiber, Berater, Leibwachen. Die fressen ihm nicht nur die Haare vom Kopf, sondern sie saufen ihn in die Pleite. Denn Bier ist Teil der Entlohnung, in Bayern ein Grundnahrungsmittel. Freibier für alle am Münchner Hof. Täglich.
Mit den unteren Chargen wird der Herzog noch fertig. Die müssen sich mit Dünnbier aus dem Kloster zufriedengeben. Besonders kostspielig sind aber die höheren Herrschaften. Die feinen Herren und Damen bestehen auf einer Premium-Marke, auf das gute Starkbier aus Einbeck, Niedersachsen.
550 Kilometer weit muss es herangekarrt werden. Durch Zölle und Transport steigt der Preis auf etwa das Dreifache. Also beschließt Herzog Wilhelm am 27. September 1589: Wir machen uns das Luxus-Bier selbst - in einer hofeigenen Braustätte, dem Hofbräuhaus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Auf seinen Bildern ist das Leben ein leuchtend bunter, endloser Sommertag. Sein eigenes Leben endet viel zu früh. Am 26.9.1914 stirbt August Macke mit nur 27 Jahren.
August Macke ist vielfältig: Er ist Reisender, Vermittler zwischen Künstlergruppen, Ehemann und Vater. Vor allem aber ist Macke einer der bedeutendsten deutschen Maler des Expressionismus.
Obwohl Betrachterinnen und Betrachter - selbst wenn sie keine Kunstkenner sind - Mackes Werke sofort erkennen, ist er nicht auf einen Stil festgelegt. Er malt idyllische Bilder von Spielzeug und Kindern im Garten. Gleichzeitig gibt es Werke, in denen er sich mit der Zersplitterung der Welt um ihn herum beschäftigt. Eines aber haben fast alle seine Bilder gemein: Sie leuchten von Weitem. Denn es gibt kaum einen Künstler, dessen Bilder in so freundlichen und positiven Farben erstrahlen wie die von Macke.
Geboren wird August Macke 1887. Sein Talent zur Malerei zeigt sich früh und er scheut kein Risiko: Er schmeißt die Schule, um mit 17 Jahren an die Düsseldorfer Kunstakademie zu gehen - aber die ist ihm zu altmodisch. Doch er findet
Menschen, die an sein Talent glauben. Letztlich wird die moderne französische Malerei zu seiner Lehrmeisterin.
Macke schafft in kürzester Zeit ein Werk von enormem Umfang. Aber es bleibt unvollendet. Denn der Künstler wird nur 27 Jahre alt. Am 26.09.1914, nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wird August Macke auf dem Schlachtfeld in Frankreich getötet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Johann Strauß Vater (gestorben am 25.9.1849): Walzerkönig und Marketing-Profi. Sein erbitterter Kampf mit Johann Strauß Sohn um die Vormachtstellung freut den Boulevard.
Johann Baptist Strauß musiziert schon als Kind im Wirtshaus seines Vaters. Nach dem frühen Tod seiner Eltern macht er auf Drängen seines Vormunds eine Lehre als Buchbinder. Dort entdeckt er die Lust am Geigenspiel, beginnt kurz darauf, Lieder zu schreiben und in Orchestern zu spielen.
Strauß wird innerhalb kurzer Zeit zur führenden Figur der Wiener Unterhaltungsmusik. Das liegt zum einen an seiner unverwechselbar temperamentvollen Bühnenpräsenz. Er hat aber auch Talent: Fürs Musizieren und dafür, Werbung für sich und seine Musik zu machen.
Auch im Ausland wird er gefeiert. Allein in England gibt Strauß knapp 80 Konzerte. Doch hinter der erfolgreichen Fassade knirscht es im privaten Leben des nervösen, leicht reizbaren Komponisten gewaltig. Er verlässt seine Frau und beginnt mit seinem Sohn, selbst ein erfolgreicher Musiker, einen Streit um die musikalische Vormachtstellung in der Familie.
Kurz vor seinem Tod schreibt Johann Strauß, genannt Johann Strauß Vater, sein wohl bekanntestes Stück: den Radetzky-Marsch. Am 25. September 1849 stirbt er mit nur 45 Jahren an einer heute harmlosen Infektionskrankheit: Scharlach.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Die Entdeckung des größten angelsächsischen Schatzes wurde am 24.9.2009 bekanntgegeben. Dem Entdecker brachte er große Belohnung - und den Fluch des Goldes.
Das ist der Traum eines jeden Hobby-Archäologen: Der arbeitslose Sondengänger Terry Herbert entdeckt auf einem Acker in Staffordshire im Sommer 2009 den bisher größten Schatz aus der angelsächsischen Zeit. Mithilfe eines 14 Jahre alten Metalldetektors findet er über 3.500 einzelne Objekte, darunter aufwendig dekorierte Schwertgriffe, Helm-Teile und sogar Kreuze.
Insgesamt besteht der Fund aus fünf Kilogramm Gold und 1,3 Kilogramm Silber.
Fünf Tage buddelt Herbert auf dem Acker eines Bauern, der ihm dies eher widerwillig erlaubt hat, dann ruft er Archäologen hinzu. Die sind sich sicher, die Objekte stammen aus dem 7. Jahrhundert nach Christus. Am 24. September 2009 wird die Entdeckung des Sensationsfundes bekanntgegeben. Die Nachricht geht um die Welt, denn der Fund ist ein Meilenstein für die britische Archäologie und Geschichtsschreibung. Die Stücke bringen Licht in eine geheimnisvolle Zeit - zwischen dem Ende des römischen Reiches und der Landung von Wilhelm des Eroberers.
Allerdings gibt es bis heute viele offene Fragen: Sind es Trophäen eines hohen Kriegsherrn oder stammt der Schatz aus einer großen Plünderung? Auch darüber, wie das Edelmetall unter die Erde gelangte, lässt sich bislang nur spekulieren. Der Schatz von Staffordshire selbst ist inzwischen restauriert, katalogisiert und ausgestellt - in Museen in Birmingham und Stoke-on-trent.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Die Köchin Mary Mallon (geboren am 23.9.1869) erlangte als erste gesunde Typhus-Dauerausscheiderin in den USA traurige Berühmtheit. 26 Jahre wurde sie insgesamt isoliert.
Als alle Mitreisenden außer ihr erkrankt sind, steht fest: Mary Mallon, die am 23. September 1869 geboren wurde, ist eine sogenannte Dauerausscheiderin. Sie trägt das Typhus-Bakterium in sich, ohne selbst zu erkranken. Aber sie kann andere infizieren. Ihr Recht auf persönliche Freiheit spielt nun keine Rolle mehr. Die US-Behörde stuft die irische Einwanderin als Gefahr für die Allgemeinheit ein, die Angst vor Typhus ist groß. Kurzerhand wird die Köchin auf die Quarantäne-Insel North Brother Island im East River gebracht.
Dort wird Mary Mallon zum Versuchsobjekt. Anfangs werden ihr Urin, ihr Stuhl und ihr Blut fast täglich auf Typhus-Erreger getestet. Sie soll neue Medikamente ausprobieren und sich die Gallenblase entfernen lassen. Mary Mallon klagt gegen ihre Verbannung – und verliert. Dabei ist sie längst nicht die einzige symptomfreie Überträgerin von Typhus. In New York sind 1918 schon 70 Personen bekannt. Doch Mary Mallon ist die Einzige, die man einsperrt. Als sie 1938 in der Isolation stirbt, hat sie als "Typhoid Mary", als "Typhus-Mary", traurige Berühmtheit erlangt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Der Friede von Basel beendet am 22.9.1499 den Schweizerkrieg – ein frühes Beispiel für das, was heute "asymmetrische Kriegsführung" heißt.
Über den Namen wird bis heute gestritten: Schwabenkrieg nennen ihn die Schweizer, Schweizerkrieg die Deutschen. Unstrittig ist, dass die bäuerlichen Eidgenossen die hochgerüsteten Kämpfer des Königs bei der Schlacht in Dornbach besiegen. Dem Krieg vorausgegangen ist ein langes Gerangel um die Vorherrschaft im Südwesten des Reiches.
Schließlich erklärt aus Mainz König Maximilian I. der Eidgenossenschaft den Reichskrieg. Vor Konstanz lässt er sein stattliches Heer und die Truppen seiner Verbündeten aufziehen. Da seine Kriegskasse aber leer ist, schickt er einen Teil seine Ritter westlich zur Plünderung der kleinen, aber reichen Stadt Solothurn.
Das wollen die Einwohner freilich nicht so hinnehmen. Und so stürmt am 22. Juli 1499 eine Horde junger Schweizer auf die königlichen Truppen bei Dornbach zu. Das Kämpfen hatten die Dorfjungen in blutigen Streits mit Nachbardörfern gelernt, während die Gegner das Kriegshandwerk zur hohen Kunst des Adels entwickelt haben. Doch waren die Adeligen erst einmal vom Pferd, waren sie in ihren starren Rüstungen leicht zu schlagen.
So nehmen die edlen Schwaben vor der geballten Streitlust der schweizerischer Knaben Reißaus. Maximilian I. muss sich geschlagen geben. In seinem Auftrag lässt er Mönche noch einmal nachfragen, ob er wohl seine Toten vom Schlachtfeld holen kann. Die Antwort der Schweizer ist schroff: "Die Edlen müssen bei den Bauern liegen." Zwei Monate nach der Schlacht, am 22. September 1499, wird in Basel der Schweizer-/Schwabenkrieg offiziell beendet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
Leonard Cohen wird am 21.09.1934 geboren - und lebt ein Leben voller Brüche: Ein früher Erfolg mit einer einzigartigen Stimme, ein bemerkenswerter Dienst im Krieg - und eine tiefe Rastlosigkeit in den persönlichen Beziehungen.
Leonard Cohen beginnt seine musikalische Karriere vergleichsweise spät, nachdem er bereits als Schriftsteller Erfolge feiert. Ermutigt von der Folk-Sängerin Judy Collins wagt er sich mit Anfang 30 selbst ans Mikrofon und legt mit Songs wie "Suzanne" den Grundstein für eine Karriere, die ihn zu einer Ikone der Melancholie und Reflexion macht.
Seine Musik ist von einer tiefen Spiritualität und einem ständigen Ringen mit den großen Fragen des Lebens geprägt. Persönliche Erfahrungen und universelle Themen wie Liebe, Verlust, Sehnsucht und Erlösung spielen eine zentrale Rolle. Geboren und aufgewachsen in Montreal, prägt ihn auch seine jüdische Herkunft.
Die Komplexität des menschlichen Seins drückt er in einfachen, aber kraftvollen Worten und Melodien aus. Sein Werk bleibt zeitlos und wird auch in Zukunft Menschen berühren, die in seiner Musik Trost, Verständnis und vielleicht auch ein wenig Licht finden – in den Rissen, durch die das Licht hindurchscheint.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Fast 2.000 Jahre ignoriert die katholische Kirche Judentum und Islam. Am 20.9.1974 entsteht im Bistum Köln die erste "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen".
Im September 1974 gründet Kardinal Josef Höffner die "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen", die heute als "Fachbereich für interreligiösen Dialog" bekannt ist. Als Plattform für Begegnungen, Austausch und soziale Unterstützung ist die Einrichtung wegweisend und setzt ein starkes Zeichen für das Miteinander der Religionen.
Dieser Schritt hat seinen Ursprung im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das einen tiefgreifenden Wandel in der katholischen Kirche markiert. Erstmals wird eine Öffnung gegenüber anderen Religionen, insbesondere dem Judentum und später auch dem Islam, eingeleitet und der Grundstein für den interreligiösen Dialog gelegt.
Das Erzbistum Köln leistet mit dem Fachbereich Dialog schon früh Pionierarbeit, und zeigt seit nun über 50 Jahren, dass der interreligiöse Austausch und das Miteinander der Religionen unverzichtbare Instrumente für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Marek Edelman kämpft beim Aufstand des Warschauer Ghettos und steht auch nach dem Krieg als Arzt in Polen für die Freiheit ein. Sein Geburtstag am 19.09.1919 allerdings ist nur Spekulation.
Seine Eltern gehören zu den Juden Osteuropas und müssen vor den Bolschewiki fliehen. Darum ist nicht überliefert, wann und wo Marek Edelman zur Welt kommt. Geboren wird er vermutlich zwischen 1919 und 1922, wahrscheinlich in Gomel im heutigen Belarus.
Als die Deutschen 1939 Polen überfallen, lebt Edelman in Warschau. Er muss wie andere Jüdinnen und Juden in das Ghetto ziehen, dass die Nationalsozialisten einrichten und mit einer Mauer umschließen. Geschätzt werden 400.000 Menschen auf weniger als zweieinhalb Prozent der Stadtfläche zusammengepfercht.
Als im Februar 1942 die ersten Nachrichten von einem Vernichtungslager das Ghetto erreichen, beschließen Edelman und andere, sich nicht ohne Widerstand in den Tod führen zu lassen. Es konstituiert sich das Kommando der Jüdischen Kampforganisation. Im April 1943 greifen SS und Wehrmacht an. Knapp vier Wochen kann sich der Widerstand halten. Dann steckt die SS Haus um Haus in Brand. Nur wenige können durch die Kanalisation entkommen, darunter auch Marek Edelmann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Friedrich Harkorts Maschinenfabrik war die Keimzelle der Ruhrindustrie. Und Harkort selbst eine schillernde Gestalt: Pionier, Freigeist - und Produktpirat...
Seine Leidenschaft ist der technische Fortschritt: Als der Unternehmer Friedrich Harkort in englischen Technik-Zeitungen Dampfmaschinen sieht, hat er den Wunsch, solche Maschinen in Westfalen zu bauen. Im Frühjahr 1819 kann er zusammen mit dem Bankier Heinrich Kamp die Burg Wetter als Fabrikgelände erwerben.
Im September des Jahres geht die "Mechanische Werkstätte Harkort & Co" in Betrieb. Bald stellt er Dampfmaschinen für die Wasserhebung und Kohleförderung in Bergwerken sowie für Spinnereien und Tuchfabriken her. Den Stahl dafür stellt er bald selbst her: Er baut auf der Burg ein Walzwerk und einen Hochofen. So können in Wetter Eisenbahnschienen, Räder für Eisenbahnen und auch die Achsen für die Kohlewagen hergestellt werden.
15 Jahre lang entwirft und produziert Friedrich Harkort in Wetter alle möglichen Produkte aus Eisen. Doch er kümmert sich immer mehr um andere Produkte und vernachlässigt die "Mechanische Werkstätte". Darum drängt ihn sein Kompagnon Kamp 1834 schließlich aus dem Betrieb. Später geht die "Mechanische Werkstätte" in der "Deutschen Maschinenfabrik AG" auf, der Demag. Noch heute werden in Wetter an der Ruhr Maschinen gebaut.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
Im Jahr 284 kommt Diokletian an die Macht - gewaltvoll wie viele vor ihm. Doch dann beendet er das im Römischen Reich herrschende Chaos und schafft einen starken Staat.
Es ist das Jahr 284 n. Chr.: Das Römische Reich befindet sich, von Chaos und Machtkämpfen erschüttert, in einer tiefen Krise. Zahlreiche Usurpatoren wechseln in rascher Folge. Bürgerkriege und Intrigen bestimmen den Alltag, und das riesige Imperium scheint kaum noch regierbar.
Inmitten dieses Chaos tritt Diokletian auf die Bühne. Ursprünglich ein Militärbefehlshaber, nutzt er seinen Einfluss geschickt, um die Gunst seiner Truppen zu gewinnen und den Kaiserthron zu erobern. Doch anders als viele seiner Vorgänger verfolgt Diokletian einen Plan.
Statt sich in endlosen Machtkämpfen zu verlieren, setzt er auf eine umfassende Reform des Reiches. Er erkennt, dass ein einziger Herrscher nicht mehr in der Lage ist das gesamte Imperium zu kontrollieren. Daher teilt er die Macht auf: Gemeinsam mit seinem Verbündeten Maximianus regiert er das Reich und führt später sogar eine Viererherrschaft ein, die sogenannte Tetrarchie. Diese Struktur ermöglicht eine effizientere Verwaltung und stärkere Kontrolle über die weit verstreuten Provinzen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
Am 16.9.1979 erscheint "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang. Der erste Rap-Hit der Geschichte bringt Hip-Hop aus New York in die Welt und prägt die Popkultur bis heute.
In den 1970er-Jahren erobert ein neuer Sound die Straßen von New York. Die Musik-Revolution ereignet sich in den Stadtteilen, die mehrheitlich von Schwarzen bewohnt werden. Die Sounds kommen aus Boxen, von Mischpulten und Plattenspielern. DJs scratchen, sampeln und loopen.
Sogenannte MCs - Master of Ceremonies - heizen das Publikum mit Ansagen an: Rapper erzählen Geschichten, reimen und spielen mit Sprache. Doch den kraftvollen Musikstil gibt es jahrelang nur live, niemand aus der Szene nimmt Rap-Platten auf. Das ändert sich am 16. September 1979, als die Single "Rapper‘s Delight" der Sugarhill Gang erscheint.
In den USA werden bis zu 50.000 Einheiten pro Woche verkauft, weltweit sind es 14 Millionen Stück. Vor allem in Europa ist die Single wochenlang in den Charts. Der Siegeszug von Rap und Hip-Hop beginnt mit diesem Track. Es ist allerdings umstritten, ob es sich wirklich um die allererste Rap-Aufnahme handelt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Hunderttausende gehen gegen die Abstimmung am 15.09.2004 auf die Straße, Jäger dringen ins britische Parlament ein. Das Verbot kommt trotzdem - beendet aber nicht die Fuchsjagd...
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit kündigt der britische Premierminister Tony Blair 2001 an, im Parlament über die Zukunft der Jagd mit Hunden abstimmen lassen - ohne Fraktionszwang. Auf die Ankündigung folgen eine hitzige Debatte und Großdemonstrationen mit bis zu einer halben Million Menschen.
Die Stimmung in den Tagen vor der Abstimmung ist aufgeladen. Vor dem Parlamentsgebäude kommt es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und einer wütenden Menge von Jagdbefürwortern. Am Tag der Abstimmung, dem 15. September 2004, dringen fünf Jagd-Fans in das Parlamentsgebäude ein und gelangen ungehindert bis in den Sitzungssaal.
Die Sitzung im Unterhaus wird nach diesem Vorfall zwar unterbrochen, die Abstimmung kann aber noch am selben Tag stattfinden. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten stimmen für den "hunting act". Damit sind in England, Wales und Schottland Hetzjagden mit Hunden verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Seinen ersten Ton gibt Hans Clarin am 14.9.1929 von sich. Bei seiner Geburt. Später wird er vor allem mit seiner Synchronstimme bekannt. Ist aber auch Schauspielkünstler.
Seine Stimme ist sein Markenzeichen, besonders in der Hörspielwelt. Hans Clarin, eine der markantesten Stimmen Deutschlands. Ob als Gespenst "Hui Buh" oder als der freche Kobold "Pumuckl" – Clarins unverwechselbare Art hat Generationen geprägt.
Dabei hat Clarin ursprünglich eine ganz andere Richtung eingeschlagen: Der Sohn eines Marineoffiziers, geboren als Hans Joachim Schmid, will Sänger werden. Doch Selbstzweifel lassen ihn den Plan aufgeben. Nach einem kurzen Abstecher in die Landwirtschaft findet Clarin schließlich seine Berufung als Schauspieler und Sprecher.
Seine Karriere beginnt in den 1950er Jahren an den Münchner Kammerspielen, wo er früh sein Talent für skurrile Rollen entdeckt. Ob als "Zwerg Nase" in seinem ersten Film oder als Puck im "Sommernachtstraum" – Clarin bezaubert in zahlreichen Rollen, im Fernsehen wie auf der Bühne.
Stets mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang, einer fantasievollen Art und Sinn für Humor. Selbst nach seinem Tod lebt seine Stimme weiter, dank moderner Technik sogar in neuen Pumuckl-Folgen – ein berührendes Erbe eines Künstlers, der die Grenze zwischen Realität und Fantasie stets aufs Schönste verwischt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Schönberg beeinflusst die Geschichte der Musik wie kaum ein anderer: Er revolutioniert mit der Zwölftontechnik die Musik und bewahrt zugleich traditionelle Strukturen.
Arnold Schönberg ist ein österreichischer Komponist, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Emanzipation der Töne sorgt: Er entwickelt eine Kompositionsmethode, in der zwölf Töne nur aufeinander bezogen werden. Das bringt ihm in der Fachwelt viel Ruhm und Nachfolger ein.
Aber auch an Feinden mangelt es nicht: In Europa kritisiert man ihn erst als Neu-Töner, dann wird er als Jude verfemt. In den USA, wohin er 1933 von Berlin aus emigriert, zählen materielle Werte mehr als geistige. Doch Schönberg lässt sich dadurch nicht von seinem Weg abbringen: Ein Angebot aus Hollywood lehnt er ab, weil er es hasst, wenn man ihm in die Partituren hineinpfuscht, wie es beim Film üblich ist.
Er komponiert auch nicht nur zwölftönig: "Immer war in mir der Wunsch lebendig, zum früheren Stil zurückzukehren; und von Zeit zu Zeit gebe ich diesem Verlangen nach." Deshalb komponiert er einmal auch ganz unmodern für ein Hochschulorchester im Stil der Wiener Tradition.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Er schafft die Sklaverei ab, wird als Freiheitskämpfer verehrt, aber auch als machtbesessener Despot verachtet. Am 12.09.1974 wird der letzte Kaiser Äthiopiens gestürzt.
Der 1892 als Tafari Makonnen geborene Selassie ist der letzte Kaiser einer jahrtausendealten Dynastie - ein schillernder Monarch, verliebt in Pomp und Selbstdarstellung. Mit gerade einmal 38 Jahren besteigt er den äthiopischen Thron und stößt etliche Modernisierungen nach europäischem Vorbild an: So erlässt er etwa die erste geschriebene Verfassung, die das Land zu einer konstitutionellen Monarchie macht, und verbietet die Sklaverei.
Die Reformen werden beendet, als 1935 das faschistische Italien Äthiopien überfällt und Selassie ins britische Exil geht. Sechs Jahre später aber kehrt er auf seinen Thron zurück. Als geschickter Taktiker nähert sich Selassie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dem Westen an.
Doch während er in der Welt verehrt wird, wächst im eigenen Land der Unmut gegen ihn und seine absolutistische Herrschaft: Die Bodenreform kommt nicht voran, Soldaten fordern bessere Bezahlung und Studierende rebellieren gegen Bevormundung. Die jahrelange Auseinandersetzung mit Eritrea und eine verheerende Hungersnot belasten den Staatsapparat zusätzlich.
Nach einem Militärputsch muss Haile Selassie am 12. September 1974 abdanken. Ein knappes Jahr später stirbt er - vermutlich wurde er im Schlaf mit einem Kissen erstickt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Der englische Seefahrer Henry Hudson sucht eine kürzere Route nach Asien. Er scheitert, und die Suche kostet ihn sogar das Leben. Doch was er entdeckt, ist ungeheuer wertvoll.
Manahatta ist das Stammesgebiet der Lenape. Die hügelige Insel liegt an einem Fluss, den die Europäer später Hudson River nennen. Die indigenen Nordamerikaner leben schon seit Generationen dort, als am 11. September 1609 der Brite Henry Hudson bei ihnen auftaucht.
Eigentlich sucht er in niederländischem Auftrag einen Schiffsweg durch das Polarmeer nach China. Hudson ist nicht der erste Europäer auf Manahatta, aber er ist der erste, der genaue Aufzeichnungen von diesem Gebiet anfertigt. Der Brite ist begeistert: "Noch nie habe ich meinen Fuß auf ein Stück Land gesetzt, das sich besser zum Ackerbau eignete."
Schon bald verbreitet sich in Amsterdam die Kunde von der scheinbar neuen Welt, in der es Felle, Holz und Getreide in Hülle und Fülle geben soll. 1624 erreichen die ersten niederländischen Siedler Manahatta. An der Südspitze der Insel, die heute Manhattan heißt, entsteht das Fort Neu Amsterdam.
40 Jahre lang bleibt die Siedlung auf der Insel Manahatta in holländischer Hand. Dann erobern die Engländer Neu Amsterdam und benennen es um - in New York. Henry Hudson ist da schon lange tot - verschollen im Ewigen Eis.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Émilie du Châtelet - französische Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und frühe Vorreiterin weiblicher Emanzipation. Sie stirbt am 10.9.1749 mit nur 42 Jahren.
Sie schätzen und lieben sich: Émilie du Châtelet und Voltaire teilen das Interesse an Metaphysik und moderner Naturphilosophie. Sie diskutieren die Werke des englischen Physikers Isaac Newton. In einem französischen Schloss an der Luxemburger Grenze richten die beiden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts "Die kleine Akademie" ein: Namhafte Wissenschaftler besuchen den Barockbau und diskutieren über Wissenschaft. Dabei ist Émilie du Châtelet seit jungen Jahren verheiratet. Mit ihrem Mann führt sie gewissermaßen eine offene Ehe.
15 Jahre lang leben Voltaire und Émilie du Châtelet auf Schloss Cirey. Sie erweitern das Château um eine Bibliothek, die 10.000 Bände umfasst und sich mit dem Buchbestand der Pariser Akademie messen kann. Die Schlosshalle lassen sie zu einem Physiklabor umbauen. 1740 veröffentlicht Émilie ihr Hauptwerk "Wissenschaftliche Einführung in die Physik" - zunächst anonym, weil sie eine Frau ist.
Mit dem Lehrbuch erregt Émilie du Châtelet schließlich internationale Aufmerksamkeit. Sie wird zur Symbolfigur der weiblichen Gelehrten. In verschiedenen Kommentaren findet sie klare Worte zur Frauenfrage. "Ich würde Frauen an allen Menschenrechten teilhaben lassen, insbesondere an den geistigen." Am 10. September 1749 stirbt die Wissenschaftlerin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Als eine der ersten Frauen studierte Rosa Schapire (geboren am 9.9.1874) Kunstgeschichte. Sie war emanzipiert, intellektuell und lebte für den aufkommenden Expressionismus.
"Schauderhaft", "Wahnsinnig", "Aufdringlich grell" - so urteilt die etablierte Kritik über den Expressionismus. Rosa Schapire dagegen erkennt die Kraft und die Tiefe in den Werken der jungen Männer, die sich 1905 in Dresden zur Künstlergruppe "Brücke" zusammengeschlossen hatten.
Als Frau ist sie im expressionistischen Milieu eine Ausnahmeerscheinung: Sie ist weder Muse noch Modell oder Ehefrau, sondern steht den Künstlern unabhängig gegenüber. Sie vermittelt deren Werke an Käufer und Museen und macht sie in Aufsätzen und Rezensionen bekannt.
Geboren wird Rosa Schapire am 9. September 1874 in Brody als vierte von fünf Töchtern einer jüdischen Familie. Sie wächst in einem weltoffenen, toleranten Elternhaus auf, später setzt sie sich konsequent für die Rechte von Frauen ein.
Aus ihrem beruflichen Interesse entstehen enge Freundschaften, die Künstler danken ihr für ihren Einsatz mit Bildern, Grafiken und Schmuck. 1939 besitzt Schapire eine Sammlung von mehr als 600 Werken. Besonders Karl Schmidt-Rottluff trifft sie mit seiner Kunst bis ins Innerste. Mit ihm bleibt Rosa bis zu ihrem Tod verbunden. Sie stirbt mit knapp 80 Jahren in der Eingangshalle der Tate Gallery. So wie sie es sich immer wieder gewünscht hat: "Nicht einen Tag länger leben als ich arbeiten kann."
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Die Bürger von Florenz kommen aus dem Staunen nicht heraus. Michelangelos Statue von David ist ein Quantensprung in der Skulpturenarbeit - und bis heute ein Wunderwerk.
Es ist der 8. September 1504, als die Bürger von Florenz ehrfürchtig vor dem Palazzo Vecchio stehen und zum ersten Mal den Blick auf Michelangelos David erhaschen. Die monumentale, 5,17 Meter hohe Marmorstatue zeigt den biblischen Helden nicht als triumphierenden Sieger, sondern in einem Moment gespannter Erwartung: Die Schleuder über die Schulter gelegt, den Stein fest in der Hand, bereit, sich seinem übermächtigen Gegner Goliath zu stellen.
Ursprünglich ist die Statue für das Dach des Doms vorgesehen. Eine Kommission, darunter Leonardo da Vinci und Botticelli, beschließt jedoch, sie an einem würdigeren Ort aufzustellen – vor dem Palazzo Vecchio, dem politischen Zentrum der Stadt.
Dort wird die Statue des David zu einem Symbol für den Stolz und die Unabhängigkeit der Republik Florenz, und über 300 Jahre lang trotzt er Wind und Wetter, bevor er in die Galleria dell'Accademia verlegt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
Gala Dalí, geboren am 7.9.1894, ist kein hübsches Püppchen an der Seite eines Künstlers. Sie ist ein Mythos, Muse und Managerin.
Gala Dalí, in Paul Éluards Gedichten wird sie zur Göttin stilisiert, in Dalís Gemälden als Madonna und Traumvision dargestellt. Geboren in Russland, unter dem Namen Jelena Dmitrievna Diakonova, führt ihr außergewöhnlicher Lebensweg sie durch die intellektuellen Kreise Europas. Früh erkennt sie, dass Schönheit, Charisma und Selbstinszenierung mächtige Werkzeuge sind.
In einer Zeit, in der Frauen oft auf die Rolle der stillen Unterstützerin reduziert werden, tritt Gala selbstbewusst auf und nimmt nicht nur Einfluss auf den kreativen Prozess: Mit scharfem Geschäftssinn und großer Entschlossenheit hilft sie Dalí, sich in der Kunstwelt zu etablieren und sorgt dafür, dass sein exzentrisches Image weltweit bekannt wird.
Gala und Salvador Dalí werden zu einer einzigartigen öffentlichen Persona, in der Kunst und Leben nahtlos ineinander übergehen. Ihr Zusammenspiel von künstlerischer Inspiration und geschicktem Management macht sie zu einem legendären Paar, das bis heute die Vorstellung von der idealisierten Verbindung zwischen Künstler und Muse prägt. Dabei bewegen sie sich stets im Spannungsfeld zwischen Mythos und Realität.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Fast vollständig blind ist Luise Nordmann bei ihrer Geburt am 06.09.1829. Sie lernt singen und bringt sich das Harfenspiel bei - und zieht mit dem Instrument durch die Berliner Hinterhöfe, um gegen ihre Armut anzugehen.
Als "Harfenjule" wird die Straßenmusikerin Luise Nordmann im kaiserlichen Berlin bekannt. Ihr Markenzeichen sind ein abgegriffener Strohhut und eine große Harfe auf ihrem Rücken. So zieht die halbblinde Frau durch die Hinterhöfe von Schöneberg, das im 19. Jahrhundert noch am Rand von Berlin liegt. Gebannt lauschen die Großstadtproletarier ihrer Musik. Zum Dank werfen diejenigen, die selbst nichts haben, ihr Geldstücke runter. Almosen, die Luise Nordmann dringend braucht, um sich und ihre kranke Schwester zu versorgen.
Ihren Ehemann und die Kinder hat Luise Nordmann da schon verloren. Einzig die Musik ist ihr geblieben, um über die Runden zu kommen. Dabei hat sie Glück im Unglück: Ein russischer Offizier hat sie als Kind singen gehört und bezahlte ihr Gesangsunterricht. Und ein Professor für Augenheilkunde operierte sie, sodass sie zumindest schemenhaft sehen kann. Zwei Helfer, die sie vor noch größerem Elends bewahren. Zur Legende wird sie vor allem durch Heinrich Zille, der sie mehrmals mit Harfe in den Elendsvierteln von Berlin zeichnet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Die meisten Deutschen erledigen ihre Einkäufe heute im Supermarkt - doch das war nicht immer so: In den ersten Supermarkt traute sich 1949 zunächst kaum jemand hinein...
Der Andrang in dem neuen Supermarkt ist zunächst verhalten: Die Menschen sind an ihren Metzger, ihren Bäcker und die Bedienung im Tante-Emma-Laden gewöhnt. Dort konnten sie beim Einkauf zwar Wünsche äußern, die Macht über Zuteilung und Qualität der Waren lag aber beim Verkäufer hinter der Theke. Das soll sich mit den Selbstbedienungsgeschäften ändern. Hier darf die Kundin selbst durch die Regale stöbern, die Waren in die Hand nehmen und aussuchen.
Die Idee kommt aus den USA, dem Mutterland des Konsums und dem Land, wo der Kunde König ist. Die neue Art des Einkaufs müssen die Deutschen erst lernen, viele sind skeptisch. Sie fühlen sich wie Diebe, die Waren nehmen, ohne sie vorher zu bezahlen und damit durch den Laden laufen. Doch die Hemmungen halten nicht lange an. Mit den steigenden Einkommen im Aufschwung der 1950er Jahre sprießen überall im Land Supermärkte - und der Tante-Emma-Laden hat allmählich ausgedient.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Bis zu seinem 40. Lebensjahr verschreibt sich Anton Bruckner ganz der Orgelmusik – und sattelt dann auf Sinfonien um. Seine Vorbilder Beethoven und Wagner vereint er allen Kritikern zum Trotz in seinem eigenen Werk.
In Wien bezeichnen die Kritiker seine Werke als "unnatürlich" und "aufgeblasen", doch Anton Bruckner lässt sich davon nicht beirren. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts.
Mit seiner einzigartigen Fähigkeit, die sinfonische Tradition Beethovens mit der modernen Musiksprache Wagners zu verbinden, schafft er monumentale Werke, die bis heute faszinieren.
Geboren am 4. September 1824 in Ansfelden, beginnt Bruckner seine musikalische Laufbahn zunächst in der Kirchenmusik, bevor er sich in der Mitte seines Lebens der Sinfonik zuwendet. Trotz seines schwierigen Charakters und der oft harschen Kritik bleibt er seiner künstlerischen Vision treu.
Bruckner schreibt neun Sinfonien. Beginnend meist mit stillen, mystischen Klängen, zeichnen sie sich durch kraftvolle Steigerungen und eine enorme Ausdruckskraft aus. Heute zählt Bruckner zu den wichtigsten Vertretern der Romantik.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Statt der Königin trug die Mätresse Diane de Poitiers (geb. 3.9.1499) bei feierlichen Anlässen die Kronjuwelen an der Seite des französischen Königs Heinrich II.
Als Geliebte und Favoritin von König Heinrich II. übt Diane de Poitiers großen Einfluss am Hofe aus. Sie ist bekannt für ihre Schönheit, die sie mit Disziplin und strengen Ritualen pflegt. Noch berühmter ist ihr politisches Geschick und ihre Fähigkeit, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen.
Trotz des Altersunterschieds von fast 20 Jahren ist ihre Beziehung zu Heinrich II. mehr als nur eine Liebesaffäre. Diane versteht es, ihre Position geschickt zu nutzen, sichert sich beträchtliche Ländereien und Titel und mischt sich in politische Entscheidungen ein.
Mit dem Tod Heinrichs II gerät Dianes Einfluss ins Wanken. Katharina von Medici übernimmt die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn, den neuen König.
Diane, lange Zeit die mächtigste Frau am Hof, muss sich zurückziehen. Anders als viele Mätressen vor ihr wird sie nicht enteignet, muss aber das prächtige Schloss von Chenonceaux gegen das weniger bedeutende Schloss Chaumont eintauschen.
Diane de Poitiers bleibt eine angesehene und wohlhabende, jedoch keine einflussreiche Frau. Im Alter von 66 Jahren stirbt sie auf ihrem Schloss von Anet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Polarlichter leuchten fernab der Pole, Telegrafen spielen verrückt, Stromleitungen brennen. Ursache ist ein Himmelsereignis: der bisher stärkste registrierte Sonnensturm.
Am 2. September 1859 steht Richard Christopher Carrington wie gewohnt in seinem Garten und schaut durch sein Teleskop. Schon seit 1853 zeichnet der Engländer systematisch seine Beobachtungen auf der Sonnenoberfläche auf. Plötzlich sieht er zwei Aufhellungen an einer Sonnenflecken-Gruppe, die er noch nie zuvor gesehen hat. Aber schon wenige Minuten später ist das außergewöhnliche Schauspiel vorbei.
Carrington ist nicht der einzige, der an diesem Tag staunt. In Caracas, Honolulu und Athen ist der Himmel von Polarlichtern erleuchtet, die – wie er Name schon sagt – gewöhnlich nur in nördliche Regionen zu sehen sind. Und als die Lichter in vollem Glanz erscheinen, spielen die Telegraphen verrückt: Die einen verschicken Meldungen, ohne dass sie an Batterien angeschlossen sind, bei den anderen entzündet sich ein Papier, das die Signale aufzeichnet.
Die Vermutung liegt nahe, dass die merkwürdigen Ereignisse mit dem Blitzen zusammenhängen, die Carrington beobachtet hat. Dieser mahnt zunächst mit akademischer Zurückhaltung, dass "eine Schwalbe noch keinen Sommer machen". Doch bald schon ist klar, dass er eine Sensation dokumentiert hat. Es ist zum ersten Mal, dass auf der Erde massive Einflüsse gesehen werden, die eindeutig auf die Sonne zurückzuführen sind.
Seine Beobachtungen gehen als Carrington Event in die Wissenschaftsgeschichte ein und begründen die Sonnenforschung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Ein US-Wissenschaftler will 1934 herausfinden, warum sich Menschen früh den Nazis angeschlossen haben. Er verspricht 125 Reichsmark für den glaubwürdigsten Aufsatz begeisterter Hitler-Anhänger - und die schreiben gerne drauflos...
Das Preisausschreiben um die beste Nazi-Geschichte wird nicht etwa von der NSDAP ausgeschrieben. Es findet unter der Schirmherrschaft der New Yorker Columbia University statt. Die Idee dahinter: Der US-Forscher Theodore Abele will mit den persönlichen Geschichten die Amerikaner über Nazi-Deutschland informieren. Auf einer Deutschlandreise hatte er bemerkt, dass viele Hitler-Anhänger nach dessen Machtübernahme gerne über ihre schon lange währende Gesinnung plaudern.
"Jede Person, unabhängig von Geschlecht oder Alter, die vor dem 1. Januar 1933 Mitglied der nationalsozialistischen Partei war oder mit der Bewegung sympathisiert hat, kann an diesem Wettbewerb teilnehmen." So erscheint der Aufruf im Frühsommer 1934 in verschiedenen NSDAP-Parteiblättern, für die beste Nazi-Geschichte winken 125 Reichsmark.
Zum Einsendeschluss am 1. September 1934 werden 683 Beiträge eingeschickt. Sie zeigen, dass Arbeiter und Adelige, Krankenschwestern und höhere Töchter zu den frühen Nationalsozialisten zählen. Triumphierend beschreiben die Hitler-Anhänger, wie sie in den 20er Jahren verlacht und ausgegrenzt worden sind, aber niemals an der Mission Hitlers gezweifelt haben. Ihre Nazi-Begeisterung resultiert aus einer Kränkung über den verlorenen Krieg, der Sehnsucht nach einem starken Führer, die Angst vor einem sozialen Abstieg, völkischen Fantasien – und einem tiefen Antisemitismus.
Als Theodore Abel 1938 sein Buch "Why Hitler came into Power" herausbringt, ist das Interesse an den Geschichten jedoch gering. Längst ist den US-Amerikanern klar, dass Nazi-Deutschland zu einer großen Bedrohung geworden ist und Krieg in der Luft liegt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Wie kam es zum Abzug dieser gigantischen Armee aus Ostdeutschland, mit dem bis zur Wende niemand gerechnet hätte – und warum ist das heute noch wichtig?
Bis heute wird Michail Gorbatschow in Deutschland und den USA dafür gefeiert, dass er während der Wende die Panzer zurückgehalten hat. Dabei geht es dem Präsidenten der Sowjetunion weniger um die deutsche Einheit als um die Rettung seines eigenen Landes. Gorbatschow hofft, dass er durch eine neue Offenheit (Glasnost) und den Umbau des Systems (Perestroika) den Kern seines Imperiums bewahren kann.
Immerhin: Michail Gorbatschow ebnet den Weg für die deutsche Wiedervereinigung. Dazu gehört auch, dass die russischen Truppen möglichst schnell und reibungslos das Gebiet der ehemaligen DDR verlassen. Über Altlasten, Bodenverseuchungen und private Geschäfte der Russen mit Inventar wird dabei oft hinweggesehen.
Am 31. August 1994 ist es dann so weit. Fünf Jahrzehnte nachdem die sowjetische Armee das Gebiet des damaligen Deutschen Reiches erreicht hat, verlassen russische Soldaten wieder Deutschland. "Sie gehen nicht als Besatzung, sie gehen als Partner, sie gehen als Freunde", sagt Bundeskanzler Helmut Kohl während der feierlichen Abschiedszeremonie in Berlin. Deutsche und Russen stünden jetzt am Anfang einer neuen guten Zusammenarbeit.
Der russische Präsident Boris Jelzin betont ebenfalls, er vertraue auf das vereinte, erneuerte Deutschland. Russland dürfe von Europa nicht abgekoppelt werden.
Ein Festakt voller Zuversicht für ein friedliches Miteinander beider Seiten. Doch es kommt anders, drei Jahrzehnte später, hat Wladimir Putin die Ukraine überfallen und es herrscht eisige Kälte zwischen Deutschland und Russland.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Der Start ist holprig – doch dann wird das US-Space-Shuttle "Discovery" zur Legende der NASA-Raumfahrt.
Bis heute war das Space Shuttle der bislang einzige für bemannte Raumflüge eingesetzte Raumfährentyp. Mit 39 Missionen ist die Discovery das am häufigsten eingesetzte Space Shuttle in der Geschichte der NASA. Robust und zuverlässig meistert das Weltraumfahrzeug all seine Aufgaben – vom Jungfernflug am 30. August 1984 bis zur letzten Landung am 9. März 2011. Dann ist Schluss: Nach knapp 240 Millionen absolvierten Flugkilometern wird die Discovery in den Ruhestand geschickt.
Benannt ist die Discovery nach einem der Schiffe, mit denen James Cook den Pazifik befahren und 1778 Hawaii entdeckt hat. Und genau wie ihr schwimmender Namensvetter schreibt auch die US-Raumfähre Geschichte: Sie ist das Space Shuttle, mit dem sowohl nach der Challenger-Katastrophe 1986 als auch nach der Explosion der Columbia 2003 die bemannte Raumfahrt wieder aufgenommen wird. Im April 1990 schauen Millionen Menschen dabei zu, wie die Discovery das zwölf Tonnen schwere Weltraumteleskop "Hubble" ins All hievt.
Die Discovery hebt aber auch ab, um Politik zu machen. Mit Sergei Krikaljow hat sie 1994 zum ersten Mal einen Kosmonauten an Bord. Ein Jahr später ist sie die erste US-Raumfähre, die sich der russischen Station "Mir" bis auf wenige Meter nähert. Beides soll die Kooperation der einstigen Gegner im Orbit demonstrieren.
Mittlerweile ist die Reise der Discovery zu Ende und das Space Shuttle ein Ausstellungsstück: Die alte Weltraumdame lässt sich im Smithsonian Museum in Washington bestaunen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Aus der Gosse zum Superstar: Mit ihrer Debüt-LP "Definitely Maybe" katapultiert sich "Oasis" am 29.8.1994 in den Pop-Olymp. Sänger Liam und Gitarrist Noel Gallagher bekommt der Ruhm schlecht.
Nicht Elvis, nicht die Beatles, nicht Michael Jackson: Es ist das Debütalbum "Definitely Maybe" von Oasis, das sich in seiner ersten Marktwoche häufiger verkauft als jedes andere zuvor in den britischen Charts. Die Platte erscheint am 29. August 1994 - und macht die fünf einfachen Jungs aus Burnage über Nacht zu Stars.
Herz und Seele von Oasis sind zwei Brüder, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Noel und Liam Gallagher. Sie können nicht miteinander und brauchen sich doch. Ihre offen ausgetragenen Querelen sorgen für großen Unterhaltungswert und steigern gleichzeitig ihre Bekanntheit. In kürzester Zeit wird Oasis zu einer der erfolgreichsten Bands des 20. Jahrhunderts - dabei geht ihr Einfluss weit über das musikalische hinaus.
Auf ihrem Höhepunkt spielt Oasis 1996 in Knebworth vor insgesamt 250.000 Menschen an zwei Tagen, die BBC überträgt live. Es ist die Blüte des Britpop, ein Wochenende für die Geschichtsbücher. Aber nach dem Rausch kommt der Kater für die Gallagher-Brüder. Der plötzliche Ruhm, das Geld und die Versuchungen überfordern Noel und Liam zusehends.
2009 verlässt Noel Gallagher die Band im Streit. Kurz darauf löst sie sich auf - und kündigt erst kurz vor dem Jubiläum der Debüt-LP eine Wiedervereinigung an. Was bis dahin bleibt, ist der Soundtrack einer Generation - und die Erinnerung an die richtige Band zur richtigen Zeit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jonas Colsman:
Wenn ein Mörder für den Tod eines anderen Menschen büßt, wer büßt für den Mord an ganzen Volksgruppen? Die Frage bewegt Raphael Lemkin bis zu seinem Tod am 28.8.1959.
In Berlin steht 1921 ein Armenier vor Gericht, der einen Türken auf offener Straße erschossen haben soll. Das Opfer war einer der Organisatoren des Völkermords an den Armeniern ein paar Jahre zuvor durch das Osmanische Reich. Durch den Prozess erfährt eine breite Öffentlichkeit von den mehr als 1,5 Millionen Armeniern, die durch Zwangsräumungen und Todesmärsche ums Leben kamen.
Und der Prozess zeigt eine Lücke im internationalen Gesetz auf, die den Jurastudenten Raphael Lemkin im seinerzeit polnischen Lemberg nicht mehr loslässt: "Die Ermordung eines Individuums ist ein Verbrechen. Ist es dagegen kein Verbrechen, mehr als eine Million Menschen zu töten?"
Raphael Lemkin reist in den 1930er Jahren mit Vorschlägen für ein internationales Gesetz zum Schutz von Minderheiten zu mehreren europäischen Konferenzen: Endlich sollen Volksgruppen vor der Vernichtung durch die eigene Regierung geschützt werden. Vergeblich. Lemkin selbst muss als polnischer Jude vor den Nationalsozialisten fliehen und rettet sich in die USA. Im Gepäck hat er Dokumente, die Hitlers systematische Vernichtung der Juden juristisch beweisen sollen.
Raphael Lemkins Hartnäckigkeit zahlt sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg aus: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen nimmt 1948 einstimmig ein Gesetz zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord an. Raphael Lemkin geht als Vater der Völkermord-Konvention in die Geschichte ein.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Heidi Kabel, geboren am 27.81914 in einem gutbürgerlichen Haushalt an der Große Bleichen. In dieser Straße wird sie später zum Star: auf der Bühne des Ohnsorgtheaters.
Heidi Bertha Auguste Kabel kommt am 27. August 1914 in Hamburg in derselben Straße zur Welt, in der 22 Jahre später der Bibliothekar Richard Ohnsorg eine Bleibe für seine Niederdeutsche Bühne findet. Heidis Vater leitet eine Druckerei, die Mutter erzieht Heidi mit strenger Hand. Dazu gehört, dass die Kinder keine Gefühle zeigen dürfen. Heidi Kabel sieht es später als Vorteil, weil sie gelernt habe, sich zusammenzunehmen.
Die Eltern wollen, dass sie Konzertpianistin wird. Doch sie entscheidet sich fürs Theater. 1933 hebt sich am Theater von Richard Ohnsorg zum ersten Mal der Vorhang für sie. 1938 feiert sie ihre Filmpremiere mit "Ein Mädchen geht an Land". Nach dem Krieg übernimmt ihr Ehemann Hans Mahler das Ohnsorg-Theater und die beiden starten mit ihrem Mundart-Theater durch.
Mit Kittelschürze und Kopftuch spielt sich Heidi Kabel ins kollektive Gedächtnis von Generationen. Schrullig, derbe und kratzbürstig inszeniert sie den Typus der forschen norddeutschen Nachkriegsfrauen, als Hausmeisterin, Mutter und Schwiegermutter, als Giftspritze, Krawallschachtel, Hausdrache und Tratschtante. Fernseh-Übertragungen aus dem Ohnsorg-Theater erreichen oft Einschaltquoten von 80 Prozent. Zu den Klassikern gehören "Vater Philipp", "Die Kartenlegerin" und "Tratsch im Treppenhaus".
Am Silvesterabend 1998, mit 84 Jahren, verabschiedet sich die Volksschauspielerin auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters von ihrem Publikum. 2010 stirbt Heidi Kabel in Hamburg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Faustin Soulouque kann weder lesen noch schreiben. Die politische Elite betrachtet ihn als Marionette - bis er sich am 26.08.1849 zum Kaiser von Haiti ausrufen lässt.
Geboren wird Faustin Soulouque 1782 auf einer Plantage in Haiti, seine Eltern sind beide Sklaven. Elf Jahre später wird die Sklaverei abgeschafft. Die Macht erlangen aber künftig nicht die zahlenmäßig dominierenden Schwarzen, sondern die Haitianer mit je einem schwarzen und weißen Elternteil. Sie wurden früher aus der Sklaverei befreit, gelten als gebildeter.
Auch der Schwarze Faustin Soulouque lernt weder lesen noch schreiben, kann aber beim Militär Karriere machen. Im Unabhängigkeitskampf gegen die französische Kolonialmacht steigt er zum General auf. 1847 wählt ihn der Senat zum Präsidenten von Haiti. Durch seinen in der Armee gezeigten Gehorsam gilt der 64-Jährige als besonders geeignet für die gängige "Stellvertreterpolitik". Dabei sucht sich die hellhäutigere politische Elite einen Schwarzen, den sie wie eine Marionette führen kann.
Bei Faustin Soulouque geht die Strategie jedoch nicht auf. Im April 1848 ordnet der Präsident an, einen Teil der bisherigen politischen Führungsriege brutal zu eliminieren. Ein Jahr später, am 26. August 1849, lässt er sich vom Senat zum Kaiser ausrufen. Für seine Krönungsfeierlichkeiten greift Faustin I. tief in die Staatskasse. Er ordert eine Krone in Paris und legt sich nach französischem Vorbild einen eigenen Hofstaat an.
Politisch regiert Faustin I. immer brutaler, selbst ehemalige Weggefährten lässt er verschwinden. 1859 ist Schluss damit. General Fabre Nicolas Geffrard putscht mit 6.000 Soldaten gegen den Kaiser, der daraufhin nach Jamaika fliehen muss.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Schriftstellerin, Dichterin, Meisterin des Scherenschnitts: Adele Schopenhauer ist weit mehr als die Schwester des berühmten Philosophen. Am 25.8.1849 stirbt sie in Bonn.
Adele Schopenhauer hat Glück. Ihre Mutter Johanna führt einen Salon, in dem sich die geistige Elite der Weimarer Klassik trifft. So lernt die junge Adele unter anderem Bettina von Arnim, Wilhelm Grimm, die Schlegels, Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdy und viele mehr kennen.
Dazu gehört auch Johann Wolfgang von Goethe. Der Dichter und Adele verstehen sich bestens. Er bildet sie als Vorleserin und Schauspielerin mit aus und führt sie in die Literatur ein. Das Mädchen wächst heran zwischen klassizistischen und romantischen Idealen, lernt Italienisch, Französisch, Englisch, musiziert, malt, stickt und entdeckt ihr Talent für den Scherenschnitt.
Später schreibt Adele Märchen, Novellen, Gedichte und Romane – doch alles mit mäßigem Erfolg. Erst als Reisende in Rom und Florenz erobert sie sich einen Platz in der patriarchalischen Welt. Sie diskutiert auf Augenhöhe mit Männern über Literatur, Kunst und Naturwissenschaften.
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Am 24.08.1919 verunglimpfen seine Gegner den jüngst vereidigten Reichspräsidenten Ebert mit einem Skandalfoto. Politik mit Bademode - das wird noch heute gern gemacht.
1919 wird in Deutschland die erste parlamentarische Demokratie gegründet. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird zu ihrem Repräsentanten gewählt und am 21. August auf die neue Verfassung vereidigt. Am selben Tag wird die Ausgabe der "Berliner Illustrierten Zeitung" verteilt, die eigentlich erst drei Tage später erscheinen soll.
Auf der Titelseite wird der neue Würdenträger zwar nicht nackt, aber doch ungehörig unbekleidet seinem Volk präsentiert wird. Man sieht Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) in der damals keineswegs üblichen Badehose in der Ostsee stehen. Die Resonanz ist enorm. Ein Mann in Badekleidung gilt damals als äußerst unschicklich.
Das Foto wird als Postkarte tausendfach verschickt. Dazu kommen Karikaturen, Fotomontagen, Spottverse und Lieder. Bei Eberts öffentlichen Auftritten schwenken kaisertreue Gegner rote Badehosen. Sie nutzen das Ebert-Foto zur Herabwürdigung des Präsidenten und der jungen Demokratie, die mit ihm baden geht.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Von Israel aus erobert Ephraim Kishon mit seinem feinsinnigen Humor die Herzen der Deutschen, wird gar ihr Lieblingsschriftsteller. Zur Welt kommt er in Ungarn am 23.8.1924.
Erst stolzer Ungar. Dann verfolgter Jude. Schließlich entschiedener Israeli. Ein Schicksal, das in vielem typisch ist für das 20. Jahrhundert und das in Budapest beginnt. Denn dort wird Ephraim Kishon am 23. August 1924 geboren. Doch wie wird der Holocaustüberlebende zeitweise der beliebteste Autor der Deutschen?
Wohl weil der Satiriker Geschichten schreibt über mehr oder weniger normale Menschen, zwar mit exotischem Flair, aber gezeichnet wie die Nachbarn von nebenan. Sie schlagen sich herum mit Bürokraten, Waschmaschinen, Kindern und Ehefrauen und den Tücken des Alltags.
Alles ins Groteske übersteigert, heiter, komisch, nie bösartig und einfach brillant. Israel wird darin nicht nur zu einem Land wie andere auch – man kann, man darf darüber sogar lachen! Auch als Deutscher - ohne jedes schlechte Gewissen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Mitten am Tag wird eines der bedeutendsten Gemälde des Expressionismus gestohlen. Den Dieben geht es nicht um Munchs Meisterwerk, trotzdem verändert der Raub Museen.
Es ist ein Sonntagmorgen im August, als die beiden bewaffneten Männer in den Saal des Osloer Museums stürmen, in dem "Der Schrei" und die "Madonna" von Edvard Munch hängen. Die Besucher - Touristen - die sich darauf gefreut hatten, zwei Meisterwerke im Original zu sehen, finden sich in einem Albtraum wieder. Sie werden mit vorgehaltener Waffe zu Boden gezwungen.
Wenige Stunden später findet die Polizei einen kaputten Bilderrahmen und das Fluchtauto. Von den Tätern keine Spur, aber jede Menge Fragen: Warum stahlen sie zwei so berühmte Gemälde? Verkaufen lassen sich solche Werke nicht. Einzig Lösegeld kann man damit erpressen. Aber wofür? Oder für wen?
Die Bilder kann die Polizei erst zwei Jahre nach dem Raub sicherstellen. "Der Schrei", den Munch auf Pappe gemalt hatte, ist in keinem guten Zustand. Zwei Jahre dauert die Restaurierung. 2008 kann das berühmte Bild erstmals wieder ausgestellt werden. Der Raub des "Schrei" hat ein Umdenken in Sachen Sicherheitskonzept in Museen bewirkt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Der Berliner Polizist Ernst "Buddha" Gennat ist ein Schwergewicht der Kriminalistik, Leiter der ersten deutschen Mordinspektion. Der Kommissar vom Alexanderplatz stirbt am 21.8.1939.
Er ist ein Mann mit Ausstrahlung: Ernst Gennat, der Chef der Berliner "Mordinspektion", wird wegen seiner stoischen Ruhe "Buddha" genannt - und wegen seiner Leibesfülle. Diese bringt ihm von weniger respektvollen Zeitgenossen auch den Spitznamen "Der volle Ernst".
Gennats Leidenschaft für Kuchen ist in der ganzen Stadt bekannt. Seine Sekretärin platziert in seinem Büro am Alexanderplatz täglich Berge von Kuchen, von denen der Kommissar bei Besprechungen immer auch seinen Kollegen ein Stück anbietet.
Sein Erfolg basiert jedoch auf neuartigen Arbeitsweisen: Seine 1926 gegründete Abteilung ist ausschließlich für Todesfallermittlungen zuständig. Spezialisten ermitteln nun systematisch mithilfe der "Zentralen Mordkartei", die Gennat anlegen lässt. Dadurch können Zusammenhänge erkannt und aus Fehlern gelernt werden.
Das Schwergewicht unter den deutschen Kriminalisten stirbt an Magenkrebs, wenige Tage vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Gegründet hat ihn ein Migrant - ein Franzose in Hamburg. Er wusste wie man Speiseeis zubereitet und eröffnete am 20. August 1799 in der Hansestadt den Alsterpavillon.
Hamburg ist auch immer eine Stadt der Einwanderer. Und so sucht hier 1799 Vicomte Quatre Barbes, ein französischer Adliger, Zuflucht vor der Verfolgung in Frankreich. In der Freien und Hansestadt Hamburg gefällt es ihm so gut, dass er unbedingt ein Kaffee-Lokal am Wasser gründen möchte. Und so entsteht hier der "Franzosen-Pavillon", in dem sich betuchte Emigranten mit ihren Hamburger Freunden treffen.
Zur Eröffnung gibt es Champagner, Kuchen, Kaffee und Eis. Man sagt, der noch auf Pfählen errichtete erste Pavillon sei Deutschlands erste Eisdiele gewesen.
Im Laufe der Zeit kommen und gehen nicht nur die Betreiber, auch das Gebäude selber wird mehrfach abgerissen und wieder aufgebaut - meist prunkvoll und herrschaftlich. Hier verkehren Menschen, die den besser gebildeten und wohlhabenderen Schichten angehören. So gilt es unter den vielen Passagieren der großen Überseedampfer etwa als Muss, dieses Café besucht zu haben. Selbst Heinrich Heine setzt dem Alsterpavillon ein literarisches Denkmal. Später gastieren hier internationale Spitzenorchester.
1942 wird der Pavillon während eines Bombenangriffs zerstört. Er wird zwar später wieder aufgebaut, doch das einst berühmteste Kaffeehaus Europas wird nie wieder zu seinem alten Glanz zurückfinden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Cäsars Ziehsohn gelingt, woran der scheiterte: Augustus stürzt die Republik und stirbt am 19.08.0014 als erster römischer Kaiser - weil er einen Fehler Cäsars vermeidet.
Octavians Aufstieg zum ersten römischen Kaiser der Antike beginnt als Adoptivsohn Julius Cäsars. Nach dessen Ermordung 44 v. Chr. tritt der 19-Jährige Cäsars Erbe an, teilt die Macht aber zunächst mit Marcus Antonius und Aemilius Lepidus.
Octavian macht sich einen Namen als Feldherr und Kämpfer gegen die Piraterie. Mit klugen innen- und außenpolitischen Schachzügen und dank geschickter Klientelpolitik sichert er sich bald die uneingeschränkte Macht in Rom.
Als ihm der Senat am 16. Januar 27 v. Chr. den Ehrentitel "Augustus" (der Erhabene) verleiht, beginnt seine Regierungszeit als Kaiser, die er allerdings nicht im Sinne einer despotischen Alleinherrschaft versteht. Bis zu seinem Tod am 19. August 14 n. Chr. regiert er im Einklang mit den republikanischen Traditionen Roms.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Eine Frau verbrennt sich an McDonald’s-Kaffee, die Kette soll 2,9 Millionen Dollar zahlen. Der Fall wird zum Vorbild für US-Prozesse mit horrenden Schadenersatzsummen.
Das Unglück geschieht, als die 79-jährige Stella Liebeck Milch und Zucker in ihren Kaffee geben will. Auf dem Parkplatz einer McDonald‘s-Filiale verschüttet sie im Auto ihren gerade gekauften Kaffee. Die Folge: Verbrennungen dritten Grades, acht Tage Krankenhausaufenthalt, zwei Jahre medizinische Behandlung und Kosten von 20.000 Dollar.
Für Stella Liebeck ist klar: Verantwortlich ist die Firma McDonald’s, denn die serviere ihren Kaffee deutlich heißer als marktüblich. Und warne außerdem nicht ausreichend vor dieser Gefahr. Und Liebeck ist nicht allein. Schon in über 700 anderen Fällen haben sich Kunden wegen Verbrennungen durch McDonald’s-Kaffee beschwert.
Eine Geschworenen-Jury spricht Liebeck Schadenersatz zu: 2.860.000 Dollar. Doch in der Berufung wird die Summe deutlich reduziert. Am Ende steht ein Vergleich, dessen Höhe nicht veröffentlicht wird. Bis heute funktioniert das US-Schadenersatzrecht im Wesentlichen wie zu Stella Liebecks Zeiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Es gilt als das berühmteste, einflussreichste und kommerziell erfolgreichste Jazz-Album: Die Platte "Kind of Blue" des Jazz-Trompeters Miles Davis erscheint am 17.8.1959.
Manhattan, 2. März 1959: Ein Montagnachmittag im Columbia-Tonstudio an der 30. Straße. Der Bandleader und Trompeter Miles Davis bringt seinen Musikern nur ein paar flüchtige Notizen mit - auf losen Zetteln. Dann geht es los mit der Aufnahme zu einem Stück, das noch nicht einmal einen Titel besitzt.
Zwei Mal unterbricht der Produzent die Aufnahme, dann spielen Pianist Bill Evans und Kontrabassist Paul Chambers das Intro, das das berühmteste Album der Jazz-Geschichte einleitet: "Kind of Blue".
Weil Miles Davis und seine Musiker bei der ersten Aufnahmesession nicht fertig werden, braucht es eine zweite. Am 22. April 1959 sind dann alle fünf Stücke für die Jazz-Platte fertig. Nur wenige Wochen später wird das Album veröffentlicht: am 17. August 1959.
In diesem Zeitzeichen erzählt Stefan Mau:
Das erste Smartphone ist das Apple i-Phone, oder? Nicht ganz, denn der Urahn aller Smartphones heißt "IBM Simon" und kommt am 16.8.1994 auf den amerikanischen Markt.
Zeitreise: Anfang der 1990er-Jahre sind Telefonzellen selbstverständlich, Wählscheiben üblich und schnurlose Festnetztelefone der letzte Schrei. Doch die rasende Entwicklung von der Rechenmaschine über den PC bis zum ersten Laptop zeigt, wie viel Freiheit mobile Lösungen bringen.
In Deutschland wird gerade das Telefonieren im Auto und beim Gehen auf der Straße populär. Also warum nicht Mobiltelefon und Computer zusammenbringen? Der US-Computerhersteller IBM, spezialisiert auf Rechenmaschinen, sucht gerade nach neuen Ideen und lässt seinem Entwicklungslabor freie Hand.
Der Elektronik-Ingenieur Frank Canova in Florida hat die zündende Idee: "Ich habe mich damals gefragt, wie eine Telefontastatur auf einem Screen aussehen würde." Die Lösung liegt für ihn in der Touchscreen-Technologie, damals kaum genutzt und sehr fehleranfällig. Mit seinem Team macht er einen Prototyp zum marktreifen Produkt, das von Mitsubishi Consumer Electronics produziert und der Telefonfirma BellSouth am 16. August 1994 auf den Markt gebracht wird.
Doch es werden nur 50.000 "IBM Simons" verkauft. Nach weniger als einem Jahr ist Schluss. Das Internet ist noch nicht so ausgebaut, dass das erste Smartphone der Welt sein Potenzial nutzen kann. Zudem kostet das Gerät 1.000 Dollar, wiegt ein Pfund und muss nach einer Stunde aufgeladen werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
In Schweden wird Stieg Larsson als Aufklärer gegen Rechtsextremismus bekannt. Den sensationellen Erfolg seiner Millennium-Trilogie kann er nicht mehr erleben.
"Verblendung", "Verdammnis", "Vergebung" - so heißen die drei Bände von Stieg Larssons "Millennium-Trilogie". Seit 2004 sind die drei Bücher weltweit mehr als 100 Millionen Mal verkauft worden.
Dahinter steckt keine kalkulierte Verlagsstrategie, sondern das Werk eines Autodidakten und Hobbyautors, der mit Mitte 40 ohne jede professionelle Hilfe seinen ersten Krimi schreibt. Es sind 2.150 Seiten zwischen Fantasie und Faktenfetischismus, gepaart mit verblüffender Souveränität in der Plotgestaltung und einem eigenwilligen Humor.
Der Antrieb dafür ist eine persönliche Mission des Autors: der Kampf gegen Rechtsradikalismus. Larsson gilt in Schweden als führender Experte auf diesem Gebiet. 1991 hat er dazu das Sachbuch-Standardwerk "Extremhögern" veröffentlicht. Wegen seines Engagements erhält er immer wieder anonyme Drohungen.
Doch Larsson lässt sich nicht einschüchtern - und hält mit dem ungesunden Lebensstil eines Workaholics dagegen: zu viel Zigaretten, Kaffee und Bier. Im Herbst 2004, kurz vor seinem publizistischen Erfolg, stirbt der Autor nach einem Herzinfarkt. Gerade ist er 50 geworden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Mehr Recht auf weniger Kleidung: Die Anhänger der Nacktbadekultur in der DDR rebellieren gegen Badehosen- und Bikini-Bekleidete. Und das mit teils rüden Methoden.
Nacktbaden gehört für viele DDR-Bürger zum gängigen Urlaubsvergnügen. 1982 erscheint sogar ein FKK-Reiseführer - dieser weist rund 40 offizielle Strände für Freikörperkultur aus. Doch diesen selbstverständlichen Umgang mit dem textilfreien Planschen gab es nicht immer.
Im Jahr 1954 tobt im Arbeiter- und Bauernstaat ein regelrechter Kulturkampf um das Für und Wider von Badebekleidung. Angeblich gipfelt der Konflikt darin, dass die Angezogenen überfallen und zwangsweise entkleidet werden. Das Ende vom Lied: Am 14. August 1954 tritt ein generelles Nacktbadeverbot für die gesamte Ostseeküste in Kraft.
Es folgt ein Sturm der Entrüstung. DDR-Bürger beschweren sich bei der Obrigkeit und schreiben an die Medien. Kultusminister Johannes R. Becher kontert mit dem pathosschweren Ausbruch: "Habt Mitleid! Zeigt Erbarmen! Schont die Augen der Nation!" Doch die Wahrheit ist: Unter den Nudisten befinden sich auch etliche SED-Mitglieder und sogar hochrangige Staatsbeamte.
Unter diesen Umständen ist es unmöglich, weiter auf das Nacktbadeverbot zu bestehen - und so wird es nach nur zwei Jahren wieder aufgehoben. Natürlich leise, schließlich trifft die SED ihre Entscheidungen immer im fantasierten Bewusstsein der Unfehlbarkeit. Berichtigungen passen da nicht ins Bild. Doch zumindest in diesem einen Punkt überwindet die DDR ihre Kleinbürgerlichkeit - und an der Ostsee heißt es fortan wieder: Sommer, Sonne, FKK.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Es ist die größte von vier Schlachten, in denen die Tiroler 1809 für ihre Freiheit und die Zugehörigkeit zu Österreich kämpfen. Kein Sieg, aber Napoleons Truppen müssen zurückweichen.
Für die meisten ist "Bergisel" heute vor allem mit Skispringen verbunden. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts schreiben hier die Tiroler Geschichte. Nationalheld Andreas Hofer und die Seinen kämpfen auf dem etwa 750 Meter hohen Bergrücken im Süden Innsbrucks für die Freiheit Tirols. Der Hintergrund: Seit 1805 gehört das Gebirgsland zu Bayern und damit zum französischen Machtbereich. Es soll zu einem modernen, aufgeklärten und absolutistischen Staat umgeformt werden. Doch die meisten Tiroler wollen nur eins: zurück nach Österreich, zu dem sie seit dem 14. Jahrhundert fast ununterbrochen gehörten.
Im Verlauf des Jahres 1809 wird Hofer zu einem der führenden Köpfe des Aufstands. Er und seine Mitstreiter mobilisieren Schützen und den Landsturm in ganz Tirol. Nach der ersten Schlacht am Bergisel im April 1809 befreien sie Innsbruck für kurze Zeit. Ende Mai kommt es dort erneut zu Kämpfen, bei denen die Bayern große Verluste erleiden.
Als Napoleon vom Rückzug der Bayern erfährt, stellt er 20.000 Mann ab, um mit den rebellischen Tirolern endgültig abzurechnen. So kommt es am 13. August 1809 zur dritten und größten Bergiselschlacht, an deren Ende Napoleons Truppen erneut zurückweichen müssen. Für zwei Monate sitzt Hofer sogar als Regent in Innsbruck - bis es zwischen Frankreich und Österreich zum "Frieden von Schönbrunn" kommt.
Für Hofer ist das Verrat und es führt ihn wenig später in die vierte Schlacht am Bergisel. Diesmal siegen die Franzosen. Hofer versteckt sich in den Bergen, wird aber verraten. Auf Befehl Napoleons wird er 1810 in Mantua hingerichtet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
1845 bricht John Franklin mit zwei Schiffen zur Nordwestpassage auf - eine Reise ohne Wiederkehr. Der erste Tote der Expedition ist John Torrington. Am 12.8.1984 wird versucht, seine Todesursache zu klären.
Im Mai 1845 bricht Sir John Franklin mit 129 Seeleuten und zwei Schiffen von London auf, um endlich die Nordwest-Passage zu durchqueren. Alle früheren Expeditionen sind bei der Suche nach einem Seeweg vom Atlantik über den Nordpol in den Pazifik am Packeis gescheitert.
Da die beiden Schiffe Verpflegung für drei Jahre an Bord haben, werden sie zunächst nicht vermisst. Erst 1848 schickt die englische Admiralität eine Suchexpedition los - ohne Erfolg. Weitere Expeditionen folgen. Erste Spuren werden schließlich 1850 in der Arktis gefunden: Überreste von Schiffsgegenständen, Kleiderfetzen und Konservendosen.
Wenig später werden drei Grabsteine entdeckt. Darauf stehen die Namen von John Torrington, John Hartnell und William Braine. Alle drei jungen Männer sind demnach 1846 gestorben, also wenige Monate nach dem Aufbruch der Franklin-Expedition. Warum?
1984 wollen kanadische Wissenschaftler die Frage beantworten. Sie bergen am 12. August zunächst die Überreste von John Torrington für eine Autopsie. Sie glauben, die Todesursache gefunden zu haben: eine Bleivergiftung, hervorgerufen durch die Nahrung aus den bleiverlöteten Konserven. Doch das erweist sich später als nicht schlüssig.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Komik und Tragik kann Robin Williams als Schauspieler hervorragend verbinden. Privat kämpft der Weltstar mit schweren Krankheiten. Im Alter von nur 63 Jahren geht er aus dem Leben.
Seine Karriere beginnt der Schauspieler Robin Williams als Stand-up-Comedian. Mitte der 1970er-Jahre erhält er die Hauptrolle in der TV-Show "Mork vom Ork". Darauf folgen kleinere Rollen in Filmen - bis Williams 1988 seinen Durchbruch hat: In "Good Morning Vietnam" spielt er einen Radiomoderator, der im Vietnamkrieg bei einem US-Soldatensender die Truppen vor Ort aufheitern soll.
In dieser Filmrolle kann Williams seine Qualitäten als Schauspieler und sein Improvisationstalent als Komiker zeigen. Das eröffnet ihm neue Möglichkeiten. Mit "Club der toten Dichter" kommt er 1989 endgültig in Hollywood an. Doch mit dem Ruhm kommen für Williams die Probleme. Er leidet unter dem Konkurrenzdruck und trinkt zu viel.
Williams schafft zwar den Entzug und knüpft mit Familienfilmen wie "Mrs. Doubtfire" und "Hook" an alte Erfolge an. Doch 2006 folgt ein Rückfall in die Alkoholsucht. Nach einer weiteren Therapie dreht Williams weitere Filme, aber die Blockbuster bleiben aus. 2014 wird bei ihm Parkinson festgestellt. Am 11. August des Jahres wird der 63-Jährige tot aufgefunden. Die Umstände lassen auf Suizid schließen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Amy Zayed:
Er erfand eine Rock-Ikone: die "Strat". Die weltberühmte E-Gitarre, die den Sound der Blues-, Rock- und Popmusik für immer geprägt hat. Leo Fender wurde am 10. August 1909 geboren.
Der 1909 in Kalifornien geborene Clarence Leo Fender begeistert sich schon auf der Highschool für elektrotechnische Tüfteleien. 1938 eröffnet der gelernte Buchhalter ein Radiogeschäft, in dem er auch Lautsprecheranlagen, Gitarren und Verstärker repariert. Bald beginnt Fender selbst, Gitarrenverstärker und elektrische Gitarren zu bauen und gründet 1946 die Fender Electric Instruments Manufacturing Company.
Die sogenannten "Hawaii-Gitarren" haben noch einen Resonanzkörper mit F-Löchern wie eine Geige und werden im traditionellen Instrumentenbau mit fest verleimten Hälsen handgefertigt. Fender jedoch experimentiert mit einer völlig neuartigen Bauweise, einer brettartigen, aus Massivholz gesägten Gitarre mit angeschraubtem Hals - ohne Resonanzraum und Schallloch.
Als er 1950 die erste Fender Broadcaster in "Solid-Body"-Bauweise vorstellt, lacht ihn die Konkurrenz aus. Doch das als "Kanupaddel" und "Fliegenklatsche" verhöhnte Brett wird zur ersten kommerziell erfolgreichen E-Gitarre der Welt. 1954 folgt mit der weiterentwickelten Fender Stratocaster die bis heute meist kopierte Gitarre der Welt. Superstars wie Jimi Hendrix, Eric Clapton oder Pink Floyds David Gilmour schwören auf ihre "Strat".
Keinen der Musiker, die auf seinen Gitarren Rockgeschichte schreiben, lernt Fender persönlich kennen. Er ist kein Partygänger, raucht und trinkt nicht. Bis ins hohe Alter tüftelt er daran, die Gitarren, Bässe und Verstärker, die seinen Namen tragen, zu verbessern. Ein Jahr nach seinem Tod im März 1991 wird Clarence Leo Fender in die "Rock and Roll Hall of Fame" aufgenommen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christopher Heimer:
Weltweit bekannt ist Tove Jansson für ihre Geschichten und Zeichnungen rund um die Mumin-Trolle. In Finnland ist die Zeichnerin und Autorin dazu eine Ikone und Wegbereiterin der queeren Community.
Was Pippi Langstrumpf für Schweden, sind die Mumins für Finnland: Die rundlichen weißen Trolle, die ein wenig an Nilpferde erinnern, sind wohl Finnlands bekanntesten Kinderfiguren. Für ihre Erfinderin, die Zeichnerin und Autorin Tove Jansson, sind die Geschichten zunächst eine Flucht vor Krieg und Gewalt.
Die am 9.8.1914 geborene Malerin und Zeichnerin Tove Jansson feierte gerade ihre ersten Erfolge, als im November 1939 die Russen in Finnland einmarschieren. Mit dem Winterkrieg beginnen schreckliche Jahre: Ihre Freunde kämpfen an der Front, in ihrer Geburtsstadt Helsinki heulen ständig die Sirenen. Jansson entwirft die Mumins und ihre eigene Märchenwelt.
Die witzig-versponnenen Mumin-Familie lebt zusammen mit anderen Kreaturen in einem grünen Tal, umgeben von Bergen. Aufkommende Bedrohungen und Probleme werden stets von der Mutter souverän gelöst. Als Vorbild gilt Janssons eigene Mutter, die liebevoll die Kinder aufzieht und die Familie mit ihrer Arbeit als Grafikerin zusammen hält. Ihr Vater ist Bildhauer, exzentrisch und häufig unterwegs.
Insgesamt schreibt Tove Jansson neun Bücher über die Mumins, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt werden. Auch ihre große Liebe, die Grafikerin Tuulikki Pietilä, ist unschwer in den Geschichten als Too-Ticki zu erkennen. Die sagt in einer Mumin-Geschichte einmal den bemerkenswerten Satz: "Alles ist sehr ungewiss, und das finde ich beruhigend."
In diesem Zeitzeichen erzählt Christine Kopka:
Es ist die Promi-Trennung des 9. Jahrhunderts: König Lothar II. will zu seiner Geliebten Waldrada, ist aber mit Theutberga verheiratet. Es mischen sich ein: der Papst und machthungrige Onkel. Am 8.8.869 stirbt Lothar.
Als der fränkische König Lothar II. im Jahr 857 seine kinderlose Ehefrau Königin Theutberga verstößt, um seine Geliebte Waldrada zu heiraten und seinen unehelichen Sohn als Nachfolger einzusetzen, greifen die Chronisten empört zu Feder und Pergament und halten alle schmutzigen Details für die Nachwelt fest.
Die pikante Angelegenheit ist hochumstritten und zieht weite Kreise. Theutberga und ihre Familie wehren sich gegen die Kränkung. Bischof Hinkmar von Reims lehnt eine Trennung strikt ab. Viele Adlige hingegen unterstützen den König. Seine Brüder und Onkel wiederum spekulieren darauf, dass die Trennung des Königspaares – das keinen legitimen Erben hat – ihnen in die Hände spielt und sie Teile von Lothars Gebiet übernehmen können.
Der Papst Nikolaus I. höchstpersönlich verlangt, dass Lothar sich von Waldrada fernhält, solange die Angelegenheit nicht endgültig geklärt ist. Aber auch die Autorität des Papstes stimmt Lothar II. nicht um. Noch bevor der König seine Angelegenheit zu einem guten Ende führen kann, stirbt er am 8. August 869 nach seinem Besuch beim Papst auf dem Heimweg in Piacenza, wo er beigesetzt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
55 Meter trennten die Türme des World Trade Centers. Philippe Petit überwindet den Abgrund auf einem illegal gespannten Hochseil - in 415 Metern Höhe. Es ist das künstlerische Verbrechen des Jahrhunderts.
"Mein erster Schritt war furchterregend. Die Luftdichte ist anders. Manhattan ist nicht mehr unendlich", erinnert sich Philippe Petit später. Mehr als 400 Meter unter ihm gehen die New Yorker gerade zur Arbeit und können kaum glauben, was sie sehen: Zwischen den Türmen des noch nicht einmal ganz fertig gestellten Word Trade Centers tänzelt ein Mann auf einem Drahtseil.
Für Philippe Petit sind seine spontanen Zuschauer nicht größer als Stecknadelköpfe. Aber herunterschauen kann er nicht – jede Unachtsamkeit würde ihn das Leben kosten. Dabei kennt er sich aus mit kühnen Aktionen: Der Franzose ist bereits auf einem dünnen Geflecht zwischen den Türmen von Notre-Dame in Paris und den Pfeilern der Harbour Bridge in Sydney flaniert. Als der Akrobat vom Bau des World Trade Centers hört, ist ihm sofort klar, dass er nach New York muss.
Über Monate plant Philippe Petit seinen, wie er es nennt, Coup, der ihn berühmt machen wird. Dazu verschafft er sich als Journalist, Monteur, Industrieunternehmer unzählige Male Zutritt zu den Zwillingstürmen. Zusammen mit Freunden misst er aus, erstellt Zeitpläne und schmuggelt die tonnenschwere Ausrüstung ins neue Prestige-Gebäude der USA.
Am frühen Morgen des 7. August 1974 ist es soweit. Philippe Petit spaziert mit seiner 35 Kilo schweren Balancestange ohne jede Sicherung zwischen den Türmen hin und her. Nach einer Dreiviertelstunde ist Schluss. Polizisten stürmen die Plattform und nehmen Philippe Petit fest. Das ist ihm egal, sein Name für immer mit dem World Trade Center verbunden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Er revolutionierte die Archäologie: Statt wild in der Erde zu wühlen und Schätze zu suchen, trug er sie schichtweise ab und berücksichtigte Bodenverfärbungen. Am 6. August 1859 wurde Carl Schuchhardt geboren.
Wer war der größte deutsche Archäologe? Nicht etwa Heinrich Schliemann mit seinem "Schatz des Priamos" in Troja. Für Archäologin Anne Viola Sievert vom Museum August Kestner in Hannover ist es Carl Schuchhardt.
Er reformiert die Archäologie: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt er eine neue Grabungsmethode, die heute noch immer Gültigkeit hat. Sein Vorgehen bei Grabungen im wiederentdeckten Römerlager in Haltern: Zunächst entfernt er die Humusschicht und erzeugt eine ebene Fläche, das sogenannte Planum. Darauf zeichnen sich ehemalige Gruben als dunkle Verfärbungen ab.
Beim Graben nach weiteren Bodenschichten können vertikale Schnitte angelegt werden. Im Schnitt eines Planums ist zu sehen, wie weit sich beispielsweise eine Bodenverfärbung von der Oberfläche weiter nach unten zieht. Auf diese Weise werden auch ehemalige Pfosten von Holzbauten sichtbar, deren Erdlöcher Spuren hinterlassen haben.
Solche "Pfostenlöcher" ermöglichen es, Rückschlüsse auf die Anordnung und Architektur ehemaliger Bauten zu ziehen. 1904 informiert Schuchhardt den Kaiser über seine Erkenntnisse und sagt: "Nichts ist dauerhafter als ein ordentliches Loch." Darüber amüsiert sich Wilhelm II. so sehr, dass er einen Lachanfall bekommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Geburtsstätte einer der berühmtesten Ikonen der USA war eine Werkstatt in Paris. Am 5.8.1884 wurde in New York der Grundstein für den Sockel der Freiheitsstatue gelegt.
"Liberty Enlightening the World" - so lautet der offizielle Name und die weltweite Botschaft der grünen Frauen-Statue im Hafen von New York. Das 46 Meter hohe Original steht seit 1886 im New Yorker Hafen und gehört zu den meistbesuchten Monumenten der Welt. Doch ihre Geburtsstätte ist eine Werkstatt in Paris.
Während amerikanische Nord- und Südstaatler bis 1865 im Bürgerkrieg über die Deutungshoheit des Begriffs Freiheit streiten, kommt eine Gruppe französischer Liberaler auf der anderen Seite des Atlantiks bei einem Festbankett nahe Paris zusammen. Sie entwickeln die Idee, 1876 den USA zum 100. Unabhängigkeitstag eine Freiheitsstatue zu überreichen.
Der Zeitplan wird zwar nicht eingehalten, der Bau des Monuments ist aber dennoch wie geplant ein Gemeinschaftsprojekt: Der Bildhauer Frédéric Bartholdi konstruiert die Statue in Paris, die Amerikaner finanzieren den Sockel auf der Insel Bedloe‘s Island in der Bucht von New York. Der Grundstein für die Errichtung der Freiheitsstatue wird 1884 gelegt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Ein Hahn legt ein Ei – das bringt für die Menschen im Spätmittelalter die göttliche Ordnung durcheinander. Der Hahn muss auf den Scheiterhaufen, 1474 in Basel...
Für die Menschen im 15. Jahrhundert verhält sich dieser Hahn widernatürlich wie ein Huhn. Und als die Basler nach der Hinrichtung den Hahn aufschneiden und weitere Eier entdecken, entzünden sie den Scheiterhaufen. Die Menschen hegen den Verdacht, der Hahn sei des Teufels und aus den Eiern könnten Mischwesen schlüpfen, denen man nachsagt, sie hätten den tödlichen Blick.
Im späten Mittelalter ist die weltliche und geistliche Ordnung getragen von Verwaltung, vom römischen Recht und von Gerichten. Von der Rechtswissenschaft erhoffen sich die Menschen die Lösung aller Probleme, damit die Ordnung erhalten bleibt – die auch mit Macht zu tun hat.
Wenn also ein Tier etwas tut, das dieser Ordnung widerspricht oder so ungewöhnlich ist, dass es für Unruhe in der Bevölkerung sorgt, kommt es zum Prozess. Das Tier wird zum Rechtssubjekt, ihm wird Willensfreiheit, Motiv und Böswilligkeit unterstellt. Damit kann es beschuldigt, angeklagt und verurteilt werden.
Aber wie war das eigentlich mit dem Hahn und dem Ei? Hätten die Basler 1474 beim Aufschneiden des Hahnes richtig nachgesehen, hätten sie keine zwei Hoden gefunden. Sie hätten links in der Bauchhöhle einen Eierstock entdeckt und rechts so etwas wie einen zurückgebildeten Eierstock. Denn dieser Hahn war in Wirklichkeit ein Huhn. Eine physische Anomalie, die bei Hühnern gelegentlich vorkommt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Sie schreibt von einer lesbischen Schulleiterin in der Provinz, nimmt auch sonst kein Blatt vor den Mund: Vor über 100 Jahren schreibt Colette "Autofiktion" - und revolutioniert so die französische Literatur. Am 3.8.1954 stirbt Colette.
Sidonie-Gabrielle Claudine Colette polarisiert 1900 schon mit ihrem ersten Roman "Claudine erwacht". Er handelt von einem störrischen jungen Mädchen der 1880er-Jahre in einem kleinen Dorf in Burgund, von einer lesbischen Schulleiterin, die gleichzeitig eine Geliebte und ein Verhältnis mit einem verheirateten Arzt hat - sowie von allerhand verderbten Klassenkameradinnen.
Schnell lernt Colette, dass sich mit Skandalen gutes Geld verdienen lässt. Sie tritt zusammen mit ihrer Gönnerin und Intimfreundin, der nur Männerkleidung tragenden hochadeligen Missy, halbnackt im Moulin Rouge auf und küsst sie auf offener Bühne. Die Pantomime wird polizeilich verboten. Wohlgemerkt: wir schreiben das Jahr 1907.
1910 folgt ein Berufswechsel: Colette wird Journalistin bei der seriösen Tageszeitung "Le Matin", wagt sich als erste Passagierin in ein Flugzeug, verfasst Kolumnen, Kritiken und Gerichtsberichte, heiratet Baron Henry de Jouvenel, einen der Chefredakteure, und schreibt unermüdlich weiter. Immer nur von dem, was sie sieht, kennt, erlebt.
Mit ihren scheinbar leichthin geschriebenen psychologischen Werken und ihrem locker gelebten Leben erobert sie die Herzen der Franzosen. Sie gilt als Wunder- und Naturkind der Literatur. Frankreich ernennt sie als erste Frau zum Offizier der Ehrenlegion. Als sie am 3. August 1954 nach Jahren schwerer Krankheit stirbt, erhält sie, wiederum als erste Frau, ein Staatsbegräbnis. Über sechstausend Trauergäste defilieren an ihrer Bahre vorbei.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Am 2.8.1939 wird die Studioaufnahme des Liedes "Lili Marleen" der Sängerin Lale Anderson fertig. Erst ein Flop - dann wird das Lied durch einen Zufall ein Welterfolg.
Den Text zu "Lili Marleen" schreibt 1915 der Infanterist Hans Leip. Der junge Mann ist erfüllt von düsterer Todesahnung: Am nächsten Tag soll seine Einheit an die Karpatenfront verlegt werden. Dabei ist er gerade in zwei Mädchen verliebt: Die blonde Lili und die dunkle Marleen. Das Gedicht landet 1937 in seiner ersten Lyriksammlung. Dort entdeckt es die Sängerin Lale Andersen, die auf der Suche nach Liedern für ihr Bühnenprogramm ist.
1939 wird das Gedicht vertont und aufgenommen. Das "Lied eines jungen Wachtpostens" ist zunächst ein Ladenhüter. Erst mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien taucht es 1941 aus der Versenkung auf. In Belgrad wird ein Soldatensender aufgebaut, der die Front mit der Heimat verbinden soll.
Auch "Lili Marleen" landet dort auf dem Plattenteller. Schnell entwickelt sich ein wahrer Hype: Der Sender Belgrad richtet eine abendliche Grußsendung ein, die er immer um kurz vor 22 Uhr mit dem Lied beendet. So wird der wehmütige kleine Schlager zur Verbindung zwischen den Soldaten und den Lieben daheim.
Doch auch bei den alliierten Soldaten wird das Lied ein großer Erfolg. Als es ihnen nicht gelingt, den Song zu unterdrücken, beschließen sie, ihn zu kapern und eigene Versionen herauszubringen. Besonders berühmt wird die Fassung von Marlene Dietrich, die es vor den GI’s an der Westfront singt. "Lili Marleen" wird der erste deutsche Millionenseller.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Der Wandel des Berliner Zoos: Von der Faszination des Tieres als fremde Kreatur zur modernen Schutzeinrichtung und Tieren als Botschafter für den Naturschutz.
Die Eröffnungs-Inventur des Zoos Berlin im Hochsommer 1844 dauert nicht sehr lange. Der Tierbestand ist noch dünn: "Fünf Kängurus. 46 Stück kleine Singvögel. Wasserschildkröten und Goldfische. Drei Nordische Füchse. Zwei Dachse, aus hiesiger Gegend. 24 verschiedene Affen, die böseren im Käfig, die verträglicheren im Freien" sind auf vier Seiten aufgelistet.
Die heute seltsam erscheinende Einteilung in gute und böse Wesen könnte man allerdings auch auf die Zoo-Besucher anwenden. Darauf deuten unmissverständlich einige Verbotsschilder hin: Die Tiere sollen nicht mit Stöcken oder Regenschirmen gepiesakt werden oder dürfen kein mitgebrachtes Futter bekommen.
In den ersten Tiergärten sind auch nicht nur Tiere zu sehen. In sogenannten "Völkerschauen" werden Menschen aus fernen Ländern "ausgestellt". In Berlin zum Beispiel eine Gruppe "Feuerländer" aus Südamerika.
Früher ist in den Zoos tatsächlich die Faszination für das einzelne Individuum wichtig: Das Tier, die Kreatur, das Fremde. Heute ist der Auftrag ein anderer. Es geht um den Schutz bedrohter Tierarten. Selbstverständlich immer von Menschen bedroht, die Natur bedroht sich eigentlich nie selbst. Zoo-Besucher sollen in ihrem naturwissenschaftlichem Engagement gestärkt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Am 31.7.1944 startet er von Korsika auf einen Aufklärungsflug. Und: in den Tod. Dass sein Ruhm als Autor des "Kleinen Prinzen" unsterblich machen wird, ahnt er wohl nicht.
Die Umstände des Todes von Antoine de Saint-Exupéry sind bis heute ungeklärt. Der Schriftsteller ist am 31. Juli 1944 mit einer zweimotorigen Lockheed P-38 auf einem Aufklärungsflug über dem Mittelmeer unterwegs, als seine Maschine vor Marseille abstürzt. Ist die Ursache es ein technischer Defekt? Oder hat ihn ein deutscher Jagdflieger vom Himmel geholt?
Seine Flugleidenschaft prägt jedenfalls sein Werk. Auch beim Schreiben des "Kleine Prinzen" greift er auf seine Erlebnisse als Pilot zurück, etwa auf seinen Absturz in der Wüste und die Rettung durch Nomaden. Sein Biograf Joseph Hanimann sagt, Saint-Exupéry sei nur Schriftsteller geworden, weil er geflogen sei und das Fliegen schriftstellerisch nachbereitet habe: "Das eine ging bei ihm nicht ohne das andere."
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Eugène Schueller ist der Erfinder eines Haarfärbemittels, das weniger schädlich für Haare und Kofhaut ist. Am 30. Juli 1909 gründet er L'Oréal - der heute mit Abstand größte Kosmetikkonzern der Welt.
Am 30. Juli 1909 gründet der Chemiker Eugène Schueller in Paris eine kleine Firma, aus der sich L’Oréal entwickelt, heute der weltweit größte Beauty-Konzern. Schuellers innovative Haarfärbemittel revolutionieren die Branche und legen den Grundstein für ein Imperium, das mittlerweile Produkte von Marken wie Lancôme, Armani und Garnier vertreibt.
Schönheit, was bedeutet das eigentlich? Diese Frage beschäftigt die Menschheit seit jeher und ist eng verbunden mit der Manipulation des äußeren Erscheinungsbildes. L’Oréal hat über die Jahrzehnte hinweg diesen Drang nach äußerer Schönheit erkannt und geformt.
Es gibt auch ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Konzerns. Der Gründungsvater von L'Oréal sympathisiert in den 30er Jahren mit den Nationalsozialisten und dem Vichy-Regime. Vom Konzern wird das bis heute als "Privatsache der Familie" abgetan.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Am 29.7.1899 endet die erste Haager Friedenskonferenz: Den Frieden sichern konnte sie nicht, sie regelte den Krieg. Trotzdem ist die Konferenz bedeutsam - bis heute.
Den Haag, im Sommer des Jahres 1899: In der prachtvollen Umgebung des Huis ten Bosch, der Sommerresidenz der jungen Königin Wilhelmina von Oranien-Nassau, versammeln sich Diplomaten aus aller Welt zu einer historischen Zusammenkunft.
Die Konferenz resultiert in drei wichtigen Abkommen: eines zur friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten, eines zu den Gesetzen und Gebräuchen des Landkrieges und eines zur Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg.
Es ist die erste von vielen Friedenskonferenzen, ein Meilenstein in der Geschichte des internationalen Rechts und der Diplomatie. Ein Vorbote der Moderne, mit einer aktiven zivilen Öffentlichkeit und einer frühen Form der Medienberichterstattung.
Diese erste Versammlung legt den Grundstein für zukünftige internationale Bemühungen um Frieden und Sicherheit. Obwohl hier eigentlich nicht Frieden verhandelt, sondern Kriege geregelt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Aenne Burda hat ein großes Ziel: Sie will das Leben der deutschen Nachkriegsfrauen schöner und eleganter machen. Mit Schnittmustern für Kleider.
Ihre Rolle als Verlegerin beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeiten sind schwierig, das Leben ist grau und eintönig. Doch Aenne Burda hat eine Idee: ein Modemagazin mit praktischen Schnittmustern, das den Frauen ermöglicht, ihre eigene Kleidung zu nähen.
Im Januar 1950 erscheint die erste Ausgabe von "Burda Moden" mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren. Ein gewagtes Unterfangen, das zum Erfolg wird – weltweit. In den 1980er Jahren erscheint das Blatt als erste westliche Zeitschrift in Russland – ein Erfolg, der bis in die Politik nachhallt.
Aenne Burda wird am 28. Juli 1909 geboren. In der von Männern dominierten Verlagswelt geht sie ihren eigenen Weg. Mit ihrer Vision und ihrem Engagement revolutioniert und demokratisiert sie die Modewelt. Ihr Ziel ist klar: den Frauen der Nachkriegszeit Schönheit, Eleganz, Kreativität und ein Gefühl von Selbstvertrauen zu geben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Kritiker rühmen Ferruccio Busonis Virtuosität: "Es gibt gute Pianisten und es gibt große Pianisten. Und es gibt Busoni." Doch der Klassik ist der Komponist und Dirigent zu modern, der Moderne zu klassisch.
Als unermüdlicher Künstler reist er um die Welt, um mit seinem virtuosen Klavierspiel und seinen Kompositionen Geld zu verdienen. Doch Ferruccio Busoni ist weit mehr als nur ein Musiker. Er ist eine universelle Künstlerfigur, die die Traditionen der Renaissance in die moderne Musik überträgt.
Ferruccio Busoni wird 1866 in Empoli, Italien geboren. Er lebt für die Kunst und gestaltet sein Leben als ein Gesamtkunstwerk, wie es der Komponist Wolfgang Rihm beschreibt: "Kunst und Leben als Einheit, die komponierte Existenz."
Busonis musikalisches Erbe umfasst nicht nur seine eigenen Werke, sondern auch seine tiefgehenden Interpretationen und Bearbeitungen von Bach, Chopin und Mozart. Seine Kompositionen zeichnen sich durch intellektuelle Tiefe und technische Brillanz aus, wie etwa die "Fantasia contrappuntistica", eine Vollendung von Bachs unvollendeter "Kunst der Fuge".
Obwohl Busoni in der deutschen Musikkultur verwurzelt ist, prägen ihn seine italienischen Wurzeln ebenso wie seine internationale Karriere. Er ist ein Grenzgänger zwischen den Kulturen und Epochen, stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Nur mit großer Anstrengung entgeht König Heinrich am 26.07.1184 dem Absturz in eine Jauchegrube. Viele Menschen sterben in der Kloake. Was ist damals in Erfurt los?
Ein König im konfliktreichen Mittelalter muss gut vermitteln können. Dafür ist der junge Heinrich VI. bestens ausgebildet. Sein erster Job führt ihn nach Erfurt. Denn in Thüringen bekriegen sich 1184 zwei hohe Reichsfürsten. Der Erzbischof von Mainz besitzt Erfurt und weite Landesteile. Der Landgraf von Thüringen macht sie ihm streitig, auch mit Gewalt.
Am Ende des diplomatischen Ringens um einen Kompromiss steht die Versammlung aller Parteien. Man trifft sich wahrscheinlich in der Propstei des Marienstifts, um den Fall abzuschließen. Geschätzt bis zu 100 Männer stapfen am 26. Juli die Treppen hoch. Viele mit Rüstungen und Schwertern. Der König und die Streithähne sitzen in einem Fenstererker, damit sie über den anderen thronen und sich ungestört besprechen können.
Doch dann brechen Balken und der Holzboden im oberen Stockwerk stürzt unter der Last der Menge nach unten. Ritter in ihren Rüstungen, Tische und Stühle, Schränke, Balken, Bretter, alles stürzt in die gewaltige Jauchegrube, die sich unten im Gebäude befindet. Wie viele Männer genau in den Fäkalien versinken und sterben, ist nicht überliefert. Geschätzt kommen 50 bis 100 Menschen ums Leben. König Heinrich VI. gehört nicht zu den Opfern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Im Kerker schrieb Friedrich von der Trenck mit seinem eigenen Blut Spottgedichte zwischen die Zeilen einer Bibel: nur eine Episode im abenteuerlichen Leben des Offiziers und Revolutionärs, der am 25.7.1794 in Paris hingerichtet wurde.
Friedrich von der Trenck ist ein preußischer Offizier und Abenteurer, dessen Leben von radikalen Ansichten und ständigen Konflikten mit der Obrigkeit geprägt ist. Geboren 1727 in Königsberg, dient er bereits mit 18 Jahren im Garderegiment Friedrichs II.
Trenck ist ein rastloser Geist, der es versteht, aus jeder Lage eine dramatische Geschichte zu machen. In seinen Memoiren schreibt er von spektakulären Ausbrüchen aus preußischen Festungen und den darauffolgenden abenteuerlichen Fluchten. Sie machen ihn europaweit bekannt.
In seinen Schriften wettert er gegen die Willkür der absolutistischen Herrscher und für demokratische Ideen. Doch sein radikaler Ton und sein unbändiger Egoismus bringen ihm viele Feinde ein. In Paris wird er zunächst als Held der Revolution gefeiert, doch die politischen Wirren und Verdächtigungen bringen ihn schließlich ins Gefängnis.
Am 25. Juli 1794 wird Friedrich von der Trenck in Paris hingerichtet, nur drei Tage bevor die Schreckensherrschaft der Jakobiner endete.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Mitten im Kalten Krieg streiten zwei der mächtigsten Männer der Welt - über Einbauküchen. Am 24.7.1959 liefern sich Richard Nixon und Nikita Chruschtschow die legendäre "Küchendebatte".
Mitten im Kalten Krieg scheint es auf einmal Tauwetter zu geben. Nach dem Tod Stalins im März 1953 steht Nikita Chruschtschow an der Spitze der Sowjetunion. Viele hoffen seither auf Entspannung zwischen den beiden Supermächten.
Schon im Juni 1959 gibt es eine erste sowjetische Industrieausstellung in New York. Einen Monat später eröffnet am 24. Juli 1959 die amerikanische Landesausstellung im Moskauer Sokolniki-Park. Dort treffen US-Vizepräsident Richard Nixon und der sowjetische Partei- und Regierungschef Chruschtschow aufeinander. Es geht um die Frage: Welches System ist das bessere? Der Sozialismus oder der Kapitalismus?
Für Chruschtschow ist klar: "Lasst uns wetteifern, wer die meisten Güter für die Menschen produzieren kann. Dieses System ist besser und wird gewinnen." Nixon ist da ganz anderer Ansicht - und präsentiert Chruschtschow beim Rundgang durch die Ausstellung eine moderne amerikanische Einbauküche.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Eigentlich sind es nur drei Skelette, aber sie haben Köln mit Pilger-Tourismus reich gemacht. Am 23.7.1164 kamen die Reliquien der heiligen drei Könige nach Köln.
In der Bibel oder ihren Übersetzungen gibt es die ein oder andere Ungenauigkeit. So auch bei den Heiligen Drei Königen. Im Matthäus Evangelium werden sie als "Magoi" bezeichnet, was später fälschlicherweise in "Magier" übersetzt wird. Tatsächlich meint Matthäus wohl den Stamm der Mager, einer Priesterkaste aus Persien.
Der Stern führt sie zu Jesus in der Krippe, sie huldigen ihm und beschenken ihn. Danach verliert sich ihre Spur, bis ihre angeblichen Überreste Jahrhunderte später nach Mailand gelangen.
Dort haben die Reliquien der Heiligen Drei Könige eine ganze Weile ihre Ruhe. Bis Kaiser Barbarossa 1162 die widerspenstigen norditalienischen Staaten auf Linie bringen will und vor Mailand steht. An seiner Seite der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel.
Mailand wird eingenommen und geplündert. Da Barbarossa mit Reliquien nicht viel anzufangen weiß, vermacht er diverse Knochen dem treuen Kölner Erzbischof. Darunter angeblich auch die der Heiligen Drei Könige. Rainald von Dassel erkennt schnell, was man mit den Gebeinen anstellen kann.
Kaum sind die Reliquien in Köln, da strömen auch schon die ersten Pilger herbei. Und obwohl ihr Erzbischof schon bald nach der Reliquien-Übergabe wieder aufbricht - seine großartige Gabe werden ihm die Kölner nie vergessen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Am 22.7.1884 wurde Fredericka Mandelbau, Kopf des organisierten Verbrechens in New York, verhaftet: Wie kam es zum Aufstieg und Fall der Meisterhehlerin?
1850 entsteigt die 25-jährige Fredericka Mandelbaum mit ihrem Mann Wolfe dem elenden Unterdeck eines Auswandererschiffes. Die Mandelbaums kommen aus Deutschland und lassen sich direkt in Kleindeutschland nieder, der mit 50.000 Bewohnern größten Einwanderer-Enklave New Yorks.
In Deutschland verdienen die Mandelbaums ihren kargen Lebensunterhalt als Hausierer, als Verkäufer wiederverwerteten Mülls. Auf die gleiche Art versuchen sie es auch in Kleindeutschland. Ihre Aufstiegschancen sind damit äußerst überschaubar.
Doch Fredericka Mandelbaum baut eine kriminelle Organisation auf, mit der sie zu ungeheurem Reichtum gelangt. Von ihrem kleinen Kurzwarenladen in Manhattan aus organisiert sie ihre kriminellen Aktivitäten in New York und darüber hinaus in den gesamten USA, Mexiko, Kanada und bis nach Europa.
Bis 1884 wächst ihre Organisation zur größten kriminellen Vereinigung New Yorks. Am 22. Juli 1884 endet mit ihrer Festnahme Mandelbaums kriminelle Karriere in New York. Im Gefängnis aber landet sie nicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Sein Spitzname war "der Kannibale", weil er seine Gegner "mit Haut und Haaren fraß". Seine sportlichen Leistungen waren spektakulär: Am 21. Juli 1974 gewann Eddy Merckx zum 5. Mal die Tour de France.
Eddy Merckx, der beste Radrennfahrer seiner Zeit. Fünf Mal siegt er bei der Tour der France, das letzte Mal am 21. Juli 1974. Dieses Kunststück gelingt vor ihm nur Jacques Anquetil. In seiner bis heute beispiellosen Karriere gewinnt Merckx auch fünf Mal den Giro d`Italia, die Vuelta a España und 19 Radklassiker.
Das Jahr 1969 markiert den Beginn der Ära Eddy Merckx - im Guten, wie im Schlechten. Vor seinem ersten haushohen Sieg bei der Tour de France steht der Giro d`Italia auf dem Rennkalender. Merckx gewinnt vier Etappen und führt in der Gesamtwertung. Doch dann wird er positiv auf verbotene Substanzen getestet. Merckx wird bis zum 1. Juli gesperrt. Kein Start bei der Tour de France.
Einen Publikumsmagneten wie Merckx möchte man natürlich bei der Tour haben. Nach einigen negativen Tests wird die Sperre aufgehoben. Die anschließende Tour gewinnt der Belgier unangefochten.
Im Mai 1978 erklärt Eddy Merckx auf Anraten seiner Ärzte seinen Rückzug aus dem Rennsport. Der "zweite König" von Belgien, wie ihn seine Landsleute nennen, tritt ab, wie er früher am Berg antritt: Schnörkellos konsequent, nur aufs Ziel fokussiert, dabei aber ein fairer Sportsmann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Kinder und Kinobesucher lieben Dinosaurier. Erfunden hat den Begriff der Naturforscher Richard Owen. Bekannt wurde er vor allem durch seinen prominenten Streit mit Charles Darwin.
Das 19. Jahrhundert ist eine spannende Zeit für die Naturwissenschaften. Vieles ist in den Jahrzehnten zuvor entdeckt worden, aber noch viel mehr gilt es zu enträtseln.
Richard Owen wird am 20.07.1804 im nordenglischen Lancaster geboren. Mit 16 geht er in die Lehre bei einem Chirurgen. Er interessiert sich vor allem für die Anatomie, also den Aufbau des menschlichen Körpers. Später wechselt er an das St. Bartholomew's Hospital in London, kurz darauf wird er in das Königliche Chirurgenkolleg aufgenommen.
Von der Britischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft wird er beauftragt, alle Reptilienfossilien, die in Großbritannien jemals gefunden wurden, zu beschreiben und zu systematisieren. Darunter sind auch die Überreste von drei gigantischen Reptilien.
Owen erkennt, dass die Knochen Merkmale aufweisen, die bei keinem lebenden Reptil zu finden sind. Er hat es mit einer völlig neuen Gruppe von Reptilien zu tun und nennt sie "Dinosaurier" - wörtlich übersetzt: "schreckliche Echsen".
Während Owen zum anerkannten Experten für Anatomie und Zoologie aufsteigt, nimmt auch die Karriere eines anderen Mannes Fahrt auf: Charles Darwin. Anders als Owen treibt es Darwin hinaus in die Welt. Mit Darwins Evolutionstheorie kann der religiöse Owen nichts anfangen - mehr noch: er bekämpft sie verbissen.
Unter Wissenschaftlern gehört Owen schon bald zum alten Eisen. Als Museumsmensch leistet er jedoch weiterhin Großes: Jahrelang setzt er sich intensiv für die Gründung eines Naturhistorischen Museums in London ein, dessen erster Direktor er nach der Eröffnung 1881 wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Öffentliche Toiletten sind eine zivilisatorische Errungenschaft. Und sie erzählen viel über das Patriarchat, die Gleichberechtigung von Frau und Mann und Unterschiede zwischen arm und reich.
Wo und wann die allererste öffentliche Toilette der Geschichte gestanden hat - das weiß niemand so genau. Vielleicht in Mesopotamien, 2400 vor Christus. Archäologen haben dort im Nordpalast von Ešnunna sieben nebeneinanderliegende, in Stein gemeißelte Löcher gefunden. Für die kann es nur eine Erklärung geben: Hier konnte, wer musste.
Den Römern wird sogar eine regelrechte Latrinenbesessenheit nachgesagt. "Stille Orte" sind Latrinen dabei nicht: Hier wird Handel betrieben, werden Verträge beschlossen. Getreu der heute bekannten Redensart: "Ich geh mein Geschäft machen."
Aber nicht nur auf den Latrinen werden Geschäfte gemacht. Latrinenbetreiber sammeln und verkaufen den Urin als Mittel zur Gerbung von Leder. Das Geschäft ist so einträglich, dass der römische Kaiser Vespasian sogar eine Latrinensteuer einführt. Auf den Protest seines Sohnes soll Vespasian ihm das eingenommene Geld unter die Nase gehalten und entgegnet haben: "Pecunia non olet - Geld stinkt nicht." Bis heute nennen die Franzosen ihre öffentlichen Toiletten "Vespasiennes".
Mit dem Zerfall des Römischen Reiches ist auch die gehobenere Klokultur dahin. Im Mittelalter erleichtert man sich hinter einem Busch oder in einer Hausecke. Um 1800 bieten "mobile Abtrittsanbieter" ihre Dienste an - Buttenweiber oder Buttenmänner mit zwei Eimern, in die man gegen einen kleinen Obolus sein Geschäft verrichten kann. Auch hier wird der Urin dann wieder gewinnbringend etwa an Färber verkauft.
Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich in europäischen Großstädten wie Paris und London die Kanalisation durch. Am 19. Juli 1839 gibt der Polizeipräsident von Paris bekannt: "Ich habe versuchsweise auf dem Boulevard Montmartre und dem Boulevard des Italiens die Errichtung von Plakatsäulen mit Innen-Urinal-Ständen gestattet." Für Frauen entstehen erst 1902 rund ein Dutzend "Notdurft-Chalets".
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Wieso brach der Große Brand Roms in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 64 n. Chr. aus? War es Kaiser Nero? Oder gar die Christen? Was ist Wahrheit und was nur Propaganda?
Die Straßen sind eng in Rom, die Flammen haben leichtes Spiel: Eine Woche lang wüten im Juli des Jahres 64 verheerende Flammen in der Stadt. Viele Menschen sterben, das ist gewiss. Wie viele, ist nicht überliefert. Das Feuer zerstört wertvolle Bau- und Kunstwerke, auch Wohnhäuser und Werkstätten. Doch warum brach es aus, war es Brandstiftung?
Aber wer könnte ein Interesse an dem zerstörerischen Brand haben? Etwa Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, letzter Kaiser der julisch-claudischen Dynastie? Nero ist sicherlich kein Engel - aber ein Brandstifter ist er auch nicht. Er hätte sich mit dem Brand vor allem selbst geschadet. Das Feuer ist unterhalb seines eigenen Palastes ausgebrochen, sein eigener Besitz ist stark gefährdet.
Zu Beginn der Feuersbrunst ist Nero zwar nicht in der Stadt. Es ist aber gut belegt, dass er sich, als er die Nachricht vom Brand hört, sofort nach Rom aufmacht und die Löscharbeiten organisiert. Er lässt seine Parks für diejenigen öffnen, die vor dem Feuer flüchten, und Behelfsbauten für die vielen Obdachlosen errichten. Er ordert Nahrungsmittellieferungen aus Ostia und senkt den Getreidepreis.
Beim Volk ist Nero, der lieber Sportler oder Künstler als Kaiser geworden wäre, beliebt. Bei den Senatoren hingegen weniger. Nach Neros Tod beschließt der Senat denn auch, sein Andenken zu verdammen. Vielleicht haben deshalb fast 2.000 Jahre nach dem Brand von Rom die meisten Menschen einen gefährlichen und brutalen Irren vor Augen, wenn sie an Nero denken.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Am 17.7.2014 stirbt Eric Garner nach einer brutalen Festnahme. Elfmal ruft er "I can't breathe" - vergeblich. Die Worte werden zum Symbol der Black-Lives-Matter-Bewegung.
Der 17. Juli ist ein Sommertag in Staten Island, dem südlichsten Stadtteil von New York. Eric Garner lehnt an einer Hauswand, als ihn die Polizei anspricht. Er soll unversteuerte Zigaretten verkauft haben. Garner ist zwar polizeibekannt, wurde schon mehrfach wegen kleinerer Delikte verhaftet. Doch an diesem Nachmittag geht er nur spazieren.
Der Afroamerikaner misst mehr als 1 Meter 90 und wiegt fast 160 Kilogramm. Er hat etliche gesundheitliche Probleme, ist ständig krank. Im Verlauf des Gesprächs mit den Beamten beteuert er immer wieder, nichts getan zu haben, bittet sie, ihn in Ruhe zu lassen - vergebens. Vier Beamte versuchen schließlich, ihn zu Boden zu bringen. Einer von ihnen ist Daniel Pantaleo.
Pantaleo würgt Garner im Verlauf des Handgemenges so sehr, dass dieser am Boden liegend nur noch röcheln kann: "I can’t breathe, I can’t breathe." Wenig später verstummt er. Eric Garner erstickt.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Seinen eigenen Streifen Land in Afrika hat Adolf Lüderitz durch einen Betrug deutlich vergrößert - der Anfang vom Genozid an Herero und Nama. Wie soll man heute an ihn erinnern?
Adolf Lüderitz, ein Name, der heute kontrovers diskutiert wird: Der deutsche Kaufmann und Kolonialpolitiker, trägt maßgeblich zur Gründung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika bei.
Geboren am 16. Juli 1834 in Bremen, tritt Lüderitz nach einer Ausbildung im Ausland zunächst in das väterliche Tabakunternehmen ein. Doch sein Abenteurergeist und seine Goldgräbermentalität führen ihn schließlich nach Südwestafrika.
Durch fragwürdige Landkäufe und betrügerische Verträge legt er die Grundlage für die deutsche Kolonialherrschaft. Seine Unternehmungen finden ein abruptes Ende, als er 1886 während einer Expedition im Süden der Kolonie verschwindet. Seine Leiche wird nie gefunden.
Die rund 30-jährige deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika ist geprägt von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, die 1904 in den Aufständen der Herero und Nama und deren brutaler Niederschlagung gipfelt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Isa Vermehren ist die erste Frau, die das Wort zum Sonntag spricht. Die Nonne und Schauspielerin erreicht damit viele Menschen. Sie stirbt am 15.7.2009 in Bonn.
Isa Vermehren kommt 1918 in Lübeck zur Welt. Sie ist das Kind einer wohlhabenden Senatorenfamilie - protestantisch, liberal, weltoffen. Ihr Vater ist Jurist, die Mutter Journalistin. Gemeinsam mit ihren zwei Brüdern verbringt sie eine unbeschwerte Kindheit. 1933 erlebt sie dann jedoch den ersten gravierenden Einschnitt in ihrem Leben: Sie fliegt von der Schule, weil sie sich weigert, die Hakenkreuzfahne zu grüßen.
Ohne Abschluss reist die 15-jährige nach Berlin. Im Gepäck hat sie ihr Akkordeon, das sie - nach einer ihrer früheren Kinderschwestern - "Agathe" nennt. Vermehren und "Agathe" machen Karriere im Kabarett. Nebenbei nimmt sie Schallplatten auf und spielt in UFA-Filmen neben Stars wie Rudolf Platte oder Brigitte Horney.
Doch dann wird Vermehren in den Krieg geschickt: Sie und "Agathe" sollen die Truppe hinter der Front bei Laune halten. 1944 wird die Sängerin plötzlich verhaftet. Ihr Bruder, der kürzlich in den diplomatischen Dienst eingetreten war, ist zu den Briten übergelaufen. Die ganze Familie wird in "Sippenhaft" genommen. Isa Vermehren kommt ins KZ - sie überlebt.
Nach dem Krieg ändert sie ihr Leben radikal und wird Nonne. Als Schwester Isa kennen sie viele Fernsehzuschauer: Bis Mitte der 1990er Jahre präsentiert Vermehren regelmäßig in der ARD "Das Wort zum Sonntag". Isa Vermehren stirbt am 15. Juli 2009 im Alter von 91 Jahren. Und "Agathe"? Die steht bis heute im Haus der Geschichte in Bonn.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Minutiös schreibt Louis Barthas das Grauen auf, das er als Korporal im Ersten Weltkrieg gesehen hat. Doch der einfache Handwerker glaubt nicht, mit intellektuellen Autoren mithalten zu können. Erst sein Enkel gibt die Erinnerungen als Buch heraus.
Es ist Winter 1914/15, als Louis Barthas, ursprünglich ein einfacher Küfer aus dem sonnigen Südwesten Frankreichs, in den Schützengräben liegt und beginnt, seine Erlebnisse festzuhalten.
Barthas ist kein typischer Soldat. Mit 35 Jahren, verheiratet und Vater von zwei Söhnen, wird er im August 1914 eingezogen. Als überzeugter Pazifist und Sozialist steht er dem Krieg kritisch gegenüber.
In den Tagebüchern schreibt er über die brutalen Kämpfe, das harte Leben in den Schützengräben und die unmenschlichen Befehle der Vorgesetzten. Er reflektiert über die Sinnlosigkeit des Krieges, die Verzweiflung und Angst. Aber er berichtet auch von zwischenmenschlichen Begegnungen mit deutschen Soldaten, von Momenten der Menschlichkeit und seinen Visionen von Frieden und Brüderlichkeit.
Barthas Erlebnisse, die er auf über 1.700 Seiten festhält, bleiben zunächst unbeachtet. Erst 1977, lange nach seinem Tod, werden sie veröffentlicht. Der unverfälschte Einblick in das Leben eines einfachen Soldaten im Ersten Weltkrieg wird zum Bestseller und Mahnmal - und hat auch heute nichts von seiner Aktualität verloren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Kunst und Courage: Mit riesigem Selbstbehauptungswillen wird die Mexikanerin Frida Kahlo zu einer der einflussreichsten Malerinnen aller Zeiten.
Frida Kahlo gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen aller Zeiten. Ihre Selbstporträts mit Blumenkranz und Monobraue erzielen Millionenpreise. Dabei dient die Kunst für Kahlo in erster Linie dazu, ein Leben voller Höhen und Tiefen zu verarbeiten. Ihre Werke lesen sich wie ein Tagebuch.
Die 1907 geborene Frida ist ein wissbegieriges Mädchen mit unbändigem Bewegungsdrang. Doch sehr früh schon muss sie erfahren, dass der menschliche Körper auch ein Gefängnis sein kann. Mit 18 Jahren schließlich verändert ein schwerer Busunfall ihr Leben für immer: Sie erleidet einen dreifachen Bruch der Wirbelsäule, ihr rechtes Bein war elfmal gebrochen und der Fuß verdreht. Dass sie den Unfall überlebt, grenzt an ein Wunder. Allein und gefesselt an ihr Krankenbett beginnt Kahlo sich selbst zu porträtieren.
Zurück im Leben lernt sie den Maler Diego Rivera kennen und lieben. Nach der Hochzeit verwandelt sich Kahlo: Sie wird - wie ihr Mann - glühende Kommunistin, trägt folkloristische Kleider, Ketten und Ohrschmuck. Ihr dunkles Haar schmückt Frida mit Blumen und Bändern, wird so selbst zu einem Kunstwerk. Uneingeschränkt glücklich wird sie aber nicht. Ihre Ehe ist turbulent, ihr Mann hat zahlreiche Affären, zudem erleidet Kahlo drei Fehlgeburten, die sie oft in ihrer Kunst thematisiert und verarbeitet.
1938 hat Frida Kahlo in New York und Paris ihre ersten Einzelausstellungen und wird zur gefeierten Künstlerin. Privat ist sie auf einem Tiefpunkt, flüchtet in Alkohol. Auch ihr Körper wird immer schwächer. Als die Ärzte versuchen, vier Rückenwirbel mit einem Metallstück zu verbinden, werden die Schmerzen so unerträglich, dass Kahlo morphiumsüchtig wird. Das Bild "Die zerbrochene Säule" von 1944 drückt ihre Qualen aus.
Am 13. Juli 1954, stirbt die berühmteste Malerin Lateinamerikas. Ihrem Tagebuch vertraut sie an: "Ich hoffe nie wiederzukehren."
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Am 12.7.1679 genehmigt König Charles II. das Gesetz. Auch wenn es vor allem Adlige vor der Geiselhaft des Königs bewahren soll - es gilt für jeden Bürger Englands.
"Habeas Corpus" ist lateinisch und heißt: "Du mögest den Körper haben". Diese eher kryptische Formulierung ist der Name eines 1679 erlassenen Gesetzes, das noch heute als Meilenstein in der Geschichte der Menschen- und Freiheitsrechte gilt.
Hintergrund: Im England des 17. Jahrhunderts ist es üblich, dass so mancher nicht genehme Untertan willkürlich verhaftet und abgeurteilt wird - und zwar im Namen des Königs. Denn dessen Herrschaft gilt als gottgewollt.
Diesem unmoralischen Treiben will das Parlament, in dem Adlige und reiche Bürger das Sagen haben, einen Riegel vorschieben. Es zwingt König Charles II. ein Gesetz zu unterzeichnen, und so tritt am 12. Juli 1679 die Habeas-Corpus-Akte in Kraft.
Kein Untertan der englischen Krone darf diesem Gesetz zufolge ohne gerichtliches Verfahren in Haft gehalten werden. Es fordert, einen Beschuldigten innerhalb von drei Tagen einem Richter vorzuführen. Auch darf er nicht mehr einfach ins Ausland verlegt, oder zweimal wegen desselben Delikts verhaftet werden. Damit kann der König nicht länger Verhaftungen per Sonderbefehl durchsetzen.
Die Habeas-Corpus-Akte zieht Kreise weit über England hinaus. Sie findet als grundlegendes Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit Eingang in die amerikanische Verfassung. Anschließend kommt sie über Frankreich im 19. Jahrhundert auch nach Deutschland.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Schotten lieben die Freiheit - vor allem aber die Unabhängigkeit von England. Einer der frühesten Vertreter dieses Freiheitskampfes ist Robert Bruce, der noch heute besungen wird.
Die Schlacht von Bannockburn im Jahr 1314 ist der entscheidende Wendpunkt im Unabhängigkeitskampf Schottlands. Der Anführer dieser Schlacht ist der Adlige Robert the Bruce.
Geboren am 11. Juli 1274 steht der junge Schotte zunächst - so wie sein Vater - auf der Seite und im Dienst des englischen Königs. Doch es bahnt sich ein Konflikt zwischen England und Schottland an. Dieser eskaliert, als der englische König Edward I. versucht, seinen Herrschaftsbereich auf Schottland auszudehnen.
Der charismatische Krieger William Wallace, genannt "Braveheart", schart Bürger, Bauern und Gutsbesitzer um sich und kämpft für die Freiheit Schottlands. Doch er verliert - den Aufstand und sein Leben. Nach Wallaces Tod übernimmt Robert the Bruce den schottischen Unabhängigkeitskampf, der anfangs auch ein innerschottischer Bürgerkrieg ist. Nach und nach bringt er den Adel auf seine Seite und wird 1306 als Robert I. the Bruce zum König von Schottland gekrönt.
Mit Glück und strategischem Geschick gelingt es Robert I. ein von englischen Truppen besetztes Castle nach dem anderen zu erobern. Die Zahl seiner Anhänger wächst stetig. 1314 führt Robert seine Truppen dann in die Entscheidungsschlacht von Bannockburn. Obwohl das englische Heer dreimal so groß ist, gehen Roberts Schotten als Sieger hervor. Sechs Jahre später verfassen und unterzeichnen 51 schottische Earls und andere Adlige die schottische Unabhängigkeitserklärung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam stand zeitlebens ein für das Ideal einer freien Gesellschaft. Am 10.7.1934 wurde er im KZ Oranienburg von der SS ermordet.
Erich Mühsam fällt auf. Zum einen äußerlich, mit seinem Zottelbart, dem gebückten Gang, seinem Gehstock und dem Schlabberhut. Zum anderen aber auch künstlerisch: Mühsam schreibt, dichtet, trägt vor, diskutiert und engagiert sich politisch. Er schaut mit einem Blick in die Welt, der sich oft als Weitblick herausstellt, manchmal aber auch als verschwommener Traum.
Mühsam wird in Berlin geboren, wächst in Lübeck auf und wird zunächst wie sein Vater Apotheker. Mit 22 Jahren fasst er schließlich den Entschluss sein Leben ganz der literarischen Kunst zu widmen. Er tritt in Kneipen, Kabaretts und Cafés auf. Er schreibt und gibt eigene Zeitschriften heraus. Ab 1911 etwa den Kain, eine Zeitschrift für Menschlichkeit, benannt nach dem Brudermörder aus der Bibel.
Angst kennt Mühsam nicht. 1919 steht er bei der Ausrufung der Münchner Räterepublik in der ersten Reihe, spottet noch nach der NS-Machtübernahme über Adolf Hitler. Ende Februar 1933 wird Mühsam verhaftet. Für den Anarchisten, Diktatur-Gegner und Juden folgen fast 17 Monate Tortur in Gefängnissen und Konzentrationslagern.
Am 10. Juli 1934 wird Mühsam von einem SS-Sturmbannführer aufgefordert, sich selbst zu erhängen. So berichten es andere Häftlinge. Erich Mühsam weigert sich, er will nicht seinen eigenen Henker spielen. In dieser Nacht wird er im KZ Oranienburg ermordet - im Alter von 56 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Ann Radcliffe (geboren am 9.7.1764) hat Generationen das Gruseln gelehrt - bis heute. Trotz ihres großen Erfolgs zog sie sich früh aus der Öffentlichkeit zurück.
Es ist die Langeweile, die die am 9. Juli 1764 geborene Ann Radcliffe dazu bewegt, zu schreiben. Mit 23 Jahren hatte sie den Juristen William Radcliffe geheiratet. Arbeiten darf sie als Frau nicht, selbst Handarbeiten werden - wie der Rest der Hausarbeit - von den Bediensteten erledigt.
Weil Kinder ausbleiben, greift Ann Radcliffe zur Feder und schreibt Schauerromane, Gothic Novels. Das Genre ist Ende des 18. Jahrhunderts beim Publikum besonders beliebt. Die Leser suchen Ablenkung von der Wirklichkeit, die geprägt ist durch die gesellschaftlichen Umwälzungen der Industrialisierung.
In den 1790er-Jahren wird Radcliffe zur ersten Bestseller-Autorin der Literaturgeschichte. Für "The Mysteries of Udolpho" und "The Italian" bekommt sie 500 und 800 Pfund Sterling. Im damaligen Literaturbetrieb, der zudem klar von Männern dominiert wird, sind das für Autorinnen zuvor unerreichte Honorare.
1797, mit 33 Jahren und auf der Höhe ihres Erfolgs, hört Radcliffe plötzlich auf zu schreiben und zieht sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Die Gerüchteküche brodelt - auch weil ihr Leben ebenso geheimnisumwittert ist, wie das der Heldinnen in ihren Schauerromanen. Man erzählt sich, sie sei wahnsinnig geworden.
Die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbringt Radcliffe zurückgezogen mit ihrem Mann und den geliebten Hunden in London. 1823 stirbt sie im Alter von 58 Jahren an einer Lungenentzündung. Was sie zurücklässt, sind ihre Romane - die viele weitere Generationen von Grusel-Schriftstellern beeinflussen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Als Vertreter der "Neuen Frankfurter Schule" prägt der Karikaturist Chlodwig Poth den kritischen Humor in Deutschland. Am 8.7.2004 stirbt er nach fast 60 Schaffensjahren.
Als Chlodwig Poth im Berliner Luftschutzbunker 1945 eine HJ-Truppe karikiert, wäre mit 14 Jahren seine Karriere fast vorbei gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hat. Doch er kommt mit einem Rüffel vom NS-Blockwart davon. Gleich nach dem Krieg greift Poth wieder zum Stift und bietet seine bissigen Zeichnungen im Osten und Westen an - wobei der Osten gerne den Westen bloßgestellt wissen will und der Westen den Osten. Kein Problem für Poth, als guter Beobachter kann er ohne Mühen die Schwachstellen beider Seiten mit Stift und Papier offenlegen.
Auch das Kunststudium absolviert er in Ost und West. Dann zieht es Poth von der Spree an den Main, wo sich Satiriker zur "Neuen Frankfurter Schule" zusammenschließen. Poth gründet dort 1962 zusammen mit Kollegen wie Hans Traxler oder Kurt Halbritter das Satiremagazin "Pardon". Gleich die zweite Ausgabe, in der Poth den Springer-Verlag als Anstifter eines 3. Weltkriegs darstellt, bringt den Skandal - und Durchbruch. Springer versucht die Auslieferung des Heftes zu verhindern, Pardon wird in der ganzen BRD bekannt.
Später ist Poth einer der Gründer von "Titanic", dem bis heute bedeutendsten deutschen Satiremagazin. Seine Kolumne "Last Exit Sossenheim" wird zu einer er populärsten in den 1990er Jahre. Pointiert und bissig stellt Poth das Leben am Rand von Frankfurt - und übertragen auch am Rand der Gesellschaft dar. Sein Zeichenstil: Gegen den Strich, die Figuren sind zerzauselt. Die Texte lang und krakelig handgeschrieben - keine leichte Kost für die Lesenden.
Am 8. Juli 2004 stirbt Chlodwig Poth an einem Krebsleiden - nach ziemlich genau 60 Schaffensjahren als "Langstreckensatiriker", wie die Freunde der Neuen Frankfurter Schule ihn posthum ehrenvoll betiteln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Vor 50 Jahren, am 7.7.1974, wird Deutschland zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister. Auch musikalisch war die WM bemerkenswert. Eine Stilkritik aus einer Zeit, als Fußball wirklich noch eine schöne Nebensache war...
Die Fußball-WM 1974 schreibt viele sportliche Geschichten. Die Wichtigste: Deutschland wird am 7. Juli zum zweiten Mal Weltmeister. Da wären aber auch noch die erste WM-Teilnahme Australiens oder der neu geschaffene Wanderpokal, den Pele zur Eröffnung feierlich an Uwe Seeler überreicht.
Weltmeisterschaften haben aber auch immer eine politische Seite. So auch 1974, als sich erstmals die Nationalmannschaft der DDR für eine WM in Westdeutschland qualifiziert. Außerdem gibt es Streit um eine geplante Pepsi-Werbung und gleich vier Präsidenten: Hatten die Eröffnungsfeier noch Gustav Heinemann (BRD) und Stanley Rous (FIFA) zelebriert, waren es beim Schlussakt bereits ihre Nachfolger Walter Scheel (BRD) und Joao Havelange (FIFA).
Man kann sich einer WM aber auch musikalisch nähern. Von der Big Band der Bundeswehr, über die WM-Fanfare, die den offiziellen Teil einläutet, bis hin zur Schlussfeier mit den Fischer-Chören. Hörenswert ist auch, welche Probleme der Auftritt des Sängers und DDR-Stars Frank Schöbel verursacht…
In diesem Zeitzeichen erzählt Axel Naumer:
Freie Liebe für alle: Magnus Hirschfeld - schwul, Sozialist, Pazifist, Jude - gründet am 6. Juli 1919 in der Aufbruchstimmung der Weimarer Republik das "Institut für Sexualwissenschaft".
Die Idee zu einem wissenschaftlichen Institut, das sich sämtlicher sexueller Themen annimmt, hat Magnus Hirschfeld schon als junger Mann im Kaiserreich. Der Berliner Arzt ist selbst schwul und erlebt, wie Homosexuelle durch Skandale und Erpressungen gebrochen werden und in der Folge häufig Suizid begehen. Die im Kaiserreich strafrechtlich verfolgte Homosexualität ist für Hirschfeld schlicht eine "angeborene Sexualkonstitution, ein drittes Geschlecht".
Mit der Aufbruchstimmung im Berlin der Zwanziger Jahre, seinem gesellschaftlichen Ansehen und seinen finanziellen Mitteln kann Magnus Hirschfeld am 6. Juli 1919 seinen Traum verwirklichen: Er gründet das Berliner Institut für Sexualwissenschaft. Die Einrichtung soll dem "menschlichen Liebesleben in biologischer, medizinischer, ethnologischer, kultureller und forensischer Hinsicht" dienen.
In einer großen Villa finden nun eine Bibliothek, Sammlungen, Forschungsprojekte, Beratungs- und Therapieangebote ihren Platz. Menschen aus vielen Ländern und allen Schichten kommen hierher, um sich über Empfängnisverhütung oder Geschlechtskrankheiten zu informieren.
Dann wird der Ton in der Medizinwissenschaft immer deutschnationaler, Hirschfelds liberale Sexualforschung hat bald keine Chance mehr. Die Nationalsozialisten übernehmen. Magnus Hirschfeld ist in Paris, als 1933 sein Institut von Nazi-Studenten geplündert und ein Großteil der einzigartigen Bibliothek auf den Scheiterhaufen geworfen wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Veronika Bock:
Bis er am 05.07.1854 verbrennt, spielt der Schachtürke, eine Holzpuppe mit Turban, besser Schach als menschliche Gegner. Zauberei, heißt es. Bis der Trick auffliegt.
Heute ist Künstliche Intelligenz in aller Munde. Künstlich geschaffene Objekte, die Dinge tun, die bislang Menschen vorbehalten waren. Die gab es schon im 18. Jahrhundert, und schon damals haben sie für Furore gesorgt – und Debatten über Original und Fälschung entfacht.
Auch am Hof der österreichischen Kaiserin Maria Theresia ist das Interesse für technische Spielereien groß – der Adel will schließlich unterhalten werden.
Also kreiert der ambitionierte Hof-Sekretarius Wolfgang von Kempelen 1769 eine Maschine, die mit ihrem Gegenüber Schach spielt. Die menschengroße Puppe trägt passend zum damaligen Zeitgeist ein orientalisches Gewand und Turban.
Aufgezogen wird der "Schachtürke" mit einem großen Schlüssel. Während des Spiels hebt er seine Hand, greift nach einer Schachfigur auf dem Brett und setzt sie auf ein anderes Feld. Ihrem menschlichen Spielpartner ruft die Puppe im passenden Moment sogar auf Französisch "Échec! Échec!" ("Schach!") zu. Nicht nur der Adel ist entzückt. Mit dem "Schachtürken" könnte die Beziehung Mensch-Maschine in eine neue Ära gehen, so die Optimisten.
Dass in der Schrankkonstruktion ein Mensch sitzen könnte, darüber wird bereits von Beginn an spekuliert. Auch US-Schriftsteller Edgar Allan Poe besucht während einer US-Tour eine Vorstellung und ist überzeugt, dass hier keine Maschine Schach spielt.
Die Aura des Geheimnisvollen kann sich der "Schachtürke" dennoch über Jahrzehnte bewahren. Dann steht fest: Die Maschine ist "getürkt" und avanciert zum Namensgeber künftiger Fälschungen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Die am 04.07.1879 geborene Lasch setzt sich für eine freie Wissenschaft ein - gegen alle Hindernisse, die ihr als Frau und Jüdin im frühen 20. Jahrhundert begegnen.
Agathe Lasch erblickt in Berlin das Licht der Welt, als eines von fünf Kindern einer jüdischen Familie. Agathe wird - wie zwei ihrer Schwestern - Turnlehrerin. Doch schnell stellt sie fest: Das reicht ihr intellektuell nicht. Sie ist hungrig nach Wissen und vor allem nach Produktivität.
1906 legt sie in Berlin die Abiturprüfung ab, will studieren. Doch das dürfen Frauen in Preußen zu der Zeit nicht. Also immatrikuliert sie sich in Heidelberg. Schon 1909 wird Lasch mit einer Studie über die "Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts" promoviert. Ein Jahr später erscheint die Doktorarbeit in erweiterter Form als Buch. Die Resonanz in Fachkreisen ist überwältigend. Eine Stelle im deutschen Wissenschaftsbetrieb aber bleibt Agathe Lasch verwehrt.
Anders in den USA. Dort arbeitet sie sechs Jahre am Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania. 1914 bringt sie die "Mittelniederdeutsche Grammatik" heraus, bis heute ein Grundlagenwerk zur Erforschung des Mittelniederdeutschen.
1917 zieht sie zurück nach Deutschland, arbeitet zunächst in Hamburg als "wissenschaftliche Hilfsarbeiterin". 1923 wird ihr an der Hamburger Universität als erster Frau der Professorentitel verliehen - eine Ehre ohne Konsequenzen, denn den Ruf auf eine Professorenstelle bekommt sie erst im Dezember 1926.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ändert sich aber auch das Leben Agathe Laschs. 1934 muss sie ihren Posten räumen und darf als Jüdin bald auch die Universität nicht mehr betreten. Im Juli 1942 werden Agathe Lasch und ihre beiden Schwestern nach Riga deportiert und dort am 18. August 1942 ermordet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Der junge Herzl wollte alle Wiener Juden taufen lassen, dann ließ ihn der Antisemitismus in Europa umdenken. Am 03.07.1904 starb er als Wegbereiter des jüdischen Staats.
Ein frommer Jude ist Theodor Herzl in seinen jungen Jahren nicht. Er geht nie in die Synagoge und isst lieber Sachertorte als "gefilte Fisch". Doch in Israel wird er heute noch gefeiert als Wegbereiter eines jüdischen Nationalstaats.
Herzl hat offenbar ein oder mehrere Erweckungserlebnisse. So wird er während seiner Studentenzeit in Wien mit Antisemitismus konfrontiert und auf der Straße wüst beschimpft. Entscheidend ist aber vermutlich in den 1890er Jahren der Justizskandal um den französischen Hauptmann Alfred Dreyfus. Dabei erkennt Herzl, dass dieser Antisemitismus, den er schon in Budapest und Wien erlebt hat, nun auch in Frankreich – und damit überall – möglich ist. Für ihn ist klar: Die Juden brauchen ihren eigenen Staat, um dem Antisemitismus zu entkommen.
Zunächst wird er für seine Idee zwar ausgelacht. Doch der erste Zionistenkongress in Basel, in dem er Juden aus aller Welt seinen Plan skizziert, wird ein riesiger Erfolg. Innerhalb weniger Monate ist Herzl ein weltweit bekannter Mann, reist in den nächsten Jahren zu Unterredungen mit den politischen Größen seiner Zeit.
Obwohl er ein Buch "Der Judenstaat" schreibt, stellt sich Herzl eher ein jüdisches Gemeinwesen als einen Staat vor. Eine Art Kollektiv, in dem das Beste aus Europa übernommen werden soll, zum Beispiel im Bereich der Kultur. Die Araber in Palästina hält Herzl in der Mehrzahl für unzivilisiert – ein rassistischer Blick, der von der in Europa damals üblichen kulturellen Überheblichkeit zeugt. Herzl ist aber überzeugt davon, dass die europäischen Juden im Staate Zion Kulturarbeit leisten würden.
Zwei Jahre vor seinem Tod mit nur 44 Jahren beschreibt Herzl in seinem Roman "Altneuland" seinen Traum von einem Staat ohne Militär, in dem Juden und Nichtjuden völlige Gleichheit genießen, in dem auch die Araber begeistert sind von einem jüdischen Gemeinwesen. Dabei wird deutlich: Theodor Herzl ist kein Staatsmann. Er ist ein Visionär. Und Vertreter einer Utopie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Kolumbien träumt bei der Fußball-WM 1994 vom Titel. Doch dann kommt das frühe Aus - auch wegen Andrés Escobars Eigentor. Wenige Tage später wird er ermordet.
Anfang der 1990er Jahre gilt Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, als die gefährlichste Stadt der Welt. Das berüchtigte Kartell um Drogenboss Pablo Escobar geht mit Gewalt gegen alle vor, die sich ihm in den Weg stellen.
Im Fußball zeigt sich ein anderes Kolumbien: jung, erfolgreich, voller Hoffnung. 1993 sichert sich das Land seinen Platz bei der WM in den USA im Folgejahr. Dort will Kolumbien der Welt zeigen, dass die Zeit der Negativ-Schlagzeilen vorbei ist.
Doch es kommt anders. Als das Auftaktspiel verloren geht, kippt die Stimmung in Kolumbien. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen die Gastgeber USA erhält das Team Morddrohungen aus der Heimat. Das Spiel wird zur Tragödie. Andrés Escobar, der Abwehrspieler von Atlético Nacional aus Medellín, leitet mit seinem Eigentor die Niederlage ein. Kolumbien ist am Boden. Und auf der Suche nach einem Schuldigen für das frühe Ausscheiden.
Drei Tage nach dem Ausscheiden reist Andrés Escobar zurück in seine Heimatstadt Medellín - entgegen allen Warnungen. Was dann in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1994 genau geschieht, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Klar ist: Auf dem Parkplatz einer Bar eskaliert ein Streit. Ein Mann zieht eine Waffe, es fallen sechs Schüsse. Sie treffen Andrés Escobar.
Der Schock im Land über die Tat ist groß. Über 100.000 Menschen begleiten seinen Trauerzug, auch Präsident Gaviria würdigt den ermordeten Fußballspieler. Ein Tatverdächtiger wird später wegen Mordes verteilt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Bastian Kaiser:
Die am 01.07.1804 geborene Sand trägt Hosen, männliche Pronomen und Männernamen. Sie verfasst 180 Werke. Als Sozialistin setzt sie sich für ein freieres Frankreich ein.
George Sand wird am 1. Juli 1804 als Aurore Amantine Lucille Dupin geboren. Väterlicherseits stammt sie aus adligem Hause, aber ihre Mutter ist eine einfache Vogelhändlerin aus dem Volk. Als der Vater stirbt, ist Aurore gerade vier Jahre alt.
Die adlige Großmutter nimmt das Kind zu sich auf das Landschloss Nohant. Die Mutter bleibt in Paris und bekommt das Kind nur bei gelegentlichen Besuchen zu Gesicht.
George Sand wird eine der berühmtesten und umstrittensten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. In Männerkleidung kämpft sie für die Gleichstellung der Frau und hinterlässt mit 180 Bänden ein vielschichtiges literarisches Werk.
Auch ihre Liebesbeziehungen tragen zu ihrer Berühmtheit bei. So ist sie viele Jahre mit Frédéric Chopin liiert. In dieser Zeit entsteht mit dem Buch "Ein Winter auf Mallorca" über eine gemeinsame Reise dorthin eines ihrer literarischen Meisterwerke.
Oft wird ihr Leben vor allem auf diese Beziehungen zu berühmten Männern und auch Frauen verkürzt, doch George Sand ist von Anfang an hochbrisant und politisch. In ihren Büchern erobern Frauen sich verbotene Freiräume, wird freie Liebe gelebt oder es werden Menschen als Frauen geboren, aber als Männer aufgezogen.
In ihren letzten Jahren pflegt sie ihre tiefe Freundschaft zu Gustave Flaubert. Die Korrespondenz der so unterschiedlichen Freunde ist ein anrührendes Zeitzeugnis sowie ein Dokument der Kunstgeschichte. Als George Sand im Juni 1876 stirbt, heißt es von Victor Hugo: "Ich trauere um eine Tote und grüße eine Unsterbliche!" Ihr enger Freund Flaubert schreibt nur: "Sie fehlt mir."
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayı:
Am 30.6.1794 wird eine junge Bauerntochter in den dichten Wäldern Südfrankreichs tot aufgefunden, grausam zugerichtet - von einem Riesen-Wolf? Etwa 100 weitere Opfer folgen und ein Schreckensmythos entsteht...
Mitte des 18. Jahrhunderts versetzt eine mysteriöse Kreatur die Menschen im abgelegenen Gévaudan in Angst und Schrecken. Diese Region im Süden Frankreichs, geprägt von dichten Wäldern und schroffen Felsen, ist Schauplatz einer grausamen Serie von Angriffen. Innerhalb von drei Jahren werden hier mehr als 100 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, Opfer einer Bestie, deren wahre Natur bis heute Rätsel aufgibt.
Augenzeugen berichten von einer Mischung aus Wolf, Leopard und Bär. Der Fantasie – und Angst - scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Regierung und Kirche nutzen die Panik, um ihre Macht zu festigen. Dragoner und Jäger werden entsandt, der Bischof von Mende erklärt, die Bestie sei eine Strafe Gottes.
Erst drei Jahre später gelingt es dem örtlichen Jäger Jean Chastel schließlich, ein ungewöhnlich großes Tier zu erlegen. Die Angriffe hören auf, doch das Mysterium bleibt: War es ein übergroßer Wolf, ein hybrides Raubtier oder sogar das Ergebnis menschlicher Intrigen?
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Kratzer:
Heinrich der Zänker hatte ihn zuvor in seiner Hand, es geht um die Macht im Reich. Da ist Otto III. drei Jahre alt. Am 29.6.984 wird er an seine Mutter übergeben.
Ende des 10. Jahrhunderts sind die Zeiten unruhig. Kaiser Otto II. will wenigstens für die Zukunft etwas Gutes auf den Weg bringen. Deshalb lässt er in Verona seinen kleinen Sohn zum König wählen: Otto III.
Ohne Vater und Mutter tritt der Kleine in Begleitung zweier Erzbischöfe die Reise gen Norden an. Weihnachten 983 wird der Dreijährige in Aachen zum König gekrönt und gesalbt. Doch dann bringt ein Bote aus Rom die Nachricht vom Tod Ottos II.
Es ist ein Rätsel, warum die Mutter Theophanu nicht zu ihrem Sohn eilt. Stattdessen geht Heinrich der Zänker als nächster männlicher Verwandter selbstverständlich davon aus, dass der kleine König unter seine Fittiche gehört. Vielleicht hegt er aber auch die Hoffnung, auf diesem Weg irgendwann selbst König zu werden.
Die Ottonen hingegen wollen die Nachfolge des ältesten Sohnes durchsetzen: Auf Otto den I. folgt sein ältester Sohn Otto II.. Der lässt seinen Sohn Otto III. krönen.
Monate später kommt es im thüringischen Rara bei Meiningen zum Showdown. Königshof und Kloster sind überfüllt von den Anhängern Theophanus und Adelheids, die alle dem Kind-König die Treue geloben und bereit sind, dafür zu kämpfen. Heinrich der Zänker kommt ebenfalls mit einer großen Zahl Getreuer, muss aber einsehen, dass er einen militärischen Konflikt nicht gewinnen kann und übergibt Otto III. an dessen Mutter.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Bei einer Razzia in einer New Yorker Bar widersetzen LGBTQ-Personen sich der Polizei. Es folgen tagelange Straßenkämpfe - und ein jahrzehntelanger Kampf um Anerkennung.
Wenige Stunden nachdem viele schwule Fans Judy Garland – eine Ikone der queeren Community – zu Grabe getragen haben, treffen sie sich im "Stonewall Inn". Die Bar in der Christopher Street ist eine der wenigen Kneipen für queere Menschen in New York. Dass es überhaupt einen Treffpunkt für queere Menschen gibt, gefällt im konservativen Amerika der 1960er Jahren vielen nicht. Und so kommen auch in der Nacht zum 28. Juni 1969 wieder einmal Polizisten ins "Stonewall Inn", um die Feiernden zu schikanieren. Nichts Neues für die queere Community. Nur diesmal ist die Stimmung in der Bar aufgeheizter.
Und draußen tobt bereits ein Kampf, von dem nicht klar ist, wer genau ihn begonnen hat. Aber in dieser Nacht entlädt sich eine lange aufgestaute Wut. Steine und Flaschen fliegen auf Polizisten und es gelingt den Demonstrierenden, Gefangene aus den Polizeitransportern zu befreien. Es sind vor allem queere Latinos und Schwarze, die genug haben von den oft rassistischen, schwulenfeindlichen Drangsalierungen der Polizei.
Die Unruhen in der Christopher Street ziehen sich über mehrere Tage hin, immer mehr Menschen schließen sich den Protesten an. Es ist die Geburtsstunde für eine weltweite LGBTQ+-Bewegung für Gleichberechtigung und Akzeptanz – ein Kampf, der bis heute anhält.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Am 27.6.1859 wird Mildred Hill geboren: die Musiklehrerin, die ein Morgenlied für einen Kindergarten komponiert. Als Geburtstagssong "Happy Birthday" erobert es von Kentucky aus die Welt.
Die Schwestern Mildred J. Hill und Patty Smith Hill arbeiten im "Louisville Experimental Kindergarten". Was heute weltweit als "Happy Birthday to You" bekannt ist, komponiert Musiklehrerin Mildred ursprünglich als Begrüßungslied für den Kindergarten. Patty schreibt den ursprünglichen Text "Good Morning to All".
Ein Jahr später ergibt es sich bei einer Geburtstagsfeier, dass Patty das Lied in das heute gesungene Happy Birthday umtextet. Das Lied geht um die Welt, denn es ist betörend einfach - bis auf eine kleine Stelle.
Es ist der für Selten- oder Hobbysänger gefürchtete Oktavsprung, der Sprung über acht Töne beim dritten "Happy Birthday" im Liedchen. An ihm scheitert das melodische Ständchen oftmals und wird ziemlich schräg.
Derartige Probleme hat die Schauspielerin Marilyn Monroe 1962 hörbar nicht, als sie dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy das Ständchen ins Mikrophon haucht.
Nach dem Tod der Schwestern Hill sichern sich nacheinander zwei Musikverlage die Rechte an dem Stück und verlangen Geld für die öffentliche Nutzung zum Beispiel in Filmen oder Werbung.
Erst 2015 wird das Lied gerichtlich zum Allgemeingut erklärt, das jeder kostenfrei verwenden darf. Der Musikverlag Warner Chappell willigt in einen Vergleich ein und zahlt 14 Millionen Dollar an diejenigen zurück, die das Lied öffentlich genutzt hatten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Ein Märchen - oder ein Mord? Oder reden wir über junge Auswanderer? Das Zeitzeichen geht der Geschichte um den legendären Rattenfänger von Hameln nach...
Die Geschichte geht so: Ein Mann kommt nach Hameln, vertreibt auf Wunsch der Bürger mit seiner Flöte Ratten und Mäuse aus der Stadt. Doch statt ihm wie versprochen zu entlohnen, jagen sie den Fremden weg. Der rächt sich und kommt am 26. Juni 1284 zurück in die Stadt. Nur dieses Mal zieht er mit seiner Flöte keine kleine Nager in seinen Bann, sondern verschwindet mit 130 Kindern auf Nimmerwiedersehen durch das Osttor der Stadt.
Über den Wahrheitsgehalt der Legende wird seit Jahrhunderten spekuliert. Die einen sind Anhänger der Vertuschungs-Theorie: Die Jugend der Stadt habe zu ausschweifend gefeiert und musste gezüchtigt werden. Dabei sei es entweder zu geplanten Morden oder einem ungewollten Unglück gekommen. Andere vermuten eine freiwillige Auswanderung gen Osten, wie sie seinerzeit nicht unüblich war.
Doch bis heute fehlen klare Beweise, die Indizienlage ist dünn. Steckt hinter dem Rattenfänger ein jahrhundertealter Cold Case oder nur heiße Luft? Wie auch immer, Hameln lebt ganz gut vom Mythos des Rattenfängers.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Als Musiker und Tänzer setzt er neue Maßstäbe, wird zum Weltstar - und zur tragischen Skandalfigur. Am 25.6.2009 stirbt Michael Jackson durch ein Narkosemittel.
Michael Jackson, der außergewöhnliche Musiker, der begnadete Tänzer, der Jahrhundertkünstler, der King of Pop. Aber eben auch: die tragische Skandalfigur. Immer wieder stehen Vorwürfe im Raum, Michael Jackson habe Minderjährige missbraucht.
Weil Michael und seine Geschwister ungewöhnlich musikalisch sind, gründet der Vater 1964 das Trio "The Jackson Brothers". Als Michael und Marlon zwei Jahre später dazu kommen, nennt der Vater die Gruppe in "The Jackson Five" um. Da ist Michael sieben Jahre alt.
Jackson wird der King of Pop. Mit dem Album "Thriller" macht er sich unsterblich. Entspannung findet Jackson auf seiner Neverland Ranch, einem elf Quadratkilometer großen Areal bei Los Angeles. Dorthin lädt er auch immer wieder Kinder ein. Seit Anfang der 90er gibt es Missbrauchsvorwürfe, ein erster Fall wird außergerichtlich beigelegt. 2005 muss sich Michael Jackson wegen Kindesmissbrauch und weiteren Anklagepunkten vor Gericht verantworten, er wird in allen Punkten freigesprochen. US-Medien berichten immer wieder, Jackson habe Schweigegeld in Millionenhöhe an Familien mutmaßlicher Opfer gezahlt.
In den Nullerjahren wird es still um Michael Jackson. Die Konzertreihe "This is it" soll der Abschied von der Bühne und seinen Fans sein. Doch Jackson wird diese Konzerte nicht mehr spielen. Er stirbt am 25. Juni 2009, achtzehn Tage vor dem ersten Auftritt. Sein Leibarzt Conrad Murray hatte ihm gegen seine Schlafstörungen das Narkosemittel Propofol in viel zu hoher Dosis verabreicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Der römische Kaiser Vespasian (gestorben am 23. oder 24.6.79 n.Chr.) ist überzeugt: "Geld stinkt nicht – selbst wenn es aus Urin stammt." So erhebt er kurzerhand eine Pinkelsteuer, um den Aufbau des zerstörten Roms voranzutreiben.
Nach Neros Tod stürzt das römische Weltreich ins Chaos. Rom selbst ist noch vom großen Brand zerstört, drei Kaiser halten sich nur wenige Monate. Das ist die Stunde von Titus Flavius Vespasianus. Der Sohn eines Zöllners hat sich als Feldherr einen Namen gemacht, war jedoch beim alten Kaiser Nero in Ungnade gefallen, weil er während dessen stundenlangen Gesangsvorträgen eingeschlafen sein soll.
Vespasian entgeht nur der Todesstrafe, weil Nero einen starken Heerführer braucht, der einen Aufstand der Juden in Judäa zerschlägt. Gemeinsam mit seinem Sohn Titus macht sich Vespasian auf den Weg. Aus der Ferne verfolgt er auch die politischen Kämpfe in Rom. Schließlich dient man ihm das Kaiseramt an. Vespasian kehrt nach Rom zurück und bringt zum Amtsantritt Getreide aus Ägypten und Nordafrika – ein Segen für die hungernde Bevölkerung.
Dann macht sich der neue Kaiser an den Wiederaufbau der Stadt. Er lässt das zerstörte Kapitol wieder aufbauen und initiiert das Kolosseum, das heutige Wahrzeichen der Stadt. Das Geld dafür hat unter anderen sein Sohn Titus in Jerusalem geplündert. Und Vespasian ist als Sohn eines Zöllners ein versierter Steuereintreiber, der in seiner zehnjährigen Amtszeit das Finanzsystem auf Vordermann bringt. Titus Flavius Vespasian stirbt am 24. Juni 79 im Alter von knapp 70 Jahren vermutlich an Ruhr.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Der berühmte Fluch mit dem "Arschlecken" ist Goethes Erfindung - aber das historische Vorbild für den Bühnenhelden gibt es tatsächlich: Ritter Götz mit der eisernen Hand.
Götz von Berlichingen - der um 1480 auf Burg Jagsthausen geboren wird - ist für seine Kämpfe berühmt-berüchtigt. In seinen Lebenserinnerungen nennt er sie im Titel: "Meine Fehden und Handlungen". Fehden sind Gefechte und Raubzüge, um auf eigene Faust Recht durchzusetzen. Fühlt sich ein Hof oder eine Familie benachteiligt oder übervorteilt, so bezahlt sie nicht selten einen Ritter, der die Beschuldigten bekämpft.
Zu einem solchen Gefecht kommt es auch am 23. Juni 1504. Götz ist Anfang 20. Zwischen Bayern und Franken ist ein Erbstreit entbrannt: der Landshuter Erbfolgekrieg. Es kommt zu einer großen militärischen Auseinandersetzung. Götz kämpft auf der Nürnberger Seite. Doch deren Geschütz schießt plötzlich auf die eigenen Leute - und Götz verliert die rechte Hand.
Sieben Monate lang wird er gepflegt und bekommt schließlich eine Prothese aus Metall: die eiserne Hand. Damit beginnen seine Fehden erst richtig. Obwohl sie eigentlich bereits gesetzlich verboten sind. Das kümmert Götz aber jahrelang nicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Fritz Haarmann tötet Anfang der 1920er-Jahre in Hannover mindestens 24 Menschen. Die Polizei ermittelt lange schlampig, verhaftet wird Haarmann nur durch einen Zufall.
"Es ist kein Vergnügen, einen Menschen zu töten. Es ist ein Grauen", sagt Fritz Haarmann bei einer Vernehmung. Und er sagt auch: "Man macht es leichter, wenn man liebt." Der Serienmörder tötet immer wieder junge Männer, die er attraktiv findet und an denen er sexuell interessiert ist. Als mitten in Hannover Schädel und Leichenteile gefunden werden, bezeichnen die Medien den unbekannten Täter als Monster, Werwolf und Vampir. Doch diese Bezeichnungen passen nicht zu dem Auftreten des Mannes, der lange unentdeckt mordet. Haarmann ist im Alltag freundlich und humorvoll - und so sympathisch, dass seine Opfer ihm offenbar zunächst vertrauen.
1924 liefert der Prozess gegen Haarmann über Monate hinweg weltweit Gesprächsstoff. Serienkiller sind schon damals sehr gefragt. Was für die Opfer und die Hinterbliebenen großes Leid ist, wird für andere zum wohligen Grusel. Fritz Haarmann wird für 27 Morde angeklagt und für 24 zum Tode verurteilt. Am 15. April 1925 wird er geköpft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Für ihre Schriften und ihr Engagement erhält sie als erste Frau den Friedensnobelpreis, den Alfred Nobel auf ihr Wirken hin stiftet. Von Suttner stirbt am 21.06.1914.
Ihre bedeutende Schrift "Die Waffen nieder!", schildert eindrucksvoll die Schrecken des Krieges und wird 1889 veröffentlicht. Sie wird zu einem Grundpfeiler der internationalen Friedensbewegung und die Autorin selbst zu einer Vorkämpferin revolutionärer Ideen.
Bertha von Suttner, geboren 1843 in Prag, ist eine herausragende Schriftstellerin und eine engagierte Pazifistin. Sie wächst in einer aristokratischen Familie auf und entwickelt schon früh ein tiefes Interesse an Literatur und gesellschaftlichen Fragen.
Von Suttner ist nicht nur Autorin, sondern auch eine unermüdliche Aktivistin. Sie gründet mehrere Friedensgesellschaften und setzt sich vehement für die Abschaffung des Krieges ein. Doch nicht als Revolutionärin, als Rote Bertha, wie sie von manchen genannt wird. Vielmehr glaubt sie an Veränderung und Weiterentwicklung. Und dafür schließt sie Bündnisse und knüpft Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten.
Den Ersten Weltkrieg kann sie trotzdem nicht verhindern. Bertha von Suttner stirbt kurze Zeit vor dessen Ausbruch 1914.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Vor tausenden Jahren entsteht die Pest in Zentralasien und verbreitet sich in verheerenden Pandemien über den Globus. Alexandre Yersin entdeckt schließlich ihren Erreger.
Das Wort Pest kommt aus dem Lateinischen und bezeichnet Seuchen, die ausbrechen, viele Opfer fordern und wieder vorbeigehen. Die erste Pest-Pandemie ist die justianische Pest im 6. Jahrhundert nach Christus - benannt nach dem damals regierenden Kaiser Justinian. Die genaue Opferzahl ist umstritten, er könnten bis zu 50 Millionen Menschen gestorben sein.
Im 14. Jahrhunderts rafft die Pest etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die Ärzte wissen damals noch nichts von Bakterien und Viren. Impfungen und Antibiotika sind noch unbekannt. Die Erkrankten müssen vor den Toren der Stadt in Seuchenhäusern leben. Der letzte große Pestausbruch in Europa findet zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Marseille statt. Danach verschwindet die Seuche von diesem Kontinent. Der Grund dafür ist bis heute unbekannt. Die Angst aber bleibt, weil die Krankheit weiterhin existiert.
Im 19. Jahrhundert will man das Problem wissenschaftlich lösen. Im Juni 1894 schicken die Franzosen den gebürtigen Schweizer Alexandre Yersin, der bei Louis Pasteur gelernt hat, nach Hongkong, wo der Pesterreger aktiv ist. Dort entdeckt er "Yersinia Pestis" - das Bakterium, das heute seinen Namen trägt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Julia Schäfer:
Für das Taktik-Spiel im Team sind Shooter wie das am 19.06.1999 erschienene Counter-Strike beliebt. Neu ist seitdem der Fokus auf Diversität - zumindest bei manchen.
Ein Mausklick, das Spiel beginnt. Die Anspannung ist greifbar, wenn die virtuelle Welt von Counter Strike zum Leben erwacht.
Das Computerspiel Counter Strike erscheint 1999 ursprünglich als Modifikation des legendären Spiels Half-Life. Zwei Teams, die Terroristen und die Anti-Terror-Einheiten, stehen sich in taktischen Gefechten gegenüber. Gut und Böse, Schwarz und Weiß - Grauzonen gibt es hier nicht.
Das Spiel besticht durch seine realistische Darstellung von Waffen und den hohen Anspruch an die Spielenden. Jeder Schritt, jede Entscheidung kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Seit seiner Veröffentlichung macht Counter Strike eine enorme Entwicklung durch: Es entwickelt sich von einem Spiel für Hardcore-Gamer zum Mainstream-Phänomen und bringt sogar eine eigene eSport-Szene hervor, in der Teams weltweit um Titel kämpfen.
Für seine Spieler ist Counter Strike mehr als nur ein Spiel; es ist ein soziales Erlebnis und ein fesselndes Hobby, das Millionen Menschen weltweit verbindet, seine Faszination ungebrochen, und die Spannung bleibt – Schuss für Schuss.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Kaum ein deutscher Philosoph hat so intensiv erforscht, wie öffentlicher Streit und Diskurse in der Bundesrepublik funktionieren. Auch mit 95 Jahren analysiert Jürgen Habermas messerscharf aktuelle Geschehnisse.
Außerparlamentarische Opposition, Friedensbewegung, Rechtsextremismus, Kriegseinsätze der Bundeswehr, Asylrecht, Putins Ukraine-Krieg - die Debatten, in die sich Jürgen Habermas einmischt, spiegeln die Geschichte der alten und neuen Bundesrepublik.
Als öffentlicher Intellektueller versucht er, Diskurse auf eine Auseinandersetzung um das bessere Argument auszurichten. Habermas hat den Anspruch, dass Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfasst: Ein Hauptziel von ihm ist es, den Kapitalismus zu zähmen. Er beabsichtigt damit auch, über die Mechanismen der Gesellschaft aufzuklären.
Geprägt wird Habermas in Frankfurt am Main: Als Assistent von Theodor W. Adorno setzt er sich am "Institut für Sozialforschung" mit ökonomischen Theorien auseinander, mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds und mit dem Marxismus. Habermas wird zum Kopf der zweiten Generation der sogenannten Frankfurter Schule.
Sein Denken ist anschlussfähig für die nächste Generation der Kritischen Theorie, die ein ökologisches Zukunftsdenken entwickelt. Für Habermas ist klar: Für den Erhalt und die Weiterentwicklung von Sozialstaat und liberaler Demokratie muss auch weiterhin gekämpft werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
In nur vier Monaten bringt Sören Kierkegaard seine Freiheitsphilosophie zu Papier. Der Kern: Eigene Entscheidung erzeugt immer ein Gefühl der Angst. "Der Begriff Angst" erscheint dann unter Pseudonym - und beeinflusst andere Denker maßgeblich.
Søren Kierkegaard argumentiert vom Standpunkt der einzelnen menschlichen Existenz aus. Es geht ihm um die Realisierung menschlicher Lebensmöglichkeiten, die von Angst begleitet sind. Dadurch entdeckt er die negative Existenzerfahrung als eine Grundlage der Philosophie.
Sein Werk "Der Begriff Angst" - veröffentlicht unter Pseudonym - ist eine religionsphilosophisch-psychologische Schrift. Sie wird zwar von der dänischen Presse ignoriert. Aber sie inspiriert die Nachwelt: zum einen Existenzphilosophen wie Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Albert Camus; zum anderen Vordenker der Psychologie wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.
Kierkegaards Analysen existenzieller Angst ziehen Jahrzehnte später viele Leserinnen und Leser in ihren Bann. Umstritten aber ist das Heilmittel gegen die Angst, das er anbietet. Denn das sei der sogenannte "Sprung" in den wahren Glauben an Gott, der Erlösung bedeute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Sein "Ulysses" macht den Schriftsteller James Joyce weltberühmt. Der Roman spielt in Dublin an nur einem Tag: dem 16.5.1904, bis heute jährlich als "Bloomsday" gefeiert.
Er gehört zu den prägenden Schriftstellern des letzten Jahrhunderts: James Joyce gibt der modernen Literatur entscheidende Impulse. Sein Hauptwerk, "Ulysses", sprengt alle Grenzen des Bisherigen und öffnet eine neue Welt.
Der Roman spielt am 16. Juni 1904 - aus einem autobiografischen Grund: An diesem Tag findet das erste Treffen zwischen Joyce und Nora Barnacle statt, die später seine Frau wird. Der irische Schriftsteller verewigt den Tag in Dublin in seinem 1.000-Seiten-Roman, der an einem einzigen Tag spielt: Der Anzeigen-Eintreiber Leopold Bloom schlendert durch Dublin.
Der "Bloomsday", der 16. Juni, wird bis heute temperamentvoll gefeiert, in Dublin und überall auf der Welt, wo man den Autor und sein Werk verehrt und bewundert. Auch wer den Roman nicht oder nicht zu Ende gelesen hat, darf mitfeiern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Einen sportlichen Fußball-Wettstreit auf europäischer Ebene zu organisieren: Das war der Traum der Gründerväter der UEFA. Inzwischen muss vor allem die Kasse stimmen, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Seit ihrer Gründung 1954 hat sich die UEFA zu einem der größten Sportverbände der Welt entwickelt, mit 55 Mitgliedsländern und zahlreichen internationalen Wettbewerben.
Doch die Anfänge sind bescheiden. Die treibenden Kräfte hinter der Gründung sind vor allem die Franzosen, allen voran der Schiedsrichter und ehemalige Spieler Henri Delaunay. Zusammen mit dem Italiener Ottorino Barassi und dem Belgier José Crahay verfolgt Delaunay das Ziel einer europäischen Fußball-Union. Im November 1953 genehmigt die FIFA die Bildung kontinentaler Konföderationen. Am 15. Juni 1954 wird die UEFA offiziell in Basel gegründet - und findet zunächst kaum Beachtung in der Öffentlichkeit.
Heute ist die UEFA ein milliardenschwerer Verband, der trotz aller Kontroversen eine zentrale Rolle im Weltfußball spielt. "We must never forget: European football is a unique story, is a success story" sagt ihr aktueller Präsident Aleksander Ceferin. Die UEFA ist eine Erfolgsgeschichte, nicht nur sportlich, sondern vor allem auch wirtschaftlich.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ulli Schäfer:
Helmut Kohls Idee über ein Museum zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ab 1945 bis in die Gegenwart löste heftige Kritik aus. Doch es wurde ein Publikumsmagnet.
Musik liegt in der Luft: Deutschlandhymne, DDR-Hymne und Europahymne zu einem symbolträchtigen Klangteppich verwoben. Die musikalische Inszenierung von Peter Herbolzheimer unterstreicht die historische Tragweite des Augenblicks.
Am 14. Juni 1994 wird in Bonn das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland feierlich eröffnet. Helmut Kohl fordert bereits 1982 in seiner ersten Rede als Bundeskanzler ein solches Projekt, das ein neues Kapitel in der deutschen Erinnerungskultur aufschlagen soll.
Das Haus der Geschichte ist bewusst nicht als traditionelles Museum konzipiert. Es soll vielmehr ein lebendiges Forum für die Auseinandersetzung mit der Geschichte Deutschlands nach 1945 bieten. Von Anfang an steht die Vermittlung der jüngeren deutschen Geschichte im Vordergrund - von der Nachkriegszeit über die Teilung Deutschlands bis zur Wiedervereinigung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Der Footballstar beteuert bis zum Tod: Er habe seine Exfrau Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman nicht ermordet. Ein Gericht spricht ihn frei, eines verurteilt ihn.
Einst gefeierter American-Football-Star, Werbeikone und Schauspieler, bekannt und verehrt von Millionen: O.J. Simpson. Doch sein Ruhm nimmt eine tragische und kontroverse Wendung.
In der Nacht auf den 13. Juni 1994 werden Simpsons Ex-Frau Nicole Brown und ihr Freund Ronald Goldman in Browns Haus ermordet und grausam zugerichtet. Der Fall erregt weltweit Aufsehen, vor allem weil der tatverdächtige Simpson wenige Tage später in aller Öffentlichkeit in einem weißen Ford Bronco flieht und verfolgt wird.
Im anschließenden, medial hochstilisierten Prozess, wird der berühmte Sportler trotz überwältigender Indizien freigesprochen. Im Zivilprozess 1997 wird Simpson jedoch zu einer Zahlung von 33,8 Millionen US-Dollar verurteilt – eine Summe, die die Opferfamilien nur zum Teil erhalten.
Am 11. April 2024 verstirbt O.J. Simpson im Alter von 76 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Seine Geschichte bleibt eine der schillerndsten und zugleich düstersten Episoden der modernen US-amerikanischen Justizgeschichte. Sie wirft bis heute Fragen nach Macht, Einfluss und Gerechtigkeit auf.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Was damals kaum einer ahnt: Es ist der Beginn des längsten Auslandseinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie kam es dazu und wie ist die Lage heute?
Als im Sommer 1999 deutsche Panzer in den Kosovo einrücken, werden sie mit Beifall empfangen. Hunderte stehen an den Straßen, um das deutsche Militär willkommen zu heißen.
Mehrere tausend Bundeswehrsoldaten machen sich auf den Weg. Es ist der Beginn des längsten Auslandseinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundeswehr soll im Rahmen von KFOR, der “Kosovo Force”, Sicherheit im Kosovo schaffen und so die Kosovo-Albaner vor Vertreibung und Ermordung durch die Soldaten des jugoslawischen Machthabers Slobodan Milošević schützen.
Der Einsatz ist schon Monate vor dem Einrücken politisch höchst umstritten: Ab März 1999 bombardiert die NATO 78 Tage lang Ziele in Jugoslawien - ohne UN-Mandat, für viele Völkerrechtler völkerrechtswidrig. Der Einsatz der Bundeswehr im Juni 1999 am Boden des Kosovo erfolgte allerdings völkerrechtskonform mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrats.
2008 erklärt sich der Kosovo für unabhängig - was Serbien nicht anerkennt. 2023 eskaliert erneut die Gewalt zwischen der serbischen Bevölkerung und den Kosovo-Albanern im Norden des Kosovo. Die KFOR muss einschreiten - mehr als 90 Soldaten werden verletzt. Die Folge: Die internationale Schutztruppe soll wieder aufgestockt werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Nikolaus Steiner:
Ein neapolitanischer Pizzabäcker soll eine Majestät bekochen. Sein in Italiens National-Farben belegter Teigfladen soll Königin Margherita vorzüglich gemundet haben. Eine nette Geschichte...
Raffaele Esposito ist eine Ikone unter den Pizzabäckern. Vor 135 Jahren soll er in Neapel die erste Pizza Margherita aus dem Ofen gezogen und so den Grundstein des Ruhms des runden Teigfladens nach neapolitanischer Art gelegt haben. So die Legende.
Eine beliebte Version dieser Geschichte ist diese: Im Juni 1889 weilen Umberto I. und seine Gemahlin Margherita neapoletanischen Palazzo Capodimonte. Ihre Majestät, die Königin Margherita, stets verwöhnt von französischer Küche und dieser überdrüssig, verspürt Appetit - ausgerechnet auf Pizza.
Der stadtbekannte Pizzabäcker Esposito backt vorsichtshalber drei Pizzen. Eine mit Schmalz, eine mit Sardellen, die dritte mit Tomatensauce, Mozzarella-Käse und einem Zweig Basilikum - Grün-Weiß und Rot, wie die italienische Flagge.
Eine angeblich königliche Bestätigung, dass die Pizza köstlich mundet, stellt sich später als Fake heraus.
Tatsächlich besucht das Herrscherpaar im Sommer 1889 Neapel. Nach der Bevölkerungsexplosion im 17. Jahrhundert leben in der süditalienischen Großstadt viele Menschen unter ärmlichsten Bedingungen und buchstäblich auf der Straße von der Hand in den Mund.
Demnach ist die Pizza zunächst nichts anderes als schnelles billiges Essen für die Unterschicht. Fastfood für die armen Lazzaroni in den schmutzigen Gassen. Streetfood, über das Landsleute aus anderen Teilen der Nation eher die Nase rümpfen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Geboren in bittere Armut im Süden der USA, erblindet mit sieben Jahren, wird Ray Charles der "Father of Soul". Er hat Musikgeschichte geschrieben und ein dramatisches Leben gelebt.
Was wäre wohl aus dem kleinen Ray ohne das Klavier in Wiley Pittmans "Red Wing Café" geworden? Später erzählt Ray Charles, der "Father of Soul", von seinen ersten Begegnungen mit der Musik, die zu seinem Lebensinhalt wird. Er habe alles Stehen und Liegen gelassen und sei in das Café gelaufen. Wiley Pittman bringt ihn in kleinen Schritten zum Klavier.
Im Jahr 1937 steht Aretha Robinson allein mit dem mit sieben Jahren erblindeten Sohn Ray. Der andere Sohn ist im Alter von vier Jahren vor Rays noch sehenden Augen ertrunken.
Die Mutter verdient nur wenig Geld als Wäscherin und hat keine Hilfe für den Jungen. In der Baptistengemeinde singt Ray im Chor. Hier wird er seine Stimme finden, seinen Klang.
Mit der von der Mutter vermittelten Zähigkeit geht Ray Charles seinen Weg, wird zum "Vater des Soul". Mit 40 schon ein amerikanisches Denkmal, das sich aber auch beinahe selbst zerstört: Jahrelang drückt er Heroin.
Ray Charles trotzt allen Widrigkeiten. Bei einer seiner vielen Ehrungen gibt er einen kleinen Einblick in sein Erfolgsrezept: "Wenn Sie glauben, Talent zu haben, arbeiten Sie daran."
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Der Anschlag vom 9.6.2004 und die Ermittlungen, bei denen die Opfer als Täter verdächtigt und fremdenfeindliche Motive ausgeschlossen werden, hinterlassen tiefe Wunden.
118 Geschäfte gibt es auf der Keupstraße, Mehrfamilienhäuser, Kindergärten, eine Moschee, Juwelierläden und zahlreiche Restaurants. Eine Straße, die lebt. Die Keupstraße ist multikulti - und genau das wird den Menschen hier im Sommer 2004 zum Verhängnis. Unmittelbar vor dem Friseursalon Özcan geht eine Nagelbombe hoch. Deponiert auf einem abgestellten Fahrrad.
Genauso schlimm wie der Anschlag selbst ist für die Betroffenen, dass sie selbst zu Verdächtigen werden, die Ermittler gehen von einer Milieustraftat aus. Ein fremdenfeindliches oder terroristisches Motiv schließen sie vorschnell aus.
"Türkenmafia", "Drogenkrieg", heißt es in der Presse, der abschätzige Begriff der "Dönermorde" kursiert in den Boulevardmedien. Die Polizei löst eine Großfahndung gegen unbekannt aus. Neben dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt wird der Verfassungsschutz eingeschaltet.
Sieben Jahre lang wird der Anschlag den Betroffenen angelastet. Erst nach der Selbstenttarnung der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im November 2011 und der Veröffentlichung von Bekennervideos durch ihr Mitglied Beate Zschäpe werden die Bewohner der Kölner Keupstraße entlastet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Der erste Belegungstest eines ABC-sicheren Hochbunkers in Dortmund sorgt für viel Presserummel. Die 144 freiwilligen Teilnehmer wirken zu Beginn erstaunlich heiter.
Der Zweite Weltkrieg ist gerade erst zu Ende, als die Menschheit in den Kalten Krieg taumelt - das Horrorszenario eines Atomkriegs kann niemand ausschließen. USA und UdSSR mit ihren jeweiligen Verbündeten drohen sich gegenseitig mit der nuklearen Vernichtung.
In Westdeutschland beginnt man Ende der 1950er-Jahre mit dem Neubau und der Restaurierung von Bunkern. Wie dem Sonnenbunker in der Dortmunder Innenstadt. Der oberirdische Schutzraum wird zum ersten ABC-sicheren Bunker Deutschlands für die Zivilbevölkerung ausgebaut, soll also Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren bieten. Am 8. Juni 1964 beginnt der erste Belegungstest.
144 Menschen werden in dem Betonklotz für 144 Stunden eingeschlossen. 144 Stunden, das sind sechs Tage und sechs Nächte, die jene Mädchen, Frauen, Jungen und Männer in diesem Bunker verbringen sollen. Rund 300 D-Mark bekommt jeder Teilnehmer, der den Versuch durchhält. Eine Belohnung, die über künstliches Licht, gefilterte Luft, Dosennahrung und die übrigen Anstrengungen des Tests hinwegtrösten soll.
Der letzte Tag des Tests entickelt sich zu einer Art Volksfest. Angehörige, Schaulustige und Atomwaffengegner versammeln sich vor dem Eingang des Sonnenbunkers. Es gibt Wiedersehens-Szenen als habe man sich Ewigkeiten nicht mehr gesehen oder als kämen die Bunkertestpersonen gerade von der ersten, höchst gefahrvollen Reise zu einem anderen Stern zurück.142 von 144 Versuchspersonen haben den Test bis zum Ende durchgestanden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Einen Ausweg aus der Krise: Den bietet Rudolf Steiner, der Erfinder der Waldorfpädagogik und anthroposophischen Medizin, mit seiner am 7.6.1924 beginnenden Vortragsreihe.
Rudolf Steiner hält Anfang Juni 1924 eine Vortragsreihe, die zur Geburtsstunde der biologisch-dynamischen Landwirtschaft wird. Mehr als 100 Landwirte versammeln sich auf einem Gut nahe Breslau, um Steiners innovativen Ideen zu lauschen. Sein Ansatz, der tief in esoterischen Konzepten verwurzelt ist, zielt darauf ab, die Landwirtschaft durch spirituelle und kosmische Erkenntnisse zu revolutionieren.
Steiner postuliert: Der ideale Bauernhof ist ein autarker Organismus, der alle notwendigen Ressourcen selbst produziert. Diese Vision steht im starken Kontrast zur industrialisierten Landwirtschaft seiner Zeit, die durch den Einsatz von Kunstdünger und Maschinen geprägt ist– und in der Krise steckt.
Rudolf Steiner ist vieles: Philosoph, Esoteriker, Hellseher, Erfinder von Waldorfpädagogik, Eurythmie und anthroposophischer Medizin aber auch: landwirtschaftlicher Laie. Trotzdem finden seine Ideen schnell Anhänger. Später wird daraus Demeter hervorgehen, das heute weltweit für seine biologisch-dynamische Landwirtschaft bekannt ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Mit seiner im Juni 1944 erschienenen Habilitation über autistische Kinder setzt er jahrzehntelang Akzente in der Autismus-Forschung. Heute ist der Kinderarzt umstritten.
"Kleine Professoren" nennt Hans Asperger Kinder mit autistischen Zügen - wegen ihrer speziellen Interessen und Fähigkeiten. Er erkennt die Besonderheiten und betont immer wieder, dass diese Kinder anders, aber nicht weniger wertvoll seien.
Hans Asperger, der österreichische Heilpädagoge und Kinderarzt, ist vielen durch die nach ihm benannte Diagnose des Asperger-Syndroms bekannt. Seine Forschungen legen den Grundstein für das Verständnis von Autismus.
Seine Habilitationsschrift wird 1944 veröffentlicht. In ihr beschreibt der Arzt detailliert die emotionalen und sozialen Schwierigkeiten autistischer Kinder und setzt wichtige Akzente in der Autismus-Forschung.
Aspergers Vermächtnis hat jedoch auch dunkle Seiten. Er soll während der NS-Zeit Kinder zur Tötung in die NS-Euthanasieanstalt "Am Spiegelgrund" überwiesen haben. Diese und weitere Enthüllungen werfen ein kontroverses Licht auf einen Mann, der lange Zeit als empathisch und eher als Widerständler gilt. Wie weit geht diese Verstrickung in die nationalsozialistische Medizin und macht ihn das letztlich zum Mitläufer oder gar Mittäter?
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Karl der Große gilt als Erfinder eines geeinten Europas. Doch Vorsicht: In seinen Methoden war er nicht zimperlich, nur in zwei Jahren seiner Regentschaft führte er keinen Krieg.
Anfangs muss sich der Frankenkönig Karl noch vom Klerus in Rom bitten lassen, gegen die Langobarden in den Krieg zu ziehen. Doch dann bricht Karl, der seit seiner Kindheit auf Kriegsführung gedrillt ist, mit seinem Heer Richtung Alpen auf. Wenig später ist der Langobarden-König Desiderius in seiner Hauptstadt Pavia eingeschlossen und muss nach neun Monaten kapitulieren. Am 5. Juni 774 kann sich der Frankenkönig Karl zum König der Langobarden erklären. Aufatmen in Rom!
Dort wird König Karl auf den Stufen von St. Peter von Papst Hadrian freudig empfangen. Der ganze Klerus ruft ihm entgegen: "Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Zum ersten Mal erscheint nun in Rom der Beiname, der untrennbar mit dem berühmtesten mittelalterlichen Herrscher verbunden ist: Karl der Große.
Auch wenn es weitere 26 Jahre dauern wird, bis Karl zum Kaiser gekrönt wird, der Sieg über die Langobarden dehnt sein Reich weiter aus: Der umtriebige König unternimmt Feldzüge in Spanien, in Bayern, gegen die Slawen, Hunnen und die Dänen. Und 30 Jahre lang führt er immer wieder Krieg gegen die verschiedenen Sachsenstämme.
Am Ende formt der Kaiser, der 814 in Aachen stirbt, ein europäisches Großreich. Historiker Matthias Becher warnt jedoch davor, Karl den Großen als Vorbild für ein europäisches Bündnis zu sehen: "Die Methoden etwa, mit denen Karl der Große Europa geeint hat, die wollen wir uns ja ganz sicherlich nicht zu eigen machen."
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Es beginnt als Trauerfeier für einen beliebten Politiker, wird zum Massenprotest für gesellschaftliche Öffnungen - und endet im gewaltsamen Vorgehen des Militärs gegen das eigene Volk. Das Massaker auf dem Tian'anmen-Platz schockt die Welt.
Mitte Mai besucht Michael Gorbatschow China. Die Parteiführung hätten den Mann, der in Osteuropa mit den Begriffen Perestroika und Glasnost eine Lawine losgetreten hat, gerne auf dem Platz des Himmlischen Friedens empfangen. Doch der Tian’anmen, auf dem Mao einst die Volksrepublik China ausgerufen hat, ist seit Wochen von Demonstrierenden besetzt. Vor allem Studierende fordern mehr politische Mitbestimmung, Freiheit und Gerechtigkeit, Hunderte von ihnen sind inzwischen in einen Hungerstreik getreten.
Die westlichen Medien, die eigentlich über Gorbatschows Besuch berichten wollten, tragen nun die Bilder der Demonstranten in die Welt. Die chinesische Parteispitze wird nervöser und ringt mit ihrer Haltung. Tolerieren oder eingreifen? Das Staatsfernsehen strahlt sogar ein Treffen zwischen Ministerpräsident Li Peng und Studierenden aus.
Doch aller Protest, alle internationale Aufmerksamkeit sind am Ende vergebens. In der Nacht auf den 4. Juni 1989 rollen die Panzer durch die Pekinger Innenstadt. "Unter den Toten und Verletzten sind überwiegend Studenten, aber auch Frauen und Kinder und Greise", berichtet die Tagesschau. Schätzungen zufolge sterben bei der Militäraktion rund 3.000 Menschen.
In der Folge öffnet sich China wirtschaftlich, steigt zur weltweiten Exportnation auf. Die nach dem Massaker vom Westen initiierten Sanktionen versanden angesichts der wirtschaftlichen Gewinnaussichten in China. Die Parteispitze selbst tabuisiert die Ereignisse vom 4. Juni 1989 bis heute. Kein chinesisches Schulbuch berichtet darüber, Gedenkfeiern sind streng verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Zum ersten Mal werten Wissenschaftler weltweit gemeinsam und erfolgreich Messdaten des Himmelsereignisses aus und prägen damit internationale Wissenschaftskooperation.
Nur sehr selten stehen Erde, Venus und Sonne exakt in einer Reihe. Von unserem Blickwinkel aus wandert die Venus dann über die Sonnenscheibe, mit bloßem Auge als kleiner schwarzer Punkt zu sehen. Im 18. Jahrhundert findet dieser sogenannte Venustransit zwei Mal statt: 1761 und 1769.
Die Astronomen glauben, dass sich aus der präzisen Transitdauer die Entfernung Erde-Sonne berechnen lasse und damit die Größe des Sonnensystems. Daraus ließe sich wiederum die Distanzen zwischen den Planeten ausrechnen. Das hätte praktischen Nutzen: Positionen auf See wären genauer bestimmbar – für den Seehandel von unschätzbarem Nutzen.
Das einzige Problem daran ist: Hunderte von Astronomen müssen den kurzen Moment gleichzeitig beobachten, von so viel verschiedenen Positionen wie möglich. Deshalb entsteht eine internationale Kooperation von Forschern – trotz Siebenjährigen Krieg, der auf fast allen Kontinenten und Meeren zwischen England und Frankreich und ihren Verbündeten tobt.
Doch ein optisches Phänomen lässt die rund 200 Forschern weltweit verzweifeln. Deshalb bleiben die Messungen hinter den Erwartungen zurück. Für den nächsten Transit am 3. Juni 1769 standardisieren alle ihre Instrumente und Messverfahren. Mit Erfolg: Sie errechnen aus den Rohdaten fast den heute gültigen Wert der Distanz Erde-Sonne, der "Astronomischen Einheit", von rund 150 Millionen Kilometern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Berlin Anfang der 30er: Tausende strömen in Hanussens (geboren am 2.6.1889) Vorstellungen, er hat beste Kontakte zu den Nationalsozialisten - dabei ist er Jude.
"Was ist Magie? Die Menschen in dem Glauben an das Wunderbare nicht zu stören, sondern zu bestärken", notiert Erik Jan Hanussen, der als Wahrsager auftritt. Für ihn sitzen im Publikum "Schwachköpfige, Wundersüchtige, Hysteriker, vor allem aber doch Kinder". Sein Geschäftsmodell funktioniert bestens.
Hanussen berät die Polizei bei Kriminalfällen, aber auch Privatleute bei Lebensentscheidungen, Wetten, Finanzfragen und Liebesdingen. Ab 1930 gibt er seine eigene Hanussen-Zeitung heraus, verkauft magische Ketten, Amulette und eine Schönheitscreme. Seine "Prophezeiende Schallplatte" enthält Vorhersagen für die ganze Welt.
Das alles bringt ihm ein Vermögen ein. Hanussen residiert in Berlin in seinem "Palast des Okkultismus". Auf seiner Yacht "Ursel IV" feiert er Partys mit Prominenz aus Politik, Film, Theater. Hanussen spendet viel Geld an die Nationalsozialisten und bekommt dafür den Schutz der SA. Doch 1932 veröffentlicht der Journalist Bruno Frei Beweise, dass Hanussen tatsächlich "Hermann oder Chaim Steinschneider" heißt - und Jude ist. Das kostet Hanussen nach der Machtübernahme der Nazis das Leben - wohl auch, weil er während seiner ausschweifenden Feste Dinge über hochrangige Nationalsozialisten erfährt, die niemand wissen soll.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Der russische Komponist Michail Glinka ist überzeugt: "Das Volk schafft die Musik - der Komponist arrangiert sie nur!" Damit begründet er eine eigenständige russische klassische Musik - und seinen eigenen Weltruhm.
Die Familie Glinka bringt mehrere Diplomaten, Dichter und Wissenschaftler hervor. Der berühmteste von ihnen aber ist Musiker: Michail Glinka. Er wird als zweites von 13 Kindern am 1. Juni 1804 nahe Smolensk im Westen Russlands geboren. Als Aristokratensohn erhält er eine umfassende Bildung.
Im Frühjahr 1830 kommt Glinka nach Deutschland und reist von da aus vier Jahre lang in Europa umher. Dabei lernt er unter anderem die Komponisten Mendelssohn und Berlioz kennen. Mit dem Franzosen freundet er sich an: "Das Schönste, was mir je passiert ist, war sicherlich die Begegnung mit Berlioz."
Mit 30 Jahren kehrt Glinka nach Russland zurück und schreibt seine erste Oper "Ein Leben für den Zaren". Sie macht ihn schlagartig bekannt und begründet die Periode einer eigenständigen russischen Musik. Michail Glinka ist auch der Verfasser von Orchestermusik, Klaviermusik, Chorwerken und Liedern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Am 31.05.1669 macht der britische Marinebeamte den letzten Eintrag in sein Tagebuch. Es gehört zu den wichtigsten Quellen über das Leben im London des 17. Jahrhunderts.
Samuel Pepys, geboren 1633 in London, ist vielen als akribischer und humorvoller Chronist des 17. Jahrhunderts bekannt. Über neun Jahre hinweg führt er ein Tagebuch über sein Leben als Musiker, Schriftsteller, Künstler – und berüchtigter Frauenheld. Eigentlich ist Pepys Staatssekretär im englische Marineamt. In mehr als 3000 Seiten hält er seinen Alltag detailliert fest, von banalen Alltagsbeobachtungen bis hin zu bedeutenden historischen Ereignissen wie der Pest und dem Großen Brand von London.
Seine Einträge beginnen oft unspektakulär, werden aber schnell pikant. Auch humorvolle und selbstironische Einträge fehlen nicht: "Gelübde abgelegt, diese Woche keinen Wein mehr zu trinken. Heute dieses Gelübde gebrochen, worüber ich sehr traurig bin."
Pepys’ Tagebuch ist eine Fundgrube für Historiker: Die Aufzeichnungen geben einen intimen Einblick in Pepys Leben, aber auch die Gesellschaft. Und sie lassen den Leser eintauchen in das London der 1660er Jahre - eine Welt voller Widersprüche, Leidenschaft und Wandel.
Am 31. Mai 1669 verfasst Samuel Pepys den letzten Eintrag. Danach lebt er noch über 30 Jahre - nur schreibt er nicht mehr darüber. Oder wurden die fehlenden Bände bisher nur nicht gefunden?
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Seine ersten professionellen Auftritte als Musiker absolviert Benny Goodman in kurzen Hosen - und verdient so viel, dass sein Lehrer neidisch wird. Der Durchbruch für seine Swing-Musik kommt aber erst viel später.
Den Höhepunkt seiner Karriere bildet das legendäre Konzert in der Carnegie Hall 1938. Geboren wurde der Musiker am 30. Mai 1909 in einem Armenviertel von Chicago, als neuntes von zwölf Kindern. Seine Eltern, jüdische Emigranten aus dem russischen Zarenreich, hatten in der Neuen Welt auf ein besseres Leben gehofft.
Goodman zeigt schon früh außergewöhnliches Talent auf der Klarinette und tritt bereits mit dreizehn Jahren als professioneller Musiker auf und widmet sich bald ganz der Musik.
In den 1930er Jahren bringt Benny Goodman mit seiner Band und den Arrangements von Fletcher Henderson, die maßgeblich den Sound der Swing-Ära prägten, frischen Wind in die Musikszene. Goodmans Auftritte werden zu einem Symbol der Swing-Ära, in der Jazz die Pop-Musik der Zeit ist und für einen Moment die Sorgen der Great Depression vergessen lässt. Sein Erfolg im Palomar Ballroom in Los Angeles im Jahr 1935 markiert den Beginn des nationalen Swing-Fiebers.
Bis zu seinem letzten Tag bleibt Benny Goodman der Musik treu. Als er am 13. Juni 1986 stirbt, liegt seine Klarinette neben ihm – ein passendes Ende für den "King of Swing", der die Welt des Jazz für immer verändert hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Am 29.5.1953 stehen der Sherpa Tenzing Norgay (1914 geboren) und der Neuseeländer Edmund Hillary als erste Menschen auf dem Mount Everest, dem Dach der Welt.
Sie sind die zwei ersten Menschen, die es dort hinauf schaffen: Für den Touristen Edmund Hillary, der aus Neuseeland kommt, heißt der Berg "Mount Everest", benannt nach einem Briten. Für den Bergführer und Träger Tenzing Norgay, der aus Nepal stammt, heißt der Berg "Chomolungma", das bedeutet "Göttinmutter der Erde".
Die Nachricht der Erstbesteigung des höchsten Berges der Erde im Jahr 1953 macht weltweit Schlagzeilen. Der Mount Everest wird zum Sehnsuchts- und später auch zum Profilierungsziel einer nicht enden wollenden Flut von Bergtouristen.
Ein Aufstieg führt entlang von Fixseilen inmitten von Hunderten ungeborgener Leichname. Die Sherpas verdienen zwar am Tourismus. Viele von ihnen sind gut bezahlte Fachkräfte oder schon selbst Unternehmer. Aber die Arbeit ist lebensgefährlich. Nach wie vor tragen vor allem sie die schwersten Lasten und das höchste Risiko.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
Nietzsche liebäugelt mit Chemie und Musik, entscheidet sich dann aber doch für eine Philologie-Professur. Am 28.05.1869 hält er seine Antrittsvorlesung in Basel.
Friedrich Nietzsche ist weder promoviert noch habilitiert. Aber er hat sich bereits einen Namen mit seinen Veröffentlichungen Fachzeitschriften gemacht. Darum interessiert sich die finanzschwache Universität Basel für ihn. Als neuer Lehrstuhlinhaber für griechische Sprache und Literatur ist Nietzsche einfach preiswerter als ein namhafter Kollege.
Bereits in seiner Antrittsvorlesung lässt Nietzsche keinen Zweifel daran, wohin es ihn zieht: "Philosophie ist geworden, was Philologie war." Seinem Erkenntnisdrang lässt er freien Lauf: "Meine Methode ist, für eine einzelne Tatsache zu erkalten, sobald der weitere Horizont sich zeigt."
Mit seinen zwei Idole, dem Moralphilosophen Arthur Schopenhauer und dem Komponisten Richard Wagner, bricht Nietzsche bald - und findet sich selbst. Er verwandelt sich vom Philologen zum Philosophen. Die Voraussetzung für seinen posthumen weltweiten Ruhm.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Joseph Roth gehört zu den größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts - und zu den rätselhaftesten. Ein brillanter Schreiber, ein Alkoholiker, ein Rastloser, der aus vier Koffern lebt.
"Ein Ostjude auf der Suche nach Heimat" - so fasst Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki das Leben von Joseph Roth zusammen. Mit 19 verlässt Roth seine galizische Geburtsstadt Brody und ist ab diesem Zeitpunkt unterwegs: Wien, Berlin und Paris sind die wichtigsten Stationen, dazu kommen unzählige Reisen.
Unterwegs schreibt er als Reporter Reiseerzählungen mit Anspruch: "Mich liest man mit Interesse. Ich mache keine 'witzigen Glossen'. Ich zeichne das Gesicht der Zeit." Das gilt auch für seine Romane. Etwa das "Spinnennetz", eine hellsichtige Analyse des aufziehenden Nationalsozialismus.
Aus der mehr oder weniger freiwilligen Rastlosigkeit wird 1933 eine erzwungene Flucht – vor den Nazis, die Roth ganz oben auf der Liste ihrer Gegner führen. Zermürbt von Flucht und Exil, zerstört durch viel zu viel Alkohol, stirbt er am 27. Mai 1939 in einem Pariser Armenhospital.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Der am 26.05.1919 geborene Rubén González entscheidet sich kurz vor dem Ende seines Medizinstudiums doch für ein Leben am Klavier. Er macht kubanische Musik weltberühmt.
Eigentlich will Pianist Rubén González mit 77 Jahren seinen Ruhestand genießen. Doch es kommt anders. Der US-amerikanische Gitarrist Ry Cooder und Produzent Nick Gold reisen für ein Crossover-Projekt zwischen kubanischen und westafrikanischen Musikern nach Havanna. Da die Afrikaner nicht eintreffen, springen kurzerhand andere klangvolle Namen ein - unter ihnen Ibrahim Ferrer, Eliades Ochoa, Omara Portuondo und eben Rubén González.
Buena Vista Social Club, wie man in Kuba sagt, gehen auf Welttournee und füllen die Konzertsäle von New York bis Amsterdam. Als 1998 der Dokumentarfilm von Wim Wenders in die Kinos kommt, sind González und Co. auf dem Höhepunkt ihrer zweiten, späten Karriere.
Seit seiner Kindheit sitzt der am 26.05.1919 geborene Rubén Gonzaléz täglich am Klavier. Trotzdem will er nach der Schule zunächst Arzt werden. Doch 1940 bricht er sein Medizinstudium ab und lebt fortan nur noch für die Musik. Er wird zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Pianisten Kubas. Er gilt als Mann mit den seidenen Händen, dem Gefühl für Rhythmus und Harmonie. Und er ist der Pianist, der den kubanischen Son weiterentwickelt.
Auch mit 81 Jahren tourt die Piano-Legende noch mit dem Buena Vista Social Club um die Welt. Zum letzten Mal tritt er zwei Jahre später in Mexiko und Kuba noch einmal öffentlich auf. Rubén González stirbt im Dezember 2003 in seinem Haus in Havanna.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Heute gilt sie - nicht ganz zurecht - als Ikone der LGBTQ-Community. Rosa Bonheur (gestorben am 25.5.1899) malte brillante Tierporträts, von den man damals glaubte, Männer hätten sie gemalt...
Rosa Bonheur ist die Tiermalerin des 19. Jahrhunderts. Die gefeiertste und reichste französische Künstlerin ihrer Zeit, die erste, die den Ritterorden der Ehrenlegion bekommt. Und sogar die erste Frau überhaupt, die man zum Offizier dieses Ordens ernennt. Eine hübsche Person, auffallend durch kurze Haare und weite dunkle Kostüme - obwohl Frauen doch eigentlich komplizierte Aufsteckfrisuren tragen und sich in Korsetts und Krinolinen zu zwängen haben.
Rosa Bonheur will die Einzigartigkeit der Tiere darstellen, ihr Wesen, fast ihre Psychologie. In jahrzehntelangen anatomischen Studien, Tausenden von Skizzen, arbeitet Rosa Bonheur ein Leben lang an diesem Ideal. Manchmal hart am Kitsch, aber meist unsentimental realistisch. Anfangs im Rock, aber sehr schnell in den nicht nur bequemeren Hosen, für die sie extra eine polizeiliche Genehmigung braucht. Erneuerbar alle sechs Monate.
Weltruhm erlangt Rosa Bonheur 1853 mit ihrem "Pferdemarkt", einer wie ein Schlachtgemälde aufgebauten bewegten Szene mit malträtierten und rebellierenden schweren Ackergäulen. Gekauft wird es für 268.000 Goldfrancs vom amerikanischen Multimillionär Vanderbilt. Er schenkt es dem neuen Metropolitan Museum of Art. Einhellig schließt die Kritik auf das "männliche Genie" der Künstlerin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Endet jede Show mit einem tödlichen Sturz? Das glaubt der vierjährige György, aus dem einmal George Tabori werden soll - frenetischer Drehbuchschreiber, Stückeautor, begnadeter Schriftsteller und der Theaterkönig von Wien und Berlin.
Wie lautet der kürzeste deutsche Witz? "Auschwitz". Da, wo für viele der Spaß aufhört, macht George Tabori einfach weiter. Mit schwarzem Humor und politisch völlig unkorrekt nutzt der jüdische Journalist, Autor und Theatermacher seine Kunst zeitlebens auch dazu, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.
Sarkasmus ist dabei Taboris Strategie, die eigene Lebenstragödie auszuhalten: Am 24. Mai 1914 als György Tabori in Budapest geboren, lebt der wortgewandte Künstler im Laufe seines Lebens in 17 Ländern. Sein Vater und große Teile seiner jüdischen Familie werden in Auschwitz ermordet. Tabori selbst überlebt den Holocaust in Großbritannien.
Für sein Schaffen erhält der Theatermann zahlreiche Preise - unter anderem darf er 1992 als erster nichtdeutschsprachiger Autor den Georg-Büchner-Preis entgegen nehmen. 2007 stirbt George Tabori im Alter von 93 Jahren in Berlin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Acht Monate arbeiten 65 Frauen und Männer in Bonn am Grundgesetz. Dieser Parlamentarische Rat will die Verfassung eines Rechtsstaats schaffen - mit nüchterner Sprache und hehren Zielen.
Am 23. Mai 1949 endet mit der feierlichen Verkündung und Unterzeichnung des Grundgesetzes zu Bach´scher Orgelmusik die Arbeit des Parlamentarischen Rates. Ein dreiviertel Jahr zuvor sind in den Westdeutschen Landtagen 65 Frauen und Männer gewählt und nach Bonn entsandt worden. Sie sollen die Verfassung für einen Rechtsstaat ausarbeiten. Aus den ursprünglich geplanten drei Monaten werden schließlich acht.
Am vierten Jahrestag der Kapitulation, dem 8. Mai 1949, verabschiedet der Parlamentarische Rat kurz vor Mitternacht das Grundgesetz mit 53 gegen zwölf Stimmen. Vier Tage später wird es von den drei westlichen Alliierten bestätigt und danach von den westdeutschen Landtagen ratifiziert.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes sind nicht nur von der Geschichte und dem Leitsatz "Nie wieder" geprägt. Sie sind auch von der Sorge getrieben, die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht weiter zu vertiefen. Zeitgleich entsteht in der DDR ebenfalls eine Verfassung, die für vier Jahrzehnte gilt.
"Grundrechte sind weder rechts noch links. Sondern Grundrechte sind schlicht fundamental für den demokratischen Rechtsstaat. Und das ist der Satz, der für mich über den Feierlichkeiten zum Grundgesetzjubiläum steht", erklärt Heribert Prantl, Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anja Arp:
Am 22.5.1979 wird Stefan Heym in der DDR wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt. Dem Schriftsteller sollten Grenzen aufgezeigt werden. Grenzen - ohnehin Heyms zentrales Thema.
Schon als Schüler veröffentlicht er 1931 in einer Chemnitzer Zeitung ein Anti-Kriegs-Gedicht. Damals noch unter seinem richtigen Namen Helmut Flieg. Daraufhin fliegt er vom Gymnasium, studiert Journalistik in Berlin, schreibt in linken Zeitungen - und landet als Feind auf der schwarzen Liste der Nazis. Als Hitler an die Macht kommt, veröffentlicht Flieg nur noch unter dem Pseudonym Stefan Heym und flieht erst nach Schlesien, von dort aus zu Fuß über die Berge nach Prag.
Später emigriert er weiter in die USA und kehrt im Krieg als amerikanischer Soldat zurück. Im besetzten Deutschland arbeitet er als Militärjournalist am Aufbau einer freien Presse mit, kehrt dann aber in die USA zurück. 1948 erscheint sein Kriegsroman "The Crusaders". Als in den USA die McCarthy-Ära beginnt, kehrt er zurück nach Europa, nach Ost-Berlin. In der DDR versteht er sich als "kritischer Marxist".
Schon mit SED-Parteichef Walter Ulbricht bekommt Heym Ärger wegen seiner unangepassten Kommentare. Seit den 1960er-Jahren lehnt die Zensur immer mehr Bücher von Heym ab. 1976 organisiert Heym mit anderen den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. 1979 rechnet er in seinem Roman "Collin" mit dem Stalinismus ab. In der DDR darf das Buch nicht erscheinen. Weil Heym es im Westen drucken lässt, wird er am 22.05.1979 wegen Devisenvergehen verurteilt und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen.
Nach dem Fall der Mauer macht Heym eine kurze politische Karriere. Er stirbt am 16. Dezember 2001 bei einer Vortragsreise in Israel.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Am 21.5.1919 wird Jakob Reumann der erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens. So wird das "Rote Wien" geboren: ein Reformprojekt, das die Stadt bis heute prägt.
Am Ende des Ersten Weltkriegs ist Wien in Not - eine überfüllte Stadt mit schlechter Versorgungslage. Die Menschen versuchen, sich selbst zu versorgen, sich auch selbst um Wohnraum zu kümmern. Sie bauen sich am Stadtrand Hütten und legen große Gärten an.
Bis 1919 gilt in Österreich das Kurienwahlrecht: Ob und wer wählen darf, hängt unter anderem von der Steuerleistung ab. Das ändert sich mit der Wahlrechtsreform. Am 4. Mai 1919 finden bei der Gemeinderatswahl in Wien erstmals allgemeine und gleiche Wahlen statt. Dabei erzielen die Sozialdemokraten mit 54,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Der Gemeinderat wählt Jakob Reumann zum Bürgermeister. Das rote Wien ist geboren.
Zum Programm der neuen Stadtregierung zählt unter anderem kostenlose medizinische Versorgung, Bildungsreformen sowie die Schaffung von Wohnraum. Zentral dabei: Es sollen nicht nur Wohnungen für Menschen geschaffen werden, sondern Lebensräume. Das hat nicht nur in Wien Konsequenzen: Die eher traditionell und konservativ denkende Landbevölkerung schaut so skeptisch nach Wien, dass Wien und Niederösterreich sich trennen. Wien wird zum unabhängigen Land in Österreich und kann eigene Gesetze und eigene Steuern erheben - etwa die Wohnbausteuer.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Mit ihrem humoristischen Talent ist Gilda Radner einer der Stars der TV-Show "Saturday Night Live". Den Humor verliert sie auch nicht, als bei ihr Krebs diagnostiziert wird.
Im Leben von Gilda Radner sind Komödie und Tragödie immer eng verknüpft. Als Tochter eines wohlhabenden Hotelmanagers ist sie ein aufgekratztes, gut gelauntes Mädchen. Trotzdem findet sie schwer Anschluss, denn durch die Umzüge der Familie wechselt sie oft die Schule - und sie wird immer wieder wegen ihres Gewichts gehänselt.
Mit zehn Jahren erhält sie Diätpillen, die heftige Stimmungsschwankungen verursachen. Ihr Kindermädchen rät ihr: "Wenn sie sagen, dass du fett bist, mach einen Witz darüber und lach. Mach du den Witz, bevor sie darauf kommen." Auch als ihr Vater an einem Tumor stirbt, ist für den Teenager Humor ein Weg, um mit der Trauer umzugehen.
"Meine Comedy war immer dazu gedacht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen", sagt sie später. "Ich benutzte Comedy, um die Kontrolle über mein Leben zu halten." Doch für den Umgang mit ihrer Bulimie muss sie auf ärztliche Hilfe zurückgreifen - und weist sich selbst ins Krankenhaus ein.
Als sie den Schauspieler Gene Wilder heiratet, geht es ihr gut wie nie zuvor. Doch schon bald hat sie mit Schmerzen zu kämpfen: Sie hat Krebs. Auch diesen Kampf nimmt sie mit ihrer eigenen Waffe auf: dem Humor.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Die Grube Messel in Hessen wird 1983 Fundort von etwas, das mit der öffentlichen Präsentation am 19.5.2009 zur Weltsensation wird: ein Primatenfossil, 47 Mio. Jahre alt.
Mitten in Deutschland, auf halbem Weg zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main, ist ein ganz besonderes Fenster in die Vergangenheit zu finden. Die Grube Messel. Etwa einen Kilometer im Durchmesser und rund 60 Meter tief ist die Grube eine sehr ergiebige Fundstelle für Fossilien, die auch besonders gut erhalten sind. Eines dieser Fossilien wird vor 15 Jahren zum weltweiten Medienstar.
Am 19. Mai 2009 stellen der norwegische Paläontologe Jørn Hurum und sein Team der Weltöffentlichkeit die Sensation im New Yorker Museum für Naturgeschichte vor.
Ausgegraben wird das Fossil in der heutigen UNESCO-Weltnaturerbestätte Grube Messel schon 1983 - also über ein Vierteljahrhundert vor seiner öffentlichen Präsentation. Die Politik hat zu diesem Zeitpunkt den wissenschaftlichen Wert der stillgelegten Ölschiefergrube noch nicht erkannt und will sie zur Mülldeponie umfunktionieren.
Bis es soweit ist, dürfen auch Hobby-Forscher auf dem Gelände nach Fossilien suchen. Einer von ihnen findet die Schieferplatte, in der sich ein versteinertes Primatenskelett verbirgt. Die Wissenschaftler geben ihrer Entdeckung den lateinischen Namen "Darwinius masillae". Einen Spitznamen hat das Fossil auch. Jørn Hurum hat es zu Ehren seiner Tochter "Ida" getauft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Giovanni Falcone (geboren am 18.5.1938) war der wichtigste Mafia-Jäger. Er bewies, dass man die Mafia wohl nicht besiegen, aber bekämpfen kann. Dafür zahlte er mit seinem Leben.
Im Frühjahr 1992 stellt die Mafia dem Richter Giovanni Falcone eine Falle: In einem Abwasserkanal unter der Autobahn 29 vom Flughafen Punta Raisi nach Palermo werden in Höhe der Kleinstadt Capaci 500 Kilogramm Sprengstoff versteckt. Der Mafia-Jäger ist seit den 1980er-Jahren der Star-Jurist Italiens. Mittlerweile arbeitet er im Justizministerium in Rom an einer Reform des Strafvollzugs.
Wenn der Richter das nächste Mal heim nach Sizilien kommt, soll die Bombe hochgehen. Das ist am 23. Mai 1992 der Fall: Das Auto der drei vorausfahrenden Leibwächter wird von der gewaltigen Explosion 60 Meter hoch in die Luft geschleudert. Falcones Fahrzeug kracht in den Bombenkrater. Der Richter stirbt im Krankenhaus. Er wird 53 Jahre und fünf Tage alt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Wie können ungarische Juden vor der Vernichtung gerettet werden? Ein Hilfskomitee setzt im April/Mai 1944 auf Verhandlungen mit der SS. Ein Resultat der Gespräche ist der "Kasztner-Zug".
Der Holocaust in Ungarn verläuft in einem enormen Tempo: Am 19. März 1944 marschiert die deutsche Wehrmacht das Land ein und schon gut einen Monat später, am 28. April, verlässt der erste Zug mit ungarischen Juden Budapest in Richtung Auschwitz. Innerhalb von acht Wochen werden 438.000 von ihnen dorthin deportiert.
Dagegen stemmt sich das Komitee für Rettung und Hilfe, das seit 1941 versucht, Juden aus den Konzentrationslagern und Ghettos ins sichere Ausland zu bringen. Das Komitee nimmt Kontakt zur SS auf: zu Adolf Eichmann, dem Organisator der Judenvernichtung. Es kommt zu einem Versprechen: 10.000 Lastwagen gegen eine Million Juden.
100.000 Juden will Eichmann als "Vorschuss" freilassen, falls Vertreter der vermeintlichen "jüdischen Weltmacht" eine Zusage für den Deal unterschreiben. Am 17. Mai 1944 macht sich deshalb Joel Brand als Komitee-Vertreter nach Istanbul auf. Derweil verhandelt Rezsö Kasztner in Ungarn weiter mit Eichmann.
Schließlich fährt der sogenannte Kasztner-Zug mit 1.684 ungarischen Juden Ende Juni 1944 los - aber nicht wie ausgemacht in die Schweiz, sondern nach Bergen-Belsen. Dort gibt es auf Weisung von SS-Chef Heinrich Himmler 30.000 "Austauschjuden", die als Geiseln für mögliche "Geschäfte" mit den Westalliierten dienen sollen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Peter Meisenberg:
Am 16.5.1974 wurde Tito als jugoslawischer Staatspräsident auf Lebenszeit bestätigt. Er war Kämpfer, Landesvater, Unterdrücker, Jetset-Mensch... eine Jahrhundertfigur.
Josip Broz, genannt Tito, wird 1892 in Kumrovec, einem Dorf an der kroatisch-slowenischen Grenze, geboren und wächst in einer kinderreichen Bauernfamilie auf. Während des Ersten Weltkriegs gerät er in russische Kriegsgefangenschaft und kommt dort mit sozialistischen Ideen in Kontakt. Im Zweiten Weltkrieg führt er die Partisanen im Kampf gegen die deutsche Besatzung und gegen nationale Gruppen, die Jugoslawien in den Bürgerkrieg treiben.
Nach dem Krieg gründet Tito ein sozialistisches Jugoslawien, später versucht er das Land zwischen den politischen Blöcken in Ost und West zu positionieren. Seine Herrschaft ist von strenger Kontrolle geprägt, er erlaubt aber auch eine gewisse Liberalisierung, die Reisefreiheit und Meinungsvielfalt zulässt. 1974 wird er zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit ernannt.
Titos Tod im Jahr 1980 hinterlässt ein Machtvakuum, das die kommunistische Partei nicht füllen kann. Der Slogan "Brüderlichkeit und Einheit" entpuppt sich als Illusion, und in den 1990er Jahren zerbricht Jugoslawien in einem blutigen Bürgerkrieg.
Heute ist Titos Erbe ambivalent. Die Figur spaltet immer noch: Für manche ist er der Held, der Jugoslawien vereint, für andere der Diktator, der das Land ins Unglück stürzt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Die am 15.05.1759 geborene Paradis spielt nur nach Gehör. Trotzdem tourt sie als gefeierte Pianistin durch Europa und wird zur Wegbereiterin für die Blindenbildung.
Im Wien des 18. Jahrhunderts ist sie eine Ausnahmeerscheinung, eine blinde Pianistin, die die Herzen Europas erobert. Maria Theresia Paradis, geboren 1759, ist eine wahre Meisterin am Klavier. Ihr Talent führt sie auf eine bemerkenswerte Konzertreise durch Europa.
Ihr Motto "Wer die Musik nur durch die Ohren jagt, ist mehr Gaukler als Musiker" spiegelt sich in allen Bereichen des Lebens der Pianistin wider: In ihrer Hingabe zur Musik, ihrer akribischen Disziplin beim Üben, ihrer Art, Schüler zu unterrichten, und ihrer kontinuierlichen Suche nach tieferem Verständnis. Sie hört Musik nicht nur, sondern erlebt sie mit ganzen Sinnen. Sie fühlt die Tasten, memoriert Strukturen und entwickelt Techniken, um sich musikalische Werke vorzustellen. Dies zeigt sich auch in ihrer Offenheit gegenüber neuen Ideen und Technologien, wie dem speziell für sie entwickelten Druck-Setzkasten, der es ihr ermöglicht, Briefe und Noten zu schreiben.
Die tiefgehende Auseinandersetzung mit der Musik macht Paradis zu einer außergewöhnlichen Musikerin und Lehrerin, deren Leidenschaft weit über das bloße Spielen von Noten hinausgeht. Sie stirbt 1824 im Alter von 64 Jahren. Ihre Werke sind größtenteils verloren gegangen, doch ihre Geschichte bleibt eine Quelle der Inspiration.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Am 14.5.1919 stirbt Henry John Heinz. Der "Vater des Ketchups" war ein Marketing-Genie: "Wenn es nicht Heinz ist, ist es auch nicht Ketchup." Sein Ketchup wird zur Grundlage einer der größten Lebensmittel-Dynastien der USA.
Henry John Heinz ist der Mann hinter Heinz-Ketchup, einer der bekanntesten Marken der Welt. Geboren 1844 in der Nähe von Pittsburgh als ältestes von acht Kindern deutscher Einwanderer, zeigt sich schon früh sein Talent für den Handel: Schon im Alter von 12 Jahren verkauft er eingelegtes Gemüse und Meerrettich an lokale Händler.
1869 gründet er dann sein erstes Unternehmen: Heinz Noble & Company. Der Börsencrash 1873 zwingt ihn in die Insolvenz, aber er baut sein Geschäft wieder auf. Er konzentriert sich auf Produkte wie Ketchup, Essig und eingelegtes Gemüse. Für seinen Erfolg setzt er neben guter Qualität auf Verpackung und innovative Werbung: die noch heute verwendete "57 Varieties"-Kampagne stammt von ihm.
Henry John Heinz stirbt 1919, aber sein Vermächtnis lebt weiter: Sein Heinz-Ketchup ist auch heute weltweit bekannt. Und auch sein Motto ist heute noch genauso aktuell wie damals: "Tue eine gewöhnliche Sache ungewöhnlich gut."
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Funktionär Paul Merker wird in der DDR verhaftet, verhört und verurteilt - weil er sich für Entschädigungen für Holocaust-Überlebende einsetzt. Erst spät und im Stillen wird er rehabilitiert.
Die DDR nähert sich dem Thema Holocaust künstlerisch, politisch und juristisch. Doch von Entschädigungen für Holocaust-Überlebende will sie nichts wissen. Paul Merker tritt als einziges hochrangiges SED-Mitglied für die Rechte der jüdischen NS-Opfer und ihrer Nachkommen ein.
Er favorisiert die sogenannte Wiedergutmachung, also die Rückerstattung geraubten jüdischen Vermögens. Deshalb fällt er in Ungnade. Wegen vermeintlicher "Agententätigkeit" nimmt ihn die Stasi Ende November 1952 fest. Der Prozess findet nach zweijähriger Untersuchungshaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und dauert nur zwei Tage. Das Urteil fällt Ende März 1955: acht Jahre Zuchthaus.
Doch dann wird Paul Merker bereits im Januar 1956 aus der Haft entlassen. Wenige Wochen später hält Stalins Nachfolger Chruschtschow seine Geheimrede über Stalins Verbrechen. Dasselbe DDR-Gericht, das Paul Merker zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, spricht ihn ein Jahr später in einer neuen Verhandlung frei, ohne dass sich die Beweislage geändert hat.
Eine politische Rehabilitierung erfolgt allerdings nicht. Die Medien verschweigen den Freispruch. Als Paul Merker am 13. Mai 1969 stirbt, veröffentlicht die SED einen Nachruf, ohne seine Haft zu erwähnen. In den 1970er-Jahren ziert sein Porträt eine DDR-Briefmarke.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
"Haben Sie Allergien?" Die Frage ist im Restaurant inzwischen selbstverständlich. Den Namen Allergie hat der Wiener Arzt Clemens von Pirquet erfunden, dem vor allem das Wohl von Kindern am Herzen lag. Fünfmal war er für den Medizin-Nobelpreis nominiert. Fünfmal hat er ihn nicht bekommen.
Piquet studiert in Wien, Königsberg und Graz. Dort gehört Theodor Escherich zu seinen Lehrern, damals der bekannteste Kinderarzt der k. u. k. Monarchie. Nach der Promotion im Jahr 1900 geht Pirquet zur weiteren Ausbildung nach Berlin an die Charité zu Otto Heubner, einer weltweit geschätzten Kapazität auf dem Gebiet der Pädiatrie.
Pirquet beschäftigt sich zunächst mit Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Masern und Tuberkulose, dann mit Fragen der Impfung. Dabei stößt er gemeinsam mit seinem Kollegen Béla Schick auf das Phänomen der sogenannten Serumkrankheit.
Den beiden Wissenschaftlern fällt auf, dass Patienten, die mit einem Serum etwa gegen Diphtherie geimpft worden waren, oft stärker mit Krankheitssymptomen reagieren, wenn sie ein weiteres Mal mit diesem Serum in Berührung kommen. Die Reaktionsfähigkeit des Organismus hat sich also verändert. 1906 entwickelt Pirquet daraus seinen Allergiebegriff und zählt zu den Pionieren der Allergieforschung.
Die Nobelpreisfanfare erklingt nie für Clemens von Pirquet, obwohl er fünfmal für den wichtigsten Wissenschaftspreis nominiert ist. Er ist ein Tausendsassa mit zahlreichen Forschungsinteressen. Dennoch ist er für das Nobelkomitee eher weniger interessant, weil er nie eine einzelne bahnbrechende Entdeckung nachweist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Gezwirbelter Bart, ein Ozelot an der Leine - der spanische Künstler Salvador Dalí versteht es, aufzufallen. Begeistert mit Bildern von zerfließenden Uhren. Und sagt von sich selbst: Ich gelte nur als gut, weil die anderen noch schlechter sind.
Der spanische Maler Salvador Dalí pflegt seine Exzentrik. Mit weit aufgerissenen Augen, einem nach oben gezwirbelten Schnurrbart und dem eleganten Gehstock spielt Dalí vor Journalisten den irren Künstler, der auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn wandelt.
Ein ganz anderer ist Salvador Dalí in seinem Dorf Cadaqués, an der Costa Brava gelegen. Hier verbringt er beinahe sein ganzes Leben, malt viele Stunden am Tag und pflegt Freundschaften mit einfachen Menschen.
Mit 25 Jahren trifft Salvador Dalí die Frau, mit der er sein restliches Leben verbringen wird. Gala und Salvador Dalí heiraten. Gala ist nicht nur seine Muse, sondern auch seine Managerin, die knallhart Preise aushandelt und die Kunst ihres Mannes gewinnbringend vermarktet.
Salvador Dalís Werke sind von einer tiefgründigen ausbalancierten Schönheit, altmeisterlich gemalt. Der Katalane ist einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts. Er stirbt im Januar 1989 mit 84 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Am 10.5.1924 wird Hoover Chef des FBI. Um die USA zu schützen, schreckt er vor nichts zurück. So wird er zum womöglich mächtigsten Amerikaner des 20. Jahrhunderts.
John Edgar Hoover ist nicht bloß ein hoher Beamter, er ist einer der mächtigsten Amerikaner, viele behaupten: der mächtigste Amerikaner des 20. Jahrhunderts. Ab 1924 leitet er fast 50 Jahre lang das Federal Bureau of Investigation (FBI) und baut es zu seinem persönlichen Machtzentrum aus.
Hoover formt aus einer kleinen Abteilung des Justizministeriums eine hochprofessionelle Polizeibehörde: Er führt wissenschaftliche Standards ein, systematische Spurensicherung, ballistische Untersuchungen von Schusswaffen und Projektilen, und sorgt für eine umfassende Ausbildung seiner Agenten.
Hoover ist aber auch verantwortlich für einige der schlimmsten und ungeheuerlichsten Machtmissbräuche. Er ist besessen von der Jagd auf vermeintliche Kommunisten. Hoover bricht Regeln, um Leuten habhaft zu werden, die er als staatsfeindlich ansieht. Er besitzt Akten längst nicht nur über Kriminelle, sondern auch über Politiker, Regierungsangestellte, über Filmstars, Wissenschaftler - und nutzt die Informationen zur Einschüchterung.
Hoover erlebt als FBI Direktor acht Präsidenten. Fast alle spielen irgendwann mit dem Gedanken, Hoover zu feuern. Keiner traut sich. Lyndon B. Johnson fasst es kurz zusammen: "Auf jeden Fall ist es besser, ihn im Zelt zu haben und er pinkelt raus, als vor dem Zelt, und er pinkelt rein."
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Am 9.5.1949 wird Billy Joel in einem New Yorker Vorort geboren und früh von den Eltern zum Klavierunterricht genötigt. Basis für eine Weltkarriere als Pianist und Sänger.
Billy erweist sich schon früh als musikalisch talentiert. Der Junge hängt aber auch mit New Yorker Straßengangs ab, beteiligt sich an kleinen Diebstählen und Prügeleien ohne Ende. Mit einem Highschool-Abschluss wird es so nichts. Der erbosten Mutter erklärt der junge Mann: "Ich gehe dann eben nicht zur Columbia University - ich geh‘ dann zu Columbia Records …"
Bis zum musikalischen Durchbruch dauert es etwas. Schließlich gelingt dieser 1977 aber mit der LP "The Stranger" und dem Mega-Hit "Just the Way You Are" .
Es folgen viele weitere Hits, die bis heute ihren Stammplatz in den Rotationslisten der wichtigsten Popsender haben. 160 Millionen Tonträger hat Joel mittlerweile verkauft - mehr als Bob Dylan, Bruce Springsteen oder U2.
2014 erklärt Billy Joel, er wolle kein weiteres Studioalbum veröffentlichen. Er habe alles gesagt und wolle keine Musik veröffentlichen, die nicht gut sei.
Doch er ändert seine Meinung: Am 1. Februar 2024 veröffentlicht er mit "Turn the Lights Back On" doch wieder einen neuen Song. Im Video dazu altert er am Piano durch die Jahrzehnte: Vom jugendlichen Heißsporn zum weißbärtigen Glatzkopf, der am 9. Mai 2024 seinen 75. Geburtstag feiert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Am 8.5.1944 werden Mitglieder der Widerstandsgruppe "Europäische Union" hingerichtet. Sie haben gegen das Hitlerregime gekämpft und für ein besseres Leben ohne Hass.
In seinem letzten Brief an seine Frau schreibt Georg Groscurth: "Liebe, gute, treue Anneliese, nun ist es soweit: In einer halben Stunde wird das Urteil vollstreckt." Der Arzt gehört zusammen mit dem Zahnarzt Paul Rentsch, dem Architekten Herbert Richter und dem Chemiker Robert Havemann zur Widerstandsgruppe "Europäische Union".
Die Gruppe ist gut vernetzt. Richter arbeitet im Stab von Hermann Göring, Groscurth behandelt den "Führer"-Stellvertreter Rudolf Heß. Das Insiderwissen nutzen sie, um Juden und Zwangsarbeitern zu helfen. Ihr großes politisches Ziel: Sie wollen die Nazi-Diktatur durch einen menschlichen Marxismus ersetzen, der persönliche Freiheit garantiert, Einzelstaaten überwindet und ein vereinigtes Europa schafft.
Doch die Gruppe wird enttarnt. Richter, Groscurth und Rentsch werden am 8. Mai 1944 hingerichtet. Nur der Chemiker Robert Havemann entkommt der Guillotine, weil seine Forschungen als kriegswichtig gelten. Insgesamt kommen 40 Mitglieder und Anhänger der Europäischen Union vor den Volksgerichtshof. 14 werden zum Tode verurteilt.
Nach Kriegsende lebt Havemann in der DDR und macht zunächst als Professor und Volkskammer-Abgeordneter Karriere. Mit den Jahren macht die politische Realität aus dem überzeugten Sozialisten einen Oppositionellen der DDR – und die Erinnerung an die "Europäische Union" verschwindet aus der ostdeutschen Gedenkkultur. Auch in der BRD werden die Widerstandskämpfer zunächst nicht gewürdigt, sondern als kommunistische Gruppe abgetan. Erst nach der Wiedervereinigung wird die "Europäische Union" allmählich als Widerstandsgruppe anerkannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Am 7.5.1934 bezahlt ein Taucher den Fund der Riesenperle angeblich mit seinem Leben. Legenden über ihren Ursprung steigern ihren Preis - Experten bezweifeln ihren Wert...
Die Erzählung geht so: Einst lebt eine Meerjungfrau in der riesigen Muschel, die die Perle Allahs hervorbringt. Durch ihren plötzlichen Verlust aber wird das Gleichgewicht des Meeres gestört, und die Meerjungfrau versucht seitdem, die Perle zurückzugewinnen. Andere berichten, die Perle gehöre dem Propheten Mohammed. Jahrhundertelang soll sie an einem heiligen Ort versteckt sein, bevor sie verloren geht.
Dies sind nur zwei der vielen Geschichten und Legenden, die sich um die Perle Allahs ranken. Am 7. Mai 1934 geschieht der Zufallsfund: Die Perle wird von Tauchern vor der philippinischen Insel Palawan entdeckt. Diese beeindruckende Perle, bis heute, eine der größten natürlichen Perlen der Welt, wiegt etwa 6,35 Kilogramm und hat einen Durchmesser von fast 24 Zentimetern.
Seitdem liefert sie Inspiration für zahlreiche Legenden. Als Symbol für Macht und Einfluss, so heißt es, streben Herrscher und Krieger nach der Perle, um sich Stärke und Schutz zu sichern. In anderen Erzählungen bringt sie Unglück und Verderben über ihre Besitzer. Immer aber steht sie beispielhaft für die seltene Schönheit und die Wunder der Natur.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Sie trägt ihren Mann buchstäblich auf Händen - durch die Manege: Katharina Brumbach (geboren am 29.4.1884), gefeierter Star in der "größten Show der Welt" in den USA.
Das Zirkusleben wird Katharina Brumbach in die Wiege gelegt: Sie wird am 6. Mai 1884 in die niederbayerische Zirkusfamilie Brumbach geboren. Die Eltern arbeiten beide als Kraftakrobaten und vererben der Tochter einen kräftigen Körperbau. Zudem entwickelt sich das Mädchen zur geschickten Kämpferin und tritt früh vor Publikum auf.
Als sie 16 Jahre alt ist, lobt der Vater ein Preisgeld von 100 Goldmark aus für denjenigen, der seine Tochter im Ringkampf besiegt. Der schmächtige Max Heymann lässt sich auf den Kampf ein, geht gnadenlos unter, aber macht Katharina auf dem Boden liegend einen Heiratsantrag. Sie nimmt an und schleudert bald ihren kleinen Mann durch die Manege.
Eine Frau, die es wagt, sich nicht mehr elfengleich an den Mann zu schmiegen, sondern diesen durch Luft wirbelt, torpediert das dominierende Frauenbild. Hunderttausende Menschen in den USA wollen die "stärkste Frau der Welt" sehen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Der Mann mit der Pauke, späte Kiffer-Ikone, humorvoller Kritiker der bräsigen Wirtschaftswunder-BRD: Wolfgang Neuss (gestorben am 5.5.1989) war ein herausragender Satiriker.
Geboren 1923 in Breslau, macht er in den 1950er und 60er Jahren durch seine messerscharfe Satire und seinen humorvollen Stil auf sich aufmerksam. Obwohl Neuss vor allem für seine Bühnenauftritte und kabarettistischen Beiträge bekannt ist, umfasst sein Werk weit mehr als nur oberflächliche Unterhaltung.
Schon als junger Mann, geprägt von den Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs, entwickelt Neuss eine kritische Sicht auf Politik und Gesellschaft. Seine frühen Erfahrungen führen dazu, dass er stets eine anti-autoritäre Haltung einnimmt, die seine Kunst durchdringt. Ernste gesellschaftliche Themen werden auf humorvolle Weise in seine Stücke eingeflochten.
Seine Vielseitigkeit zeigt sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch in seinen zahlreichen Filmrollen. In mehr als 25 Filmen, darunter "Das Wirtshaus im Spessart" und "Die Halbstarken", beweist er seine Fähigkeit, die unterschiedlichsten Charaktere zu verkörpern.
Neuss' Engagement geht jedoch über die Unterhaltungsindustrie hinaus – zeitlebens lehnt er traditionelle Rollenbilder und gesellschaftliche Normen ab, setzt sich aktiv für soziale Gerechtigkeit ein und unterstützt politische Bewegungen, die sich für Gleichberechtigung und Frieden einsetzen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Inge Braun:
4. Mai 1884, USA: Die Schwarze Lehrerin Ida B.Wells nimmt im Zugabteil für Damen Platz - doch das ist nur für weiße Frauen. Ihren Rauswurf lässt sie sich nicht gefallen.
Als Ida B. Wells 1862 geboren wird, lebt ihre Familie noch in Sklaverei. Drei Jahren später feiern die Eltern ihre Freiheit, bauen sich eine Existenz auf und sorgen dafür, dass ihre Tochter eine gute Schulausbildung bekommt – und das nötige Selbstbewusstsein, um für ihre Rechte einzustehen.
Ihre erste Schlagzeile erzeugt Ida B. Wells, als sie sich am 4. Mai 1884 in ein Damenabteil der Bahn setzt, das in den Augen der Bahnmitarbeiter weißen Frauen vorbehalten ist. Das Zugpersonal zerrt die Lehrerin mit Gewalt raus, doch Wells erstreitet später 500 Dollar Schadenersatz vor Gericht.
Und Ida B. Wells kämpft weiter, denn die Hoffnung der Schwarzen auf Gleichberechtigung nach dem Ende der Sklaverei wird nicht erfüllt. Der Rassismus gipfelt in Lynchjustiz, durch die tausende Schwarze willkürlich getötet werden. Ida B. Wells schreibt über die Ungerechtigkeit, das kostet sie ihren Job als Lehrerin. Doch sie gibt nicht auf und sorgt als Journalistin dafür, dass die Gräueltaten auch im Ausland bekannt werden und so der Druck auf die USA erhöht wird, gegen die Lynchmorde aktiv zu werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Offiziell gab es den Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze nie – aber 429 Menschen ließen ihr Leben bei dem Versuch, vor der DDR-Diktatur zu fliehen. Einer der Verantwortlichen: Erich Honecker.
Selbst Mauerbau, Stacheldraht-Zäune und Selbstschussanlagen halten DDR-Bürger nicht ab, in den Westen zu fliehen. Das will die SED verhindern und setzt auf rigide Überwachung. Für die rund 1.500 Kilometer lange innerdeutsche Grenze werden rund 50.000 Grenzsoldaten benötigt, die meisten von ihnen sind Wehrpflichtige.
Ein Schwerpunkt ihrer Ausbildung liegt in Schießübungen. Und auch wenn es keinen "offiziellen Schießbefehl" gibt, so wird den Rekruten unmissverständlich klargemacht: Auf Flüchtlinge, Landsleute, sollen die Grenzbewacher – als letztes Mittel – mit ihren Waffen feuern.
Am 3. Mai 1974 bekräftigt SED-Generalsekretär Erich Honecker im Nationalen Sicherheitsrat, es seien "die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen". Eine fatale Anweisung: Mehr als 400 Menschen kommen bei Fluchtversuchen ums Leben. Sie werden erschossen, ertrinken oder von Minen und Selbstschussanlagen getötet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Vor jeder Premiere war er krank vor Nervosität: Dabei war Giacomo Meyerbeer schon zu Lebzeiten ein Star-Komponist und Erfinder der "Großen Oper". Am 2.5.1864 stirbt er in Paris.
Am 5. September 1791 wird er bei Berlin als Jakob Meyer Beer in eine großbürgerliche jüdische Familie geboren. Später zieht er den zweiten Vor- und den Nachnamen zu Meyerbeer zusammen.
Die Bildungschancen des jungen Meyer sind gut. Er wird ausschließlich von Privatlehrern unterrichtet, sein musikalisches Talent fördern die Eltern gezielt. Meyerbeer reüssiert als Pianist, zielt aber früh auf eine Karriere als Komponist für die Oper. In Italien kann er seine ersten Werke platzieren, wo er seinen Vornamen zu Giacomo italianisiert.
In Paris erfindet er zusammen mit Dramatiker und Theaterprofi Eugène Scribe das Genre der Grand Opéra neu, damals die Blockbuster des Musiktheaters. Für seine Leistungen wird er in Frankreich und Deutschland mit Orden und Titeln geehrt.
In die Musikgeschichte geht Meyerbeer ein als das "ängstliche Genie" – hochnervös vor jeder Premiere, um das Wohlwollen von Presse und Publikum besorgt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Holger Noltze:
Was ist wirklich passiert im verregneten Teutoburger Wald? Die Legende der Schlacht von Varus gegen "Hermann" wurde oft erzählt - die Wahrheitssuche ist akribische Forschung...
Auf dem Weg ins Winterlager gerät die römische Armee im Jahr 9 nach Christus in eine Falle: Die Germanen unter der Führung von Arminius haben die Besatzer in unwegsames Gelände gelockt, das sie nur auf kleinen Pfaden durchquerten können. Wald, Moor und Felsen lassen es nicht zu, dass die Soldaten ihre gewohnte Formation einnehmen können, so dass die Germanen nun attackieren können.
Nach drei Tagen im Kampf sind die Römer aufgerieben und ihr Anführer Varus stürzt sich – verzweifelt über die demütigende Niederlage – in sein Schwert. Arminius, der später als Hermann eingedeutscht wird, avanciert zum Helden. So will es die Legende um die Varusschlacht.
Historiker indes rätseln seit Jahren, ob sich der Kampf zwischen den Römern und Germanen tatsächlich so zugetragen haben könnte. Dank neuster Technologie liefern ausgegrabene Fundstücke neue Hinweise über die Varusschlacht, den Helden Arminius und die Frage, ob die Römer in eine Falle gelockt oder in einer Stellung angegriffen wurden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Die erste deutsche Bierbraumeisterin brachte ihrer sauerländer Familien-Marke erstaunlichen Erfolg: Rosemarie Veltins. Sie starb am 30.4.1994 im Alter von nur 56 Jahren.
Im Dorf Grevenstein bei Meschede im Sauerland steht seit 1824 eine kleine Landbrauerei, die der Familie Veltins gehört. Viele Jahre lang heißen die Brauherren Clemens, Carl oder Anton. Das ändert sich, als 1964 Rosemarie Veltins das Unternehmen übernimmt.
Ihre kleine Brauerei ist zu diesem Zeitpunkt von großen Bierproduzenten aus Ruhrgebiet umgeben. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, die vor allem Export-Biere verkauft, lässt Rosemarie Veltins nur Pils brauen. Mit dieser Besonderheit hat sie Erfolg: Zunächst beträgt der Jahresausstoß knapp 200.000 Hektoliter, 30 Jahre später sind es zwei Millionen Hektoliter. Rosemarie Veltins wird nun überall "die Bierkönigin" genannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Es ist der 29.04.1899: Der "rote Teufel" Camille Jenatzy tritt zu einem Duell auf der Straße an. Sein Ziel: Die damals magische Grenze von 100 km/h mit dem Auto knacken.
Schaulustige der besonderen Art versammeln sich auf den staubigen Straßen von Achères, einem Vorort von Paris, um Zeugen eines spektakulären Ereignisses zu werden: es sind neugierige Automobilisten. Sie sind angereist für das Autorennen, das den legendären "roten Teufel" Camille Jenatzy zur Legende machen sollte.
Jenatzy, ein charismatischer Belgier mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik und Abenteuer, ist bereits eine bekannte Persönlichkeit in der aufstrebenden Welt des Motorsports. Seine Liebe zur Geschwindigkeit und sein unerschrockener Mut machen ihn zu einem Symbol für Innovation und Kühnheit unter den Rennfahrern seiner Zeit.
Beim Duell in Achères mit seinem Dauerkonkurrenten am 29.4.1899 knackt Jenatzy die damals magische Grenze von 100 Stundenkilometern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Bei der berühmtesten Meuterei der Seefahrts-Geschichte war manches nicht wie in der Legende: Kapitän Bligh war kein Tyrann, und Fletcher Christian nicht mal der Anführer der Meuterer...
Es ist das Jahr 1789: die Besatzung des britischen Schiffes HMS Bounty rebelliert gegen ihren Kapitän William Bligh. Das Ereignis ist inzwischen zur Legende geworden und liefert Stoff für unzählige Romane und Kinofilme und prägt nach wie vor die Vorstellung vieler Menschen über das Leben auf See.
Wachoffizier Fletcher Christian wird zum berühmten Meuterer – Kapitän William Bligh zum tyrannischen Bootsführer, der seine Mannschaft drangsaliert. Deswegen, so die Erzählung, hätte sie am Ende gegen ihren Kapitän gemeutert. Doch vieles über Christian, Bligh und die Meuterei gehört ins Reich der Legenden. Sehr wahrscheinlich ist Fletcher Christian nicht einmal der Anführer der Meuterei. Und Bligh nachgewiesenermaßen kein tyrannischer Kapitän.
Als die Meuterer am 28. April 1789 Bligh und 17 treue Männer in einem winzigen Boot im Südpazifik aussetzen, war es Bligh, dem sie ihre Rettung nach 48 Tagen auf See verdanken. Er ist zu seiner Zeit einer der besten Navigatoren der Welt. Diese Überlebensfahrt gehört bis heute zu einer der außergewöhnlichsten Leistungen in der Geschichte der Seefahrt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Die neue Übergangsverfassung Südafrikas vom 27.4.1994 bedeutet eine historische Wende. Bis heute kämpft das Land mit den Folgen des rassistischen Systems.
Im Februar 1990 wird Nelson Mandela nach fast drei Jahrzehnten aus dem Gefängnis entlassen. Dieses Ereignis symbolisiert den Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika. Als Führer des "African National Congress" (ANC) kämpft Mandela gegen die rassistische Politik der Apartheid und setzt sich nach seiner Freilassung für Verhandlungen ein, die zu den ersten demokratischen Wahlen führen werden.
Die historischen Wahlen vom 27. April 1994 schließen das dunkle Kapitel der Apartheid. Mandela verkörpert als erster demokratisch gewählter Präsident wie kein anderer die Hoffnung auf Versöhnung und Einheit des Landes.
Doch wie kann die tiefe soziale und wirtschaftliche Ungleichheit als Folge der jahrzehntelangen Apartheidpolitik überwunden werden? Auch wenn die neuen demokratischen Institutionen eine Grundlage für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit schaffen, bleiben Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen bestehen.
Programme der Regierung zur sozialen Entwicklung und wirtschaftlichen Integration sind erste Schritte, die beachtliche Fortschritte erzielen. Als Vertreter afrikanischer Interessen, aber auch als Fürsprecher der Menschenrechte und des Friedens in der Welt spielt Südafrika auch auf internationaler Ebene eine zunehmend wichtige Rolle. Nach 50 Jahren rassistischer Trennungspolitik ist der Weg aber noch lang.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammüller:
Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein hat unser Denken bahnbrechend verändert. Sein Leben ist wenig glücklich, aber in jeder Hinsicht außergewöhnlich.
Ludwig Wittgenstein ist ein einflussreicher österreichischer Philosoph, der für seine Beiträge zur Logik, Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes bekannt ist. Wittgenstein, der aus einer wohlhabenden Wiener Familie stammt, spendet ein Großteil seines Erbes an Künstler und lebt fast schon asketisch. Er arbeitet zeitweise als Volksschullehrer, im Ersten Weltkrieg dient er als einfacher Soldat.
Beeinflusst von namhaften Denkern wie Bertrand Russell, veröffentlicht der exzentrische Wissenschaftler zwei bedeutende Werke: „Tractatus Logico-Philosophicus“ (1921) und „Philosophische Untersuchungen“ (1953, posthum). Wittgenstein ist fasziniert von der Frage nach dem Wesen der Sprache und ihrer Beziehung zur Wirklichkeit. In seinem Frühwerk argumentiert er, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen unserer Welt sind.
Die Person Wittgensteins ist so facettenreich wie sein Forschungsgebiet: Er ist getrieben, eigensinnig, schwer depressiv und zeitlebens suizidgefährdet. Gleichzeitig ist er genial, charismatisch und ein brillanter Kopf. Sein privates Glück findet er erst gegen Ende seines Lebens in der Begegnung mit Ben Richard.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Die Nelkenrevolution in Portugal am 25.4.1974 beendet die bislang am längsten dauernde Diktatur Europas mit einem friedlichen Militärputsch. Am Ende siegt die Demokratie.
In der Nacht zum 25. April 1974 geht ein Lied über den katholischen Rundfunk in Lissabon: "Grândola, Vila Morena". Es ist das verabredete Signal für den Militärputsch der "Bewegung der Streitkräfte", einem Zusammenschluss regimefeindlicher Offiziere.
Als sie die Hauptstadt Lissabon besetzen, steckt die begeisterte Bevölkerung den Soldaten rote Nelken in die Gewehrläufe. Der Umsturz nach 47 Jahren Faschismus verläuft weitestgehend unblutig. Regierungstreue Truppen schießen allerdings auf unbewaffnete Demonstranten, vier davon sterben.
Einer der wichtigsten Oppositionspolitiker während der Diktatur ist Mário Soares. 1970 verlässt er Portugal und geht ins Exil. Am 28. April 1974, drei Tage nach der Nelkenrevolution, kommt Soares zurück nach Lissabon. Er begleitet federführend den Gang Portugals in die Demokratie. Nach den ersten Präsidentschaftswahlen nach der Diktatur stellt die sozialistische Partei unter Soares die Regierung,
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Rubinich:
Am 24.4.1974 erschüttert die Verhaftung des DDR-Spions die BRD. Zwei Wochen später tritt Willy Brandt zurück. War Günter Guillaume aus Sicht der Stasi eine Top-Quelle?
Es ist einer der bedeutendsten Spionagefälle der deutschen Geschichte und liest sich fast wie Fiktion: Am 24. April 1974 wird Günter Guillaume verhaftet. Als Maulwurf hat der ostdeutsche Agent sich bis in die höchsten politischen Kreise der Bundesrepublik Deutschland eingeschleust und schließlich als persönlicher Referent Willy Brandts gedient.
Die Enthüllung von Guillaumes Doppelleben löst einen politischen Skandal aus. Obwohl Brandt betont, nichts von Guillaumes Tätigkeiten gewusst zu haben, übernimmt er die politische Verantwortung für den Skandal und tritt im Mai 1974 von seinem Amt als Bundeskanzler zurück.
Die Verhaftung hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Ost und West. Sie führt zu einem erheblichen Vertrauensverlust zwischen den beiden deutschen Staaten und erschwert die Bemühungen um eine Annäherung und Entspannungspolitik.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Ein kurioser Mini-Staat entsteht am 23.4.1949 in der Eifel: "Bollenien" nennt man bald die belgische Verwaltungszone. "Hauptstadt" ist ein Dörfchen bei Aachen...
Vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, am 23. April 1949, annektiert Belgien einen schmalen Streifen entlang der deutsch-belgischen Grenze. Dazu zählen unter anderem der Aachener Stadtteil Bildchen, die Gemeinde Losheim, Hemmeres und einige Höfe im Monschauer Stadtteil Kalterherberg. Das neue Gebiet ist ein 20 Quadratkilometer großer Flickenteppich, den die 1.000 Einwohner Bollenien nennen – nach dem Militärverwalter der neuen Zone, General Paul Bolle.
Unglücklich sind die Bollenier nicht über ihre neue Staatszugehörigkeit. Die belgische Regierung lässt Telefon- und Stromanschlüsse verlegen, Häuser anstreichen und eine Brücke über die Our bauen. Und im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der neuen Zone noch keine Fahrprüfungen. Wer 18 Jahre alt ist, darf Auto fahren.
Als Bollenien neun Jahre später wieder zurück an die Bundesrepublik fallen soll, weigern sich einige vehement gegen den neuerlichen Wechsel der Staatszugehörigkeit – unter anderem mit einem Protest-Telegramm an Kanzler Konrad Adenauer.
In diesem Zeitzeichen erzählen Markus Harmann und Joachim Heinz:
103 Jahre alt wurde Rita "la professoressa" Levi-Montalcini, Entdeckerin des Nervenwachstumfaktors. Zur Welt kam die Medizin-Nobelpreisträgerin am 22.4.1909 in Turin.
Rita Levi-Montalcinis Entdeckungen auf dem Gebiet der Neurobiologie gelten als bahnbrechend. Die herausragende italienische Neurologin und Zellbiologin wird am 22. April 1909 in Turin geboren und wächst in einer wohlhabenden jüdischen Familie auf.
Gemeinsam mit Stanley Cohen erhält Levi-Montalcini 1986 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors (NGF), einem Botenstoff, der das Wachstum von Nervenzellen stimuliert. Dies revolutioniert das Verständnis für Entwicklung und Funktion des Nervensystems und hat weitreichende Auswirkungen auf die Neurobiologie und die Medizin im Allgemeinen.
"La professoressa", wie sie in Italien bewundernd genannt wird, ist eine unerschrockene Pionierin, die trotz der Hindernisse, mit denen sie als Frau und Jüdin während des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs in Italien konfrontiert ist, unermüdlich für wissenschaftliche Erkenntnisse kämpft. Sie sagt: "Im Leben sollte man niemals nachgeben, sich dem Mittelmaß hingeben, sondern sich aus jener Grauzone herausbewegen, in der alles Gewohnheit und passive Resignation ist. Man muss den Mut haben, zu rebellieren." Und dies tut sie, bis zu ihrem Tod mit 103 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Am 21.4.1989 startet der "Game Boy" mit bereits veralteter Technik - und trotzdem verändert er die (Videospiel-)Welt: Spielen wird überall und jederzeit möglich.
Der "Game Boy" ist lange Zeit weltweit die meistverkaufte Spielkonsole. Und das, obwohl seine technische Ausstattung schon bei der Markteinführung 1989 sehr zu wünschen übrig lässt. Während die Konkurrenz fast zeitgleich mit großzügigen Farbbildschirmen und deutlich komplexerer Grafik aufwarten kann, besitzt der "Game Boy" nur einen grün-schwarzen Mini-Monitor.
Auch der Hauptprozessor ist bei seinem Einbau in das Gerät bereits 15 Jahre alt. Er wird Ende der 1980er-Jahre eigentlich nur noch für die Steuerung von Wasch- und Nähmaschinen verwendet.
Aber diese reduzierte technische Ausstattung ist für den "Game Boy" kein Nachteil. Im Gegenteil: Handhelds – Spielkonsolen, die nicht an den Fernseher gekoppelt werden müssen, sondern überall hin mitgenommen werden können – sind damals eine Innovation. Der Game Boy punktet gegenüber Konkurrenzprodukten mit der viel längeren Batterielaufzeit und dem verhältnismäßig günstigen Preis - so wird er zum Massenprodukt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Fritz Schaefer:
Die Tat von zwei Schülern in Littleton im US-Bundestaat Colorado erschütterte die USA. Eine Tragödie, die als Wendepunkt in der Geschichte der Vereinigten Staaten gilt.
Eric Harris und Dylan Klebold müssen sich monatelang vorbereitet haben: Laut Polizeibericht betreten sie um 11.14 Uhr ihre Schule und schießen um sich. Zunächst in der Cafeteria, dann gehen der 17- und 18-Jährige in die Bibliothek. In weniger als einer Stunde töten sie zwölf Schülerinnen und Schüler und einen Lehrer. Danach erschießen sie sich selbst.
Die Menschen in den USA und der ganzen Welt sind geschockt. Der damalige Präsident Bill Clinton ahnt schon kurz nach der Tat: "Wir kennen noch nicht alle Gründe für diese Tragödie, und vielleicht werden wir sie auch nie ganz verstehen." Er soll Recht behalten. In der Folge wird jedes Detail im Leben der Täter analysiert. Gewaltverherrlichende Musik und so genannte Ego-Shooter-Computerspiele geraten ebenso wie die laxen Waffengesetze der USA als mögliche Treiber für den Amoklauf in Verdacht.
Viele der ersten Spekulationen werden später widerlegt, aber bis heute beschäftigen sich Forschende mit den Vorfällen an der Columbine High School, um die Täter besser zu verstehen und so zu verhindern, dass es Nachahmer gibt. Auch der 19-Jährige, der 16 Menschen und sich selbst 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt tötet, hat zuvor zu Columbine recherchiert – genauso wie der 17-jährige Amokläufer von Winnenden.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Er entdeckte Udo Jürgens. Er zog die Fäden im Hintergrund des Mediengeschäfts und der Schlagerbranche: Hans Rudolf Beierlein, geboren am 19.4.1929.
Der Gourmet und Frankreichliebhaber Hans R. Beierlein pflegt mit allergrößter Sorgfalt seine Kontakte zur französischen Musikelite, schafft es auch, Deutschland-Tourneen für die französischen Top-Stars zu organisieren.
Der Kritik, dass er keine Ahnung von Musik habe, begegnet Beierlein mit der pragmatischen Antwort, es sei seine Aufgabe, aus Musiknoten Banknoten zu machen.
Udo Jürgens und Hans R. Beierlein begegnen sich 1963 das erste Mal. Da ist Udo Jürgens ziemlich mutlos. Seine Platten verkaufen sich nicht, er möchte nicht mehr singen, nur noch komponieren. Beierlein erkennt sofort das große Potenzial des Klagenfurters und nimmt ihn unter seine Fittiche. Udo Jürgens gewinnt 1966 den Grand Prix Eurovision de la Chanson. Es ist der Start seiner Weltkarriere.
2014 verkauft Hans R. Beierlein die Rechte an allen 6.000 Musiktiteln seines Musikverlags Montana und zieht sich ins Private zurück. Im August 2022 stirbt er mit 93 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Täglich judenfeindliche Parolen: Das ist Aufgabe der "Orient-Redaktion", die im April 1939 im Auftrag der Nationalsozialisten ihre Arbeit aufnimmt. Die Propaganda wirkt.
Die fremden Klänge, die der deutsche Radiosender bringt, sind nicht für das heimische Publikum gedacht. Sie beschallen den arabischen Raum von Nordafrika bis in den Nahen Osten.
Sie zielen besonders auf Palästina, wo Muslime damals fürchten, Juden könnten einen eigenen Staat errichten, wenn die Mandatsmacht Großbritannien abgezogen wird. Ein Regionalkonflikt, den die nationalsozialistischen Machthaber mithilfe judenfeindlicher Hetze im Kurzwellenradio anheizen.
In Königs Wusterhausen, knapp 40 Kilometer südlich von Berlin, besitzen die Nationalsozialisten den leistungsstärksten Kurzwellensender der Welt. Sie sind in der Lage, Radioprogramme um den halben Globus zu funken.
Mit enormem Aufwand lassen Hitlers oberster Propagandist Joseph Goebbels und Reichspressechef Otto Dietrich die sogenannte "Orient-Redaktion" einrichten. 80 Mitarbeiter werden verpflichtet, Texter, Übersetzer, Sprecher – türkische, persische und vor allem Arabisch-Muttersprachler.
Die antisemitische Hasspropaganda verschwindet mit Kriegsende aus dem Äther. Einen Nachhall hat sie bis heute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Ausgerechnet Stalins Erbe, der selbst Teil von Stalins Terrorapparat war, räumte mit den Verbrechen seiner Genossen auf. Geboren wurde er 1894 als Sohn eines armen Bauern.
Ausgerechnet der politische Erbe Stalins, Nikita Chruschtschow, der selbst Teil des stalinistischen Terrorapparates war, räumt mit den Verbrechen seiner Genossen auf und betreibt die Entstalinisierung.
Mit 15 Jahren wird der ungebildete Bauernsohn Chruschtschow Bergmann, später Gewerkschaftsfunktionär. An der Moskauer Arbeiter-Akademie gelangt er in Stalins Dunstkreis. Im Zweiten Weltkrieg ist Chruschtschow Parteichef der Ukraine. Bei Kriegsende wird er einmal mehr zum Schlächter im Auftrag Stalins. Er ist verantwortlich für die Rache an wirklichen oder vermeintlichen Kollaborateuren.
Gegen den Rivalen USA schaffen die Sowjets 1957 im Weltraum mit dem Satelliten Sputnik einen Etappensieg. Real und verbal rüstet Chruschtschow mächtig auf. Doch wirtschaftlich können die Sowjets nicht mithalten. Und in der Kuba-Krise beweist Chruschtschow, dass er keinen Krieg will und in letzter Minute die Einigung mit US-Präsident Kennedy sucht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Für seine Serumtherapie gegen Diphterie erhält der Mediziner Emil von Behring 1901 den Nobelpreis. Am 16. April 1914 eröffnet er die Behringwerke Marburg und Bremen.
Mit dem japanischen Arzt und Bakteriologen Kitasato Shibasaburō und dem deutschen Mediziner und Forscher Paul Ehrlich entwickelt der deutsche Mediziner, Immunologe, Serologe und Unternehmer Emil Behring Arzneimittel gegen die Diphtherie. Nach dem Erhalt des ersten Nobelpreises für Physiologie oder Medizin wird er von Kaiser Wilhelm II. geadelt und heißt von da an Emil von Behring.
1914 kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden Kaufleute in Bremen auf Behring aufmerksam. Behring hat gerade auf einem Kongress seine Arbeiten zu einem vorbeugenden Diphtherieimpfstoff vorgestellt.
Am 16. April 1914 werden in Bremen und Marburg die Behringwerke eröffnet.
Für die Entwicklung eines Gegengiftes gegen den Wundstarrkrampf (Tetanus) wird Behring in der Presse als "Retter der Kinder" und als "Retter der Soldaten" gerühmt. Tetanus ist bis dahin eher als Tierkrankheit bekannt, aber verunreinigte Erde in den Schützengräben sorgt dafür, dass allein in den ersten Kriegsmonaten über 1.600 Soldaten an Wundstarrkrampf sterben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Kontakt zu Kunst steigert die Lebensqualität - davon ist Karl Ernst Osthaus überzeugt. Viele Ideen setzt der 15.4.1874 geborene Kunstmäzen in seiner Heimatstadt Hagen um.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts will Karl Ernst Osthaus mit seinem Erbe von drei Millionen Mark – heute wären das ungefähr 30 Millionen Euro - die Welt verändern. Sein Ziel ist "die kulturelle Hebung des industriellen Westens".
Diese Aufgabe soll durch mehrere Institute erfüllt werden. Eine dieser Institutionen ist das Folkwang-Museum, das der Bankierssohn 1902 in Hagen gründet und das sich heute in Essen befindet.
In Hagen gründet Osthaus außerdem eine Malschule, das "Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe", eine Zentrale für Design-Wanderausstellungen, den Folkwang-Verlag. Und er hat noch weitere Pläne.
Ein Heilsbringer ist Osthaus allerdings nicht. Er ist antisemitisch eingestellt und gehört entsprechenden Gruppierungen an. 1916 wird er zum Militär eingezogen, erkrankt an Tuberkulose und wird beurlaubt. Schließlich stirbt Osthaus 1921 in einem Lungensanatorium in Meran mit nur 46 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Berit Hempel:
Das Insektenvernichtungsmittel DDT gilt in den 60ern als Wunderwaffe. Rachel Carsons (gestorben am 24.4.1964) "Der stumme Frühling" warnt vor den Gefahren - mit Erfolg.
Sie gilt als eine der Wegbereiterinnen der Umweltbewegung. Die Biologin Rachel Carson macht sich Anfang der 1960er-Jahre die mächtige Chemieindustrie der USA zur Feindin.
Ihr Sachbuch "Silent Spring" ("Der stumme Frühling") erscheint im Sommer 1962. Darin zeigt die Wissenschaftlerin auf: Dort wo Pestizide eingesetzt worden sind, haben die Vögel aufgehört zu singen. Der gedankenlose massive Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln auf den Feldern - aber auch in Gärten und innerhalb der Häuser - ist keineswegs harmlos. Seit Jahren recherchiert die Biologin zu den Folgen des Einsatzes des Insektenvernichtungsmittels DDT auf Menschen und Umwelt.
US-Präsident John F. Kennedy liest das Buch und setzt eine wissenschaftliche Kommission ein, um die Vorwürfe zu untersuchen. Die Folge: In den USA wird DDT schließlich verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Als der "Vater der Atombombe", J. Robert Oppenheimer, die Wasserstoffbombe ablehnt, muss er vor der US-Atomkommission erscheinen. Die Anhörung beginnt am 13.4.1954.
Im Jahr 1942 starten die amerikanische Regierung und das Militär ein geheimes Atomforschungsprojekt. Sie übertragen J. Robert Oppenheimer die wissenschaftliche Leitung. Der Physiker wird zum "Vater der Atombombe". Seine Erfindung trägt wohl zum Ende des 2. Weltkriegs auch in Japan bei - und sie kostet 1945 mehr als 200.000 Menschen das Leben.
Oppenheimer begreift, dass er maßgeblich dazu beigetragen hat, die Welt grundlegend und für immer zu verändern. Er versucht daraufhin, die wissenschaftliche und politische Kettenreaktion zu stoppen und spricht sich deutlich gegen den Bau der Wasserstoffbombe aus - und damit gegen die Weiterentwicklung der tödlichen Technologie.
Diese Haltung bringt Oppenheimer Ärger ein. Am 13. April 1954 beginnt eine Anhörung vor der US-Atomkommission - dem Physiker wird unter anderem vorgeworfen, mit dem Kommunismus zu sympathisieren. Nach vier Wochen zermürbender Verhöre wird er aus allen geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen.
Zwar wird diese Untersuchung Ende 2022 offiziell für fehlerhaft erklärt und aufgehoben, für Oppenheimer kommt das jedoch zu spät. Er stirbt bereits im Februar 1967.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Im Widerstand verbunden: am 12.4.1944 wehren sich in den Cevennen 120 Franzosen und Deutsche gemeinsam und erfolgreich gegen 2.000 SS-Männer und Vichy-Polizisten.
Die südfranzösischen Cevennen sind ein besonderer Ort des 2. Weltkriegs. Denn hier kämpfen Deutsche auf beiden Seiten: Als Besatzungstruppen und gegen die Besatzer.
Es ist der 12. April 1944, als rund 2.000 gut bewaffnete Männer von SS und Vichy-Polizei auf der Bergkette versuchen, die Résistance zu stellen. Ziel ist das Ausbildungslager "Picharlerie". In dem abgelegenen Gehöft haben sich 120 weit schlechter ausgestattete Maquisarden - wie sich die zivilen Widerstandskämpfer nennen - verschanzt.
Sie nutzen ihre Ortskenntnis, um die Besatzer und ihre französischen Hilfstruppen in eine Falle zu locken. Deren schweres Gerät ist im unwegsamen Gelände keine Hilfe; die Angreifer erleiden hohe Verluste. Fast alle Widerstandskämpfer können dagegen in der Nacht durch die feindlichen Reihen entkommen; sie haben nur drei Tote zu beklagen.
Sechs Wochen später sind die Nazi-Truppen bei der "Bandenbekämpfung" erfolgreicher: Es gelingt ihnen bei La Parade fast 70 Maquisarden einzukreisen - und später brutal zu ermorden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Am 11. April 1909 trafen sich rund 60 Familien auf den Sanddünen nördlich von Jaffa und gründeten Tel Aviv Heute gilt die Stadt als weltoffene Metropole.
Eine alte Fotografie zeigt die Sanddünen nördlich von Jaffa: Mitten in den Dünen, dicht gedrängt, steht eine Gruppe von Menschen im Kreis. Die Frauen tragen schwarze Röcke, die Männer Anzug und Melonenhut, dazwischen Kinder. Es sollen der Legende nach genau 60 Familien sein, die sich am 11. April 1909 dort treffen.
Der Grund: Der zionistische Verein Achusat Bait - zu deutsch: Hausbaugesellschaft - hat rund neun Hektar Dünengelände von einem arabischen Scheich gekauft. Die Fotografie hält jenen Augenblick fest, als Akiva Arieh Weiss die Parzellen unter den Mitgliederfamilien der Achusat Bait verlost.
Das Ziel: Es soll eine Gartenstadt gebaut werden, die aus schindelgedeckten Häusern mit kleinen Gärten besteht - eine neue Stadt mit breiten, sauberen, ruhigen Straßen als Gegenmodell zur überfüllten und lauten Hafenstadt Jaffa.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Seine Drehbücher haben Spannung, Humor - und Stoff für den kritischen Verstand: Wolfgang Menge kommt am 10.4.1924 zur Welt und liefert dem Fernsehen neue Ideen.
Alfred Tetzlaff, das Ekel vom Dienst: Mit dieser Figur erscheint in den 1970er-Jahren die Inkarnation des deutschen Spießers auf dem Bildschirm. Die bitterböse Familienserie "Ein Herz und eine Seele" ist die bekannteste Erfindung des Drehbuchautors Wolfgang Menge - und die erste Sitcom.
Doch der gelernte Journalist kann noch mehr: Er schreibt mit "Stahlnetz" die erste deutsche TV-Krimi-Reihe, entwickelt mit "3 nach 9" die erste Talk-Show - und begibt sich dafür selbst vor die Kamera. Er bringt semi-fiktionale Formate sowie stilprägende Fernsehspiele auf den Bildschirm.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Ein Berg teurer Bilder in einer verwahrlosten Wohnung. Picassos zwischen schimmligen Konservendosen. Daneben: Nazi-Raubkunst? Die Behörden waren beim "Fall Gurlitt" überfordert. Am 9.4.2014 gab die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Bilder zurück.
Die Rückgabe der Gurlitt-Bilder 2014 war ein bedeutender Moment. Die Sammlung von rund 1300 Kunstwerken, größtenteils von den Nazis als "entartete Kunst" beschlagnahmt oder von jüdischen Familien verkauft, wurde 2012 in der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt entdeckt. Darunter Werke von Picasso, Matisse, Renoir, Nolde, Kokoschka, Chagall und Liebermann - achtlos gestapelt in einer verwahrlosten Wohnung zwischen Konservendosen und schimmligen Lebensmitteln.
Nach langen Diskussionen einigen sich Gurlitt und die Regierung darauf, verdächtige Bilder zurückzugeben. Cornelius Gurlitt hatte die Bilder von seinem Vater Hildebrand übernommen, der Kunsthändler im Nazideutschland gewesen war.
Dier Erforschung der Herkunft der Bilder und die juristische Aufarbeitung sind kompliziert und lösen internationales Interesse aus. Einige Werke werden in Ausstellungen gezeigt, andere bleiben im Besitz der deutschen Regierung, manche werden jüdischen Familien zurückerstattet.
Als Cornelius Gurlitt wenige Wochen nach der Rückgabe der Bilder im Mai 2014 stirbt, vermacht er die restlichen Bestände seiner Sammlung einem Schweizer Museum. Der größte Kunstskandal der BRD findet damit ein Ende - dessen Aufarbeitung nicht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Die zehn Bände der "Kriminalgeschichte des Christentums" wurden zu Karlheinz Deschners (Todestag 08.04.2014) Lebenswerk: Jahrzehnte der Arbeit - fast 6000 Seiten.
Der Ort Haßfurt beherbergt das bescheidene Haus von Karlheinz Deschner, einem unerschrockenen Kritiker der katholischen Kirche. Seine Holztreppe führt in die Dachkammer, wo er über 2000 Jahre kirchlicher Verbrechen recherchiert und schreibt. Von den Machtkämpfen der frühen Kirche bis zu Mussolini und Hitler deckt er alles auf. Seine Werke, beginnend mit "Abermals krähte der Hahn", offenbaren eine "Dokumentation aller Schandtaten des Christentums".
Trotz seiner umstrittenen Ansichten, der Exkommunikation und finanzieller Schwierigkeiten wird Deschner mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay.
Deschners Schriften sind geprägt von einer tiefen Auseinandersetzung mit Ethik und Moral. Zeitlebens setzt er sich für die Trennung von Kirche und Staat ein und kritisiert vehement den religiösen Einfluss auf politische Entscheidungen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
Am 7.4.1944 gelingt Rudolf Vrba und Alfred Wetzler die Flucht aus dem KZ Auschwitz-Birkenau. Sie berichten von den Massenmorden und werden gehört. Das hat Wirkung.
Am 7. April 1944 gelingt Rudolf Vrba und Alfred Wetzler die gefahrvolle Flucht aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Die beiden slowakischen Juden hatten zuvor Monate im Lager verbracht und beschlossen, die Menschen über die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu informieren. Ihre Flucht ist nicht nur ein Akt persönlicher Tapferkeit, sondern bis heute ein wichtiger Beitrag zur Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen.
Vrba und Wetzler planen ihre Flucht akribisch und sammeln Informationen. Nach ihrer Flucht verstecken sie sich in der Slowakei. Sie verfassen einen detaillierten Bericht über den Aufbau des Lagers, über die Tötungsmethoden und die Zahl der Opfer, den sie dem jüdischen Widerstand übergeben. Diese Informationen sollten die Öffentlichkeit über die Gräueltaten in Auschwitz aufklären und Interventionen ermöglichen.
Die Flucht und das "Vrba-Wetzler-Protokoll" markieren einen Wendepunkt in der Geschichte des Holocaust. Die Veröffentlichung zwingt die Kriegsgegner der Nationalsozialisten zum Handeln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Die Fakten: König von England, gestorben am 6.4.1199. Es gibt kaum einen Herrscher vor der Moderne, desen Leben so übestrahlt wird von Legenden.
König Richard I. von England, bis heute einer der bekanntesten Monarchen des Mittelalters, regiert von 1189 bis zu seinem Tod 1199. Sein Leben ist geprägt von Feldzügen, politischen Intrigen und kulturellen Errungenschaften, um seine Herrschaft ranken sich bis heute zahlreiche Mythen.
Als dritter Sohn von König Heinrich II. von England und Eleonore von Aquitanien zeigt er bereits in jungen Jahren eine ausgeprägte Neigung zum Kriegshandwerk. Als einer der Anführer der christlichen Truppen kämpft er im Dritten Kreuzzug gegen die muslimischen Herrscher des Heiligen Landes.
Der König ist aber auch umfassend gebildet: Er spricht mehrere Sprachen fließend, darunter Englisch, Französisch und Latein. Als Förderer von Literatur und Kunst trägt er zur Entwicklung der mittelalterlichen Kultur bei. Doch am besten ist er darin, sich selbst in einem positiven Licht darzustellen: Richard der Löwenbezwinger, Kriegsheld. Tapfer, großzügig und gütig….?
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Die Grunge-Band Nirvana liefert der Soundtrack einer Generation - deshalb ist die Nachricht vom Suizid des Sängers Kurt Cobain für viele ein Schock...
Am 8. April 1994 erschüttert die Nachricht des plötzlichen Todes von Kurt Cobain, dem charismatischen Frontmann der Band Nirvana, die Musikwelt. Cobain wird an diesem Tag leblos in seinem Haus in Seattle aufgefunden. Sein Tod wird als Suizid durch einen Schuss in den Kopf festgestellt und später offiziell auf den 5. April datiert.
Der Verlust des begnadeten Musikers hinterlässt bei seinen Fans tiefe Trauer und prägt die Rockmusikszene nachhaltig. Bis heute wird er als Ikone des Grunge und einer der einflussreichsten Künstler der 1990er-Jahre verehrt. Cobains Musik und Persönlichkeit haben Generationen von Musikern und Musikliebhabern inspiriert. Seine emotionale Authentizität bleibt ein tragendes Element seines künstlerischen Vermächtnisses: Der talentierte Künstler schafft nicht nur Musik, sondern auch Gemälde und Skulpturen.
Cobain leidet unter chronischen Schmerzen und Drogenabhängigkeit, die seine psychische Gesundheit stark beeinträchtigt haben. Sein Tod löst eine breite Debatte über Depressionen, Drogenmissbrauch und den Preis des Ruhms in der Musikindustrie aus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christopher Heimer :
Noch mit fast 100 Jahren steht Konrad Thurano (geboren am 4.4.1909) im Rampenlicht - als Artist am und auf dem Seil. Ein Jahrhundert-Leben.
Eigentlich soll aus dem am 4. April 1909 in Düsseldorf geborenen Sohn eines Prothesenmachers ein ordentlicher Bank-Lehrling werden. Doch als Konrad Thur im Sommer 1924 am Reck des Strandbades Oberkassel turnt, fällt er Artisten des Apollo-Theaters auf. Auf der Stelle machen sie ihm das Angebot, sich ihnen anzuschließen. Konrads Vater willigt ein: "Aber komm nicht zurück und heul, du willst wieder nach Hause."
Unglaubliche acht Jahrzehnte später genießt Konrad, der sich als Artist in Thurano umtauft, immer noch die Bewunderung seines Publikums - als inzwischen ältester aktiver Akrobat der Welt. Gemeinsam mit seinem Sohn reist er unermüdlich durch Europas Metropolen, beide begeistern die Menschen mit ihrem fabelhaften "Crazy Wire Act", einer clownesken Mischung aus Drahtseilakt und Comedy-Show.
Erst Anfang 2007 bringt Konrad Thurano im Düsseldorfer Apollo-Theater das Publikum zum letzten Mal mit seinen berühmten Klimmzügen an zwei Fingern zum Toben. Bis zuletzt putzmunter, legt er sich am 20. November 2007 bei seiner Familie in Dänemark "mit leichtem Magengrummeln" ins Bett und wacht nicht mehr auf.
In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
25 Jahre mit Schimpansen im Dschungel leben: Das gibt Jane Goodall (geboren am 03.04.1934) so viel Kraft, dass sie auch mit 90 Jahren noch für die Tiere kämpft.
Sie geht in den Dschungel zu den wilden Tieren, das steht für die am 3. April 1934 geborene Jane Goodall schon als Zehnjährige fest. Ein Studium kann ihr die geschiedene Mutter jedoch nicht finanzieren. So arbeitet sie nach der Handelsschule als Sekretärin und als Redaktionsassistentin eines Dokumentarfilmers.
Als eine Freundin die junge Frau auf eine Farm in Afrika einlädt, verdient sich Goodall als Kellnerin das nötige Geld und macht sich auf die Reise, die sie 1960 zu Louis Leakey führt. Dieser schlägt ihr vor, in einer Langzeitstudie das Verhalten von Schimpansen zu erforschen - damit hat Jane Goodall ihre Lebensaufgabe gefunden. Ihre Studien, in denen sie viele Parallelen im Fühlen und Verhalten von Schimpansen und Menschen belegt, revolutionieren die Primatenforschung.
1986 beschließt Goodall schweren Herzens, ihre Feldstudien in Afrika zu beenden und sich stattdessen zukünftig für den Erhalt der Umwelt und das Leben der Schimpansen einzusetzen. Seither reist die heute 90-Jährige unermüdlich über den gesamten Globus und versucht Menschen für den Schutz von Tieren und der Natur zu gewinnen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
"What's Going on" oder "Sexual Healing" sind Beispiele seiner Erfolge: Marvin Gaye, geboren am 2.4.1939, lebt nie dauerhaft glücklich und wird Opfer einer Tragödie.
Ein strahlendes Lächeln, eine samtweiche Soulstimme, gepaart mit unglaublichem Sexappeal: Marvin Gaye, der schöne Mann, der für immer mit der Welt der Soulmusik verbunden sein wird, ist eine Lichtgestalt des frühen Pop. Sein größter Hit "Sexual Healing" beschert ihm 1983 zwei Grammys und bleibt wochenlang in den US-amerikanischen Charts. Frauen erliegen scharenweise seinem Charme. Dabei lauern hinter der Fassade des Künstlers von Anfang an düstere Abgründe. Die Hinterlassenschaft einer traumatischen Kindheit, Drogenexzesse und die Unfähigkeit Liebe anzunehmen.
Geboren wird er am 2. April 1939 als Marvin Pentz Gay, Jr. in Washington, D.C.. Sein Vater ist Priester einer konservativ-christlichen Sekte und führt ein strenges Regiment. Regelmäßig verprügelt er im Alkoholrausch seine Kinder wegen kleinster Verfehlungen. Das Verhältnis zwischen dem Soul-Sänger und seinem Vater gleicht einer Hassliebe, die in einer Katastrophe endet: Einen Tag vor seinem 45sten Geburtstag wird Marvin Gaye im Streit von seinem Vater erschossen. Es ist eine Familientragödie, die die USA und die Musikwelt in Schock versetzt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Während Caesar in Ägypten weilt, beginnt am 1. April 47 v. Chr. im römischen Senat eine - damals neue - Diskussion: Die Genderdebatte. Es geht nicht nur um Sternchen!
Geschlechterkampf im alten Rom: Jahrhundertelang sind Frauen unterdrückt. Doch sie wollen sichtbarer werden. Anfangs verzieren sie den öffentlichen Raum mit ihren Parolen - besonders gern Bordellwände, da können sie sicher sein, dass dort auch hingeschaut wird.
Am 1. April 47 v. Chr. wird dann endlich das "Lex neutrae genus" erstmalig auf die Agenda des Senats gesetzt. Anscheinend ein erster Sieg für die Frauen, allerdings mit weitreichenden Folgen. Das Thema wirft Wellen und wogt über Jahre durch den Senat, über Märkte, in Gassen, Tavernen und Provinzen. Am Ende nutzt es einem: Gaius Julius Caesar. Hat er die Debatte künstlich befeuert? Darauf deuten alte Schriftrollen hin, die nun erstmals mit Hilfe Künstliche Intelligenz entziffert werden können.
In diesem Zeitzeichen erzählen Veronika Bock und Ulrich Biermann:
Am 31.3.1914 ist einer der größten deutschen deutscher Dichter der Moderne gestorben: Christian Morgenstern ist längst nicht nur für seine komischen Gedichte berühmt...
Christian Morgenstern stammt aus München. Sein Vater ist Landschaftsmaler, beide Großväter auch. Er selber bedauert manchmal, dass er nicht auch Maler geworden ist. Aber er wird Dichter - und was für einer. Kurt Tucholsky schreibt über Morgenstern: "Wie unsere Väter sich an den niederdeutschen Holzschnittzeichnungen des grossen Philosophen [Wilhelm Busch] verlustierten, so kugelt sich ein ganzes junges Geschlecht über [Morgensterns Verse], dass es eine Art hat. Es ist aber auch zu hübsch: man lacht sich krumm, bewundert hinterher, ernster geworden, eine tiefe Lyrik, die nur im letzten Augenblick ins Spasshafte abgedreht ist - und merkt zum Schluss, dass man einen philosophischen Satz gelernt hat."
Am allerliebsten "kugeln" sich die Studenten zu Kaisers Zeiten über Christian Morgensterns "Galgenlieder". Und es sind damals tatsächlich auch Lieder. Die Melodien, die ein anderer zu Morgensterns Texten komponiert, sind heute allerdings verschollen.
Christian Morgenstern und Wilhelm Busch sind so etwas wie die Hofnarren ihrer Zeit - Hofnarren des ganzen wilhelminischen Bildungsbürgertums.
Seit seiner Kindheit leidet Morgenstern an Tuberkulose. Am 31. März 1914, kaum 43 Jahre alt, stirbt er bei Meran in Südtirol.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
Man nehme einen Müllerssohn, der der Masse des Volkes im 16. Jahrhundert das Rechnen beibringen wollte. Das macht nach Adam Riese ein neues Zeitzeichen.
Über seine Geburt und Jugend ist kaum etwas bekannt. Einzig die Inschrift eines späteren Bildes gibt Auskunft über sein Geburtsjahr: "Anno 1550 - Adam Ries seins Alters im 58" steht dort geschrieben. Und 1550 minus 58 ergibt nach Adam Riese das Geburtsjahr 1492. Nach Adam Riese? Ja, schließlich geht es hier um den Mann, der den Menschen das Rechnen beibringt. Korrekt wäre auch "Adam Ries", denn so hat er selber Briefe unterschrieben. Überliefert ist aber auch "Riese". Mit Namen nimmt man es zu seiner Zeit nicht so genau, mit Zahlen hingegen schon - spätestens seit Adam Ries.
Ries ist seinerzeit Rechenmeister, damals ein richtiger Beruf. Zudem schreibt er den Deutschen Rechenbücher in einer Sprache, die sie auch verstehen. Damit die Menschen etwa beim Einkauf auf dem Markt nicht mehr so leicht betrogen werden können. Drei Rechenbücher lässt er drucken, von denen sich wohl nur das erste an Kinder richtet. Die anderen sind schon zu kompliziert. Seine Bücher tragen dazu bei, dass sich die arabischen Ziffern, die wir bis heute benutzen, hierzulande durchsetzen.
Ries errechnet als für seine Auftraggeber etwa, wie viel Silbererz sie gefördert haben - oder auch, wie viel Brötchen sie aus dem vorhandenen Mehl backen können. "Wir müssen kleinere Brötchen backen" geht auch auf Ries zurück. Einzig sein Todestag kann nicht errechnet, sondern muss geschätzt werden. Vermutlich Ende März 1559 stirbt er in seiner Wahlheimat Annaberg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Die BBC liefert das Vorbild, und am 29.3.1964 geht WDR 3 als täglich ausgestrahltes Programm an den Start: Für Menschen, die Kultur genießen, gern zuhören und mitdenken.
Für Nordrhein-Westfalen ist der Start eines dritten, täglich ausgestrahlten Hörfunk-Vollprogramms ein Meilenstein seiner Mediengeschichte. Als der WDR in der Neujahrsnacht 1956 sein eigenes Programm mit den Radiosendern WDR 1 und WDR 2 in den Äther bringt, gibt es schon Ideen für ein drittes Programm.
Zunächst sendet WDR 3 nur wenige Stunden am Wochenende. Vorbild ist das dritte Programm der BBC in London, ein Radioprogramm für kulturaffine Bildungsbürger. Anfang der 1960er-Jahre baut das sogenannte Dritte Programm seine Sendestrecken über die Woche aus - Stunde um Stunde, Tag um Tag.
Am 29. März 1964 ist es schließlich so weit: Mit Richard Strauss' "Rosenkavalier" geht WDR 3 als drittes Voll-Programm an den Start. Das heißt: die Kölner senden fünf Stunden pro Tag.
Seither ist das "Kulturradio" mit seinem Konzept der Kulturpartnerschaft zu einem bedeutenden Faktor in der Kulturlandschaft geworden. Mehr als 120 Kultureinrichtungen in NRW gehören heute zu dieser Partnerschaft, eine in Deutschland einmalige Kooperation.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Auf hoher See machen Rock-und-Pop-Fans 1964 vor der englischen Küste halblegal Radio - und der BBC Konkurrenz. Der Piratensender "Caroline" hat einen riesigen Erfolg.
Die Idee für "Radio Caroline" hat der Ire Ronan O'Rahilly. Er vertritt in London Beatmusiker, darunter auch Georgie Fame. Der Manager möchte, dass deren Musik endlich im Radio gespielt wird. Doch er blitzt mit seinem Wunsch bei der öffentlich-rechtlichen BBC ab. Sie hat damals in Großbritannien das Sendemonopol.
Darum lässt Ronan O'Rahilly eine alte Passagierfähre zum Sendeschiff umbauen. Das ankert unter der Flagge von Panama vor der englischen Küste - knapp außerhalb der Dreimeilenzone. So nutzt der Radiopirat geschickt Gesetzeslücken aus: Am Ostersamstag 1964 geht "Radio Caroline" auf Sendung.
Die Idee hat enormen Erfolg und wird kopiert. Bereits im Herbst 1964 haben "Radio Caroline" und der Konkurrenzsender "Radio London" mehr Hörer als alle BBC-Wellen zusammen.
Nicht amüsiert ist jedoch die Labour-Regierung unter Premier Harold Wilson. Per Gesetz wird britischen Staatsbürgern verboten, von England aus zu den Piratensendern überzusetzen, dort zu arbeiten oder Werbung zu platzieren.
Zehn Privatsender müssen im August 1967 dichtmachen. Nur einer von ihnen kommt ungeschoren davon: "Radio Caroline" sendet weiter - bis heute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
27. März 1994: Silvio Berlusconi erringt seinen ersten Wahlsieg in Italien. Es ist der Auftakt zu einer politischen Karriere, die das Land nachhaltig verändert.
"Erstens bin ich sympathisch. Zweitens hab ich Grips. Und drittens sagt die Legende: Ich weiß, wie's geht." Das Selbstbewusstsein von Selfmade-Milliardär Silvio Berlusconi scheint grenzenlos. Der Baulöwe, Medienzar, Besitzer des Fußballklubs AC Mailand ist nie um einen zweifelhaften Gag verlegen.
Ab den 1970er-Jahren baut Berlusconi sein Medienimperium auf. Als 1992 das etablierte Parteiensystem Italiens unter dem Schmiergeldskandal "Tangentopoli" zusammenbricht, nutzt Berlusconi das Macht-Vakuum. Er gründet eine eigene Partei, die "Forza Italia" ("Vorwärts Italien"). Seine Parole lautet: "Das Land vor dem Gespenst des Kommunismus retten."
Dafür geht er ein Bündnis mit zwei Parteien vom rechten Rand ein: der Lega Nord und dem neofaschistischen MSI. Am 27. März 1994 siegt Berlusconis Bündnis. Doch seine erste Regierung hält nich lange. Sie zerbricht am Streit über eine Rentenreform. Ende 1994 tritt Berlusconi als Ministerpräsident zurück.
Doch stoppt seine politischen Ambitionen nicht. Er wird noch mehrmals Ministerpräsident, obwohl er immer wieder in juristische Auseinandersetzungen verstrickt ist. Zwei Jahre vor seinem Tod 2023 scheint sogar eine Kandidatur als Staatspräsident möglich.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Als Bestsellerautor ist B. Traven international bekannt, doch keiner kennt seine Identität: Erst nach seinem Tod am 26.3.1969 lösen sich einige Rätsel.
Die Bücher von B. Traven sind im Feuilleton gelobt und beim Leser beliebt: In dem 1926 erschienenen Roman "Das Totenschiff" beschreibt er die höllischen Arbeitsbedingungen von Seeleuten, die ohne Papiere auf Frachtern schuften. Sie gleichen mehr den Toten als den Lebenden. Auch ausgebeuteten Baumwollpflückern gibt Tavern eine Stimme. Seine Sprache ist einfach, humorvoll, die Dialoe sind präzise. Die Geschichten sind abenteuerlich, spannend und sozialkritisch.
Das kommt gut an. Zwischen den Weltkriegen wird B. Traven ein Auflagengarant mit Übersetzungen ins Russische, Englische, Spanische, Norwegische. Nur, wer hinter dem Pseudonym B. Traven steckt, bleibt ein Geheimnis. Niemand kennt ihn. Er selbst berichtet in Briefen an seinen Verlag, dass er in einem Bungalow bei Tampico in Mexiko lebt, umgeben von Schlangen, Spinnen, Raubtieren. Andere wollen wissen, dass sich hinter dem Pseudonym der wiedergeborene Jack London oder ein Hohenzollern-Prinz verbirgt.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten darf B. Traven nicht mehr publiziert werden. Nach Kriegsende nimmt die Karriere wieder an Fahrt auf. Hollywood verfilmt seinen Roman "Schatz der Sierra Madre", der 1948 mit drei Oscars prämiert wird. Weitere Verfilmungen folgen und treiben die Verkaufszahlen in die Höhe. Bis zu seinem Tod werden 30 Millionen Bücher von ihm aufgelegt. Der Star-Autor selbst bleibt ein Phantom: keine Interviews, keine Fotos. Erst nach seinem Tod, am 26. März 1969, klärt sich einiges auf: Der als Otto Feige im heutigen Polen geborene Bestseller-Autor war auch als Hal Groves, Ret Marut oder Traven Torsvan unterwegs.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
In Guinea bricht 2014 das Ebolafieber aus. Die Epidemie verbreitet sich über mehrere westafrikanische Länder und gilt als größte seit Entdeckung des Ebolavirus 1976.
Erstmal wird das Virus 1976 bei einem Stamm in Zaire am Fluss Ebola entdeckt, der zum Namensgeber der Krankheit wird. In den rund 50 Dörfern in der Umgebung des Flusses verbreitet sich das Virus und tötet dort fast alle Menschen, die sich infiziert haben. Danach kommt es immer wieder zu kleineren Ausbrüchen. Doch 2014 ist es anders, die Verbreitung schreitet schneller voran. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnt vor einem "beispiellosem Ausmaß" einer Ebola-Epidemie.
Als sogenannter Indexfall gilt ein 18 Monate alter Junger, der Ende 2013 in Süd-Guinea mit einer Fledermaus gespielt hat. Vier Tage später ist er tot. Er ist der erste von mehr 11.000 Menschen, die in den kommenden Monaten an den Folgen von Ebola sterben werden.
Erst allmählich wird dem Rest der Welt das Ausmaß der Epidemie klar und Experten werden ins Krisengebiet geschickt. Die Helfenden treffen auf eine erschreckende Lage: So viele Kranke, zu wenige Ärzte und Pfleger, zu wenig Material. Zudem ist Ebola hochansteckend. Die Kranken müssen isoliert werden – und oft kommt jede Hilfe zu spät. Erst im Herbst 2015 kann die WHO den Ebola-Ausbruch in Westafrika offiziell für beendet erklären.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Der Physiknobelpreisträger lebt zur Nazizeit längst nicht mehr in Deutschland, will auch kein Deutscher mehr sein - dennoch wird ihm zu Propagandazwecken die Staatsbürgerschaft aberkannt...
Albert Einstein gilt als einzigartiges Genie und berühmtester Wissenschaftler unserer Zeit. Doch der in Ulm geborene Physiker ist auch unbequem. Denn Einstein engagiert sich, tritt mutig für seine Überzeugungen ein. Als andere sich politisch arrangieren, zeigt er schon ein sensibles Gespür für die Entwicklungen, die sich im Deutschen Reich mit den Nationalsozialisten abzeichnen.
In den 1920er-Jahren sieht sich Einstein, Pazifist und Sozialist jüdischer Herkunft, immer mehr antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Nach der Machtübernahme Hitlers kehrt er von einer Lehrveranstaltung in den USA nicht mehr nach Deutschland zurück - dort werden seine Wohnung durchsucht und seine Schriften vernichtet. Seinem eigenen Antrag auf Ausbürgerung wird zunächst nicht stattgegeben. Stattdessen wird Einstein ein Jahr später, am 24. März 1934, die deutsche Staatsbürgerschaft per Strafausbürgerung aberkannt.
Bis zu seinem Tod 1955 engagiert sich Albert Einstein in seinem amerikanischen Exil für andere Zwangsemigrierte, kämpft für seinen Traum von einer Welt ohne Krieg und Konflikte.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Als der Erfolgsautor August von Kotzebue am 23.3.1819 getötet wird, halten Teile der deutschen Öffentlichkeit das für eine gute Nachricht: Sie irrten sich.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gärt es in Deutschland: Nach dem Ende des Napoleonischen Zeitalters mit der Schlacht bei Waterloo soll alles so werden wie früher - sagen die Herrscher der vielen kleinen deutschen Länder. Andere, darunter viele Studenten, wollen hingegen eine neue politische Ordnung, träumen von einem vereinten Deutschland.
Beim Wartburgfest 1817 werfen Studenten Bücher von angeblich reaktionären Autoren in die Lagerfeuer. Unter ihnen: "Geschichte des deutschen Reiches", ein konservatives Geschichtsbuch von August von Kotzebue. Und einer, der das alles mit heißem Herzen begleitet, ist der Theologiestudent Karl Ludwig Sand. Sein Hass geht so weit, dass er zwei Jahre später August von Kotzebue in dessen Wohnzimmer erdolcht.
Dabei ist August von Kotzebue eigentlich Theaterautor, sogar der erfolgreichste seiner Zeit. Aber er ist eben auch ein politischer und gesellschaftlicher Provokateur. Mit seinem Spott bringt er die politisch progressiven Kräfte gegen sich auf, allen voran die Burschenschaftler und damit Studenten wie Karl Ludwig Sand.
Ein Jahr nach der Ermordung Kotzebues wird der Attentäter auf dem Schafott hingerichtet. Eine fast hysterisch aufgeheizte Menge feiert ihn dabei als Helden. Politisch bringt die Tat jedoch nicht mehr Freiheit, sondern durch die "Karlsbader Beschlüsse" 1819 Jahrzehnte der konservativen Restauration.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Als am 22.3.1974 der Bundestag das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 Jahre senkt, werden in der BRD aus rund 2,5 Millionen Jugendlichen junge Erwachsene.
Endlich können sie ihre Ausgehzeiten oder auch die Haarfarbe selber bestimmen: 1974 werden 2,5 Millionen Jugendliche mit einem Schlag zu Erwachsenen. Mit Absenkung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre können sie nun selber entscheiden, was sie einkaufen - oder auch selber Verträge unterschreiben.
Damals ist die Jugend in Deutschland noch - anders als heute - in der Mehrheit. Die Herabsenkung auch des Wahlalters auf 18 bedeutet plötzlich 2,5 Millionen neue Wählerinnen und Wähler in der BRD. In der damaligen DDR ist das Wahlalter bereits seit den 1950er Jahren auf 18 herabgesetzt.
Doch mit dem neuen Volljährigkeitsalter bleiben die alten Abhängigkeiten bestehen. Viele junge Erwachsene befinden sich mit 18 Jahren noch in der Ausbildung und wohnen weiterhin zu Hause.
Und auch heute bleibt die alte Frage: Was ist der richtige Weg, um junge Menschen in die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft einzubeziehen? Dabei wird heute eine Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre diskutiert. Bei einigen Kommunal- und Landtagswahlen gilt sie bereits, ebenso bei der Europawahl. Zu allen Zeiten gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wann ein Mensch reif ist zu wählen oder sich wählen zu lassen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anja Arp:
Frankreich ist im frühen 18. Jahrhunderts hoch verschuldet. John Law (Todestag 21.3.1729) verspricht mit einem Finanz-System Rettung. Nach großem Boom zerplatzt die Blase.
"Das Verlangen nach Gewinn ist das wahre Motiv für das Vertrauen." So lautet der Schlüssel des Finanz-Systems, das der schottische Nationalökonom John Law zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelt. Gold und Silber, so seine Überzeugung, lähmten die Wirtschaft, Papiergeld dagegen bringe sie zum Boomen. Law verkauft das Papiergeld als Wunderwaffe gegen die immer häufiger anzutreffende galoppierende Staatsverschuldung.
Law kombiniert die Ideen zu verschiedenen Papiergeldsystemen, die in Europa kursieren. Grund und Boden erscheinen ihm dabei die ideale Deckung für das zirkulierende Papiergeld. Die Aktienkurse der 1717 gegründeten "Mississippi-Gesellschaft", gedeckt durch Grund und Boden in der Kolonie Louisiana, schnellen in die Höhe.
Doch 1720 wird offenkundig, dass Louisiana kein El Dorado ist. Das Vertrauen der Anleger, das Herzstück des Law`schen Systems, sinkt. Es kommt zum Desaster. Law ist weit über das Ziel hinausgeschossen. Er hat den Markt nicht nur mit Aktien überschwemmt, sondern auch mit Papiergeld.
Am 21. März 1729 stirbt John Law an einer Lungenentzündung. In den Augen der Nachwelt bleibt sein Ruf skandalumwittert. Für viele Wirtschaftswissenschaftler ist er aber weiter ein Ideengeber und experimentierfreudiger Vorläufer moderner Finanzsysteme.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Sport und Spiele verspricht die Pionierorganisation, deren Gründung am 20.3.1949 in Ostberlin gefeiert wird. Doch Teilnahme ist Pflicht, Ziel ist die Treue zur DDR.
Die Gründungsfeier der Jungen Pioniere findet am 20. März 1949 im Berliner Friedrichstadtpalast statt - ein halbes Jahr vor der Gründung der DDR. Offiziell besteht die Aufgabe der Jungen Pioniere von Anfang an darin, am Aufbau des real existierenden Sozialismus in der DDR mitzuwirken. In der Praxis sieht diese Arbeit aber harmloser aus. Zumeist werden bei offiziellen Anlässen Gedichte aufgesagt und Blumen überreicht.
Ein Gebot der Massenorganisation für Kinder lautet: "Wir Jungpioniere singen und tanzen, spielen und basteln gern." Tatsächlich aber geht es darum, schon Grundschüler mit einem "Wir"-Gefühl auf den Arbeiter- und Bauernstaat und seine Ideologie einzuschwören. Dazu gehört auch eine Art Uniform. Neben einer weißen Bluse trägt der Jungpionier bis zur vierten Klasse ein blaues Halstuch, um dann anschließend mit einem roten Halstuch zum "Thälmannpionier" aufzusteigen. Andere Jugendorganisationen sind in der DDR nicht zugelassen.
"Eins, zwei, drei. Es lebe die Partei" - 40 Jahre lang bejubeln die Jungen Pioniere unablässig die Staatsmacht. Dann geht der von ihnen besungene, bedichtete und betanzte real existierende Sozialismus eher sang- und klanglos unter.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Großadmiral, Marineminister, Strippenzieher. Einflüsterer des Kaisers, versessen nach Weltgeltung: die Karriere des eigentlich Bürgerlichen Alfred Tirpitz ist atemberaubend.
Alfred Tirpitz wird am 19. März 1849 als Sohn eines Rechtsanwalt in Küstrin an der Oder geboren. In der Schule noch gescheitert, kommt er 1865 durch einen Freund zur preußischen Marine. Für die Aufnahmeprüfung büffelt er wie nie zuvor, wird als Kadett genommen. Anschließend legt er einen kometenhaften Aufstieg hin: Leutnant zur See, Kapitänleutnant, Kapitän zur See.
Mit fünf Flottengesetzen von 1898 bis 1912 setzt der Admiral schrittweise den Bau von 61 Großkampfschiffen, 40 Kleinen Kreuzern, 144 Torpedo- und 72 U-Booten durch. Das deutsche Reich als ernsthafter Gegner der gewaltigsten Seemacht der Welt, England, das ist Tirpitz´ Ziel. Es beginnt ein verhängnisvolles Wettrüsten, das Deutschland klar verliert. Die Flotte, die viele Millionen gekostet hat, wird nie auch nur annähernd so groß wie die englische. Zudem befeuert sie die Feindschaft mit den Briten.
Mit Kriegsbeginn 1914 zeigt sich schnell: Tirpitz' Idee einer Abschreckung durch eine "Risikoflotte" ist ein Hirngespinst. Nur einmal kommt es zur erhofften großen Seeschlacht gegen England - diese geht im Mai 1916 Unentschieden aus. Tirpitz‘ Karriere als Admiral ist da bereits zu Ende. Seine Großkampfschiffe rosten fortan in ihren Häfen vor sich hin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Der Universal-Sammler Ferdinand Franz Wallraf: omnipräsent ist er in Köln mit seinen Hinterlassenschaften - und doch irgendwie nicht zu fassen. Er starb am 18.3.1824.
Geboren wird Ferdinand Franz Wallraf 1748 als Kind eines Schneidermeisters. Früh ist klar, dass Wallraf nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten wird. Stattdessen entscheidet sich der vielseitig interessierte Junge zunächst für den Lehrerberuf - und tritt dafür extra in den geistlichen Stand (Priesterweihe 1772) ein.
Im Laufe der Jahre macht sich Wallraf in vielfacher Weise einen Namen in seiner Heimatstadt Köln - unter anderem wirkt er als Gelehrter, Stadtreformer und Universitätspolitiker. Gleichzeitig prägt er durch seine ausgesprochen große Sammelleidenschaft auch das kulturelle Leben Kölns. Zunächst sind es vor allem Mineralien, die sein Interesse wecken, später sammelt er auch Münzen, Kunstwerke sowie Bücher.
Am 18. März 1824 stirbt Ferdinand Franz Wallraf. All seine Sammlungen hinterlässt er der Stadt Köln. So ist sein Name auch 200 Jahre nach seinem Tod in der Rheinmetropole allgegenwärtig - an zahlreichen Orten, aber auch in Vorträgen, Diskussionen und Ausstellungen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Sie ist mitten drin bei der Französischen Revolution. Ihr Mann ist Innenminister, sie schreibt Texte für ihn. Dann kommt Madame Roland (geboren am 17. März 1754) in Haft.
Marie-Jeanne Phlipon wird am 17. März 1754 in Paris geboren. Das begabte und wissbegierige Mädchen, liebevoll Manon gerufen, kann bereits im zarten Alter von vier Jahren lesen und interessiert sich früh für philosophische, geschichtliche und religiöse Themen.
Mit 25 Jahren heiratet Marie-Jeanne den 24 Jahre älteren Jean-Marie Roland de la Platière. Den Ausbruch der Revolution erleben die Eheleute in Lyon, und sie begeistern sich sofort für die neuen Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Anfang 1791 zieht die Familie nach Paris. Ihr Salon wird zum Treffpunkt vieler Führungspersönlichkeiten der Revolution - darunter Jacques-Pierre Brissot, Maximilien Robespierre oder François Buzot. Obwohl Madame Roland behauptet, sich immer im Hintergrund gehalten zu haben, gilt sie als eine führende Vertreterin der Girondisten und gerät im vierten Jahr der Revolution in den tödlichen Machtkampf mit dem radikalen, jakobinischen Flügel.
Nachdem Robespierre im April 1793 die Girondisten des Verrats an der Revolution beschuldigte, flieht ihr Mann aus Paris. Marie-Jeanne wird zusammen mit den girondistischen Abgeordneten verhaftet und am 8. November öffentlich hingerichtet. Im Angesicht der Guillotine richtet Madame Roland ihre letzten Worte an die Pariser Freiheitsstatue: "Ach Freiheit, wie viele Verbrechen werden in deinem Namen verübt!"
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Babylon ist damals die größte und wohl prächtigste Stadt der Welt. Dessen König erobert im 6. Jahrhundert v.Chr. das kleinere Jerusalem - und verändert damit den Lauf der Religionsgeschichte...
Ab Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. erblüht Babylon zu immer größerer Pracht. König Nebukadnezar erobert immer mehr Staaten in der Region, die wir heute den "Nahen Osten" nennen. Unter ihnen auch das kleinere Königreich Juda. Doch irgendwann weigert sich das unterworfene Juda, Babylon Tribut zu zahlen.
Doch Nebukadnezar lässt sich das nicht bieten. Am 16. März 597 vor Beginn unserer Zeitrechnung erobert er die Stadt Jerusalem. Ein Ereignis, von dem auch das Alte Testament der Bibel berichtet: Jojachin, der König von Juda, sowie seine Familie und sein Hofstaat werden nach Babel verschleppt.
Nebukadnezar setzt zwar einen neuen König in Jerusalem ein, doch auch dieser lehnt sich auf. Deshalb steht der babylonische König nach einem Jahrzehnt erneut vor den Toren Jerusalems. Diesmal wird die Stadt und der Tempel zerstört und die Überlebenden als Sklaven nach Babel geschafft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Die Forschung von Franciscus Sylvius (geboren am 15.3.1614) ist nicht immer angenehm: Um den ph-Wert zu messen, kostet er Speichel oder Urin der Patienten mit der eigenen Zunge.
Franciscus Sylvius geht ab 1658 als Dozent und Doktor der Medizin an der berühmten Universität Leiden in Holland neue Wege. Mit seinen Studenten besucht er die Krankenstationen und denkt mit ihnen über die Ursachen all der Übel nach. Das ist neu: Normalerweise sollen Medizin-Studenten damals noch aus Büchern und nicht aus Erfahrungen lernen. Sylvius bedint sich dreierlei Arten von Erfahrungswissen - dem anatomischen, chemischen und praktischen.
Als Rektor der Universität Leiden beschäftigt er sich mit Körperflüssigkeiten, Verdauungsvorgängen, dem Aufbau des Nervensystems und des Gehirns. Und er gründet das erste chemische Laboratorium an einer europäischen Universität.
Dort forscht er zur Verdauung, dem Stoffwechsel, über Gärung und Fermentierung. Bei einem seiner zahlreichen Gärungs-Versuche mit Wacholderbeeren soll ein belebendes Getränk herausgekommen sein. Es soll sich dabei um eine frühe Form des Gins oder des Genever gehandelt haben. Als Erfinder der Getränke gilt Franciscus Sylvius dennoch nicht - auch andere vor ihm stellen diese Getränke her. Seine Patienten, die er mit seinem Wacholder-Gebräu kurieren will, düfte das nicht gestört haben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Die Erfindung der Maschine zur Entkörnung der Baumwolle, die am 14.3.1794 in den USA patentiert wird, hat weitgehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen.
Das Jahr 1794 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Baumwollverarbeitung in Amerika: die Erfindung der ersten Entkörnungsmaschine für Baumwolle, bekannt als "Cotton Gin", kurz für "Cotton Engine". Der Erfinder dieser Innovation ist der Amerikaner Eli Whitney.
Die kurbelbetriebene Walze der Maschine macht das mühsame und zeitaufwändige Entfernen der Baumwollkörner von Hand überflüssig. Die von Catharine Littlefield Greene finanzierte Innovation beschleunigt die Baumwollverarbeitung erheblich und macht den Baumwollanbau im Süden der USA rentabel.
Die Erfindung führt zu einer Revolution in der Baumwollindustrie: Der Baumwollanbau in den Südstaaten entwickelt sich zu einem Millionengeschäft. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung steigt jedoch auch der Bedarf an Arbeitskräften, was zur Ausweitung der Sklavenwirtschaft führt, die Spannungen zwischen den Nord- und Südstaaten verschärft und schließlich indirekt eine der Ursachen für den 1861 ausbrechenden Bürgerkrieg ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck
Die Schlacht von Badr am 13.3.624 ist ein Schlüsselereignis der frühen islamischen Geschichte. Der Sieg öffnet den Muslimen unter Mohammed den Weg nach Mekka.
Im Jahr 624 n. Chr. lebt Mohammed, der Prophet des Islam, mit seinen wenigen Anhängern in Medina. Wegen seiner aufrührerischen Reden vertreibt der mächtige Stamm der Quraisch ihn vorher aus seiner Heimatstadt Mekka. Diese Vertreibung, die Hiǧra, markiert den Beginn der islamischen Zeitrechnung im Jahr 622 n. Chr. Mohammeds Ziel aber bleibt die Rückkehr in seine Heimatstadt Mekka.
Der Prophet erfährt, dass die Quraisch mit einer Karawane von Syrien auf dem Weg zurück nach Mekka sind. Mit Gütern und Handelswaren, begleitet von dreißig oder vierzig Mann. Mohammed sieht eine militärische Chance, es beginnt die Schlacht von Badr. Darüber schreibt der muslimische Geschichtsschreiber Ibn Ishaq in der ältesten bis heute überlieferten Mohammed-Biographie.
Was mit einem Karawanenüberfall in Badr beginnt, wird zum Schlüsselereignis der frühen islamischen Geschichte. Zur Rettung ihrer Karawane rückt die gesamte Streitmacht der Mekkaner gegen Mohammed aus. Die Unterlegenheit der Muslime ist eindeutig: Sie zählen wenig mehr als 300 Mann, während die Mekkaner über eine Armee von 1.000 Mann, 100 Pferde und viele Waffen verfügen.
Doch Mohammeds Kämpfer besiegen die Übermacht, der Weg nach Mekka ist frei und die Schlacht von Badr wird als eine der ganz wenigen Schlachten sogar namentlich im Koran erwähnt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Sie gilt als Begründerin des Kolonialromans: Frieda von Bülow, gestorben am 12.3.1909, denkt und schreibt rassistisch, ihre Texte sind als historische Quellen zu sehen.
Frieda von Bülow wird 1857 in Berlin als erstes von fünf Kindern des Legationsrates Hugo Freiherr von Bülow und seiner Frau, Clotilde von Münchhausen geboren. Die ersten Lebensjahre verbringt sie in Smyrna, dem heutigen Izmir.
Als junge Frau wird von Bülow zur begeisterten Befürworterin der Kolonialidee. Befeuert wird diese Begeisterung in ihrer Beziehung zum Kolonialisten Carl Peters. Der Historiker Jürgen Zimmerer zählt Peters zu den großen Verbrechern der Deutschen Geschichte, "der als Amtschef am Kilimandscharo sowohl seine schwarze Geliebte als auch deren Verlobten aufhängen lässt, was im Kaiserreich zum veritablen Skandal führte, aber man nicht wahrhaben wollte, dass das koloniale System an sich strukturell diese Gewalt hervorbringt, sondern es ablenkte auf das Fehlverhalten einzelner."
Frieda von Bülow dagegen bezeichnet den brutalen Kolonialpolitiker als 'genialen' Mann, als den begabtesten Großmachtpolitiker. Sie gilt als Begründerin des Kolonialromans. Ihre Texte bringen den deutschen Leserinnen und Lesern, vor allem den Leserinnen, Afrika ins Haus und stellen Afrika als attraktive Erweiterung des Deutsches Reiches vor.
Als Schriftstellerin ist von Bülow heute nur noch als Quelle interessant. Ihre Texte strotzen vor Rassismus, Antisemitismus und völkischem Denken, gefällig verpackt in Liebes- und Abenteuergeschichten vor exotischer Kulisse.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Weimar: seit Goethe die deutsche Kulturhauptstadt schlechthin - mit allerdings sehr wechselhafter Geschichte. Erste urkundliche Erwähnung am 11.3.899.
Die Ambitionen Weimars, Kulturgeschichte zu schreiben, reichen zurück bis in die graue Vorzeit: In Weimar und Umgebung gibt es außergewöhnlich viele Funde aus der Altsteinzeit. Ins Licht der schriftlich verbrieften Geschichte tritt Weimar allerdings erst im 9. Jahrhundert.
Lange geht man von einer Ersterwähnung der Stadt im Jahr 975 aus und feiert 1975 stolz die Tausendjahrfeier Weimars. Später stellt sich heraus, dass die erste schriftliche Erwähnung bereits in einem Dokument stattfindet, das auf den 11. März 899 datiert ist.
Im Lauf seiner Geschichte wird Weimar zum geistigen Zentrum einer Zeit, die man später "Weimarer Klassik" nennen wird. Es entstehen Werke, die bis heute zur Weltliteratur zählen wie Goethes "Faust" und "Der Zauberlehrling" oder Schillers Dramen "Wilhelm Tell" und "Maria Stuart". Etwa ein halbes Jahrhundert dauert das Goldene Zeitalter der Stadt.
Heute steht Weimar vor allem für die Goethezeit, die Weimarer Klassik. Aber es steht auch für die klassische Moderne und für das Bauhaus. Politisch ist Weimar mit der ersten deutschen Republik genauso verknüpft wie mit ihrem Scheitern. Buchenwald, das größte Konzentrationslager auf deutschem Boden, lag in der Nazizeit auf einem Hügel bei Weimar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Am 10. März 1959 beginnt der Aufstand in Tibet, der von chinesischen Truppen blutig niedergeschlagen wird. Der Dalai Lama floh verkleidet aus seinem Palast.
Der 10. März 1959 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Tibets: Tausende Tibeter versammeln sich vor dem Potala-Palast in Lhasa, um gegen die chinesische Herrschaft zu protestieren. Die chinesischen Behörden reagieren auf die weitgehend friedlichen Proteste mit brutaler Gewalt: Tausende Tibeter werden im Laufe der Demonstrationen getötet.
"An diesem Gedenktag erinnern wir daran, dass wir für eine gerechte Sache kämpfen. Aus spiritueller Sicht ist es wichtig, mit einem guten Herzen zu denken und zu handeln. Aus konventioneller, weltlicher Sicht geht um Gerechtigkeit und Wahrheit." (Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama).
Der Aufstand soll langfristige Auswirkungen auf Tibet haben: Die chinesische Regierung verstärkt ihre Kontrolle, fördert die Han-Chinesische Einwanderung und unterdrückt die tibetische Kultur, was zu anhaltendem Widerstand und internationalen Protesten führt. Bis heute prägt dieser Tag die Diskussionen um Tibets Autonomie und Menschenrechte.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Taras Schewtschenko (geb. am 9.3.1814) begründet die moderne ukrainische Literatur. Russische Herrscher werden bei ihm zu Witzfiguren: Kritik, für die er einen hohen Preis zahlt.
Taras Schewtschenko, auch „Vater der Nation“ genannt, ist ein ukrainischer Dichter, Schriftsteller und Maler. Als künstlerischer Visionär und Verfechter der Freiheit setzt er sich leidenschaftlich für die Bewahrung der ukrainischen Identität ein.
Schewtschenko wird 1814 in der Ukraine geboren und erlebt als Bauernsohn zunächst die Härten der Leibeigenschaft. Schon früh findet er seinen künstlerischen Ausdruck in Gedichten und Gemälden. Er engagiert sich auch politisch: In seinen Werken kritisiert er vehement die Unterdrückung der ukrainischen Identität und prangert die sozialen Ungerechtigkeiten unter der Zarenherrschaft an. Dafür wird er inhaftiert, verbannt und mit einem Schreibverbot belegt.
Bis heute eine Schlüsselfigur der ukrainischen Kulturgeschichte, hat Taras Schewtschenko künstlerisches Schaffen und politisches Engagement die Entwicklung der modernen Ukraine nachhaltig beeinflusst.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Der Schah ist gerade gestürzt, da erlassen die islamischen Revolutionäre um Khomeini ein Schleiergebot. Irans Frauen protestieren zu tausenden.
Unmittelbar nach der Islamischen Revolution, die zur Umwandlung des Landes in eine theokratische Republik unter der Führung von Ayatollah Ruhollah Khomeini führte, gehen am 8. März 1979 erneut zehntausende Frauen im Iran auf die Straße. "Wir haben gegen eine Diktatur gekämpft, wir wollen keine andere", skandieren die Frauen an diesem Tag.
Nach dem Umbruch unterdrückte das neue religiöse Regime viele fortschrittliche und feministische Gruppen, die gegen das Schah-Regime gekämpft hatten. Frauenrechte werden eingeschränkt, ein Kopftuchzwang eingeführt und konservative islamische Gesetze umgesetzt. Khomeini hat sie alle getäuscht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Am 7.3.2009 startete eine Nasa-Rakete mit dem Weltraum-Teleskop "Kepler" ins All. Und mit ihr die uralte Frage: Ist der Mensch allein im Universum?
Jahrtausende lang glauben die Menschen, die Erde sei im Zentrum des Kosmos - umrundet von sieben Planeten: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Doch Mitte des 16. Jahrhunderts kickt Nikolaus Kopernikus die Erde aus dem Mittelpunkt. Seine Himmelsbeobachtungen beweisen: Die Sonne steht im Zentrum, die Erde ist lediglich ein Planet und umrundet die Sonne wie die anderen Planeten. Allein der Mond kreist um die Erde.
Mit immer größeren Teleskopen entdecken Astronomen später zwei zusätzliche Planeten, Uranus und Neptun. Und schieben auch die Sonne aus der kosmischen Mitte an den Rand unserer Galaxie, der Milchstraße. Auch dieser nehmen sie schließlich ihre Einzigartigkeit: Sie ist nur eine von Abermilliarden Galaxien in einem schier unfassbar riesigen Universum.
Damit wird eine Frage immer drängender: Sind wir allein im Universum? Die Suche nach Planeten ist eine große Herausforderung. Denn Planeten produzieren selbst keine Energie, sondern reflektieren nur schwach das Licht ihres Sterns. Bei Planeten außerhalb unseres Sonnensystems helfen da nur Weltraum-Teleskope. Eins davon ist am 7. März 2009 ins All gestartet und trägt den Namen "Kepler".
Es liefert bis 2018 Daten. Seit Ende 2021 ist das erheblich stärkere James-Webb-Weltraum-Teleskop im Einsatz. Gefunden worden sind bisher Planeten, doch alle sind Lichtjahre entfernt - bisher unerreichbar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Vom U-Boot-Kapitän zum Pfarrer und Pazifisten. Vom Nationalisten und NSDAP-Wähler zum Widerstandskämpfer. Am 6. März 1984 stirbt in Wiesbaden der Theologe Martin Niemöller.
Vom protestantisch-nationalistischen Elternhaus, über den Militärdienst und das spätere Theologiestudium, hin zur politischen Opposition, zum Pazifismus und zum Widerstand gegen die atomare Aufrüstung. Es entsteht das Bild eines bewegten Lebensweges.
Der 1892 geborene Martin Niemöller ist zunächst Anhänger der Nazis, wandelt sich aber zum entschiedenen Gegner. Wegen seines Widerstands gegen die Nationalsozialisten wird Niemöller 1937 verhaftet und inhaftiert. Sieben Jahre verbringt er in verschiedenen Konzentrationslagern, unter anderem in Dachau und Sachsenhausen.
Als Ikone des deutschen Widerstands und des linken Protestantismus bekannt, werfen seine antisemitischen Ansichten vor 1933 und nach 1945 jedoch Fragen auf.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Der preußische Generalfeldmarschall Alfred Graf von Waldersee befehligt die brutale Niederschlagung des "Boxeraufstandes" in China. Am 5.3.1904 stirbt er in Hannover.
Ende des 19. Jahrhunderts beuten die europäischen Kolonialmächte China aus, wo sie nur können. Die Chinesen werden im eigenen Land als Menschen zweiter Klasse behandelt, willkürliche Gewalt durch die europäischen Ausländer gehören zur Tagesordnung. Das wollen sich einige chinesische Kampfkunstschüler im Sommer 1900 nicht länger gefallen lassen. Beim sogenannten "Boxeraufstand" schaffen sie es, das Gesandtschaftsviertel der Hauptstadt mit seinen 3.300 Diplomaten für 55 Tage zu belagern.
Die Reaktion der Kolonialmächte fällt massiv aus: Deutschland holt den 70-jährigen Kommandeur Alfred Graf von Waldersee aus dem Ruhestand und schickt ihn gen Osten. Kaiser Wilhelm II. verabschiedet die deutschen Truppen mit den Worten: "Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht, dass auf 1.000 Jahre hinaus kein Chinese es mehr wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen." Der kaiserliche Aufruf geht als Hunnenrede in die Geschichte ein und verstößt schon damals gegen gültiges Völkerrecht.
Als die deutschen Truppen in China ankommen, ist der Aufstand niedergeschlagen. Dennoch kennt Alfred Graf von Waldersee keine Gnade: Auf der Suche nach untergetauchten Belagerern zerstören seine Soldaten ganze Dörfer, vergewaltigen Frauen und plündern im großen Stil. Wie viele tausende Chinesen und Chinesinnen bei diesen Rachefeldzügen ums Leben kommen, ist nicht bekannt. Alfred Graf von Waldersee kehrt als gefeierter Held aus China zurück und stirbt am 05. März 1904.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi :
"Mutter Ey", geboren am 4.3.1864 als Johanna Stocken in eine arme Familie in Wickrath, wurde zur Galeristin und Förderin deutscher Avantgarde-Künstler – und zur damals wohl meistgemalten Frau Deutschlands...
Der Vater ist ein gewalttätiger Alkoholiker und auch der Ehemann entpuppt sich als Säufer: Die am 4. März 1864 geborene Johanna Ey fristet lange ein freudloses Leben. Das ändert sich erst, als sich der Gatte aus dem Staub macht und sie aus der Not heraus eine kleine Backstube in der Nähe der Düsseldorfer Kunstakademie betreibt. Ihr Laden wird zum beliebten Treff der kreativen Kunststudenten und Künstler – auch weil sie großzügig Kredite gewährt, wenn diese mal wieder knapp bei Kasse sind.
Noch während des Ersten Weltkriegs öffnet Johanna Ey eine Galerie, in der sie Blumenstillleben oder Landschaften von Akademie-Professoren anbietet. Als sie die ersten Bilder von Malern der Gruppe "Junges Rheinland" sieht, ist sie begeistert. Sie sind so ganz anders als die Werke der traditionellen Schule. Bald hängen in ihren Räumen nur noch Bilder der jungen Künstler, die mit den hergebrachten Konventionen brechen. Johanna Eys Galerie wird zum Zentrum der rheinischen Avantgarde. Max Ernst hat hier seine erste Einzelausstellung.
"Es wurde für mich eine herrliche, schöne Zeit, da ich diese geistig wertvollen Künstler um mich hatte", erinnert sich Johanna Ey später. Auch die Künstler sind fasziniert von der mütterlichen Galeristin und zücken ständig ihre Stifte, um sie zu porträtieren. So wird Johanna Ey zur meist gemalten Frau dieser Zeit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Die Grand Dame des französischen Theaters Ariane Mnouchkine wird am 3.3.2024 85 Jahre alt. Seit 60 Jahren leitet sie das 1964 von ihr gegründete Pariser Theatre du Soleil.
Ich wünsche jedem Mädchen einen Vater, wie ich ihn hatte, erzählt Ariane Mnouchkine einmal. Er habe sie ermutigt, niemals auch nur in Erwägung zu ziehen, dass sie nicht erreichen könne, was sie wolle. Der Vater, ein aus Russland emigrierter Filmregisseur, vermittelt seiner Tochter zudem Leidenschaft, Leistungsbereitschaft und Selbstvertrauen und schickt sie in die Welt.
Nach dem französischen Abitur geht Ariane Mnochkine zunächst zum Studium nach Oxford, dann auf eine Asienreise. Dort lernt sie das Nô und das Kabuki Theater kennen, den indischen Tanz, das Spiel mit Masken, Feuerspektakel und Massenszenen. Inspirationen für ihre späteren Inszenierungen. Denn nun steht fest: Die 25-Jährige will selbst Theater machen und gründet das "Théâtre du soleil". Die unkonventionelle Compagnie sorgt bald für Aufsehen: Sie spielen in einem Zirkuszelt, improvisieren auf der Bühne und leben als Kollektiv zusammen.
Der Durchbruch kommt 1970 mit dem Stück "1789". Das "Théâtre du soleil" ist mittlerweile in eine ehemalige Munitionsfabrik am Stadtrand von Paris gezogen. Gespielt wird auf fünf Bühnen, oft gleichzeitig – gemeinsam mit dem Publikum, das die Bevölkerung während der Revolution verkörpert. Theater als ein alle Sinne umfassendes Spektakel, das wird zum Markenzeichen von Ariane Mnouchkine. Ihre Themen sind immer hochpolitisch – von der Revolution bis zur Lage der Geflüchteten.
Sie selbst versucht ihr Theater so gerecht wie möglich zu leiten. Bis heute verdient jeder den gleichen Lohn, egal ob Direktorin, Maskenbildnerin oder Schauspielerin. 2019 wird Ariane Mnouchkine für ihr Lebenswerk mit dem Kyoto Preis geehrt, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Kunstschaffende weltweit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Carl Schurz (geboren am 2.3.1829) Leben war abenteuerlich und einzigartig. Als Revolutionär von 1848 gelang ihm nach seiner Flucht aus Deutschland eine einmalige Karriere in den USA.
Carl Schurz, Lehrersohn als dem rheinischen Erftstadt, findet schon als junger Student Gefallen am Freiheitsgedanken. Zusammen mit seinem Bonner Professor Gottfried Kinkel beteiligt er sich 1848 und 1849 an der Revolution – und scheitert mit ihr. Einer drohenden Hinrichtung kann er durch eine spektakuläre Flucht entgehen. Später gelingt es ihm sogar, Kinkel aus dem Gefängnis zu befreien.
Zugleich wird Carl Schurz klar: Europa ist noch nicht reif für die Demokratie. So zieht es ihn auf die andere Seite des Atlantiks, wo weder Kaiser noch Könige regieren. Dort unterstützt er Abraham Lincoln und kämpft im Bürgerkrieg mit einer deutschstämmigen Truppe für die Befreiung der Sklaven. Danach nimmt seine politische Karriere so richtig Fahrt auf, erst als Senator, dann als Innenminister.
Carl Schurz stirbt 1906 in den USA als hoch verehrter Politiker. Ein Jahrhundert später sehen Historiker sein Wirken kritischer, vor allem im Hinblick auf seinen Umgang mit den indigenen Bewohnern und Zugeständnissen an die rassistische weiße Elite. Aufgrund dieser Debatte hat Bundespräsident Steinmeier im Mai 2022 eine Ehrung für Carl Schurz im Schloss Bellevue abgesagt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Reinartz:
Friedrich August III., Kurfürst von Sachsen, will unbedingt einen echten Raffael haben. Am 1.3.1754 schaffen seine Kunst-Agenten ein berühmtes Werk über die Alpen.
Der italienische Maler Raffael ist noch keine 30 Jahre alt, als ihm Papst Julius II. im Sommer 1512 einen Auftrag erteilt: Ein großes Gemälde, ein Geschenk für den Hochaltar der Klosterkirche San Sistro in Piacenza. Der Ort in der Lombardei ist gerade von den französischen Eroberern befreit worden und wieder an den Kirchenstaat zurückgefallen – dieser Anlass soll in prächtiger Kunst verewigt werden.
Auf dem Bild trägt die Sixtinische Madonna das Jesuskind zur Erde. An ihre Seite sind der heilige Sixtus und die heilige Barbara zu sehen. Die beiden müssen mit aufs Bild, weil das Kloster ihre Reliquien besitzt. Am vorderen Rand lümmeln zwei Putten, pummelige Engelchen mit bunten Flügeln und aufgestütztem Kinn.
Heute sind es wohl die berühmtesten Engel der Welt, millionenfach gedruckt und fotografiert. Raffaels Sixtina verbindet das vermeintlich Unvereinbare: feierliche Erhabenheit und Humor.
Mehr als 200 Jahre nach der Entstehung des Bildes will Kurfürst Friedrich August III., ein Sohn August des Starken, seinen Hof in Dresden mit einem Raffael schmücken. Dafür schickt er eigens einen Kunstkenner nach Italien, um zu verhandeln. Es wird teuer und langwierig. Doch schließlich gibt es eine Ausfuhrgenehmigung.
Fünf Wochen dauert die winterliche Reise über die Alpen. Doch als das Gemälde endlich in Dresden ankommt, ist die Freude darüber verhalten. Es sei ja gar kein richtiges Weihnachtsbild, es fehlten darauf Krippe, Esel und Hirten. Erst Jahrzehnte später rückt das Werk ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Aus Kunst wird Kult.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Jetzt reicht´s! Nina Simone erträgt den alltäglichen und tödlichen Rassismus nicht mehr – und komponiert in 20 Minuten einen Protestsong, der niemanden kalt lässt...
"Ich hoffe, dass der Tag kommt, an dem ich mehr Liebeslieder singen kann, wenn das Bedürfnis, Protestlieder zu singen, nicht mehr ganz so zwingend ist", sagt Nina Simone einmal. Sie hofft vergeblich. Geboren 1933 als Eunice Kathleen Waymon, erkennt die schwarze Community in North Carolina früh ihr Ausnahmetalent und fördert das Mädchen aus einfachen Verhältnissen.
Doch auch die Musik kann das Mädchen nicht vor rassistischen Erfahrungen schützen. Bei einem ihrer Konzerte werden ihre Eltern wegen ihrer Hautfarbe in die hinterste Reihe geschickt. Da sie gerade einmal zwölf Jahre alt.
Als Nina Simone im April 1963 ihr erstes Konzert in der Carnegie Hall gibt, sind die Zeiten noch ungemütlicher für Schwarze: Es gibt Massenverhaftungen und immer wieder von der Polizei niedergeknüppelte Proteste. Dann ermordet ein weißer Rassist den schwarzen Bürgerrechtler Medgar Evers. Wenige Wochen später werden bei einem Bombenattentat des Ku-Klux-Klans auf einen Gottesdienst vier afroamerikanische Mädchen getötet.
Es reicht, findet die nunmehr 30-jährige Nina Simone und komponiert wütend "Mississippi Goddam". Ihre Botschaft: "Wir haben zu lange gelitten. Das ganze Land geht zugrunde." Im Februar 1964 singt sie das Lied zum ersten Mal live in einem Club in New York. "Mississippi Goddam" wird sofort stürmisch gefeiert und avanciert zum Protestsong der Bürgerrechtsbewegung.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Er gilt als "Shakespeare von Hollywood": Ben Hecht (geboren am 28.2.1894) ist der wohl berühmteste Drehbuchautor der Traumfabrik. Dabei sieht er die Arbeit kritisch.
Ben Hecht gilt in den 1930er-Jahren in Hollywood als Superstar unter den Drehbuch-Autoren. Er ist ein Meister darin, verworrene Handlungsfäden aufzudröseln, einen ausufernden Plot zu straffen und lebendige Dialoge zu verfassen. Außerdem schreibt er schneller als alle anderen.
Darum ist Hecht genau der Richtige, um das Drehbuch von "Vom Winde verweht" zu überarbeiten. Denn die Dreharbeiten laufen im Februar 1939 bereits drei Wochen, als klar ist: Ein neues Skript muss her! So wird Hecht zum Retter des bis dahin aufwendigsten und spektakulärsten Films der Traumfabrik.
Insgesamt liefert er zu rund 60 Filmen die Ideen, Plots und Dialoge. Weitere 50 Drehbücher verbessert er als "script doctor". "Scarface", "Design for Living", "Notorious" und "Extrablatt" sind nur die berühmtesten Filme, die nach Vorlagen von ihm entstehen.
Sechsmal wird Hecht für den Oscar nominiert, zweimal gewinnt er ihn. Der effektivste - und teuerste - Autor Hollywoods hat allerdings immer ein gespaltenes Verhältnis zur US-Filmfabrik. Er sieht sich als ernsthafter Autor von Kurzgeschichten, Romanen und Theaterstücken. Der Arbeit für den Film misst er keine große Bedeutung bei.
Vom schnell verdienten Geld aus der Traumfabrik finanziert er seine weit weniger ertragreiche literarische Produktion. 1964, mit 70 Jahren, stirbt Ben Hecht in New York an Herzversagen - mitten in der Arbeit am Skript für die James-Bond-Verfilmung "Casino Royale".
In diesem Zeitzeichen erzählt Christine Kopka:
Wie kommt es zur "Sündflut", die als Jahrtausend-Hochwasser in die Geschichte eingeht und vor dem sich auch der junge Beethoven in Bonn aus dem Fenster retten muss?
Im Sommer 1783 kommt es auf Island zu einem der größten und längsten, vor allem aber folgenreichsten Vulkanausbrüchen der jüngeren Erdgeschichte - mit Auswirkungen auch auf Deutschland. Neben Lava und Aschen treten fluor- und schwefelhaltige Gase aus, die in weiten Teilen der Welt nicht nur die Luft verpesten, sondern auch die Sonneneinstrahlung reduzieren.
In der Folge kommt es im Herbst 1783 in Mitteleuropa zu einer merklichen Abkühlung. Der folgende Winter wird eisig: In Heidelberg werden minus 30 Grad gemessen, Rhein und Neckar frieren zu. Und die Kälte nimmt kein Ende, selbst in Köln soll die Schneedecke eineinhalb Meter hoch sein. Viele Menschen frieren und hungern, denn ihnen gehen die Vorräte aus.
Im Februar kommt die Wärme zurück - allerdings viel zu schnell. Aschermittwoch 1784 kommt es zur "Sündflut": Schmelzwasser und Eisschollen bewegen sich erst langsam, dann immer schneller flussabwärts. Das Eis bildet immer größere Barrieren, Täler laufen voll Wasser, Häuser versinken in den Fluten.
Auch in Bonn sind die Schäden dramatisch. In der Bonner Altstadt liegt die Scheitelwelle bei 14,73 Metern. Sie erreicht schließlich in der Rheingasse 7 auch die im 2. Stock gelegene Wohnung der Familie van Beethoven. Über eine Leiter aus einem Fenster in den Hinterhof können sich die Eltern und ihre zwei Söhne gerade noch retten.
Ludwig van Beethoven, damals 13 Jahre alt, ist bereits bekannt als Konzertpianist. In welcher Gefahr er geschwebt hat, erfährt die Öffentlichkeit erst nach seinem Tod aus den 1838 veröffentlichten Aufzeichnungen des Vermieters der Familie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
In NS-Gefangenschaft erhält er den Friedensnobelpreis: Der Autor Carl von Ossietzky kommt im Februar 1934 ins KZ Esterwegen, die Folter dort zerstört ihn.
Carl von Ossietzky wird am 3. Oktober 1889 in Hamburg geboren. Schon vor dem Ersten Weltkrieg ist er Pazifist. Für ihn gehören Pazifismus und Humanismus zusammen. In den 1920er Jahren schreibt er in vielen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften gegen den Militarismus, gegen den Nationalismus, gegen die Feinde der Demokratie, die die Weimarer Republik bedrohten.
Er wird Herausgeber der berühmtesten kritischen Zeitschrift der Weimarer Zeit, der "Weltbühne". Der bekannteste Autor neben ihm ist Kurt Tucholsky. Nach der Machtergreifung Hitlers wird Ossietzky von der Gestapo verhaftet. Im Februar 1934 kommt er ins KZ Esterwegen im Emsland - und wird dort, wie in anderen Lagern, misshandelt und gefoltert.
Ossietzky ist nicht nur der prominenteste Häftling des Lagers, sondern der bekannteste Gefangene des nationalsozialistischen Regimes überhaupt. Im Ausland startet eine Solidaritätskampagne von Regimegegnern, unter ihnen Willy Brandt, Albert Einstein, Thomas Mann, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bertrand Russell, Virginia Wolf, Aldous Huxley und viele andere.
1936 wird Ossietzky der Friedensnobelpreis verliehen, erstmals überhaupt in Abwesenheit des Preisträgers. Denn Ossietzky wird zu dem Zeitpunkt immer noch in Deutschland festgehalten. Ossietzky wird in der Folge "entlassen", als er in verschiedene Krankenhäuser verlegt wird - doch er bleibt unter strenger Bewachung. Er ist mittlerweile todkrank. Durch die Torturen seiner Gefangenschaft leidet er an Lungentuberkulose. Er stirbt am 4. Mai 1938.
In diesem Zeitzeichen erzählt Manfred Bonson:
Am 25.2.1899 stirbt der Agenturgründer Paul Julius Reuter in Nizza. Sein Einfluss auf die Informationsflüsse der Welt ist bis heute spürbar.
Paul Julius von Reuter wird 1816 als Sohn eines Rabbiners in Kassel geboren. Seine erste Investition in ein Verlagshaus geht nach hinten los: Während der Revolution von 1848/49 setzt Reuter auf die Publikation liberaler, prodemokratischer Pamphlete. Nach dem Scheitern flüchtet er nach Paris. Dort arbeitet er zunächst bei Havas, der ersten Nachrichtenagentur der Welt, eher er mit einem kleinen Pressedienst den Sprung in die Selbständigkeit wagt.
Reuter hat früh verstanden, dass es einen wirtschaftlichen Wert hat, wenn man eine Nachricht zuerst hat – und dass man daraus ein Geschäft machen kann, wenn man schneller ist als die Konkurrenz. Bei einem Aachener Tauben-Züchter mietet er etwa über 40 geflügelte Kuriere an, um die Telegrafenlücke zwischen Brüssel und Aachen zu überbrücken. Später wagt er den Sprung über den Ärmelkanal nach London. Dort baut er das Geschäft weiter aus, investiert etwa in ein eigenes Unterwasserkabel zwischen Irland und England.
Reuter ist schon zu seinen Lebzeiten ein Markenname. Und natürlich wird auch die Meldung seines Todes über die eigene Nachrichtenagentur verbreitet: "Baron von Reuter, der Gründer der Reuter-Agentur, ist heute Morgen in Nizza im 83. Lebensjahr verstorben. – Reuter."
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Die Frage ist nicht, ob Karl LaGrand und sein Bruder die Tat begangen haben. Die Frage ist, ob sie dafür sterben müssen - und das nach all diesen Jahren.
Marana, Arizona, 7. Januar 1982: Karl und Walter LaGrand wollen eine Bank überfallen . In der Aktentasche der Halbbrüder sind eine Spielzeugpistole, schwarzes Isolierband und Halstücher.
Als die Bankangestellte Dawn Lopez gegen acht Uhr zur Arbeit kommt, sieht sie Filialleiter Kenneth Hartsock mit einem Mann am Tresor stehen. Der 63-Jährige ist nicht in der Lage, ihn zu öffnen. Er kennt nur die Hälfte der Zahlenkombination. Hartsock und Lopez werden gefesselt und geknebelt.
Dann gerät die Situation außer Kontrolle. Der Filialleiter Hartsock wird mit einem Brieföffner tödlich verletzt. Auch auf die Bankangestellte Lopez wird eingestochen. Welcher der Brüder die Tat begeht, ist bis zum Schluss umstritten. Die deutsche Botschaft wird nie informiert. Dabei sind die beiden gar keine amerikanischen Staatsbürger, sondern besitzen den deutschen Pass. Beide werden wegen Mordes ersten Grades, versuchten Mordes, wegen bewaffnetem Banküberfall und Entführung zum Tode und gleichzeitig zu mehrfachen lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Erst 17 Jahre später sollen die Halbbrüder hingerichtet werden. Gegen die Hinrichtung der beiden Brüder gibt es weltweite Proteste - gegen die Todesstrafe, gegen die Vollstreckung nach all der Zeit und gegen die Missachtung des internationalen Konsularrechtsabkommen im Fall LaGrand. Doch die Proteste sind vergebens. Zuerst wird Karl LaGrand hingerichtet, wenige Tage später folgt sein jüngerer Bruder Walter.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Ihre Herrschaft in Münster ist kurz und brutal, sie beginnt am 23.2.1534: Die Täufer, so genannt wegen der Erwachsenentaufe, sind christliche Fundamentalisten.
Immer wieder findet das Thema der Wiedertäufer Eingang in die Arbeit von Schriftstellern, Komponisten und Künstlern: Die Täuferherrschaft liest sich wie Fiktion. Dennoch ist sie eine brutale Realität während der Reformationszeit im 16. Jahrhundert. Radikale Täufer übernehmen die Kontrolle über die Stadt Münster, ihre führenden Persönlichkeiten: Jan van Leiden, Jan Matthys und Bernd Knipperdolling.
Inspiriert von apokalyptischen Ideen predigen sie extreme soziale Veränderungen, die zu Spannungen mit anderen religiösen Gruppen und der Gesellschaft führen. Sie wollen nichts weniger als die eine, reine Stadt Gottes errichten und setzen dafür eine rigide moralische Ordnung durch.
Das Ende der Täuferherrschaft wird von harten Strafen begleitet. Die Anführer werden hingerichtet und in eisernen Käfigen zur Abschreckung aufgehängt. Noch heute sind die Käfige an der Münsteraner Lambertikirche zu sehen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Am 22.2.2014 wird Joaquín Guzmán, auch bekannt als El Chapo, festgenommen, was zunächst als bedeutender Erfolg der Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen in Mexiko gilt...
El Chapo, mit bügrerlichem Namen Joaquín Guzmán, schafft einen rapiden Aufstieg zum mächtigsten und gefährlichsten Mann Mexikos. Als Boss des Sinaloa-Drogenkartells, ist er nicht nur verantwortlich für Tausende von Toten, sondern inszeniert sich auch als Wohltäter, der in soziale Projekte investiert. Sein Image als rebellischer und vielbesungener Volksheld wird durch geschickte Propaganda geformt. Seine spektakulären Gefängnisausbrüche machen ihn zur Legende.
In der Geschichte von El Chapo verschmelzen die Rollen des Wohltäters, Rebellen, Drogenbosses, Mörders und Propagandisten zu einem komplexen Bild mit vielen Graubereichen. Sie ist aber auch eine Geschichte von Korruption und Macht, Armut und Reichtum. Guzmáns kriminelle Aktivitäten offenbaren eine düstere Realität Mexikos: schmutzige Allianzen mit Regierungsbeamten, Ausnutzen sozialer Ungerechtigkeiten. Gleichzeitig verdeutlicht El Chapos Aufstieg die tief verwurzelte Armut, die Menschen in den illegalen Drogenhandel treibt. Sein Leben zeigt, wie die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse, in einer Welt, in der Macht und Geld regieren, verschwimmen können.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Zunächst gilt er als Befreier von der britischen Kolonialmacht, dann wird Robert Mugabe, geboren am 21.2.1924, zum gefürchteten Gewaltherrscher in Simbabwe.
Es kostet viel Blut, die britische Kolonialmacht in Rhodesien loszuwerden. Sieben Jahre lang dauert der Krieg bis zu Befreiung, 25.000 Menschen sterben. Aus Nordrhodesien wird Sambia, aus Südrhodesien Simbabwe. Dort leistet Robert Mugabe im April 1980 seinen Amtseid.
Er sorgt für ein neues Schulsystem, baut das Gesundheitssystem aus und verbessert die wirtschaftliche Lage der Kleinbauern. Mugabe wird international gefeiert. Doch der Schein trügt: Innenpolitisch setzt Robert Mugabe bald alles daran, jede Art von Opposition zu bekämpfen. Mehrere Tausend Menschen werden getötet.
Obwohl die Unmut gegen ihn wächst, gewinnt der Premier jede Wahl – auch durch Wahlfälschung und durch politische Tricksereien. Mugabe regiert fast 38 Jahre lang. Doch dann überspannt er den Bogen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Mit Heinz-Erhardt-Programmen lassen sich bis heute Säle füllen. Geboren wurde der populäre Humorist am 20.2.1909 in Riga als Kind baltisch-deutscher Eltern.
Heinz Erhardt, deutscher Komiker, Musiker, Schauspieler und Lyriker, wurde durch seinen unverwechselbaren Humor berühmt. Wortwitz und pointierte Verse begeistern das Publikum in zahlreichen Bühnenprogrammen, Filmen und Fernsehauftritten.
Sein schelmischer Witz, die verschmitzte Schüchternheit und das Äußere des gemütlichen Spießers täuschen darüber hinweg: der Perfektionist Heinz Erhardt feilte stets mit Akribie an seinen Texten und seiner absichtlich unabsichtlich wirkenden Performance. Dabei ist sein Humor bisweilen durchaus hintergründig - wenn auch selten so politisch wie in diesem Gedicht aus der Nachkriegszeit:
Wascht nur in Unschuld eure Hände / Und greift, Kraft eigenen Ermessens / zum güt’gen Handtuch des Vergessens … / doch hilft das Waschen nicht und Reiben: / die Flecke bleiben.
Auch wenn Heinz Erhardt heute als Symbolfigur des harmlosen, einfach-nur-lustigen Wirtschaftswunderland-Humors gilt: Seine unverwechselbare Mimik und sein charmanter Vortrag machen ihn bis heute zu einem der beliebtesten Komiker im deutschsprachigen Raum.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Den Satz über Jogginghosen hat er nur sinngemäß gesagt: Karl Lagerfeld, gestorben am 19.2.2019, ist für manchen schrägen Spruch bekannt. Seine Mode ist weltberühmt.
Lagerfelds Karriere nimmt Fahrt auf, als er 1954 - da ist er erst 21 Jahre alt - einen renommierten Preis für Modedesign bekommt. Für die Skizze eines Damen-Mantels aus Merino-Wolle: zitronengelb, mit Dreiviertelärmeln und einer raffinierte Schnalle am Kragen. In der Jury sitzt Pierre Balmain, der den Deutschen gleich einstellt. Lagerfeld lernt das Schneiderhandwerk und sammelt Berufserfahrung in der Modewelt.
1963 wird Lagerfeld künstlerischer Direktor bei Chloé, parallel arbeitet er für Fendi in Rom. In den 1960er- und 1970er-Jahren gehört der Modedesigner zum internationalen Jet Set. Seine Kundinnen heißen: Brigitte Bardot, Mia Farrow, Maria Callas.
1983 bekommt Karl Lagerfeld ein Angebot von Chanel - den ultimativen Schub für seine Karriere. Er macht aus einem angestaubten Unternehmen eine Weltmarke mit Milliardengewinn. Das ist sein großes Talent: eine bestehende Marke dem Zeitgeist anpassen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anke Rebbert:
Dschingis Khans Enkel steht weit hinten in der Erbfolge. Trotzdem herrscht Kublai (gestorben am 18.2.1294) über eines der größten Imperien der Menschheitsgeschichte.
Mit knapp 50 Jahren wird Kublai Khan 1260 Herrscher des größten Weltreichs seiner Zeit. Es reicht vom Mittelmeer bis zum Pazifik. Doch das reicht ihm nicht. Er erobert das letzte verbliebene chinesische Königreich. Dadurch ist Kublai nun Großkhan der Mongolen und Kaiser von China.
Kublai ist seiner Zeit weit voraus. Er refomiert den chinesischen Staatsdienst. Er verbietet zum Beispiel, dass chinesische Mädchen in die Sklaverei oder die Prostitution verkauft werden. Und er lässt den veralteten Kaiserkanal - die längste von Menschenhand geschaffene Wasserstraße der Welt - modernisieren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayı:
Friedrich Alfred Krupp, geboren am 17.2.1854, macht das Unternehmen international erfolgreich. Die Umstände seines Todes sind nicht zweifelsfrei geklärt.
Am 17. Februar 1854 wird Friedrich Alfred, genannt: Fritz Krupp in Essen geboren. Er kränkelt oft, ist zurückhaltend und interessiert sich mehr für Kunst und Wissenschaft als für das Familienunternehmen. Als der Vater stirbt, wird Friedrich Alfred mit 34 Jahren Firmenchef - zur Überraschung vieler mit großem Erfolg. Er erweitert das Stahl-Unternehmen um Werften und Hüttenanlagen und schafft auf dem dünn besiedelten Landstrich in Duisburg-Rheinhausen einen der größten und modernsten Industriekomplexe seiner Zeit.
Als Kanonenproduzent, Freund und Förderer der kaiserlichen Flottenpläne und erklärter Deutschnationaler gerät Krupp ins Visier der Linken. Für sie ist der Firmenchef der Inbegriff des verhassten Kapitalisten und Ausbeuters. Immer öfter zieht sich Krupp auf die Insel Capri zurück, Ruhe findet er allerdings auch dort nicht.
Es kommen Gerüchte auf, Fritz Krupp pflege homoerotische Beziehungen zu jungen italienischen Männern. Der sozialdemokratische "Vorwärts" greift die Geschichte auf - eine Woche später wird Krupp tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Die offizielle Todesursache lautet "Gehirnschlag". Doch die Spekulation, der 48-Jährige habe Suizid begangen, hält sich bis heute.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Er zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schauspielern: Bruno Ganz, gestorben am 16.2.2019. Er glänzt in ganz unterschiedlichen Rollen - auch in einem Kinderfilm.
Bruno Ganz ist ein Meister seines Fachs. Seine Bühnenpräsenz und seine suggestive Art zu sprechen machen Aufführungen zu einem unvergesslichen Erlebnis. Der Schauspieler begeistert als Hamlet ebenso wie als Engel Damian in Wim Wenders' "Himmel über Berlin", als Adolf Hitler in "Der Untergang" oder als Almöhi in der Verfilmung des Schweizer Nationalepos "Heidi".
Geboren 1941 in Zürich, gilt seine erste Liebe dem Theater. Er bricht die Schule ab und nimmt Schauspielunterricht. 1962 geht er nach Deutschland, wo er mit Regisseuren wie Kurt Hübner, Peter Zadek und Peter Stein arbeitet. Der Film kommt vermehrt erst ab Mitte der 1970er Jahre dazu. Am Ende stehen über einhundert Produktionen - auch mit Hollywoodgrößen.
Seit 1996 ist Ganz Träger des Iffland-Rings und gilt damit als "würdigster Schauspieler deutscher Sprache". Am 16. Februar 2019 stirbt Bruno Ganz mit 77 Jahren an Krebs - bleiben werden seine Filme, seine Figuren und seine Stimme.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Die Karrieren von Adele oder Céline Dion, die Gänsehautmomente im Musical: Undenkbar ohne das Vorbild von Ethel Merman (gestorben am 15.2.1984) und ihre bahnbrechende Gesangstechnik...
"There’s no business like show business" - Ethel Merman hat diesen Song nicht nur jahrzehntelang gesungen, sie hat ihn auch gelebt. Sie ist eine der frühen Ikonen des Broadway-Musicals, die mit ihrer durchdringenden Stimme unzählige Bühnen-Hits prägt.
Die Frau, die ein ganzes Genre beeinflusst, wird 1908 als Ethel Zimmermann im New Yorker Stadtteil Queens geboren. Ihre Familie ist bodenständig, aber kulturbegeistert. Die Zimmermanns nehmen Ethel gerne mit zu Varieté-Shows, aber auch selbst Musik zu machen gehört zu ihrem Alltag. Schon mit fünf Jahren beginnt Ethel zu singen, ihr Vater begleitet am Klavier - gerne auch vor Publikum.
Sind es anfangs noch Amateur-Wettbewerbe oder Benefiz-Veranstaltungen, wechselt Merman schon bald in die großen Theater am Broadway. Hier landet die Musical-Queen eine erfolgreiche Hauptrolle nach der nächsten - lautstark und selbstbewusst. Mit ihren Männern hat Merman dagegen weniger Glück. Viermal ist sie verheiratet, alle Ehen zerbrechen. Ethel Merman stirbt am 15. Februar 1984 im Alter von 76 Jahren - von ihrem Mut zur Lautstärke können Frauen aber bis heute etwas lernen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Ein internationaler Star: Tänzerin, dazu Sängerin, erste Schwarze Hauptdarstellerin im Tonfilm. Und Josephine Baker kämpft gegen Rassismus, leistet Widerstand gegen die Nazis.
Mit der "Revue Nègre" wird Josephine Baker 1925 fast über Nacht zum gefeierten Star in Paris. Wie die amerikanische Tänzerin ihren kaum bekleideten Körper kühn verrenkt und schwingt, haben die Franzosen so noch nicht gesehen. Die Pariser Avantgarde ist begeistert, Josephine Baker verkörpert für sie die Moderne im Varieté. Die französische Sittenpolizei bemängelt indes, dass schwarze Haut kein Kostüm sei. Der erste schwarze Superstar ruft Bewunderung und Abscheu hervor.
So hält die Kirche in Wien Gottesdienste ab, um vor Josephine Bakers Tournee zu warnen. Die moralische Alarmierung nützt nichts, nun kaufen sich die Menschen erst recht Tickets für die Show. Das will man in München verhindern und strebt vorsichtshalber direkt ein Auftrittsverbot an. Als Gründe werden genannt: die Erfahrungen aus Wien, die Fastenzeit, und dass Josephine Baker nach den bisherigen Mitteilungen der Presse eine unberechenbare Person sei.
Das Auftrittsverbot in München ist für Josephine Baker eine weitere ihrer unzähligen rassistischen Erfahrungen, ihren Ruhm stoppt es allerdings nicht. Sie tanzt nicht nur auf den Bühnen der Welt, sondern tritt als Sängerin und Schauspielerin im Film auf und gilt bald als reichste "reichste Afroamerikanerin der Welt"
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock :
Er wird durch seine "Köpenickiade" berühmt: Wilhelm Voigt verkleidet sich als Hauptmann und raubt 1906 mit gutgläubigen Soldaten im Köpenicker Rathaus die Stadtkasse.
Am 16. Oktober 1906 fängt ein Hauptmann in grauer Uniform, der gerade von der Toilette kommt, einen kleinen Trupp ahnungsloser Soldaten in blauen Röcken ab. Er gibt den Männern den Befehl, mit ihm nach Köpenick zu fahren. Der Hauptmann ist nicht echt, sondern ein Ex-Zuchthäusler namens Wilhelm Voigt.
Im dortigen Rathaus beschlagnahmt Wilhelm Voigt gegen Quittung kurzerhand die Gemeindekasse - 3.557, 45 Pfennige. Nach heutigem Wert etwa 26.000 Euro. Er unterschreibt mit dem Namen seines letzten Gefängnisdirektors: von Malzahn.
Bürgermeister Langerhans und der Stadtkämmerer Rosenkranz werden vom Hauptmann verhaftet. Später lässt Voigt sie unter Bewachung mit Droschken nach Berlin zur Neuen Wache transportieren, wo man natürlich nichts weiß und sie frei lässt.
Zehn Tage lang kann Voigt untertauchen, bevor er geschnappt wird. Das Urteil: milde vier Jahre. Zu peinlich ist es für das preußische Staatsverständnis, dass ein ehemaliger Zuchthäusler solch ein Ding durchziehen kann.
Nach zwei Jahren begnadigt Kaiser Wilhelm II. den falschen Hauptmann. Mit 59 Jahren beginnt für Wilhelm Voigt die schönste Zeit seines Lebens.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Das Attentat trug zur Bildung des Mythos bei: Vor allem aber machen Lincolns (geb. 12.2.1809) Persönlichkeit und Verdienste ihn zu einem der größten US-Präsidenten aller Zeiten.
Abraham Lincoln gewinnt zwei Mal die Wahl zum Präsidenten der USA. Er wird als Mensch voller Empathie, voller Sympathie für Schwache, für die Zurückgebliebenen in der Gesellschaft, natürlich gerade für Sklaven und Schwarze in den USA beschrieben. Andererseits ist da der feste Wille Mitte der 1860er-Jahre den grausigen amerikanischen Bürgerkrieg durchzuziehen mit all den vielen Opfern.
Vier Jahre lang dauern die Kämpfe. Etwa 620.000 Menschen sterben. Zunächst scheinen die Südstaaten siegreich, mit einem neuen Heerführer gewinnt der Norden, Lincolns Union, aber manche Schlacht. Der Präsident sieht es als seine Pflicht an, sich der Opfer würdig zu erweisen.
Sie hätten eigentlich den Bestand der jetzt tatsächlich Vereinigten Staaten von Amerika geschaffen, die Demokratie erhalten. Ihr Werk wolle er vollenden. Das sagt Lincoln im Angesicht von Särgen und Pferdekadavern auf dem Schlachtfeld der kleinen Gettysburg in Pennsylvania.
Die Gettysburg-Rede gilt als Lincolns wichtigste Rede und eine der bedeutendsten in der Geschichte der USA.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Das Leiden ist seit dem Altertum bekannt: Die Staublunge. Seit dem 11.2.1929 gilt Silikose als Berufskrankheit, erkrankte Bergleute erhalten Geld aus der Versicherung.
Ab den 1920er-Jahren setzt eine sehr starke Mechanisierung des Steinkohlebergbaus ein. Wichtigste Werkzeuge sind der Presslufthammer und Sprengstoff, wobei sehr viel Staub entsteht.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Bergbau auf der Suche nach Kohle oder auch anderen Erzen immer tiefer in den Berg hinein gräbt. Das macht die Belüftung der Bergwerke immer schwieriger.
Schlechtere Belüftung plus sehr viel Staub bilden eine gefährliche Kombination im Hinblick auf die Silikose - oder auch Staublunge genannt.
Das Sozialversicherungssystem, wie wir es heute kennen, gibt es erst seit den 1880er-Jahren. Berufskrankheiten sind zunächst noch nicht versichert. Die erste Berufskrankheiten- Verordnung wird 1925 in der Weimarer Republik eingeführt.
Mit der zweiten Verordnung 1929 wird auch die Staublunge als Berufskrankheit anerkannt. Der 11. Februar 1929 wird zum Stichtag für die "schwere Staublunge".
Umgehend melden mehr als 14.000 Menschen ihre Beschwerden an. Doch nur wer buchstäblich bereits aus dem letzten Loch pfeift, darf auf Entschädigung hoffen. Mehr als 90 Prozent gehen damals leer aus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Am 10.2.1944 schreibt Petter Moen im Osloer Gestapo-Gefängnis seinen ersten Tagebucheintrag. Heimlich entsteht mühsam ein wichtiges Dokument, das niemanden kaltlässt.
Als die Nazis Norwegen überfallen, geht Petter Moen in den Untergrund. Der Mathematiker informiert in einer illegalen Zeitung über die Machenschaften der Deutschen und den Kriegsverlauf. Die Berichte hören er und seine Mitstreiter bei der BBC ab. Doch die Gestapo kommt ihnen auf die Schliche und Petter Moen wandert ins Gefängnis. "Bin zweimal verhört worden. Wurde gepeitscht". Das sind die ersten Einträge in dem ungewöhnlichen Tagebuch aus Toilettenpapier.
Mit einem Draht pickt Moen jeden Buchstaben sorgsam auf die einzelnen Blätter, die er im Lüftungsschacht unter seiner Pritsche versteckt. Nach Kriegsende werden die kleinen Rollen zu einem Zeugnis der Nazi-Gewaltherrschaft. Sie beschreiben beispielhaft die Ängste und Schmerzen von Nazi-Opfern; die Misshandlungen, die sie erfahren mussten. Petter Moen schreibt auch über seine Scham, weil er Weggefährten unter Folter verraten hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
"Die drei Räuber" - ein Kinderbuch als Westbestseller. Geschrieben und gezeichnet von Tomi Ungerer (gestorben am 9.2.2019). Seine Kunst, auch die für Kinder, war schonungslos und satirisch.
Mit 60 Dollar in der Tasche und einem Koffer voller Zeichnungen und Manuskripte, zieht Jean-Thomas Ungerer, genannt Tomi, im Jahr 1956 nach New York. Hier steigt er schnell zu einem der weltweit erfolgreichsten Kinderbuchautoren, Illustratoren, Zeichner und Werbegrafiker auf.
Ungerer eckt oft an, pfeift auf political correctness - nicht nur in seinen Werken. In den 60er Jahren sorgt der Elsässer mit Plakaten für Aufsehen, die den Rassismus, die Rolle der USA im Vietnam-Krieg und die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft anklagen. Als er mit erotischen Zeichnungen die Prüderie anprangert, setzen die Behörden seine Kinderbücher auf die Schwarze Liste sämtlicher US-Bibliotheken.
Ungerers Werk umfasst mehr als 160 Bücher und 40.000 Zeichnungen. Trotz der Flut an Ehrungen bleibt er bis zu seinem Tod am 9. Februar 2019 ein Identitätssucher, ein chronischer Zweifler, ein engagierter Pessimist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Der russische Chemiker Dmitri Mendelejew (geboren am 8.2.1834) ordnet mit seinem Periodensystem die chemischen Elemente mit einem Clou: er lässt Lücken für Unentdecktes.
Ordnung ist das halbe Leben - diese Phrase gilt auch in der Chemie. Daher präsentiert der Russe Dmitri Mendelejew 1869 ein Ordnungssystem, in das er sämtliche damals bekannten chemischen Elemente nach zunehmender Atommasse sortiert. Das Besondere: Sein System weist Lücken auf - für Elemente, die bis dahin noch gar nicht entdeckt sind.
Sein Periodensystem wird schnell zum weltweit anerkannten Standard. Mit diesem Triumph hat Mendelejew den Gipfel seiner Forscherkarriere erreicht - und überschritten. In den 1870er Jahren vergeudet er Zeit und Geld mit der Suche nach dem fiktiven Äther-Element, hat auch als Ballonfahrt-Pionier und Eismeer-Erkunder kaum Erfolg. Und selbst manche seiner chemischen Glaubenssätze überholt irgendwann die Realität.
Dennoch erhält er für sein System viele Ehrungen und Titel. Die vielleicht größte Auszeichnung erlebt Mendelejew allerdings nicht mehr: Zu seinen Ehren bekommt 1955 das künstlich hergestellte Element 101 den Namen "Mendelevium". Der Chemiker mit dem markanten Zottelbart stirbt 72-jährig in Sankt Petersnurg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Am 7.2.1859 entdeckt der Bibelforscher Konstantin von Tischendorf die wohl älteste Bibelhandschrift, den "Codex Sinaiticus", nach einer abenteuerlichen Reise...
Konstantin von Tischendorf gilt als der "Indiana Jones" des 19. Jahrhunderts. Denn am 7. Februar 1859 findet der Leipziger Theologieprofessor tatsächlich den verlorenen Schatz - den heiligen Gral der Bibelforschung: Den Codex Sinaiticus. Es ist die bis heute älteste Bibelhandschrift der Welt; im 4. Jahrhundert auf feinstem Pergament in Griechisch geschrieben. Darin zu lesen ist das vollständige Neue Testament sowie große Teile des Alten Testaments. Das macht den Codex Sinaiticus zu einem unschätzbar wertvollen Schriftstück christlicher Geschichte.
Gefunden hat Tischendorf die Blätter im Katharinenkloster am Berg Sinai. Vorausgegangen sind zahlreiche abenteuerliche Orientreisen des Professors - ganz Indiana Jones-like eben. Für seine Erforschung und Herausgabe dieser Bibel wird Tischendorf vom russischen Zaren in den Adelsstand erhoben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Er spielt für den BVB und für Werder Bremen. Als Manager bringt er Schalke in die Erfolgsspur zurück. Dann spricht der "Fußball-Macho" Rudi Assauer über seine Krankheit.
Als aktiver Fußballer und Fußballmanager ist Rudolf Assauer eine prägende Figur der Bundesliga. Er hat seinen eigenen Stil: Der Macher und Malocher raucht 27 Euro teure Zigarren und kleidet sich elegant. Er kann selbstgerecht sein, launisch und unverschämt.
Assauer gilt nicht als rhetorisch geschliffener Redner, aber als ein Virtuose im Umgang mit der bildreichen Sprache der Straße. Seine Ehefrauen und Freundinnen - wie Simone Thomalla - nennt er "Lebensabschnitt-Teilzeit-Gefährtinnen". Im Haushalt kennt er sich nicht aus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Detlef Wulke:
Andreas Papandreou (geboren am 5.2.1919) war der erste sozialistische Premierminister Griechenlands: ein unberechenbarer Modernisierer - ein bewegtes, spannendes Leben.
Man nennt ihn auch den griechischen Kennedy: Andreas Papandreou wird 1981 der erste sozialistische Ministerpräsident in der jüngeren Geschichte Griechenlands. Er ist ein Hoffnungsträger mit Charisma; und die von ihm gegründete PASOK erlebt einen rasanten Aufstieg als moderne Massenpartei.
Andreas Papandreou ist ein widersprüchlicher Mann. Er ist Europäer und - wenn es der eigenen Sache dient - Nationalist. Er modernisiert Griechenland, stürzt den Staat aber auch in eine tiefe Krise. Er ist weltgewandt und populistisch, ist Sozialist und Patriarch, eine Ikone mit tiefen Rissen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Alfred Andersch, geboren am 4.2.1914, gilt als engagierter deutscher Autor. Nach seinem Tod zeigt sich: Sein Selbstbild stimmt nicht mit historischen Fakten überein.
Mit seinem Buch "Die Kirschen der Freiheit" macht sich Alfred Andersch 1952 Freunde und Feinde: In dem autobiografischen Bericht schildert er seine Kindheit, seine Jugend als Kommunist in der Nazi-Diktatur, erzählt von einer Haft im KZ Dachau und seine Desertion im Zweiten Weltkrieg.
Andersch wird zu einer zentralen Figur des Literaturbetriebs und moralischen Instanz in der jungen BRD. Erst Jahre nach seinem Tod kommt heraus, was er nicht erzählt hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Vor allen anderen denkt sie über die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums nach. Eins ihrer Lebensthemen: Sensibel für das Leiden anderer zu sein. Für viele gehört Simone Weil (geboren am 3.2.1919) zu den wichtigsten Philosophinnen des Abendlands - provokant, unbequem, kämpferisch.
Am 3. Februar in Paris geboren, studiert Simone Weil später an der École normale supérieure Philosophie, Mathematik und Politikwissenschaft und hat einen breiten intellektuellen Hintergrund. Sie entwickelt eine kritische Perspektive auf soziale Ungerechtigkeiten und politische Systeme, insbesondere im Kontext der Arbeiterbewegung und des Marxismus.
Zentral ist ihre Betonung auf Achtsamkeit, ein Konzept, das sie als "Aufmerksamkeit als Gebet" bezeichnet. Hier verbindet sie ihre spirituellen Überlegungen mit ihrem Streben nach sozialer Gerechtigkeit.
Simone Weil stirbt 1943 mit nur 34 Jahren an den Folgen von Mangelernährung und Erschöpfung, sie hungert bewusst als Akt der Solidarität mit Kriegsopfern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Finnische Unternehmerin und Kommunistin, Rundfunkintendantin und Autorin: Hella Wuolijoki, gestorben am 2.2.1954, hat auch mit Bertolt Brecht ein Drama verfasst.
Geboren wird Hella Wuolijoki 1886 in der Provinz in Estland, für ihr Studium zieht sie aber später nach Finnland. Dort wird die überzeugte Kommunistin in einer sozialistischen Studentenbewegung aktiv und heiratet den kommunistischen finnischen Parlamentsabgeordneten Sulo Vuolijoki, einen Freund des Gründers der Sowjetunion Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin.
In Finnland lernt Wuolijoki auch Bertolt Brecht kennen, der auf seiner Flucht vor den Nazis 13 Monate im hohen Norden verbringt. Zusammen schreiben sie das Theaterstück "Herr Puntila und sein Knecht Matti", das weltweit ein Erfolg wird, beim finnischen Theaterwettbewerb, für das es eigentlich geschrieben wird, aber leer ausgeht.
In der Endphase des Krieges kommt sie ins Gefängnis, weil sie einer sowjetischen Agentin Unterschlupf gewährt haben soll. Nach dem Krieg wird sie nicht nur freigelassen, sondern sogar zur Rundfunk-Intendantin befördert - der letzte große Gegensatz in ihrem Leben.
In diesem Zeitzeichen erzählen Petra Schirrmann und Hans Giessen:
Am 1.2.1394 wurde er als Sohn des Kaisers von Japan geboren - ohne Ansprüche, seine Mutter war Konkubine. Ein Mönch, der in Freudenhäusern verkehrt und Gedichte schreibt.
Den japanischen Mönch Ikkyu Sojun kennt in Japan jedes Kind. Er ist eine der schillerndsten Figuren Japans im 15. Jahrhundert: Ein schlagfertiger, unangepasster, lebenslustiger Priester, aber auch ein wichtiger Zen-Meister und Würdenträger und nicht zuletzt jemand, der die Künste massiv beeinflusst hat, unter anderem die japanische Kunst der Teezubereitung: den Teeweg.
Ikkyu ist zwar ein Sohn des Kaisers von Japan, aber ohne Legitimation und Ansprüche. Ab seinem 12. Lebensjahr soll er täglich ein Gedicht verfasst haben. Über 1.000 sind von ihm überliefert, alle in chinesischer Sprache. Nach seiner Zeit im Kloster predigt er in Kneipen, Marktbuden und Freudenhäusern den Zen-Buddhismus. Erst mit Mitte 70 trifft er in der die blinden Sängerin Shin die Liebe seines Lebens.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Er spricht von Kollektivscham und erinnert an NS-Verbrechen: Theodor Heuss, geboren am 31.1.1884, hat selbst historische Fehlentscheidungen zu verantworten.
"Wir haben von den Dingen gewusst." In den ersten Jahren der noch jungen Bundesrepublik Deutschland ist das ein mutiger Satz. Und es ist der Kernsatz des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Nach dem Zweiten Weltkrieg will er dafür sorgen, dass die Gräueltaten der Nazis nicht dem Vergessen anheimgegeben werden. Er will für Aussöhnung mit den Opfern sorgen und gleichzeitig einer Bevölkerung auf die Füße helfen, die selber in diesem Krieg gelitten hat. Dabei prägt er den Begriff der "Kollektivscham".
Er selber nimmt sich dabei nicht aus. Heuss ist ein Bundespräsident, der selbst ein Leben lang mit seinen Gefühlen ringt. Denn 1933 macht auch er als Abgeordneter der deutschen Demokratischen Partei den Weg frei für Hitler.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Am 30.1.1649 wird Englands König geköpft - verurteilt vom Parlament. Wie ist es soweit gekommen und warum ist die Englische Revolution heute vergleichsweise unbekannt?
Das englische Parlament verurteilt König Karl I. 1649 zum Tod durch das Schwert. Monty Python behauptet, die Tatsache, dass Karl der I. zu Beginn seiner Regierung 20 Zentimeter größer gewesen sei als an deren Ende, sei das Interessanteste, was man über ihn sagen könne. Witzig, aber falsch. Denn Karl I. markiert eine der spannendsten Episoden englischer Geschichte.
Nach dem Tod der letzten Tudorkönigin Elisabeth I. regieren die Stuarts zum ersten Mal England, Schottland und Irland in Personalunion. Auf diese Weise hat Karl protestantische und katholische Untertanen und sitzt auch privat zwischen den Stühlen. Seine Frau Henrietta Maria, eine französische Königstochter, ist katholisch; sein Schwager Friedrich V. von der Pfalz ist Protestant.
King Charles will die religiösen Gegensätze miteinander versöhnen, doch in einer Zeit, in der ganz Europa von einem verheerenden Glaubenskrieg verwüstet wird, kann das nicht gelingen. Außerdem fordert das englische Parlament politisches und religiöses Mitspracherecht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Mit ihrer Gabe, sich in Menschen hineinzuversetzen und sie vor der Kamera zum Erzählen zu bewegen, wird Oprah Winfrey zur amerikanischen Ikone - und zur Milliardärin.
Die Markenzeichen von US-Moderatorin Oprah Winfrey sind ihr Einfühlungsvermögen und ihr Mut, auch die eigenen Schwächen und Probleme in ihre Interviews mit einzubringen. Das hat mit ihren Erfahrungen zu tun. Als uneheliche Tochter minderjähriger Eltern kommt sie am 29. Januar 1954 im US-Bundesstaat Mississippi zur Welt.
Oprah wächst auf der Schweinefarm ihrer Großmutter auf, die so arm ist, dass Oprah Kleider aus Kartoffelsäcken trägt. Mit acht Jahren muss sie wieder zurück zu ihrer Mutter, wo chaotische Verhältnisse herrschen und Oprah Grausames erlebt: Sie wird von Familienmitgliedern vergewaltigt. Nach einer heimlichen Schwangerschaft stirbt das Kind nach einer Frühgeburt.
Doch Oprah ist eine Kämpferin. Sie nimmt ihr Leben in die Hand und besinnt sich auf ihre Stärken: Sie liebt es, auf Bühnen zu stehen, der Mittelpunkt zu sein, in Gottesdiensten als Solistin zu singen. Bereits als Kind hat sie das Talent, Menschen zu Zuhörern zu machen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Kauzige Lehrer, lustige Schüler, mittendrin Hans Pfeiffer, gespielt von Heinz Rühmann: Der Film "Die Feuerzangenbowle" wird bis heute gezeigt - und zitiert.
Die deutsche Filmkomödie "Die Feuerzangenbowle" von 1944, unter der Regie von Helmut Weiss, basiert auf Heinrich Spoerls gleichnamigem Roman. Der Film erzählt die Geschichte von Hans Pfeiffer, gespielt von Heinz Rühmann, einem erfolgreichen Theaterautoren, der das Schulleben noch einmal erleben möchte. Getarnt als Schüler mischt sich Pfeiffer "mit drei 'f" in eine Oberschulklasse ein, bringt Schwung in den Alltag und wird zum Idol der Schüler sowie zum Schrecken seiner Professoren.
Babenberg, der Schauplatz des Films, bietet eine sonnenbeschienene Kleinstadtidylle und unschuldige Schülerstreiche. Doch die Realität sieht zu der Zeit in Nazi-Deutschland längst anders aus: Als die Uraufführung am 28. Januar 1944 in Berlin stattfindet, haben in der Nacht zuvor englische Flieger Berlin bombardiert. Währenddessen schöpfen die Kinobesucher Hoffnung in der heilen Kinotraumwelt - mit einem (fast) unpolitischen Durchhaltefilm.
Heinz Rühmanns humorvolle Darstellung und die amüsanten Verwicklungen während seiner vermeintlichen Schülerzeit machen "Die Feuerzangenbowle" auch nach dem Krieg zu einem der beliebtesten deutschen Kultfilme.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Wilhelm II. ist politisch reaktionär und kulturell rückwärtsgewandt - er trägt Mitverantwortung für den Ersten Weltkrieg; doch moderne Technik fasziniert ihn sehr.
Die Regierungszeit von Wilhelm II. ist eine Zeit großer Erfindungen auf zahlreichen Gebieten. Die Eisenbahn, der Verbrennungsmotor, Flugzeug, Hubschrauber, Maschinengewehr oder der Reißverschluss sind nur einige davon.
Diese Welt im Umbruch dringt schon in Wilhelms Kinderstube, zunächst in Form von Kriegsspielzeug. Technik in jeder Form fasziniert ihn, auch die Glasbläsereien und Kohlebergwerke, in die ihn sein Erzieher Georg Ernst Hinzpeter mitnimmt.
Das Praktische, Handfeste ist sein Ding. Wenig anfangen kann er dagegen mit allem Musischen, Theoretischen, klagt Erzieher Hinzpeter: Wilhelm fehle "jede philosophische, höhere, ins Innere gehende Begabung [...]. Er hätte Maschinenbauer werden sollen!"
Kulturell ist Wilhelms Geisteswelt geprägt von Traditionalismus und reaktionären Ideen. Moderne Literatur verachtet er, moderne Kunst ist ihm ein Graus - wie übrigens der Mehrheit der Deutschen. Von den gesellschaftlichen Umwälzungen und Verwerfungen der Moderne will er nichts wissen. Auch wenn die oft genau durch jenen rasanten technischen Wandel hervorgerufen werden, den er so sehr feiert und fördert.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Das Apollo Theater in Harlem/New York, wird am 26.1.1934 für Schwarzes Publikum neu eröffnet. Nicht nur für Ella Fitzgerald und James Brown war das Apollo die wohl wichtigste Bühne.
In den 1920er-Jahren präsentieren in New York fast alle großen Theater und Nachtklubs zwar schwarze Künstler auf der Bühne. Einem schwarzen Publikum bleibt der Zutritt jedoch verwehrt.
Bis diese rassistische Eintrittbeschränkung erstmals fällt, dauert es Jahre. Am 26. Januar 1934, einem Freitag, ist es endlich so weit. Das Apollo-Theater an der 125. Straße im Stadtteil Harlem öffnet seine Tore auch für schwarze Gäste.
Im Apollo beginnt die Karriere vieler afroamerikanische Künstler. Dazu gehören unter anderem Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Billie Holiday, Sammy Davis Jr. und James Brown.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
William Somerset Maugham, geboren am 25.01.1874 in Paris, führt ein vielschichtiges Leben. Sein Roman "Des Menschen Hörigkeit" macht ihn weltberühmt.
Es sind die fremden Welten in seinen Erzählungen, sein klarer, schnörkelloser Stil und seine unkonventionelle Lebensweise, die ihn so populär - und auch reich - machen. Uneingeschränkt glücklich ist William Somerset Maugham Zeit seines Lebens aber nie.
Geboren wird er am 25. Januar 1874 in der britischen Botschaft in Paris - und ist damit englischer Staatsbürger. Sein Verhältnis zum Vaterland bleibt aber stets gespalten. Somerset Maugham wird früh zum Vollwaisen, beginnt mit zehn Jahren zu stottern. Ein Handicap, das dem als scheu geltenden William schwer zu schaffen macht.
Ungeachtet dessen führt Somerset Maugham ein schillerndes, rastloses Leben: Er studiert Medizin, lebt seine Bisexualität aus und wird sogar Geheimagent. Doch am wichtigsten für Somerset Maugham sind das Schreiben und Lesen. Insgesamt widmet der Brite 65 Jahre seines Lebens der Schriftstellerei - mit Erfolg. Sein Roman "Des Menschen Hörigkeit" ist bis heute eines der meistgelesenen Bücher überhaupt.
Neben dem Schreiben, zu dem er sich nach eigener Aussage hingezogen fühlt "wie eine Ente zum Wasser", sind ausgedehnte Reisen Maughams andere große Leidenschaft. Sie führen ihn bis nach Ostasien und auf die Südseeinseln. Hier erfährt er Freiheit, hier findet er Geschichten. Doch trotz des Ruhms stirbt William Somerset Maugham 1965 nach einem Sturz im Alter von 91 Jahren einsam und verbittert in Südfrankreich.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
"Comedian Harmonists" oder "Schlafes Bruder": Der Regisseur Joseph Vilsmaier, geboren am 24.1.1939, hat mit Filmen viele Menschen erreicht; die Kritiker nicht immer.
Joseph Vilsmaier kommt 1961 zur Bavaria Film - als Kaffeeholer und Materialassistent. Er wird Assistent an der dritten Kamera, Assistent an der zweiten, an der ersten. Nach elf Jahren macht er den ersten Film als Kameramann. Über 200 Fernsehfilme sollen es werden.
1985 hört Vilsmaier von der Bäuerin Anna Wimschneider, die ein Buch über ihr Leben geschrieben hat. Vilsmaier verschuldet sich und kauft für 100.000 Mark die Rechte an dem Buch mit dem Titel "Herbstmilch". Erstmals ist er nicht nur Kameramann, sondern auch Regisseur und Produzent. Der Film wird ein großer Erfolg und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Über zwei Millionen Zuschauer sehen ihn im Kino.
In seinen Filmen wirft Vilsmaier einen nostalgischen Blick auf sein eigenes Leben. Bei "Herbstmilch" ist es seine Kindheit. "Rama Dama" ist seine Erinnerung an den Krieg. Dann "Stalingrad" - wo drei seiner Brüder gefallen sind.
Vilsmaier ist selbst schon sterbenskrank, als er eine Komödie über den Tod dreht. "Der Boandlkramer und die ewige Liebe" mit Michael "Bully" Herbig in der Rolle des Todes. Die Premiere erlebt Joseph Vilsmaier nicht mehr. Im Februar 2020 wird er im Alter von 81 Jahren vom Boandlkramer abgeholt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Hans Hass (geboren am 23.1.1919) war Zoologe, Tauchpionier, Meeresforscher und nicht zuletzt ein Geschichtenerzähler: "Tauchen war für mich zuerst Abenteuer."
Der Österreicher Hans Hass soll eigentlich die Kanzlei seines Vaters übernehmen und Rechtsanwalt werden. Doch dann kommt alles ganz anders. Er schreibt zahlreiche Bücher und dreht Filme. Für die Dokumentation "Unternehmen Xarifa" bekommt er in den 1950er-Jahren sogar einen Oscar. Der Film entsteht während der ersten großen Expedition mit dem gleichnamigen Forschungsschiff.
Besonders haben es Hass die Haie angetan. Er taucht mit ihnen und filmt sie. Da es zu der Zeit noch keine entsprechenden Kameras gibt, baut er sich einfach selber welche. Und wenn ihm die Tiere einmal zu nah kommen, weiß er genau, was zu tun ist: direkt auf sie zuschwimmen.
Insgesamt dreht Hass rund 70 Unterwasserfilme, die Dokumentarisches mit Unterhaltungselementen verknüpfen. Hass stirbt im hohen Alter von 94 Jahren in Wien. Im Bewusstsein, dass es auch nach ihm in der Welt unter Wasser noch so viel zu entdecken gibt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
War August Strindberg (geboren am 22.1.1849) Frauenhasser oder erster Feminist? Fest steht: Die Themen des schwedischen Nationaldichters sind auch heute interessant.
Das Widersprüchliche, Sprunghafte, Wandelbare und vor allem das tief Empfundene kennzeichnen Leben und Werk des schwedischen Nationaldichters August Strindberg. Auch heute noch gibt es international ein großes Interesse an seiner schillernden Person und seinem facettenreichen Schaffen.
Strindberg ist ein Egozentriker. Er will auch schon als junger Mann als Schriftsteller Aufsehen erregen. Und er legt sich auch gleich mit den Größten seiner Zeit an, mit dem norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen zum Beispiel. Seine ersten Stücke sind eigentlich Antworten auf Ibsens Stücke.
August Strindberg hat den Anspruch, nicht nur moderne Themen in seine Stücke und in seine Prosa aufzunehmen. Er will die Gesellschaft verändern, indem er die Missstände und deren Lösungsansätze nicht nur inhaltlich, sondern auch formal neu fasst. Damit sieht er sich Ibsen überlegen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
Viele Legenden ranken sich um Rasputin, den Prediger mit dem wilden Bart, mit den geheimnisumrankten Einfluss auf die Zarin, mit seinen angeblich großen sexuellen Energie...
Ein Bauernsohn wird zur Projektionsfläche von Hoffnungen, Ängsten und Sehnsüchten: Über Grigori Rasputin gibt es viele Geschichten. Was stimmt, was ist erfunden? Klar ist: Er stammt aus Sibirien und war Vertrauter des letzten russischen Zaren.
Eine ungewöhnliche Verbindung: Rasputin kann kaum Lesen und Schreiben. Nach ein paar Jahren im Kloster zieht er als Wanderprediger durchs Land. Dabei soll es zu sexuellen Ausschweifungen mit seinen Jüngern und Jüngerinnen gekommen sein.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Der französische König ist vom Nashorn Clara im Januar 1749 angetan. Wie ist es dorthin gelangt? Claras Odyssee erzählt viel über das Verhältnis von Mensch und Tier.
Geboren wird Clara vermutlich im Jahr 1738. Sie ist drei Jahre alt, als sie vom Direktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie in Kalkutta gekauft wird - als Spielgefährtin für dessen Kinder. Als das Tier dafür zu groß wird, übernimmt es ein Kapitän. So landet Clara in Europa, wo sie in vielen Ländern als Sensation präsentiert wird.
Sie tritt in Scheunen auf, aber auch in Palästen. Im Januar 1749 wird sie in Versailles vorgeführt. Der französische König will Clara für seinen Zoo kaufen. Aber der Besitzer verlangt einen Preis, der selbst Ludwig XV. zu hoch ist. Er lehnt dankend ab.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Am 19.1.379 wird Theodosius Kaiser. Wie ihm das gelingt, darüber rätseln Forscherinnen und Forscher bis heute. Fest steht: Als Kaiser ist er modern und sehr erfolgreich.
Im Jahr 378 dringen gotische Kriegerverbände tief ins Römische Reich vor – über die Donau bis Adrianopel, dem heute türkischen Edirne. Die Römer erleben einen Schock: Das römische Heer unterliegt einem gotischen Kriegerverband. Dabei wird auch Kaiser Valens getötet, der für die östliche Reichshälfte zuständig ist.
Das ist die Stunde von Theodosius. Er wird am 19. Januar 379 zum Nachfolger ausgerufen. Wie es dazu kommt, ist bis heute unklar. In der Schlacht von Adrianopel ist er jedenfalls nicht dabei. Ernannt wird Theodosius von Kaiser Gratian, der für die westliche Hälfte des Römischen Reiches zuständig ist.
Kaiser Theodosius stößt mit seinen Methoden innenpolitisch auf Widerstand. Doch es gelingt ihm mit einer neuen Strategie, die Goten von Konstantinopel fernzuhalten: Er setzt auf Friedensverträge statt militärische Siege.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Toni Turek, geboren am 18.1.1919, ist einer der Fußballhelden des "Wunders von Bern": Seine Paraden retteten Deutschland die Führung im Endspiel der Fußball-WM 1954 - dabei war die erste Halbzeit gar nicht gut für ihn gelaufen...
Anton "Toni" Turek steht schon als kleiner Junge beim Straßenfußball in Duisburg Wanheimerort im Fußballtor.
Im Sommer 1954 wird Turek als Keeper der deutschen Nationalmannschaft einer der Helden von Bern. Kurz vor Schluss rettet er mit einer Glanztat den 3:2 Sieg der Deutschen.
In diesem Augenblick wird Turek durch den Radio-Reporter Herbert Zimmermann zur lebenden Legende erhoben. "Die Verteidiger der Ungarn müssen weit mit aufrücken. Jetzt heben sie den Ball in den Strafraum hinein…Schuss!...Abwehr von Turek! Turek du bist ein Teufelskerl. Turek, du bist ein Fußballgott!"
Das Glück von Bern hält für Turek ein ganzes Leben. Die Gesundheit verlässt den Fußballgott dagegen schon bald. Immer wieder hat Turek mit Lähmungserscheinungen zu kämpfen, vermutlich ausgelöst durch einen Granatsplitter in seinem Kopf, der ihn im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet. Die WM-Helden von Bern richten ein Benefizspiel aus, es kommen aber nur 3.500 Zuschauer.
Toni Turek stirbt ein halbes Jahr nach einem Herzinfarkt und einem Hirnschlag am 11. Mai 1984 im Alter von 65 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Im Haus bleiben, Fenster geschlossen halten, Auto stehen lassen: So lauten am 17.1.1979 die Anweisungen beim bundesweit ersten Smog Alarm im Ruhrgebiet.
Das Jahr 1979 beginnt mit dicker Luft: Das westliche Ruhrgebiet ist umhüllt von einer Dunstglocke. Smog nennen die Engländer diese Mischung aus Nebel (fog) und Rauch (smoke), die den Bewohnern die Sicht versperrt und ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Weil eine obere warme Luftschicht die untere kalte Luft am Boden hält, können Abgase nicht abziehen.
So schnellen Mitte Januar die Stickoxidwerte im Ruhrgebiet so in die Höhe, dass die Landesregierung Düsseldorf zum ersten Mal eine Smogwarnung der Stufe eins ausgibt. In der ersten Warnstufe werden Bürger und Industrie noch gebeten, alle Arten von Verbrennungen zu reduzieren, der Verzicht ist aber freiwillig. Zum Glück kommt bald schon Wind auf und der gefährliche Nebel lichtet sich wieder.
Sechs Jahre später ist die Lage ernster. Im Januar 1985 muss die NRW-Landesregierung Smogalarm der Stufe drei auslösen. Damit ist die Zeit des Bittens vorbei: Alle Unternehmen, die Luftverschmutzung verursachen, müssen ihren Betrieb einstellen. In einigen Teilen des Ruhrgebiets dürfen keine Autos mehr fahren, die Schulen bleiben geschlossen.
In diesem Zeitzeichen erzählen Veronika Bock und Ulrich Biermann:
Fans der "???"-Hörspiele lieben die Stimme von Thomas Fritsch (geboren am 16.1.1944). In den 1960er Jahren sollte niemand wissen, dass der Frauenschwarm des deutschen Films schwul war...
Geboren wird Thomas Fritsch als Sohn des Ufa-Schauspiel-Stars Willy Fritsch und der Tänzerin Dinah Grace. Die Eltern sind wenig überrascht, als sich der junge Thomas für die Schauspielerei entscheidet. Die Karriere beginnt für den gut aussehenden Fritsch erfolgreich, 1963 wird er als bester Nachwuchsschauspieler mit dem Bambi ausgezeichnet. Zu seinem Leidwesen wird Fritsch vor allem für romantische und leichte Rollen gebucht.
Nach einem Karriereknick gelingt Thomas Fritsch Ende der 70er-Jahre das Comeback mit der Serie "Drei sind einer zuviel", mit Jutta Speidel und Herbert Herrmann. Später steht er mit "Rivalen der Rennbahn" wieder im Fokus der Öffentlichkeit – und als Synchronsprecher. Seine Baritonstimme ist bei "Findet Nemo", "König der Löwen" und den "Drei Fragezeichen" dabei. In dem Kinofilm "Der WIXXer" hat Thomas Fritsch als Mopszüchter "Earl of Cockwood" seinen letzten großen Filmauftritt. Fritsch stirbt 2021 nach einer Demenzerkrankung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Fritz Schaefer:
"Eigentum ist Diebstahl", schreibt Pierre-Joseph Proudhon, geboren am 15.1.1809. Doch der Kommunismus im Sinne von Karl Marx ist nicht sein Ziel.
Als armer Sohn eines Küfers und einer Köchin bekommt der begabte Pierre-Joseph Proudhon zwar ein Stipendium für die höhere Schule, kann sie aber aus Geldmangel nicht abschließen. Der Junge aus Besançon empfindet seine Armut als Erniedrigung, die daraus resultierende Wut wird zu seinem Antrieb für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Der Autodidakt löst schon mit seinem ersten Essay über ein neues Rechts- und Regierungsprinzip eine hitzige Debatte aus, in dem er festhält: "Eigentum ist Diebstahl!"
Doch Pierre-Joseph Proudhon ist kein Revolutionär, der mit den Messer zwischen den Zähnen zum Kampf aufruft. Vielmehr versucht er als Abgeordneter das System von innen zu ändern: "Wir werden gleichzeitig konservativ und fortschrittlich sein; denn nur in dieser doppelten Eigenschaft sind wir Revolutionäre". Er scheitert und seine Gegner bringen ihn ins Gefängnis. Und er sieht die Gefahren, die der Sozialismus und Kommunismus mit sich bringen und mahnt schon zu Lebzeiten, dass man "sich vor politischen Erschütterungen in Acht nehmen müsse, weil sie oft von Diktaturen abgelöst würden."
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Philipp Reis (gestorben 14.1.1874): Ein hessischer Tüftler, der mit seinem "Telephon" die Welt verändert hat. Reich werden sollte er damit nicht.
Geboren wird Philipp Reis 1834 in der hessischen Kleinstadt Gelnhausen in eine Bäckerfamilie hinein. Die Eltern sterben früh, Reis wird von seinem Vormund in eine Kaufmannslehre geschickt. Doch in seiner Freizeit begeistert sich der blitzgescheite und handwerklich versierte Reis für Naturwissenschaft und Technik. So gelingt es ihm als Nichtakademiker auch, eine Anstellung als Lehrer zu finden. Begeistert unterrichtet er seine Schüler und baut für ihr besseres Verständnis ein Modell von einem menschlichen Ohr.
"Seitdem hatte ich die Idee, ob man nicht einen Apparat bauen kann, mit dem man die menschliche Stimme auf weite Entfernungen hörbar machen kann", erinnert sich Philipp Reis später. Die ersten Prototypen bestehen aus einer Hasenblase, einer Stricknadel und einer Geige. Tatsächlich gelingt es ihm, Töne zu transportieren und Reis entwickelt seine Apparatur ständig fort. Er präsentiert seine Erfindung und die Weiterentwicklungen anderen Wissenschaftlern, Industriellen, Politikern – und sogar dem österreichischen Kaiser.
Nur das Potenzial erkennen weder Forscher noch Investoren. Die Eliten nehmen Philipp Reis, den Nichtakademiker aus der hessischen Provinz, nicht wirklich ernst. Anders der US-Amerikaner Graham Bell. Er lässt sich ein Reis-Telefon schicken, entwickelt es weiter und wird als Telefon-Pionier mehr als reich. Den Siegeszug des Telefons erlebt Philipp Reis nicht mehr. Er stirbt am 14.1.1874 an Tuberkulose.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner
Die erste Basilica di San Marco fällt 976 einem Großbrand zum Opfer. Bis zum Neubau vergehen bald hundert Jahre. Am 13. Januar 1094 wird der Markusdom eingeweiht.
Geweiht ist die Markuskirche dem Evangelisten und Märtyrer auf dem ägyptischen Alexandria. Im Jahr 828 bringen venezianische Kaufleute seine Gebeine mit einer kleinen List in die Lagunenstadt. Sie entwenden nachts die Reliquien und verstecken sie in einem Korb mit Schweinefleisch. Weil Juden und Muslime das Schweinefleisch als unrein ansehen, kann so die Zollkontrolle umgangen werden.
Die venezianische Stadtregierung erkennt die Bedeutung der Reliquie und errichtet ihr zu Ehren eine hölzerne Kirche neben dem noch bescheidenen Dogenpalast. Es ist die Geburtsstunde des Markuskults, der mit vielen Pilgern auch weiteres Geld in die Stadtkassen bringt. Später findet Markus als geflügelter Löwe mit einem Buch in den Tatzen einen Platz im Stadtwappen. Der heutige Dom ist die dritte Markuskirche. Sie wird am 13. Januar 1094 feierlich geweiht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
Händel und Telemann sind seine Fans, mit seiner Musik will er die Texte verdeutlichen: Reinhard Kaiser, getauft am 12.1.1674, wird im 18. Jahrhundert als bedeutendster deutscher Opernkomponist gefeiert.
Zeitgenossen und berühmte Musikschriftsteller des 18. Jahrhunderts sind voll des Lobes. Kein Wunder, gilt Reinhard Keiser doch als der bedeutendste Opern-Komponist seiner Zeit.
An der Leipziger Thomasschule ausgebildet, zieht es Keiser über Braunschweig 1697 nach Hamburg, wo er mit der Oper am Gänsemarkt das erste städtische Opernhaus in Deutschland prägt. Keiser schreibt selbst Opern, rund 70 sollen es gewesen sein. Nur von einem Teil sind Partituren erhalten, von anderen lediglich das Textbuch. Er schreibt Bühnenwerke über Störtebeker, den Karneval von Venedig, Boris Godunow oder das "Zerstörte Troja".
Für Reinhard Keiser steht die Geschichte im Mittelpunkt und das Singen oder das Musizieren als l’art pour l’art, sinngemäß "die Kunst um der Kunst willen", eher im Hintergrund. Er zeigt die Figuren als lebendige Menschen auf der Bühne, die sich im Gesang ausdrücken. Singen um des Singens willen, das Schön-Singen, ist zweitrangig.
Von Aufenthalten in Stuttgart und Kopenhagen abgesehen, bleibt Keiser bis zuletzt in Hamburg. Er wird Kantor am dortigen Dom und schreibt nun überwiegend Kirchenmusik. Reinhard Keiser stirbt mit 65 Jahren am 12. September 1739 in Hamburg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Kein langes, aber ein reiches, volles Leben - und eine Musik, für die die Italiener Fabrizio De André noch immer verehren, auch 25 Jahre nach seinem Tod am 11.1.1999...
Fabrizio De André ist kein Sänger. Er ist ein Dichter, der singt. Seine Texte erzählen von Menschen, die ausgestoßen sind, Leid durchleben. De André taucht tief in Bilder und Gefühle hinein. Auf der Bühne wirkt sein langer Pony oft wie ein Vorhang, den er zuzieht, um zu singen.
De André kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus, was nicht unwichtig ist. Der Vater ist Geschäftsmann, die Mutter von Haus aus wohlhabend. Das ist genau das Leben, das Fabrizio nicht will und gegen das er mit seiner Musik aufbegehrt.
Ein Meisterwerk gelingt Fabrizio De André 1984 mit dem ungewöhnlichen Album "Crêuza de mä", zu Deutsch "Kleiner Pfad runter zum Meer". Es gilt als eines der besten Alben der 80er-Jahre. Danach produziert Fabrizio De André noch zwei Platten. Drei Jahre vor seinem Tod "Anime salve", zu Deutsch "Gerettete Seelen", erneut eine Hommage an die Menschen am Rande. Am 11. Januar 1999 stirbt der große Cantautore Fabrizio De André mit 59 Jahren an Lungenkrebs.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Als Reiseschriftsteller wird er in Deutschland gefeiert, als Revolutionär später geächtet: Georg Forster, gestorben am 10.1.1794, ist am Ende seines Lebens allein.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - für diese Ideale geht Georg Forster ins Exil. Ende des 18. Jahrhunderts ist er einer der führenden Jakobiner in Deutschland und glühender Anhänger der Französischen Revolution.
Forster ist zu Lebzeiten eine Berühmtheit. Als Illustrator an Bord bei der zweiten Weltumseglung von James Cook gehört er seit seinen Schilderungen von dieser "Reise um die Welt" zu den brillanten Schriftstellern seiner Zeit. Johann Wolfgang von Goethe ist von ihm begeistert, Christoph Martin Wieland schätzt ihn und für den jungen Alexander von Humboldt ist er ein Idol.
Als Mitbegründer der ersten deutschen Republik in Mainz muss Forster 1793 nach deren Ende im Pariser Exil bleiben und darf nicht zurück nach Deutschland. Nur wenige Jahre nach seinem Tod am 10. Januar 1794 in Paris ist Georg Forster in Deutschland fast vollkommen vergessen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Heiner Müller (geboren am 9.1.1929) ist einer der bedeutendsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Schonungslos wühlt er sich durch die Schrecken der Weltgeschichte.
Heiner Müller wird am 09. Januar 1929 in Sachsen geboren. Er erlebt die Verhaftung seines Vaters durch die Nazis, einen Besuch im Konzentrationslager und die Ausgrenzung als Sohn eines "Verbrechers". Nach der Nazizeit wird Heiner Müllers Vater Funktionär der SED - zieht aber schon 1951 mit seiner Familie in den Westen.
Heiner Müller bleibt in der DDR und wird zum gleichermaßen gefeierten wie umstrittenen Dramatiker. Er arbeitet als Dramaturg, Regisseur und zuletzt als Intendant des Berliner Ensembles.
In seinen Stücken erzählt Müller von den Brüchen und Widersprüchen in der DDR und den Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Als ihn das in Konflikt mit der Kulturbürokratie bringt, verlegt er sich auf die Bearbeitung antiker und historischer Stoffe. Heiner Müller will keinen fröhlichen Applaus, sondern er will das Publikum auch fordern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Am 8.1.1324 ist Marco Polo gestorben, das steht fest. Aber was ist wahr von all den unglaublichen Geschichten und Abenteuern, die er auf der Reise seines Lebens erlebt haben will?
In seinem Buch "Il Milione" berichtet der Venezianer Marco Polo von seiner abenteuerlichen Reise nach China und den Erlebnissen dort. Man erfährt von Heiratsbräuchen in China, ob Elefanten von riesigen Vögeln aus dem Sumpf gehoben werden können oder wie man eine Burg belagert.
Der Glaubwürdigkeit dieser Berichte ist nicht zuträglich, dass die Original-Handschrift verloren geht. Es existieren 150 Abschriften und frühe Übersetzungen des Textes, die zwar zum Teil noch zu Lebzeiten Marco Polos entstehen, aber stark voneinander abweichen.
Von ihrer Faszination haben Marco Polos Reiseberichte trotzdem kaum verloren. Es sind Berichte von großen Abenteuern in fernen Ländern und dem Kontakt zu fremden Kulturen. Das Buch ist eines der erstaunlichsten und einflussreichsten, die jemals geschrieben werden.
Ein späterer Chronist behauptet, ein Priester habe Marco Polo noch auf dem Sterbebett dazu gedrängt, all seine Lügen nun doch endlich einzugestehen, damit ihm das Himmelreich zuteilwerde. Polo aber habe geantwortet, "ich habe nicht die Hälfte von dem erzählt, was ich wirklich gesehen habe, denn sonst hätte mir niemand geglaubt."
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Massenwahn, ganze Dörfer im wilden Tanz: Wo der Wanderprediger Friedrich Muck-Lamberty auftaucht in den wirren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, begeistert er die Menschen. Am 7.1.1984 ist Muck-Lamberty gestorben.
Friedrich Muck-Lamberty ist in der wirren und harten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein erstaunlicher Mensch. Er spricht über Gott und die Welt, über die "Neue Zeit", die eine "Not-Zeit" ist und dass man zu einer "Not-Wende" kommen muss, indem man den verderblichen Strömungen begegnet. Mit seiner Schar zieht er durch die Lande und ruft die Menschen zur Besinnung auf.
Ein so überzeugender Prediger wie Muck-Lamberty trifft den Nerv der Zeit. Begierig lauschen die Entwurzelten und Verunsicherten seinen Botschaften.
Während der NS-Zeit gerät er gelegentlich in Schwierigkeiten, unter denen er sich aber wegducken kann. In den 1950er-Jahren zieht er zunächst nach Königswinter, dann als Heiler in den Westerwald. Bis zu seinem Tod im Alter von 92 Jahren am 7. Januar 1984 bleibt Friedrich Muck-Lamberty ein Querkopf und Freigeist. Er begrüßt Fidel Castros Kuba und die Studenten-Revolte, sieht sich als Vorreiter der Ökobewegung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
"Kunst ist eine Droge" sagte Heinz Berggruen, der bedeutendste deutsche Kunstmäzen und Kunsthändler des 20. Jahrhunderts. Am 6.1.1914 wurde er geboren.
Heinz Berggruen wächst in einem liberalen, jüdischen Elternhaus in Berlin Wilmersdorf auf. Mit Kunst haben seine Eltern nichts am Hut, schreibt er in seiner Autobiografie. Ganz anders Heinz, der in Frankreich Kunstgeschichte und Literatur studiert.
Zurück in Deutschland arbeitet Berggruen zunächst als Journalist und flieht 1936 vor den Nationalsozialisten in die USA: Mit einem Stipendium der Berkeley-Universität geht er nach Kalifornien. Neben dem Studium arbeitet er in einem Museum für Moderne Kunst. Das verändert sein Leben. Berggruen wird erst Kunsthändler und dann Kunstsammler.
1996 kehrt Heinz Berggruen nach Deutschland zurück. In einer "Geste der Versöhnung" verkauft er dem deutschen Staat seine Gemäldesammlung zum Preis von 253 Millionen Mark.
Berlin stellt für die Sammlung den westlichen Stülerbau zur Verfügung: Hier entsteht das "Museum Berggruen". Heinz Berggruen wird im Jahr 2004 in einem Festakt zum Ehrenbürger Berlins ernannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Wie Roy Gardner (geboren am 5.1.1884) von der "ausbruchsicheren" Gefängnisinsel McNeil Island floh, erzählte der US-Zugräuber gern. Es war nicht seine letzte Flucht.
Roy Gardners Leben beginnt, wie ein ganz normales Leben im Schatten der Rocky Mountains. Er ist sportlich, liebt die Natur und die Leute mögen ihn. Der Familie geht es gut, doch Roy ist das alles schnell zu langweilig. Er streift umher, arbeitet mal als Bergmann, als Hufschmied und meldet sich bei der Army.
Auch das ist ihm bald zu öde. Gardner desertiert, strandet im mexikanischen Bürgerkriegs, versorgt die Rebellen mit Waffen, wird geschnappt und zum Tod durch Erschießen verurteilt. Aber er kann kurz vor der Exekution entkommen und flieht zurück in die USA.
Gardner überfällt vor allem Züge und wird geschnappt. Doch er entkommt aus dem berüchtigten Gefängnis auf McNeil Island. Mit der spektakulären Flucht, die er gerne an Zeitungen verkauft, wird er zum meistgesuchten Mann der USA. Mehrfach wird er eingebuchtet und flieht immer wieder. Doch aus dem Gefängnis von Alcatraz kann Gardner nicht mehr fliehen - dafür wird er 1938 nach vier Jahren Haft dort begnadigt, allerdings als von der Einzelhaft gebrochener Mann.
Gardner findet sich in der Freiheit nicht zurecht. Er schreibt ein Buch, das kaum Interesse findet, sein spektakuläres Leben kommt auch nicht ins Kino und ein in die Jahre gekommener Ganove produziert keine Schlagzeilen mehr. Gardner besorgt sich das Giftgas Zyanid und nimmt sich im Januar 1940 in einem Hotelzimmer das Leben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Mit gerade einmal 16 Jahren entwickelt der Franzose Louis Braille eine Blindenschrift aus sechs tastbaren Punkten, die die Blindenbildung revolutionieren sollte.
Louis Braille selbst verletzt sich im Alter von drei Jahren mit einem Werkzeug am Auge. Das Auge entzündet sich und steckt das andere an. Mit fünf Jahren ist er vollständig erblindet.
Der Junge besucht die Dorfschule. Er ist ein guter Schüler, kann aber nur zuhören, und nicht lesen lernen wie alle anderen. Das geht nur am königlichen Blindeninstitut in Paris, der ersten Schule weltweit für junge blinde Menschen. Bloß das mit dem Lesen funktioniert nicht ganz so flüssig, wie Louis sich das wünscht. Bislang presst man lateinische Buchstaben mittels sogenanntem Reliefdruck in dickes Papier, das ist mühsam zu lesen und noch mühsamer zu schreiben.
1820 besucht Artilleriehauptmann Charles Barbier die Blindenschule und erzählt von einer militärischen Nachtschrift, mit der schriftliche Befehle auch im Dunkeln übermittelt werden können. Louis und seine Mitschüler probieren es aus und sind begeistert. Aber sie hat noch Mängel. Schulleiter Alexandre Pignier unterstützt fortan Brailles Vorhaben eine neue Blindenschrift zu entwickeln.
Im Alter von 16 Jahren hat Louis es 1825 geschafft. Seine Blindenschrift ist fertig. Sie besteht aus sechs Punkten, angeordnet wie auf einem Würfel. Jede Punktkombination ergibt einen Buchstaben oder ein Satzzeichen. Die sechs Punkte passen perfekt unter eine Fingerkuppe.
In diesem Zeitzeichen erzählt Amy Zayed:
Klassische Musik ist eine ernste Sache. Das lernt auch der Pianist Victor Borge (geboren am 3.1.1909) - aber seine Kunst ist es, Komik in den Konzertsaal zu bringen.
Manche seiner Witze erinnern an Charlie Chaplin: Der dänisch-amerikanische Pianist Victor Borge versucht ein Glissando, doch da endet die Tastatur - und er fällt neben das Klavier. Er mischt den klassischen Konzertbetrieb auf wie kein Zweiter.
Bei einem seiner Auftritte in der Muppet-Show lässt er bei der gleichförmigen Mondschein-Sonate das passieren, was jeder Kulturschaffende im Konzert vermeiden will: Alle schlafen ein - Zuhörer, Pianist und sogar die kleine Büste von Beethoven.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Oscar Micheaux (geboren am 2.1.1884) ist seiner Zeit voraus: Als Schwarzer ist er nicht nur Siedler im Wilden Westen, er ist auch Pionier des afroamerikanischen Kinos.
Er stammt von ehemaligen Sklaven ab und weiß, was "Rassen"-Trennung bedeutet. Doch Oscar Micheaux lässt sich vom Rassismus in den USA nicht unterkriegen. Weder als Farmer, der sich als Schwarzer unter lauter weißen Siedlern behaupten muss. Noch als Autor und Filmemacher, der in drei Jahrzehnten einen Film nach dem anderen produziert, ab 1931 auch Tonfilme. Oscar Micheaux stirbt 1951 im Alter von 67 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Internationale Jahre: ein Klassiker der Vereinten Nationen. Ab dem 1.1.1979 sind zwölf Monate dem Kind gewidmet. Späteres Ergebnis: die UN-Kinderrechtskonvention.
1979 ist ein symbolträchtiges Jahr. Es ist genau 20 Jahre her, dass die Vereinten Nationen die "Erklärung der Rechte des Kindes" proklamiert haben. Jetzt sollen die Kinderrechte in einem Völkerrechtsvertrag verankert werden.
1989 liegt es auf dem Tisch: das "Übereinkommen über die Rechte des Kindes". Ein Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechtsbewegung, der durch das "Internationale Jahr" so richtig ins Rollen gekommen ist. Bis heute haben 195 Staaten das Regelwerk unterzeichnet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Im Jahr 1973 bestimmen Themen wie der Watergate-Skandal, die erste Ölkrise und der Jom-Kippur-Krieg das Weltgeschehen. Aber es gibt auch positives, vor allem gute Musik...
Um Benzin zu sparen, werden im November und Dezember 1973 vier autofreie Sonntage verfügt. In der "Ölkrise" droht dem Fortschrittssymbol Auto der Sprit auszugehen.
Die Ölkrise nimmt ihren Anfang am 6. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag "Jom Kippur" mit dem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel. In der Folge beschließen die ölproduzierenden arabischen Staaten aus Solidarität mit den Palästinensern Exportkürzungen und -boykotte gegen die Unterstützer Israels.
Ausgerechnet in diesen turbulenten Zeiten schwächelt die Weltmacht USA. Der Watergate-Skandal und das Eingeständnis, den Vietnam-Krieg verloren zu haben, stürzen das Land in die Krise. Der US-Geheimdienst CIA ist am 11. September 1973 aber noch maßgeblich am Sturz des gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende und der Machtergreifung einer Militärjunta unter Führung des Generals Augusto Pinochet beteiligt.
Trotz aller Kontroversen, Krisen und Kriege: Heute erscheint das Jahr 1973 vielen in den westlichen Industrieländern fast wie die "gute, alte Zeit" mit großer sozialer Sicherheit, weniger Spaltung und einem gesellschaftlichen Grundkonsens, der von den meisten geteilt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Publius Ovidius Naso ist der beliebteste Schriftsteller Roms, als er von Kaiser Augustus verbannt wird. War sein Buch "Liebeskunst" zu gewagt? Oder hatte Ovid im Kaiserpalast Dinge gesehen, die er nicht sehen sollte...?
Publius Ovidius Naso wird im alten Sulmo, heute Sulmona, in den Abruzzen geboren. Per Geburt gehört er dem wohlhabenden Ritterstand an. Der Vater möchte den Sohn einmal als Politiker im römischen Senat sehen.
Aber der Junge hat andere Pläne. Er will Dichter werden. Seine Karriere beginnt er mit Liebesgedichten. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Er muss mit seiner Kunst nicht einmal Geld verdienen. Mit seinem Erbe hat er für immer ausgesorgt.
Es könnte alles so schön sein. Ovid trägt seine Werke sogar am kaiserlichen Hof des Augustus vor. Doch mit irgendetwas erregt Ovid den Zorn des Kaisers. Womit genau, ist nicht bekannt. Aber es reicht offensichtlich aus, um in die Verbannung geschickt zu werden.
Es gibt allerhand Mutmaßungen, aber Genaues weiß man nicht. Möglicherweise hat Ovid etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt war. Vielleicht öffnet er im Palast des Augustus die falsche Türe und findet den Augustus, seine Frau Livia oder die Tochter Julia bei irgendeiner unerlaubten Tätigkeit. Wir wissen es nicht und werden es wahrscheinlich nie erfahren. Denn der Dichter schweigt beharrlich.
Die Verbannung verschlägt ihn wohl nach Tomi. Tomi liegt im heutigen Rumänien etwa an der Donau-Mündung, also am Schwarzen Meer. Heute heißt der Ort Constanza. In Constanza steht Ovid bis heute als Denkmal auf hohem Sockel und die Rumänen verehren ihn als einen der Ihren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Am 29.12.1923 meldet der russisch-amerikanische Ingenieur das Patent für sein "Ikonoskop" an, ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung des Fernsehens.
Am 29.12.1923 meldet der russisch-amerikanische Ingenieur und Erfinder Vladimir Zworykin das Patent für sein "Ikonoskop" an. Das Ikonoskop ist die erste Aufnahme-Röhre, mit der man die umgebende Realität dreidimensional - also das, was um uns herum ist, abtasten kann. Im Prinzip werden im Ikonoskop die Helligkeitswerte des Bildes in Ladungswerte umgewandelt. Vor allem waren es beim Ikonoskop erstmal Live-Bilder, weshalb man Zworykin präziser als Vater des Live-Fernsehens bezeichnen könnte.
Das Ikonoskop kommt bereits 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin zum Einsatz. Hunderttausende finden im Olympia Stadion Platz, vielen anderen bietet der Fernseher die Möglichkeit mit Auge und Ohr dem Sport zu folgen: In speziell eingerichteten Fernsehstuben sehen Sportbegeisterte die ersten Übertragungen.
Das Ikonoskop ist praktisch die Mutter aller modernen elektronischen Kameras. Im Prinzip funktionieren sie nämlich alle ähnlich: Immer wird eine lichtempfindliche Schicht von einem Elektronenstrahl abgetastet. In allen Fernsehstudios, überall auf der Welt. Bis Mitte der 1980er-Jahre.
Inzwischen ist Fernsehen nicht nur digital und bis in Millionen von Bildpunkten hochaufgelöst, sondern auch die Nutzung des Mediums hat sich verändert. Weil inzwischen jeder mindestens eine Kamera und mit dem Smartphone sogar einen eigenen Sender hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Friedrich Wilhelm Murnau (geboren am 28.12.1888) gilt als Magier der Stummfilmära. Er filmt aus bis dahin ungewohnten Perspektiven - und schuf den Ur-Vampir im Kino.
Friedrich Wilhelm Murnaus wohl bekanntester Film ist "Nosferatu", ein inzwischen mehr als 100 Jahre alter Klassiker des Horrorfilms. Allein ein Foto des Vampirs Nosferatu sorgt auch heute noch für Schrecken.
Zwischen 1919 und 1931 dreht Murnau zweiundzwanzig Filme. Viele seiner frühen Werke sind verschollen. Nosferatu hat überlebt, genau wie "Der letzte Mann" oder "Faust", ebenfalls Klassiker der Stummfilmzeit.
1926 dreht Murnau seinen letzten Film in Deutschland. "Faust" bietet ein Feuerwerk der bewegten Bilder aus hell und dunkel, Licht und Schatten. Bald ist auch Hollywood beeindruckt von Murnaus Filmkunst. Sein erster in den USA inszenierter Film gewinnt 1929 drei Oscars.
"Tabu" ist Murnaus letzter Film. Eine Woche vor der Premiere stirbt er im März 1931 mit erst 42 Jahren nahe Hollywoods bei einem Autounfall. Er liegt auf einem Friedhof in Stahnsdorf bei Berlin begraben.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uli Schäfer:
1000 Jahre lang war Zarathustras Religion vorherrschend im heutigen Iran. Mit ihr vollzog sich der Wandel zum Monotheismus, dem Glauben an einen Gott.
Anhand weniger geografischer Andeutungen kann man Zarathustras Wirkungsort wohl im kulturgeografischen Ost-Iran ansetzen. Nach moderner Geografie östlich der Staatsgrenzen der heutigen Islamischen Republik Iran, etwa in Turkmenistan, Usbekistan, vielleicht Nordafghanistan.
Religionshistorisch vollzieht sich offenbar mit Zarathustra vor rund zweieinhalbtausend Jahren langsam die Entwicklung vom Glauben an viele Götter zum Monotheismus, dem Glauben an einen Gott. Der altiranische Priester und Lehrer Zarathustra ist Verkünder der ältesten Offenbarungsreligion der Weltgeschichte.
Und auch wenn die Zahl ihrer Anhänger im Vergleich zu früher heute überschaubar ist, so gehören weltweit doch noch rund 170.000 Gläubige dieser uralten Gemeinschaft an. Die Mehrheit lebt in Indien und Iran.
Mit großer Wahrscheinlichkeit stirbt Zarathustra bei Masar-e Sharif, im heutigen Afghanistan, das damals zum antiken Persien gehörte. Wir wissen, er hatte eine Frau, drei Söhne, drei Töchter und er stirbt im Alter von 77 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Vor den Nazis muss er fliehen und wird in den USA zu einem wichtigen Wirtschaftsberater: Gerhard Colm, gestorben am 26.12.1968, hilft mit beim deutschen Wiederaufbau.
Gerhard Colm ist ein Patriot. 1897 wird er in Hannover geboren, studiert ab 1918 in Düsseldorf, Freiburg und München Staatswissenschaften mit Schwerpunkten auf Volkswirtschaft, Philosophie, Recht und Statistik. 1925 geht er nach Kiel zum noch jungen "Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr". Doch 1933 muss er Deutschland verlassen. Als SPD-Mitglied und Kämpfer für die Demokratie und den Rechtsstaat ist er zum Feindbild der Nazis geworden.
In den USA hingegen wird er geschätzt. Hier ist gerade die Zeit gekommen für wirtschaftspolitische Berater wie Colm. 1946 wird er in den neu gegründeten "Council of Economic Advisers" des US-Präsidenten berufen.
Doch Colm zieht es zurück nach Deutschland. 13 Jahre nach seiner erzwungenen Emigration besucht er sein Heimatland, um als US-amerikanischer Staatsbürger beim wirtschaftlichen Wiederaufbau zu helfen. Es sind die Lehren aus den Versailler Verträgen und der Last der Reparationsvereinbarungen, die Colm dort zur Richtschnur macht. So entsteht etwa der Colm-Dodge-Goldsmith-Plan, die Grundlage der Währungsreform von 1948.
Colm stirbt am zweiten Weihnachtstag 1968 in einem Krankenhaus in der Nähe von Washington.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Am 25.12.1643 entdeckt der britische Kapitän William Mynors eine den Europäern unbekannte Insel im Indischen Ozean. Die Weihnachtsinsel ist berühmt für ihre Krabbenpopulation - und für weniger reiseprospekttaugliche Dinge...
Weihnachtsinseln gibt es mehrere, kreuz und quer über den Erdball verteilt. Die bekannteste jedoch liegt im Indischen Ozean. Entdeckt wird sie am 25. Dezember 1643 von William Mynors, Kapitän des Schiffs Royal Mary der Britischen Ostindien-Kompanie. An Land geht er allerdings nicht. Erst 1688 wird die Insel erstmals von Europäern betreten.
Wie bei europäischen Seefahrern damals üblich, findet die Erkundung der Naturwunder des neu entdeckten Orts primär über den Magen statt. Heute sind die verschiedenen Krabbenarten eine der größten Attraktionen der Insel. Die Weihnachtsinsel-Krabbe, auch Rote Landkrabbe genannt, kommt ausschließlich auf der Weihnachtsinsel und den benachbarten Kokosinseln vor. Ihre Wanderung findet zwischen Oktober und Dezember während der Regenzeit statt - und ist regelmäßig ein spektakuläres Ereignis, das Naturliebhaber, Fotografen und neugierige Reisende aus der ganzen Welt anlockt. Aber auch wegen eines ganz besonderen Bodenschatzes war die Insel lange Ziel vieler Reisen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Ein feucht-fröhliches Motiv schmückt im Dezember 1843 die erste kommerzielle Weihnachtskarte, manche Zeitgenossen finden das unpassend: Auftraggeber ist Sir Henry Cole.
Fröhlich bebildert beginnt vor 180 Jahren die Karriere der kommerziellen Weihnachtskarte. Genauer gesagt sogar feuchtfröhlich: Drei Generationen einer bürgerlichen Familie feiern an einem festlich geschmückten Tisch. Sie schwenken volle Weingläser und prosten dem Empfänger der Karte zu. Auftraggeber der Karte ist Sir Henry Cole, ein englischer Staatsbeamter im Dienste Ihrer Majestät.
Neue Drucktechniken, insbesondere der Einsatz von Farben, machen die Weihnachtskarte im 19. Jahrhundert zunehmend populär. Besonders Karten aus Deutschland sind ein Exportschlager. Gold- und Silberdruck lassen musizierende Weihnachtsengel strahlen, Stoffapplikationen aus Spitze und Samt machen aus Kartengrüßen kleine Kostbarkeiten. Und im Kaiserreich duften einige bereits nach Tannennadeln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Im Amt wurde Helmut Schmidt von vielen geschätzt, als Kanzler a.D. von noch mehr Menschen beinah verehrt - als kluger Kopf mit der Mentholzigarette...
Viele kennen Helmut Schmidt als SPD-Politiker, als früheren Innensenator von Hamburg, als ehemaligen Bundeskanzler - und als chronischen Zigarettenraucher. Er gilt als direkt, schroff und eitel, macht sich als "Schmidt-Schnauze" einen Namen. Verborgen blieben meist die Verletzungen des kleinen Helmut aus Hamburg, die Traumata des Oberleutnants im Zweiten Weltkrieg und die Verstrickungen eines Kanzlers im eskalierenden Krieg gegen den RAF-Terror.
Doch nicht nur als Politiker, auch als Klavierspieler gilt Schmidt als brillant. Zudem interessiert er sich für Malerei und Buddhismus. Nach dem Ende seiner politischen Karriere wird er 1983 Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", schreibt Artikel und Bücher, hält Vorträge. Fast bis zum Schluss an seiner Seite: Seine Frau Loki, mit der er seit 1942 verheiratet ist und eine Tochter hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Die wirklich großen (und auch viele kleine) Erfindungen der Menschheit beruhen oft auf Zufällen: So auch die Erfindung von Eis am Stiel, das 1923 patentiert wird.
Der elfjährige Frank Epperson lässt aus Versehen ein Glas Limonade mit Löffel auf der Veranda stehen. Die Brause gefriert über Nacht und heraus kommt sein erstes Fruchteis am Stiel. Als Erwachsener erinnert sich der Amerikaner an sein frostiges Erlebnis und lässt sich 1923 seine Zufallserfindung unter dem Namen "Popsicle" patentieren.
Im gleichen Jahr setzt sein Landsmann Harry Burst noch einen drauf. Er garniert Vanilleeis mit einem Schokoladenüberzug und präsentiert das Ganze ebenfalls an einem Holzstäbchen. Fertig ist der erste so genannte Rahmeislutscher. Bereits 1924 findet das Stieleis seinen Weg nach Deutschland und setzt sich unter dem Namen "Steckerleis" schnell durch.
Heute versuchen die Firmen ihre Kunden mit immer neuen Sorten und Spezialitäten bei Laune zu halten. Darunter sind auch besonders außergewöhnliche Kreationen wie Weißwurst- oder Gin-Tonic-Gurke-Eis. Erlaubt ist eben, was schmeckt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralf Gödde:
Sergio Leone schafft einen Klassiker der Filmgeschichte: "C´era una volta di West" ist der Western schlechthin, Ennio Morricones Soundtrack legendär...
Es sind die vielleicht spannendsten 14 Minuten der Filmgeschichte, in denen eigentlich nichts passiert: Drei Revolverhelden kommen mit ihren Pferden an einem verlassenen Viehbahnhof an und warten auf jemanden. Ein quietschendes Windrad, knackende Fingerknöchel, eine Fliege, die über eine unrasierte Wange krabbelt. Am 21. Dezember 1968 fesselt in Rom eine ungewohnte Regungslosigkeit das Premierenpublikum des Westerns "Spiel mir das Lied vom Tod".
Schließlich trifft ein Mann mit dem Zug ein. Er ist ein einsamer Rächer mit schnellen Händen, der mit einem dunklen Geheimnis durch die Wüste Arizonas streift. Dabei hat er ein Ziel klar vor Augen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Mitleid im Zweiten Weltkrieg? Ein deutscher Jagdflieger trifft beim Luftkampf auf einen US-Bomber, der wehrlos ist. In dieser Situation steht viel auf dem Spiel.
Noch ein "Luftsieg" über einen feindlichen Bomber, dann winkt dem deutschen Jagdflieger Franz Stigler das NS-"Ritterkreuz" als Belohnung. Er will diesen Abschuss auf jeden Fall schaffen. Doch als er die "Fliegende Festung" des US-Piloten Charles Brown vor sich sieht, ist plötzlich alles anders.
Fast der gesamte Bug der "B-17" ist weggerissen. In einer Tragfläche klafft ein Loch, Teile der Besatzung sind tot oder schwer verletzt. Der beschädigte Bomber verliert dramatisch an Höhe. Franz Stigler hat den Finger am Abzug, als ihm klar wird: Dieser Gegner ist völlig wehrlos. Und trifft eine für ihn lebensgefährliche Entscheidung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Virginia Wolf, James Joyce, Simone de Beauvoir: Berühmte Porträts dieser Persönlichkeiten stammen von Gisèle Freund, geboren am 19.12.1908. Ihre Kunst: Sie fängt mit der Kamera die Essenz der Menschen ein.
Gisèle Freund wächst wohlbehütet und großbürgerlich in Berlin auf. Der Physiker Albert Einstein wohnt gegenüber. Der Maler Max Liebermann ist ein Freund der Familie. Ihr Vater ist ein jüdischer Textilfabrikant und schenkt ihr früh eine Kamera – damit sie sich "ausdrücken" kann.
Entgegen gesellschaftlicher Normen bestimmt Gisèle Freund ihren eigenen Lebensweg. Statt auf die Hauswirtschaftsschule zu gehen, setzt sie ein Soziologie-Studium bei den Eltern durch und flüchtet nach Paris, als Hitler die Macht übernimmt.
In Paris findet sie dank ihrer guten Bildung schnell Zugang zu Künstlern und Schriftstellern, die sie auch fotografiert. Ihr Geheimnis: "Im Laufe der Unterhaltung vergisst der Mensch den Apparat. Und dann kommt der Moment, den ich abpassen muss, um ihn dann zu fotografieren, dann erscheint er mir das, was er ist." So prägt Gisèle Freund die Kunst der Porträtfotografie entscheidend.
"Gisèle Freund war umwerfend. Von einer Lebendigkeit, die uns Jüngere fast überrollt hat", sagt Klaus Honnef, der Freunds Bilder als erster in Deutschland ausgestellt hat. Gisèle Freund hat immer betont, dass das Glücklichsein und das Glücklichmachen von Menschen das Wesentliche im Leben sind. Eine Lebenseinstellung, die man ihren Bildern ansieht.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anke Rebbert:
Die ältesten Kunstwerke der Menschheit liegen in einer schwäbischen Höhle - das berichtet "Nature" am 18.12.2003. Ein neuer Blick auf die frühe Menschheitsgeschichte...
Die Zeitung "Nature" berichtet am 18. Dezember 2003 zuerst über den spektakulären Fund: ein Wasservogel, ein Löwenmensch und ein Pferdekopf. Letzterer wird sich Jahre später als Bär herausstellen. Alle Figuren sind nur wenige Zentimeter groß, aber belegen die künstlerischen Begabungen der Steinzeitmenschen in der Schwäbischen Alb.
Bis dahin haben Wissenschaftler Steinzeitkunst vor allem in Frankreich vermutet, etwa in den aufwändig ausgemalten Höhlen von Lascaux, während in Deutschland die eher grobschlächtigen Neandertaler verortet sind. Nun zeigt sich: Der moderne Homo Sapiens ist auch diesseits der Alpen den schönen Dingen zugeneigt: Er schnitzt nicht nur, sondern er musiziert auch. Das beweisen die ebenfalls in Höhlen der Schwäbischen Alb gefundenen Knochenflöten. Und wo musiziert wird, da wird wohl auch gesungen und getanzt.
Bei folgenden Ausgrabungen kommen weitere Schnitzereien und Flöten zutage. 2017 werden die sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb "als einzigartiges Zeugnis menschlichen Kunst- und Kulturschaffens" in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Die deutsche Kriegsniederlage als Werk der Gegner im eigenen Land: Die Dolchstoßlegende ist am 17.12.1918 in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen. Sie verbreitet sich.
Die Mär von der im Feld siegreichen Armee, deren Erfolge auf dem Schlachtfeld in der Heimat untergraben werden, kommt vielen gelegen. Die hohen Militärs nutzen die Dolchstoßlegende, um jegliche Verantwortung an der Niederlage des Ersten Weltkriegs von sich zu weisen.
Rechtskonservative, Deutschnationale und schließlich die Nationalsozialisten halten den Mythos aufrecht, um die verhasste Weimarer Republik zu diskreditieren. Schließlich sitzen dort jene Politiker an der Macht, die den Soldaten den Todesstoß durch ihre Friedensinitiativen und der Unterzeichnung des Friedensvertrages versetzt haben.
Die Strategie geht auf: Adolf Hitler kommt 1933 auch wegen seiner Hetze gegen den Versailler Vertrag an die Macht und führt Deutschland erneut in den Krieg. Der endet mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen. Auch, weil die Alliierten diesmal eine Verraterzählung, die durch einen Friedensvertrag genährt werden könnte, verhindern wollen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Am 16. 12.1653 wird Oliver Cromwell als Lordprotektor vereidigt. Wie wurde aus dem engagierten Parlamentarier ein de facto diktatorischer Alleinherrscher?
Oliver Cromwell ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten der britischen Geschichte. Einerseits stärkt er das Parlament, erarbeitet eine Verfassung mit einem bis heute geltenden Prinzip: der Gewaltenteilung. Andererseits aber ist er ein brutaler Kriegsherr, dem nicht nur gegnerische Soldaten, sondern auch zahlreiche Zivilisten zum Opfer fallen.
Auf Cromwells Veranlassung enthaupten die Engländer 1649 ihren König Charles I. Mit dem Land verändert sich in der Folge auch Oliver Cromwell. Nachdem er am 16. Dezember 1653 als Lordprotektor vereidigt wird, entwickelt sich der leidenschaftliche Parlamentarier zum Alleinherrscher, ähnlich dem König, den er vorher bekämpft hat. Der Lordprotektor hat eine Rolle, die irgendwo zwischen der eines Königs und eines Präsidenten liegt.
Cromwells Regierungszeit währt nur kurz: Nach fünf Jahren stirbt er am 3. September 1658 mit 59 Jahren an Malaria, mit der er sich in Irland infiziert. Zu seinem Nachfolger bestimmt er seinen Sohn Richard. Der erweist sich aber für Regierungsgeschäfte ungeeignet, frönt stattdessen dem schönen Leben, ist verschuldet und setzt sich nach Frankreich ab. Das ist das Ende bürgerlicher Staatsoberhäupter in Großbritannien.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
533 verschwanden die Vandalen aus der Weltgeschichte. Würden sich die Vandalen im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was wir mit ihnen verbinden? Wäre das Vandalismus?,
Am 15. Dezember 533 unterliegt Vandalen-König Gelimer mit seinen Truppen in der Schlacht von Tricamarum den Soldaten Ostroms. Damit verschwinden die Vandalen aus der Weltgeschichte, in der sie 130 Jahre lang eine wichtige Rolle gespielt haben. Schriftliches bleibt nicht von ihnen. Aber bis heute wird blindwütige Zerstörung als "Vandalismus" bezeichnet. Der Begriff ist aber wohl erst Jahrhunderte später während der französischen Revolution entstanden.
Als der Mob in Paris wütet, Kirchen zerstört und Heiligengräber schändet, sucht ein Pfarrer nach einem Bild für die Verwüstungen. Schließlich redet er im Konvent "Über den Vandalismus und die Möglichkeiten seiner Unterdrückung".
Bei den Original-Vandalen handelt es sich um einen eher kleinen Stammesverband, der jahrhundertelang zunächst in der Gegend des heutigen Schlesien lebt. Um das Jahr 400 ziehen die meisten Vandalen zusammen mit den verbündeten Alanen Richtung Westen.
Am Rhein ist wegen der dort stationierten Hilfstruppen der Römer fast Endstation. Die Franken werden dafür bezahlt, die Ostgrenze des Römischen Reiches zu verteidigen. Bei der Schlacht im Dezember 406 sollen bis zu 20.000 Vandalen gefallen sein. Der Rest schafft es über den Rhein und macht sich auf den Weg nach Gallien. Jahrelang ziehen die Vandalen mordend und beutesüchtig durch das reiche Gallien und über Spanien bis nach Nordafrika.
Erst mit der Niederlage in der Schlacht von Tricamarum findet ihr Weg der Zerstörung sein Ende.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff, geboren am 14.12.1938, setzt sich für Menschenrechte ein und geht in den Konflikt mit der katholischen Amtskirche.
Für den brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff muss die Kirche eine Kirche der Armen sein. Er kritisiert die Kirche dafür, dass sie nach seinem Empfinden ihre Dogmen über die Menschen stellt. Damit rüttelt Boff in den 1970er- und 80er-Jahren schwer an den Grundfesten der katholischen Kirche und landet schließlich auf der Anklagebank des Vatikan. Sein Gegenspieler - ein einstiger Unterstützer: Joseph Kardinal Ratzinger, oberster Glaubenshüter, der spätere Papst Benedikt XVI.
Während seiner religiösen Ausbildung verehrt Boff den brillanten Denker Joseph Ratzinger. Der wird Zweitgutachter seiner Dissertation. Und ein Förderer. Mit einer erheblichen finanziellen Unterstützung ermöglicht er die Veröffentlichung der Doktorarbeit von Leonardo Boff. Eine Freundschaft entsteht, die mit Ratzingers Aufstieg im Vatikan auf eine harte Probe gestellt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
Der Mann, der den legendären "Commodore 64" auf den Markt brachte, ist nur vier Jahre zur Schule gegangen. Dies ist die beeindruckende Lebensgeschichte von Jack Tramiel, offiziell geboren am 13.12.1928...
Der "Commodore 64" steht als erster Computer in den Regalen der Kaufhäuser, nicht mehr im Fachhandel. Ein Jahr nach der Markteinführung im August 1982 kostet er nur noch 300 Dollar.
Die Commodore -Werbung stichelt gegen die damaligen Konkurrenten IBM, Apple und Atari, sie müssten sich warm anziehen. Die Revolution der Computerindustrie beginnt. Und hinter ihr steckt Jack Tramiel.
Jack Tramiel kommt als Idek Trzmiel im polnischen Lodz als Kind jüdischer Eltern zur Welt. Die Nazis deportieren die Familie 1944 aus dem jüdischen Ghetto nach Auschwitz-Birkenau. Idek überlebt den Holocaust - seine gesamte Verwandtschaft kommt darin ums Leben..
Idek Trzmiel gelangt nach dem Krieg in die USA. Dort macht er unter seinem neuen Namen Jack Tramiel Karriere mit dem Handel und der Reparatur von Büromaschinen. Als Ziehvater des "Commodore 64" und später bei Atari revolutioniert Tramiel den Computermarkt. "Homecomputer" werden für die Verbraucher erschwinglich und halten Einzug in die private Nutzung.
Bevor Jack Tramiel 2012 stirbt, hält er dankbar Rückschau auf sein wechselvolles Leben: "Ich bin ein sehr glücklicher Mensch. 1945 wurde ich wiedergeboren. Aber ich schaue nicht zurück. Und ich habe keinerlei Hass in mir. Ich habe ein Unternehmen aufgebaut, ich habe eine Familie gegründet [...] und wir sind alle sehr froh darüber, was wir erreicht haben."
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
An vier Haken hängt vor über 100 Jahren da Vincis Mona Lisa im Louvre, und es ist ganz leicht, sie zu stehlen. Am 12.12.1913 wird sie in Florenz sichergestellt.
Zwei Jahre nach dem Diebstahl der Mona Lisa nimmt ein ehemaliger Mitarbeiter des Louvre Kontakt mit einem Kunsthändler in Florenz auf. Der Handwerker Vincenzo Perugia erklärt, er habe das Bild aus patriotischen Gründen gestohlen. Es solle in seine italienische Heimat zurückkehren. Am 12. Dezember 1913 wird er festgenommen und das Kunstwerk sichergestellt.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende: Hinter alldem soll jemand mit einem größeren Plan gesteckt haben. Eduardo de Valfierno, gebürtiger Argentinier, Kunstsammler und kriminell. Er soll der Auftraggeber gewesen sein, mit einer sehr listigen Strategie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Nicht so bekannt wie Pompeji: Auch das benachbarte Herculaneum wird vom Vesuv verschüttet. Am 11.12.1738 wird die Stadt entdeckt - der Beginn der modernen Archäologie.
Zwei Schwestern am Golf von Neapel: Die römischen Städte Pompeji und Herculaneum werden im Jahr 79 nach Christus beim Ausbruch des Vulkans Vesuv unter Asche, Schlamm und Lava begraben. Erst Jahrhunderte später werden sie wiederentdeckt. Am 11. Dezember 1738 werden Steine des Theaters von Herculaneum gefunden.
Dieser Tag gilt als Beginn der systematischen Ausgrabung der antiken römischen Stadt. Und auch als Startschuss für die moderne Archäologie, die große Antikenbegeisterung in ganz Europa entfacht.
Der nächste Sensationsfund, das nicht weit entfernte Pompeji, lässt die Arbeiten in Herculaneum in den Hintergrund rücken. Denn in Pompeji ist die Ausgrabung deutlich einfacher, weil der steinharte Lava-Überzug viel dünner ist. In Herculaneum kommen die Grabungen erst im 19. Jahrhundert wieder richtig in Gang.
In diesem Zeitzeichen erzählt Edda Dammmüller:
Am 10.12.1933 erhält der Physiker Paul Dirac den Nobelpreis. Seine Dirac-Gleichung schreibt Geschichte. Trotzdem gilt das britische Ausnahmetalent als Außenseiter.
Zurückgezogen, schweigsam, scheinbar ohne Empathie: Der britische Physiker Paul Dirac gilt als der seltsamste Mensch der Quantenmechanik. Seine entsetzliche Kindheit hat ihn geprägt: Sein Vater drangsaliert und isoliert ihn. Als Folge kapselt sich Paul ab.
Seine Rettung ist die Mathematik, die ihm den Weg in die Physik und die Quantentheorie eröffnet. Aus seiner Dirac-Gleichung folgt die Erkenntnis, dass ein bisher unbekanntes Elementarteilchen, das Positron, existiert. Dafür erhält Dirac im Dezember 1933 den Physiknobelpreis.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Das "Dada-Manifest 1918", das der Dichter Tristan Tzara im Dezember des Jahres veröffentlicht, trägt Dada aus Zürich in die Welt: Kunst gegen Krieg und Spießbürgertum.
Tristan Tzara gründet 1916 gemeinsam mit Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Richard Huelsenbeck und Hans Arp die Zürcher Gruppe des Dadaismus. Lange hält die Künstler-Clique nicht - doch den Dada tragen alle weiter hinaus in die Welt.
Tzara zieht es nach Paris. Sein Entrée ist die Zeitschrift Dada 3 und sein Manifest 1918, das er am 9. Dezember des gleichen Jahres endlich in den Händen hält. Sein Manifest, das kein Manifest sein will, besteht vor allem aus widersprüchlichen, sich wechselseitig aufhebenden Aussagen. Doch eben das ist Dada - und von Tzara genauso gewünscht: "Was wir brauchen, sind starke, gerade, genaue und für immer unverstandene Werke. Die Logik ist eine Komplikation. Die Logik ist immer falsch."
Obwohl die Dadaismus-Bewegung längst wieder Geschichte ist, lassen sich bis heute Künstlerinnen und Künstler immer wieder von Dada inspirieren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:
Am 8.12.1983 wird Otto Graf Lambsdorff angeklagt - ein amtierender Wirtschaftsminister mitten in einer Affäre um Spenden, schwarze Kassen und den damals mächtigen Flick-Konzern...
1981 stößt der Steuerfahnder Klaus Förster bei Ermittlungen auf ein ausgeklügeltes System zur Verschleierung von Spenden und schwarzen Kassen. Darin verwickelt sind der damals mächtige Flick-Konzern, katholische Missionare und hochrangige Politiker von CDU, CSU, SPD und FDP.
"Wie bestechlich ist die Republik?" fragen damals die Medien. Der Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch nennt seine teils verdeckten Spenden "Pflege der politischen Landschaft".
Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und sein Vorgänger Hans Friedrichs müssen vor Gericht. Der Manager von Brauchitsch muss sich wegen angeblicher Bestechung von Amtsträgern verantworten.
Vor Gericht geht es auch um einen möglichen Zusammenhang zwischen der Annahme der Flickspenden und der Steuerbefreiung bei einem Industriedeal des Konzerns, der aber nicht bewiesen wird. Lambsdorff und Friedrichs werden aber wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Flickmanager von Brauchitsch wird zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 550.000 Mark verurteilt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Vor hundert Jahren glaubten die Menschen, dass die Milchstraße das ganze Universum sei. Dann, am 7.12.1923, führte Edwin Hubble einen bahnbrechenden Beweis...
Edwin Hubble steht das damals größte Teleskop der Welt auf dem Mount Wilson in Kalifornien zu Verfügung. 1923 entdeckt er in wochenlangen Beobachtungen von Spiralnebeln außergewöhnliche Sterne, sogenannte Cepheiden, deren Leuchtkraft regelmäßig zu- und abnimmt.
Aus den Helligkeitsschwankungen errechnet der 33 Jahre junge Astronom die Entfernung der Nebel - rund 900.000 Lichtjahre. Nach heutigen Berechnungen ist das nicht ganz richtig, aber nah dran. Auf jeden Fall folgt daraus, dass der von Hubble entdeckte Spiralnebel Andromeda weit außerhalb der Milchstraße liegt.
Damals ist das ein ganz revolutionärer Gedanke, denn Hubbles Vorgänger sind lange überzeugt, dass die Milchstraße mit ihren 100.000 Lichtjahren Durchmesser die einzige Galaxie des Universums ist. Hubbles Pionierarbeit macht somit das Weltall auf einen Schlag um vieles größer, als die Experten je erwartet hätten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
Spaniens Verfassung feiert Geburtstag: Am 6.12.1978 hat die Bevölkerung sie angenommen. Doch die junge Demokratie kämpft zunächst gegen Widerstände.
Die breite Zustimmung für die neue Verfassung ist ein Meilenstein für die junge spanische Demokratie. Es ist gerade einmal drei Jahre her, dass Diktator Francisco Franco im November 1975 gestorben ist und Spanien von der Diktatur zur Demokratie wird.
Diese "Transición" verläuft weitgehend ohne Blutvergießen. Konsens heißt damals die Maxime, nach der die Politiker handeln. Es gelingt ein parteiübergreifender Kompromiss, der den Weg frei macht zu den ersten freien Wahlen 1977 und der demokratischen Verfassung von 1978.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei König Juan Carlos, den Diktator Franco zu seinem Nachfolger aufgebaut hat. Juan Carlos wird zum Motor des Demokratisierungsprozesses. Und als 1981 Teile des Militärs die junge Demokratie zu stürzen versuchen, ruft der König die Putschisten in die Kasernen zurück. Er wird für viele damit zum Retter der jungen spanischen Demokratie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Am 5.12.1963 wird Max von der Grün auf seiner Zeche entlassen. In seinem Roman "Irrlicht und Feuer" hat er zuvor die miesen Arbeitsbedingungen unter Tage geschildert.
Bergmann wird Max von der Grün erst auf Umwegen. Geboren 1926 in Bayreuth kämpft er im Zweiten Weltkrieg als Soldat in Frankreich und gerät 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, die er als Holzfäller, Baumwollpflücker und Bergarbeiter unter anderem in Louisiana verbringt.
Zurück in Deutschland lernt er Maurer und lässt sich 1951 ins Ruhrgebiet anwerben. Er beginnt als Bergmann auf der Zeche Königsborn in Unna.
Nach einem schweren Arbeitsunfall als Hauer bilden ihn die Klöckner-Werke 1954 zum Grubenlokführer aus. Knapp zehn Jahre später rückt Max von der Grün als Schriftsteller ins Rampenlicht. Sein Roman "Irrlicht und Feuer" löst einen Skandal aus.
In der Geschichte über den Bergmann Jürgen Fohrmann gibt es Szenen, die schonungslos und drastisch von den katastrophalen Arbeitsbedingungen unter Tage erzählen: Mangelhafter Arbeitsschutz, gewissenloser Einsatz technisch unausgereifter Maschinen und ein tödlicher Betriebsunfall werden beschrieben.
Die Zeche verlangt Textänderungen und die Streichung etlicher Passagen. Aber Max von der Grün lehnt das ab. Man sieht sich "gezwungen", ihn fristlos zu entlassen. Das Betreten des Werkgeländes wird ihm verboten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Das Konzil von Trient endet am 4.12.1563. Die gespaltene Christenheit ist nicht geeinigt, im Gegenteil. Doch was ist Mythos und was ist wirklich beschlossen worden?
Der Auftakt ist bescheiden: Gerade mal 30 klerikale Würdenträger ziehen an einem Donnerstagmorgen im Dezember 1545 in die Kathedrale San Vigilio ein, um in Trient das lang ersehnte Konzil zu eröffnen. Fast 30 Jahre zuvor hat Martin Luther seine Thesen in Wittenberg veröffentlicht und die katholische Kirche nachhaltig erschüttert.
Für den Vatikan sind Luthers Ansichten protestantische Irrlehren. Zum Beispiel die Vorstellung, jeder Christenmensch könne einfach selbst entscheiden, was die Bibel ihm sage. Das ist nur einer von vielen strittigen Punkten. Entsprechend lang sind die Beratungen.
Schließlich wird nach 18 Jahren ein Kompromiss geschlossen: Reformen tragen zu einer Neuerung der katholischen Kirche bei, so sehen es Verteidiger des Konzils, sie besiegeln aber auch die Glaubensspaltung zwischen katholischen und evangelischen Christen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Die Franzosen nennen König Karl VI. (geboren am 3.12.1368) den "Vielgeliebten" - bis wahrscheinlich eine Entzündung sein Leben verändert und er als "der Wahnsinnige" in die Geschichte eingeht...
Geboren wird der spätere französische König am 3. Dezember 1368 in Paris. Sein Vater ist ein beliebter Herrscher und kerngesund. Seine Mutter hingegen kränkelt und erleidet häufig Nervenzusammenbrüche. Karl VI. scheint zunächst mehr nach seinem Vater zu geraten. Der junge Karl genießt das Leben, liebt die Jagd mit Hunden und Falken, reitet wie der Teufel und glänzt auf Turnieren.
Als Karl gerade einmal zwölf Jahre alt ist, stirbt sein Vater überraschend. Er wird daraufhin zwar formell zum König gekrönt, die Regierungsverantwortung aber tragen zunächst seine drei Onkel - allerdings mehr schlecht als recht. Als Karl VI. 1388 endlich die Herrschaft selbst übernimmt, ist die Staatskasse leer, aber die Freude bei seinen Untertanen groß. Der junge König regiert engagiert und, dank erfahrener Berater, erfolgreich. Er setzt sich gegen Korruption und für eine bessere Bürokratie ein.
Doch mit 24 Jahren befällt ihn eine mysteriöse Krankheit - möglicherweise Typhus oder eine Gehirnentzündung. Danach beginnen psychotische Episoden, die ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1422 heimsuchen. Nach einem Unglück während eines Fests, bei dem vier seiner engsten Freunde verbrennen, verfällt er endgültig dem Wahnsinn und ist nur noch selten bei klarem Verstand. Aus Karl "dem Vielgeliebten" wird Karl "der Wahnsinnige".
Eines aber bleibt festzuhalten: In seinen klaren Momenten tut der König das Richtige für sein Land. Das kann man nicht von allen Machthabern behaupten, deren Geisteskraft heute in Frage gestellt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Maria Callas zählt zu den berühmtesten Sopranistinnen weltweit: Ihr Gesang berührt Menschen, ihre Stimme ruft bei einigen sogar körperliche Reaktionen hervor.
Sie ist die Inkarnation der Primadonna und Meisterin aller vokalen Klassen: Maria Callas. "Die Göttliche" kommt am 2. Dezember 1923 als zweite Tochter griechischer Einwanderer in New York zur Welt. Früh lernt das kleine, dicke Mädchen, dass sie um Liebe kämpfen muss.
Schon mit acht erhält Maria den ersten Klavier- und Gesangsunterricht, mit 13 geht sie mit ihrer Mutter zurück nach Athen. Am dortigen Konservatorium wird Callas in die Gesangsklasse der berühmten Koloratursopranistin Elvira de Hidalgo aufgenommen. Mit eisernem Willen ausgestattet, feiert sie 1938 als 15-Jährige in Athen ihr Bühnendebüt.
Den Durchbruch erlebt Maria Callas 1947 als "Gioconda" in der Arena von Verona. Ihre tiefe Bruststimme, die sie dramatisch perfekt einzusetzen versteht, reißt das Publikum von den Sitzen. Es ist der Beginn einer kurzen, fulminanten Karriere. In den folgenden Jahren gelingt es Callas immer wieder, mit schier unerschöpflichen Kraftreserven ihr Auditorium zur Raserei zu treiben. Ab Mitte der 1950er Jahre ist ihrer Stimme der Verschleiß dann aber deutlich anzuhören.
Mit "Tosca" erlebt Maria Callas 1965 in London ihren letzten unumstrittenen Triumph. Bei ihrer Abschiedstournee mit Giuseppe di Stefano 1973 zollt man der Primadonna noch tiefen Respekt, aber die einsame Größe ihrer Stimme ist Vergangenheit. Nach Jahren der selbst gewählten Einsamkeit stirbt Maria mit nur 53 Jahren in Paris an Herzversagen. Ihre Asche wird in der Ägäis verstreut.
In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
Gerade einmal 12 Minuten lang - und doch erzählt der Stummfilm von 1903 eine richtige Geschichte mit verschiedenen Handlungen. Normal? Damals war das revolutionär!
Edwin S. Porter aus Pennsylvania gehört zu den Filmpionieren in den Vereinigten Staaten. Im Jahr 1900 erhält er eine Anstellung bei Thomas Edison, der auch Filmkameras und Projektoren herstellte. Für die "Edison Company" drehte Porter eigene Filme. Dazu gehört auch "Der große Eisenbahnraub".
Der Film ist einer der ersten Western und sticht vor allem mit seiner Handlung heraus: so arbeitet er schon mit Parallelmontage und Jump Cuts. Der Film besteht aus 14 Szenen und ist mit zwölf Minuten für die Zeit der Anfänge des Films recht lang. Schon die ersten Bilder versprechen Spannung: Ein Mann sitzt im Telegrafenbüro eines Bahnhofs an einem Schreibtisch und liest Telegramme. Die Tür wird geöffnet und zwei schwarz gekleidete Männer mit Hüten und gezogenen Revolvern treten ein.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Thiemann:
Berlin 1890: Wissenschaftler, Zirkusdirektoren und Schaulustige staunen über ein angebliches Wunderpferd. Sein Tier könne rechnen und lesen, sagt der Lehrer Wilhelm von Osten (geboren am 30.11.1838)...
Schon Wilhelm von Ostens erster Hengst konnte angeblich bis fünf zählen. So berichten es zumindest Zeitzeugen. Doch in die Geschichte eingehen sollte nach dessen Tod Hans II. - der "Kluge Hans". Dieses Pferd kann angeblich zählen, lesen und rechnen. Per Zeitungsanzeige lädt Wilhelm von Osten jeden dazu ein, den Versuchen zur Feststellung der geistigen Fähigkeiten seines Pferdes beizuwohnen. Vorführungen gibt's jeden Tag um 11 Uhr. Auch eine zwölfköpfige Wissenschaftlergruppe stellt Hans auf die Probe - und urteilt: Hier sind keine Tricks im Spiel.
Nun zweifeln viele an der Expertenkommission. Dresseure versprechen mit jedem Pferd nach kurzer Zeit bessere Ergebnisse erzielen zu können. Ein regelrechter Wettbewerb um intelligente Vierbeiner beginnt: Als Schaubudenattraktion wird in Leipzig der Schimmel Hans vorgeführt, in Berlin macht ihm die kluge Rosa Konkurrenz. Eine zweite wissenschaftliche Kommission stellt schließlich nach sieben Wochen fest: Der clevere Hans kann nicht zählen, lesen und rechnen. Das Pferd liest nicht die Schultafel, sondern seinen Lehrer, seine Mimik und Körperhaltung. Doch das ist ja auch ziemlich clever.
Wilhelm von Osten allerdings glaubt unbeirrt an die Fähigkeiten seines Pferdes - und unterstellt dem Tier gar Böswilligkeit. Angeblich hat er Hans noch auf dem Totenbett verflucht.
In diesem Zeitzeichen erzählen Veronika Bock und Ulrich Biermann:
Zimmerpolier Gustav Dietrich und fünf Kollegen laden am 29.11.1888 in Berlin zum Erste-Hilfe-Kurs für Arbeiter ein: Die Veranstaltung wird Folgen haben.
Im 19. Jahrhundert sind tödliche Arbeitsunfälle in Fabriken und Bergwerken oder auf Baustellen an der Tagesordnung. Dem gegenüber sind Arbeitsschutzmaßnahmen ebenso Mangelware wie geeignete Vorkehrungen für den Ernstfall. Da beschließen die Arbeiter in Berlin, sich bei Unfällen selbst um die Versorgung von Verletzten zu kümmern. Am 29. November 1888 treffen sich über 100 Zimmerleute, Maurer und Bauarbeiter zu ihrem ersten selbstorganisierten Erste-Hilfe-Kurs. Weitere Kurse folgen - bald auch in anderen Städten Deutschlands.
Der Obrigkeit sind diese Treffen ein Dorn im Auge. Eine Zeit lang wird den Arbeitern verboten, sich in Gaststätten zu versammeln. Zudem sind die meisten Ärzte nicht bereit, die interessierten Laien zu unterrichten. Vor allem jüdische Mediziner erteilen Nachhilfe. 1909 schließen sich die Selbsthilfeorganisationen deutschlandweit zum Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) zusammen. Dieser veranstaltet fortan nicht nur Erste-Hilfe-Kurse, sondern konzipiert auch Vorschriften zum Arbeits- und Unfallschutz und entwickelt Ideen zur Verbesserung der Hygiene in Krankenhäusern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
In seiner einzigen Oper, "Saint François d’Assise", bringt Olivier Messiaen den heiligen Franziskus auf die Bühne: Eine besondere Rolle spielen dabei Vögel.
Das Thema für seine erste und einzige Oper findet Olivier Messiaen schnell: Franziskus soll es sein, weil er Christus ähnelt. Aber auch wegen seiner Beziehung zu den Vögeln. Denn Vögel sind für den passionierten Ornithologen Messiaen ein zentrales Thema in seinem gesamten Schaffen. So basiert auch bei seiner Oper etwa ein Drittel des gesamten Materials auf Vogelgesang-Imitationen.
Acht Jahre braucht Messiaen, um seine Oper abzuschließen. Sie schildert nur einzelne Episoden aus dem Leben des Heiligen Franziskus. Allenfalls sporadisch gibt es eine Handlung im engeren Sinne. Am 28. November 1983 erfolgt die Uraufführung im Palais Garnier der Pariser Oper. Das Echo ist gespalten, die ersten Aufführungen sind aber alle ausverkauft. Bei späteren Inszenierungen stellt sich dann heraus, dass die karge Handlung und die wenigen szenischen Vorgaben auch Chancen bieten.
Messiaen lässt in "Saint François d'Assise" das Verhältnis von katholischem Weltbild und individuellem Schöpfertum bewusst in der Schwebe. Insofern ist diese Oper vor allem eines: ein faszinierendes Dokument des Widerstandes gegen einen von Oberflächlichkeit geprägten Zeitgeist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Eine zerstörte Bäckerei. Oder nur Mundraub mexikanischer Soldaten? Die Beschwerde eines nach Mexiko ausgewanderten französischen Bäckers löst einen echten Krieg aus, in dem die französische Flotte am 27.11.1838 ein Fort beschießt...
Mitte des 19. Jahrhunderts: Die mexikanische Republik ist erst wenige Jahre alt. Da reicht auch schonmal ein Kuchen, um einen Krieg auszulösen.
Ein nach Mexiko ausgewanderter französischer Bäcker jedenfalls behauptet, dass Offiziere der mexikanischen Armee in seinem Geschäft Schaden angerichtet hätten - ob es dabei um ein paar nicht bezahlte Stücke Kuchen oder eine verwüstete Bäckerei ging, ist unklar. Ebenso wie die Frage, ob es wirklich echte mexikanische Offiziere waren, die den Schaden angerichtet haben.
Der Bäcker, Monsieur Remontel sein Name, will eine Entschädigung vom mexikanischen Staat, die er nicht bekommt. Also bittet er den französischen König Louis-Philippe, seiner Forderung nach 60.000 Pesos Nachdruck zu verleihen. Der Monarch verzehnfacht kurzerhand den Betrag und schickt die Kriegsflotte als Geldeintreiber. Diese blockiert zunächst alle mexikanischen Häfen im Golf von Mexiko und greift am 27. November 1838 schließlich die Festung San Juan de Ulua an.
Obwohl Frankreich taktisch und waffentechnisch überlegen ist, zieht sich der Krieg über Monate. Schließlich aber lenken die Mexikaner ein und sagen die Zahlung der geforderten Pesos zu. Die Franzosen ziehen ab. Gezahlt wird die Summe letztlich aber nie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Um das Jahr 1600 entstehen viele Leih- und Pfandhäuser in Deutschland, denn die "kleine Eiszeit" macht viele Menschen arm. Die erste belegbare Eröffnung findet 1603 in Augsburg statt.
Die Idee der öffentlichen Leihhäuser stammt von Mönchen aus Italien, die sich gegen den Wucher privater Pfandleiher richtet. In Deutschland ist das 1603 gegründete Städtische Leihamt in Augsburg die erste Einrichtung dieser Art. Dabei dienen zunächst eine Kammer und der Dachboden des Almosenhauses als Verwahrort für die noch spärlichen Pfänder. Am Anfang sind das vor allem kleine Gegenstände wie silberne Löffel, Kleidung oder Stoff.
Die Schuldner können ihre Pfänder wieder auslösen - mit einem Aufschlag von fünf Prozent. Pfandstücke, die nicht binnen Jahresfrist ausgelöst werden, werden versteigert. Der Gewinn wird an den Schuldner weitergegeben. Weil dieses Modell in Augsburg so gut läuft, eröffnen in den nächsten drei Jahrhunderten immer mehr Städte Leihhäuser. 34 Leihämter existieren zeitweise in Deutschland.
Doch die Zeiten ändern sich. Nach 415 Jahren stellt die Stadt Augsburg den Betrieb ihrer Pfandleihe Ende 2018 ein - zu groß ist die private Konkurrenz, zu verlockend der Handel via Internet. Heute gibt es nur noch ein städtisches Leihamt in Deutschland und das gehört der Stadt Mannheim. Das aber schreibt weiterhin schwarze Zahlen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Sie ist die zweite Frau in diesem Amt - und wäre doch gern Ministerin geblieben: Doch auch als Bundestagspräsidentin hat Rita Süssmuth einiges bewegt.
In Umfragen gehört Rita Süssmuth lange Zeit zu den beliebtesten Politikerinnen in Deutschland. Ihr Aufstieg von der Wissenschaft in die Politik ist steil: 1981 Eintritt in die CDU, 1985 Familien-und Gesundheitsministerin und 1988 die Wahl zur Bundestagspräsidentin.
Dabei würde Rita Süssmuth eigentlich lieber Familien- und Gesundheitsministerin bleiben. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl ist in Not. Denn Süssmuths Vorgänger im Amt des Bundestagspräsidenten, Phillip Jenninger, hat eine höchst umstrittene Rede über die Judenverfolgung in der NS-Zeit gehalten und ist deshalb nicht mehr tragbar.
Mitte der 80er-Jahre sind Aids und die Angst davor ein Riesenthema: Die Diagnose Aids kommt damals einem Todesurteil gleich. Die Gesellschaft lernt in dieser Zeit, offen über Sexualität zu sprechen.
Daran wirkt auch die katholische CDU-Ministerin Rita Süssmuth - durchaus im Konflikt mit anderen Unions-Politikern - leidenschaftlich mit und macht 80 Millionen Mark für Aufklärungsarbeit und Prävention locker. Als erste Frauenministerin Deutschlands kämpft Rita Süssmuth außerdem für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, für die Frauenquote, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die Liberalisierung des §218.
Druck und Zwang haben in der Erziehung von Kindern nichts zu suchen, fand Remo Largo (geboren am 24.11.1943). Mit Büchern wie "Babyjahre" hat er Millionen Eltern die Idee einer menschenfreundlichen Entwicklung ihres Kindes nahegebracht.
Schon als Kind fällt Remo Largo durch seinen Wissensdurst auf. Und seine ungewöhnliche Lektüre: Er liest die komplette Bibel und den Brockhaus von A-Z.
Largo studiert Medizin, wird aber kurz nach Beendigung des Studiums krank. Er muss seine Berufspläne ändern und landet eher zufällig in der Abteilung eines Kinderkrankenhauses, die sich hauptsächlich mit der kindlichen Entwicklung beschäftigt. Später sagt Remo Largo, dies sei eigentlich eine glückliche Fügung gewesen.
Die wichtigste Erkenntnis in seinen Studien kindlicher Verhaltensweisen ist die der Individualität jedes einzelnen Kindes. Im Sinne Remo Largos gehört das Kind nicht den Eltern, sondern sich selbst. Es kommt nicht auf die Welt, um die Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen, sondern um zu jenem Wesen zu werden, das in ihm angelegt ist. Die Verantwortung dafür, dass dies dem Kind gelingt, sieht Largo bei den Eltern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Die am längsten laufende TV-Science-Fiction-Serie der Welt ist "Doctor Who". Dazu beigetragen haben auch die wechselnden Doktoren und typisch britisch eine Telefonzelle.
Bei Science-Fiction-Fernsehserien denken die meisten vermutlich an die amerikanische Serie "Star Trek" - hierzulande besser bekannt als "Raumschiff Enterprise". Doch den Rekord der erfolgreichsten und am längsten laufenden TV-Science-Fiction-Serie der Welt hält die britische Produktion "Doctor Who".
Die Karriere des heute weltweit berühmten außerirdischen Doktors und Time Lords vom fernen Planeten Gallifrey beginnt Anfang der 1960er-Jahre als eine Art Pausenfüller. Die BBC ist auf der Suche nach einem kostengünstig zu produzierenden Stoff für einen 25-minütigen Sendeplatz.
Man entscheidet sich für das Science Fiction- und Zeitreisethema, in welchem man Technik mit Geschichte verbinden kann und das die ganze Familie vor den Fernseher lockt.
Die Serie gehört bald zum Samstagabendritual. Großbritanniens Kinder sitzen vor den Fernsehern und schauen Doctor Who.
Doch der damalige Chef der BBC, Michael Grade, ist kein Fan der Serie und will sie loswerden. Tatsächlich wird die Serie zunächst einmal eingestellt. Aber der Doktor hat nicht nur Feinde, sondern auch mächtige Freunde! Und zwar viele der Kinder, die einst fasziniert Doctor Who schauten und die nun selbst als Erwachsene in den Medien tätig sind. Sie sorgen dafür, dass der Doktor 2005 seine Wiederauferstehung im Fernsehen erlebt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Billie Jean King, geboren am 22.11.1943, verwandelt viele Matchbälle. Die US-Tennisspielerin kämpft um Preisgelder - und um die Gleichberechtigung von Frauen im Sport.
Billie Jean King wird am 22. November 1943 als Billie Jean Moffitt in Long Beach, Kalifornien, geboren. Als Kind probiert sie alle möglichen Ballsportarten aus: Volleyball, Baseball, Fußball, Basketball, Softball und entscheidet sich schließlich für Tennis. Sie wird eine Ikone ihres Sports und kämpft auch abseits des Platzes fürs Tennis, z.B. für gleiche Preisgelder für männliche und weibliche Tennisstars.
In den 1960er- und 1970er-Jahren führt Billie Jean King immer wieder die Weltrangliste an. Sie gewinnt im Laufe ihrer Karriere zwölf Grand Slam-Titel im Einzel, sechs davon in Wimbledon, 16 im Doppel und elf im Mixed. Einen berühmten Sieg erringt sie im berühmten "Battle of the Sexes", einem Tennismatch Frau gegen Mann, in dem sie gegen den ehemaligen Wimbledonsieger Bobby Riggs antritt.
Bis heute setzt sich Billie Jean King für den Frauensport ein: Die Kalifornierin ist Mitbesitzerin des Frauen-Fußballvereins "Angel City Football Club" und des Frauen-Basketballclubs "Sparks", beide ansässig in Los Angeles. Außerdem ist sie Miteigentümerin der nordamerikanischen Frauen-Eishockeyliga, die im nächsten Jahr ihren Spielbetrieb aufnimmt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Astronom, Seemann, Diplomat, Abenteurer und Gentleman: Edmond Halley ist vielseitig - und immer in Bewegung. So wie die Fixsterne, deren Eigenbewegung er entdeckt.
Im Jahr 1677 fertigt Edmond Halley im Auftrag des britischen Königs eine präzise Karte des Südhimmels. Denn die Krone hat ein vordringliches Ziel: Herrschaft über die Weltmeere - ein britisches Empire. Bei der Kartierung stößt Halley auf eine Sensation: Die Fixsterne sind offenbar beweglich - und nicht fix, wie die alten Griechen gedacht haben.
Doch der 22-Jährige geht der Frage nicht weiter nach. Denn damit stellt er die letzten Reste des alten Weltbildes infrage: die göttliche Himmelssphäre mit den angeblich unverrückbaren Fixsternen. Das könnte Ärger mit der Kirche bedeuten und seine Karriere gefährden.
Zuvor hatte Kopernikus schon die Erde aus der Mitte des Kosmos zwischen die Planeten verbannt und Kepler die perfekten Kreise der Planetenbahnen durch Ellipsen ersetzt. Deshalb beschäftigt sich Halley erst 40 Jahre später wieder mit seiner These und untersucht 1718, ob sich die hellsten Fixsterne bewegen. Das Resultat: Er beobachtet tatsächlich eine sogenannte Eigenbewegung der Sterne.
Damit eröffnet Halley einen komplett neuen Blick auf das Universum: Nicht nur die Planeten des Sonnensystems, sondern auch die Sonne und alle Fixsterne bewegen sich. Erst im 20. Jahrhundert können Astronomen die Geschwindigkeit der Sterne messen - und lernen: Das Universum dehnt sich aus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Legenden, Theaterstücke und Filme gibt es über den "Schinderhannes": Vielen gilt Johannes Bückler als deutscher Robin Hood. In Wirklichkeit war er ein Dieb und Mörder.
Im 19. und 20. Jahrhundert gehen Biografen, Schriftsteller, Theater- und Filmemacher der Selbstdarstellung des "Schinderhannes" auf den Leim. Johannes Bückler, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, vertuscht seine Bereitschaft zu mörderischer Brutalität. Er wird vermutlich im Herbst 1779 im Taunus geboren. Mit 16 Jahren begeht "Schinderhannes" als Abdeckerlehrling erste Vieh- und Pferdediebstähle.
Im Jahr 1803 - nach 130 bewiesenen Straftaten, darunter Erpressung, Mord und Totschlag - wird Bückler im Rechtsrheinischen verhaftet und ins linksrheinische, französisch besetzte Mainz ausgeliefert. Denn dort hat er die meisten Straftaten begangen. Mit einem Gnadengesuch möchte der 24-Jährige seinen Kopf retten und bietet sich Napoleon Bonaparte erfolglos als Soldat an.
Nach vier Wochen fällt das Urteil: Am 20. November 1803 wird "Schinderhannes" zusammen mit 19 Mittätern zum Tod verurteilt. Beim Verlassen des Gerichts ruft er in die Menge: "Betrachtet mich nur recht, denn heute und morgen ist es zum letzten Mal."
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Der kubanische Schachweltmeister wurde am 19.11.1888 geboren. "Er war vielleicht der größte Schachspieler aller Zeiten", so das US-Schachgenie Bobby Fischer.
Mit gerade einmal vier Jahren soll José Raúl Capablanca seine erste Schachpartie gespielt haben. Das kubanische Wunderkind fällt bald schon über die Grenzen Kubas auf. Die französische Zeitung "Le Figaro" schreibt über den Zwölfjährigen: "Während seine Gegner fünf oder zehn Minuten über einen Zug nachdenken, spielt Capablanca sofort." Er bekommt den Spitznamen "die Schachmaschine."
Der Erste Weltkrieg verzögert die von ihm anvisierte Weltmeisterschaft. Erst 1921 kommt es zum Duell mit dem amtierenden Weltmeister, dem Deutschen Emanuel Lasker. Capablanca gewinnt. Doch er verliert den Titel sechs Jahre später an den Russen Alexander Aljechin, wohl weil Capablanca den Gegner arroganterweise nicht ernstgenommen hat. Aljechin verwehrt ihm trotz seiner jahrelangen Bemühungen eine Revanche.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Hermann Hesse, ein Lieblingsautor auch von Udo Lindenberg: Am 18.11.1943 erscheint sein Roman "Das Glasperlenspiel".
Nach seinen erfolgreichen Romanen "Steppenwolf", "Siddhartha" und "Narziss und Goldmund" sind die Erwartungen an Hermann Hesses neues Buch hoch. Doch das "Glasperlenspiel" macht es den Lesern nicht einfach. Eine abstrakte Geschichte in einem fiktiven Orden in einem zukünftigen Jahrhundert. Die Protagonisten widmen ihr Leben den Erkenntnissen des menschlichen Geistes und den schönen Künsten. Das Glasperlenpiel ist laut Hesse "ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur".
Die Resonanz auf den Roman ist zunächst verhalten. Hesse ist ein wenig genervt: "Manche Leute zerbrechen sich den Kopf über mein Buch, statt ganz einfach es zu lesen und zu probieren, was es ihnen sagt." Elf Jahre hat Hermann Hesse am "Glasperlenspiel" geschrieben, eine Quintessenz aus seiner langen Suche nach der Bestimmung des Einzelnen. Zudem ist das Glasperlenspiel für Hesse "eine magische Zuflucht" vor "der hässlichen Zeit", dem Krieg, der Vertreibung und Vernichtung. Da die Nationalsozialisten seine Werke verbieten, erscheint das "Glasperlenspiel" 1943 in der Schweiz. Drei Jahre später wird er mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jutta Duhm-Heitzmann:
Gemeinsam mit einem Baukonzern aus NRW rettet die Unesco den gigantischen Tempel von Ramses II., bevor der in den Fluten des Assuan-Stausees in Ägypten versinkt. Es ist der Beginn der Idee des Weltkulturerbes...
Beinahe wäre Ramses II. in den 1960er Jahren in den Fluten des Nils untergegangen – nachdem der ägyptische Pharao rund 3200 Jahre in seiner pompösen Tempelanlage Abu Simbel verharrt hatte. Diese liegt mitten im geplanten Überflutungsgebiet des Assuan-Stausees. Die UNESCO läuft Sturm gegen die Pläne, einmal geflutet wären die Kulturgüter für ewig zerstört.
Die einzige bezahlbare Idee: Der Ramses-Tempel soll mit den vier gigantischen Skulpturen abgebaut und an sicherer Stelle wieder aufgebaut werden, ebenso der seiner Frau Nefertari gewidmete kleinere Tempel. Am 17. November 1963 wird ein internationales Firmenkonsortium mit der technischen Durchführung des Projekts beauftragt. Die Leitung übernimmt der Essener Baukonzern Hochtief.
Ein Mammutprojekt, bei dem die beiden Felsentempel in mehr als 1.036 Quader zerlegt und 180 Meter landeinwärts millimetergenau wieder aufgebaut und beinah unsichtbar neu verfugt werden. Das jahrtausendealte ägyptische Bauwunder avanciert zum Wunder moderner Ingenieure.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
"Philosophical Entertainer", so hat sich Alan Watts (Todestag 16.11.1973) mal beschrieben. Er trägt dazu bei, dass fernöstliche Weisheitslehren im Westen populär werden.
"Dem Leben offen und furchtlos begegnen", so lautet das Credo von Alan Watts. Am meisten beeinflusst Alan Watts die Lehre des Zen-Buddhismus. Der Philosoph ist davon überzeugt, dass das alltägliche Streben nach Macht und Reichtum, auf Dauer unglücklich macht. Es soll ersetzt werden durch ein Loslassen und Sich-Einlassen auf den Fluss des Lebens. Mit seinen Worten trifft Alan Watts den Zeitgeist der 1960er Jahre und wird zum spiritueller Begleiter der Hippie-Bewegung.
Geboren wird Alan Watts 1915 im Südengland. Schon als Jugendlicher beginnt er mit dem Studium der asiatischen Religionen. Er bringt sich selbst Chinesisch bei, um die alten Schriften in der Originalsprache zu lesen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschlägt ihn in die USA. Dort studiert er in nur zwei Jahren die komplette christliche Theologie und arbeitet zwischenzeitlich als Priester.
In Büchern, Radiosendungen und Vorträgen lehrt der charismatische Alan Watts eine Mischung aus Buddhismus, Taoismus und Hinduismus. Seine Fangemeinde wächst stetig. Watts doziert an renommierten Universitäten, darunter die Harvard University, hält Vorträge auf der ganzen Welt. Ihm selbst fällt ein Leben nach seiner Lehre jedoch immer schwerer. Sein großes Arbeitspensum schafft er schließlich nur noch mit Alkohol. Er stirbt am 16. November 1973 mit 58 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Die weltweit einzige Kolonie in Privatbesitz wechselt am 15.11.1908 den Besitzer: Leopold II. verkauft "seinen" Kongo an den belgischen Staat - nach Jahrzehnten der Ausbeutung und brutaler Gewalt...
Ende des 19. Jahrhunderts beauftragt der belgische König Leopold II. den Afrikaforscher Henry Morton Stanley, für ihn in den Kongo zu reisen. Offiziell soll er das Land erforschen und "humanitäre" Hilfe leisten.
Tatsächlich soll Stanley Land für den belgischen König sichern, der möchte sich – wie seinerzeit üblich – mit kolonialem Besitz schmücken. Stanley kann mit mehr als 400 indigenen Fürsten Verträge abschließen, die sich unter den "Schutz" von Leopold II. stellen. So wird der Kongo zur Privatkolonie des belgischen Königs.
Die Einheimischen bekommen von dem versprochenen "Schutz" indes wenig zu spüren. Stattdessen müssen sie schon bald Zwangsarbeit leisten. Leopolds Leute treiben die Schwarzen beispielsweise mit brutaler Gewalt zur Kautschuk-Ernte. Mord, Folter, Amputationen, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung.
Als Anfang des 20. Jahrhunderts Missionare ihr Schweigen brechen und europäische Schriftsteller und Journalisten über die Gewaltherrschaft berichten, kommt Leopold II. unter Druck. Am 15. November 1908 verkauft er die Kolonie Kongo an den belgischen Staat. Da der König sofort alle Unterlagen verbrennen lässt, ist bis heute unklar, wie viele Menschen seinem Regime zum Opfer gefallen sind.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Die West Side Story ist sein berühmtestes Musical: Die große Karriere des Dirigenten Leonard Bernstein beginnt am 14.11.1943, als er kurzfristig bei einem Konzert einspringt.
Sein Debüt vor einem Millionenpublikum gibt Leonard Bernstein ohne Probe mit dem Orchester: Der große Dirigent Bruno Walter, der eigentlich an diesem Sonntagnachmittag die New Yorker Philharmoniker dirigieren soll, liegt mit einer heftigen Erkältung im Hotel. Da sich kein anderer Ersatz findet, soll Leonard Bernstein das Konzert in der Carnegie Hall übernehmen. Der 24-Jährige hat gerade als Assistent bei den New Yorker Philharmonikern angefangen und gilt als Musiktalent. Walter gibt dem jungen Bernstein lediglich ein paar Hinweise zu den schwierigsten Stellen der geplanten Stücke, dann lässt man ihn mit seiner Aufgabe allein.
Das Konzert wird live im Radio übertragen – und ein sensationeller Erfolg. "Das Orchester jubelte und stand mit offenem Mund auf der Bühne", erinnert sich ein Geiger später an "den Naseweis", den die renommierten Musiker zunächst skeptisch betrachtet hatten. "Dieser Mann dort war der außergewöhnlichste Musiker, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet bin."
Der 14. November 1943 ist der Beginn zu Bernsteins Weltkarriere und einem neuen Typus von Dirigenten: lebendig, charismatisch, lebensfroh und nah am Publikum. Der US-Amerikaner ist das Gegenstück zu den bisherigen konservativen und steifen Dirigenten. Unter anderen adressiert Leonard Bernstein mit seinen "Young People`s Concerts" jungen Menschen und erschließt so neues Publikum.
In diesem Zeitzeichen erzählt Holger Noltze:
Laura Bassi löst einen unglaublichen Hype als erste Universitätsprofessorin Europas. Doch gleichberechtigtes Mitglied der Bologneser Universität war sie damit nicht.
Als 20-jährige gilt sie in ihrer Heimatstadt Bologna als exotisches Wunderwesen. Was, bitteschön, soll man mit so einer blitzgescheiten und bildungshungrigen Frau anfangen? - Da denken sich die Stadtherren: Vielleicht lässt sich aus der Existenz dieser jungen Ausnahme-Bürgerin Kapital schlagen? Vielleicht könnte Laura Bassi Bolognas alten Ruhm als Hochburg der Gelehrsamkeit zurückbringen?
Es werden öffentliche Diskussionen veranstaltet, über naturwissenschaftliche und philosophische Thesen. Die junge Gelehrte beeindruckt in der geistigen Auseinandersetzung mit den klügsten Professoren Bolognas. Sie wird in die Bologneser Akademie aufgenommen. Sie erhält den Doktortitel und wird schließlich, im Fach Naturphilosophie, zur Universitätsprofessorin ernannt. Als erste Frau in Europa.
Echte Gleichberechtigung mit den männlichen Lehrenden bedeutet das aber noch nicht...
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
"Komik beginnt, wo Würde misslingt", hat Vicco von Bülow alias Loriot (geboren am 12.11.1923) gesagt. Er hat den Deutschen Humor geschenkt - und viele Wörter vom "Kosakenzipfel" bis zum "Jodeldiplom".
Auf die Frage, ob er im Zweiten Weltkrieg ein guter Soldat gewesen sei, antwortet er in seinem letzten großen Zeitungsinterview: "Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende."
Nach dem Krieg machte Vicco von Bülow aus seinem Notabitur ein reguläres und studierte auf Anraten seines Vaters Malerei und Grafik. Danach arbeitete er zunächst als Werbegrafiker. Bald entwirft er das später für ihn so typische Knollennasenmännchen, wird 1950 Cartoonist und nennt sich fortan Loriot. Der Rest ist deutsche Humorgeschichte...
In diesem Zeitzeichen erzählt Axel Naumer:
Karneval 1948. Westdeutschland ist in zwei, und dann in drei Besatzungszonen aufgeteilt. Aus diesem Zustand macht der Kölner Karl Berbuer am 11.11.1948 ein Lied: Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, damals hochaktuell und politisch brisant.
Nach dem zweiten Weltkrieg werden Westdeutschland und Berlin auf die westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich verteilt. Obwohl das erst im April 1949 offiziell gemacht wird, hat Karl Berbuer schon 1948 die Idee für eines seiner bekanntesten Lieder: "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" - ein politisches Karnevalslied, das das Lebensgefühl der Westdeutschen genau trifft.
Nicht bei allen Deutschen erfreut sich das Lied großer Beliebtheit. Bundeskanzler Konrad Adenauer erinnert sich 1950 bei einer Pressekonferenz daran.
"Da war im Kölner Stadion ein Radrennen. Es war manches belgische Militär in Uniform da vertreten, und schließlich wurden Nationalhymnen angestimmt, und die Musikkapelle, die offenbar einen sehr tüchtigen und geistesgegenwärtigen Kapellmeister gehabt hat, die hat ohne besonderen Auftrag, als die Deutsche Nationalhymne angestimmt werden sollte, das schöne Karnevals Lied angestimmt. Ich bin ein Einwohner von Trizonesien."
Was hätte der Kapellmeister auch tun sollen? Eine Nationalhymne gibt es in der jungen Bundesrepublik noch nicht. Das Deutschlandlied ist zu der Zeit verboten.
Der Kölner Karl Berbuer haut einen Hit nach dem anderen raus. Zum Beispiel auch "Heidewitzka, Herr Kapitän", "O Mosella" oder "Do laachs do dich kapott, dat nennt m’r Camping".
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
In der "Reichspogromnacht" 1938 brennen Synagogen, zerstört die SA jüdische Geschäfte, misshandelt die Besitzer. Deren Nachbarn helfen mit. Wie erinnert man sich an diesen Tag, wenn Antisemitismus in Deutschland wieder zum Alltag gehört?
Der 17-jährige Herschel Grynszpan ist in Paris, als erfährt: Seine Familie ist aus Deutschland nach Polen abgeschoben worden. Am 7. November 1938 kauft sich Herschel Grynszpan in Paris einen Revolver und fährt zur deutschen Botschaft. Dort gibt er fünf Schüsse auf den Botschaftssekretär Ernst vom Rath ab.
Zwei Tage später erliegt der Diplomat am Nachmittag seinen Verletzungen. In derselben Nacht kommt es im gesamten Deutschen Reich zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden. Fünf Stunden nach dem Tod des Botschaftssekretärs hat Propagandaminister Joseph Goebbels die Ortsgruppen der NSDAP auf Synagogen und jüdische Geschäfte gehetzt.
Bis heute hält sich die Legende, nur Schlägertrupps der SA seien losgezogen in dieser Nacht. Doch das stimmt nicht. Die Verbrechen werden auch von ganz normale Bürgern verübt. Viele Aktionen sind nicht von oben gesteuert.
Wie viele Jüdinnen und Juden in der Reichspogromnacht gewaltsam sterben, ist nicht bekannt. Vermutlich sind es 1.300 Menschen. Tausende werden verhaftet. Im Deutschen Reiche werden mehr als 1.000 Synagogen und 7.000 jüdische Geschäfte verwüstet.
Es sind rhetorische Meisterwerke, die der römische Konsul Cicero am 7. und 8.11.63 v. Chr. gegen Catilina auffährt: Die Republik rettet er damit nicht.
Catilina will unbedingt Konsul werden. Mehrfach schon hat er sich beworben, immer ist er gescheitert. Jetzt greift er zur Gewalt. Seine Anhänger fischt er aus der Menge der Unzufriedenen: ehrgeizige Adlige, die politisch nicht zum Zuge kommen; Bürger, die hoch verschuldet sind.
Für die Nacht zum 7. November im Jahr 63 vor Christus planen die Verschwörer die Ermordung des Konsuls Cicero. Doch der Anschlag scheitert. Sofort ruft Cicero den Senat zusammen und hält die erste seiner berühmten catilinarischen Reden. Einen Tag später, am 8. November, folgt die zweite Rede vor der Volksversammlung.
Cicero gelingt es dank seiner rhetorischen Fähigkeiten, sowohl im Senat wie auch in der Volksversammlung eine Front gegen diese Aufständischen zu erwirken. Am Ende verlässt Catilina Rom. Doch auch Cicero, der vielleicht beste Redner seiner Zeit, kann letztlich den Untergang der Römischen Republik nicht verhindern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
1923 ruft Atatürk (gestorben am 10.11.1938) die Republik Türkei aus und verordnet tiefgreifende Reformen: Die Türkei soll ein westliches, ein europäisches Land werden.
Damals gehört das Osmanische Reich zu den Verlierermächten des 1. Weltkriegs und die Sieger planen im Vertrag von Sèvres die komplette Aufteilung des einstigen Riesenreiches.
Doch der Vertrag von Sèvres wird nie ratifiziert. Denn nun schlägt die Stunde des Offiziers Mustafa Kemal. Er verlässt die osmanische Armee, zieht mit seinen Gefolgsleuten gegen die vorrückenden Griechen und siegt.
So ändern die Siegermächte ihren Plan und setzen nun auf ihn, den neuen starken Mann. Im Vertrag von Lausanne werden 1923 weitgehend die heutigen Grenzen der Türkei vereinbart. Noch im selben Jahr ruft Mustafa Kemal die Republik aus und wird ihr erster Präsident.
In nur 15 Jahren stellt Atatürk Staat und Gesellschaft radikal auf den Kopf. Seine Reformen greifen tief in die Gesellschaft ein. Das religiöse Rechtssystem wird abgeschafft und durch Schweizer Zivilrecht ersetzt. Frauen erhalten das Wahlrecht. Die religiösen Schulen werden geschlossen, das Bildungswesen dem Staat unterstellt und das lateinische Alphabet ersetzt die bisher gebräuchliche arabische Schrift.
Der Präsident erneuert die türkische Gesellschaft innerhalb von 15 Jahren bis zu den Grundprinzipien. Er katapultiert das Land auch gegen Widerstände vom Mittelalter in die Moderne. Mustafa Kemal Atatürk stirbt mit 57 Jahren am 10. November 1938 in Istanbul.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Schluss mit der Monarchie: Anfang November 1918 ruft der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus - und wird dessen erster Ministerpräsident.
Im Herbst 1918 ist der Erste Weltkrieg für die Deutschen verloren. Die Monarchie ist am Ende, der Ruf der Revolution geht um. Kurt Eisner, Vorsitzender der USPD in Bayern, zieht von Kaserne zu Kaserne und sammelt Getreue um sich. Am 7. November ruft er die Republik, den Freistaat Bayern, aus und beendet damit die Monarchie von König Ludwig III.
Eisner wird am Tag darauf Ministerpräsident. Anstelle eines Parlaments wird der Provisorische Nationalrat einberufen. Eisners Ziel ist eine Räterepublik, in der alle Bevölkerungsteile für sie zuständige Räte, wie Betriebsräte oder Gemeinderäte, ernennen sollen. Er führt den Acht-Stunden-Arbeitstag und das Frauen-Wahlrecht ein.
Bei der Wahl des Bayerischen Landtags im Januar erleiden die USPD und Eisner allerdings eine schwere Niederlage. Sie erreichen nicht einmal drei Prozent der Stimmen. Als er am 21. Februar 1919, dem Tag der konstituierenden Sitzung des Landtags, seinen Rücktritt verkünden will, wird Kurt Eisner auf dem Weg von einem rechtsextremen Attentäter erschossen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Ein blasser Mann mit Halbglatze, Typ braver Beamter - trotz dieses Aussehens lebte Mezz Mezzrow eine der wildesten Jazz-Biographien des 20. Jahrhunderts... Am 6.11.1933 nahm er sein erstes Album auf.
Mezz Mezzrow heißt eigentlich Milton Mesirow und stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Chicago. Als er eine Jugendstrafe absitzen muss, lernt er nicht nur Klarinette spielen, sondern lauscht nachts allein dem Blues der Schwarzen, der zu seiner Zelle herüberweht. Die Musik trifft ihn ins Mark: "Ich gehörte zu ihnen, ich fühlte mich ihnen näher als den Weißen." Fortan bemüht sich Mezz Mezzrow um eine afroamerikanische Identität.
Seinen Lebensunterhalt verdient der Musiker meistens mit dem Verkauf von Drogen, aber seine Leidenschaft gilt dem Jazz. Er taucht ein ins Harlem der 1930er-Jahre, den Treffpunkt der Hipster: Afroamerikaner, Einwanderer, Avantgardisten aus Europa, die Jazz hören, Marihuana rauchen und sogar eine eigene Sprechweise entwickeln, den "Jive". Mezz Mezzrow kennt und spielt mit den großen Jazz-Namen: King Oliver, Sidney Bechet, Bix Beiderbecke oder Louis Armstrong. Seine Biografie "Really The Blues" gilt als eines der wichtigsten Jazzbücher seiner Zeit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Sam Shepard (geboren am 5.11.1943 in Illinois, USA) ist ein Multitalent: Gefeierter Theaterautor, bekannt als Schauspieler in vielen Nebenrollen als Cowboy oder Testpilot.
Mit 19 Jahren schließt sich Sam Shepard einer vorbeikommenden Theatergruppe an und verlässt die kalifornische Provinz Richtung New York. Im Gepäck die Leiden der Provinz: Trauma der Kriegsrückkehrer, familiäre Gewalt und im Alkohol ertränkte Emotionen.
Sein erstes Theaterstück "Cowboys" hat er angeblich auf die Rückseiten von Bonbonpapier gekritzelt. "Schreiben war wie eine Rettung für mich", sagt Shepard später. Seine Stücke sind wild, wirr, wie eine Explosion, schreiben die Kritiker. Schnelle Einakter, die Szenen wechseln rasch und ohne sich aufeinander zu beziehen – und kommen an.
Sein Thema ist die Sehnsucht nach dem amerikanischen Traum und das Scheitern daran. Er skizziert einsame und verletzte Seelen, die auf Pferderücken oder am Steuer des Pick-ups durchs Leben gleiten. Sam Shepard wird erst zum Shooting-Star der New Yorker Off-Broadway-Szene, dann folgt Hollywood – und eine unermüdliche Schaffensperiode. Es werden mehr als 55 Theaterstücke, mehr als 50 Filme, dazu Fernseh- und Streamingproduktionen. Hinzu kommen Gedichte, Erzählungen und Kurzgeschichten. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Preis stirbt Sam Shepard am 27. Juli 2017 mit 73 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählen Veronika Bock und Ulrich Biermann:
Der russische Zar, der deutsche Kaiser, ein britischer Prinz: Sie alle liebten die schöne Otéro, Tänzerin und damals wohl die bekannteste Frau der Welt.
Wenn Carolina Otéro ihren Geburtstag feiert, natürlich im besten Restaurant von Paris, kommen Könige, Kaiser und Zaren. Mit einigen von ihnen geht sie ins Bett, ihr verfallen sind sie alle. Einer der damals reichsten Menschen der Welt schenkt der Otéro eine Yacht für eine einzigen Abend mit ihr. Als glutäugige, ausdrucksstarke Tänzerin macht sie Bizets Oper "Carmen" populär – ihr expressionistischer Tanzstil gilt heute als ein Wegbereiter des Modern Dance.
Otéro wöchst in ärmlichen Verhältnissen auf und wird schon als Kind Opfer einer Vergewaltigung. Doch das verschweigt sie und genießt ihr Leben als berühmte Frau im Kreis der Mächtigen und Reichen.
Mit Juwelen behängt posiert sie auf Bällen. Wenn der spanischer Eintopf "Puchero" aufgetischt wird, ein Gericht aus Kichererbsen, Huhn, Ochsenkeule, Eisbein, Blutwurst und Chorizo, isst Otéro gerne fünf Portionen – und tanzt danach wieder auf dem Tisch. Sie soll den Schriftsteller Marcel Proust zur weltberühmten Romanfigur der Odette inspiriert haben, Renoir lässt sich von ihr zu Gemälden inspirieren. Angeblich sind sogar die Türme eines Hotels in Cannes ihren Brüsten nachempfunden.
Als die "Belle Epoque" nach dem Ersten Weltkrieg in Scherben liegt, zieht sich Carolina Otéro zurück. Ihren Reichtum verspielt sie in Casinos, die ihr eine danach eine spärliche Rente spendieren. Sie stirbt weitgehend vergessen erst im Jahr 1965 – in einer Welt, die mit der ihrer Jugend nicht mehr viel zu tun hat.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Bis zu seiner grundlegenden Reform tagt der EGMR nur gelegentlich - am 3.11.1998 nimmt er als Ständiger Gerichtshof für Menschenrechte seine Arbeit auf.
Die Idee zu einer durchsetzungsstarken Instanz für Menschenrechte ist kurz nach dem 2. Weltkrieg entstanden, in der Gründungsphase des Europarats. Ein Gerichtshof für Menschenrechte für ganz Europa soll eine Gewaltherrschaft und Diktatur wie unter den Nationalsozialisten künftig verhindern. 1959 nimmt der Gerichtshof in Straßburg seine Arbeit auf.
In den Anfangsjahren trifft sich der Europäische Gerichtshof nur sporadisch, eine Kommission prüft zunächst die vorgebrachten Anliegen, bevor diese den Richtern vorgelegt werden. Doch allmählich etabliert sich die Institution. Länder, die in den Europarat neu aufgenommen werden wollen, müssen die Menschenrechtskonvention unterzeichnen.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs steigt die Mitgliederzahl auf 47 Mitglieder. Deren rund 800 Millionen Bürger und Bürgerinnen können sich seit Inkrafttreten der Reform am 3. November 1998 direkt an das Gericht wenden. Seither arbeiten die von den Mitgliedsländern abgesandten Richter hauptberuflich für den Gerichtshof – und kommen mit der Arbeit kaum nach.
Verurteilt wird beispielsweise Russland für die Erstürmung der von tschetschenischen Terroristen besetzten Schule 2004, weil die verwendeten Kriegswaffen mehr Opfer unter den Kindern gefordert hätten. Selbst verurteilte Verbrecher wie Magnus Gäfgen können sich an Straßburg wenden: Das Gericht kritisierte die Verhörmethoden der deutschen Polizei gegen den Entführer des Bankierssohns Jakob.
In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
Bunt, laut und vollgestopft mit gutem Essen: So gedenken die Mexikaner der Toten an Allerseelen. Der Día de los Muertos ist eine Mischung aus Jahrtausende alten Traditionen, christlichen Einflüssen - und einem aktuellen James-Bond-Film...
Bereits Wochen vor dem 2. November, dem Dia de los Muertos, beginnen in Mexiko jedes Jahr die Vorbereitungen: Totenmasken und Skelette schmücken Häuser und Gärten, in den Bäckereien locken süße Totenschädel. Niemand kann im Oktober in Mexiko dem "Tod entkommen". Schließlich hat jeder einen toten Familienangehörigen oder Freund, deren Seelen am Día de los Muertos aus dem Totenreich zurückkommen – so die Vorstellung der Mexikaner.
Allerdings finden die Seelen der Toten den Weg aus dem Grab in die Häuser ihrer Familien nicht allein. Die Lebenden weisen ihnen den Weg, indem sie Blumen streuen. Im Haus erwarten die Rückkehrer ein reich geschmückter Altar mit üppigen Speisen und viel Alkohol.
Seit 2003 zählt der Día de los Muertos zum UNESCO-Welterbe. Die Feierlichkeiten beginnen bereits am Abend des 31. Oktober, wenn sich Groß und Klein verkleiden und Mariachi-Musik im ganzen Land erklingt. Längst haben sich hier mexikanische Traditionen mit dem US-amerikanischen Halloweenfest vermischt.
Höhepunkt ist der Abend des 2. Novembers: Nachdem zusammen mit den Seelen der Verstorbenen, mit Familie, Nachbarn und Freunden ausgiebig gegessen und gefeiert wurde, werden sie mit Musik wieder zurück zum Friedhof begleitet. Dort können die Seelen dann ruhen – bis zum nächsten "Día de los Muertos".
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Ist das nicht der Mann, der das Prschewalski-Pferd entdeckt hat? Nikolai Prschewalski (gestorben am 01.11.1888) war ein Forschungsreisender, ein Entdecker - aber auch ein Chauvinist.
Wann genau Nikolai Prschewalski geboren wird, ist nicht so ganz klar. Fest steht nur, dass es im April 1839 geschieht, wahrscheinlich am 12. oder 13. April. Schon als Kind streift er am liebsten durch die Wälder, die das elterliche Gut in Russland umgeben.
Gleich nach dem Abitur tritt Nikolai mit 16 Jahren in die russische Armee ein. Bei den Kameraden hat er einen schweren Stand. Sie sehen wohl in diesem Nikolai Prschewalski einen Sonderling, der jede dienstfreie Minute nutzt, um die Natur zu studieren. In einem Herbarium sammelt er akribisch Pflanzen, er verschlingt wissenschaftliche Bücher über Botanik, über Zoologie. Auch Geografie interessiert ihn brennend. Schließlich studiert er in St. Petersburg.
Die Vorgesetzten und am Ende sogar der Zar sehen die Talente des jungen Mannes. Im April 1867 darf der 28-jährige Prschewalski zu einer Expedition ins Amur-Gebiet starten. Schon auf seiner ersten Reise entdeckt er zehn neue Säugetierarten, sammelt mehr als dreihundert Vögel, einige hundert Eier und mehr als dreihundert Pflanzenarten in zweitausend Exemplaren. Wissenschaftler verbringen Jahre damit, seine Proben und Präparate zu erforschen und auszuwerten. .
Auf die erste Reise folgen vier weitere. Bei der Expedition durch die Wüste Gobi findet er einen seltsamen Pferdeschädel. Einige Tage danach schenkt ihm ein Jäger das passende Fell dazu. Dem Entdecker ist klar: Das muss ein besonderes Pferd sein. Später wird die Pferdeart als Prschewalski-Pferd bekannt.
Auf seiner fünften großen Reise infiziert sich Nikolai Prschewalski mit Typhus und stirbt 1. November 1888 mit 49 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Studs Terkel interessiert sich zutiefst für die Menschen, die er interviewt - egal ob Promi oder Kellnerin. Das macht ihn zu einem der profiliertesten Journalisten und Schriftsteller seiner Zeit. Am 31.10.2008 ist er gestorben.
Studs Terkel kommt in New York zur Welt, seine Eltern sind russisch-jüdische Einwanderer, ein Schneider und eine Näherin. Als er acht ist, zieht die Familie nach Chicago um.
Studs wird überzeugter Linker, was später noch Auswirkungen auf seine Karriere hat. Nach der Schule studiert er erst einmal Jura. Statt in einer Kanzlei schließt er sich mit mäßigem Erfolg einer Theatergruppe an. In den frühen 1930er-Jahren lernt er die Sozialpädagogin Ida Goldberg kennen.
In Sachen Arbeit wiederum findet Terkel durch Zufall seine Berufung, als seine Schauspieltruppe bei einem lokalen Radiosender zu Gast ist. Terkel ist begeistert. Das Radio hat sich gerade als Massenmedium etabliert. Ende der 1940er-Jahre kommt das Fernsehen dazu. Studs Terkel hat bald seine eigene Soap namens "Studs Place".
Aber die Fernsehkarriere ist nicht von Dauer. Die antikommunistische McCarthy-Ära erreicht in den USA ihre Blütezeit. Auch Studs Terkel gerät ins Visier des FBI, der aus seinen linken Ansichten keinen Hehl macht. Terkel landet auf der berüchtigten "Blacklist", die unliebsame Künstlerinnen und Künstler von der Arbeit in Film und Fernsehen ausschließt. Zwangsläufig konzentriert er sich wieder aufs Radio. Auf dem Sender WFMT in Chicago hat er ab 1952 seine eigene Interview-Sendung, "The Studs Terkel Program", die er 45 Jahre lang moderiert.
Mit Mitte Fünfzig beginnt Terkel, Oral History Bücher zu veröffentlichen. Darin dokumentiert er die Berichte von Zeitzeugen. Terkel nennt seine Methoe "Guerilla-Journalismus“. Das erste Buch, "Division Street America" zeichnet ein Panorama der Gesellschaft Chicagos Ende der 1960er-Jahre.
Es folgt ein Buch über die Zeit der großen Depression und 1974 dann Terkels wohl bekanntestes Buch: "Working". Darin spricht Terkel mit Menschen über ihre Arbeit und darüber, was sie ihnen bedeutet - vom Model bis zur Prostituierten.
Studs Terkel arbeitet weiter, veröffentlicht Gesprächssammlungen über Jugend, über den American Dream - mit 73 Jahren gewinnt er den Pulitzer-Preis für "The Good War", eine Sammlung von Protokollen über den zweiten Weltkrieg. Nach dem Tod seiner Frau befasst Terkel sich auch beruflich mit der Vergänglichkeit. Für "Gespräche über Leben und Tod" befragt er Menschen über ihren Blick aufs Sterben. Studs Terkel stirbt am 31. Oktober 2008, mit 96 Jahren. Sein Sohn Dan verabschiedet ihn mit den Worten, mit denen Terkel all seine Radiosendungen beendet hat: "Take it easy, but take it." - Nimm es leicht, aber nimm es!
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
Das Leben der Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir (geb. am 30.10.1923) - es wäre als Drehbuch in Hollywood eingereicht wohl als "unrealistisch" abgelehnt worden.
Als junge Frau wird Anne Beaumanoir durch die kommunistische Résistance in den Untergrund nach Paris beordert. In einer eigenmächtigen Aktion bewahrt sie 1942 zwei jüdische Jugendliche und einen Säugling vor dem Zugriff der Nazis.
Nach der Befreiung Frankreichs kehrt Anne ins normale Leben zurück. Sie wird Professorin für Neurologie in Marseille und heiratet den Arzt Jo Roger. Mit ihm bekommt sie die Söhne Jean-Henri und Gilles. Trotz des großbürgerlichen Lebens bleibt Anne immer in linksintellektuellen Kreisen, distanziert sich jedoch mehr und mehr von der kommunistischen Partei.
Während eines Urlaubs in Französisch-Algerien wird Anne Beaumanoir damit konfrontiert, dass die französische Kolonialmacht systematisch Folter gegen die algerische Befreiungsbewegung FLN einsetzt – zum Teil mit den gleichen Methoden wie Gestapo und SS. Für Anne Beaumanoir ist das unerträglich. Sie geht ein zweites Mal in den Widerstand und beteiligt sich in Frankreich an der Unterstützung der FLN. 1959 wird sie verraten und kommt in Untersuchungshaft.
Anne Beaumanoir, inzwischen Mitte 30, ist zum dritten Mal schwanger. Weil sie Komplikationen vortäuscht, darf sie für die Geburt und die ersten Wochen ihrer Tochter Myriam nach Hause – in den Hausarrest, während der Prozess gegen sie läuft. Drei Tage vor ihrer Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis flieht sie in die Schweiz. Ihre Tochter Myriam wird sie nicht aufwachsen sehen.
Als die Franzosen 1962 Algerien aufgeben müssen, engagiert sich Anne Beaumanoir für den neuen Staat. Aber auch das ist nicht von Dauer. Im Juni 1965 putscht die Armee. Sie muss wieder untertauchen und geht in die Schweiz. Erst in den 1980er-Jahren gibt es für sie eine Amnestie. Nach ihrer Pensionierung geht sie zurück nach Frankreich. Für die Rettung der jüdischen Jugendlichen Simone und Daniel erklärt die israelische Gedenkstätte Yad Vashem Anne Beaumanoir und ihre Eltern zu "Gerechten unter den Völkern".
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Die erste deutsche Radiosendung hatte keinen einzigen offiziellen Hörer. Rundfunkgebühren für ein Jahr: 350 Milliarden Mark. In den 100 Jahren danach ist viel passiert.
"Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus, auf Welle 400 Meter." Mit diesen Worten schaltet der erste offizielle deutsche Radiosender in Berlin am 29. Oktober 1923 auf regelmäßigen Sendebetrieb. Die Anfänge sind noch sehr provisorisch: Das "Studio" ist eine sieben Quadratmeter kleine Dachkammer, Wände und Decken sind notdürftig mit Krepp-Papier und schweren Vorhängen abgehängt.
Dennoch ist es ein historischer Moment: Durch die Premiere der "Funk-Stunde" wird das Radio nun auch in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Zumindest theoretisch. Denn die Nutzung des neuen Mediums ist "genehmigungspflichtig". Und eine Genehmigung hat an diesem 29. Oktober noch niemand. Die erste Lizenz erhält zwei Tage später der Berliner Zigarrenhändler Wilhelm Kollhoff. Der Preis: 350 Milliarden Mark - für ein Jahr Radiohören. Hinzu kommen noch die Kosten für den Empfänger.
Schon in den Anfangszeiten bietet das Radio seinen Hörern ein vielfältiges Programm, das sowohl unterhalten als auch belehren soll. So nimmt die Beliebtheit des Mediums in Deutschland schnell zu. Zahlen Anfang Dezember 1923 gerade einmal 476 Teilnehmer eine Rundfunkgebühr, sind es zwei Jahre später schon mehr als eine Million Menschen. Auch die Zahl der Sender wächst stetig.
Zur bewegten Geschichte des Radios gehören auch düstere Kapitel, insbesondere während der Zeit des Dritten Reichs, als es von den Nationalsozialisten als Propagandainstrument genutzt wird. Gleichzeitig ist das Radio aber auch bei schönen Ereignissen hautnah dabei - etwa als das Grundgesetz verabschiedet wird oder 1989 die Mauer fällt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Peter Zudeick:
In der schwedischen Kleinstadt Älmhut eröffnet Ingvar Kamprad am 28.10.1958 ein Möbelhaus für Do-it-yourself-Kunden. Seine Idee entwickelt sich zum Welterfolg.
Die Abkürzung IKEA ist ein Akronym und setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben des Unternehmensgründers Ingvar Kamprad und dem elterlichen Bauernhof Elmtaryt, der im kleinen schwedischen Ort Agunnaryd liegt. Hier bastelt Kamprad früh an seinem Lebenswerk. Schon als Teenager verkauft und vertreibt er in den 1940er-Jahren Krimskrams wie Bleistifte, Streichhölzer oder Wäscheklammern. Kamprad bietet die Artikel zu Niedrigpreisen an und lässt seine Pakete mit dem Gemeinde-Milchwagen ausliefern.
Der Handel floriert und weitet sich bald auf Möbel aus. Weil die nicht mehr in die Milchwagen passen, macht Kamprad Filialen auf, in denen man die Waren selbst abholen kann. Die erste eröffnet am 28. Oktober 1958 in der schwedischen Kleinstadt Älmhult. Es folgen Möbelhäuser in Norwegen und Dänemark. Mitte der 1970er-Jahre erobern die Schweden auch die Bundesrepublik.
Heute ist Deutschland mit 54 Einrichtungshäusern und fast 20.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der umsatzstärkste Markt - noch vor den USA, Frankreich und Großbritannien. Und IKEA expandiert weiter. Hierfür folgt und setzt das Unternehmen Trends. Was bleibt aber ist ein Wohndesign für die ganze Familie - freundlich und flexibel, mit einer Prise Pippi Langstrumpf im Furnier und Sympathie für wohldosiertes Chaos.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Werbung, Konsum und Comics: Vor einhundert Jahren wurde Roy Lichtenstein geboren (am 27.10.1923). Er gehört mit Andy Warhol zu den Vätern der Pop Art.
Normalerweise lernt man an der Kunsthochschule: Kopieren ist schlecht. Roy Lichtenstein hat da eine andere Idee: Er erweitert bestehende Werke, vergrößert sie. Auch wenn sie den Originalen noch ähnlich sehen, sind sie anders. Das gefällt Lichtenstein.
Mit zwanzig Jahren wird Roy Lichtenstein zum Militärdienst eingezogen. Zwischen 1943 und 1945 dient er als Soldat in England, Frankreich, Belgien und Deutschland. Nach dem Krieg bleibt er eine Weile in Europa, setzt sein Studium in Paris fort, beschäftigt sich mit den französischen Malern und sehr intensiv mit seinem großen Vorbild Pablo Picasso. Er versucht sogar, Picasso in Paris persönlich kennenzulernen. Er geht zu seinem Atelier, wagt aber dann nicht anzuklopfen. Wäre übrigens auch vergeblich gewesen, Picasso war zu dem Zeitpunkt in Südfrankreich.
Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Amerikaner etwas leisten können und die Werbung den Wunsch nach Wohlstand verstärkt, parodiert Roy Lichtenstein die Sehnsüchte der Menschen, die unentwegt ihren Lebensstandard verbessern wollen. Er malt Waschmaschinen, Fritteusen, dampfende Kaffeetassen, Dollarscheine. Er lässt banalen Konsum mit Kunst verschmelzen.
So radikal Roy Lichtenstein die Kunst auch verändert hat, ein rebellisches und exzessives Leben wie sein Weggefährte Andy Warhol hat er nicht geführt.
Auch der Kunsthistoriker und Leiter des Albertina Museums in Wien, Klaus Albrecht Schröder, ist überrascht von Roy Lichtensteins sanfter Art, als er ihm 1992 das erste Mal persönlich begegnet. "Und dann tritt mir dieser Mann entgegen, mit einer Freundlichkeit und Stille und Ruhe, die zu diesem Gewaltakt 'Und jetzt mache ich etwas, das die Welt vor mir noch nicht gesehen hat' gar nicht recht passen wollte."
Roy Lichtenstein stirbt im September 1997 mit 74 Jahren in seiner Heimatstadt New York. Seine Bilder hängen in den wichtigsten Museen der Welt und versprühen noch immer den Geist der wilden 1960er-Jahre in New York, als Werbung, Konsum und Comics die großen Künstler inspirierten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Genug zu essen? Im Westeuropa des 18. Jahrhunderts ist das keine Selbstverständlichkeit - bis ein Herr Thaer aus Celle als erster Landwirtschaft zur Wissenschaft macht.
Albrecht Daniel Thaer gilt als der Erste, der die Landwirtschaft in Mitteleuropa auf wissenschaftlicher Basis voranbringt. Er befasst sich mit der Vermehrung und Verbesserung unserer Ernährung. Trotzdem ist Albrecht Thaer heute kaum noch bekannt.
Als Jugendlicher ist Thaer ein Unangepasster. Aber er kriegt noch einmal die Kurve, macht das Abitur mit 17 und studiert Medizin in Göttingen. Zurück in seiner Geburtsstadt Celle ist er rasch ein guter und beliebter Arzt. Er wird sogar Leibmediziner des hannoverschen Königs Georg, der seinerzeit auch englischer König ist. Schon jetzt wird deutlich, dass Thaer die herkömmliche Medizin nicht ausreicht, um den Lebensumständen der Menschen gerecht zu werden.
Für Thaer gehören Gesundheit und Ernährung zusammen. Und die ist im beginnenden 19. Jahrhunderts keineswegs überall gesichert. Hungersnöte sind immer wieder an der Tagesordnung – und das liegt nicht allein am Wetter. Die Bauern arbeiten traditionell "aus dem Bauch" heraus. Nicht systematisch oder gar "experimentell".
Bald wird die nationale und internationale Fachwelt auf Thaer aufmerksam - auch dank seines umfangreichen Schrifttums und einer von ihm gegründeten Landwirtschaftsschule. In Celle dagegen fühlt er sich eingeschränkt. Weil er kein Adliger ist, darf er keine weiteren Ländereien für noch größere Feldexperimente kaufen.
Thaer zieht mit seiner Familie und 23 Angestellten auf ein altes Rittergut nahe der heutigen Grenze zu Polen. In Celle war aus der Experimentalwirtschaft eine Modellwirtschaft geworden, beschreibt Theodor Fontane Thaers Entwicklung. In Möglin machte er aus der Modell-, eine Musterwirtschaft.
Fast ein Vierteljahrhundert lehrt, forscht und arbeitet Thaer unter preußischer Fahne. Am 26. Oktober 1828 stirbt er in Möglin und wird dort auch beigesetzt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Der französische Komponist Georges Bizet, geboren am 25.10.1838, schreibt seinen größten Erfolg kurz vor seinem Tod: Die Melodien der Oper "Carmen" sind Ohrwürmer.
Wirklich glücklich ist der französische Komponist Georges Bizet wohl selten. So schreibt er einem Freund Edmond Galabert: "Ich bin buchstäblich erschöpft […] mein Leben hat nichts Angenehmes […] gerade habe ich das vierhändige Arrangement von 'Hamlet' fertig. Was für eine Fronarbeit!"
Ein dreijähriges Stipendium in der prächtigen Villa Medici in Rom hat er sich anders vorgestellt. Eigentlich möchte er dort unbeschwert von materiellen Sorgen als Träger des Rom-Preises nur ab und zu mal eine Kreation nach Hause schicken und freut sich auf eine steile Karriere nach seiner Rückkehr nach Frankreich.
Aber daraus wird erstmal nichts. Von früh bis spät muss der junge Paris-Heimkehrer stattdessen sein Dasein mit mühsamen Transpositionen, Umschreibungen von Opernpartituren für einzelne Instrumente, Orchestrierungen, ja sogar Klavierunterricht fristen.
Seinen größten Erfolg landet Bizet erst kurz vor seinem Tod. Die Uraufführung seiner Oper "Carmen" am 3. März 1875 in der Opéra-Comique wird allerdings eher ablehnend aufgenommen. Bald darauf wird Carmen jedoch zu einem der größten Erfolge der Operngeschichte. Auch heute noch gehört Carmen zu den beliebtesten und meist aufgeführten Werken des Opernrepertoires. Die berühmte "Habañera" entwickelt sich zum Ohrwurm, den auch heute noch wohl fast jeder mitsummen kann.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Der Dreißigjährige Krieg verwüstete weite Teile Europas und brachte unendliches Leid. Erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 gelang es, einen Frieden auszuhandeln.
Drei Jahrzehnte lang ziehen mordende und plündernde Soldatenheere quer durch Europa. Dann sollen Verhandlungen in Münster und Osnabrück endlich einen der schlimmsten Kriege der Menschheitsgeschichte beenden. Am Westfälischen Friedenskongress nehmen 109 Gesandtschaften teil. Sie vertreten eine ungeheure Fülle an Akteuren: 16 europäische Staaten, 140 Reichsstände, also deutsche Fürsten und Städte und 38 weitere Mächte.
Der Kongress ist nach Konfessionen aufgeteilt: Die katholisch geprägten Gesandtschaften sind in Münster stationiert, während sich in Osnabrück die eher protestantisch geprägten Gesandtschaften aufhalten. Fünf Jahre dauert es, bis der Frieden endlich ausgehandelt ist. In Osnabrück kommt es am 6. August 1648 zum Handschlag - einem der wichtigsten Durchbrüche des Kongresses.
Am 24. Oktober 1648 wird in Münster der Westfälische Frieden schließlich beschlossen und verkündet. Doch man traut ihm noch nicht. Die meisten Friedensveranstaltungen finden erst nach 1649/50 statt - nachdem in Nürnberg die Umsetzung des Friedensvertrages im Detail geregelt worden ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
Als Chinas ehemalige First Lady Song Meiling mit 106 Jahren stirbt, ist sie eine prägende Gestalt des 20. Jahrhunderts - klug, einflussreich, geliebt und gehasst.
Song Meiling ist ab den 1920er-Jahren mit Chiang Kai-shek verheiratet, dem Führer der Nationalisten in China. Sie hat in den USA studiert und wird praktisch seine Außenministerin - denn ihr Mann spricht kein Englisch. Sie übersetzt für Chiang Kai-shek bei internationalen Konferenzen, sitzt mit Churchill und Roosevelt an einem Tisch.
So bestimmt sie die Politik Chinas in den 1930er- und 1940er-Jahren aus der zweiten Reihe heraus. Sie liebt die Macht, ist für ihre spitze Zunge bekannt und pflegt einen luxuriösen Lebensstil. Damit macht sie sich nicht nur Freunde.
Als in China 1949 die Kommunisten unter Mao siegen, flüchtet Song Meiling gemeinsam mit ihrem Mann auf die Insel Taiwan. Auch dort mischt Madame Chiang Kai-shek aktiv in der Politik mit. Sie stirbt am 23. Oktober 2003 in New York mit 106 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
Pablo Casals revolutioniert das Cellospiel und engagiert sich als Künstler gegen den Faschismus. Am 22.10.1973 stirbt der Spanier in San Juan de Puerto Rico.
Spanischer Bürgerkrieg, 1938: Der katalanische Cellist Pablo Casals steht auf der Seite der Demokratie. Die Faschisten erklären ihn zum Staatsfeind und drohen, ihm seine Musikerarme abzuhacken, falls er in ihre Hände fiele. Aber Casals lässt sich nicht beirren. Kurz vor der Einnahme von Barcelona durch Francos Truppen gibt er ein Konzert vor Soldaten und Regierungsmitgliedern der Republik.
In der Pause wendet sich Casals im Radio an die demokratischen Nationen: "Wenn Sie es zulassen, dass Hitler in Spanien siegt, werden Sie die nächsten sein, die seinem Wahnsinn zum Opfer fallen. Kommen Sie unserem Volk zu Hilfe!" Doch die Putschisten um Franco siegen. Casals geht ins Exil nach Frankreich. Dort gründet er 1950 in Prades sein eigenes Festival.
Der Cellovirtuose komponiert auch eigene Werke und gilt als einer der größten Musiker der 20. Jahrhunderts. Er spielt im Weißen Haus und gibt gefeierte Konzerte auf der ganzen Welt.
Beim von ihm initiierten Musikfestival taucht einmal eine junge Frau auf, die später seine Schülerin und seine dritte Ehefrau wird: Marta Montañez. Sie ist 61 Jahre jünger als der Musiker und erinnert ihn an seine Mutter, die im selben Haus in Puerto Rico aufgewachsen ist. Mit Marta zieht Casals auf die Karibik-Insel. Noch im Alter von über 90 Jahren übt Casals täglich mehrere Stunden Cello. Nach dem Grund gefragt, antwortet er: "Ich habe den Eindruck, Fortschritte zu machen." Am 22. Oktober 1973 stirbt Pablo Casals in San Juan de Puerto Rico.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
"Los von Berlin!" So lautet die Parole der Separatisten, die am 21.10.1923 in Aachen die rot-weiß-grüne Fahne hissen und einen rheinischen Staat errichten wollen.
Der Putsch erfolgt am Sonntagmorgen um 4 Uhr. Rund 2.000 bewaffnete Separatisten stürmen das Aachener Rathaus, ein Regierungsgebäude, die Post und die Reichsbank. Anschließend hissen sie auf allen Gebäuden die grün-weiß-rote Flagge der sogenannten Rheinischen Republik.
Hyper-Inflation, Hunger und Armut, die Ruhrbesetzung durch die Alliierten und Putschversuche von Links wie Rechts haben der jungen Weimarer Republik bereits schwer zugesetzt in diesem Krisenjahr 1923. In Aachen hat die angespannte Lage bereits zu Plünderungen und Hungerrevolten geführt. Und jetzt kommen die Revoluzzer vom Rhein.
Nach dem ersten Weltkrieg und dem Ende der Hohenzollern-Monarchie hat es immer wieder Versuche gegeben, einen unabhängigen Rheinstaat zu gründen. Die Bevölkerung stellt sich die Frage: Was wird eigentlich aus uns, wenn das Rheinland tatsächlich französisch wird? Oder eine Art "Pufferstaat" zwischen Frankreich und Deutschland?
Schon am 1. Juni 1919 ruft der Separatist Hans Adam Dorten in Wiesbaden die „Rheinische Republik“ aus. Sie soll das Rheinland, Altnassau, Rheinhessen und die Rheinpfalz umfassen. Dieser Putsch scheitert bereits nach nur sieben Tagen, weil nur wenig ihn unterstützen. Eine Weile wird es still um die Separatisten. Bis zum Krisenjahr 1923.
In der Nacht zum 21. Oktober besetzen die Separatisten die wichtigsten Verwaltungsgebäude in Aachen. Der Putsch weitet sich auf weitere Städte aus: Bonn, Duisburg, Mönchengladbach. Am 2. November 1923 kommt es in Aachen zu einem stundenlangen Feuergefecht zwischen Separatisten und Verteidigern der preußischen Ordnung.
Die belgische Besatzungsmacht beendet den Putsch. Sie gewährt den Milizionären freien Abzug und übergibt die Gebäude an die rechtmäßige Regierung. Kurz darauf ist der Spuk auch in den übrigen Regionen des Rheinlandes vorbei.
In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
Isaac Löwenstein ist ein gläubiger Jude, der seinen preußischen König verehrt. Am 20.10.1823 schreibt er bei Gütersloh den letzten Eintrag in sein Militär-Tagebuch.
Die rechtliche Gleichstellung der Juden, die im 18. Jahrhundert so genannte "Judenemanzipation", ist auch durch den reaktionären preußischen König nicht mehr rückgängig zu machen. Juden dürfen Beruf und Wohnort weitgehend frei wählen und studieren. Sie müssen aber auch zum Militär. Isaac Löwenstein, Papierhändler aus Rietberg-Neuenkirchen bei Gütersloh, ist der erste seiner Familie, den es trifft. Drei Jahre lang muss er dienen.
In seinem Tagebuch beschreibt er seine anfängliche Angst vor dem preußischen Drill und seine durchaus harten Erfahrungen bei der militärischen Ausbildung. Allerdings findet sich darin keine Bestätigung üblicher Vorurteile gegen den "preußischen Kommiss", z.B. was die Misshandlung von Soldaten oder den so genannten Kadavergehorsam angeht.
Erstaunlich scheint aus heutiger Sicht, dass das preußischen Militär weltanschaulich recht liberal sein konnte. Ressentiments gegen Juden gab es kaum, und die Offiziere versuchten sogar, auf religiöse Vorschriften Rücksicht zu nehmen. Löwenstein berichtet, wie er von seinem "Herrn Hauptmann" die Erlaubnis erhielt, "für immer des Sabbats vom Exerzieren frei zu sein".
Juden in Deutschland gehen mit der Emanzipation unterschiedlich um. Viele geben ihre jüdischen Wurzeln auf, lassen sich taufen und versuchen so, ganz in der Mehrheitsgesellschaft aufzugehen. Löwenstein beschreitet den Weg der kulturellen Angleichung, indem er seinen Glauben mit allem verbindet, was er für deutsch und preußisch hält.
Für Isaac Löwenstein scheint Geschichte zeitlebens ein permanenter Fortschritt. Dass die Zivilisation, so wie er sie empfindet, stetig höhere Stufen erreicht. Die deutsche Barbarei hätte er sich niemals träumen lassen. Auch nicht, dass sein Enkel und viele Angehörige ermordet würden und andere Familienmitglieder ins Ausland fliehen müssten. Mit seinem Tagebuch im Gepäck.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Heute sind Camille Claudels Skulpturen Millionen wert. Im 20. Jahrhundert hat der Kunstbetrieb die Bildhauerin in die Psychiatrie gebracht. Dort stirbt sie am 19.10.1943.
Zu der Zeit von Camille Claudel haben es Frauen schwer, die künstlerisch tätig sind. Im frühen 20. Jahrhundert ist die Kunst männlich dominiert. Die Bildhauerin ist zwar hochbegabt, doch staatliche Aufträge erhält sie keine. Dass ihr Leben zur Tragödie wird, liegt allerdings nicht nur an den gesellschaftlichen Umständen. Auch ihre private Situation ist von Anfang an schwierig.
Camille wird von ihrer Mutter abgelehnt, weil diese lieber einen Jungen gehabt hätte. Camilles Bruder erinnert sich: "Alle Welt zankte sich in der Familie: mein Vater mit meiner Mutter, die Kinder mit ihren Eltern und die Kinder unter sich." Bereits mit zwölf Jahren will Camille Bildhauerin werden. Da Frauen an der Kunstakademie in Paris nicht zugelassen sind, nimmt sie Privatunterricht bei Auguste Rodin.
Camille Claudel wird Rodins Mitarbeiterin, Model, Muse und schließlich Geliebte. Die Affäre ist problematisch: Der ältere Rodin ist bereits liiert, es kommt zu heftigen Eifersuchtsszenen. Camille verlässt ihn und zieht sich immer mehr zurück. "Paranoider Verfolgungswahn" lautet schließlich die Diagnose. 1913 lassen Mutter und Bruder sie einweisen. Obwohl die Ärzte ihre Entlassung befürworten, lehnt es die Familie ab, sie nach Hause zu holen. Mehr als 30 Jahre verbringt Camille Claudel in einer Nervenheilanstalt in Montdevergues bei Avignon - bis zu ihrem Tod.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Sie gilt als Staatsfeindin: Die römische Adelige Agrippina, Mutter des späteren Kaisers Caligula, wird auf die Insel Ventotene verbannt. Dort stirbt sie am 18.10.33.
Geboren wird Agrippina die Ältere vermutlich auf der Insel Lesbos. Ihr Vater, ein Feldherr und Freund von Kaiser Augustus, ist damals im Osten des Reiches unterwegs. Nach der Rückkehr der Familie nach Rom wird die 19-jährige Agrippina mit ihrem Cousin verheiratet, dem Prinzen Nero Claudius Drusus, bekannt als Germanicus.
Das Paar gilt als Hoffnung der Weltmacht. Vom Volk geliebt, von Augustus aufgebaut. Sie beziehen den Statthalterpalast im späteren Köln. Später schickt Kaiser Tiberius die Familie zur nächsten Mission in den Osten. Dort stirbt Germanicus, vermutlich an einem Infekt.
Als Agrippina nach Rom zurückkehrt, wird ihr der Prozess gemacht. Sie sei an einer Verschwörung beteiligt. Sie wird zur Staatsfeindin erklärt und auf die Insel Pandateria verbannt, die heute Ventotene heißt. Am 18. Oktober im Jahr 33 ist Agrippina die Ältere tot. Sie ist verhungert. Unklar ist bis heute, ob sie die Nahrung verweigert hat oder ob sie ihr verwehrt worden ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
Die Schule Summerhill des Pädagogen A. S. Neill ist etwas Besonderes: Kinderkönnen dort machen, was sie wollen, so lange sie damit andere Menschen nicht stören.
Neill's Vater ist Dorfschullehrer und beherrscht die Kunst Kinder zu "führen" - oft mit dem Gürtel. Alexander überlegt, was man grundlegend anders machen kann, damit die Schüler besser lernen und überhaupt zu ihrem Recht kommen und nicht von einer anonymen Schulmasse und Schulbehörde unterdrückt werden.
Einen Wendepunkt bringt der Ausbruch des 1. Weltkriegs: Untauglich für den Kriegsdienst wird Neill vorübergehend Leiter einer Schule, an der er seine eigenen Vorstellungen erprobt. Später eröffnet er mit einer Handvoll Kindern 1924 im südenglischen Lyme Regis die Gemeinschaftsschule Summerhill. Summerhill ist bis heute eine Art Villa Kunterbunt für kleine und große Pipi-Langstrümpfe. Doch die Freiheit zu tun, was man möchte bedeutet keinesfalls Anarchie. Es herrschen Regeln, aber kein König. Summerhill ist bis heute eine selbstregierte Kinderrepublik.
In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
Die größte fahrende Maschine der Welt geht am 16.10.1978 im Braunkohletagebau Hambach in Betrieb. Nun geht die Zeit der Stahlmonster geht zu Ende.
Der Schaufelradbagger 288 wird von 1975 bis 1978 in Oberzier/Kreis Düren gebaut. Von dort geht das Gerät in den Einsatz im Hambacher Braunkohletagebau. Vorlaufzeit sind zwei Jahre Planung bis die größte selbstfahrende Arbeitsmaschine der Welt in den Einsatz geht.
Aber es gibt auch Proteste. Anwohner wehren sich gegen das Mammutgerät, das mit all seiner Kraft Natur und Kultur vernichtet. 2030 soll damit Schluss sein, der Kohleabbau beendet werden. Der 288 soll dann aber nicht verschrottet werden. Vielleicht findet er einen Parkplatz in einer in einer Art "Gnadenhof für Bagger", wie es ihn bereits in Sachsen-Anhalt gibt. In "Ferropolis" stehen auf einer aufgeschütteten Insel jede Menge kleinere Bagger nebeneinander und ziehen Jahr für Jahr rund 100.000 Besucher an.
Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
Im Oktober 1963 muss Konrad Adenauer als Bundeskanzler abtreten. Er tut das höchst ungern: Das Regierungsamt hat den inzwischen 87-Jährigen lebendig erhalten.
14 Jahre lang ist er Bundeskanzler gewesen. Bei seinem Amtsantritt galten die Deutschen noch als die Schurken der Weltgeschichte, als Kriegstreiber. Mit ihm ist die Bundesrepublik eine verlässliche Demokratie geworden, fest eingebunden in die westliche Welt. Die Bundeswehr ist sein Kind, ein Teil seiner Machtstrategie. Und die Wirtschaft blüht.
„Der Alte“ machte Ludwig Erhard zum Wirtschaftsminister. Einen, bei dem dauernd die Zigarre glühte, das Symbol für Wohlstand. Ein Optimist und draller Genussmensch. Das gerade Gegenteil zum mageren knochentrockenen Adenauer. Auch politisch. Sie konnten sich nicht leiden. Nur der Erfolg verband sie.
Adenauers goldener Herbst als Kanzler wurde die Aussöhnung mit Frankreich. Dem jungen US-Präsidenten Kennedy misstraute er. Im Franzosen Charles de Gaulle fand er einen Partner, der ein Zusammengehen beider Länder forcierte. Adenauer hinterließ aber auch viele Baustellen. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen stand 1963 nur auf dem Papier. Eine wirksame Entspannung mit dem Ostblock kam erst lange nach ihm unter Willy Brandt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
Ein Klassiker für die musikalische Ewigkeit hat am 14.10.1843 Premiere: Felix Mendelssohn Bartholdy hat Shakespeares "Sommernachtstraum" genial vertont.
Schon die Sommernachtstraum-Ouvertüre des erst 17-jährigen Mendelssohn wird ein Erfolg. Mehr als anderthalb Jahrzehnte später erhält er, inzwischen längst ein international gefeierter Musiker, den Auftrag, für König Friedrich Wilhelm IV. eine vollständige Bühnenmusik zur Shakespeare-Komödie zu komponieren. Erstmals öffentlich aufgeführt wird diese am Vorabend des Geburtstags von Wilhelm IV. im Theater des Neuen Palais in Potsdam.
Das bis heute populärste Stück daraus ist der „Hochzeitsmarsch“, der schon bei unzähligen Trauungen zum Einsatz kam. Dabei enthält Felix Mendelssohns Sommernachtstraum noch einige Stücke von ähnlich hohem Reiz, die aber leicht übersehen werden.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Ihr erstes Konzert auf dem europäischen Festland spielt die Band "Queen" in Muffendorf bei Bonn. Dort steht am 13.10.1973 natürlich Sänger Freddie Mercury am Mikrofon.
Noch kennt die Band kaum jemand: Am 13. Oktober 1973 fahren in Muffendorf, einem ehemaligen Winzerdorf im Süden von Bonn, vier langhaarige Jungs aus England vor. "Queen" tritt zum allerersten Mal in Festland-Europa auf. Juppi Schaefer, der Betreiber des Dorf-Clubs "Underground", hat einen Riecher für spätere Weltstars.
Schon bald füllen die Rocker um Frontmann Freddie Mercury die großen Stadien rund um den Globus. Für das 1969 eröffnete „Underground“ hingegen ist zwei Jahr nach dem Auftritt von "Queen" bereits wieder Schluss.
In diesem Zeitzeichen erzählen Joachim Heinz und Markus Harmann:
Scharfsinnig, ironisch, subjektiv - Alfred Kerr zählt zu den bedeutendsten Theaterkritikern des 20. Jahrhunderts. Seine Texte sind literarische Kunstwerke.
Sein Stil ist pure Verführung. Der Theaterkritiker Alfred Kerr schreibt ironisch, scharf und kurz. Er schildert, welche Gefühle ein Theaterabend in ihm weckt, analysiert sie und zieht seine Schlüsse daraus: "Ich trachte, die Kritik auf eine Stufe zu bringen, wo sie eine dichterische Kunst sein kann."
Kerrs Macht ist groß: Lobt er, ist der Aufstieg gewiss. Seine Verrisse können aber auch die Karriere von Schreibenden, Spielenden, Intendanten und Regisseuren beenden. Selbst Autoritäten lässt Kerr leiden, wenn ihm das Gebotene nicht gefällt. So wie etwa Thomas Mann: Nach der Premiere von dessen Theaterstück "Fiorenza" bezeichnet ihn Kerr 1913 als "ein feines, etwas dünnes Seelchen". Mann schreibt danach nie wieder ein Theaterstück.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Einsatz für Mitmenschen, Kampf für Frauenrechte, Verbindung von Judentum und Christentum: All diese Facetten waren Edith Stein wichtig. Sie wurde in Auschwitz getötet.
Am 7. August 1942 wird Edith Stein aus dem Kloster Echt für Karmelitinnen in den Niederlanden abgeführt. Dort sucht die Jüdin, Philosophin, Frauenrechtlerin und Nonne vom Orden der Karmelitinnen vergeblich Schutz vor den Nationalsozialisten.
Aber die Niederlande sind seit zwei Jahren von NS-Deutschland besetzt. Die katholische Kirche protestiert gegen die Misshandlung und Deportationen christlicher Jüdinnen und Juden. Die Racheaktion der Besatzer folgt sofort: Am 2. August 1942, einem Sonntag, werden mehr als 700 Katholiken, darunter Geistliche, Nonnen und Mönche, deportiert.
Am 9. August erreicht der Transport das Vernichtungslager Auschwitz. Nach allem, was man weiß, wird Edith Stein unmittelbar nach der Ankunft im Gas ermordet. Sie wird 50 Jahre alt.
"Wir verneigen uns tief vor dem Zeugnis des Lebens und Sterbens von Edith. Der herausragenden Tochter Israels und des Karmels." Das ruft Papst Johannes Paul II. am 1. Mai 1987 bei Edith Steins Seligsprechung. Am 11.10 1998 wird sie heilig gesprochen. Ihr gewaltsamer Tod macht die Christin, die als Jüdin geboren und katholisch geworden war, zur Märtyrerin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Eine wunderschöne Tänzerin, blitzgescheit: König Ludwig I. von Bayern war verschossen in Lola Montez. Nach ihrer verrückten Liebesgeschichte bettelt sie in einem Brief vom 10.10.1848 um Geld.
Eine Spanierin, wie jahrelang behauptet, ist Lola Montez nicht: vielmehr die Tochter eines britischen Offiziers, geboren als Eliza Gilbert. Im Oktober 1846 kommt die 25-Jährige nach München. Seit Jahren inszeniert sie sich quer durch Europa als skandalträchtige Tänzerin - ob vor dem preußischen König oder dem russischen Zaren.
Es verwundert nicht, dass die schöne Tänzerin nur zwei Tage nach ihrer Ankunft in München eine Audienz bei Ludwig I. erhält. Der 35 Jahre ältere bayerische König aus dem Haus der Wittelsbacher will stets selbst über Gastauftritte im Hoftheater entscheiden. Auch der König erliegt ihren Reizen. Ihre sechzehn monatige Beziehung ist weniger vom Sex bestimmt, sondern geprägt von Verehrung und Gesprächen.
Die katholischen Bayern stehen jedoch hinter ihrer betrogenen Königin, Ludwigs Ehefrau Therese. Bald wird im Hofstaat systematisch gegen die Favoritin intrigiert. Vom Mob wird Lola Montez aus München vertrieben. Nicht einmal Ludwig kann verhindern, dass ihr die 1847 verliehene Staatsbürgerschaft entzogen wird. Sie flieht in die Schweiz, und der König zieht für sich die Konsequenzen. Ludwig I. Ludwig legt die Krone nieder und verzichtet auf den Thron. Er übergibt seinem Sohn Maximilian das Zepter.
Lola Montez lebt am Genfer See weiter in Saus und Braus. Finanziell ist sie bald am Ende. Am 10. Oktober 1848 schreibt sie einen verzweifelten Bettelbrief an Ludwig. "Ich flehe Dich an. […] Schick mir die 20.000 Franken sofort. Ich schicke Dir einen Kuss aus meinem zärtlichen Herzen. Du bist das Leben, mein Ludwig. Deine treue Lolita." Und der Ex-König schickt ihr Geld.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Der belgische Chansonnier Jacques Brel (gestorben am 9.10.1978) packte die ganz großen Dramen des Lebens in seine Texte und sang an gegen die Bigotterie der Spießer.
Er verspricht der Geliebten Perlen aus Regen aus Ländern, in denen es nie regnet. Und er will der Schatten ihres Hundes sein. Jacques Brels "Ne me quitte pas" wird in Frankreich immer wieder zum schönsten "chanson d’amour" gekürt. Keiner singt so ergreifend von Sehnsucht und Zärtlichkeit, von der Zerbrechlichkeit der Liebe, der Trauer über den Verlust. Aber Brel kann auch ätzend und grob sein, bissig, sarkastisch oder bösartig. Dabei hält er dem Publikum den Spiegel vor.
Er ist ein Getriebener, der es nirgendwo lange aushielt, der jedes Projekt abbricht, wenn es zu erfolgreich wird. Jacques Brel hetzt rastlos um die Welt, betrügt jede Frau mit einer anderen. Diese Intensität und Unberechenbarkeit ist es, die er auch auf die Bühne bringt.
Für Brel ist klar: "Entscheidend ist die Intensität eines Lebens, nicht die Dauer eines Lebens." Seine größte Sorge ist es, vor seiner Zeit zu "verfriedhofen". Das hat er geschafft: Brel stirbt am 9. Oktober 1978 mit nicht einmal 50 Jahren an Lungenkrebs.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Zufälle, die zu neuen Medikamenten führten. Fatale Irrtümer. Segensreiche Fortschritte. Die Geschichte der Medizin ist faszinierend: Karl Sudhoff hat sie erforscht.
Karl Sudhoff nutzt das von ihm 1906 in Leipzig gegründete medizinhistorische Institut vor allem, um zu sammeln: Handschriften, Drucke, Objekte, Porträts, Zeichnungen oder Graphiken. Seine Karikaturen-Sammlung ist einmalig. Was Sudhoff nicht so gründlich sammelt wie Schriften und Dokumente, das sind Dinge der ärztlichen Arbeit.
Bekannt wird Karl Sudhoff vor allem durch seine Studien über mittelalterliche medizinische Handschriften. Er legt umfangreiche medizinhistorische Sammlungen an und verfügte über eine außerordentlich große Privatbibliothek. Er gilt damit als Neubegründer des Faches Geschichte der Medizin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Am 7.10.1993 wird bekannt, dass Toni Morrison den Literaturnobelpreis erhält: eine Schwarze Schriftstellerin mit einer Sprache voller Musik.
Toni Morrison ist zwar keine zentrale Gestalt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren, aber sie ist als Schriftstellerin Sprachrohr der Afroamerikaner. Sie schreibt über ihre Community, über Menschen, die unter Diskriminierung und Rassenhass leiden und unter den Nachwirkungen der Sklaverei. Als Autorin durchbricht sie die gängigen Muster eines "literarischen Rassismus": Die erfolgreichen, gefeierten Schriftsteller sind allesamt weiß und männlich. Und somit sind auch die Themen der Bücher weiß und männlich. Morrisons Hauptfiguren sind meist Afroamerikanerinnen. Sie beschreibt ihr Empfinden, ihren Blick auf das Leben und führt weiße Leser so in eine unbekannte Welt, die bis dahin niemand beschrieben hatte.
Das Schicksal afroamerikanischer Kinder zieht sich durch ihr gesamtes literarisches Schaffen (wie etwa in "Menschenkind"). Auch afrikanische und afroamerikanische Mythen flicht Morrison immer wieder in ihre Texte mit ein ("Teerbaby"). Ihre poetische Kraft, die emotionale Tiefe ihrer Texte und das eindringliche Schildern menschlichen Scheiterns bringen ihr 1988 erst den Pulitzer-Preis ein und 1993 schließlich den Nobelpreis für Literatur.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Erstmals trat am 6.10.2008 ein Parlament zusammen, in dem mehr Frauen als Männer saßen - in Ruanda, wenige Jahre nach dem verheerenden Bürgerkrieg.
Nach den Parlamentswahlen am 6. Oktober 2008 schaut die Welt verblüfft nach Ruanda. Ein afrikanisches Land stellt den sogenannten Westen in Sachen Gleichberechtigung in den Schatten. Ein Paradoxon - eigentlich. Denn die weibliche Erfolgsstory Ruandas beginnt erst, als das bis heute dunkelste Kapitel des Landes sein Ende nimmt: Im Jahr 1994 wütet ein Bürgerkrieg in Ruanda. Dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit fallen über 800.000 Menschen zum Opfer. Die Überlebenden sind zu über 70 Prozent Frauen. Und die bauen das in Schutt und Asche liegende Ruanda wieder auf.
Seit den späten 1990er Jahren übernehmen Frauen damit nicht nur Verantwortung, sondern auch wichtige Ämter und Geschäfte. Weil Frauen im Vorkriegs-Ruanda weder Land besitzen noch irgendetwas erben durften, wäre die Gesellschaft nach dem Krieg zusammengebrochen, viele Familien auf einen Schlag verarmt. Die Notlage erzwingt einen historischen Umbruch. Frauen - Tutsi wie Hutu - organisieren sich, um das Land aus der Schockstarre zu lösen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Laura Mareen Janssen:
Eleonore Prochaska, die als Soldat August Renz in den Befreiungskriegen kämpft und fällt, erliegt am 5.10.1813 ihren Verletzungen: Später wird daraus ein Mythos.
Eleonore Prochaska wird 1785 in Potsdam geboren. Getrieben von patriotischer Begeisterung tritt sie mit 28 Jahren unter dem Namen August Renz als freiwilliger Jäger in das Lützower Heer ein. Ein junger schlanker Mann, wie alle denken: Fünf Fuß, acht Zoll, drei Strich hoch. Unerkannt macht sie als Trommlerin ebenso von sich reden wie als Retterin eines Kameraden. Dabei setzt sie sich selbstbewusst, mutig und klug über gesellschaftliche Rollenerwartungen hinweg.
Doch im September 1813, im ersten ernsthaften Kampf, wird Prochaska bei der Schlacht an der Göhrde schwer verletzt. Drei Wochen später, am 5. Oktober 1813, stirbt sie. Nach ihrem Tod und der Entdeckung ihres Geschlechts, beginnt sogleich die Legendenbildung um die Soldatin. Nach und nach wird Prochaska eine Symbolfigur - wahlweise für Patrioten, Nationalisten, Kriegsbefürworter, Kommunisten und Feministinnen.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Der berühmte Orient-Express fährt schon, als die Deutsche Bank am 4.10.1888 den Auftrag bekommt, die Bahnstrecke quer durchs Osmanische Reich weiterzubauen.
Für den Eisenbahnbau braucht die osmanische Regierung allerdings Geld - ein großes Problem für das hoch verschuldete Reich. Daher erteilt der Sultan am 4. Oktober 1888 der Deutschen Bank die Konzessionsrechte zum Bau und Betrieb einer kleinasiatischen Bahn, die zunächst von Konstantinopel nach Ankara führen soll. Schienen, Waggons und Baumaterial liefert die deutsche Industrie, deutsche Ingenieure leisten Bauaufsicht. 1896 - acht Jahre nach Erteilung der Lizenz an die Deutsche Bank - ist Ankara schließlich über den östlichen Arm erreicht.
Doch die Fertigstellung dieses Mammutprojekts ist erst der Anfang: Zwei Jahre später hat Sultan Abdülhamid II. mit der Bagdadbahn eine neue Idee. Mit weiteren 1.600 Kilometern Schiene sollen Istanbul und Bagdad miteinander verbunden, und so die entlegenen Provinzen erschlossen werden. Tatsächlich beginnen 1903 die Bauarbeiten. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der das Ende des Osmanischen Reichs einleitet, verhindert für lange Zeit die Fertigstellung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Amerikanische Truppen beeinflussen, DDR-Geflüchteten Vorwürfe machen. Gegründet am 3.10.1948, war der Deutschlandsender das Sprachrohr der SED für Gesamtdeutschland.
Die Kernbotschaft Richtung Westen: In der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR ist die Welt eine bessere. Das Böse ist da, wo der Sozialismus nicht ist. Die Nachrichtensendungen spulen routiniert die Parteifloskeln ab. Es ist die offensichtliche Verweigerung politischer Debatten jenseits vorgefertigter ideologischer Sprach-Codes.
Es wirkt wie ein Grundrauschen des Alltags. Die DDR-Medien als Abbildung einer Floskel-Republik voller vorgestanzter Sätze, vor denen es kein Entkommen gibt, weil sie überall präsent sind: in allen offiziellen Reden, bei denen von der Obrigkeit vorgegebenen Losungen für die organisierten Massendemonstrationen und in den Medien sowieso.
Das "Grundrauschen des Sozialismus" dauert über 40 Jahre. Dann vermeldet auch die "Stimme der DDR", dass der Weg über die Grenze für alle offen ist.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Am 2. Oktober 1958 tritt der "King" im hessischen Friedberg seinen Militärdienst an. Der weltberühmte Film- und Fernsehstar und Plattenmillionär bleibt 18 Monate.
Bei seiner Ankunft mit dem Schiff in Bremerhaven warten schon Hunderte Jugendliche, die Polizei und das Fernsehen. Denn auch diesseits des Atlantiks sind viele von Elvis Presleys neuen, schnellen und wilden Musikstil begeistert. Der 23-Jährige enttäuscht die wartenden Fans nicht: Seinen Seesack hat er lässig über die Schulter geworfen – ungewohnte Coolness im piefigen Nachkriegsdeutschland. Dabei gibt sich der Musiker bodenständig, offen und freundlich: "Ich freue mich aus Deutschland, auf das Land, und darauf, die Menschen kennenzulernen", sagt er vor seiner Abreise.
Nur Konzerte geben darf der "King of Rock 'n' Roll" in Deutschland nicht. Stattdessen verbringt er seine Tage in der Kaserne in Friedberg. Nach Dienstschluss warten jeden Tag seine deutschen Fans auf ihn, um ein Autogramm zu ergattern oder ihm Musik vorzuspielen. In Deutschland lernt Elvis auch seine spätere Ehefrau Priscilla kennen, ihr Stiefvater ist im gleichen Bataillon wie er stationiert. Zurück in den USA spielt Elvis in "G.I. Blues" (im Deutschen "Café Europa) einen Soldaten in Deutschland und sein im Film gesungenes "Muss i denn zum Städtele hinaus" wird ein Welthit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Kosfeld:
Georg Baselitz ist heute einer der erfolgreichsten deutschen Künstler. Seine erste Einzelausstellung ab dem 1.10.1963 wurde zun Skandal, die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein.
Stein des Anstoßes sind ein überdimensioniert gemalter Penis und ein onanierender Mann in den Bildern "Der nackte Mann" und "Die große Nacht im Eimer" von Georg Baselitz, so die naheliegende Interpretation der Bilder. Dabei sorgen diese Gemälde am Tag der Ausstellungseröffnung am 1. Oktober 1963 für wenig Aufsehen. Erst als die Presse die folgenden Tage "Galerie Werner & Katz eröffnete obszön" und "Schock in der Kunst-Galerie" titelt, rückt die Staatsanwaltschaft an und beschlagnahmt die beiden Bilder.
Spekulationen, der Künstler und die Galeristen Werner & Katz hätten den Skandal inszeniert, um den jungen Georg Baselitz bekannt zu machen, weisen sie bis heute zurück. "Nein, das war absolut tödlich, weil die ganze Bourgeoisie lehnte einen Besuch in einer Skandalgalerie ab", erinnert sich Galerist Benjamin Katz später. "Das war also wirklich ein falscher Start", sagt auch Baselitz. Geschadet hat ihm der Skandal aber nicht wirklich, er zählt heute zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern. Auch die Werke haben den Aufenthalt in der Asservatenkammer gut überstanden. Nach einem jahrelangen Prozess hängt "Die große Nacht im Eimer" heute im Museum Ludwig in Köln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
Am 30.9.1933 hatte die "Pfeffermühle" den ersten Auftritt in Zürich. In Deutschland waren die Aufführungen von Erika Manns Kabarett lebensgefährlich geworden.
Die Direktorin der "Pfeffermühle" Erika Mann erweist sich schon 1933 als äußerst hellsichtig: "Am Ende liegt die Welt in Schutt und Trümmern, die wir so listig-tüchtig aufgebaut." Vorgetragen werden die Verse, Geschichten und Lieder von Therese Giehse. Sie war einst Hitlers erklärte Lieblingsschauspielerin, jetzt ist sie mit Erika Mann liiert und lebt mit ihr im Schweizer Exil. Denn den Nazis hatte das Münchener Programm mit seinen literarisch-komischen Warnungen vor der braunen Gefahr überhaupt nicht gefallen. In Zürich und auf Tourneen weiß man indes die intelligente Satire zu schätzen. Die "Pfeffermühle" gibt über 1.000 Vorstellungen in knapp vier Jahren. Dann reichen die nationalsozialistischen Arme bis in die Schweiz. Erika Mann und Therese Giehse müssen in die USA gehen. Dort bleibt der erhoffte Erfolg einer englischen "Peppermill" aus.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Im September 1938 entscheidet sich in München das Schicksal der Tschechoslowakei. Das Münchener Abkommen war der gescheiterte Versuch, Hitler zu beschwichtigen.
Im September 1938 werden Hitlers Drohungen, das Sudetenland mit Gewalt zu annektieren, immer schärfer. Auf dem Nürnberger Reichsparteitag warnt er, "dass das Reich eine weitere Unterdrückung dieser 3,5 Millionen Deutschen nicht mehr weiter hinnehmen wird, und ich bitte die ausländischen Staatsmänner überzeugt zu sein, dass es sich hier um keine Phrase handelt!"
Großbritanniens Premier Arthur Neville Chamberlain will für die kleine Tschechoslowakei – ein Land, das die meisten seiner Bürger gar nicht kennen – kein Kriegsrisiko eingehen. Denn würde Hitler die Tschechoslowakei überfallen, träte für Frankreich der Bündnisfall ein und Großbritannien wäre auch betroffen. Chamberlain macht ein Angebot. Hitler bekomme seine sudetendeutschen Gebiete, unter der Bedingung, auf militärische Aktionen zu verzichten. Hitler stimmt zu.
Das Münchener Abbkommen ist Teil der "Appeasement-Politik", Zugeständnissen, mit denen die Westmächte hoffen, Hitler im Zaum zu halten. Sie ignorieren die deutsche Wiederaufrüstung seit 1933, reagieren nicht auf die deutsche Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes 1936 und nehmen den "Anschluss" Österreichs im März 1938 hin. Doch die Beschwichtigungsstrategie geht nicht auf. Schon im März 1939 marschieren deutsche Truppen in die Rest-Tschecheslowakei ein, ein halbes Jahr später in Polen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Heute vor 2070 Jahren, am 28.9.48 v.Chr. wird der römische Politiker Gnaeus Pompeius Magnus ermordet. Sein Gegner Cäsar soll geweint haben, als er dessen abgeschlagenen Kopf in den Händen hält...
Gnaeus Pompeius Magnus wird im Jahr 106 v. Chr. geboren und ist nur sechs Jahre älter als Gaius Julius Caesar. Er versteht es glänzend, seinen niederen gesellschaftlichen Stand als Plebejer durch fünf strategische Ehen auszugleichen. So ist seine dritte Ehefrau die Tochter eines Patriziers, was Pompeius den gesellschaftlichen Aufstieg in die Nobilität, den Adel Roms, ermöglicht. In vierter Ehe heiratet er Julia, die Tochter Caesars, und stärkt damit auch die Verbindung zu Julius Caesar. Die zerbricht mit Julias Tod im Kindsbett. Im Jahr 49 v. Chr. überschreitet Caesar bei der Rückkehr aus Gallien mit seinen Truppen nicht nur den Rubikon, sondern auch die Grenzen der römischen Verfassung. Es kommt zum Bürgerkrieg, weil Pompeius letzten Endes der Republik und der Verfassung nähersteht, als dem immer machthungrigeren Caesar. Im Streit mit Pompeius siegt aber gegen jede Erwartung Caesar. Pompeius flieht mit seiner fünften Frau nach Ägypten zu König Ptolemaios. Statt Aufnahme findet er dort den Tod - die Ägypter wollen sich im römischen Machtpoker nicht zwischen sämtliche römische Stühle setzen. Am 28. September des Jahres 48 v. Chr., einen Tag vor seinem 58. Geburtstag, wird Pompeius ermordet, sein Kopf als Beweis an Caesar geschickt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Der unerschrockene Satiriker Kurt Tucholsky wird bei einer Lesung vor rechten Schlägern gewarnt. Das Schreiben behält er immer auf seinem Schreibtisch...
Ende der "goldenen" 1920er-Jahre geht es in Deutschland wirtschaftlich bergauf, die SPD gewinnt die Reichstagswahlen und stellt den Kanzler. Aber die Gegner der jungen Demokratie geben keine Ruhe. Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky attackiert die Gegner der Republik mit Worten. Auf Lesereisen wendet er sich gegen die extremen Nationalisten. Vor einer seiner Reisen nach Köln bekommt er einen Drohbrief: "Man hat etwas gegen Sie vor. Nach Ihrem heutigen Auftritt will ein Aufgebot von wenigstens 50 Mann Sie so zwischen nehmen, dass Sie nicht mehr heil von Köln fortkommen!" Der drohenden Schlägerei entkommt Tucholsky, doch die Warnung sitzt tief. 1929 wandert er resigniert nach Schweden aus. Sein Schriftstellerkollege Erich Kästner schreibt später, in den 1950er-Jahren: Spätestens 1928, im aufgeheizten Klima von Tucholskys vorletzter Lesereise, hätten die Nazis bekämpft werden müssen. Danach sei die öffentliche Stimmung unumkehrbar gekippt.
In diesem Zeitzeichen erklärt Thomas Pfaff:
"Ich bin kein Held. Ich war nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt Stanislaw Petrow. An dem Ort, an dem sich entschied, ob es zu einem Atomkrieg kommt oder nicht.
Anfang der 1980er-Jahre wächst in West wie Ost die Angst vor einem drohenden Atomkrieg. Am 26.09.1983 erscheint der 44-jährige Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow zum Dienst in der Militärbasis Serpuchow-15. Per Computer- und Satellitenunterstützung soll er den Luftraum überwachen. Plötzlich schlägt das System Alarm: Angeblich ist eine amerikanische Interkontinentalrakete gestartet. Petrow muss die Situation nun schnell bewerten. Er beschäftigt die Mitarbeiter mit allen möglichen Aufgaben, um in Ruhe nachdenken zu können. Er entscheidet sich, der Analyse des Computers zu misstrauen und das Ganze als Fehlalarm zu werten. Schon am Tag zuvor hat ein Satellit fehlerhaft gearbeitet. Die Geschichte gibt ihm recht: Zu keinem Zeitpunkt handelte es sich um einen Raktenangriff auf die Sowjetunion. Als Held sieht sich Petrow nachher nicht: "Ich war nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort."
In diesem Zeitzeichen erklärt Daniela Wakonigg:
Die provozierende und gewitzte Streitschrift des Franzosen Paul Lafargue wird 140 Jahre alt: Sind arbeitende Menschen dumm, weil sie sich ausbeuten lassen?
Geboren wird Paul Lafargue als Sohn einer gut situierten Familie aus Bordeaux mit karibischen und afrikanischen Vorfahren. Kritik an seiner Schrift "Das Recht auf Faulheit", die 1883 als Buch erscheint, geht mit persönlicher Diskriminierung einher. Selbst sein Schwiegervater Karl Marx nennt Lafargue den "Kreolen", der zu sehr "Naturkind" sei. Lafargue selbst ist stolz auf seine Wurzeln: Er vereine in sich "europäische Juden, versklavte Afrikaner und indigene Kariben" und sei schon "Internationalist des Blutes" gewesen, bevor er es auch ideologisch wurde.
Paul Lafargues politische Laufbahn beginnt im Studium in Paris. Dort widmet er sich mehr den sozialistischen Theorien als der eigentlich vorgesehenen Humanmedizin und avanciert zu einem der bedeutendsten Anführer des Sozialismus. Das von ihm 1883 ironisch propagierte "Recht auf Faulheit" nutzt er selbst nie. Zusammen mit seiner Frau Laura setzt er sich in England, Frankreich und Spanien für die internationale Arbeiterbewegung ein, was ihnen einige Exilaufenthalte beschert. In den1880er Jahre kehren Paul und Laura Lafarque nach Frankreich zurück und ihr Haus in der Nähe von Paris wird ein beliebter Treffpunkt – bis das Ehepaar 1911 gemeinsam freiwillig aus dem Leben scheidet. Obwohl der Entschluss als skandalös gilt, kommen 15.000 Trauergäste zur Beisetzung, die Trauerrede hält Lenin.
In diesem Zeitzeichen erzählt Sabine Mann:
Der kleine Frank Mars ist kränklich, geht selten zur Schule - und verbringt deshalb viel Zeit in der Küche seiner Mutter. Dort lernt er, wie gute Süßigkeiten gelingen: die Grundlage für ein Schokoriegel-Imperium.
Inspiriert von den Schokoladen-Rezepten seiner Mutter experimentiert Frank C. Mars nach der Highschool mit der Herstellung von Süßigkeiten. Zunächst backt der 19-Jährige Zuckerrübensirup-Chips, die er an Großhändler in Minnesota verkauft. Doch die süßen Kekse floppen und erst der in seiner Küche entwickelte Schoko-Riegel "Mar-o-Bar" wird zum Verkaufsschlager. Der Umsatz klettert bald auf 100.000 US-Dollar. Damit nicht genug, Mars und seine Nachfolger in der Familienfirma greifen mit neuen Riegeln nach den Sternen: Milky Way lässt sich besser lagern und transportieren als sein Vorgänger und kann so auch ins Ausland verkauft werden. Es folgen Snickers und erst Raider, dann Twix. Als Frank C. Mars mit nur 51 Jahren stirbt, hinterlässt er ein weltweites Schokoladen-Imperium, zu dem bis heute weitere Lebensmittel- und Tierfuttermarken hinzukommen. Die Mars Incorporation ist bis heute in Familienbesitz und fällt vor allem dadurch auf, dass sie diskret und ohne Skandale geführt wird.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Pablo Neruda ist vor allem für seine Liebesgedichte bekannt. Chiles Nobelpreisträger stirbt am 23.9.1973. Ob er in Pinochets Auftrag ermordet wurde, ist ungeklärt.
Er versteht sich als Dichter des Volkes und der Verfolgten. Ein Poet, der seine Verse gegen die Mächtigen, die Armut und den Kapitalismus richtet. Der Sohn einer Lehrerin und eines Lokomotivführers schreibt bereits in seiner Schulzeit Verse. Er studiert in Santiago Philosophie und wird mit einer Sammlung von Liebesgedichten bekannt. 1971 erhält Neruda den Nobelpreis für Literatur - "für eine Poesie, die mit der Wirkung einer Naturkraft Schicksal und Träume seines Weltteils lebendig macht".
An der Seite seines Freundes Salvador Allende kämpft Pablo Neruda für die Demokratie in Chile. Allende gewinnt mit seiner Vision vom Sozialismus die Wahlen. Doch am 11. September 1973 putscht das chilenische Militär. Präsident Allende nimmt sich das Leben. Zwölf Tage später stirbt der 69-jährige Neruda. Ob sein Krebsleiden die Ursache ist oder ob die Schergen von Diktator Augusto Pinochet den unbequemen Poeten vergiftet haben, ist unklar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
Über 85 Millionen verkaufte Alben: Der Sänger Andrea Bocelli (geboren am 22.9.1958) ist zugleich Weltstar und "Volks-Tenor". Der Italiener verzaubert, eckt aber auch an.
Seine Eltern haben mit Musik nichts am Hut, doch Andrea Bocelli spielt schon als Kind Flöte, Klarinette, Saxofon und vor allem Klavier. Zunächst studiert er Jura und arbeitet als Rechtsanwalt, nimmt aber gleichzeitig Gesangsunterricht.
1994 hat der erblindete Tenor seinen Durchbruch als Schlagersänger, vier Jahre später macht er den Schritt zu Oper und intoniert Puccinis "La Bohème". Bald tritt er an der Seite von Popgrößen auf, singt bei Fußball-Events und ist musikalischer Gast bei der Krönung von Charles III - ein Superstar. Seine Kunst gefällt vielen, aber nicht allen: Manchen Musikkritikern ist seine Stimme für Ausflüge in die Klassik zu gellend.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
Erna Scheffler, die am 21.9.1893 geboren wird, kämpft für die Gleichberechtigung der Frau. 1951 wird sie als erste Richterin an das Bundesverfassungsgericht berufen.
Als ihr jüdischer Vater 1905 stirbt, erfährt Erna Scheffler schon als Kind, wie rechtlos Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind. Ihre Mutter ist dem Testamentsvollstrecker ihres Mannes ausgeliefert: Um den Nachlass und Entscheidungen bei der Kindererziehung darf sich die Witwe laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht eigenständig kümmern.
Erna entscheidet sich, Jura zu studieren - um mehr Gerechtigkeit für Frauen herzustellen. Sie wird als alleinerziehende Mutter eine der ersten Richterinnen in der Weimarer Republik. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erhält sie Berufsverbot. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt Erna Scheffler in den Justizdienst zurück und kämpft für die Reform des bürgerlichen Rechts.
In diesem Zeitzeichen erzählt Anja Arp:
"Time in a Bottle", "Rapid Roy", "Photographs and Memories": Jim Croce komponiert Songs für die Ewigkeit. Als er am 20.9.1973 stirbt, ist er gerade einmal 30 Jahre alt.
Mit fünf lernt er Akkordeon, steigt mit zwölf auf Gitarre um und lässt sich Anfang der 1960-Jahre von Folksongs begeistern. Bei einem Songcontest lernt Jim Croce seine Frau Ingrid Jacobsen kennen. Nach dem Uniabschluss gehen die beiden als Duo zwei Jahre auf Tour - ohne großen Erfolg.
Der Durchbruch für Jim Croce kommt im Juni 1972. Zuvor hat er erfahren, dass er Vater wird und schreibt eine Menge Songs, die in den Charts landen. Er spielt fast 300 Gigs, merkt aber im Sommer 1973, dass aus dem Tourleben aussteigen will, um bei seiner Familie zu sein. Doch dazu kommt es nicht. Die Maschine nach seinem geplanten letzten Auftritt stürzt ab.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Pfaff:
Für seine bissigen Restaurant-Kritiken wird er geliebt und gehasst: Der Journalist Wolfram Siebeck (geboren am 19.9.1928) will den Deutschen guten Geschmack vermitteln.
Heute vor 125 Jahren wird ein Örtchen im heutigen Sudan beinahe zum Auslöser eines großen Kriegs. Die Kolonialmächte England und Frankreich geraten aneinander.
1898 ist Faschoda ein kleiner, unbedeutender Ort im fernen Sudan. Doch 16 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wird dieses gottverlassene Nest zum Symbol eines gefährlichen Kräftemessens zwischen den Kolonialmächten England und Frankreich. Denn kolonialer Besitz wird Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Frage von nationalem Prestige. England, Frankreich, das Deutsche Reich, Italien, Spanien und Belgien rivalisieren um Territorien in Afrika und Asien.
Der Wettlauf um Afrika beginnt 1882 mit der britischen Besetzung Ägyptens und damit des für sie so wichtigen Suezkanals. Die Franzosen als Erbauer des Kanals empfinden das als tiefe Demütigung. Frankreich will einen Korridor vom Westen bis zum Osten Afrikas kontrollieren, England strebt dasselbe von Nord nach Süd an - "von Kairo bis zum Kap". Die strategischen Interessenlinien kreuzen sich im Sudan - in Faschoda. Beide Seiten bringen dort Truppen in Stellung. Doch der drohende Krieg zwischen Frankreich und Großbritannien wäre nicht in Faschoda, sondern in Europa ausgefochten worden. Und das hätte auch die anderen Großmächte auf den Plan gerufen - und damit Potenzial gehabt für einen Weltkrieg.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
Am 17.9.2013 ist "GTA V" erschienen, eines der erfolgreichsten Videospiele aller Zeiten. Spannend ist das Monument der Spielkultur längst nicht nur für "Gamer".
Nach mittlerweile zehn Jahren verkauft sich "Grand Theft Auto V" immer noch: Weltweit ist das Spiel bisher über 180 Millionen Mal gekauft worden und hat über 6 Milliarden Dollar Umsatz generiert.
Und auch heute treffen sich immer noch jeden Tag Hunderttausende in dieser Spielwelt. Die mit großem handwerklichen Geschick gebastelte Spielwelt wird von den Entwicklern mit einer Vielzahl von Systemen gefüllt, die sich alle gegenseitig bedingen.
Aber "GTA V" ist auch für Nicht-Spieler spannend, denn in ihm lässt sich einiges erkennen: Wie sind moderne Spielwelten gestaltet? Wie lassen sich in diesem interaktiven Medium Geschichten erzählen? Und: Eignen sich Games für satirische Kommentare und Gesellschaftskritik?
Blasphemie, Kirchenkritik? Oder schreiend lustige Religionskritik? Heute vor 45 Jahren begannen die Dreharbeiten für den Monty Python-Film "Life of Brian" in Tunesien.
Ende der 1970er Jahre sind sie schon Comedy-Ikonen: Graham Chapman, John Cleese, Terry Gilliam, Eric Idle, Terry Jones und Michael Palin. Mit ihrer Sketch-Show "Monty Python's Flying Circus" haben sie absurden, britischen Humor in die Welt getragen. Aber seit dem Ende ihrer Sketch-Show im Jahr 1974 stecken alle Pythons in verschiedensten eigenen Projekten.
Ganz getrennt hat sich die Gruppe aber nicht: 1975 erscheint ihr Spielfilm "Monty Python and the Holy Grail" ("Die Ritter der Kokosnuss"). Auf der Werbetour für den Film entsteht ihre neueste Idee: eine Parodie auf die Jesus-Geschichte. Doch kurz vor Drehbeginn steigt die Geldgeberfirma EMI aus, das Projekt droht zu scheitern. Das Geld kommt schließlich von Ex-Beatle George Harrison, der dafür einen kleinen Gast-Auftritt erhält.
Weil es in Großbritannien immer noch ein Gesetz gegen Blasphemie gibt, startet der Film in den USA - natürlich auch unter großen Protesten. Die Religionssatire wird dennoch - oder deswegen - zu einem Riesenerfolg. Nach dem "Leben des Brian" finden sich alle sechs Pythons noch zweimal für ein Projekt zusammen, dann stirbt Graham Chapman 1989 an Krebs. Auf der Gedenkfeier für Chapman singt Eric Idle: "Always look on the bright side of death - Just before you draw your terminal breath!"
In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Fischer:
"Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht". In der letzten freien Rede im Reichstag der Weimarer Republik sprach sich der SPD-Politiker Otto Wels (geb. am 15.9.1873) mutig gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis aus. Hitler antwortete höhnisch.
Otto Wels wird am 15. September 1873 als Sohn eines Gastwirts in Berlin geboren. Er hat ein aufbrausendes Temperament. Schon 1919 wird er SPD-Parteivorsitzender - und erkennt schon früh die drohenden Gefahren in Deutschland. Bei der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, am 23. März 1933, hält er seine berühmt gewordene Rede. Doch da ist es bereits zu spät. Immerhin: Wels setzt ein letztes öffentliches Zeichen des Widerstands - gegen Hitler, für die Demokratie.
In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Klug:
Ein deutscher Arzt der frühen Neuzeit, der es als Zauberer in die Harry-Potter-Bücher geschafft hat? Den gab es wirklich: Agrippa von Nettesheim.
Als Harry Potter und Ron Weasley sich im ersten Band der Buchreihe anfreunden, findet auch Aprippa Eingang in die Geschichte. Die Jungen unterhalten sich über Sammelkarten in Süßigkeitenverpackungen. Ron fehlt bei seinen Sammelkarten die eines sehr berühmten Zauberers: Agrippa. Der bezeichnet sich selbst als Magier. Und mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein erklärt er, ein Magier sei kein Zauberer, kein Abergläubischer, der mit bösen Geistern im Bunde steht, sondern ein Weiser, ein Priester, ein Prophet. Von ihm stammt das Standard-Werk zum Thema Magie aus dem 16. Jahrhundert "De occulta philosophia" - "Über die geheime Philosophie".
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Der "Frankfurter Tomatenwurf" am 13.9.1968 gilt als Initialzündung der neuen deutschen Frauenbewegung: Die Aktion zeigt einen Konflikt innerhalb der Linken.
Die Proteste in den 60ern, egal ob gegen den Vietnamkrieg oder die Nostandsgesetze, sie werden fast ausschließlich von jungen Männern angeführt. Der "Frankfurter Tomatenwurf" am 13.9.1968 ändert das Bewusstsein in der Protestbewegung.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Eine Weltkarriere mit unfassbaren Tiefen. Ob Tablettensucht oder Krankheiten - Johnny Cash steht immer wieder auf und hinterlässt unvergleichliche Musik.
Seine ersten Erfolge "Folsom Prison Blues", "Get Rhythm" und "I Walk The Line" nimmt der Sänger mit der markanten Bassbariton-Stimme ab Mitte der 50er-Jahre auf. Von nun an kann sich Cash - der nach seiner Militärzeit erfolglos versuchte, sich als Vertreter von Küchengeräten durchzuschlagen - ganz der Musik widmen.
Es folgen weitere große Hits wie "Ring Of Fire", legendäre Auftritte vor Strafgefangenen in Gefängnissen wie St. Quentin oder Folsom, aber auch Alkohol, Drogen und Tabletten. Die Liebe seines Lebens June Carter, in die Cash jahrelang heimlich verliebt ist, hilft ihm aus seiner Sucht.
Nach 35 Jahren Ehe stirbt seine geliebte June im Mai 2003 an den Folgen einer Herzklappenoperation. Nur vier Monate später stirbt auch Johnny Cash.
In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
Am 11.9.1973 putscht in Chile Augusto Pinochet gegen die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende: Hunderttausende Menschen werden inhaftiert und gefoltert.
Im vierten Anlauf wird Salvador Allende im September 1970 zum chilenischen Präsidenten gewählt. Unter ihm werden Mindestlöhne eingeführt, Großgrundbesitzer enteignet und das Gesundheits- und Bildungssystem reformiert. Doch die Opposition reagiert auf seine sozialistischen Reformen mit heftigen Streiks, die eine Wirtschaftskrise auslösen. Allendes Popularität sinkt, dennoch erreichen seine Gegner nicht den nötigen Stimmanteil, um ihn abzusetzen. Sie beschließen den Militärputsch.
Dieser beginnt am frühen Morgen des 11. September 1973. Kurz darauf begeht Allende Suizid. Die neuen Herrscher, angeführt von General Augusto Pinochet, etablieren eine brutale Diktatur, die 17 Jahre währt. Bis heute gibt es in Chile immer noch viel Schweigen über diese Zeit. Und ungeklärte Fragen.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Heute wäre Rolf Bossi 100 Jahre alt geworden. Sein Vater fiel der NS-Willkürjustiz zum Opfer: wichtigstes Motiv für seinen Entschluss, selbst Strafverteidiger zu werden.
Rolf Bossi wird am 10. September 1923 in Karlsruhe geboren. Nach dem Krieg entscheidet er sich für das Strafrecht. Er will verhindern, dass Angeklagte als wehr- und rechtlose Opfer vor dem Richter stehen. Denn genau das ist seinem Vater passiert: Er wurde im Spätherbst 1942 wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt und sofort erschossen.
Bossi übernimmt Mandate in ganz Deutschland. Er ist der Strafverteidiger im Verfahren gegen den Entführer des Aldi-Gründers Theo Albrecht und vertritt auch einen DDR-Grenzsoldaten im sogenannten Mauerschützenprozess. Bossi verteidigt den Serienmörder Fritz Honka und den Geiselnehmer von Gladbeck Dieter Degowski. Und immer wieder zählen auch Prominente zu seinen Klienten: Schauspielerinnen, Sänger, Fernsehstars.
In zahlreichen Talkshow-Auftritten und in seinen Büchern übt Bossi auch scharfe Kritik - am deutschen Justizsystem, aber auch an sich selbst.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Tiemann:
Welche Realität steckt hinter den 'Märchen' aus Nora Hespers' Kindheit? Ihr Großvater Theo Hespers wurde am 9.9.1943 als Widerstandskämpfer von der Gestapo getötet.
Den Nationalsozialisten war der aufrechte, offen geäußerte Widerstand des tief gläubigen Christen schnell ein Dorn im Auge. Schon wenige Wochen nach der Machtübertragung musste Theo Hespers fliehen. Mit seiner Familie versteckte er sich teils unter falschem Namen noch einige Jahre in den Niederlanden und Belgien, bis er nach Deutschland ausgeliefert wurde. Die Nationalsozialisten verurteilten ihn zum Tode. Theo Hespers starb mit 39 Jahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Leni Riefenstahl dreht im Nationalsozialismus Propagandafilme, sie ist Hitlers Lieblingsregisseurin. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet sie als Fotografin und stirbt am 8.9.2003.
Leni Riefenstahl wird im August 1902 in Berlin geboren und macht unterschiedliche Karrieren. Nach einer Ausbildung als Ausdruckstänzerin spielt sie als Schauspielerin in Bergfilmen mit und führt selbst Regie. Damit beeindruckt sie Adolf Hitler. Er macht ihr ein Angebot, wie sie sich später erinnert: "Wenn wir einmal an die Macht kommen, dann müssen Sie meine Filme machen."
Als es so weit ist, dreht Leni Riefenstahl 1933 den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg. Auch den nächsten Parteitag filmt sie: In "Triumph des Willens" setzt sie mit neuester Technik Hitler in Szene. Ihr Film "Olympia" über die Olympischen Spiele 1936 sticht mit bis dahin ungewöhnlichen Kameraperspektiven und eindrucksvollen Zeitlupen besonderes hervor. Auch Werbung für Verbrecher kann meisterhaft sein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Leni Riefenstahl als Fotografin. Ihre Aufnahmen der afrikanischen Nuba und der Unterwasserwelt in der Tiefsee verkaufen sich weltweit. Fragen nach ihrer Rolle im "Dritten Reich" wehrt sie ab. Sie selbst stellt sich als unpolitische Künstlerin dar.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Am 7.9.1888 wird das Frühchen Edith Eleanor McLean in einen Brutkasten gelegt und überlebt. Brutkästen können Babys helfen zu überleben, bringen aber auch ethische Fragen.
Die ersten Brutkästen sind zwischen 1860 bis 1880 in Frankreich in Gebrauch. Sie heißen "Couveusen". Sie sind aus Holz und verfügen über eine Glasscheibe, damit das Baby beobachtet werden kann. Um die Frühgeburten zu wärmen und Temperaturen wie im Mutterleib zu erreichen, werden Behälter mit heißem Wasser in die "Couveusen" gestellt.
Auch in anderen Ländern wird damals mit wärmenden Kästen für Frühgeborene experimentiert. In den USA baut der New Yorker Arzt William Deming ein Gerät, das 1888 zum Einsatz kommt: Edith Eleanor McLean ist das erste Kind, das darin liegt. Sie wiegt bei ihrer Geburt nur 1.106 Gramm - und überlebt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Zwei ungleiche Frauen treffen sich, wahrscheinlich im September 1593: Die eine ist als Königin von England die mächtigste Frau der Welt, die andere eine irische Piratin.
Irland ist über Jahrhunderte das Ziel von Invasoren. Im 16. Jahrhundert beansprucht England die Herrschaft. Das bringt die irische Piratin Grainne in Bedrängnis. Von den Engländern wird sie Grace O'Malley genannt. Deren Zuhause an der Westküste, Clare Island, halten die Engländer besetzt, ihre Flotte wird beschlagnahmt.
In ihrer Verzweiflung bittet die Piratin um eine Audienz bei der britischen Königin Elisabeth I. - und sie wird empfangen. Die beiden machen einen Deal. Die Königin verspricht, ihre Truppen von Clare Island abzuziehen. Und die Piratin gelobt, nie wieder ein englisches Schiff zu kapern.
In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:
Heute vor 45 Jahren (5.9.1978) begannen in Camp David dank US-Präsident Carter Friedensverhandlungen zwischen Israel und Ägypten: Schwierig und schließlich erfolgreich.
Zwei Länder, die in wenigen Jahren vier Kriege gegeneinander geführt hatten, schlossen Frieden: Das Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel war unwahrscheinlich, wenig populär – aber ein Gebot der politischen Vernunft.
In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
Wissenschaft und Glaube - darin sieht der arabische Gelehrte al-Biruni (geboren am 4.9.973) keine Gegensätze. Für ihn ergänzen sich die beiden konträren Perspektiven.
Mathematik, Astronomie, Mineralogie, Pharmazie: Al-Biruni ist der wohl bedeutendste Gelehrte des islamischen Mittelalters. In Europa wird er allerdings erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt, unter anderem durch Alexander von Humboldt.
Geboren wird al-Biruni im September 973 in Kath, einer Stadt im heutigen Usbekistan. Er lebt an verschiedenen Orten des mittelasiatischen Raumes und verfasst fast 150 Bücher, von denen aber nur rund 30 erhalten sind.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Burgmer:
Im September 1928 entdeckt Alexander Fleming den Zufall als Helfer der Wissenschaft. In einer unsauberen Petrischale wuchs ein Pilz, der bald viele Leben retten sollte.
Bei der Entdeckung des Penicillins hilft Alexander Fleming auch der Zufall. Als der Bakteriologe im September 1928 aus dem Urlaub zurückkehrt, stößt er in seinem Labor auf eine vergessene Petrischale mit einer verschimmelten Bakterienkultur. Das Verblüffende: Eine winzige Menge grüner Schimmelpilze hat die Bakterien zerstört. Es gelingt ihm, die bakterientötende Substanz aus dem Schimmel zu extrahieren, er nennt sie Penicillin.
Flemings Veröffentlichungen finden zunächst kaum Beachtung. Erst der Zweite Weltkrieg und die Mitarbeit zahlreicher weiterer Forscher verhilft seiner sensationellen Entdeckung zum Durchbruch. 1945 erhält Fleming - zusammen mit Ernst Chain und Howard Florey, die maßgeblich die Entwicklung des Penicillin vom Schimmelpilz zum Medikament vorangetrieben haben - den Nobelpreis.
In diesem Zeitzeichen erzählt Jürgen Werth:
Lili'Uokalani (geb. am 2.9.1838) vertraute den Amerikanern. Die hatten den von ihr angenommenen christlichen Glauben nach Hawaii gebracht. Doch das sollte sie bereuen.
Am 2. September 1838 wird Lili’uLoloku Walania Kamaka’eha, genannt Lili’uokalani, geboren. Hawaii hat sich durch den westlichen Einfluss da bereits völlig gewandelt - politisch und kulturell. Die Indigenen sind Mitte des 19. Jahrhunderts noch im Besitz von weniger als einem Prozent der Landflächen der Inseln.
Nach ihrer Proklamation zur Königin versucht Lili’uokalani der hawaiianischen Krone zu mehr Macht zu verhelfen. Vergebens. Auch ihr Vorstoß, eine neue Verfassung durchzusetzen, scheitert. Es kommt zu einem republikanischen Aufstand, in dessen Folge die Königin abdankt. Acht Monate lang wird Lili‘uokalani von US-Truppen unter Hausarrest gestellt. Ihre vollen Bürgerrechte erhält sie erst nach zwei Jahren zurück.
1898 büßt Hawaii endgültig seine Unabhängigkeit ein, ist nun formell Territorium der Vereinigten Staaten. Fast 100 Jahre später entschuldigt sich der amerikanische Präsident Bill Clinton offiziell für die Rolle der USA beim Sturz der hawaiianischen Monarchie und die völkerrechtswidrige Annektierung des Inselarchipels. Hawaiis letzte Königin erlebt das nicht mehr: Lili‘uokalani stirbt 1917.
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
Seit dem 1.9.1873 fahren die Cable Cars durch San Francisco: Für den Alltagsbetrieb nicht mehr rentabel, für Einheimische und Touristen aber unverzichtbar.
Die Cable Car erweist sich als einfaches, verlässliches Verkehrsmittel. Das kommt bei Fahrgästen und neuen Investoren gleichermaßen an. Ein gutes Dutzend Bahnlinien verkehren zwischen den Hügeln von San Francisco, als 1906 ein Erdbeben alles zerstört. Doch wie die gesamte Stadt wird auch die Cable Car wieder aufgebaut.
Heute fahren noch drei Linien zwischen Fisherman’s Wharf, dem Fährhafen und dem Süden der Stadt. Die Technik ist auch nach 150 Jahren nahezu unverändert. Ein Kabel, ein Gleis, eine Drehscheibe an der Powell Street - mehr braucht es nicht.
Aktuell kostet ein Ticket acht Dollar - pro Person und Fahrt. Ein teures Touristen-Vergnügen. Dennoch ist ein San Francisco ohne Cable Car nicht vorstellbar. Mehrfach ist ihre Abschaffung in früheren Jahrzehnten am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Seit 1964 ist sie als "National Landmark" geschützt.
In diesem Zeitzeichen erzählen Kay Bandermann und Ulrike Froleyks:
Im "Haus Vaterland" wird geklotzt statt gekleckert. Eröffnet am 31.08.1923 bietet Berlins Vergnügungstempel Platz zum tanzen, essen und in die Ferne schweifen - und das für jeden Geldbeutel.
In den 1920er-Jahren explodiert die Unterhaltungsindustrie. Plötzlich gibt es Radio, Schallplatte, Kino und Kabarett. Da trifft die Idee eines Gebäudekomplexes, der verschiedene Vergnügungen unter einem Dach anbietet, genau den Nerv der Zeit.
Zwölf Millionen Reichsmark investiert die Eigentümerfamilie Kempinski in den Umbau des ehemaligen UFA-Sitzes - vor allem für den riesigen Technikapparat hinter den Kulissen. Mit Erfolg: Haus Vaterland wird schnell ein prunkendes Wahrzeichen des neuen Berlin. Selbst als nur ein Jahr nach der Eröffnung die Weltwirtschaftskrise das Land erschüttert, kommen die Gäste weiter.
Haus Vaterland steht noch bis 1976, dann wird es abgerissen. Es muss einer Stadt-Autobahn weichen, die nie gebaut wird.
In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
Sie zwingen Sportlerinnen mit Schlägen zu Höchstleistungen, sie terrorisieren ein ganzes Land: Der am 30.8.1948 gegründete rumänische Geheimdienst Securitate entwickelt sich zu einem der brutalsten in Europa.
Gegründet wird die Securitate 1948 nach dem Vorbild des KGB. Neben den hauptamtlichen Mitarbeitern bespitzeln, überwachen und melden Tausende IM, informelle Mitarbeitende, vermeintliche "systemkritische" Aktivitäten von Freunden, Nachbarn und Kolleginnen. Die daraufhin verhängten Strafen werden individuell angepasst. "Was schadet wem am meisten? Danach wurde gehandelt", erinnert sich Schriftstellerin Herta Müller, die 1986 aus Rumänien nach Deutschland auswandert.
Zur Wende 1989 sind geschätzt 40.000 Hauptamtliche und fast eine halbe Million IMs aktiv. Etliche von ihnen kommen schnell im Geheimdienst des neuen rumänischen Staates unter. So bleiben die Verbrechen der Securitate lange ungestraft. Erst mit dem Beitritt in die EU und auf Druck von Opferverbänden ist Rumänien gezwungen, die Diktatur aufzuarbeiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
Jede Menge Gold und Silber übergeben die Inkas den Spaniern, damit sie ihren gekidnappten Herrscher Atahualpa freilassen. Vergeblich, wie sich am 29.08.1533 herausstellt.
Zunächst behandeln die Spanier den gefangenen Inka-Fürsten zuvorkommend. Immerhin sind sich die Eroberer ihrer Unterzahl bewusst. Aber die zahlenmäßig überlegenen Inkas unternehmen nichts, um ihren Anführer zu befreien. Atahualpa bietet schließlich Francisco Pizarro einen Raum voll Silber und Gold als Lösegeld an. Er willigt ein.
Obwohl die Inka die versprochenen Kostbarkeiten anschleppen, halten die Spanier ihr Wort nicht. Durch seine Taufe kann Atahualpa gerade noch seinen qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen verhindern. Er wird "nur" erdrosselt. Die jetzt führerlosen Inka werden bald zu tausenden umgebracht oder erliegen den von den Eroberern eingeschleppten Krankheiten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
Am 28.8.1963 hält Martin Luther King in Washington seine visionäre Rede "I have a dream". Er fasst darin die Forderungen der US-Bürgerrechtsbewegung zusammen.
Mehr als 200.000 Menschen haben sich vor dem Lincoln Memorial versammelt: Sie sind dem Aufruf zum "Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit" gefolgt und demonstrieren gegen Rassismus. Der Baptistenprediger Martin Luther King tritt als letzter Redner auf. Er spricht über die Befreiung der schwarzen Sklaven durch Abraham Lincoln. Und er kritisiert die Ungerechtigkeit der sogenannten Rassentrennung in der Gegenwart.
Dann weicht King von seinem Redemanuskript ab und skizziert seine Vision: "Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern auf den roten Hügeln von Georgia sich am Tisch der Bruderschaft gemeinsam niedersetzen können."
In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
"Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum" - weltberühmte Zeilen der antifaschistischen Hymne. Erstmals gesungen von aufrechten KZ-Häftlingen.
Als 16 Häftlinge am Ende eines bunten Zirkusprogramms im Konzentrationslager Börgermoor zum ersten Mal das Lied der "Moorsoldaten" anstimmen, singen die fast tausend Gefangenen schon nach der zweiten Strophe den Refrain mit, bei der letzten stimmen sogar die SS-Leute ein.
Obwohl der Lagerkommandant das Lied schnell verbietet, wird es bei den Einsätzen im Moor weiter gesungen. "Die Moorsoldaten" avanciert nach seiner Uraufführung heute vor 90 Jahren schnell zu einem der bekanntesten Widerstands-Lieder. Hannes Wader, Joan Baez und Pete Seeger haben es gesungen, und es gibt es auch Versionen von den "Toten Hosen" oder der Elektropop-Band "Welle: Erdball".
In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
Als Hertha Marks Ayrton am 26.8.1923 starb, war sie eine bekannte und geachtete Ingenieurin und Erfinderin. Außerdem kämpfte sie für Gleichberechtigung.
Schon während ihres Studiums reicht die Mathematikerin und Elektroingenieurin Hertha Marks Ayrton ihr erstes Patent ein. Es handelt sich um ein Gerät zur Vergrößerung und Verkleinerung von Abbildungen. 25 weitere Patente folgen im Laufe ihres Lebens. 1899 trägt die Wissenschaftlerin ihre Arbeiten vor der "Institution of Electrical Engineers" vor und wird zum vollwertigen Mitglied ernannt. Grund sind ihre Erkenntnisse zum Lichtbogen. Die sogenannten Lichtbogenlampen wurden das gesamte 20. Jahrhundert in Kino-Projektoren und Scheinwerfern eingesetzt - dank Hertha Marks Ayrton erstmals ohne Feuergefahr.
Sie ist das erste weibliche Mitglied der englischen Vereinigung der Elektroingenieure und die erste Empfängerin der Hughes-Medaille. Neben der Forschung engagiert sich Hertha für die Gleichstellung der Frau, kämpft für das Frauenwahlrecht und unterstützt die Suffragetten.
In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
Der Großmeister der Spionageromane wird 85: Frederick Forsyth schrieb mehr als 20 Bestseller, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Bis heute sieht er sich auch als Journalist.
Spionageromane gehören während des Kalten Krieges zwischen West und Ost zu den Verkaufsrennern. Der am 25.8.1938 geborene Frederick Forsyth, Auslandskorrespondent der britischen Nachrichtenagentur Reuters, landet 1971 gleich mit seinem Debütroman "Der Schakal" einen Bestseller.
Seine Spionage-Thriller kommen an, weil sie in der nahen Zukunft spielen und deren politisches Konfliktpotential erkunden. Sie verbinden genau recherchierte Fakten zu Nazi-Seilschaften oder den Kriegen in Algerien und Ex-Jugoslawien in brisanter Fiktion.
In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
Im August 1953 sank die Kaffeesteuer in der BRD deutlich - es war das Ende des gefährlichen und lukrativen Kaffeeschmuggels im "Wilden Westen" der Eifel...
Kaffee ist nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik enorm teuer. Grund dafür ist eine hohe Steuer. Deshalb blüht in Westdeutschland an den Grenzen zu Belgien und den Niederlanden der Kaffeeschmuggel. Einige Ortschaften in der Eifel werden zu regelrechten Schmugglernestern.
Die Zöllner haben alle Hände voll zu tun. Immer öfter kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen - mit Verletzten und Toten. Die schweren Auseinandersetzungen zwischen Schmugglern und Zöllnern zwingen die Politik zum Handeln.
In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
Am 23.8.1958 wurde die Gorch Fock ins Wasser gelassen. Ihr Image: lange tadellos! Heute steht sie auch für Todesfälle und Sanierungskosten von über 100 Millionen Euro.
Die "Gorch Fock" ist ein Kriegsschiff ohne Waffen. Die Bark mit ihren drei Masten soll Leben schützen, nicht nehmen. Auf dem Schiff werden deutsche Marinesoldatinnen und -soldaten ausgebildet - und sie repräsentiert das Land bei ihren vielen Reisen in Häfen auf der ganzen Welt als "Botschafter Deutschlands unter Segeln".
Bald nach dem Stapellauf sticht die Gorch Fock zu ihrer ersten Ausbildungsfahrt in See. Doch das Logbuch bleibt nicht ohne dunkle Einträge. Bei Unfällen kommen zwei Kadettinnen ums Leben.
2015 stellt die Werft schwere Schäden fest. Die Sanierungskosten betragen bald unglaubliche 135 Millionen Euro. Bis heute wird wegen möglicher Korruption ermittelt.Trotzdem wird entschieden: Der Stolz der deutschen Marine soll weiterhin die Weltmeere befahren.
In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
Am 22.8.1903 beginnt in Crimmitschau einer der längsten Streiks in der Geschichte der Arbeiterbewegung: Er dauert fast 5 Monate, etwa 8.000 Beschäftigte beteiligen sich.
Crimmitschau in Sachsen gilt Anfang des 20. Jahrhunderts als die Stadt mit der höchsten Millionärsdichte im gesamten deutschen Kaiserreich: Baumwollhändler und Garnfabrikanten, Tuchhersteller und Seidenmanufakturen - in der Blütezeit gab es 80 verschiedene Textilbetriebe in der sächsischen Kleinstadt. Die Reichen leben auf der besseren Seite des Flüsschens Pleiße. Auf der anderen Seite: die Männer und Frauen, denen die Millionäre ihren Reichtum verdanken. Über 7.000 Menschen schuften in den Crimmitschauer Textilfabriken - die Hälfte davon Frauen. 12-14 Stunden am Tag. Sechs Tage die Woche. Mindestens. Anfang August 1903 reichen in fünf Betrieben tausende Beschäftigte demonstrativ ihre Kündigung ein: Sie fordern mehr Geld und einen Zehn-Stunden-Tag. Die Textilunternehmer drohen ihren Beschäftigten mit Aussperrung und Kündigung, falls sie tatsächlich die Arbeit einstellen sollten. Es wird verhandelt, aber ohne Ergebnis. So beginnt am 22. August 1903 einer der spektakulärsten und längsten Streiks in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Mit bitterem Ausgang für die Streikenden...
In diesem Zeitzeichen erzählt Kay Bandermann:
Die Erziehung des kleines Rudolf: brutal und sadistisch. Der Tod des einzigen Sohns von Kaiserin "Sissi" ist bis heute Gegenstand von Romanen und Verschwörungsmythen.
Nach zwei Mädchen bringt Kaiserin Elisabeth, "Sisi", endlich den ersehnten männlichen Thronfolger zur Welt. Weil aus dem sensiblen, wissbegierigen Kind ein "echter Mann" werden soll, bestimmt Kaiser Franz Joseph einen Generalmajor des Militärs zum Erzieher des kleinen Rudolf. Mit brutalen, sadistischen Erziehungsmethoden macht er aus dem aufgeweckten Jungen ein krankes, verängstigtes Kind. Dennoch wächst Rudolf zu einem interessierten, politisch offenen jungen Mann heran, der dem Leben durchaus zugewandt ist. Das ändert sich nach einer unglücklichen Ehe und der Erkenntnis, dass man ihm am Wiener Hof wenig zutraut. Rudolf verfällt in schwere Depressionen. Der 30-Jährige will sterben, aber nicht alleine. So erschießt der Thronfolger von Österreich-Ungarn im Januar 1889 zuerst seine 17-jährige Geliebte und dann sich selbst. Dabei wäre mit einem liberalen Rudolf als Kaiser der Lauf der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert möglicherweise ein anderer gewesen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
Vor 130 Jahren, am 20.8.1893, wurde Lotte Cohn geboren. Sie war überzeugte Zionistin und plante als Architektin die ersten jüdischen Siedlungen in Palästina.
Lotte Cohn ist eine der ersten Frauen, die in Preußen Architektur studieren dürfen. Der Antisemitismus in Deutschland lässt sie 1921 nach Palästina auswandern. Als sie in Tel Aviv ankommt, hat die Stadt gerade einmal 240 Häuser. Mit ihrer der Flachdach-Bauweise prägt die Architektin das Bild der Stadt. Sie entwirft auch Gemeinschaftsbauten der Kibbuze, die das soziale Ideal des Zionismus verkörpern. Die Pionierin wirkt fünf Jahrzehnte am Bau Israels mit.
In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
Sie waren frühe Kapitalisten, eine erste Mittelschicht: Im 13. Jahrhundert kommen Bürger in Florenz zu Geld - und sie fordern Macht...
Die "Ordinamenti di giustizia" (Gerechtigkeits-Verordnungen) bestimmen, dass die obersten Ämter in Florenz ausschließlich durch Vertreter der größeren Zünfte besetzt werden. Die Berufsstände haben im Laufe des 13. Jahrhunderts an Macht und Einfluss gewonnen. Florenz ist auf 100.000 Bewohnern angewachsen. Viele Neubürger sind erfolgreiche Handwerker, Juristen oder Händler, die sich 1293 politische Mitsprache erstreiten. Einer von ihnen ist der junge Dante Alighieri, der später als Italiens Nationaldichter und Verfasser der "Göttlichen Komödie" bekannt werden wird. Doch Dante und die anderen Aufsteiger können ihre machtvolle Stellung nicht halten, die Elite-Familien kehren bald schon aufs politische Parkett zurück. Dante muss wegen der Androhung der Todesstrafe Florenz verlassen.
In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
Gut oder böse? Schwarz oder weiß? Oder gibt es etwas dazwischen? Die Psychologin Else Frenkel-Brunswik hat sie entdeckt, die Grautöne. Am 18.8.1908 wird sie in Lemberg geboren.
"Ambiguitätstoleranz" nennt sich die Fähigkeit zum Aushalten von Graubereichen und Mehrdeutigkeit. Die Psychologin Else Frenkel-Brunswik hat sie entdeckt. Später forscht sie auch zu Antisemitismus und ist maßgeblich an Adornos Studien zur autoritären Persönlichkeit beteiligt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heide Soltau:
Vor 115 Jahren fand der erste Welt-Vegetarier-Kongress statt. Etwa 20 Frauen und Männer trafen sich in Dresden, um sich über fleischlose Ernährung auszutauschen.
Zum ersten weltweiten Treffen der Vegetarier am 17.8.1908 kommen Engländer, Niederländer und Deutsche zusammen. Ihr Ziel: Sie wollen sich verbünden, um auch politisch Einfluss nehmen zu können. Denn die Fronten zwischen den "Kohlrabi-Aposteln" und "Leichenfressern" – so die gängigen gegenseitigen Beschimpfungen der Fleischesser und Vegetarier – sind früh verhärtet.
In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
Interviews durchs geöffnete Autofenster der Gangster. Eine überforderte Polizei. Drei Tote. Das Gladbecker Geiseldrama war ein bespielloser Kriminalfall.
Am 16. August 1988 überfallen die Gangster Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner eine Bank in Gladbeck. Anschließend fahren sie nach Bremen und kapern einen Bus mit mehr als 30 Personen. Von nun an verfolgt ein Tross von Polizisten und Presse die sich anschließende Irrfahrt der Gangster. Auf einem Rastplatz ermorden sie die erste Geisel: Emanuele de Giorgi. Einen Tag später stirbt Silke Bischoff beim Zugriff der Polizei auf der Autobahn durch Rösners Waffe.
In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
Am 15.8.1248 wurde der Grundstein für das höchste Gebäude der Welt gelegt. Dabei war den Kölner Baumeistern klar: Sie selbst würden den fertigen Dom nie sehen.
632 Jahre lange Jahre wird am Kölner Dom gebaut. Wirklich fertig wird er wohl nie. Ein kölsches Sprichwort sagt, "Wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter". Der Dom ist ein Generationenprojekt, um für die wertvollen Reliquien der Heiligen Drei Könige eine angemessene Kathedrale zu schaffen, die auch die großen Pilgerströme fassen kann. Schließlich ist es ein protestantischer Preußenkönig, der dafür sorgt, dass der Dom 1880 tatsächlich eingeweiht wird.
In diesem Zeitzeichen erklärt Irene Geuer:
Die weltweit erste Fahrprüfung am 14.8.1893 sollte eine abenteuerlustige Bohème disziplinieren, die in der Pariser Innenstadt Autorennen veranstaltete.
Auf unseren Straßen ist die Hölle los? Kein Vergleich mit Paris vor 130 Jahren! Fußgänger, Pferdefuhrwerke - und dann sind da noch diese neumodischen Benzinkutschen, die alle bestaunen, aber kaum einer wirklich fahren kann. Regeln und Schilder müssen her - und die weltweit erste Fahrprüfung!
Denn nicht nur die Pariser Stadtbevölkerung leidet Ende des 19. Jahrhunderts unter Rasern und Auto-Posern. Bei ihren Ausflügen aufs Land fährt die Bohème auch schon mal Hühner tot und wirbelt auf den unasphaltierten Straßen dicke Staubwolken auf.
In diesem Zeitzeichen erklärt Kerstin Hilt:
Am 29.7.1948 traten 16 querschnittgelähmte Männer und Frauen im Rollstuhl zum ersten Mal gegeneinander im sportlichen Wettkampf beim Bogenschießen gegeneinander an. Das hätte bis dahin niemand für möglich gehalten. An einer Querschnittslähmung starb man damals meist innerhalb weniger Jahre.
Mit zwei Frauen und 14 Männern fing es an. Auf den Rasenflächen des Stoke Mandeville Hospitals nordwestlich von London traten Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer im Bogenschießen gegeneinander an. Und zwar am selben Tag, als in London die ersten Olympischen Sommerspiele nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet wurden. Die Idee dazu hatte Ludwig Guttmann, emigrierter Jude und Neurologe aus Deutschland. Er revolutionierte die Behandlung von Querschnittgelähmten und verordnete ihnen auch Sport. Etwas, was zuvor als undenkbar galt.
In diesem Zeitzeichen verrät Andrea Kath
// Warum eine Querschnittslähmung zuvor einem Todesurteil gleichkam
// Warum Ludwig Guttmann alles verändert hat
// Welches Ziel die Stoke Mandeville Games hatten
// Wie aus ihnen inzwischen mit den Paralympics eine der größten Sportveranstaltungen der Welt werden konnte
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Das sind unsere wichtigsten Quellen, Interviewpartner und weiterführende Links:
Das Interview mit Caz Walton stammt von der Internetseite des Paralympic National Trust https://www.paralympicheritage.org.uk/caz-walton
Vicky Hope-Walker, CEO des National Paralympic Heritage Trust, Stoke Mandeville
Daniel Dubinski, Neurochirurg Universitätsklinik Rostock
Filmtipp: The Best of Men, Regie Tim Whitby, BBC 2012
https://www.bbc.co.uk/programmes/b01m1jqd
Eisenberg, Ulrike, Hartmut Collmann u. Daniel Dubinski (2017): Verraten – Vertrieben – Vergessen. Werk und Schicksal nach 1933 verfolgter deutscher Hirnchirurgen.
Goodman, Susan (1986): Spirit of Stoke Mandeville. The Story of Sir Ludwig Guttmann.
Guttmann, Sir Ludwig (1979): Sport für Körperbehinderte.
https://www.paralympic.org/?gclid=Cj0KCQjw8NilBhDOARIsAHzpbLCr5CBULthPhGUjhnaNE8EiJLVGK0VGYfqhFBM06WKQZ8oQBSPDxysaAnR1EALw_wcB
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Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob? Gerne her damit: Einfach schreiben an [email protected].
Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens!
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Das ganze Zeitzeichenarchiv gibt’s hier: Audiothek WDR Zeitzeichen
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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autorin: Andrea Kath
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Sarah Fitzek
Onlineproducer: Rainer Striewski
Mitte des 19. Jahrhunderts hielten deutsche Geographen den Nordpol noch für eine kleine Insel im eisfreien Polarmeer - ein großer Irrtum! Deshalb steckte die erste deutsche Polarexpedition - gestartet heute vor 155 Jahren - nach nur 14 Tagen im Packeis fest... Autorin: Marfa Heimbach
(Der im Zeitzeichen zitierte Experte Prof. Dr. Gunther Krause ist im Jahr 2020 verstorben.)
En liten tjänst av I'm With Friends. Finns även på engelska.